10,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 10,99 €
Die Scilly Islands vor der Küste Cornwalls gehören mit ihren schneeweißen Stränden und der faszinierenden Pflanzenwelt zu den schönsten Flecken Englands.
Agneta Lindahl hat sich hier mit ihrem Lebensgefährten Mikael ein neues Zuhause aufgebaut. Sie leitet den Botanischen Garten und hat in ihrer Nachbarin Suzy und der örtlichen jungen Polizeichefin Lisa beste Freundinnen gefunden.
Eines Tages ist es jedoch vorbei mit der beschaulichen Ruhe: Nicht nur taucht Agnetas Exmann samt neuer Familie auf, auch der englische Premierminister und der englische Thronfolger haben sich angekündigt …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 264
Mary Trentham
Sommer auf den Inseln
Roman
Aus dem Englischen von Rudolf Katzer
Insel Verlag
Es war so früh am Morgen, dass die Nacht noch in allen Winkeln saß. Agneta trank ihre erste Tasse Tee. Zu Hause hatte sie den Tag nie mit Tee begonnen, hier aber brachte das Nationalgetränk die Leute auf Trab. Tee vertrieb den Whisky, der gestern wieder reichlich geflossen war. Der Whisky löste keine Probleme, er löste nur Mikaels Zunge.
Barfuß strich Agneta durch das Haus aus dem 18. Jahrhundert, das sich an die Klippe klammerte, als ob es fürchtete, ins Meer gespült zu werden. Das Blau der Fensterläden war abgeblättert, unaufhörlich nagte der Seewind daran, kein Fenster im Haus, das dicht schloss. Draußen erwachte die Festungsruine graublau im ersten Licht. In alter Zeit, als die Insel noch ein Piratenschlupfwinkel gewesen war, hatte das Bauwerk als Wehr- und Leuchtturm gedient. Müde schlugen die Wellen gegen die Bucht, manchmal blieben sie förmlich stehen und boten dem alten Paul, der täglich hierherkam, um die See zu malen, ein träges Motiv.
Mikael hatte die Angewohnheit, sein Smartphone an den unmöglichsten Orten liegen zu lassen, versteckt hinter Tomatenstauden oder unter der Spüle, wo er etwas repariert hatte. Ein altes schwedisches Volkslied diente ihm als Klingelton. Agneta stellte die Tasse ab und machte sich auf die Suche, nicht weil sie die Hüterin von Mikaels Handy war, sondern weil es länger gedauert hätte, ihn zu wecken. Der Ton kam nicht aus dem ersten Stock, sie suchte also im Erdgeschoss weiter. Immer wieder erfreute sie sich an den Details dieses Ortes. Alles war von Hand gezimmert worden. Die Regale passten sich den Mauernischen an; man hatte die Türen schräg zugeschnitten, weil sich das Haus ein wenig nach rechts lehnen wollte. Als es gebaut wurde, kannte man noch keine Wasserwaage, und das Senkblei wurde selten angewandt, nur auf das Augenmaß des Zimmermanns war es angekommen. Auf diesen Stühlen hatte man vor dreihundert Jahren schon gesessen, der alte Tisch musste ebenso viele Kerben haben. Unermüdlich orgelte die Melodie, Mikaels Telefon war nirgends zu finden.
Agneta öffnete die Küchentür und lief barfuß zum Geräteschuppen. Dorthin hatte Mikael seine Lieblingsbücher geschafft, die gerahmte Fotografie von Agneta, einen Tisch und einen Stuhl. Täglich saß er dort im Schein seiner Lampe und versuchte, den Gedanken, die durch seinen Kopf spukten, eine Form zu geben. Und hier lag auch sein Handy.
»Hallo?« Agneta war außer Atem.
»Janice hier.«
»Hallo, Janice.« Agneta konnte sich nicht vorstellen, weshalb die Chefin der Ferienagentur um diese ungewöhnliche Zeit anrief. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ist Michael da?«
Agneta und ihr Mann hatten sich daran gewöhnt, dass die schwedische Aussprache seines Namens für die Briten zu zungenbrecherisch war und daher akzeptiert, dass er mit der englischen Bezeichnung des Erzengels angeredet wurde.
»Ich müsste nachsehen«, antwortete sie ausweichend.
»Er schläft natürlich«, fuhr Janice überraschend aggressiv dazwischen. »Er hat vergessen, das Haus zu machen.«
»Welches Haus?«, erwiderte Agneta, obwohl sie es bereits ahnte.
»Trevalso. Die Villa ist in einem unglaublichen Zustand.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, reagierte Agneta in der gewohnten Verteidigungshaltung, wenn Mikael etwas zur Last gelegt wurde.
