So war's damals - Willi Dickhut - E-Book

So war's damals E-Book

Willi Dickhut

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Beschreibung

Der 1. Teil dieses Tatsachenberichts ist überschrieben mit: "Der illegale Widerstand während der faschistischen Diktatur" und enthält die Kapitel: • Als Moorsoldaten gegen den faschistischen Terror • Neuaufbau der illegalen KPD • Der II. Weltkrieg bis zum Wendepunkt • Die Zerschlagung der faschistischen Diktatur Die Durchdringung persönlicher Erfahrungen mit ihrer Verallgemeinerung durch den Autor kennzeichnen dieses außergewöhnliche Buch. Wie kam Willi Dickhut dazu, Kommunist zu werden? Besonders für die Jugend ist der Lebensweg von Willi Dickhut ein Vorbild. Die 20er und frühen 30er Jahre waren eine turbulente Zeit der Arbeiterbewegung. Als die herrschende Klasse ihre Macht nicht mehr mit dem Mittel der bürgerlichen Demokratie aufrechterhalten konnte, griff sie zum Mittel der faschistischen Diktatur. Die Arbeiterbewegung wurde zerschlagen – durch den brutalsten Terror, den die Menschheit jemals erlebt hat. Die Revolutionäre wurden in die tiefste Illegalität gezwungen. Die faschistische Diktatur wurde militärisch vernichtet. Doch unter dem Mantel der "Erziehung zur Demokratie" üben die westlichen Besatzungsmächte eine verschleierte Diktatur aus, um ungehindert den kalten Krieg vorbereiten zu können. Die deutschen Reaktionäre werden an diesem Plan beteiligt. Die Speerspitze richtet sich gegen die Sowjetunion. Vor diesem historischen Hintergrund schildert der Verfasser auch seine persönlichen Erlebnisse um Kampferfahrungen als Funktionär der Arbeiterbewegung: Die Vergangenheit wird lebendig.

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Seitenzahl: 595

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Willi Dickhut

So war’s damals …

Tatsachenbericht einesSolinger Arbeiters1926–1948

Verlag Neuer Weg

Juni 2010

Erstauflage 1979

Willi Dickhut

So war’s damals

Tatsachenbericht eines Solinger Arbeiters

1929–1948

Verlag Neuer Weg

in der Mediengruppe Neuer Weg GmbH

Alte Bottroper Straße 42

45356 Essen

[email protected]

www.neuerweg.de

Gesamtherstellung: Mediengruppe Neuer Weg GmbH

Inhalt

IDie Weimarer Republik und der Kampf der KPD

Der Betrieb, ein Kampfplatz des Klassenkampfes

Als Spezialist in der Sowjetunion

Auf dem Wege zur Entscheidung

IIDer illegale Widerstand während der faschistischen Diktatur

Als Moorsoldat gegen den faschistischen Terror

Neuaufbau der illegalen KPD

Der II. Weltkrieg bis zum Wendepunkt

Die Zerschlagung der faschistischen Diktatur

IIIUnter dem Druck der westlichen Besatzungsmächte

Die „Demokratie“ der amerikanischen Militärregierung

Die Scheinheiligkeit der britischen Militärregierung

Die Legalisierung der Gewerkschaften und Parteien, die „Freiheit“ der Presse und der Block demokratischer Parteien

Kommunalpolitik in Fesseln

Kommunalwahl 1946 – ein harter Kampf

Von der Besatzungsmacht zur Adenauer-Ära

Vorwort

Immer wieder werde ich gefragt, wie war’s damals? – damals in den 20er Jahren, damals, unter dem Regime der Besatzungsmacht, damals … Ja, wie war’s damals?

Nach bestem Wissen und Gewissen lege ich den nachfolgenden Tatsachenbericht vor, der durch viele Dokumente belegt ist. Er ist ein Stück Geschichte, geschrieben vom Standpunkt des historischen Materialismus aus gesehen. Die geschichtlichen Ereignisse habe ich persönlich erlebt und aktiv, zum Teil führend, mitbeeinflußt. Mein persönliches Schicksal war mit den sachlichen Ereignissen eng verbunden. Das muß man berücksichtigen. Als Funktionär der Arbeiterbewegung in über 50-jährigem Kampf möchte ich meine Erfahrungen in Theorie und Praxis des Klassenkampfes der Jugend übermitteln, soweit ich dazu in der Lage bin.

Das Buch behandelt drei Zeitabschnitte: die Weimarer Republik, die faschistische Diktatur und die Zeit der Besatzungsmacht bis zur Adenauer-Ära. Die zahlreichen Abbildungen sollen das Verständnis für die damalige Zeit erleichtern.

Herzlichen Dank allen Freunden, die mich bei der Herausgabe des Buches unterstützt haben.

Solingen

November 1979Willi Dickhut

I

Die Weimarer Republik und der Kampf der KPD

Mitgliedsbuch der KPD der 20er Jahre

Der Betrieb, ein Kampfplatz des Klassenkampfes

„Jeder Betrieb muß unsere Festung sein!“ (Lenin)

Es war an einem Samstagnachmittag, im Herbst 1925. Ein Tag wie jeder andere, doch sollte er für mein ganzes Leben entscheidend werden.

In der engen Zweizimmerwohnung meiner Cousine Anna unterhielt ich mich mit ihrem Mann über betriebliche Dinge. Richard und ich waren im gleichen Solinger Betrieb beschäftigt.

Es klopfte an der Tür, und herein trat ein älterer Arbeiter.

„Tag zusammen!“ grüßte er.

„Tag Hein!“ sagte Richard und holte aus der Schrankschublade ein kleines rotes Büchlein.

Ohne weitere Worte klebte der Mann ein paar Marken ins rote Buch, kassierte und ging. Er war offensichtlich so zurückhaltend, weil ich dabei war.

Ich nahm das rote Büchlein zur Hand. Auf der Titelseite ein Bild der Erdkugel, von Ketten umschlungen. Ein Arbeiter zerschlägt mit einem schweren Hammer die Ketten. Darüber stand: KOMMUNISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS, und darunter: PROLETARIER, ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH!

Ich wurde nachdenklich: Proletarier vereinigt euch! Ja, warum bin ich eigentlich nicht auch Mitglied der Kommunistischen Partei?

Damals war ich 21 Jahre alt und durfte somit wählen. Im April 1925 war die Reichspräsidentenwahl gewesen. Alle Parteien der Bourgeoisie, vom reaktionären bis zum liberalen Flügel, traten für den Kandidaten Hindenburg ein. Hindenburg war reaktionär bis auf die Knochen, im I. Weltkrieg Generalfeldmarschall, soll er inmitten des furchtbaren Mordens und der Zerstörung von sich gesagt haben:

„Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur!“

Ich haßte alle Kriegsbrandstifter, war doch am letzten Tag des Weltkrieges mein einziger Bruder im Lazarett gestorben. Er wurde mit den letzten Rekruten, den 18jährigen, eingezogen und starb, durch jahrelangen Hunger geschwächt, an den Folgen des brutalen Ausbildungsdrills. Mir waren alle verantwortlichen Kommißköpfe vom Schlage Hindenburgs, Ludendorffs, Tirpitz u. a. ein Greuel.

Die KPD hatte als Gegenkandidaten zur Reichspräsidentenwahl Ernst Thälmann berufen. Die Partei hatte in den Massen keinerlei Illusion über die Wahl erweckt und in ihrem Aufruf vom 11. April die Massen aufgefordert:

„Arbeiter! Ausgebeutete!

Nicht mit der Bourgeoisie – nur im Kampf gegen ihre schwarzrotgoldenen Agenten könnt ihr die stärkere Ausbeutung und Unterdrückung, die Auslieferung als Kanonenfutter für neue Imperialistenkriege verhindern.

Nur das revolutionäre Proletariat, das die Monarchie im November 1918 zerschlagen, das den Kampf für die sozialistische Republik geführt hat und von Ebert und Hindenburg blutig niedergeschlagen wurde, das den Kapp-Putsch abgewehrt hat, das 1923 aufmarschierte, um die Faschisten zu verjagen, das 1924 gegen die ,Deutschen Tage‘ der Monarchie demonstrierte, nur das revolutionäre Proletariat, als Klasse geeinigt, von der Kommunistischen Partei geführt, unter der roten Fahne, kann die Schlacht gegen die reaktionäre Bourgeoisie schlagen …

Organisiert den Massenkampf gegen die Bourgeoisiediktatoren, gegen Hindenburg und Marx! (Dieser Marx war damals führender Zentrumspolitiker und Reichskanzler – W. D.)

Heraus zu Massendemonstrationen gegen die monarchistische Reaktion, gegen ihre Schrittmacher, die schwarzrotgoldenen Reaktionäre!

Für die rote Klassenfront des Proletariats!

Für den Sturz der Bourgeoisie und für die Errichtung der proletarischen Diktatur!

Nicht Wahl des Präsidenten der Bourgeoisie – Demonstration für den Klassenkampf, Bekenntnis zur proletarischen Revolution, das sei die Abstimmung

am 26. April für Ernst Thälmann!“

Diese Argumente hatten mich überzeugt und ich hatte meine Stimme Ernst Thälmann gegeben. Aber ich war noch kein Kommunist.

Gewerkschaftlich organisiert war ich bereits seit Januar 1921 im Deutschen Metallarbeiter-Verband. Aber genügt das? Mit der Mitgliedschaft in der gewerkschaftlichen Organisation war mein Klassenbewußtsein geweckt, aber mit dem Übergang von der Unorganisiertheit zur gewerkschaftlichen Organisation war es noch schwach entwickelt. Wohl hatte ich mich 1920 als Lehrling am Generalstreik gegen den Kapp-Putsch beteiligt, aber doch mehr aus Neugierde als aus Klassenbewußtsein.

Das Jahr 1923, der Höhepunkt der rasenden Inflation – gegen Jahresende war eine Goldmark eine Billion Papiermark wert – hatte wesentlich zur Entwicklung meines Klassenbewußtseins beigetragen. Aufgrund des stündlichen Kurszerfalls der Mark wurden die Löhne täglich ausbezahlt. Nach Feierabend stürmten die Arbeiter die Geschäfte, um so schnell wie möglich ihr Geld in Ware umzusetzen. Der Reallohn sank immer schneller, während die kapitalistischen Großschieber und Spekulanten mit ihren Sachwerten riesige Profite einsteckten. Die Massen hungerten, und Unruhen waren an der Tagesordnung. Große Teile der werktätigen Bevölkerung wurden von einer revolutionären Kampfstimmung erfaßt, besonders in Mitteldeutschland und Hamburg. All das machte auf mich einen starken Eindruck.

