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Ein Sommermonat auf einem prächtigen Landsitz in East Sussex. Das klingt traumhaft. Entsprechend groß ist die Freude, als ein Ehepaar von seinen englischen Freunden eingeladen wird, während deren Ferien Haus und Hund zu hüten. Schwimmen in der Pevensey Bay, Ausflüge mit dem Bluebell Express, Besuche in der Tate Gallery, Wandern in den Downs – die beiden schmieden Pläne. Doch sie haben die Rechnung ohne Sniffler gemacht, den Dachshund ihrer Gastgeber. Der hat panische Angst, allein gelassen zu werden, und ersinnt immer neue Tricks, um seine Dogsitter am Verlassen des Grundstücks zu hindern …
Wie sie dennoch einen einmaligen und unvergesslichen Urlaub verleben, erzählt Hans Traxler spannend, komisch und manchmal auch gruselig. Und er hat seine Erzählung mit vielen farbigen Bildern in seinem unverwechselbaren Stil illustriert.
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Seitenzahl: 56
Hans Traxler
Sniffler
Der englische Dachshund
Insel Verlag
Die Ankunft
Am nächsten Morgen
Sniffler hasst Koffer
Die Abreise
Die erste Nacht allein
Der zweite Tag
Gefangen im Paradies
Lagebesprechung
Eine Künstleranekdote
Mr. Singh
Die Treue eines Terriers
Eine Nation von Seefahrern
Too much of a good thing
Freigänger
Regenzeit
Der Mann im Eisen
Trencks Rache
Der letzte Tag
Ein Beitrag zum Weltfrieden
Zum ersten Mal sahen wir Sniffler aus 400 Metern Höhe, als das Flugzeug eine Warteschleife über East Sussex zog und langsam an Höhe verlor.
Eigentlich war er nur ein kleiner schwarzer Punkt auf einer von Hecken, Mauern und hohen Bäumen umgebenen Wiese am Rande eines Golfplatzes vor einem langgestreckten verwinkelten Haus mit einem markanten Schornstein, wie Sam es beschrieben hatte.
Der schwarze Punkt schoss quer über die Wiese vor unserem Flugschatten her. Wahrscheinlich kläffte er wie verrückt vor Freude. Dachten wir.
Eine Stunde später sahen wir ihn selbst. Er saß abwartend in der Einfahrt, ein englischer Dachshund mit glänzenden Augen und schwarzgelocktem Fell, das bis zum Boden reicht.
»Hallo Sniffler«, sagt Nenna, »wir haben dich vom Flugzeug aus gesehen!«
Sniffler dreht sich um und geht ins Haus.
»Nehmt es nicht persönlich«, sagt Sam.
»Ihr werdet euch bestimmt aneinander gewöhnen«, sagt Emily beim Abendessen. »Sniffler ist ein lieber Kerl. Ein bisschen eigensinnig vielleicht, ein Dackel eben. Er tut nur, was er mag, hört nie auf das, was man sagt, und gehorcht keinem Befehl.«
»Wie unsere Katze!«, sagen wir und lächeln uns alle verständnisvoll an.
»Versucht es nie mit Gewalt! Wenn er knurrt oder die Zähne zeigt, geht ihm aus dem Weg. Er kann mit einem Happs einen Finger durchbeißen.«
»Wir werden’s uns merken«, sage ich. »Fahrt ihr mal ganz beruhigt in euren Urlaub.«
»Übrigens«, sagt Emily, bevor wir alle zu Bett gehen, »übrigens ist Sniffler ein furchtloser Wachhund. Ihr seid hier vollkommen sicher.«
»Wovor denn?«
»Vor Hirschen. Es gibt hier ein Rudel Hirsche, die nachts ans Haus kommen und randalieren. Neulich haben sie das Badminton-Netz mit ihren Geweihen zerfetzt. Aber Sniffler hat sie jetzt unter Kontrolle. Wenn ihr ihn also nachts bellen hört, könnt ihr ganz beruhigt sein. Sniffler lässt niemand ins Haus, nicht mal eine Ratte.«
»Ihr habt Ratten?«
»Nur die eine.«
»Ach so«, sagt Nenna.
»Gegen Ratten da draußen ist ja nichts einzuwenden«, sage ich.
Emily erzählt: »Letztes Jahr wollten wir für eine Woche an die Algarve fliegen. Die Reise war gebucht, die Koffer waren vorausgeschickt, eine Urlaubsvertretung für Sniffler sollte am gleichen Tag einziehen.
Wie das Taxi vor dem Haus hält, flitzt Sniffler durch die Hintertür, springt auf den Beifahrersitz und rührt sich nicht von der Stelle. Wir betteln, wir brüllen ihn an. Er zuckt mit keiner Wimper und schaut stur geradeaus durch die Windschutzscheibe.«
»Warum habt ihr ihn nicht einfach herausgehoben? So schwer ist er doch nicht.«
»Der Taxifahrer hat’s versucht, bevor wir ihn warnen konnten. Sniffler hat mal kurz zugeschnappt und ihm den Ärmel aus der Jacke gerissen!«
»Wie rücksichtsvoll! Er hätte ihm ja auch den Arm ausreißen können!«
»Hätte er vermutlich. Jedenfalls ist der Taxifahrer mit einem Satz aus dem Auto gesprungen. Er war kreidebleich.
