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Wenn die wahre Liebe zwei Schicksale vereint …
Der mitreißende und bewegende Liebesroman vor der traumhaften Kulisse Italiens
Nella ist ohne die Liebe ihrer Mutter aufgewachsen. Für sie war kein Platz im Leben der erfolgsverwöhnten Frau, die das kleine Mädchen für ihre zerstörte Karriere verantwortlich machte. Der verzweifelte Wunsch, aufrichtig geliebt zu werden, zieht sich bis in Nellas Erwachsenenalter. Als sie bei einer Veranstaltung auf dem Weingut, für das sie arbeitet, dem gutaussehenden Fotografen und Autor Leander Clasen in die Arme läuft, scheint der Moment endlich gekommen zu sein. Denn für beide ist es Liebe auf den ersten Blick und Leander krempelt sogar sein Leben für Nella um und zieht zu ihr nach Italien. Doch schon bald wird ihr junges Glück überschattet und die Liebe auf eine harte Probe gestellt …
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Sommerhimmel über Rom.
Erste Leser:innenstimmen
„Macht Lust auf ein Leben auf dem Weingut und vor allem auf die Liebe.“
„Wunderschöne Urlaubslektüre zum Wegträumen und Versinken.“
„Gabriele Ketterl bietet die perfekte Mischung aus Drama, Tiefgang und Liebesgeschichte!“
„Berührender Liebesroman, den ich kaum noch weglegen konnte.“
„Eine romantische, schöne und authentische Geschichte – klare Empfehlung!“
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Seitenzahl: 554
Nella ist ohne die Liebe ihrer Mutter aufgewachsen. Für sie war kein Platz im Leben der erfolgsverwöhnten Frau, die das kleine Mädchen für ihre zerstörte Karriere verantwortlich machte. Der verzweifelte Wunsch, aufrichtig geliebt zu werden, zieht sich bis in Nellas Erwachsenenalter. Als sie bei einer Veranstaltung auf dem Weingut, für das sie arbeitet, dem gutaussehenden Fotografen und Autor Leander Clasen in die Arme läuft, scheint der Moment endlich gekommen zu sein. Denn für beide ist es Liebe auf den ersten Blick und Leander krempelt sogar sein Leben für Nella um und zieht zu ihr nach Italien. Doch schon bald wird ihr junges Glück überschattet und die Liebe auf eine harte Probe gestellt …
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Sommerhimmel über Rom.
Erstausgabe August 2023
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98637-755-7 Hörbuch-ISBN: 978-8-72683-912-8 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-316-0
Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Chansom Pantip, © Massimo Santir, © bluefish_ds stock.adobe.com: © shreddhead, © Unclesam, © yakovlevadaria, © Fran, © Creative Station, © 赵天旭/Wirestock Creators elements.envato.com: © PixelSquid360 Lektorat: SL Lektorat
E-Book-Version 12.06.2024, 16:30:32.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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„Man will nicht nur glücklich sein, sondern glücklicher als die anderen.
Und das ist deshalb so schwer, weil wir die anderen für glücklicher halten, als sie sind.“
Charles-Louis de Montesquieu
Für meinen wundervollen Vater.
Du bist viel zu früh gegangen und hast in jeder Minute gefehlt!