Als dann Anfang 1924 die 48-Stunden-Woche rigoros abgebaut und die Arbeitszeit auf 57½ Stunden die Woche verlängert werden sollte, traten die Arbeiter – auch in Solingen – in den Streik zur Verteidigung des 8-Stundentages. In Solingen beteiligten sich bis zu 20 000 Streikende. Ich war damals bei der Firma Kampschulte beschäftigt. Die Belegschaft nahm aktiv am Kampf teil, der sich fünf bis sechs Wochen hinzog.

Auf Antrag der KPD-Fraktion wurden von der Stadtverwaltung Volksküchen eingerichtet, um die Streikenden mit einer warmen Suppe zu versorgen, denn Streikunterstützung gab es nicht. Dieser wochenlange, erbittert geführte Streik und die anschließende Maßregelung durch die Geschäftsleitung, d. h. meine fristlose Entlassung, deckten mir meine Klassenlage auf und stärkten mein Klassenbewußtsein. Ich erkannte die Notwendigkeit des revolutionären Ausweges, vor allem als der Staat in den Kampf eingriff, durch Schiedsspruch die Arbeitszeit auf 56 Stunden die Woche festsetzte und den Streik dadurch beendete.

Ich war einer der vielen Arbeiter, bei denen es nur eines geringen Anstoßes von außen bedurfte, um Mitglied der revolutionären Arbeiterpartei, der KPD, zu werden. Dieser Anstoß kam an jenem denkwürdigen Herbsttag 1925.

Richard war kein Agitator, er war ein stiller Arbeiter, der mehr gefühlsmäßig Kommunist war. Bis dahin hatte ich nicht gewußt, daß er Mitglied der KPD war.

Richard hatte mich still beobachtet, als ich so nachdenklich sein Parteibuch in meinen Händen hielt.

„Sind Deine Brüder auch Mitglied?“ fragte ich ihn.

„Artur ja, Waldemar nicht!“

„Und warum ist Waldemar nicht Mitglied?“

„Er hat andere Interessen!“

Richards ganze Familie wohnte in einem der „Höfe“, die es in Solingen häufig gab. Das waren alte Hofschaften, die ursprünglich eine in sich abgeschlossene Einheit bildeten, aber mit der Ausdehnung der Stadt in den neuen Wohngebieten lagen. Trotzdem hatten sie sich eine gewisse Eigenheit bewahrt, die Eigenart des Bergischen Landes.

Richards Bruder Artur wohnte zwei Häuser weiter. Er war mit einer strenggläubigen Katholikin verheiratet, die ihm wegen seiner politischen Einstellung arg zusetzte, ermuntert durch den Pfarrer. Die Frau machte Artur das Leben zur Hölle. Ein Jahr später hat er sich das Leben genommen …

Waldemar, Richards zweiter Bruder, war ein Jahr älter als ich und in einem anderen Betrieb beschäftigt. Warum wollte er nicht auch Kommunist werden? Was hielt ihn davon ab?

Ich legte das rote Büchlein auf den Tisch zurück und faßte einen folgenschweren Entschluß: Ich will Mitglied der Kommunistischen Partei werden.

Aber sollte ich mit leeren Händen kommen? Nein! Ich nahm mir vor, Waldemar für die KPD zu gewinnen.

Ich suchte Wallys Freundschaft, und wir unternahmen Wochenendwanderungen, zuerst zu zweit, dann mit den „Naturfreunden“.

Der „Touristenverein die Naturfreunde“ war eine Arbeitersportorganisation wie der Arbeiterschwimmverein oder der Arbeiter-Rasensport u. a., die durch Sozialdemokraten und Kommunisten politisch beeinflußt wurde. Das ging nicht ohne Reibungen ab; bald kristallisierten sich wegen der unterschiedlichen Haltung zum Klassenkampf zwei Flügel, ein reformistischer und ein revolutionärer, heraus. Das führte oft zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen, bis die Bezirksleitung des Touristenvereins die Solinger Ortsgruppe und andere Ortsgruppen des Bergischen Landes aus dem Gesamtverband ausschlossen.

Die übergroße Mehrheit der Mitglieder des Solinger Touristenvereins entschied sich für die kommunistische Politik. Ein kleiner Teil, meist Mitglieder der SPD, bildete einen separaten „Touristenverein die Naturfreunde“, die „Pfaffenberger“ genannt, weil sie sich am Hang der Wupperberge an der Hofschaft Pfaffenberg ein Naturfreundehaus gebaut hatten. Die kommunistisch beeinflußten Naturfreunde bauten am „Theegarten“ ein größeres Heim und wurden danach die „Theegartener“ genannt. Zwischen den beiden Gruppen kam es nie wieder zu einer Vereinigung, auch nach dem II. Weltkrieg nicht.

Wally und ich wurden Mitglied der „Theegartener“ Gruppe. Auf unseren Wanderungen wurde viel über Politik diskutiert, sowohl über die allgemeine Lage, als auch über Kommunalpolitik, über Betriebsarbeit und Gewerkschaftspolitik. Die Genossen der KPD zogen Wally und mich in ihre Gespräche hinein. Wir stellten viele Fragen, die sie geduldig beantworteten. So gewannen wir einen politischen Überblick, der auch das Interesse Wallys weckte und mich veranlaßte, ihn noch intensiver zu „bearbeiten“. Nach ein paar Monaten war es so weit.

Der 7. März 1926 wurde zum wichtigsten Tag meines Lebens. Wally und ich gingen in die Stadtmitte, in die Hohe Gasse, in der das Parteibüro lag.

„Wir wollen uns doch mal wegen der Aufnahme erkundigen“, sagte ich einladend.

Wir gingen hinein. Im Vorzimmer riegelte eine Theke den weiteren Zugang ab. Der Unterbezirks-Sekretär blickte auf und fragte nach unseren Wünschen.

„Wir wollten uns mal wegen der Aufnahme in die Partei erkundigen. Wir wollen nämlich gern Mitglied werden!“ antwortete ich.

Das letztere war wohl etwas weitgehender als vorher beabsichtigt, aber es war jetzt Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.

Der Sekretär gab uns beiden einen Aufnahmeschein und meinte: „Am besten ist, ihr füllt ihn gleich aus. Könnt ihr mir zwei Genossen nennen, die für euch bürgen können?“

Damals gab es keine Kandidatenzeit, nach der über die Aufnahme als Mitglied entschieden wird, dafür mußten zwei langjährige Mitglieder die Bürgschaft für den Antragsteller übernehmen. Da wir auf den Wanderungen viele Parteigenossen kennengelernt hatten, fiel es uns nicht schwer, einige zuverlässige Genossen zu benennen. Ich begann, meinen Aufnahmeschein auszufüllen. Nach kurzem Zögern folgte auch Wally.

Der Sekretär reichte uns die Hand und sagte:

„Ihr werdet nach etwa acht Tagen von einem Genossen aufgesucht, der wird euch sagen, was ihr tun sollt.“

Etwa zehn Tage später. Ein älterer Genosse besuchte mich und überreichte mir mit festem Händedruck das schon vertraute rote Büchlein. Ein stolzes Gefühl erfaßte mich: Jetzt gehöre ich zur Avantgarde des Proletariats.

„Du kannst die Straßenzelle kassieren, es sind achtzehn Mitglieder, hier hast du die Liste; komm, ich werde dich mit den Genossen bekanntmachen!“ forderte er mich auf. Wir gingen los, und er stellte mich jedem Genossen als zukünftigen Kassierer vor.

So wurde ich gleich Funktionär. Jede Woche suchte ich die Genossen auf. Ich kassierte nicht nur den Beitrag, sondern überbrachte auch die Einladungen zur Straßenzellenversammlung. Außerdem bot ich das monatlich erscheinende Funktionärsorgan „DER PARTEIARBEITER“ und andere Broschüren an.

Ich versuchte, mit jedem Genossen politisch zu diskutieren. Das fiel mir anfänglich schwer. Die Genossen wollten wissen, wie die Partei zu verschiedenen Ereignissen stand und welche Aktionen geplant waren. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand damals, im Jahre 1926, die Frage der Fürstenabfindung. Die Partei war für entschädigungslose Enteignung der Fürsten, die seit Jahrhunderten das Volk ausgepreßt und unterdrückt hatten. Ich gab den Genossen, so gut ich konnte, möglichst konkret Auskunft.

Plakat zum Volksbegehren

Zur Zeit meines Partei-Eintritts wurde ein Volksbegehren vom Vorstand der SPD, vom Zentral-Komitee der KPD und vom Ausschuß für Fürstenenteignung eingeleitet. Die ehemaligen deutschen Fürsten, an der Spitze Exkaiser Wilhelm, hatten wegen Verlust ihrer Privilegien eine finanzielle Abfindung in Milliardenhöhe vom Staat, d. h. von dem deutschen Volk, verlangt. Durch das Volksbegehren sollte die Entscheidung durch die Wähler erreicht werden. 12,5 Millionen Wähler entschieden sich für die Durchführung eines Volksentscheids gegen den Milliardenraubzug der Fürsten. Jetzt kam es auf die notwendigen 20 Millionen Stimmen für den Volksentscheid an.

Zur Information der Genossen und auch für die Agitation nach außen war mir „DER PARTEIARBEITER“ eine wertvolle Hilfe. Mich interessierten besonders die monatlichen Leitartikel, die zur neueren politischen Entwicklung Stellung nahmen und die Artikel unter der Kopfleiste „Aus der Praxis, für die Praxis“. Deshalb beschaffte ich mir auch ältere Ausgaben.

Eifrig studierte ich alle Artikel über Betriebsarbeit, den Aufbau von Betriebszellen, die Herstellung von Betriebszeitungen, über Streikvorbereitungen und Kampferfahrungen und über die politische Arbeit in den Gewerkschaften.

Nach sechs Wochen Mitgliedschaft in der Partei wußte ich, was zu tun war: Organisierung einer Betriebszelle in unserem Betrieb, dem RITTERWERK. Der Name „RITTERWERK“ stammte aus der Zeit, als die Firma noch blanke Waffen herstellte: Säbel, Degen, Seitengewehre und Offiziersdolche. Jetzt wurden Haarschneidemaschinen und Rasiermesser produziert. Inhaber war die Tiefbaufirma Pack & Söhne.