»Überzeugen Sie sich selbst. Das pure Chaos. Zuletzt waren die Chinesen da. Chinesische Familien benehmen sich in fremden Häusern wie die Schweine. Holen Sie endlich Michael.«
Im Bruchteil einer Sekunde überschlug Agneta die Lage. Es würde zu lange dauern, Mikael zu wecken und auf die nötige Betriebstemperatur zu bringen. »Wann kommen die nächsten Gäste?«
»Mit der ersten Maschine.«
»Also um neun.«
»So ist es. In drei Stunden stehen die Leute hier auf der Matte und finden ein Chaos vor. Müll liegt in den Zimmern, die Bäder sind ein Schlachtfeld, vom Zustand der Küche will ich lieber schweigen.«
Agneta traf ihre Entscheidung. »Ich verspreche Ihnen, um Punkt neun wird Trevalso wie aus dem Ei gepellt sein. Die Gäste sollen den Komfort vorfinden, für den Ihre Agentur bekannt ist.«
»Wie soll das funktionieren? Wo wollen Sie in der kurzen Zeit eine Putzkolonne herkriegen? Ich kann Ihnen niemanden schicken. Meine Ladys sind in den anderen Cottages beschäftigt.«
»Sie haben mein Wort, Janice.«
»Und was passiert, wenn Sie es nicht schaffen?«
»Ich schaffe es.«
Darauf hörte Agneta einen tiefen Atemzug. Janice Delorian, die Besitzerin der Scillonian Holiday Cottages, zögerte einen Moment. »Also schön«, sagte sie schließlich. »Viertel vor neun komme ich rüber und kontrolliere, ob Sie Wort gehalten haben.«
»Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Die Sorgen sollte sich lieber Ihr Mann machen. Das ist das zweite Mal, dass ich wegen ihm so einen Schlamassel erlebe. Ein drittes Mal wird es nicht geben.«
Das waren keine leeren Worte, Agneta wusste es. Mikael besaß einen Traumjob, an dem ihm aber nicht das Geringste lag. Agneta verstand seine Seelenqual, aber sein snobistisches Verhalten akzeptierte sie nicht. Sie beide, zwei Einwanderer aus Schweden, durften in diesem Paradies vor der Südküste Englands leben. Kein Fleck im Königreich konnte karibischer sein. Leer und schneeweiß waren die Strände, das türkisblaue Meer blieb zwar das ganze Jahr über kalt, doch im November blühten hier die Narzissen. Agneta konnte auf der Insel ihrer Traumbeschäftigung nachgehen, und nun war sie zu all dem Überfluss schwanger. Mit zweiundvierzig Jahren würde ihr Wunsch endlich in Erfüllung gehen. Agneta, die patriotische Schwedin, die man wie einen Fisch aus dem Wasser gezogen und vor der Südküste Englands wieder hineingeworfen hatte, würde ihr Kind in dem milden alten Haus großziehen, wo ringsum Palmen wuchsen und Lavendel blühte, auf der Insel, über deren Felsen Fasane flogen, in deren Buchten Wracks aus elisabethanischer Zeit schlummerten. Hier würde ein kleines Wesen umherspringen, blond und hellhäutig wie seine nordischen Eltern. Agneta hatte es Mikael noch nicht gesagt. Das war ihre einzige Sorge an diesem verheißungsvollen Morgen. Das und die Sache mit Trevalso Cottage.
Sie rannte ins Haus, die Treppe hoch und löste den Türriegel. Die schlanke Gestalt ihres Mannes lag im Bett, ein behaartes Bein ragte unter der Decke hervor. Mikael schnarchte nicht, er röchelte. Der Versuch, ihn aus seinem Whiskydusel zu holen, würde unnötig Zeit kosten. Agneta legte sein Handy neben ihn und zog sich an. Ihr eigenes Telefon am Ohr, lief sie die Treppe hinunter und packte Kekse und Joghurt als Proviant ein. Alles, was Mikael für den Einsatz in den Ferienhäusern brauchte, hatte er im Auto verstaut. Während sie startete, meldete sich jemand.
»Suzie?«, rief Agneta.
»Wie spät ist es?«, kam es krächzend zurück.
»Zu früh, viel zu früh für dich. Aber heute musst du mein Leben retten.«
Am anderen Ende raschelte es, das Klappern von Geschirr war zu hören. Agneta war sicher, dass Suzie auf den Schreck in der Morgenstunde etwas essen musste.
»Kannst du in fünf Minuten am Boot sein?«
»Wie stellst du dir das vor? Ich muss wenigstens eine Kleinigkeit …«
»Frühstücken, ich weiß. Suzie, ich verspreche dir einen fürstlichen Brunch, wenn du mich begleitest.«
»Warum mit dem Boot?«
»Weil Trevalso nur eine Bucht von hier entfernt liegt. Mit dem Auto müsste ich einen Umweg fahren.«
»Was tun wir denn in Trevalso?«
»Erzähle ich dir unterwegs. Bitte, Suzie, kommst du?«
»Für Trevalso muss ich mich schicker anziehen.«
»Im Gegenteil. Schlüpf in deine ältesten Klamotten, es könnte dreckig werden.«
»Dann muss ich mich gar nicht umziehen«, lachte Suzie.
Agneta fuhr Mikaels Wagen die dreißig Meter zur Bucht hinunter, setzte ihn mit der Rückseite zum Landungssteg, holte die Putzausrüstung heraus und schleppte sie zu der blauen Jolle. Mit roter Farbe hatte Mikael vor drei Jahren Agneta ans Heck gepinselt. Sie hievte alles ins Boot und machte die Leinen fertig zum Ablegen. Als sie den Außenborder startete, sah sie eine entzückende Fruchtbarkeitsgöttin den Pfad herunterspringen. Niemand hätte Suzie als dick bezeichnet, sie war vollschlank, bei ihr saß alles am rechten Fleck. Agneta prüfte, wie viel Benzin im Kanister war; manchmal vergaß Mikael zu tanken. Für die kurze Überfahrt würde der Sprit noch reichen. Als Suzie beim Boot anlangte, ging über der Insel die Sonne auf.