„… Der Prinz rief die Götter des Nordens an, bat inständig darum, ihm und vor allem seiner Frau zu helfen. Mehrmals drohten ihm in der eisigen Nacht die Sinne zu schwinden, doch er nahm seine letzte Kraft zusammen und flehte um ihr Erbarmen mit ihm und seiner Frau, die die lange, für sie ungewohnte Dunkelheit nicht mehr zu ertragen vermochte. Schon glaubte er, seine Bemühungen wären vergebens, die Götter wären in ihren Eispalästen taub für seine Bitten, da erschien in der Ferne ein Licht. Es wurde beständig heller, schlängelte sich über den Himmel, kam langsam auf ihn zu. In allen möglichen Blau- und Grüntönen schimmerte dieses Gebilde. Es sah fast aus wie eine wunderschöne, leuchtende Straße, die vom Himmel auf die Erde führte. Auf diesem Licht kam zunächst schemenhaft, aber fortwährend deutlicher eine irisierende Gestalt auf ihn zu. Langes, silbernes Haar, ein weißes Kleid, das einen schlanken Körper umfloss, und ein bildschönes Gesicht, aus dem eisblaue Augen funkelten. Direkt vor ihm hielt die Erscheinung inne, beugte sich zu ihm und berührte mit eisiger Hand seine nicht minder kalte Wange.„Ich habe deine Bitte gehört und werde dir helfen. Ich, die Göttin des Nordens, schenke euch heute das Nordlicht. Dieses Licht wird der Prinzessin dabei helfen, auf kürzestem Wege in ihre Heimat zu gelangen. Das Nordlicht wird sie in den Süden führen, es soll eure Nächte erhellen und euch alle erfreuen. Aber ich habe auch Bedingungen. Ich hörte von den herrlichen Blumen des Südens. Sag deiner Gemahlin, dass sie mir von ihrer Reise auf dem Nordlicht Blumen mitbringen möge. Viele Blumen, unterschiedliche Blumen. Du aber, Prinz des Nordens, wirst mir einen Eistempel bauen lassen, der meiner würdig ist. Dorthin bringst du mir die Blumen des Südens. Wenn ihr meine Wünsche erfüllt, werdet ihr meines Dankes gewiss sein.“ Ihr wolltet schon immer wissen, woher das Nordlicht kommt? Nellas Kinderfrau Emma hat das Märchen vom Nordlicht ersonnen, um ihren Schützling zu trösten, um dem kleinen Mädchen Mut zu machen und ihm Sicherheit zu geben. Nella muss ohne die Liebe ihrer Eltern aufwachsen. Die Liebe von Eltern zu ihrem Kind. Eigentlich die natürlichste Sache der Welt. Eigentlich! Wie soll man die Welt verstehen? Wie soll man Vertrauen aufbauen, wenn man es selbst nicht erfährt? Dieses Buch zeigt, dass man mit sehr viel Mut, mit dem Willen, alle Unwägbarkeiten des Lebens zu überwinden, sein Glück finden und festhalten kann. Menschen in dieser Situation reagieren anders als andere. Oft ernten sie Verständnislosigkeit, gelten als egoistisch, als unflexibel. Mit ein klein wenig Einfühlungsvermögen, mit einem vorsichtigen Blick hinter die Kulissen des Lebens des anderen, kann man sehr wohl verstehen. Und man lernt Unverständnis Schritt für Schritt in Bewunderung zu verwandeln. Das „Anderssein“ verstehen und die Hintergründe zu ergründen, hilft sowohl den Betroffenen wie auch den Hinterfragenden. So auch in diesem Roman, der Mut machen soll, der unterhalten soll und zeigen, dass man – so man es denn will – alles erreichen kann. Jeder verdient es geliebt zu werden!
Mailand, März 1969
„Niemals wieder, hören Sie mich, niemals! Ich will diese Frau nie wieder auf meiner Bühne sehen. Nur über meine Leiche. Haben Sie das verstanden?“
Franca nickte, sah sich dennoch bemüßigt, ihren Kommentar auch zu artikulieren. „Das habe ich, Salvatore. Laut und deutlich.“
Wenn sich Salvatore Grecco, Intendant der Mailänder Scala, aufregte, dann richtig. Der temperamentvolle Neapolitaner war berühmt-berüchtigt für seine Wutausbrüche. Heute konnte sie ihm nicht einmal böse sein, denn ganz unrecht hatte er ja leider nicht. Seufzend hielt Franca den Telefonhörer etwas weiter weg von ihrem leidgeprüften Ohr. „Ich höre jedes Wort, Salvatore. Selbst wenn Sie es nicht glauben, ich verstehe Sie sogar, zumindest ein wenig.“