Ich sprach mit Richard darüber, wer im Betrieb Parteimitglied oder Sympathisant der KPD war. Wir stellten bald fest, daß wir insgesamt mit fünf Genossen und einer Genossin im Ritterwerk beschäftigt und auf die wichtigsten Abteilungen verteilt waren: Hugo Butz, Willy Rüttgers und mein Vetter Richard Röttger in der Montage, wo die Haarschneidemaschinen zusammengesetzt wurden, Maria Stamm und Willy Decker in der Fräserei und ich in der Schlosserei.

Da ich mich als Werkzeugmacher und Vorrichtungsbauer ziemlich frei im Betrieb bewegen konnte, suchte ich die Genossen in den einzelnen Abteilungen auf und sprach mit ihnen über die Bildung einer Betriebszelle.

Das war gar nicht so einfach, denn das sozialdemokratische Organisationsprinzip – die Organisierung im Wohnbezirk – war noch stark in der Partei verankert. Das bolschewistische Organisationsprinzip – die Organisierung im Betrieb – hatte sich noch nicht überall durchgesetzt.

Seit der Gründung der III. Internationale im März 1919 wurden die kommunistischen Parteien Europas angehalten, ihre Parteiorganisation nach dem Vorbild der Bolschewistischen Partei Rußlands ideologisch, politisch und organisatorisch auszurichten, d. h. ideologisch auf der Grundlage der Theorien Marx, Engels und Lenins, auf dem Marxismus und Leninismus aufzubauen. Politisch sollten sie sich durch eine breite Massenarbeit mit den Werktätigen verbinden und eine kommunistische Massenpartei werden. Organisatorisch bedeutete das, sich auf die Betriebe, insbesondere Großbetriebe, zu konzentrieren, und die Parteiorganisation überall dort, wo es möglich war, in Betriebszellen zu erfassen. Das war auch in der KPD nicht leicht durchzusetzen.

Dabei spielte auch das Erbe der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands), die sich 1917 von der SPD abgespalten hatte und zwischen der reformistischen und revolutionären Strömung hin- und her gerissen wurde, eine Rolle. Auf dem Parteitag 1920 spaltete sich die USPD und löste sich bis 1922 nach und nach auf. Der größte Teil ging zur SPD zurück. Ein Teil trat zur KPD über, oft ganze Ortsgruppen.

Auch in Solingen trat die USPD fast geschlossen und mit derer Tageszeitung „BERGISCHE ARBEITERSTIMME“ zur KPD über. Die Urabstimmung ergab 3 535 Stimmen für den Übertritt in die KPD und den Anschluß an die III. Internationale, nur 451 Mitglieder waren dagegen. Die Abstimmung bewies nicht nur den Willen der Solinger Arbeiterklasse zur Einheit, sondern auch ihren Sinn für den proletarischen Internationalismus.

Manche dieser Genossen brachten aber reformistische oder revisionistische Ansichten mit, und alle kannten nur das Organisationsprinzip der Wohngebiete – Ortsgruppen und Distrikte. Hier spielte sich das politische Leben, meist Kommunalpolitik und Bildungswesen, ab. Die meisten Genossen wehrten sich gegen eine systematische Betriebsarbeit. Sie lehnten die Organisierung in Betriebszellen zwar nicht offen ab, setzten aber der Umorganisierung passiven Widerstand entgegen.

Geduldig erklärte ich den Genossen die Wichtigkeit der Betriebszelle. Wir trafen uns nach Feierabend in einer kleinen Kneipe, wo ich erläuterte, was ich aus dem „Parteiarbeiter“ über Betriebszellenarbeit und aus der deutschen Zeitschrift „Die Internationale“ über die „Bolschewisierung der Partei“ gelernt hatte. Das war nicht allen bekannt, jeder war in einer anderen Straßenzelle organisiert. Doch bald erkannten sie die Wichtigkeit der Betriebszelle.

Der Briefkopf der Firma

Wir beschlossen die Gründung der Betriebszelle. Die Genossen wählten mich zum politischen Leiter der Zelle, obwohl ich der jüngste war. Die anderen waren alle zwischen 30 und 40 Jahre alt und verheiratet, außer Willy Decker und mir.

In der ersten Zellensitzung ging es gleich los:

„Genossen, ich schlage zwei Tagesordnungspunkte vor: 1. Mai und Betriebsratswahl. Wir haben zwar nur acht Tage bis zum Weltfeiertag der Arbeiter, aber bei intensiver Agitation können wir die Belegschaft für die geschlossene Arbeitsniederlegung gewinnen.“

Die Beteiligung am 1. Mai war damals nicht ungefährlich. Der Weltfeiertag der Arbeiterklasse war nicht wie heute ein gesetzlicher Feiertag: Wer sich als Einzelner aus einem Betrieb daran beteiligte, konnte gemaßregelt, d. h. fristlos entlassen werden.

Daran dachte wohl Genosse Hugo, als er Bedenken äußerte:

„Die Belegschaft hat noch nie den 1. Mai geschlossen gefeiert!“

„Dann wird es Zeit, daß sie es jetzt lernt!“ erklärte ich ungeduldig. „Maria, wie ist es bei den Frauen, hier wird es am schwierigsten sein.“

„Ich werde alles versuchen, Willy kann mir ja helfen.“

Richtig, Willy Decker war Maschineneinsteller in der Fräserei. Jede Kollegin hatte hier drei bis vier Fräsmaschinen zu bedienen. Es hing oft von dem Maschineneinsteller ab, ob die Kolleginnen mit ihrem Akkord zurechtkamen. Willy hatte unter ihnen ein kameradschaftliches Verhältnis geschaffen und darum einen entsprechenden Einfluß auf die Frauen. Wir teilten die Agitation für jede Abteilung ein.

„So, nun zum zweiten Punkt: Betriebsratswahl.“

Die Solinger Schneidwarenindustrie hat viele Klein- und Mittelbetriebe, das erschwert an sich schon die Organisierung von Betriebsratswahlen. Besondere Schwierigkeiten gab es in den vielen Gemischtbetrieben, in denen Frauen und Männer zusammenarbeiteten. Die Frauen waren damals durchweg nicht gewerkschaftlich organisiert und hatten ein wenig entwickeltes Klassenbewußtsein. Dazu kam das Verhalten der Solinger „Fabrikanten“, die gerne den „Herr-im-Hause-Standpunkt“ hervorkehrten. Da sie oft mitarbeiteten und so noch mit der Produktion verbunden waren, regelten sie irgendwelche Differenzen mit dem betreffenden Arbeiter oder Angestellten unmittelbar selber.

„Wofür brauchen wir einen Betriebsrat? Das regeln wir unter uns“, war gewöhnlich ihre Redensart und hatten dabei meistens Erfolg.

Im Ritterwerk hatte es die Belegschaft nicht unmittelbar mit dem Unternehmer zu tun. Als Tiefbau-Unternehmer kümmerte sich der Besitzer selbst wenig um den Betrieb, dafür hatte er einen kaufmännischen und einen technischen Direktor eingestellt, die seine Interessen zu vertreten hatten.

Jedoch kehrte der technische Direktor, dem die Produktion unterstand, nicht weniger den „Herr-im-Hause-Standpunkt“ hervor. Das forderte die Belegschaft heraus, die nunmehr einen Betriebsrat wünschte, der ihre Interessen gegenüber der Firma vertreten würde.

„Wir müssen sofort mit den Vorbereitungen beginnen. Wenn ihr einverstanden seid, werden wir von uns aus Maria, Hugo und Willy Decker vorschlagen. Für die müssen wir dann besonders die Werbetrommel rühren“, schlug ich vor.

Wir berieten dann im einzelnen, was zur Vorbereitung und Durchführung der Betriebsratswahl zu tun sei.

Acht Tage lang diskutierte unsere Zelle mit den Kolleginnen und Kollegen über die Bedeutung des 1. Mai. Wir warben für die Teilnahme an der Morgenkundgebung des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) und verkauften Eintrittskarten für die Abendveranstaltung der KPD.

Die Agitation war erfolgreich. Am Vortage des 1. Mai teilten mehrere Kollegen der Direktion mit, daß die Belegschaft den 1. Mai feiern würde. Das war eine Überraschung. Der technische Direktor Loebel versuchte, die geschlossene Front zu erschüttern:

„Wollen Sie auch morgen mit roten Fahnen marschieren?“ stellte er einzelne Kollegen zur Rede.

„Sollen wir Ihnen einen Platz freihalten?“ antwortete schlagfertig eine Kollegin. Er gab es auf.

Der 1. Mai wurde ein voller Erfolg. Abgesehen von ein paar Angestellten war die Arbeitsniederlegung im Ritterwerk am 1. Mai vollständig. Unser Einfluß verstärkte sich offensichtlich. Das wirkte sich auf die Vorbereitung der Betriebsratswahl aus. Und so wurde auch die Betriebsratswahl für uns erfolgreich. Alle drei Genossen wurden gewählt.

Die Zellensitzungen hielten wir jetzt nicht mehr in der Kneipe, sondern in Marias Wohnung, die nicht zu weit vom Betrieb lag, ab. Wir mußten vorsichtig sein, denn die Direktion wurde hellhörig.

Wir mußten die Betriebsarbeit konspirativ durchführen, das hatten wir schon bald gelernt. Dabei mußten wir alle legalen Möglichkeiten ausnutzen, auch das hatten wir begriffen. In allem war uns „DER PARTEIARBEITER“ eine große Hilfe.

Der Juni 1926 stand im Zeichen reger politischer Auseinandersetzungen in Deutschland. Am 20. Juni sollte ja der Volksentscheid über die Milliardenabfindung der Fürsten stattfinden. Dazu waren 20 Millionen Stimmen notwendig. SPD und KPD als Initiatoren des Volksentscheides hatten zwar bei der letzten Wahl zusammen 11 Millionen Stimmen, doch das Ziel wurde nicht erreicht. In Solingen wurde mit einem überragenden Ergebnis abgestimmt: Über 58 000 Wähler, das waren damals 61 Prozent aller Wahlberechtigten, stimmten mit „Ja“ für die Enteignung der Fürsten.

Alle bürgerlichen Parteien hatten sich offiziell gegen die Fürstenenteignung ausgesprochen. Eine Propagandawelle großen Ausmaßes – für und wider – erfaßte die Massen.

