Slave me - Besitze mich | Erotischer SM-Roman - Alissa Stone - E-Book

Slave me - Besitze mich | Erotischer SM-Roman E-Book

Alissa Stone

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Beschreibung

Dieses E-Book entspricht 216 Taschenbuchseiten ... Melissa hütet ihre devote Neigung wie ein dunkles Geheimnis - als aufstrebende Kunsthändlerin kann sie sich keine Eskapaden leisten. Doch plötzlich droht ein Erpresser, ihr sauberes Image zu zerstören. Innerhalb von zehn Tagen soll sie ein Gemälde vom Kunstagenten und Lebemann Ethan Luces beschaffen. Aber Ethan will das Bild nicht verkaufen, sondern schlägt ihr einen gewagten Deal vor: Sie bekommt das Gemälde nur, wenn sie sich ihm eine Woche lang unterwirft und ihm bedingungslos gehorcht. Getrieben von einem tiefen Verlangen willigt sie schließlich ein und setzt damit nicht nur ihre Karriere aufs Spiel ... Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.

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Impressum:

Slave me - Besitze mich | Erotischer SM-Roman

von Alissa Stone

 

Alissa Stone wurde 1977 geboren und lebt im Süden Deutschlands. Neben ihrem Beruf als Grafikerin praktiziert sie seit Jahren BDSM. Doch die erregendsten Erlebnisse, so sagt sie, spielen sich meist im Kopf ab. Denn dort existieren keine Tabus. Alles, was im realen BDSM nicht möglich ist, weil es moralische Grenzen überschreitet, findet in der Fantasie seinen Platz. In ihrem Debütroman „Im Zentrum der Lust“ entführt Alissa den Leser in eine Welt, die sonst nur seiner sexuellen Fantasie vorbehalten bleibt. Sie schickt ihn durch ekstatische Höhen und Tiefen, unerwartete Wendungen und lässt ihn erst wieder frei, wenn er auf der letzten Seite angekommen ist.

 

Lektorat: Nicola Heubach

 

 

Originalausgabe

© 2020 by blue panther books, Hamburg

 

All rights reserved

 

Cover: sakkmesterke @ shutterstock.com

Umschlaggestaltung: MT Design

 

ISBN 9783966410199

www.blue-panther-books.de

Kapitel 1

Gebannt blicke ich auf den Sekundenzeiger, der im Schneckentempo die nächste volle Minute ansteuert. In fünf Minuten werde ich Henry Burtons Büro betreten und erfahren, ob er mich zur Managerin seiner zweiten Kunstgalerie in Liverpool befördert. Mein Herz rast und unentwegt knete ich meine Finger, die sich ganz kalt anfühlen.

Wie in Watte gepackt stöckle ich den Gang entlang. Henrys Büro liegt im vorderen Teil der Galerie und ist nur durch eine Glaswand vom Ausstellungsraum abgetrennt. Im grauen Zweireiher und mit akkurat gekämmtem Seitenscheitel steht er an seinem Schreibtisch und notiert etwas in sein Notizbuch. Das grau-melierte Haar und der gezwirbelte Oberlippenbart betonen sein aristokratisches Auftreten. Mit Ende fünfzig ist er kein Mann, der sich nach Feierabend mit einem Bier auf die Couch fläzt und durchs Sportprogramm zappt – auch wenn seine korpulente Körpermitte das vermuten lässt. Er ist kultiviert und umgibt sich mit Menschen, die sich zu benehmen wissen. Menschen mit einer reinen Weste. Ich bewundere ihn für das, was er darstellt und wie weltgewandt er mit Menschen umzugehen weiß. Er ist für mich ein Vorbild und das Sprungbrett auf dem Weg nach oben.

Ich öffne die Glastür und betrete sein Büro. Er sieht kurz zu mir auf. Sein Blick wirkt ernst, vielleicht auch konzentriert. Mein Herz rutscht tiefer. Die Angst, mein Ziel könnte in wenigen Minuten scheitern, lähmt mich.

»Setzen Sie sich bitte«, sagt er.

Ich nehme am Konferenztisch Platz. Hitze steigt in mir auf und ein mulmiges Gefühl boxt sich durch meine Eingeweide. Henry klappt das Notizbuch zu und legt den Stift darauf ab. Er kommt an den Tisch und setzt sich mir gegenüber.

»Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze, Melissa.«

Ich lächle. Alles in mir versteift sich.

Er nimmt eines der Gläser, die in der Mitte des Tisches stehen, füllt es mit Mineralwasser und nimmt einen Schluck. Liebend gern würde ich mir auch ein Glas einschenken. Meine Kehle ist trocken und ich brauche was zum Festhalten. Doch ich wage es nicht, weil meine Finger so zittern. Was, wenn er sich gegen mich entschieden hat?

Seit meinem neunzehnten Lebensjahr ist es mein Ziel, eine eigene Galerie zu leiten. Ich habe Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte studiert, zig Praktika in Galerien und Museen absolviert und mir über Jahre hinweg ein Image aufgebaut. Aber um selbst eine Galerie zu eröffnen, reicht mein Erspartes nicht. Ich bräuchte mindestens hunderttausend Pfund Startkapital, wenn ich Künstler ausstellen will, die sich bereits einen Namen gemacht haben. Henry hat nicht nur die Mittel, er hat auch die Kontakte, und wenn er sich für mich entscheidet, dann würde ich dort sein, wo ich schon immer hinwollte. Dann ist es mir egal, wenn ich London den Rücken kehren muss, denn von da an werde ich selbst entscheiden, welche Künstler ich ins Programm aufnehme. Ich werde auf Empfängen und Partys von Adel und Prominenz eingeladen und werde mit ihnen über Kunst debattieren und wichtige Kontakte knüpfen. Ich bin dann das, was ich schon immer sein wollte: eine angesehene Galeristin.