„Ach, ein wenig. Dass ich nicht lache. Ich habe schon viele kommen und gehen sehen. Größen der Opern- und Ballettwelt. Sie kennen mich, Franca, ich bin ein gerechter Mensch. Ab und an vielleicht ein bisschen impulsiv, manch einer mag es emotional nennen, aber immer gerecht. Das, was sich diese Frau in der letzten Zeit herausnimmt, setzt allem, was ich erlebt habe, die Krone auf.“
Franca drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus und konnte sich gerade noch davon abhalten, sofort eine neue anzustecken. „Lassen Sie uns ehrlich sein, lieber Salvatore, so ganz unschuldig waren Sie auch nicht daran, dass sich alles so hochgeschaukelt hat, nicht wahr? Wie haben Sie Marie gleich wieder genannt?“
Ein leises, höchst ungehaltenes Schnauben drang aus dem Hörer. „Ich habe sie als das bezeichnet, was sie nun einmal ist, eine überkandidelte, sich selbst fortwährend überschätzende Hupfdohle.“
Franca war dem Himmel dankbar, dass niemand ihr Lächeln sehen konnte. Sie hätte tatsächlich wer weiß was darum gegeben, wenn sie bei diesem Gespräch Mäuschen hätte spielen dürfen. Noch mehr allerdings dafür, Maries oder vielmehr Antonias Gesicht nach dieser Betitelung zu sehen. Das jedoch würde nie jemand erfahren, auch Salvatore nicht. „Die derzeit beste Primaballerina der Welt eine Hupfdohle zu nennen, mag dann doch etwas gewagt sein, finden Sie nicht, lieber Maestro?“
Das nun lautere Schnauben am anderen Ende der Leitung zeigte klar und deutlich, dass Grecco völlig anderer Meinung war. „Franca, wir kennen uns jetzt schon … wie lange genau? Zwanzig Jahre, wenn ich mich nicht täusche. In all der Zeit ist mir niemand untergekommen, dem sein Ruhm in solchem Maße zu Kopf gestiegen ist wie Marie. Ja, sie ist gut und ich gestehe gerne ein, dass sie – noch – ein Publikumsmagnet ist. Aber lesen Sie sich bitte einmal die letzten Berichte in den einschlägigen Gazetten durch. Ich bin nicht der Einzige, den sie fortwährend an den Rand des Wahnsinns treibt. Sie wissen, wie sehr ich Ihr Urteil schätze und die Zusammenarbeit mit Ihnen. Dieses Mal aber bleibe ich unerbittlich. In der Juni-Aufführung anlässlich der Festspiele wird Marie Celeste nicht dabei sein. Basta, ich sehe es nicht ein, mir von ihr auf der Nase herumtanzen zu lassen. Irgendjemand muss ein Exempel statuieren. Scusa, ma non!“
Franca wusste, wann sie verloren hatte. Es wäre unklug, einen der wichtigsten Partner in der Theaterbranche zu verprellen, vor allem in puncto zukünftige Engagements. „Gut, Salvatore, ich gestehe ein, dass ich sehr traurig über diese Entscheidung bin, werde sie aber selbstverständlich akzeptieren. Ich hoffe, dass diese unerfreuliche Episode unsere zukünftige Zusammenarbeit nicht beeinträchtigen wird.“
Salvatores Lachen klang echt und herzlich. „Ach, Franca, Sie wissen doch, dass ich ohne Sie oft genug verloren gewesen wäre. Sie sind die beste Agentin, die ich kenne, auch wenn ich mich wirklich frage, warum Sie sich nicht endlich dieses undankbare Frauenzimmer vom Hals schaffen.“
Sie wechselte den Hörer in die andere Hand und griff nach ihrer Kaffeetasse. „Das hat etwas mit meinem Gewissen zu tun und damit, dass ich niemanden so leichtfertig fallen lasse. So etwas liegt mir einfach nicht, mag es auch noch so nervenaufreibend sein. Salvatore, ich freue mich auf unser nächstes Treffen.“
Franca legte den Hörer auf die Gabel und lehnte sich seufzend in ihrem wuchtigen Ledersessel zurück. Es war ein warmer Frühlingstag in Mailand und die Sonne drang durch die halbgeschlossenen Fensterläden. Nachdenklich betrachtete sie die Lichtstrahlen, in denen winzige Staubpartikel einen gemächlichen Tanz aufführten. Salvatore mochte richtig liegen, es wäre ihr ein Leichtes, Maries Vertrag zu beenden, sie ihrem selbstverschuldeten Schicksal zu überlassen. Aber dazu war sie einfach nicht fähig. Zu frisch war nach all den Jahren noch immer die Erinnerung an den Tag, an dem sie in dem kleinen Ort Borgonuovo, eine kurze Wegstrecke außerhalb Bolognas, ihren Wagen an der Tanzschule ihrer Freundin Serafina geparkt hatte.