Doch innerhalb der bürgerlichen Parteien spielte sich ein nicht mehr zu verhüllender Kampf ab. Am Tage des Volksentscheids veröffentlichte das Zentralorgan der KPD, „DIE ROTE FAHNE“, einen Artikel von Ernst Thälmann unter der Überschrift: „Die Bedeutung der Volksbewegung zur Fürstenenteignung“, der sich auch mit den Differenzen in den bürgerlichen Parteien befaßte:

„Die Arbeiter aber, die am 20. Juni zur Wahlurne gehen, müssen dies im Bewußtsein tun, daß eine neue Etappe des Kampfes beginnt, in der die Bourgeoisie das fadenscheinige Mäntelchen der Demokratie völlig abgeworfen hat, die eiserne Rüstung ihrer bewaffneten Bürgerkriegsbanden der Arbeiterklasse entgegenstarren wird.

Aber damit allein ist die Bedeutung der Fürstenenteignungsbewegung nicht erschöpft. Noch niemals wurden in Deutschland so weite Kreise der im Laufe der Jahre deklassierten und pauperisierten (ihrer Klasse entfremdeten und verarmten – W. D.) Massen mitten in den Strudel des Klassenkampfes geworfen. Die kleinbürgerlichen Parteien erzittern unter dem Ansturm ihrer vom Klassenkampf ,angesteckten‘ Anhänger. Die schäbigen Reste des politischen Zentralismus, die sich diese Parteien infolge ihrer gegensätzlichen Klassenschichten noch gestatten konnten, zerstieben unter dem Ansturm der Massen. In der Demokratischen Partei herrscht ein wüstes Durcheinander, Anhänger und Gegner der Fürstenenteignung kämpfen in den Spalten derselben Presse gegeneinander. In der Zentrumspartei erweitert sich der Konflikt zwischen den sozialen Interessen der Massen und ihrer religiösen Hörigkeit zum offenen Kampf, der die Mauern dieser so ,stolzen‘ Partei niederzureißen droht. In seiner Not appelliert der Zentrumsparteivorstand an das bischöfliche Episkopat, das in den leitenden Spalten der ,Germania‘ (führende katholische Zeitung in den 20er Jahren – W. D.) seine beschwörenden Formeln über die rebellierenden christlichen Schäflein herabgießt. Aber vergebens!“

Unsere Betriebszelle diskutierte seit Wochen über die Frage des Volksentscheides und was wir zur erfolgreichen Durchführung der Kampagne tun könnten. Wir mußten vor allen Dingen die Belegschaft aufklären, dazu reichte unsere mündliche Agitation nicht aus.

„Genossen, wir müssen eine Betriebszeitung herausgeben“, erklärte ich, holte meinen „PARTEIARBEITER“ aus der Tasche, den ich wie die meisten Funktionäre immer bei mir hatte, und las vor, wie das gemacht wird.

„Wir müssen einen Zeitungskopf haben, macht mal Vorschläge.“

Willy Decker empfahl:

„Was meint ihr zu ,Ritterwerksprolet‘? Das Wort ist allerdings ziemlich lang.“

„Ach was, Ritter waren keine Proleten, das waren Raubritter!“

Maria lachte:

„Mensch ja, nennen wir die Zeitung ,DER RAUBRITTER‘, denn die Kapitalisten räubern uns Arbeiter ganz nett aus.“

„Prima, und daneben das Bild des Direktors Loebel.“

Das war der verhaßte technische Direktor, der die Kollegen und Kolleginnen oft anbrüllte, wenn ihm was nicht paßte.

Ich übernahm die technische Anfertigung, zeichnete sorgfältig den Namen „DER RAUBRITTER“ und das Konterfei des technischen Direktors, wie er sein Maul aufreißt.

Dann besorgte ich mir leihweise einen Hektographie-Apparat. Mit Hektographentinte schrieb ich mühselig in Druckschrift den Text auf einen Bogen Papier. In der Mitte prangte die Losung: KEINEN PFENNIG DEN FÜRSTEN! Neben kurzen politischen Artikeln behandelten wir einige betriebliche Mißstände. Dann machte ich etwa 50 Abzüge. Es war eher ein Flugblatt, aber immerhin ein Anfang. Wir verbreiteten das Blatt unauffällig im Betrieb. Niemand war dabei aufgefallen.

Es war gerade Zahltag, und erstmalig hatten wir nicht unseren vollen Lohn bekommen. Der Rest würde in den nächsten Tagen ausbezahlt, hieß es.

Die Kolleginnen und Kollegen waren aufgeregt, standen zusammen und diskutierten; dabei ging unser bescheidenes Blättchen von Hand zu Hand. Wir bewogen die Kollegen, zum Direktionsbüro zu gehen, um ihr Geld zu verlangen. Bei der Gelegenheit legte eine Kollegin unser Blättchen dem technischen Direktor heimlich auf den Schreibtisch. Alle freuten sich, daß dem eins ausgewischt worden war. Und wie der Loebel tobte.

Eine richtige Betriebszeitung mußte her, eine die mit Schreibmaschine geschrieben war. Also ging ich täglich nach Feierabend zum Parteibüro, um „tippen“ zu lernen, natürlich nach dem „Zweifingersystem“. Nach vier Wochen ging es einigermaßen, so daß auch Wachsmatrizen beschrieben werden konnten. Zeichnungen zu machen und Druckschrift als Überschriften einzuzeichnen, das war schon schwieriger, aber Übung macht den Meister.

Jede Ausgabe unserer Betriebszeitung hatte die gleiche aufrüttelnde Wirkung bei den Kollegen. Sie verstärkte unsere mündliche Agitation im Betrieb und festigte unseren Einfluß in der Belegschaft.

Unsere Parteizeitung war die „BERGISCHE ARBEITERSTIMME“, die täglich erschien. Sie wurde in dem Haus gedruckt, in dem sich auch das Parteibüro, die Redaktion und die Buchhandlung der Partei befanden.

Die „BERGISCHE ARBEITERSTIMME“ wurde nach dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 gegründet und seit 1901 als Tageszeitung herausgegeben. Die Auflage stieg von 12 000 im Jahre 1913 auf 21 000 zur Zeit meines Eintritts in die KPD.

Diese Auflage wurde nur von der bürgerlichen Tageszeitung, dem „SOLINGER TAGEBLATT“, übertroffen. Das Verbreitungsgebiet reicht bis zum Rhein.

Von den Redakteuren der „BERGISCHEN ARBEITERSTIMME“ traten einige in den 20er Jahren besonders hervor.

Dr. Richard Sorge war in den Jahren 1921/22 als politischer Chefredakteur tätig. Nach seinem Ausscheiden wurde er zum Kundschafter der sowjetischen Roten Armee ausgebildet und war dann hauptsächlich in Ostasien, zuletzt in Japan, erfolgreich für die Sowjetunion aktiv. Im Oktober 1941 wurden Richard Sorge und seine Mitarbeiter von der japanischen Geheimpolizei verhaftet. Er wurde September 1943 von einem Tokyoter Gericht zum Tode verurteilt und im November 1944 hingerichtet.

Fritz Jung war von 1926–33 führender Lokalredakteur. Als Solinger Arbeiter sprach und schrieb er oft in der Solinger Mundart, besonders am Wochenende den Kommentar „Der rude Bertes“. Er leitete auch die Arbeiterkorrespondenten-Bewegung der Zeitung. Er wurde von den Nazis eingesperrt und in das schwimmende Konzentrationslager, das Schiff „Cap Arcona“, eingeliefert, das am 3. Mai 1945 durch die alliierte Luftwaffe bombardiert wurde, wobei auch Fritz Jung sein Leben ließ.

Ernst Becker war 1927/28 Chefredakteur und Parteivorsitzender des Unterbezirks Solingen. Er wurde später als aktiver Brandler-Anhänger entlassen und aus der KPD ausgeschlossen.

Albert Nohl war seit 1927 und Richard Beck etwa seit 1931 Redakteur der „BERGISCHEN ARBEITERSTIMME“. Alle hatten wesentlich das politische Gesicht dieser Arbeiterzeitung geprägt – aber nicht sie allein.

Eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der „BERGISCHEN ARBEITERSTIMME“ spielte die Arbeiterkorrespondenten-Bewegung. Über einen solchen ehrenamtlichen Mitarbeiterstab verfügte keine bürgerliche und sozialdemokratische Zeitung. Über die Entwicklung der Arbeiterkorrespondenten-Bewegung in der „BERGISCHEN ARBEITERSTIMME“ der Jahre 1925/26 wurden auf der unten aufgeführten Konferenz nähere Angaben gemacht. Danach betrug die Zahl der Arbeitekorrespondenten und der abgedruckten Korrespondenzen:

Die Redaktion war auf unsere Betriebszeitung aufmerksam geworden.

„Willst Du nicht als Arbeiterkorrespondent bei uns mitarbeiten?“ fragte mich der Lokalredakteur Fritz Jung.

„Denn was im Ritterwerk vor sich geht, interessiert auch die anderen Arbeiter.“

Ich schrieb meinen ersten kleinen Artikel. So wurde ich Arbeiterkorrespondent. Mit der Zeit wurden die Artikel länger, und ich brachte es bis zu einer Zweidrittel-Seite mit Karikaturen über die Vorgänge aus dem Betrieb.

Von Zeit zu Zeit führte die Redaktion Konferenzen der Arbeiterkorrespondenten durch. Sie dienten als Anleitung und zum Erfahrungsaustausch. Auf einer Konferenz Anfang 1927 hob Fritz Jung die Bedeutung der Arbeiterkorrespondenten hervor:

„Die Arbeiterkorrespondenten-Bewegung erfüllt eine vielfache Aufgabe: Auf der einen Seite verbindet sie die Partei und ihre Zeitung immer enger mit den Massen. Die Instanzen der Partei und die Redaktion lernen durch die Arbeiterkorrespondenten immer mehr alle Nöte der Arbeiter, ihre Wünsche, Hoffnungen und auch ihre Illusionen, ihren Kampfwillen und die tatsächlichen Kämpfe und Erfolge kennen, wodurch eine bessere Führung und Wegweisung von seiten der Partei und Presse ermöglicht wird. Die Arbeiterkorrespondenten sind aber auch die öffentlichen Ankläger gegen die Ausbeuter und gegen alles, was raubt und unterdrückt, gegen die gesamte kapitalistische ,Ordnung‘ … Die kommunistische Zeitung soll nicht nur für die Arbeiter, sondern auch von den Arbeitern selbst geschrieben sein. Weil dadurch erst das Leben des Proletariats, seine Leiden, Nöte und Kämpfe sich voll und ganz in unserer Presse widerspiegeln, deshalb sind die Arbeiterkorrespondenten das stärkste Bindemittel zwischen den Arbeitern und ihrer Zeitung.“

Die Arbeiterkorrespondenten wurden von den Unternehmern gefürchtet. Als im Betrieb wieder einmal die Lohnzahlung ausblieb, versammelte sich die Belegschaft zur erregten Diskussion. Der technische Direktor versuchte, die Kollegen zu spalten, und schimpfte auf die Kommunisten, die die Firma in Verruf brächten.