Endlich setzt Henry das Glas ab und sieht mich an.

»Ich weiß, dass Sie Ihren Job lieben, dass er Ihr Leben ist. Sie haben die besten Referenzen und Sie verstehen das Geschäft. Ihr Auftreten ist einwandfrei. Und Sie haben das, was ich von meinen Mitarbeitern erwarte und was auch unsere Klientel erwartet, nämlich einen tadellosen Ruf.«

Das hört sich verdächtig nach einem »Aber« an. Ich atme tief durch.

Er öffnet seine ineinander verschränkten Finger. »Ich habe mich entschieden, Sie für den neuen Posten in Liverpool zu besetzen. Wenn Sie möchten, werden Sie dort in fünf Wochen die Galerie leiten.«

Der Druck in meiner Brust rutscht mit einem Mal nach unten. Ich muss die Sensation erst einmal verdauen.

»Es wäre mir eine Ehre.« Ich lächle, zurückhaltend, professionell. Dabei zerspringe ich innerlich vor Glück.

»Ausgezeichnet. Carina hat gestern den Vertrag ausgedruckt. Sie müssen ihn nur noch unterschreiben.«

Carina weiß Bescheid? Warum hat sie mir nichts gesagt?

Henry schiebt mir ein geheftetes Dokument über den Tisch. »Natürlich können Sie ihn in Ruhe durchlesen und mir nächste Woche Bescheid geben.«

»Das werde ich tun. Vielen Dank.«

Während ich aufstehe und mich zum Gehen wende, ruft er meinen Namen. »Melissa. Eins noch.«

Ich drehe mich um.

»Enttäuschen Sie mich nicht.«

»Ganz bestimmt nicht«, verspreche ich.

Als ich den Gang zurückschreite, kreische ich in mich hinein. In meinem Bauch flattert ein ganzes Rudel Glücksgefühle. Mit dem Rücken lehne ich mich an die Wand und halte mir die Hände an die Wangen. Sie glühen förmlich. Wow, ich kann es nicht glauben. Ich habe es geschafft. In fünf Wochen werde ich eine eigene Galerie leiten! Ich fühle mich so großartig, so mächtig.

Carina steht in unserem Büro, als hätte sie auf meine Verkündung gewartet. Sie strahlt mich an und hält eine Sektflasche hoch, die sie eben noch hinter dem Rücken versteckt hat. Noch immer schaffe ich es nicht, mein Grinsen zu unterbinden.

»Du darfst mich ab sofort Galeristin nennen!«, rufe ich und strecke beide Arme von mir.

»Du bist der Wahnsinn«, sagt sie und drückt mich so fest, dass ich kaum noch Luft bekomme. Dann stellt sie die Flasche auf den Schreibtisch und mit einem lauten Plop fliegt der Korken durch die Luft. Schaum ergießt sich über den Flaschenhals und hinterlässt eine Lache auf dem Tisch. Schnell schiebt Carina Blätter und Stifte zur Seite.

»Ach ja«, sagt sie und hält mir ein Kuvert unter die Nase, das sie gerade noch vor den Fluten retten konnte. »Da ist ein Brief für dich gekommen.«

Während Carina in die Küche eilt, um zwei Gläser zu holen, gehe ich zu meinem Schreibtisch und reiße die Lasche des Kuverts auf. Meine Finger zittern noch immer, weil die Euphorie meinen gesamten Körper aufgeladen hat.

Im Umschlag liegt nur ein Foto, sonst nichts. Ich ziehe es heraus und schaffe es nicht mehr, den Blick davon abzuwenden. Meine Stimmung sackt von ganz oben nach ganz unten und schlägt augenblicklich am Boden auf.

Der Schnappschuss zeigt mich. Mit gespreizten Armen und Beinen, festgebunden am Andreaskreuz – wie ein zur Schau gestellter Hampelmann. Es war mein erstes und einziges Mal in diesem SM-Club. Mit Noah, meinem, inzwischen, Ex-Freund. Er hat mich damals in den Club geschleppt, weil er geglaubt hat, mir damit eine Freude zu machen. In Wirklichkeit war es mir unsagbar peinlich. Er hatte mich an dieses Holzkreuz geschnallt, sich vor mir aufgebaut und mich grimmig angesehen. Vermutlich, weil er glaubte, er würde dadurch dominant wirken. Doch das tat er nicht. Er hatte nicht einmal einen hochbekommen, weil ihn diese Art von Sex in keiner Weise erregt. Und auch bei mir blieb die Erregung aus. Stattdessen wurde mir noch mehr bewusst, wie abartig dieses Verlangen in mir ist. Ich habe sogar einen Orgasmus vorgetäuscht, nur damit ich schnell wieder von dort verschwinden konnte. Dabei läuft es in meinen Fantasien immer ganz anders ab. Sie entfachen regelrechte Lustschauer in meiner Intimregion. Wenn ich mir vorstelle, ein geheimnisvoller Fremder würde meine Handgelenke aneinanderzwingen, sie mit einem Strick ans Bettgestell fesseln und meine Öffnungen benutzen, wie es ihm beliebt, dauert es keine fünf Sekunden und eine Pfütze bildet sich zwischen meinen Schenkeln.

Ich starre auf das Foto und versuche, mit tiefen Atemzügen das Schamgefühl zu bändigen. Je mehr ich die Erlebnisse im Club Revue passieren lasse, desto wütender werde ich. Ich erinnere mich noch deutlich, dass Noah mit dem Handy vor mir gestanden hatte, angeblich, um die Stummschaltung zu aktivieren. Offenbar war das nur die halbe Wahrheit.