Trevalso Cottage war eine Traumunterkunft für gut betuchte Urlauber aus aller Welt. Das Haus kostete in der Nebensaison lächerliche siebenhundert Pfund pro Woche, im Sommer und zu Weihnachten musste man fast das Zehnfache hinblättern. Neben den luxuriösen Annehmlichkeiten wie Jacuzzi, Sauna und Breitband-Internet besaß Trevalso den unverwechselbaren Charme eines alten Scillonian Cottage. Ein Kaufmann aus Manchester hatte sich dieses Heim auf der Insel vor Cornwalls Küste bauen lassen, um dem nordenglischen Wetter zu entfliehen. Später hatte das Anwesen mehrmals den Besitzer gewechselt, bis es vor Jahren ins Eigentum des englischen Thronfolgers übergegangen war. Seine Königliche Hoheit besaß mehrere Feriendomizile auf den Scilly Islands. Zu den zahlreichen Titeln des Prinzen gehörte auch jener des Lord of the Isles, was seine Verbindung zu den Scillys noch vertiefte. Wenn er persönlich anwesend war, hielt er sich meistens in der nördlichsten seiner Liegenschaften auf, Amaryllis House. Viele seiner Gäste wussten nicht einmal, dass ihre Miete auf dem Umweg über Janice' Ferienagentur in die Kasse des britischen Königshauses gespült wurde.
Die Chinesen, die zuletzt in Trevalso gehaust hatten, waren über den royalen Besitzer bestimmt nicht im Bilde gewesen, anders war der Grad an Vandalismus nicht zu erklären, den sie zurückgelassen hatten. Als Agneta das Haus betrat, befiel sie ein regelrechter Schock. Hatten diese Leute etwa auf dem Boden gegessen? Hatten sie ihre Abfälle einfach fallen lassen? Die undefinierbaren Flecken auf dem Teppich, die Schweinerei in der Küche, der Zustand der Toilette und die Schmierereien auf dem Spiegel – es schien den Chinesen egal gewesen zu sein, dass sie keinen Penny ihrer Kaution von Janice zurückbekommen würden.
»Wo fangen wir an?« Ratlos wandte sich Agneta an Suzie.
Suzie Pooth war ein Kind der Arbeit. In einer Labour-Familie aufgewachsen, hatte sie ihre Jugendjahre als Sekretärin eines Versicherungsvertreters in Gloucester verbracht und den um zwanzig Jahre älteren Mann aus Liebe geheiratet. Eine Lungenschwäche hatte Suzie gezwungen, in ein gesünderes Klima zu ziehen. Das Paar hatte ein Häuschen auf Tresco erworben, der zweitgrößten der Scilly-Inseln. Johnny, Suzies Mann, hatte beruflich in der neuen Umgebung nicht mehr Fuß fassen können und war gezwungen gewesen, vorzeitig in Ruhestand zu gehen. Tresco war ein teures Pflaster, die Pooths hätten ihr Haus wieder verkaufen müssen, aber Suzie gefiel es auf der Insel. Sie spuckte in die Hände und nahm eine Stelle im Old Inn an, wo sie am Tresen arbeitete und dem Wirt die Bücher führte. Im Gegensatz zum schicken New Inn auf der Westseite war das Old Inn eine Spelunke mit nikotingelben Tapeten und wackeligen Stühlen. Das Essen war nichts für schwache Mägen. Auf diese Weise abgehärtet, konnte Suzie ein verdrecktes Ferienhaus nicht abschrecken.
»Wo wir anfangen?« Gutgelaunt bündelte sie ihre Lockenpracht mit einem Haargummi. »Wir arbeiten uns von oben nach unten voran. Ich mache die Schlafzimmer, du bearbeitest die Flecken auf dem Teppich, ich nehme mir das Bad vor, du die Küche. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht schaffen.« Mit Staubsauger und Scheuerlappen bewaffnet, stieg Suzie in den ersten Stock.
Agneta kniete vor dem hässlichen Rotweinfleck nieder. So ein Fleck ging normalerweise nicht mehr heraus. Von Janice hatte Mikael gelernt, dass es chemische Mittel gab, die jedem Fleck beikamen, ohne Teppiche und Möbel in Mitleidenschaft zu ziehen. Agneta holte das Wundermittel aus Mikaels Box.
Zwei Stunden später waren beide Frauen erschöpft, verschwitzt, Suzie hatte die Packung Kekse fast aufgegessen, aber die Anstrengung hatte sich gelohnt. Kurz vor neun kam Janice' Wagen die Einfahrt herunter. Agneta schüttelte noch rasch den Fußabstreifer aus, arretierte die Ziervorhänge mit den Goldkordeln und legte das Kunstobst in die Schale. Als Janice eintrat, strahlte Trevalso jene Gediegenheit aus, die den astronomischen Preis einigermaßen rechtfertigte.
»Geschafft.« Agneta begrüßte Mikaels Arbeitgeberin.
»Man wird sehen. Guten Morgen, Suzie.«
»Morgen, Janice.« Suzie schob den letzten Keks in den Mund.