Die Arbeiterkorrespondenten-Bewegung – eine scharfe Waffe im Kampf des Proletariats

„Immer öfter stehen Artikel in der ,BERGISCHEN ARBEITERSTIMME‘, und für jeden Artikel bekommt der Schreiber 20 Mark“, tobte er. Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen – hatte der eine Ahnung von ehrenamtlicher Tätigkeit!

Je umfangreicher meine praktische Parteitätigkeit wurde, desto mehr spürte ich meine theoretische Schwäche. Wohl hatte ich bereits eine Reihe Elementarbücher des Marxismus-Leninismus erworben, aber es fehlte das systematische Studium. Das ist für einen Arbeiter auch sehr schwer.

Kam ich abends müde und abgekämpft in mein möbliertes Zimmer, nahm ich mir viel vor. Doch nach zwei bis drei Seiten konzentrierten Studiums fielen mir die Augen zu.

Aber bei selbstkritischer Überprüfung meiner bisherigen praktischen Arbeit sagte ich mir: Du mußt dir unbedingt eine breitere theoretische Grundlage schaffen, sonst ist alles nur Handwerkelei.

Also unentwegt jeden Abend ran. Langsam aber stetig konnte ich die Seitenzahl meines Studiums steigern – vier, dann fünf, acht und zehn Seiten. So versuchte ich, zur Einheit von Theorie und Praxis zu gelangen. Das ist allerdings ein schwerer Weg.

Die Erfahrung zeigte mir, daß das Studium Training ist. Wenn ein Arbeiter einen festen Willen hat, kann er sich das notwendige Wissen aneignen. Er darf sich nur nicht abschrecken lassen von den anfänglichen Schwierigkeiten.

Jeden freien Sonntag ging ich mit den „Naturfreunden“ wandern. Hier traf ich auch Wally, der nach unserer Aufnahme einer anderen Straßenzelle zugeteilt war. Durch die stundenlangen politischen Diskussionen während der Wanderung, oft auch über theoretische Themen, wurde ich immer sicherer.

Gegen Ende des Jahres wurden die unregelmäßigen Lohnzahlungen im Ritterwerk häufiger und die Belegschaft immer unzufriedener. In den Zellensitzungen mußten wir uns dauernd damit beschäftigen.

„Das geht nicht so weiter, wir müssen etwas unternehmen, Genossen. Aber was?“ stellte ich die Frage.

Wir überlegten und kamen zu dem Ergebnis, daß die Geschäftsleitung und der Firmeninhaber unter Druck gesetzt werden müßten.

Systematisch verbreiteten wir den Gedanken „Streik“ in der Belegschaft. Als im Januar 1927 wieder mal kein Geld da war, forderten wir zum Streik auf. Die Belegschaft legte die Arbeit nieder.

Es wurde eine Streikleitung gewählt, der auch ich angehörte; Streikposten wurden organisiert und Schilder gemalt mit der Aufschrift „Hier wird gestreikt!“

Die Firma inserierte nun wegen Arbeitskräften in auswärtigen Zeitungen. Tatsächlich erschienen einige Leute, die jedoch von den Streikposten abgefangen wurden. Nicht alle aber kehrten um, einige wurden zu Streikbrechern.

Die Direktion hatte ebenfalls ein Schild an der Straßenseite des Werksgeländes aufstellen lassen. Hier wurden in einladenden Worten Arbeitskräfte gesucht. Eines Tages war das Schild verschwunden. Die Direktion erstattete Anzeige.

Mehrere Streikende, darunter auch ich, wurden von der Polizei über das Verschwinden des Schildes vernommen. Es war das erste Mal, daß ich mit der Polizei in Berührung kam.

„Was wissen Sie über das Verschwinden des Schildes?“ fragte mich der Beamte.

„Ich habe das Schild zwar stehen sehen, aber warum und wie es entfernt wurde, weiß ich nicht!“ antwortete ich.

Später berichtete ich einem erfahrenen Genossen davon.

„Du hast nichts Belastendes ausgesagt, aber Du hast das Recht auf Aussageverweigerung. Das soll man vor allem vor der Polizei ausnutzen. Die Polizei kann Dich nicht zwingen, zur Sache Aussage zu machen. Sie hat lediglich die Personalien festzustellen“, belehrte er mich. Ich war um eine Erfahrung reicher.

Der Streik ging weiter. Da es aber ein sogenannter „wilder“ Streik war, wurde er vom Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) nicht unterstützt. Nach einigen Wochen brach der Streik zusammen.

Die Direktion stellte nur einen Teil der Streikenden wieder ein. Viele wurden entlassen, darunter auch ich. Das war das zweite Mal, daß ich wegen aktiver Teilnahme am Streik gemaßregelt wurde.

Ich mußte mir eine neue Arbeitsstelle suchen. Das war gar nicht so einfach. Wenn ich in einem Betrieb vorsprach, lautete gewöhnlich die erste Frage:

„Wo haben Sie zuletzt gearbeitet?“

Wenn ich dann sagte:

„Im Ritterwerk!“

hieß es:

„Bedaure, aber wir haben im Augenblick nichts frei!“

*

Nach Tagen vergeblichen Bemühens, versuchte ich es bei der Maschinenfabrik Kieserling & Albrecht. Der Obermeister Kühnert getraute sich nicht, mich eigenmächtig einzustellen.

„Kommen Sie doch morgen noch mal wieder, dann ist Herr Direktor Hölzer da!“ forderte er mich nach einigem Zögern auf.

Maschinenfabrik Kieserling & Albrecht, Solingen

Am nächsten Tag nahm mich der Direktor ins Verhör. Er sah sich meine Zeugnisse an. Dann kam die Gretchenfrage:

„Warum haben Sie im Ritterwerk aufgehört?“

„Ach, Sie wissen doch, da wurde gestreikt!“ antwortete ich treuherzig. Er war von der Antwort überrascht.

„Sie haben bei mehreren Firmen gearbeitet, aber vielfach nur kurze Zeit. Warum?“

„Das kann ich Ihnen erklären. Nach meiner Lehre wechselte ich die Firmen, um mich in meinem Beruf weiter auszubilden.“

Das schien ihm einzuleuchten.

„Warum haben Sie im Ritterwerk mitgestreikt?“ Sein Blick wurde lauernd, jetzt aufgepaßt, dachte ich.

„Die Firma blieb mit dem Lohn im Rückstand, wir waren auf die Lohnzahlungen angewiesen!“

Dann plötzlich:

„Oder waren Sie Streikführer?“

„Streikführer?“ wiederholte ich gedehnt und sah ihn harmlos erstaunt an. „Nein, da habe ich nichts mit zu tun!“

Dann interessierten ihn nur noch meine Fachkenntnisse, worauf er mich als Hobler einstellte. Was er bald bedauern sollte.

Nun war ich wieder in einem Betrieb. Die Belegschaft war etwa 500 Mann stark. Es gab bei Kieserling & Albrecht eine Betriebszelle der Partei, aber die Genossen waren ziemlich passiv. Ich nahm mir vor, die Zelle wieder in Schwung zu bringen. Insgesamt waren wir neun Parteimitglieder. Auch der Betriebsratsvorsitzende Aderholt war ein Genosse. Die Betriebszeitung war sanft entschlafen.

In der nächsten Umgebung meines Arbeitsplatzes arbeiteten ein Genosse und mehrere Mitglieder des Christlichen Metallarbeiterverbandes, darunter auch das Betriebsratsmitglied Meuser.

Ich war an einer Schleppbank beschäftigt. Bei manchen komplizierten Maschinenteilen, die ich hobeln mußte, konnte ich die Augen nicht von dem Werkstück lassen, aber ich hatte immer wieder längeren „Selbstgang“ dazwischen. Diese Zeit nutzte ich zum Diskutieren aus. Vor allem diskutierte ich viel mit den christlichen Kollegen, was nicht ohne Wirkung blieb.

Die Genossen der Betriebszelle wählten mich zum politischen Zellen-Leiter, und wir begannen sofort mit der Reorganisation der Zelle. Die Sitzungen fanden regelmäßig im Parteibüro statt. Bald erschien auch wieder die Betriebszeitung. Daran anknüpfend wurde die mündliche Agitation im Betrieb verstärkt

Im Mittelpunkt der Agitation stand die Vorbereitung des 1. Mai 1927, des Weltfeiertags aller werktätigen Massen. Wir wollten erreichen, daß sich noch mehr Kollegen daran beteiligen als in früheren Jahren.

Zu meinen christlichen Kollegen hatte ich ein kameradschaftliches Verhältnis geschaffen. Sie merkten natürlich sehr bald, wes Geistes Kind ich war. Das hielt sie aber nicht davon ab, weiter mit mir zu diskutieren, auch wenn es oft recht lebhaft zuging. Unser Meister war etwas ängstlich und störte uns nicht.

Eines Tages, ich war etwa ein halbes Jahr bei K & A beschäftigt, teilte mir Betriebsratsmitglied Meuser mit, daß der Betriebsrat mit den Verhandlungen über Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht vorankäme und die Kollegen immer unzufriedener würden. Der Direktor ließe sich verleugnen, um die Verhandlungen zu sabotieren. Auch jetzt habe er erklärt, er müsse dringend verreisen.

„Was kann man da nur machen?“ fragte er.

„Weißt du was?“ vertraute ich ihm an. „Wir haben jetzt 9.30 Uhr. Um Punkt 11 Uhr ruht der Betrieb!“

„Aber Mensch, wie willst du das denn machen?“

„Das laß nur meine Sorge sein. Sorge du dafür, daß die christlichen Kollegen mitmachen.“

Sofort suchte ich alle Genossen in den verschiedenen Abteilungen auf, erklärte, was los war, und beauftragte jeden, unverzüglich mit der Agitation für den Streik um 11 Uhr zu beginnen. Es ging wie ein Raunen durch den Betrieb. Die Meister wurden unruhig.