Bei dem Gedanken schnürt sich mir die Kehle zu. Ihm ist wohl jedes Mittel recht, um mich zurückzugewinnen. Was hat er sich nur dabei gedacht? Er weiß ganz genau, mit welchen Konsequenzen mein Chef auf derartige Exzesse reagieren würde. Schließlich bewege ich mich in gehobenen Kreisen, in denen skandalöse Gerüchte tödlich sind. Henry wäre außer sich, wenn er das Foto gesehen hätte. Für gewöhnlich macht er die Post auf. Was, wenn er nicht bemerkt hätte, dass der Brief an mich adressiert ist? Mein tadelloser Ruf wäre ramponiert und den Posten als Galeriemanagerin hätte ich vergessen können!

Ich atme tief durch und hebe den Blick. Carina steht neben mir, reicht mir ein volles Sektglas und sieht mich fragend an. Schnell stecke ich das Foto zurück in den Umschlag und lasse ihn in meiner Tasche verschwinden. Niemand darf erfahren, was darauf zu sehen ist!

»Was war in dem Umschlag?«, fragt Carina prompt.

»Nichts.« Mit einem Lächeln versuche ich, meine innere Unruhe in den Griff zu bekommen. Ich darf mir nichts anmerken lassen.

Eigentlich spreche ich mit Carina über alles. Sie ist nicht nur meine Kollegin, sondern auch meine Freundin. Wir sagen uns offen und ehrlich die Meinung und nehmen uns auch gern mal gegenseitig auf den Arm. Aber ich schäme mich für meine devote Ader. Sie ist ein unliebsamer Teil in mir, den ich als mein dunkles Geheimnis ansehe, den ich unter Verschluss halte, weil er ganz und gar nicht zu dem Bild passt, das mein Umfeld von mir hat. Niemand darf erfahren, welche schändlichen Gelüste ich hege. Es reicht, wenn mein Ex davon weiß.

Carina kneift die Augen zusammen und wickelt sich eine Strähne ihres braunen Bobs um den Finger. »Hast du einen Neuen?«

»Nein. Glaub mir, du wärst die Erste, die davon erfahren würde.« Ich lächle, zumindest tu ich so, als würde ich lächeln.

Ihre Brauen ziehen sich mitleidsvoll zusammen. »Hast du Ärger, Melissa?«

Der helle Klang der Türglocke durchschneidet die Spannung, die zwischen uns in der Luft liegt. Ein Kunde ist da.

»Ich geh schon«, sage ich, schiebe meine Tasche unter den Schreibtisch und eile zur Tür hinaus.

Zum Glück bleibt es nicht bei diesem einen Kunden. Die Galerie ist nachmittags gut besucht. So kann ich Carina aus dem Weg gehen. Und morgen Vormittag muss ich zu einer Auktion. Vielleicht vergisst sie bis dahin ja den Briefumschlag. Und vielleicht weiß ich bis dahin, was mein Ex im Schilde führt.

Kapitel 2

Ich schließe die Wohnungstür auf, werfe meine Tasche auf die Kommode und verstaue Mantel und Schuhe im Garderobenschrank. Noch bevor ich den Umschlag aus der Tasche hole, tippe ich Noahs Nummer ins Telefon – so hastig, dass ich mich beinahe vertippt hätte. Ich hoffe bei Gott, dass er zu Hause ist, was wegen seines Schichtdienstes immer schwer vorauszusagen ist.

Nach vier Mal klingeln, nimmt er den Hörer ab. Zum Glück. Er begrüßt mich überschwänglich, als hätte er seit Monaten nichts mehr von mir gehört. Dabei ruft er mich mindestens einmal die Woche an, um zu fragen, wie es mir geht. Und um nachzufühlen, ob er sich Chancen auf einen Neuanfang machen kann.

Seine Stimme klingt tief und anzüglich. »Sag bloß, du vermisst mich …«

Ich falle ihm ins Wort. »Kannst du mir bitte erklären, warum du mir das Foto in die Arbeit geschickt hast?«

Ich höre einen Löffel klimpern und stelle ihn mir vor, wie er in seiner weißen Pflegeruniform an der Küchenzeile steht. Vor ihm seine hellblaue Jumbotasse, randvoll mit japanischem Weißtee, in den er gerade den vierten Löffel Zucker rührt – während sich in mir die Ungeduld von einer Seite auf die andere wälzt.

»Welches Foto?«

»Noah, stell dich nicht so dumm.«

»Weshalb sollte ich dir ein Foto schicken? Worum geht es überhaupt?«

Einen Moment lang schließe ich die Augen. So wie er das sagt, weiß er tatsächlich nicht, wovon ich spreche. Ich kenne Noah, lügen ist nicht seine Stärke.

»Du warst es wirklich nicht?«

»Ich weiß ja nicht mal, wovon du sprichst.«

Wenn er mir das Foto nicht geschickt hat, wer war es dann? Habe ich Feinde, von denen ich nichts weiß? Meine Gedanken schießen umher, suchen verzweifelt nach einem weiteren Verdächtigen.

»Jetzt sag schon, was ist los?«, hakt er nach.