Agneta begleitete die Agenturchefin auf ihrem Kontrollgang durch das Haus. »Werden Sie die neuen Gäste abholen?«
»Nein, sie fahren selbst. Ich nehme an, sie sind schon unterwegs.« Janice betrat den sonnendurchfluteten Living Room.
Nur wenige Minuten später – Agneta freute sich noch über das Lob, das Janice ihr gespendet hatte – rollte ein Mittelklassewagen auf den gekiesten Parkplatz.
»Ich würde mir wünschen, Ihr Mann könnte genauso zupacken wie Sie.«
»Aber er bemüht sich doch«, antwortete Agneta.
»Mikael ist wohl in erster Linie Dichter«, schloss Janice die Inspektion versöhnlich, während die Feriengäste draußen aus dem Auto stiegen.
Ein letztes Mal ließ Agneta den Blick über die goldgelb bezogenen Möbel schweifen, über den Spiegel im Silberrahmen, die erlesenen Lampen und die reich gefüllte Bibliothek. Alles blitzte vor Sauberkeit, alles, bis auf Agneta selbst. Ihr T-Shirt war feucht und ausgebeult, die Latzhose voller Flecken, und von einer Frisur konnte man nicht mehr sprechen. Morgens hatte sie ihr blondes Haar nach hinten gesteckt, inzwischen stand es nach allen Seiten ab wie frische Kornähren. Agnetas leuchtend blaue Augen waren müde, die Lider schwer vom frühen Aufstehen und von der unerwarteten Arbeit. Sie brauchte dringend einen Kaffee. Gleich würde sie nach Hause fahren, duschen und sich hinlegen. Später wollte sie den Tag bei einem kräftigen Frühstück zum zweiten Mal beginnen und Mikael die große Neuigkeit überbringen.
Die Stimme des Mannes, den Janice draußen begrüßte, fuhr Agneta durch Mark und Bein. Nein, sie musste sich täuschen! Unmöglich, diese Stimme auf Tresco, dreißig Seemeilen vor dem englischen Mutterland, Tausende Kilometer entfernt von ihrer Heimat zu hören! Reflexhaft fuhr sich Agneta durch das Haar, strich das T-Shirt glatt und trat aus dem Haus.
Die vierköpfige Familie war damit beschäftigt, das Gepäck auszuladen. Wer auf den Inseln überhaupt Auto fuhr, vermied luxuriöse Fahrzeuge, denn die Straßen waren eng. Dieser Mann liebte normalerweise protzige Autos, das wusste Agneta. Gerade hob er drei Koffer aus dem Fond, während seine Frau den Blick über das Meer und die tropische Vegetation schweifen ließ. Die Frau hieß Darya, war Mitte dreißig und von auffälliger, ein wenig billiger Schönheit. Sie hatte ein perfekt geschminktes Gesicht. An ihren Bewegungen erkannte man ihr lebhaftes Temperament. Die beiden Kinder kamen nach der Mutter, ein Junge und ein Mädchen, sechs und vier Jahre alt.
Der Mann war in seinen Fünfzigern, ein attraktiver Mann mit stahlgrauem Haar, einem Wohlstandsbauch und den sinnlichen Zügen eines alternden Tigers. So wie Agneta dastand, in Latzhosen und T-Shirt, mit ihrem Kornfeld auf dem Kopf, entfuhr ihr ein kleiner Schrei, nicht etwa panisch oder aufgeregt, es klang eher belustigt.
»Was tust du denn hier?«, rief sie.
»Nej … det är en överraskning!«, sagte der Mann in klingendem Schwedisch, was so viel bedeutete wie: Na, das ist ja eine Überraschung.
Die Stimme dieses Mannes war verbunden mit einer zwölfjährigen Ehe, mit Hingabe, Leidenschaft und Kinderlosigkeit, mit einem lange gehegten Misstrauen, mit Verdrängen und Sich-selbst-Verleugnen, mit der jahrelangen verzweifelten Hoffnung, dass sich für sie und ihren Mann noch etwas ändern könnte, und schließlich mit der Einsicht, dass ihre Beziehung das Opfer der traurigsten aller Klischees wurde – Magnus betrog Agneta mit einer Jüngeren. Es war nicht sein erster Seitensprung gewesen, aber sein fatalster, weil er den Fehler beging, Darya wirklich zu lieben. Als Agnetas Ehe nach einem weiteren Jahr voller Lügen und Demütigungen geschieden wurde, war Darya gerade einundzwanzig geworden, Magnus sah ungelogen wie ihr Vater aus. Sie schenkte ihm bald darauf zwei Kinder, was Agnetas Niederlage noch schmerzlicher machte. So wie sie lebten Magnus und seine neue Familie in Stockholm. Vielleicht war das der tiefere Grund gewesen, weshalb Agneta die Chance, ihren Beruf in einem anderen Land auszuüben, sofort ergriffen hatte.
Viele Zwischenschritte waren dazu nötig gewesen, einer davon hieß Mikael. Der ängstliche, zarte Mensch, der Mühe hatte, im realen Leben seinen Platz zu finden, war Agnetas neue Liebe. Sie hatte ihn drei Jahre nach der Scheidung kennengelernt, etwa zur selben Zeit, als sie vor der Wahl stand, ihren unbefristeten Job im botanischen Institut Stockholm zu behalten oder das Angebot auf den Britischen Inseln anzunehmen.