Bei früheren Streiks waren die Former stets die Elite, die die Führung übernahmen. Unser Genosse Betriebsratsvorsitzender war in der Formerei beschäftigt. Um 10.30 Uhr ging ich zu ihm, um mit seiner Hilfe die Former zu bewegen, als erste im geschlossenen Trupp in die Montagehalle zu marschieren.

„Ja, weißt du“, und er kratzte sich verlegen am Kopf, „die Kollegen sagen, sie wären immer die ersten gewesen, jetzt sollen die anderen mal vorgehen!“ Damit hatte ich nicht gerechnet, das erschwerte die Sache.

Also noch einmal durch alle Abteilungen. Ich verständigte die Genossen von der neuen Situation und forderte sie auf, sobald ich um 11 Uhr das Zeichen gäbe, solle jeder ein paar Kollegen mitreißen und zur Montagehalle marschieren.

Die Spannung im Betrieb wuchs von Minute zu Minute. Auch ich wurde nervös. War das nicht zu gewagt, die Kollegen in anderthalb Stunden zum Streik zu bewegen? Werden sie es begreifen, daß uns nur der Kampf weiterhelfen kann? Ist der Einfluß der Genossen auf die Kollegen stark genug, daß sie ihnen folgen? Ist die Bereitschaft bei den christlichen Kollegen fest genug, um nicht abzuspringen? Diese Fragen gingen mir durch den Kopf.

Doch dann gab ich mir einen Ruck, ich zählte die Minuten. Punkt 11 Uhr gab ich das Zeichen und forderte die christlichen Kollegen auf mitzukommen. Von allen Seiten drangen die Kollegen zur Montagehalle, und dann kam auch die geschlossene Masse der Former. Die Kollegen waren vollständig versammelt.

Ich sprach zu ihnen über die Verhandlungssabotage des Direktors und sagte, daß wir ihr durch unsere geschlossene Arbeitsniederlegung ein Ende bereiten müßten.

Wutschnaubend kam Direktor Hölzer in die Halle gestürzt und brüllte:

„Wer die Arbeit nicht sofort aufnimmt, wird fristlos entlassen!“

Ringsum sah ich nur versteinerte Gesichter.

„Kollegen, ihr habt die Herausforderung des Direktors gehört, er will es also auf die Spitze treiben“, erklärte ich möglichst ruhig.

„Wer für Streik ist, den bitte ich um das Handzeichen!“

Ein Wald von Händen ging hoch.

Der Direktor wurde blau und grün im Gesicht vor Wut. Das hatte er nicht erwartet. Er drehte sich wortlos um und ging.

Dann forderte ich die Kollegen auf:

„Wir marschieren jetzt zum Gewerkschaftshaus, damit sich die Gewerkschaft in die Verhandlungen einschaltet.“

Jetzt hatte auf einmal auch der Direktor Zeit. Die Verhandlungen mit Betriebsrat und Gewerkschaftssekretär verliefen zügig, so daß wir am nächsten Tag die Arbeit wieder aufnahmen.

In einer Besprechung der Geschäftsführung mit den leitenden Angestellten und Meistern äußerte der Direktor seine Wut:

„Einer wird fliegen, das ist der Dickhut, der hat mich getäuscht!“

Von nun an konnte ich mich überhaupt nicht mehr im Betrieb bewegen. Sobald ich in eine andere Abteilung gehen wollte, folgte mir zur Überwachung ein Meister oder ein anderer von der Geschäftsleitung Beauftragter:

„Was wollen Sie hier? Sie haben hier nichts zu suchen!“

Selbst wenn ich zum Scheißhaus mußte, ging einer mit und wartete, bis ich fertig war.

Es war offensichtlich, daß man nur einen plausiblen Grund suchte, um mir zu kündigen. Das wurde mir auch von einem sympathisierenden Meister anvertraut.

Wir hatten die Belegschaft wohl für einen Streik zur Durchsetzung ihrer ökonomischen Interessen gewinnen können, aber für einen Streik gegen eine Maßregelung reichte das Bewußtsein der Kollegen noch nicht.

Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen und kündigte selbst. Die Betriebszelle war politisch und organisatorisch so gefestigt, daß ihre politische Tätigkeit gesichert war.

Nach dem damaligen Tarifvertrag hatte ein Arbeiter während der Kündigung Anspruch auf vier Stunden bezahlte Arbeitssuche. Die Firma verweigerte die Bezahlung mit der Begründung, das Recht bestünde nur, wenn dem Arbeiter gekündigt würde, nicht aber, wenn er selbst kündige.

Da das eine grundsätzliche Frage war, klagte der DMV für mich beim Arbeitsgericht. Wir gewannen in der ersten Instanz. Der Arbeitgeberverband, der die Firma vertrat, gewann in der zweiten.

Der Lohnbetrag war geringfügig, und die Sache wäre normalerweise nicht zum Reichsarbeitsgericht zugelassen worden. Nur weil die Auslegung des Tarifvertrages grundsätzlich entschieden werden mußte, wurde unsere Berufung zugelassen und nach etwa einem Jahr Prozeßdauer zu unseren Gunsten entschieden.

Der Arbeitgeberverband war durch die beiden Streiks und den Prozeß auf mich aufmerksam geworden. Ich kam auf die „Schwarze Liste“, ich durfte von den Mitgliedsfirmen nicht eingestellt werden. Auf der Suche nach neuer Arbeit wurde ich von den Solinger Firmen abgewiesen.

*

Ich will hier kurz auf die Bedeutung und Rolle der Arbeitersportbewegung in Solingen für die Durchsetzung der Politik der KPD hinweisen. Auch bei der gewerkschaftlichen und politischen Arbeit in den Betrieben stützten wir Kommunisten uns nicht nur auf die Genossen der Betriebszelle, sondern auch auf einen breiten Kreis von Sympathisanten – Arbeitersportler und Arbeitersänger.

II. Reichsarbeitersporttag 1927(Wassersportler)

II. Reichsarbeitersporttag 1927(Naturfreunde)

Auch die Sozialdemokraten versuchten auf diesem Wege Einfluß zu bekommen. Die politische Aktivität der „Naturfreunde“ habe ich bereits erwähnt und daß schon 1925 die Spaltung in zwei Gruppen vollzogen wurde. Das war in den anderen Arbeitervereinen 1927 noch nicht der Fall, die Spaltung kam erst zwei Jahre später.

1927 fand der II. Reichsarbeitersporttag (RAST) statt. In Ohligs marschierten die Arbeitersportler aus ganz Solingen (damals noch fünf selbständige Gemeinden) gemeinsam im Festzug: „Naturfreunde“, Arbeiterschwimmer, Rasensportler, Arbeiterturner u. a. Noch war Einmütigkeit vorhanden. Der politische Einfluß der KPD und SPD war in den einzelnen Vereinen verschieden.

In den meisten Arbeiterorganisationen dominierte der Einfluß der KPD, und nicht wenige Arbeitersportler wurden über diesen Weg Mitglied der KPD. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich rückschauend feststelle, daß die Arbeitersport-Bewegung ein bedeutendes Reservoir zur Gewinnung neuer Mitglieder für die KPD war.

Den letzten Anstoß, den viele Arbeitersportler bekamen, um Mitglied der KPD zu werden, erhielten sie durch die zahlreichen Streiks im Solinger Industriegebiet. Der ökonomische Kampf stärkte ihre Entschlossenheit, ihren Kampfwillen und entwickelte ihr Klassenbewußtsein. Unter dem Einfluß der Kommunisten wurden sie auch von der Notwendigkeit des politischen Kampfes überzeugt. So wurden sie selber Kommunisten.

*

Als ich nach zahlreichen Versuchen keine Arbeit in Solingen bekommen hatte, blieb mit nichts anderes übrig, als anderswo Arbeit zu suchen. Ich versuchte es in Düsseldorf, wo ich verschiedene Großbetriebe abklapperte. Schließlich konnte ich zwischen den Betrieben SCHIESS DE FRIES und RHEINMETALL wählen.

Die Bezirksleitung der KPD, die ihr Büro auf der Kölnerstraße hatte und mit der ich Rücksprache hielt, entschied, ich solle bei RHEINMETALL anfangen. RHEINMETALL war und ist heute noch ein bekannter Rüstungsbetrieb.

Ich wurde als Werkzeug- und Vorrichtungsmacher eingestellt und kam in eine Abteilung von 250 Mann. Das Werk hatte rund 2 000 Belegschaftsmitglieder.

Werk Rheinmetall

Die Abteilung bestand aus Dreherei und Montage. In der Montage wurde ich einer Arbeitsgruppe zugeteilt, deren Gruppenführer gleichzeitig der Vertrauensmann der Gewerkschaft war. Er war linker Sozialdemokrat, ebenso wie das Betriebsratsmitglied unserer Abteilung. Sehr bald stellte ich fest, daß die meisten Kollegen in meiner Umgebung linke Sozialdemokraten waren, teils organisiert, teils sympathisierend.

Es war unausbleiblich, daß wir bald in rege Diskussionen verwickelt waren. Wir diskutierten immer sachlich und kameradschaftlich, trotz aller Meinungsverschiedenheiten. Noch nie hatte ich in einem Betrieb die Gelegenheit gehabt, so ausgiebig politisch zu diskutieren wie hier.

Die Diskussion drehte sich immer wieder um die neue militärische Aufrüstung, die von der sozialdemokratisch-bürgerlichen Koalitionsregierung betrieben wurde. Eine Serie von Panzerkreuzern sollte im Reichstag beschlossen werden, im Bau waren sie bereits. Viele Sozialdemokraten waren mit der Politik ihrer Minister nicht einverstanden und konnten unseren Argumenten nichts entgegensetzen.

Noch hatte die KPD die Massen nicht zum Volksbegehren gegen den Panzerkreuzerbau aufgerufen, das kam dann ein Jahr später, als die sozialdemokratischen Minister dem Bau des Panzerkreuzers A, des ersten einer Serie von A bis ?, zugestimmt hatte.

Bei Rheinmetall wurden aber bereits die Panzertürme für den Kreuzer gebaut, auch ohne Bewilligung durch den Reichstag. In der Diskussion mit den sozialdemokratischen Kollegen stellte ich heraus, daß die Bewilligung des Panzerkreuzers A durch die SPD-Führer die bedingungslose Unterstützung der Rüstungspolitik der deutschen Imperialisten bedeute.

„Glaubt nicht, Kollegen, es bleibt bei der Bewilligung des Panzerkreuzers A. Wer A sagt, muß auch B sagen.“

„Noch ist es ja nicht soweit!“ meinte Paul, unser Gruppenführer.