„Du musst dir dieses Mädchen ansehen, sie ist einfach unglaublich. Sie tanzt wie eine Göttin.“
Serafina tendierte gelegentlich zu Übertreibungen, und so war Franca auf alles Mögliche gefasst gewesen. Nicht aber auf die siebzehn Jahre alte Antonia, die, den Kopf schüchtern gesenkt, den altehrwürdigen Tanzsaal betrat. Das große, sehr schlanke Mädchen mit den dunklen Katzenaugen und den langen, schwarzen Haaren war tatsächlich ein wahres Tanzwunder. Franca war nicht leicht zu beeindrucken, Antonia aber war es von der ersten Sekunde an gelungen. Sie bewegte sich mit einer Grazie, tanzte mit einer Hingabe und Leichtigkeit, die Franca noch nie zuvor erlebt hatte, und sie hatte einiges erlebt. Noch am selben Tag begleitete sie Antonia zu ihrem Elternhaus und sprach mit ihren Eltern. Binnen zwei Stunden war alles besiegelt und Antonias Vater unterzeichnete einen Vorvertag, der es Franca ermöglichte, das junge Mädchen unter ihre Fittiche zu nehmen. Die Freude in Antonias Augen zu sehen, war für Franca ein Ansporn, deren Träume schnellstmöglich wahr werden zu lassen. Schon eine Woche später zog Antonia vom beschaulichen Dorf in eine Künstlerpension im quirligen Mailand. Franca hatte ein wachsames Auge auf das Mädchen und Antonia enttäuschte sie nicht. Mit ihrer natürlichen Begabung und viel Fleiß arbeitete sie sich beständig nach oben. Auf kleine Tanzrollen folgten schon bald größere Parts und Franca achtete mit Argusaugen darauf, dass Antonia den hohen Ansprüchen, die Franca in ihrer Agentur nun einmal hatte, gerecht wurde. Es gelang ihr mit Bravour.
All das war vor elf Jahren gewesen. Aus Antonia Corella wurde Marie Celeste, und sie erklomm die Erfolgsleiter beinahe schon spielerisch. Engagements an der Mailänder Scala waren ebenso selbstverständlich wie an der New Yorker Met oder in Wien, London und Paris. Neun Jahre lang waren sie ein eingespieltes und sehr erfolgreiches Gespann gewesen. Sicherlich, Maries steigende Ansprüche waren auch Franca aufgefallen, aber als Star der Ballettszene durfte sie durchaus etwas kapriziös sein. Der Wandel, der in den vergangenen zwei Jahren mit ihr vor sich gegangen war, war hingegen besorgniserregend. Ausgerechnet in einer Zeit, in der Jüngere nachdrängten, hungrig nach ersten Erfolgen wie einst Marie, biegsam und anpassungsfähig, stieß Marie so ziemlich jeden vor den Kopf, der ihr in die Quere kam. Franca kam seither aus den Entschuldigungen für ihren Star und deren Höhenflüge kaum mehr heraus. Marie war jedoch nicht nur hart gegen andere, sondern vor allem gegen sich selbst. Sie setzte stets Perfektion voraus und forderte dies auch von ihrem Umfeld. Allein aus diesem Grund hielt ihr Franca immer und immer wieder den Rücken frei und räumte Missverständnisse diplomatisch aus.
So auch heute wieder. Ausgerechnet Salvatore Grecco, der heißblütige Intendant, war Maries auserkorener Lieblingsfeind. Wie kurzsichtig das doch war. Franca erhob sich stöhnend aus ihrem eleganten Sessel. Sie warf einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster und betrachtete den quirligen Verkehr in der Mailänder Innenstadt. Irgendwie hatte Salvatore recht. Sie wurde schließlich nicht jünger und ihre Geduld mit Marie begann zu schwinden. Es gab andere, die ihren Platz einnehmen konnten, und doch wusste sie nur zu gut, dass sie beispielsweise dieses noble Büro zu einem guten Teil Marie verdankte. In ihre Gedanken versunken, trat sie vor den edlen, in einen antiken Holzrahmen gefassten Spiegel, der ihr vor wenigen Wochen auf einem Trödelmarkt ins Auge gestochen war. Da stand sie nun, Franca di Loreto, Inhaberin der Agentur Di Loreto, ein großer Name in der Branche, ein Name, der für Qualität bürgte. Mochte auch die Fünfzig am Horizont stehen, so waren ihr bis dahin noch vier Jahre vergönnt, und sie hatte sich ihre jugendliche, wohltrainierte Figur bewahrt. Ihr selbst war es nicht möglich gewesen, auf den Bühnen der Welt zu tanzen, auch wenn sie durchaus die Voraussetzungen dafür mitgebracht hatte. Es lag seinerzeit nicht am Talent, sondern schlicht am fehlenden Geld. Was ihr verwehrt geblieben war, das ermöglichte sie nun anderen. Jungen, ehrgeizigen Tänzerinnen und Tänzern, so wie Marie es gewesen war. Es tat ihr in der Seele weh, dass Marie nun ihren makellosen Ruf durch diese Starallüren aufs Spiel setzte. Franca streckte sich und strich den Rock ihres eleganten, dunkelroten Kostüms glatt. Andererseits, wo wäre Antonia Corella heute, hätte sie sie nicht in dieser Tanzschule ausfindig gemacht?