»Ich hab ein Foto bekommen, das jemand von mir gemacht hat. In dem Club. Du weißt schon.«

Es dauert einige Sekunden, bis er etwas dazu sagt. »Der Club?«

»Ja.« Ich atme tief durch, klemme den Hörer zwischen Ohr und Schulter und ziehe den Schnappschuss aus dem Umschlag. Meine Finger zittern. »Ich bin erledigt! Was soll ich bloß tun? Irgendjemand muss es mir doch geschickt haben. Und er muss sich was dabei gedacht haben. Warum sonst sollte er so etwas tun?«

»Jetzt beruhig dich erst mal.«

»Noah, ich habe ein Ansehen zu verlieren! Wenn rauskommt, wo ich mich überall herumtreibe, kann ich meinen neuen Posten in Liverpool vergessen. Henry duldet keine Eskapaden. Er wird mich hochkant rauswerfen. Ich steh so kurz davor, und jetzt droht alles, den Bach hinunterzulaufen.«

»Du ziehst nach Liverpool?«

Ich fächere mir mit dem Foto Luft zu und bemerkte, dass auf der Rückseite etwas geschrieben steht. »Warte, da steht was.«

»Wo?«

»Auf dem Foto. Hier steht, ich soll heute Abend meine Mails abrufen.«

Noah gibt einen anzüglichen Laut von sich. »Vielleicht ist es eine Masche des Clubs, um prickelnde Erinnerungen zu wecken, damit wir ihnen wieder einen Besuch abstatten.«

Mir ist klar, was er mit diesem Wink bezweckt. Doch ein Wir wird es nicht mehr geben. Abgesehen davon sind die Erinnerungen an den Clubbesuch nicht prickelnd, sondern beschämend. Das reinste Desaster, um genau zu sein.

»Genau«, scherze ich. »Und damit es die Kollegen auch gleich noch mitkommen, schicken sie den Brief direkt in die Arbeit.«

Während Noah kichert, krame ich in der Tasche nach meinem Handy. Die einzige E-Mail-Adresse, die infrage kommt, ist die von der Galerie. Es ist nicht schwer, an meine Mailadresse zu gelangen. In der Galerie liegen genügend Visitenkarten von mir aus. Doch wer zum Teufel kann es auf mich abgesehen haben?

Im Posteingang liegen drei ungeöffnete Mails. Zwei von Henry und eine mit dem Absender [email protected].

»Ich habe tatsächlich eine Mail bekommen«, sage ich, klicke sie an und lese laut vor. »Meine liebe Melissa. Ich hoffe, du hast dich über das Foto gefreut. Stellt sich nur die Frage, ob sich dein Umfeld auch darüber freut. Wenn du nicht willst, dass in der Presse steht, wie versaut die hochgeschätzte Kunsthändlerin Melissa Harris ist, wirst du mir einen Gefallen tun müssen. Besorge mir das Gemälde, von dem ich dir ein Bild in den Anhang gelegt habe. Du findest das Objekt in der Künstleragentur von Ethan Luces. Zehn Tage hast du Zeit, verschwende sie nicht.«

»Jemand will dich erpressen?«

Mir wird heiß und schummrig, mein Magen fühlt sich an wie ein dicker, fetter Klumpen. Am liebsten würde ich das Foto zerknüllen und alles ungeschehen machen. »Warum ausgerechnet ich? Soll ich zurückschreiben? Soll ich fragen, was das soll?«

»Das wird nichts nutzen. Hört sich nach einem anonymen Remailer-Account an.«

Ich verstehe zwar nicht, was das ist, aber Noah kennt sich mit Computern eindeutig besser aus als ich.

»Kennst du diesen Luces?«, fragt er.

»Ja, flüchtig.«

Das stimmt nicht ganz. Er war hin und wieder bei uns in der Galerie, wir hatten einige Gemälde seiner Künstler im Programm. Bis Henry beschlossen hat, keine Geschäfte mehr mit ihm zu machen. Seit Ethan ihm letztes Jahr ein Geschäft versaut hat, dürfen wir seinen Namen in Henrys Gegenwart nicht einmal mehr laut erwähnen. Er hasst ihn abgrundtief und behauptet, Ethan Luces sei nur deshalb ein gefragter Kunstagent, weil seinen Vorfahren halb Kensington gehörte. Luces selbst habe weder Stil noch Anstand. Ethan ist jemand, der seinen Willen durchsetzt, und wenn er dafür über Leichen gehen muss. Zur Not auch über Henrys Leiche. Er genießt Narrenfreiheit, nicht zuletzt was Frauen betrifft. Seine Annäherungsversuche machten auch vor mir nie Halt. Doch als Trophäe in seiner Sammlung war ich mir immer zu schade. Ich kenne diese Männer zu Genüge. Männer, die wissen, dass sie gut aussehen und mit ihrer selbstbewussten Art wissentlich jeder Frau den Kopf verdrehen. Diese Männer sind in meinen Augen nicht fähig zu lieben. Dafür sind sie zu unstet, zu unreif und reine Zeitverschwendung.

»Du solltest zur Polizei gehen«, schlägt Noah vor.

»Und was meinst du, werden die tun? Sicher werden sie auch mit Henry sprechen wollen, um Hinweisen nachzugehen. Dann kann ich es gleich selbst an die große Glocke hängen.«

Ich gehe ins Wohnzimmer, lasse mich auf den braunen Cordsessel nieder und fahre mir mit den Fingern durchs Haar. »Vielleicht ist es besser, ich schaue heute Abend bei diesem Club vorbei. Wenn ich Glück habe, gibt es dort Überwachungskameras.«

»Der hat aber erst wieder morgen auf. Heute ist Mittwoch.«

Auch das noch! Das kostet mich einen Tag, und ich weiß nicht einmal, ob es mich weiterbringt. Ich lege den Hinterkopf an die Lehne und starre auf die Taube aus mundgeblasenem Glas, die ganz oben in meiner Vitrine steht. Noah hat sie mir zum achtundzwanzigsten Geburtstag geschenkt. Er war es leid, dass ich bei jedem Spaziergang eine Viertelstunde vorm Schaufenster des Antiquitätenhändlers gestanden hatte, weil ich nicht die Augen davon lassen konnte. Dabei bringt sein Job als Altenpfleger nicht gerade ein Vermögen ein.