„So, dann glaubst Du wohl, wir machen hier Kinderspielzeug?“ spottete ich. „Deine Minister werden durch unsere Arbeit hier vor fertige Tatsachen gestellt, das erleichtert ihnen die Bewilligung der Mittel.“

Wir schafften an großen Montagetischen und konnten uns so bei der Arbeit unterhalten. Wir arbeiteten an Visiereinrichtungen für die Geschütze eines Panzerturms für einen der vorgesehenen Panzerkreuzer. Es waren zum Teil noch Experimente, Kosten spielten keine Rolle.

Als wir die erste Visiereinrichtung fertig hatten und diese am Geschütz montiert war, stimmte etwas nicht. Ich wurde zur Überprüfung in den „Kanonenbau“ geschickt.

Der lag in einem Werksteil, der besonders abgesichert wurde. Neben dem allgemeinen Werksausweis mit Lichtbild, den jeder Arbeiter und Angestellte bei der Einstellung erhielt und den jeder unaufgefordert am Werkseingang vorzeigen mußte, bekam ich für den „Kanonenbau“ eine Auftragsbescheinigung und einen Sonderausweis für das Betreten des abgezäunten Werkes.

Beim Portier mußte ich mich namentlich in ein Buch eintragen mit Angabe der Uhrzeit des Eintritts, nach Verlassen des Werkes wieder austragen und den Sonderausweis wieder abliefern. So streng ging das zu. Vom Werksschutz wurde ich in den „Kanonenbau“, eine große Halle, geführt. Große Räummaschinen mit langen Räumnadeln fertigten die Züge in den Geschützrohren an. An anderen Stellen wurde an Geschützen montiert.

Brüning: „Etwas rascher meine Herren Sozialdemokraten, sonst werden wir mit dem Alphabet nicht fertig!“(Karikatur zur Diskussion über den Bau von Panzerkreuzern)

Ich wußte, daß irgendwo in der Halle zwei Genossen arbeiteten, die aber aus Sicherungsgründen nicht in unserer Betriebszelle erfaßt waren.

Ihre Existenz machte sich dann bemerkbar, wenn von Zeit zu Zeit in unserem Parteiorgan des Bezirks Niederrhein, die FREIHEIT, Artikel erschienen, die über die neue militärische Aufrüstung berichteten. Sie enthielten genaue Angaben über die Waffenproduktion bei RHEINMETALL, über Stückzahl und Arten der Geschütze, Maschinengewehre usw.

Es setzte dann jedesmal eine intensive Suche des Abwehrdienstes der Werkspolizei ein – ohne Erfolg. Die beiden Genossen schützten sich durch strenge Konspiration.

Innerhalb des Werksgeländes gab es einen unterirdischen Schießstand, auf dem nicht nur leichtere Waffen, sondern auch Geschütze ausprobiert wurden, natürlich nicht mit scharfer Munition. An manchen Tagen rollte der Geschützdonner stundenlang durch alle Werkshallen.

Der Werksschutz brachte mich bis in den Geschützturm des zukünftigen Panzerkreuzers A. Der stark gepanzerte Turm hatte drei Etagen. Oben die eigentliche Geschützkammer mit den drei Geschützrohren, Kaliber 15 cm, darunter der Maschinenraum mit den starken Motoren und unten die Munitionskammer. Von dort wurde durch einen Aufzug die Munition in die Geschützkammer befördert.

Während ich das Handrad der Visiereinrichtung drehte und das Geschützrohr auf- und abschwenken ließ, mußte ich an Petersburg 1917 denken. So hatten wohl während der Oktoberrevolution die revolutionären Matrosen des Kreuzers „AURORA“ die Geschütze auf das Winterpalais, der letzten Bastion der provisorischen Regierung, gerichtet. Wann werden die deutschen Arbeiter die Waffen gegen die Bastionen des Kapitals richten …?

Nach einigen Stunden Arbeit hatte ich den Fehler an der Visiereinrichtung gefunden. Die drei bereits gefertigten Visiereinrichtungen wurden verschrottet und neue konstruiert.

Der Winter 1927/28 war sehr kalt. Die Dampfheizung in der großen Halle unserer Abteilung heizte nicht ausreichend. Wir verlangten Abhilfe. Die Werksleitung reagierte nicht.

An einem Montag war es besonders arg kalt. Den Sonntag über hatte man die Heizung abgedreht. Alles war abgekühlt, besonders die Metallteile. Alle Kollegen waren wütend.

„Wißt ihr was, Kollegen“, sagte ich zu ihnen, „wir müssen mal selber etwas Dampf machen, aber denen da oben, wir liefern ihnen unseren Brennstoff!“

„Was für’n Brennstoff?“ staunten sie.

„Streik!“ erklärte ich. „Wir schicken unseren Betriebsrat zur Werksleitung mit folgender Forderung: Aufstellung einiger großer Kohleöfen mit entsprechend langen Ofenrohren nach draußen. Wir nehmen die Arbeit nicht eher auf, bis es hier warm ist!“

Alle Kollegen stimmten zu. Unser Betriebsrat zog los, um unsere Forderung zu überbringen. Nach zwei Stunden kamen die Ofensetzer und stellten einige Öfen auf. Unsere Streikaktion hatte Erfolg gehabt.

Die politischen Diskussionen mit den sozialdemokratischen Kollegen zeigten mir, daß mein bisheriges theoretisches Wissen nicht ausreichte, um bei jeder Frage von ihrer Seite gewappnet zu sein.

Unsere Betriebszelle organisierte Schulungsabende. Lehrer war Theo Neubauer, damals Chefredakteur der „FREIHEIT“. Von Theo habe ich viel gelernt und das Erlernte durch Selbststudium erweitert. Wir trafen uns 1934 im Konzentrationslager Esterwegen im Emsland wieder.

Anfang 1928 fanden Betriebsratswahlen und Vertreterwahlen des DMV statt. Unsere Zelle bereitete sich gründlich darauf vor. Wenn ich auch selbst nicht kandidieren konnte, weil ich noch kein Jahr im Betrieb beschäftigt war, so trat ich doch in gewerkschaftlichen Versammlungen des Werkes auf.

Wir entwickelten ein betriebliches Aktionsprogramm, das ich in den Versammlungen erläuterte. Die sozialdemokratischen Kollegen waren davon beeindruckt; einer kam nach der Versammlung zu mir. Er reichte mir die Hand und stellte sich vor. Er war Vertrauensmann in irgendeiner Abteilung.

„Sag’ mal, Du bist doch Kommunist?“ fragte er und fügte von sich aus hinzu: „Ich bin Sozialdemokrat. Was Du gesagt hast, hat Hand und Fuß!“

Theo Neubauer

„Ja, ich bin Kommunist, das darf uns aber nicht abhalten, die Forderungen der Arbeiterklasse gemeinsam zu vertreten. Unser gemeinsamer Kampf ist wichtiger als das, was uns trennt.“

Dem stimmte er zu. Auch die anderen Genossen hatten enge Kontakte mit sozialdemokratischen Kollegen. Da wir im ganzen Werk verstreut arbeiteten, wirkte sich das insgesamt politisch günstig aus. Ein Jahr später zerbrachen diese Kontakte an der Sozialfaschismusthese, wie wir später noch sehen werden.

Der Einfluß unserer Betriebszelle war stärker geworden. Wir hatten nach der Wahl einen größeren Anteil an Betriebsratsmitgliedern und gewerkschaftlichen Vertretern als zuvor. Die politische Arbeit der Betriebszelle von RHEINMETALL verlief planmäßig: Die Zellensitzungen fanden regelmäßig statt, die Genossen Betriebsratsmitglieder und Vertrauensleute wurden für ihre Aufgaben politisch ausgerichtet, die Genossen Vertreter des DMV wurden zu Vorbesprechungen im Bereich Ortsverwaltung von der Unterbezirksleitung der Partei eingeladen und für die Vertreter-Versammlung politisch vorbereitet.

Mitte März 1928 wurde ich von der Bezirksleitung der Partei aufgefordert, den Versuch zu unternehmen, bei Bayer Leverkusen Arbeit zu bekommen.

„Als größtes Werk im Bezirk ist Bayer so wichtig, daß du die Betriebszelle verstärken sollst“, erklärte mir der Genosse von der Bezirksleitung. Das sah ich ein. Bayer gehörte zu dem führenden Chemiemonopol IG Farben, das Weltpolitik machte.

Wenn auch damals das Bayer-Werk Leverkusen noch nicht die Ausdehnung und die Zahl der Beschäftigten hatte wie heute, so hatte es doch nicht weniger wirtschaftliche und politische Bedeutung.

Die Personalabteilung der IG Farben zeigte Interesse, als ich meine Zeugnisse vorzeigte. Außerdem war ich in ungekündigter Stellung. Ein junger Mann brachte mich zum Meister der Rohrlegerabteilung.

Ich war zwar nicht erbaut davon, als Rohrleger zu arbeiten, aber bei dieser Tätigkeit hätte ich Gelegenheit gehabt, in alle Abteilungen zu kommen.

„Können Sie in 14 Tagen anfangen?“

Ich sagte zu.

Knapp eine Woche nach meiner Kündigung erhielt ich von der Personalabteilung der IG Farben die schriftliche Mitteilung, es seien einige Veränderungen eingetreten, so daß meine Einstellung leider rückgängig gemacht werden müsse.

Da saß ich nun und schaute in die Röhre, auch ohne Rohrleger zu sein. Zweifellos hatte sich die Personalabteilung nachträglich beim Arbeitgeberverband Solingen erkundigt. Leverkusen gehörte zum Industrie- und Handelskammer-Bezirk Solingen. Die „Schwarze Liste“ wirkte also über Solingen hinaus. Damit hatte ich nicht gerechnet, sonst wäre ich natürlich bei RHEINMETALL geblieben. Jetzt war es zu spät. Um auf Nummer sicher zu gehen, mußte ich nach Köln umziehen.

*

Die Bezirksleitung Mittelrhein empfahl mir, bei der Firma Leybold’s Nachfolger AG in Köln-Bayental anzufangen.

„Dort arbeitet ein Genosse, der Hilfe gebrauchen könnte“, versicherte man mir. Doch anscheinend kannten die Genossen die Zustände in diesem Betrieb nicht genau.

Ich wurde als Mechaniker eingestellt. Der Betrieb stellte physikalische Apparate her für Universitäten, Schulen u. a. Mein Tätigkeitsbereich waren Vakuum-Pumpen. Alle Kollegen hatten weiße Arbeitskittel an. Manche arbeiteten in Schlips und Kragen. Ich wirkte mit meinem blauen Leinenanzug wie das schwarze Schaf. Und so kam ich mir auch vor.