Es war müßig, darüber nachzusinnen. Zum einen musste sie Marie Greccos Entscheidung mitteilen, zum anderen wusste Franca genau, dass sie ihren Star nie und nimmer von heute auf morgen auf die Straße setzen konnte. Das brächte sie nach all den Jahren schlicht nicht übers Herz.
Sie nahm ihre Tasse vom Schreibtisch, durchquerte ihr geräumiges Büro und öffnete die Tür. Sofort schossen drei Köpfe in die Höhe.
„Franca, was können wir für Sie tun?“
Es ging doch nichts über motivierte Mitarbeiter. Lächelnd stellte sie ihre Tasse auf dem Schreibtisch direkt vor sich ab.
„Zwei Dinge, bitte: frischen Kaffee, und zwar stark, denn sonst bin ich nicht für Teil zwei gerüstet.“
Pia, ihre langjährige rechte Hand, lächelte wissend. „Das Telefonat mit Marie Celeste?“
„Himmel, woher wissen Sie das alle schon wieder? Aber ja, ich muss sie anrufen. Sobald ich meinen Kaffee habe, verbinden Sie mich bitte mit ihr. Sie müsste planmäßig in London gelandet sein und sollte in diesen Minuten im Savoy eintreffen.“
Pia erhob sich und eilte in Richtung Küche.
„Pia, Sie müssen sich eigentlich nicht allzu sehr beeilen. Es ist ja nun nicht so, dass ich dieses Gespräch kaum mehr erwarten kann.“
London, 1969
Müde lehnte sie ihren Kopf an das weiche Polster. Die Limousine, mit der man sie am Flughafen abgeholt hatte, war, ihren Ansprüchen entsprechend, bequem und mit allem Luxus ausgestattet. Hier in London wusste man mit wahren Stars umzugehen. Sie war sich darüber im Klaren, dass man ihr unterstellte, so etwas nicht genügend zu honorieren. Eine rundweg falsche Annahme. Noch heute freute sie sich über kleine Beweise der Wertschätzung. Derartige Unterstellungen verärgerten sie, denn schließlich war ihr Erfolg hart erarbeitet.
„Marie, möchten Sie, dass ich nach dem Besuch des Theaters ein Essen im Hotel arrangiere oder möchten Sie die Einladung des Intendanten annehmen und mit ihm und dem Regisseur zu Abend essen?“ Nicolos Blick ruhte fragend auf ihrem Gesicht, von dem er derzeit kaum allzu viel sah.
Seufzend nahm sie ihre große Sonnenbrille ab und schob das seidene Tuch, das sie sich um ihr Haar geschlungen hatte, etwas zurück. Ihr fleißiger und einfühlsamer Sekretär verdiente eine vernünftige Antwort und dass sie ihn dabei anblickte.