Ich reibe mir über das Kinn. »Weißt du, ich frage mich, warum kauft der Erpresser das Gemälde nicht selbst? Da ist doch irgendetwas faul.«

»Vielleicht möchte er als Käufer unerkannt bleiben.«

»Aber das ist doch kein Grund, mich zu erpressen.«

»Hm. Vielleicht solltest du zu dem Kunstagenten gehen und dich über das Gemälde erkundigen.«

»Wahrscheinlich bleibt mir gar nichts anderes übrig.«

***

Eiseskälte schlägt mir ins Gesicht, als ich am nächsten Morgen aus dem Wagen steige und über den Parkplatz husche. Der Wind peitscht frischen Pulverschnee von den Autodächern und wirbelt ihn durch meine langen, blonden Locken. Kaum zu glauben, dass es Menschen gibt, die dieser schwarz-weißen Jahreszeit etwas abgewinnen können. Ich halte den Kragen meines Mantels fest und stapfe über den schneebedeckten Gehweg.

Der Eingang zu Ethan Luces’ Agentur befindet sich in einer kleinen Seitengasse, in der sich eine exklusive Boutique an die nächste reiht. Zumindest behauptet mein Navi, dass ich ihn hier finden werde. Um spätestens zehn Uhr muss ich beim Auktionshaus sein, ich habe also eine gute Stunde Zeit, um mit Ethan zu verhandeln.

Neben einer großen, holzvertäfelten Eingangstür hängen mehrere Messingschilder. Auf einem davon steht Kunstagentur Ethan Luces, 1. Stock.

Ich drücke die Tür auf und betrete das Treppenhaus. Aufregung flattert durch meinen Magen. Es ist absolut nicht meine Art, unvorbereitet bei einem Geschäftskollegen aufzukreuzen. Zwar habe ich gestern lange überlegt, welchen Grund ich ihm auftischen könnte, doch glücklich bin ich mit keinem der zurechtgelegten Argumente. Ob es reicht, wenn ich sage, ich würde das Bild für die Vernissage haben wollen? Aber woher soll ich überhaupt von dem Bild wissen? Bisher hat er uns dieses Gemälde ja nie angeboten. Irgendetwas wird mir schon einfallen.

Meine Schritte hallen, als ich die Marmortreppe nach oben steige. Wenig später bleibe ich vor einer Tür aus satiniertem Glas stehen, neben der ein deutlich kleineres Messingschild angeschraubt ist, auf dem Ethans Name steht. Ich finde keine Klingel, also klopfe ich zweimal an und öffne die Tür.

Eine angenehme Wärme empfängt mich. Es riecht nach Holz und frisch verlegtem Teppichboden. Ich liebe es, wenn Geschäftsräume mit Teppichböden ausgelegt sind, weil das laute Klackern meiner Absätze dann nicht durch den Raum hallt.

Das Vorzimmer ist sehr hell und freundlich. Weiße Wände, hellgrauer Boden und Türen aus Glas. Im hinteren Bereich thront ein kastenförmiger Empfangstresen aus dunklem Holz. Und darüber hängt es – das Gemälde, um das es geht. Ein Blickfang. Besonders in diesem puristischen Umfeld. Auf der hochformatigen Leinwand zeigt sich eine angeschnittene Magnolienknospe, die so blass und schemenhaft gemalt ist, als wäre sie von einem seidenen Schleier bedeckt. Sehr beeindruckend. Dieser nebulose Effekt geht auf dem Bild, das der E-Mail beigefügt war, gänzlich verloren.

Ich trete näher und bemerke hinter dem Tresen Ethans Assistentin. Soweit ich mich erinnere, heißt sie Nicole. Der Nachname fällt mir nicht mehr ein. Sie scheint gerade etwas aufzuschreiben. Nur ihre glatten, schwarzen Haare und der Ansatz ihrer Stirn sind zu erkennen.

Erst als ich direkt vor dem Tresen stehe, unterbricht sie ihre Arbeit und sieht zu mir auf.

»Willkommen«, sagt sie, steht auf und reicht mir die Hand. »Was kann ich für Sie tun?«

»Melissa Harris. Wir wurden einander bei der Ausstellung von Ernest Cevalli vorgestellt.«

»Ah ja«, sagt sie gedehnt, verengt ihre Brauen und erkundet mein Gesicht. »Sie haben einen Termin?«

»Nein. Ich hoffte, Mr Luces hätte einen Moment. Es hat sich spontan ergeben. Ich war auf dem Weg und …«

»Mr Luces ist sehr beschäftigt. Es ist besser, wir vereinbaren einen Termin. Nächste Woche, am …« Papier raschelt, und wieder bekomme ich nur ihren Scheitel zu Gesicht.

»Ich muss ihn jetzt sprechen!«

»Das wollen viele«, sagt Nicole. »Nächste Woche Freitag wäre noch ein Termin frei. Elf Uhr Vormittag.«

Das ist zu spät. Ich blicke auf den Stift, der zwischen ihren Fingern klemmt, dann in ihr nach unten gerichtetes Gesicht. »Hm, dabei machen Sie einen äußerst kompetenten Eindruck.«

Nicole sieht zu mir auf und runzelt die Stirn.

Ich lächle. »Ethan wäre ohne Sie doch verloren. Sie koordinieren für ihn Termine, kümmern sich um seine Klienten und erledigen nebenbei den ganzen Schreibkram. Es sollte doch ein Leichtes für Sie sein, Ethan einen Termin unterzujubeln.«

Nicole grinst mich an, als durchschaue sie meinen Manipulationsversuch. »Na gut. Ich werde es versuchen.«

Ich nicke und stoße ein »Danke« hervor. War doch gar nicht so schwer.

Sie hält den Telefonhörer an ihr Ohr und räuspert sich. »Miss Harris ist hier. Sie würde gern mit dir sprechen … Soll ich sie fragen? … Okay.« Nicole legt den Hörer hin. Dann steht sie auf und kommt hinter dem Tresen hervor.