„Herr Kollege, leihen Sie mir mal Ihre Schieblehre?“ sprach mich ein Weißkittel an.

„Hör mal, mein lieber Kollege, geht das bei euch hier immer so vornehm zu?“ fragte ich ihn. Er sah mich verständnislos an. „Du kannst ruhig Du zu mir sagen, das bin ich gewöhnt!“

„Nun ja“, meinte er, „von mir aus!“

Die meisten Kollegen hatten spießbürgerliche Ansichten. Typische Stehkragenproleten, mit denen nicht viel anzufangen war. Trotzdem erreichte ich in den folgenden Wochen durch vorsichtige Diskussionen ein erträgliches Verhältnis mit ihnen.

Unser Genosse war in einer anderen Abteilung beschäftigt. Dort war die Einstellung der Kollegen nicht ganz so spießig. Da in diesem Betrieb keine politischen Bäume auszureißen waren, verlegte ich meine hauptsächliche Parteiarbeit in den Stadtteil.

Die Reichstagswahl mußte vorbereitet werden. Die politische Arbeit dazu richtete sich hauptsächlich gegen die verstärkte Aufrüstung. Im Reichstag sollten nun endlich die Panzerkreuzer A, B und C beschlossen werden, die gleichen, an denen wir bei RHEINMETALL längst gearbeitet hatten.

In der täglichen Agitation arbeitete ich mit einem Studenten aus dem Saargebiet zusammen, Sohn eines Direktors vom Stummkonzern. Dieser Student war Mitglied der KPD und trat sehr bescheiden auf. Ich habe gerne mit ihm gearbeitet. Er strebte danach, von den Arbeitern zu lernen, und weil er nicht überheblich war, hatten wir Arbeiter guten Kontakt mit ihm. Als ich einmal ein Wort falsch geschrieben hatte, machte er mich sachlich und kameradschaftlich darauf aufmerksam, ohne mir seine intellektuelle Überlegenheit zu zeigen.

Wir teilten uns die Arbeit auf: Ich entwarf Flugblätter, er redigierte sie und sorgte dafür, daß sie vervielfältigt wurden. Dann verteilten wir sie gemeinsam, wenn ich Feierabend hatte. Wir verteilten die Flugblätter straßenweise, er die eine, ich die andere Seite, warfen sie in Briefkästen, schoben sie unter Haustüren oder gaben sie entgegenkommenden Passanten.

Dazu entwarf ich kleine Plakate. Mein intellektueller Freund sorgte für den Druck. In der Dunkelheit gingen wir dann kleben. Von der „Naturfreunde“-Zeit her hatte ich eine weite Pelerine, die jetzt dazu diente, einen kleinen Eimer mit dem Kleister zu verdecken. Mein Freund trug die Plakate in einer Aktentasche.

Das Kleben ging schnell. Eine Fläche wurde von mir bestrichen, schon heftete er das Plakat darauf, ein paar Striche mit dem Pinsel darüber, und weiter, das nächste. So hatten wir an mehreren Abenden viele Mauerwände ganz nett tapeziert.

Eines Nachts, wieder einmal hatten wir geklebt, hörten wir Stiefelschritte – Polizei.

„Stehenbleiben!“ flüsterte ich dem Genossen zu und knüpfte sorgfältig meine Pelerine zu, um den Kleistereimer zu verdecken. Wir taten so, als wären wir gerade gekommen und würden uns interessiert die Plakate ansehen.

Der Polizist trat neben uns.

„Das scheint gerade erst geklebt zu sein“, sagte ich harmlos.

„Das waren sicher diejenigen, die eben da hinten um die Ecke gelaufen sind“, sekundierte mein Freund.

„Wo?“ wollte der Polizist wissen.

„Dort drüben“, versicherte mein Kumpan, und schon setzte sich der Polizist in Trab.

Auch in Köln wurden damals die Nazis immer frecher. Sie überfielen nicht nur unsere Klebetrupps, sondern auch die der Sozialdemokraten. Das veranlaßte uns, mit den Sozialdemokraten ein Abkommen zu treffen. Wir wollten gemeinsam unsere Klebetrupps vor den Nazis schützen und uns die eigenen Plakate nicht gegenseitig zerstören oder überkleben.

Wir gingen nämlich davon aus, daß unser eigenes Wahlmaterial viel wirkungsvoller und konkreter war als das der Sozialdemokraten. Deshalb konnten die SPD-Plakate ruhig hängen bleiben. Durch diesen Kompromiß erreichten wir, daß die Nazis sich nicht mehr getrauten, uns zu überfallen.

Als ich über unsere Aktionseinheit mit den Sozialdemokraten in einem Artikel des „PARTEIARBEITER“ berichtete, wurden wir von der Redaktion kritisiert. Das war uns unverständlich.

Ich hatte mich den „Naturfreunden“, Ortsgruppe Köln-Zollstock, angeschlossen und war an einigen Sonntagen mit ihnen gewandert. Die meisten von ihnen waren Sozialdemokraten, mit denen ich dann stundenlang diskutierte.

Die Diskussionen über den „Panzerkreuzer-Sozialismus“ der sozialdemokratischen Minister ging ihnen sichtlich an die Nerven. Die Unzufriedenheit mit der Politik ihrer Führer nahm zu, ein günstiger Boden für gemeinsame Diskussionen und Aktionen.

Meine bisherige Erfahrung in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit hatte mir immer wieder gezeigt, wie wichtig der enge Kontakt mit den Sozialdemokraten ist. Selbst wenn solche Kollegen noch nicht bereit sind, den revolutionären Klassenkampf mitzumachen, ist es wichtig, sie in den Kampf um Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen einzubeziehen. Im Kampf entwickelt sich ihr noch schwaches Klassenbewußtsein, sehen sie kritisch auf ihre Führer und begreifen die Notwendigkeit der Einheitsfront mit den kommunistischen, christlichen und parteilosen Kollegen. Ohne eine solche proletarische Einheitsfront kann ein Betrieb nicht zu unserer Festung werden. Das wurde mir in den zwanziger Jahren immer mehr bewußt.

Noch ahnten wir nicht, was uns Kommunisten alsbald von den Sozialdemokraten trennen würde. Noch war ein kameradschaftliches Verhältnis zwischen uns möglich und vorhanden, auch wenn wir oft harte Diskussionen führten. Das Gemeinsame stand für uns an der Basis stets im Vordergrund.

Ein Jahr später wurde eine Mauer zwischen uns aufgerichtet. Der blutige 1. Mai 1929, als der sozialdemokratische Polizeipräsident von Berlin, Zörgiebel, auf demonstrierende Arbeiter schießen ließ, dann die Sozialfaschismus-These der KPD und die wüste Hetze der sozialdemokratischen Führer gegen uns Kommunisten zerrissen die gemeinsamen Bande.

Drei Monate dauerte mein „Gastspiel“ in Köln. Dann trat ein Ereignis mit bitteren Erfahrungen in mein Leben.

Als Spezialist in der Sowjetunion

„Bürokraten sind ausgekochte Burschen, viele unter ihnen sind Schufte, Erzgauner. Es ist gar nicht so leicht, ihnen beizukommen.“ (Lenin an Sokolow)

„Willst du mit nach Rußland, Willi?“

„Nanu, was ist denn jetzt los?“

Aufgeregt erzählte mir Willy Decker, der nach dem Streik im „Ritterwerk“ vor einem Jahr ebenfalls gemaßregelt worden war, daß ein Ingenieur namens Meyer von der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin beauftragt worden war, Spezialisten für die Herstellung von Haarschneidemaschinen zu suchen. Er hatte sich an die Parteileitung in Solingen gewandt, die ihn mit Willy Decker in Verbindung gebracht hatte. Vor allem wolle er einen Schlosser oder Techniker zum Konstruieren und Bauen der Einrichtung.

„Ich habe dich sofort vorgeschlagen“, sagte Willy, „weiterhin sind Willy Rahm als Former, Richard Lenz als Haarschneidemaschinen-Monteur und ich als Maschineneinsteller vorgesehen.“

„Nun mal nicht so stürmisch, Willy, ich muß zuerst einmal mit der Parteileitung sprechen, ob diese einverstanden ist. Außerdem muß ich Rücksicht auf meine Mutter nehmen, die ich finanziell unterstütze.“

„Was soll ich aber sagen?“

„Du kannst mich ja vorsorglich anmelden, denn zur endgültigen Zusage müssen wir zuerst die Bedingungen erfahren.“

Die Parteileitung war einverstanden, und nach einigen Schreibereien fand Mitte Juni 1928 eine Besprechung in Elberfeld mit dem technischen Direktor des Trusts „Uralmet“, Krapiwin, statt.*

Slatoust im südlichen Ural

Krapiwin war ein stattlicher, älterer, gut bürgerlich aussehender Mann, der einige Jahre später verhaftet und – von einem Gericht als Saboteur überführt – zum Tode verurteilt wurde. Er gehörte zu der alten technischen Bürokratie aus der Zarenzeit; er sprach deutsch mit hartem Akzent und hörte aufmerksam zu, als ich ihm meinen Plan zur Produktion von Haarschneidemaschinen auseinanderlegte.

Dann erklärte er uns die Bedingungen. Wir sollten in Slatoust arbeiten, einer Stadt von etwa 50 000 Einwohnern, mitten im südlichen Ural. Er schilderte die dortigen Lebensbedingungen als günstig, sie seien vergleichbar mit denen in Deutschland. Das monatliche Gehalt: 350 bis 400 Mark. Dann legte er uns die Arbeitsbedingungen und den Inhalt des Vertrages auseinander.

Die Aussagen des Direktors Krapiwin stimmten jedoch zum Teil nicht mit dem Inhalt seines Briefes an die Leitung des Trusts „Uralmet“ überein, den er tags darauf schrieb. In diesem Brief gab er zunächst über uns eine kurze Einschätzung. Mich charakterisierte er mit folgenden Worten: „Einer (der jüngste, aber verständigste), der Werkzeugschlosser, ist geeignet für die Einrichtung und wird die Hauptperson sein. Wenn auch jung, so hat er doch Kenntnisse. Er arbeitet selbständig und hat viele Vorrichtungen für Haarschneidemaschinen hergestellt. Er kann auch zeichnen und konstruieren, ich bin überzeugt, daß das in richtigen Händen ist.“