Magnus und Mikael – hätte man die beiden Männer dem Tierreich zugeordnet, müsste man Magnus als genussfreudigen Büffel darstellen, während Mikael eher einem verhungernden Wolf in verschneiter Landschaft gleichkam. Trotz der Verletzlichkeit seines Gemüts besaß Mikael etwas von einem Wolf, der nur von seinem Instinkt geleitet wurde.
Magnus stand als EU-Anwalt solide im Leben und war zugleich ein großes Kind geblieben, frevelhaft, unberechenbar, liebenswert. Mikaels Wesen war durchdrungen von einem Idealismus, der Agneta manchmal Angst machte. In früheren Jahrhunderten hätte er Missionar werden können, ein Mann, der Eingeborene mit Feuer und Schwert zum wahren Glauben bekehrte. In Stockholm hatte Mikael neben dem Friedhof gewohnt. Von seinem Arbeitszimmer aus hatte er Sicht auf schwedische Kreuze mit ihren typischen sechs Querbalken gehabt. Aug in Aug mit dem Tod oder dem ewigen Frieden, hatte er seine Gedichte verfasst und manchmal Stunden und Tage auf der Suche nach dem einen stimmigen Wort, der einzig möglichen Formulierung verbracht. Mikael liebte die Schärfe und Schönheit der Sprache, wie nur Lyrik sie besaß, er verdammte die Vergeudung von Worten in der heutigen Welt, dieses nicht enden wollende Geplapper auf unserem Planeten. Mikael war zwei Jahre jünger als Agneta und hatte bisher erst zwei Lyrikbände veröffentlicht. Davon konnte kein Mensch leben. Daher war er gezwungen gewesen, sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen. Bald nachdem sie ein Paar geworden waren, hatte Agneta ihm den Vorschlag gemacht, sie auf eine Insel im Atlantik zu begleiten.
»Agneta?« Magnus ließ die Koffer sinken.
Wenn die Engländer sie bei ihrem Vornamen nannten, klang das scharf und kantig. Als Magnus ihren Namen aussprach, bekamen die harten Konsonanten etwas Schwingendes, als ob Musik darüber läge, als ob Agneta eine Meerjungfrau wäre, die ihr Leben zwischen den Gezeiten führte. Aus seinem Mund wurde der Name zu einer reizenden Lautmalerei.
»Du?«, flüsterte sie. »Du hast Trevalso gemietet?« Agneta versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen.
»Ach, so heißt die Hütte, Trevalso?« Magnus lachte das Magnuslachen, ein charmantes Lippenballett, bei dem seine makellosen Zähne zur Geltung kamen.
Agneta betrachtete den Mann, mit dem sie so viele Jahre verheiratet gewesen war. Er war sichtlich älter geworden, sein dichtes Haar ergraut, er hielt sich gebückt. Es war wohl kein Zuckerschlecken, mit einer um so viel jüngeren Frau zusammen zu sein und von zwei Kindern umsprungen zu werden.
»Trevalso Cottage ist unser Schmuckstück auf Tresco«, mischte sich Janice ein, die der Begegnung bisher schweigend zugesehen hatte.
»Schau nur, majmun, Palmen!« Eine Frauenstimme fügte dem Reigen fremder Akzente einen weiteren hinzu. »Hast du gewusst, dass in England Palmen wachsen?« Darya stammte aus Weißrussland, sie hatte pechschwarzes Haar und trug es als Ponyfrisur. Unterschiedlicher als die schlanke, sportliche Agneta und die aggressiv feminine Darya hätten zwei Frauentypen kaum sein können.
Der Zeitpunkt für die Aufklärung des überraschenden Aufeinanderprallens war gekommen.
»Du wirst es nicht glauben, mačka, aber vor dir steht meine Exfrau.« Mit ausladender Geste zeigte Magnus auf Agneta, als würde er ein Tier im Zoo präsentieren.
Die beiden Frauen waren einander noch nie begegnet. Zu Beginn war Agneta nicht daran interessiert gewesen, die Frau zu treffen, mit der Magnus seinen dritten Frühling erlebte, später hatte es sich nicht mehr zwanglos ergeben.
Darya kam um den Wagen gelaufen. »Das ist Agneta?«
Lächelnd beobachtete Magnus, wie die ehemalige und die aktuelle Frau Falkon einander die Hand schüttelten. Plötzlich runzelte er die Stirn. »Was machst du eigentlich hier, ich meine, hier in unserem Ferienhaus?«
Magnus hatte sich nie für die Umstände interessiert, die zu Agnetas großer Lebensveränderung geführt hatten. Er wusste nur, dass sie als Botanikerin in einem Landschaftspark eine Stelle gefunden hatte, auf einer Insel, irgendwo in der Nähe Englands.
»Ich habe hier im Haus … Ich habe …« Da ihr keine passende Antwort einfiel, geriet sie ins Stammeln.