„Ein Essen im Hotel würde ich bevorzugen.“
„Es wäre diplomatischer, die Einladung von Sir Jacob anzunehmen.“ Sie konnte sein unsicheres Zögern gut deuten, lediglich weigerte sie sich, es auf sich zu beziehen. Nachdem er einmal tief Luft geholt hatte, fuhr Nicolo fort. „Bitte missverstehen Sie mich jetzt nicht, Marie, aber nach den letzten Schlagzeilen in der Presse wäre dieser Termin, bei dem Reporter und Fotografen anwesend sein werden, durchaus anzuraten.“
Sie rümpfte die Nase. „Anzuraten. Nicolo, ich bin doch keine Furie, die es dringend nötig hat, ihren Ruf wieder aufzupolieren.“
Ihr junger Sekretär schwieg einen Hauch zu lange und fuhr sich nervös durch den schwarzen Lockenschopf. „Um der Wahrheit Genüge zu tun: Es könnte nicht schaden, wenn Sie heute Abend lächelnd an der Seite der beiden Macher des Ballettabends erscheinen. Wenn wir möchten, dass London uns weiter gewogen bleibt, sollten wir mögliche Problempunkte beizeiten ausräumen.“
Marie zog sich die cremefarbenen Lederhandschuhe von den Händen und strich eine Strähne ihres langen, schwarzen Haares, die sich aus dem strengen Dutt am Hinterkopf gelöst hatte, wieder unter das Tuch. „Sollten wir das? Lass mich aufrichtig sein. Mir erschließt sich nicht, warum ich andauernd Zugeständnisse an andere machen soll.“ Sie bemerkte, dass Nicolo verzweifelt nach Worten suchte, und erlöste ihn. „Schon gut. Bitte, organisiere das Essen mit den beiden Herren. Ich möchte aber vor Mitternacht wieder im Hotel zu sein. Morgen stehen anstrengende Proben auf dem Programm.“ Seufzend setzte sie ihre Sonnenbrille wieder auf.
Nicolo nickte erleichtert. „Natürlich, Marie. Ich werde Sie um elf Uhr mit der Limousine abholen, ist das in Ihrem Sinne?“
„Ja, damit werde ich wohl leben können.“ Ihr Blick wanderte hinaus in den dichten Berufsverkehr Londons. Wie konnte man sich nur daran gewöhnen, auf der falschen Straßenseite zu fahren? Aber bitte, solange sie sich nicht damit herumquälen musste. Marie streckte sich in dem weichen Lederpolster, eine kleine Bewegung nur, und dennoch schoss der Schmerz ihr in Hüfte und Knöchel. Es fiel ihr zunehmend schwer, solche Schmerzattacken vor Nicolo zu verbergen. Er war einfach zu oft an ihrer Seite, kannte sie langsam zu gut.
„Marie, ist Ihnen nicht wohl? Haben Sie Kopfschmerzen von der Reise?“
Dankbar betrat sie die ihr von ihm gebaute Brücke. „Ja, schon seit der Landung in Heathrow. Hast du meine Tabletten zufällig griffbereit?“
Bedauernd schüttelte ihr Sekretär den Kopf. „Leider nein, aber sobald wir im Hotel sind, kümmere ich mich sofort.“
Dem Himmel sei Dank erreichten sie in diesem Augenblick die nicht sehr glamouröse Auffahrt des Luxushotels. Die Limousine stoppte äußerst sanft. Marie liebte Rolls-Royce!
Die Tür zum Fond des Wagens wurde geöffnet, und nachdem Nicolo ins Freie geklettert war, streckte sich ihr eine behandschuhte Hand entgegen.
„Madame, willkommen im Savoy. Bitte lassen Sie mich Ihnen behilflich sein.“
Die Begrüßung wiederholte sich in der großzügigen, eleganten Hotellobby. Der Empfangschef verbeugte sich leicht. „Madame Celeste, es ist uns eine große Ehre, Sie heute wieder im Savoy begrüßen zu dürfen.“
Sie reichte ihm ihre Rechte. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Ich pflege die Aufenthalte in Ihrem Haus sehr zu genießen.“
„Stets zu Ihren Diensten, Madame. Sie haben auch dieses Mal die Savoy Suite, und ich hoffe, alles ist zu Ihrer Zufriedenheit vorbereitet.“
Sie lächelte erfreut, offenbar hatte sie hier keinen allzu schlechten Eindruck hinterlassen. Während Nicolo die Formalitäten erledigte, nahm sie ihre Sonnenbrille ab und ließ den Blick durch die edle Halle schweifen. Ja, hier konnte man sich wohlfühlen. Luxus mit Stil und Charme, eine Kombination, die in Hotels dieser Klasse nicht immer gegeben war. Maries Blick fiel auf einen schönen, alten Holzaufsteller, in dem ein Plakat eingespannt war. Neugierig trat sie näher. Beim Anblick des Gesichtes, das ihr ernst und gemessen entgegenblickte, tat ihr Herz einen Hüpfer. Frederico! Das Plakat kündigte eine Sonderaufführung der Oper Rigoletto im Royal Opera House an. In der Titelrolle des Rigoletto: Frederico Alisi. Erfreut sog Marie den Anblick in sich auf. Frederico war eine wahre Augenweide. Als sie vor einigen Jahren das erste Mal sein Gesicht auf einem Plakat erblickt hatte, glaubte sie zuerst, den jungen Robert Taylor vor sich zu haben, so ähnlich waren sich der Tenor und der schöne Hollywoodstar. Wie stolz war sie gewesen, als Frederico sie das erste Mal wahrnahm und ihr Blumen schickte. „Sie tanzen wie eine Göttin.“
Welch ein Lob aus seinem Mund. Vor einigen Wochen hatte er sie in Rom zum Lunch eingeladen, ehe er nach New York fliegen musste. Wie sehr hatte sie seine Gegenwart und auch das Blitzlichtgewitter der sich vor dem Restaurant drängelnden Fotografen genossen. Nicht, dass sie öffentliche Aufmerksamkeit nicht gewohnt gewesen wäre, die schiere Masse an Paparazzi allerdings, hatte sogar sie nachhaltig beeindruckt. Und nun war er auch hier in London, welch ausgesprochen schöner Zufall.