»Sie können sich dort hinsetzen«, sagt sie und deutet auf zwei weiße Oxford Sessel.

Mit geschwellter Brust geht sie an mir vorbei und verschwindet in einem Nebenraum. Ich klopfe mir im Gedanken auf die Schulter und setze mich. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Ich gehe meine Ersparnisse durch und überlege, ob sie reichen, um mir das Bild zu kaufen. Zwar besitze ich kein Vermögen, aber um zu verhindern, dass das Foto meinen Ruf und meine Karriere ruiniert, bin ich bereit, einen Großteil meines Geldes zu opfern. Und wenn die Galerie in Liverpool gut läuft, werde ich mein Konto ohnehin wieder aufpolstern können.

Das Summen und Schalten eines Kopierers dringt aus dem Zimmer, in das Nicole gegangen ist. Wenig später kommt sie mit einigen Blättern in der Hand zurück. Der schwarze Bleistiftrock spannt bei jedem ihrer Schritte. Sie wirkt sehr adrett in der weißen Bluse und den schwarzen Nylonstrümpfen, die ihre langen, schlanken Beine betonen.

»Wissen Sie, wie viel Mr Luces für dieses Gemälde verlangt?«, frage ich und deute darauf.

»Das Werk ist unverkäuflich«, sagt sie, sieht mich kurz an und setzt sich wieder hinter ihre Brüstung.

Unverkäuflich. Das Gewitter in meinem Bauch breitet sich schlagartig bis in die Brust aus. Also ist das der Grund, weshalb der Erpresser das Bild nicht selbst kauft.

Kapitel 3

Ich warte geschlagene zwanzig Minuten, bis das Telefon klingelt und Nicole die Anweisung bekommt, mich in Ethans Büro zu lassen.

Als ich durch die Tür trete, huscht Nicole an mir vorbei. Mit großen Schritten stöckelt sie zu Ethans Schreibtisch und drückt ihm eine grüne Mappe in die Hand. Sie wechseln einige Worte zum Inhalt, während ich den Blick durch den großzügigen Raum wandern lasse.

Ethans Büro ist mit demselben grauen Teppichboden ausgelegt wie der Vorraum und ein großes Panoramafenster gibt den Blick auf die Ostseite frei, mit einer Reihe Altbauten und einem kleinen, verschneiten Park. Irgendwie passt die Aussicht zum Kolonialstil der Einrichtung. Hinter Ethans Schreibtisch bedeckt ein großes Bücherregal die gesamte Wand und links von mir steht ein schmaler Aktenschrank, auf dem eine Büste aus Speckstein thront. An den sandfarbenen Wänden hängen gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografien. Moment mal. Ich sehe ein zweites Mal hin und schaffe es nicht, den Blick davon abzuwenden. Wie kann er sein Begehren nur so exzentrisch zur Schau stellen? Ich bin geschockt. Nicht nur, weil er seine Neigung preisgibt, sondern, weil die Fotos es tatsächlich schaffen, dass mein Schoß zu pulsieren beginnt.

Auf einer der Aufnahmen kniet eine zierliche, blonde Frau – nackt – vor einem Mann. Von ihm sind nur die bekleideten Beine und der Ansatz seines durchtrainierten Oberkörpers zu sehen. Ein anderes zeigt sie in Ketten, fixiert auf einem Strafbock. Und auf dem nächsten zieht ihr Gebieter sie mit einem kurzen Strick hinter sich her.

»Melissa, kommen Sie zu mir.«

Ich zucke zusammen, als ich Ethans Stimme höre. Es klang wie ein Befehl, oder bilde ich mir das nur ein? Nicole verlässt das Büro, der Ledersessel knarzt, und Ethan erhebt sich. Mit einem routinierten Griff strafft er sein Jackett und tritt um den Schreibtisch. Er bewegt sich sehr elegant und strahlt diese Persönlichkeit aus, die nur jenen Menschen vorbehalten ist, die ihre Wirkung auf andere kennen. Ich frage mich, ob es am Anzug liegt, dass er so umwerfend gut aussieht, oder an der verwegenen Frisur. Sein Haar ist zu einem lockeren Seitenscheitel gezogen und scheint sich nicht ganz bändigen zu lassen – was wirklich sexy aussieht. Er hat sehr harmonische Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und zum Kinn hin verschmälert sich sein Gesicht, weswegen ich ihn nicht älter als Anfang dreißig schätze.

Er reicht mir die Hand und hält sie einige Sekunden lang fest.

»Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen«, sage ich.

»Für Sie nehme ich mir gern Zeit.« Er setzt dieses Grinsen auf, von dem ich weiß, dass er die Zeit lieber anderweitig mit mir verbringen würde. Aber er wird sich auch diesmal die Zähne an mir ausbeißen. Da kann er noch so gut aussehen, noch so charmant lächeln und noch so reizvolle Vorlieben hegen … Ich schüttle kaum merklich den Kopf und zwinge meine Gedanken zur Vernunft. Mein Interesse hat sich einzig und allein auf das Gemälde zu beschränken, nur deshalb bin ich hier.

»Sie haben eine wundervolle Aussicht«, sage ich, um mich zu sammeln. Seine Gegenwart und das Wissen um seine sexuelle Neigung bringen mich ziemlich durcheinander.

»Ja, beste Lage und angenehm ruhig.« Er wendet seinen Blick zum Fenster und beobachtet eine Weile das Schneetreiben, bevor er sich wieder mir zuwendet. »Sie sind doch nicht gekommen, um meine Aussicht zu bewundern.«

Natürlich nicht.