»Agneta hat mir geholfen«, kam Janice ihr zu Hilfe. Die Agenturchefin mochte eine knallharte Geschäftsfrau sein, aber sie war auch eine feinfühlige Seele und hatte Augen im Kopf. Dort stand Agneta, zweiundvierzigjährig, verschwitzt, in Latzhose, mit einer unmöglichen Frisur. Ihr gegenüber lächelte die junge Darya, morgenschön, als ob sie gerade aus dem Kosmetiksalon käme. »Das war wirklich lieb von dir«, setzte Janice hinzu. »Danke.«
»Das ist deine Insel?«, hakte Magnus begriffsstutzig nach. »Hier lebst du also?«
»Schon seit ein paar Jahren, zusammen mit meinem Partner.«
»Da müssen wir uns unbedingt bald mal sehen.« Als Magnus Daryas protestierenden Blick bemerkte, korrigierte er sich. »Ich meine, man läuft sich bestimmt gelegentlich über den Weg.«
»Da mein Arbeitsplatz zu den touristischen Höhepunkten Trescos gehört, ist es durchaus wahrscheinlich, dass wir uns wieder begegnen«, lächelte Agneta.
Es war Darya anzumerken, dass ihr die Wendung, die der Urlaub zu nehmen drohte, missfiel. »Ein Arbeitsplatz?«
»Ich bin die leitende Botanikerin von Tresco Abbey Garden«, erklärte Agneta. »Unser Park ist weltberühmt. Wir beherbergen über zwanzigtausend Pflanzenarten aus achtzig Ländern.«
»So? Aha.« Darya suchte eine Möglichkeit, das Gespräch mit der Ex ihres Mannes zu beenden. »Liam, geh nicht zu nah an die Klippen«, rief sie, obwohl ihr Sohn bloß lustlos an der Böschung lümmelte. »Wer ist hungrig?« Mit diesem Ruf versammelte sie ihre Familie um sich.
Für einen Moment kam es Agneta in den Sinn, Magnus zu verraten, dass sie schwanger sei. Ein gemeinsames Kind hätte das Aus für ihre Ehe vielleicht verhindern können. Doch sie verwarf die Absicht sofort wieder. Es wäre der Gipfel der Indiskretion, wenn ihr Exmann die freudige Nachricht vor dem Vater des Kindes erfahren würde.
»Dann wünsche ich euch also wunderbare Ferien.« Sie deutete zu ihrem Boot. »Ich muss wieder. Wie lange bleibt ihr denn?«
»Drei Wochen«, antwortete Darya an der Stelle von Magnus.
»Drei volle Wochen?« Agnetas Reaktion fiel einigermaßen erschrocken aus. Es war Juni, die ideale Zeit auf Tresco. Die paradiesische Landschaft, die Ruhe abseits der Touristentreffpunkte – auf diesen Sommer mit Mikael hatte sie sich besonders gefreut. Und ausgerechnet in diesem Jahr musste Magnus seine Ferien hier verbringen.
»Ist das Ihr Boot?«, fragte der kleine Junge.
»Stimmt genau.«
»Kann ich mitfahren?« Liam trat zu Agneta und zupfte an ihrer Latzhose. Er hatte schwarzes Haar wie die Mutter, aber die hellen Augen seines Vaters.
»Ich glaube nicht, dass deine Eltern das erlauben.«
»Wir werden unser eigenes Boot mieten, Liam«, meinte Magnus. »Du willst doch Wasserskifahren lernen.« Der Vater legte den Arm um die Schultern des Kleinen. »Agnetas Boot ist nicht stark genug, um einen Wasserskifahrer zu ziehen.«
Janice öffnete die Eingangstür. »Ich zeige Ihnen jetzt das Haus. Ach herrje …«
Mit zwei Schritten stand auch Agneta in der Tür und erkannte den Grund für Janice' Ausruf. Suzie Pooth lag hingestreckt auf dem Sofa im Living Room und schlief. Selbst das helle Lachen Daryas, die der Anblick amüsierte, konnte die kleine runde Frau nicht wecken.
Tresco Abbey Garden war im neunzehnten Jahrhundert von Augustus Smith angelegt worden, einem philanthropischen Politiker, der die Scilly Islands vom Herzogtum Cornwall für 20 000 Pfund gepachtet und dort unter dem selbstgeschaffenen Titel Lord Proprietor regiert hatte. Obwohl Augustus nie verheiratet gewesen war, erfreute er sich einer Schar illegitimer Kinder, die er mit seinen Gärtnerinnen gezeugt hatte. Bis zum heutigen Tag hatten seine Nachkommen den Pachtvertrag für die Insel regelmäßig verlängert, weshalb der jüngste Spross der Dynastie immer noch hier lebte.
Als Augustus mit der Umwandlung in einen Park begonnen hatte, gab es auf Tresco keine Bäume, sie waren sämtlich für den Schiffsbau abgeholzt worden. Der Stechginster, der die Landschaft bedeckte, bot nicht genügend Schutz gegen den unausgesetzt wehenden Wind. Augustus hatte daher Windschutzwälle aus Eichen, Pappeln und Bergahorn errichten lassen, später kamen Zypressen und Kiefern dazu, die sich den Wetterbedingungen bestens anpassten. So gelang es ihm, das windige, den Boden ausdörrende Wetter in die Höhe zu lenken. Auf den oberen Terrassen pflanzte er australische und südafrikanische Gewächse an, die Trockenheit mochten. Die tiefer gelegenen Zonen boten die nötige Feuchtigkeit, um Pflanzen aus Südamerika und Neuseeland aufzunehmen. Der allmähliche Aufstieg in die Welt fremdländischer Blüten und Bäume begann mit Pinien, Palmen und baumhohen Farnen. Bambushaine fächerten das Sonnenlicht. Goldfasane spazierten durch Laubengänge, vorbei an Eukalyptus- und Pfefferbäumen, Agaven aus Mexiko, Natternköpfen von den Kanarischen Inseln und immergrünen Bromeliengewächsen aus Chile. Im geschützten mittleren Teil des Parks erhob sich die Ruine einer Benediktinerabtei aus dem zehnten Jahrhundert. Auf der obersten Terrasse wuchsen Zuckerbüsche mit grünen Spitzen, meterhohe Riesengänsedisteln und orangefarbene Strelitzien.