Wir saßen dann alle drei eine geschlagene Stunde auf dem Mäuerchen. Der Fahrer weigerte sich, per Funk Hilfe zu holen, dazu hätte er ja die Autotür öffnen müssen. Irgendwann schwebte unser Ferienflieger übers Haus, und das war’s.
Als hätte er nur darauf gewartet, springt Sniffler vom Autositz und trabt zur Haustür, und wir folgen ihm. Der Fahrer hat uns dann die Rechnung für das Jackett und eine Stunde Wartezeit geschickt. Das Geld für Flug und Hotel haben wir natürlich auch nicht wiedergesehen. Die Leute vom Reisebüro haben uns einfach ausgelacht.«
»Was für eine Enttäuschung! Sicher wart ihr furchtbar sauer auf Sniffler!«
»Ach was, im Gegenteil. Am Abend haben wir die Nachrichten auf BBC gesehen. Sie zeigten riesige Waldbrände an der Algarve, die just an diesem Morgen in der Gegend unseres Ferienorts ausgebrochen und völlig außer Kontrolle geraten waren. Wir wären mittendrin gewesen. Jetzt waren wir ganz durcheinander vor Freude und tanzten mit Sniffler über die Wiese.«
»Ihr habt keinen Dackel, ihr habt einen Schutzengel!«, sagt Nenna.
»Braver Sniffler!«, sagen wir alle und tätscheln ihm den Rücken.
»Das größte Problem«, sagt Emily, »ist das Kofferpacken. Sniffler fürchtet offenbar, dass wir ihn verlassen wollen und er dann einsam und allein im Haus verhungert und verdurstet. Also gerät er jedes Mal in Panik, wenn er merkt, dass eine Reise bevorsteht. Um den ganzen Kram zusammenzuholen, gibt es ja ein ständiges Gerenne durchs ganze Haus, treppauf, treppab, Türen auf und zu, raus und rein. Sniffler bleibt uns ständig auf den Fersen. Wenn ich zum Beispiel mit der Badetasche im Schlafzimmer verschwinden will, überholt er mich, springt in den Koffer und knurrt mich an.«
Man könne Scheinkoffer packen, schlage ich vor: »Scheinkoffer sind eine Kriegslist.«
»Die packen Koffer im Krieg?«
»Nein, das ist nur sinnbildlich gemeint. Im Juni 1944 hat Feldmarschall Montgomery bei der Landung in der Normandie einen Scheinangriff simuliert, und zwar östlich des eigentlichen Landeplatzes, um Feldmarschall Rommel in die Irre zu führen. Der fällt darauf rein, entblößt seine linke Flanke, und drei Monate später sind die Alliierten in Paris. Auf eure Situation angewendet heißt das: Ihr packt im Erdgeschoss einen Koffer mit Wintersachen und lasst ihn offen stehen. Sniffler nimmt an, dass ihr ins Engadin zum Skilaufen fliegen wollt. Das will er verhindern und er besetzt den Koffer. Er fühlt sich schon als Sieger, während ihr im Schlafzimmer seelenruhig die Koffer mit den Badesachen packt. Wie Montgomery eben.«
Emily lächelt mitleidig: »Mit so einem simplen Trick kannst du vielleicht einen deutschen Feldmarschall reinlegen, aber doch nicht Sniffler. Der würde sofort den richtigen Koffer besetzen. Notfalls auch drei oder vier. Er ist flink wie ein Wiesel.«
Da war etwas in Emilys Stimme, das mich hätte warnen sollen.
Wir haben es dann doch geschafft, Sniffler zu überlisten, und zwar mit seiner Liebe zu Hanon.
Charles Louis Hanon, geboren 1819, war ein französischer Pianist und Klavierlehrer, der sechzig Fingerübungen für seine Schüler geschrieben hat, ein ziemlich stupides, für Zuhörer enervierendes, für jeden ernsthaften Klavierspieler aber sinnvolles Geläufigkeitstraining, um das Gleichmaß aller Finger zu erreichen und zu erhalten.
Sniffler liebt diese Musik.
Er ist geradezu versessen auf Tonleitern, Triller und Arpeggien. Wenn Nenna übt, presst er seinen Bauch fest an das Klavier, um nur ja alle Vibrationen mitzubekommen. Bei den Moll-Tonarten fängt er erst tief und leise, dann immer lauter und höher werdend zu singen an. Es klingt wie das Heulen der Wölfe bei Vollmond.
Nenna spielt um ihr Leben, das heißt um unseren Urlaub. Sie spielt so inbrünstig, wie man Tonleitern und Terzentriller nur spielen kann. Sniffler begleitet sie gefühlvoll mit seinem Gesang.