»Ich interessiere mich für das Gemälde, das über dem Em­pfangstresen hängt.«

Ein aufgeregtes Gefühl macht sich in mir breit. Ich rede mir ein, dass es nicht an ihm liegt.

Er geht zum Schreibtisch und lehnt sich rücklings an die Tischkante. Schmunzelnd schüttelt er den Kopf. »So ist das also. Burton schickt seine hübsche Assistentin, um mich doch noch rumzukriegen. Dann hat er Ihnen sicher gesagt, dass das Gemälde nicht zum Verkauf steht.«

Henry wollte das Gemälde kaufen? Interessant. Das heißt, ich muss zumindest nicht nach einem Grund suchen, woher ich von dem Gemälde weiß.

Ich hebe die Brauen und lächle. »Und wenn es so wäre?«

»Na ja, es wäre ein kluger Schachzug. Aber er wird ihm nichts nützen.«

Ich behalte mein Lächeln. Unterdes bemüht sich mein Gehirn um ein Hintertürchen. Doch mir fällt nichts ein, was ihn umstimmen könnte. Was soll ich tun? Über den Boden kriechen und ihn anbetteln? Wieder fällt mein Blick auf die Fotografien.

»Gefallen sie Ihnen?«, fragt Ethan.

Ob sie mir gefallen? Ich wünschte, sie würden es nicht tun. »Es heißt, hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Dazu gehören Sie offensichtlich nicht.«

»Wie kommen Sie darauf, dass diese Frau nicht stark ist?«

»Ich beurteile nur das, was ich sehe.«

Er schmunzelt. »Nachdem Sie offenbar Interesse an meinem Beziehungsstatus haben: Ich bin Single.«

Ich lache auf. Es fällt mir schwer, den Blick von seinen Lippen abzuwenden.

»Ich biete Ihnen fünftausend für das Gemälde.«

»Ich hab schon bessere Angebote bekommen. Aber wie gesagt, ich habe nicht vor, das Bild zu verkaufen.«

Ich sehe aus dem Fenster, er soll nicht bemerken, wie nervös mich seine Beharrlichkeit macht.

»Zehntausend«, sage ich schnell. Mein Herz galoppiert. Gebannt starre ich durch die Glasscheibe. Der Wind treibt die Schneeflocken in Scharen durch die Luft und verschleiert die umliegenden Häuser mit einer weißen Körnung.

»Sie wollen also pokern.«

Ich fahre herum, weil seine Stimme plötzlich so laut klingt. Ethan steht direkt neben mir und sieht ebenfalls durch das Fenster. Der Teppichboden muss seine Schritte abgefangen haben, denn ich habe ihn nicht kommen gehört. Für einen kurzen Moment berührt sein Arm meinen Ellenbogen. Unter meiner Haut beginnt es zu kribbeln. Ich werde nervös.

»Ich mache Ihnen ein Angebot«, sagt er mit samtig verruchter Stimme.

»Ich werde nicht mit Ihnen schlafen!« Oh Gott, wie komme ich nur darauf?

»Keine Angst, das möchte ich auch nicht. Zumindest noch nicht.«

Ich muss lachen. Nicht allein wegen seiner Antwort, sondern auch, weil es mir Luft zum Atmen verschafft. »Ach ja?«

»Erst wenn Sie mich anflehen, dass ich es tue.«

Ich drehe mich zu ihm und sehe in seine Augen, die so klar und gefährlich sind wie das perfekte Verbrechen. »Was wollen Sie?«

Er entzieht mir seinen Blick, geht zum Schreibtisch und nimmt auf dem Sessel Platz.

»Setzen Sie sich.« Er deutet auf den braunen Zweisitzer, der gegenüber seinem Schreibtisch an der Wand steht.

Ich bin feucht. Ich spüre diese kalte Nässe im Slip, die sich bei jedem meiner Schritte bemerkbar macht. Und obwohl ich mich bemühe, souverän zu wirken, sagt mir mein Gefühl, er hat mich durchschaut. Er weiß, dass ich ihn attraktiv finde, dass seine bohrende Art mich erregt und ich jede seiner Berührungen herbeisehne, und wenn sie noch so zufällig sind.

Ich setze mich auf das weiche Polster und warte auf seine Worte.

Ethan verschränkt die Hände und sieht mir tief in die Augen. »Ich will, dass Sie eine Woche mir gehören. Dann bekommen Sie das Bild.«

Mein Puls hämmert, mir wird heiß. Ich schaffe es nicht, Worte zu schöpfen, weil sich vor meinem geistigen Auge die wildesten Szenarien überschlagen – für die ich mich beileibe schäme.

Er fährt fort: »Sie werden mir eine Woche lang bedingungslos gehorchen. Wenn Sie sich mir widersetzen, werde ich Sie bestrafen. Ich entscheide, was gut für Sie ist. Ich entscheide, was Sie zu tun oder zu lassen haben. Und ich kann Ihnen eines versprechen: Es wird Ihnen Vergnügen bereiten. Sie bekommen von mir mehr, als Sie jemals von einem Mann bekommen haben.«

Fassungslos starre ich ihn an. Er verlangt von mir, dass ich genau das tue, weswegen mich ein anderer erpresst? Das ist paradox. Nein, genau genommen ist es eine Frechheit. Ich stehe auf und gehe zur Tür.

»Was denken Sie eigentlich von mir? Ich bin eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Ich brauche keinen Mann, der mir den Weg weist.«

Ethan steht auf und kommt mir langsam entgegen. Meine Hand legt sich um die Türklinke und doch schaffe ich es nicht, von hier zu verschwinden.

»Noch haben Sie die Wahl, Melissa. Wollen Sie das Gemälde oder wollen Sie es nicht?«

Ich malme den Kiefer. Das kann er nicht von mir verlangen. Ich bin eine gesittete Frau, ich liefere mich nicht irgendeinem Mann aus. Schon gar nicht dem berüchtigtsten Weiberhelden der Stadt.