„Marie! Telefon für Sie.“
Verärgert, aus ihren schönen Träumen gerissen zu werden, wandte sie sich Nicolo zu. „Muss das sein? Kannst du das bitte übernehmen?“
Der Empfangschef hinter dem Tresen machte ein trauriges Gesicht. „Madame Celeste, ich bedauere. Die Dame wünscht explizit, mit Ihnen zu sprechen. Franca di Loreto, Ihre Agentin. Darf ich verbinden?“
Hier blieb ihr keine Wahl. Franca abzuwimmeln kam nicht infrage. Ihre Agentin und beste Freundin war der einzige Mensch, den sie nie belügen könnte. „Ja, bitte. Tun Sie das.“
Der Mann nickte sichtlich erleichtert. Er zeigte mit einer kleinen Verbeugung nach rechts, wo sie diverse Telefonkabinen erblickte. „Bitte sehr, Madame, Kabine eins. Ich stelle durch.“
„Das kann doch nicht sein Ernst sein. Franca, ich bitte dich! Er kann mich nicht so einfach rauswerfen.“ Marie musste sich auf den samtbezogenen Hocker in der Kabine setzen. Ihre Knie drohten nachzugeben und ihre Hände zitterten. Das konnte und durfte Grecco nicht, das war unmöglich. Francas Antwort jedoch war ebenso eindeutig wie endgültig.
„Salvatore hat uns eine klare Absage erteilt. Er wünscht, zumindest vorerst, keine weitere Zusammenarbeit. Beruhige dich, Marie. Dies sind keine guten Neuigkeiten, das weiß ich selbst. Ich denke, ich muss dir nicht erzählen, dass ich alles versucht habe.“
Ein Glas Wasser wäre in diesem Moment gut, allerdings wollte sie nicht, dass man sie in diesem aufgelösten Zustand erblickte. Marie schöpfte tief Atem und versuchte, ihren galoppierenden Herzschlag in den Griff zu bekommen. Die Mailänder Scala warf sie aus dem Programm. Ein Desaster! Dieser selbstherrliche, überhebliche Mensch. Was glaubte er, mit wem er es zu tun hatte?
„Franca, was bedeutet das für die beiden Aufführungen im Herbst? Bin ich etwa nicht im Ensemble?“
Sie ahnte die Antwort, ehe Franca dazu ansetzte. Tatsächlich waren alle ihre Auftritte in der Scala abgesagt. Welch ein Schlag ins Gesicht. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass diese Aktion keine weiteren Kreise ziehen würde.