Agneta kannte jede Spezies bei ihrem lateinischen Namen; sie wusste, welchen Boden die Pflanzen brauchten und welchen Säuregehalt das Wasser haben musste, mit dem sie gegossen wurden. Tresco Abbey Garden stellte eine Wunderwelt für sich dar. Nirgendwo sonst in Cornwall oder auf den Inseln hätte diese Pflanzenvielfalt überleben können. Das Klima war durch den Golfstrom zwar gemäßigt, aber der Atlantik war immer noch ein strenger Zuchtmeister. Der Einfallsreichtum des Gründers hatte diesen Garten während der zweihundert Jahre immer reicher und vielfältiger werden lassen.
Agneta kam über die blaue Holzbrücke, die den Eingang des Parks darstellte, auf den Long Walk, die zentrale Hauptachse. Sie hatte die andere Brückenseite noch nicht erreicht, als sie Mikael sah. Es geschah nicht oft, dass er sich an ihren Arbeitsplatz verirrte, weil er sich von der überwältigenden Schönheit der Pflanzen bedrängt fühlte. Agneta verstand diese Haltung nicht – wo hätte man eine bessere dichterische Inspiration finden können als in der Natur? Mikael hatte ihr das Phänomen am Beispiel des exzentrischen Dichters Lord Byron erklärt, der auf üppigen Festivitäten nur Kartoffeln mit Essig gegessen hatte. Er wollte die Reinheit seines Gemüts nicht durch luxuriösen Genuss verderben.
»Ich suche dich schon die ganze Zeit«, rief Mikael ihr entgegen.
Kein guten Morgen, kein Erstaunen, wo sie den Vormittag über gewesen sei, Mikael schien nicht die geringste Erinnerung daran zu haben, dass er seine beruflichen Pflichten verpennt hatte.
»Als ich heimkam, warst du nicht mehr im Bett.« Agneta hatte sich umgezogen, sie trug ein himmelblaues Sommerkleid und einen alten Strohhut, der an mehreren Stellen Löcher hatte.
»Ich hatte einen Traum«, antwortete er. »Wieder mal so ein Angsttraum. Um ihn abzuschütteln, habe ich versucht, Verse daraus zu machen.«
»Du hast geschrieben?«, entgegnete sie erstaunt. »Ich war in deinem Schuppen, dort bist du nicht gewesen.«
»Ich habe mich mit dem Notizblock auf die Felsen gesetzt.«
Sie standen einander gegenüber. Hier die hübsche Agneta in freundlichen schwedischen Farben, blau das Kleid, gelb der Hut, goldgelb ihr Haar, dort der düstere Dichter, sein Haar war strähnig, fiel ihm in die Stirn und verdeckte das rechte Auge. Er hatte sich rasiert. Das war ungewöhnlich, morgens rasierte sich Mikael nie, die Körperpflege kam bei ihm erst am Nachmittag, wenn die dichterische Arbeit getan war und er das Königreich in seinem Kopf verließ. Er trug Cordhosen und ein weißes Hemd mit rotem Halstuch.
»Du hast im Freien gearbeitet?«
Mikael liebte die Dämmerung, das Zwielicht, jenen Zustand der Welt, der keinen klaren Blick auf die Dinge erlaubte. Er arbeitete bei abgedunkelten Fenstern im Schein der alten Lampe, die er aus Stockholm mitgenommen hatte.
»Der Tag war so schön«, antwortete er.
»Jeder Tag auf Tresco ist schön. Trotzdem benimmst du dich normalerweise wie ein Vampir, der die Sonne fürchtet, besonders wenn du …«
»Wenn ich ein Gläschen zu viel getrunken habe.«
»Oder zwei oder drei.«
Mikael schämte sich nicht für seine Neigung. Er behauptete, dass er niemals Alkoholiker werden könne, da er sein Gehirn, das er für seinen makellosesten Körperteil hielt, nicht durch Trunksucht beeinträchtigen wollte. »Wo warst du heute Morgen?«
»Ich habe deinen Job gemacht«, antwortete sie ohne Vorwurf.
Noch war seine Miene arglos. »Meinen Job?« Plötzlich fasste er sich an die Stirn. »Ach herrje! Ist heute Samstag?«
»Mehr Samstag als heute geht gar nicht.«
»Und ich habe mich noch gewundert, wieso unser Boot weg war.« Impulsiv nahm er Agnetas Hände. »Verdammt noch mal! O Gott, wie hast du das nur allein geschafft? Hat Janice dir geholfen?«
»Nein, Suzie war so nett.«
»Liebling, das tut mir so leid.«
»Du hast wirklich vergessen, dass Trevalso heute mit Putzen dran war?«
»Sonst hätte ich mich doch nicht ans Meer gesetzt und geschrieben.«
Agneta betrachtete ihren verschusselten Mann. Eigentlich hätte sie ihm von dem verrückten Zufall erzählen müssen, dass sie vorhin das Ferienhaus ihres Exmannes sauber gemacht hatte. Doch es gab wichtigere Dinge zu besprechen, viel wichtigere Dinge.