»Das ist doch absurd«, stoße ich hervor.

»Ja«, sagt er. »Es ist eine Schande diese verbotene Neigung zu besitzen.«

Er schreitet zu mir, bis er nur noch einen halben Meter von mir entfernt steht. Seine Nähe hält mich gefangen. Ich rieche ihn, spüre seine Aura, die meine Erregung rücksichtslos zum Schwingen bringt. Was hat dieser Mann nur an sich? Weshalb fasziniert er mich so? Er umgarnt mich mit seiner selbstbewussten Präsenz und ich lasse es auch noch zu. Instinktiv weiche ich einen Schritt zurück und stoße mit dem Rücken gegen das Türblatt. Er tritt wieder einen Schritt auf mich zu und sieht mir fest in die Augen. Es ist, als würde er in meine Seele blicken. Mein Herz klopft, mein Atem geht schnell. Ich fühle mich ihm unterlegen. Sein Blick gleitet über meinen Körper, bis er wieder bei meinem Gesicht angekommen ist. Eine geballte Ladung Endorphine schießt durch meinen Brustkorb, weil ich ahne, was er vorhat. Oh mein Gott, und ich will es auch. Ich will ihn. Er steht ganz nah bei mir, neigt sein Gesicht zu mir nach unten, und obwohl ich ihn von mir stoßen könnte, lasse ich es geschehen. Ich lasse zu, dass er mich küsst.

Mein Mund öffnet sich ohne mein Zutun. Seine Zunge berührt meine Zunge. So sinnlich und weich. Ein wohliger Schauer flutet meinen Körper, lässt mich innerlich treiben. Die Gedanken müssen warten. Ich will diesen Moment genießen. Nur diesen einen Moment.

Seine Hände umfassen meine Handgelenke, drücken sie gegen die Tür. Seine Zunge wird fordernder. Sie schmeckt so köstlich, nach Leidenschaft und Sünde. Mein ganzer Körper bebt vor Verlangen. Dieser Kuss ist wie eine Droge. Dieser Mann ist eine Droge. Ich kann nicht aufhören, obwohl ich genau weiß, dass er mir nicht guttut. Sein fester Griff beweist es. Er würde mich zu dem machen, was ich nicht sein will. Ein schwaches, willenloses Geschöpf.

Als habe er meinen Missmut bemerkt, lässt er plötzlich von mir ab. Meine Lippen prickeln, noch immer schmecke ich ihn auf der Zunge. Ich wünschte, er würde es noch einmal tun.

»Ja, es ist eine Schande«, sagt er und sieht mich an, als wisse er um mein Verlangen. »Erst recht, wenn man das schöne Gefühl kennt, das sich dahinter verbirgt.«

Ich sehe ihn an, während seine Worte in mein Innerstes sickern.

Nein, ich will nicht, dass er glaubt, ich sei empfänglich für seine Avancen. Er ist gefährlich, eine verbotene Frucht.

»Glauben Sie nur nicht, dass Sie mich damit rumkriegen«, sage ich mit fester Stimme.

Ich öffne die Tür, stapfe aus seinem Büro, vorbei an Nicole, und knalle die Eingangstür hinter mir zu. Vor dem Treppenabsatz bleibe ich stehen und hole tief Luft. Ich fühle mich durcheinander und benommen, als wäre ich aus einem Traum erwacht. Er hat mich geküsst! Einfach so. Was sollte das? Empfindet er etwas für mich? Nein, unmöglich, er kennt mich doch kaum. Sicher musste er kein Gefühl aufbringen, um mich zu küssen. Er küsst ja ständig. Irgendwelche Frauen. Die er vermutlich genauso wenig kennt wie mich. Frauen, die ihm zu Füßen liegen, ihm willenlos zur Verfügung stehen – ohne Würde und Achtung vor sich selbst. Ich darf nicht zu seinem Spielball werden. Es würde mich und mein Ansehen ruinieren. Ich würde meinen Job verlieren.

Oh nein. Es ist schon viertel nach zehn. Die Auktion hat längst begonnen, ich komme zu spät – und das nur, weil ich zu schwach war, mein Verlangen zu zügeln.

Kapitel 4

Das Aquarell, das Henry im Auktionsprospekt angekreuzt hatte, war gerade in dem Moment unter den Hammer gekommen, als ich den Saal betreten habe. Ein Mann mit Chihuahua auf dem Arm ist nun der stolze Besitzer. Nicht ich. Ich komme also mit leeren Händen in die Galerie und muss bei Henry erst einmal Rechenschaft ablegen.

»Machen Sie sich keinen Kopf deswegen.« Mehr sagt Henry nicht dazu.

Erstaunt sehe ich ihm hinterher. Er geht in sein Büro und setzt sich an den Laptop. Das war’s? Er ist nicht sauer?

Carina, die gerade eine Husse über den Bistrotisch stülpt, wirft mir einen misstrauischen Blick zu. »Du und zu spät bei einer Auktion? Das passt ja gar nicht zusammen.«

»Mein Wecker war kaputt«, lüge ich und helfe ihr, den Saum der Husse geradezuzupfen, nur damit ich ihr nicht in die Augen sehen muss. »Ich bin gefahren wie eine Verrückte und um ein Haar zu spät gekommen«, füge ich noch hinzu, um meiner Ausrede wenigstens einen Funken Wahrheit beizumischen. Ich hasse es, zu lügen. Inzwischen gibt es kaum einen Menschen in meinem Umfeld, dem ich keine Lüge auftische.

»Bei Henry hast du sowieso einen Stein im Brett«, sagt Carina. »Er befördert dich zur Managerin. Offenbar hält er dich für perfekt genug.«