»War Janice sauer?«, fragte er kleinlaut. »Schmeißt sie mich jetzt raus?«
»Anfangs war sie wütend. Aber als alles gutgegangen war, hat sie sich rasch beruhigt.« Agneta holte tief Luft. »Mikael, wir werden ein Kind haben.«
»Ein Kind?« Überrascht trat er einen Schritt zurück. »Wie soll das denn gehen?«
Ein zartes Lachen. »Auf die einfachste und natürlichste Weise.«
Agneta hatte nie wahrhaben wollen, dass sie eine dieser kinderlosen alternden Frauen werden sollte, die behaupteten, dass sie lieber ihre Freiheit genossen. Sie wollte eine Frau sein, mit einem Mann und einem Kind, und wie es aussah, würde dieser Wunsch nun in Erfüllung gehen. Sie hatte keine Freudensprünge von Mikael erwartet, aber wenigstens eine Gratulation, eine Umarmung. Von allen möglichen Reaktionen war Agneta auf das, was nun kam, am wenigsten gefasst.
»Muss das ausgerechnet hier sein?«, sagte er.
»Was hast du denn am Hier auszusetzen?«
»Wir sind nicht zu Hause. Wir sind nicht in Schweden.«
Agneta zeigte auf die tropische Vegetation. »Das ist jetzt unser Zuhause.«
»Nicht für mich. Mein Kind soll in Schweden zur Welt kommen. Es soll in der Heimat aufwachsen.«
»Ich kann mir keinen schöneren Ort vorstellen, um ein Baby zu kriegen«, entgegnete sie verblüfft.
»Ich werde bestimmt nicht ewig hierbleiben.«
»Mein Vertrag läuft in drei Jahren aus, auch ich werde wohl nicht für immer auf den Scillys bleiben. Aber was danach kommt, kann keiner von uns wissen. Was hätte das Kind davon, in Schweden geboren zu werden? Sechs Monate im Jahr wird es nicht richtig hell, die restliche Zeit wird man halb verrückt, weil die Sonne nicht untergeht. Meistens ist es kalt, viel zu kalt, wenn man Pech hat, schneit es noch im Mai.«
»Man kann bei uns Ski fahren.«
Der Widersinn seiner Worte ließ Agneta ein ungläubiges Lachen ausstoßen. »Stimmt, Skifahren ist auf Tresco allerdings schwierig. Glaubst du, dass wir das einem Neugeborenen zumuten können?« Ihre Verblüffung war nicht mehr zu steigern. »Du willst, dass ich in Schweden gebären soll, nur damit du Ski fahren kannst? Freust du dich denn nicht, dass wir ein Baby haben werden? Ein kleines Wesen, das ein bisschen wie du aussieht und ein bisschen wie ich, eine Fortsetzung von uns beiden, ein Blick in die Zukunft. Unser ganzes Leben wird sich ändern. Ist es da nicht egal, ob wir hier leben oder in Stockholm?«
Manchmal, an Wintertagen, beobachtete Agneta Mikael, wenn er mit dem Feldstecher ans Meer lief, wo er den Vögeln nachschaute und sich vorstellte, wie es wäre, mit ihnen in die Heimat zu fliegen. Mikael genoss das Leben mit Agneta, doch auch wenn er sich an die Scillys gewöhnt hatte, war er doch ein eingefleischter Schwede geblieben. Die Zugvögel halfen ihm, sein Heimweh zu ertragen. Dass diese Vögel nicht nach Norden, sondern in den Süden aufbrachen, störte ihn bei seinen Fantasien nicht.
»Hast ja recht«, sagte er in plötzlich verändertem Ton. »Du hast absolut recht. Ich bin ein gestörter, gebeutelter Mensch und verdiene dich gar nicht.« Er wollte Agneta umarmen, aber sie sperrte sich.
»Dann freust du dich also auch ein bisschen darüber?«
»Natürlich freue ich mich.« Er zog sie an sich.
»Du bist mir schon ein komischer Heiliger«, murmelte sie an seine Brust gelehnt.
»Ich bin bloß ein erfolgloser Dichter, der gar nicht mehr gewöhnt ist, dass es noch Freude in seinem Leben gibt. Und du bist mein Mädchen, meine wunderbare Frau.« Er küsste sie.
»Ich bin ein ziemlich betagtes Mädchen, darum habe ich auch Bammel, ob mit der Schwangerschaft alles gutgehen wird.«
»Seit wann weißt du es? Ist es schon sicher? Bist du nach der zwölften Woche?«
Sie erzählte ihm, wie sie zum ersten Mal den Verdacht gehabt hatte, darauf nach St. Mary's übergesetzt und zu Dr. Garrison gegangen war, der ihr die freudige Neuigkeit bestätigt hatte. Sicherheitshalber war sie auch noch auf dem Festland im Krankenhaus von Penzance gewesen.