„Franca, wenn das öffentlich wird, ist mein Ruf angeschlagen, ich …“
Ihre Agentin war immer ehrlich und aufrichtig zu ihr gewesen, darüber war sich Marie im Klaren, daher schmerzten Francas Worte sie umso mehr. „Du erntest, was du säst, meine Liebe. In den letzten beiden Jahren hast du dir mehr und mehr Menschen zum Feind gemacht. Du bist ungerecht, fordernd, egoistisch und unflexibel. So kann es nicht weitergehen, Marie. Salvatore ist nur der erste Dominostein, der gefallen ist. Wenn du so weitermachst, werden weitere folgen. Ich muss dir nicht erzählen, wie die Branche funktioniert. Du musst achtsamer sein. Pass auf deine Worte auf. Sie können sehr verletzend sein, und einmal ausgesprochen, nur schwer zurückgenommen werden.“
Es stimmte ja, aber sah denn niemand, dass Greccos Reaktion vollkommen überzogen war? Ja, sie war manchmal kurz angebunden, hatte ihre Vorstellungen und Wünsche. Schließlich hatte sie wie eine Wahnsinnige gearbeitet, um dort zu sein, wo sie heute war. An der Spitze; die beste Tänzerin auf den Bühnen der westlichen Welt. Selbst in Moskau hatte man sie bejubelt. Und nun sollte ein einziger Mann das, was sie sich mühsam aufgebaut hatte, zum Einsturz bringen? Verdammter Salvatore Grecco, verdammte Scala.
Sie schaffte es, das Gespräch sehr gefasst zu beenden. Allerdings brauchte sie eine Weile, ehe sie die Kabine wieder verlassen konnte. Niemand durfte ihre Tränen sehen.
Kaum trat sie hocherhobenen Hauptes wieder in die Halle, vernahm sie seine wunderschöne Stimme.
„Marie! Sie sind es wirklich. Welch eine Freude, Sie hier zu sehen.“ Frederico Alisi stand mit ausgebreiteten Armen neben der Rezeption und strahlte sie an.
Vergessen war das unerfreuliche Telefonat, und sie eilte erfreut auf den Startenor zu. „Frederico, welch eine Überraschung. Ich wusste nicht, dass Sie hier sein würden.“
Lächelnd umarmte der große, breitschultrige Mann sie. „Rigoletto ohne mich? Das kann ich nicht zulassen. Ich hoffe doch, ich werde Sie im Publikum sehen?“
„Wenn es in irgendeiner Weise machbar ist. Ich tanze in zwei Tagen die Tatjana in Onegin. Wann ist Ihr Auftritt?“
Sein Lächeln vertiefte sich. „Morgen Abend, meine liebe Marie. Das bedeutet, dass Sie sich die Oper ansehen können. Ich sorge dafür, dass Sie einen exzellenten Platz erhalten. Was sagen Sie?“
Natürlich sagte sie ja, was auch sonst?
Gewiss wäre es vernünftig gewesen, nach der Generalprobe am frühen Abend zu Bett zu gehen, ihre Füße zu schonen und dafür zu sorgen, dass sie am nächsten Tag in Topform war. Aber wer wollte bei solch einem Mann schon vernünftig sein?
„Sehr gerne, Frederico. Ich freue mich auf einen Abend, der dank Ihrer Stimme gewiss einfach wundervoll sein wird.“
„Schmeichlerin, aber machen Sie gerne weiter so. Auch mein Ego muss schließlich gepflegt werden.“
Erneut umarmte er sie, wobei sie genüsslich den Duft seines herben Männerparfums in ihre Lungen sog. Sein heller Trenchcoat raschelte an ihrem Ohr. Als er sich von ihr löste, sah sie für einen Augenblick in seine dunkelblauen Augen, die einen interessanten Kontrast zu seinen schwarzen Haaren darstellten. Ja, Frederico Alisi war mit absoluter Sicherheit einer der schönsten und faszinierendsten Männer dieser Welt.
„Meine liebe Marie, und schon bin ich wieder auf dem Weg. Ich werde Ihnen Ihre Karte hier hinterlegen. Ich freue mich sehr.“ Ein letztes Lächeln, und weg waren er und seine ihn stets umschwärmende Entourage.
Glücklich ergriff sie ihre Handtasche, die noch immer neben Nicolo auf dem langgezogenen Empfangstresen stand.
„Kommen Sie, Nicolo, lassen Sie uns gehen, der Tag ist noch jung.“
Die Freude über das Treffen mit Alisi trug Marie durch den Tag. Gut gelaunt und eloquent, wie man sie von früher kannte, plauderte sie mit Sir Jacob, ließ sich erläutern, wie das Bühnenbild aussehen würde, und inspizierte die Bühnenkleidung. Sie liebte ihre Kostüme sofort. Nur ein Hauch von Stoff, ein wunderschöner, ihr auf dem Leib geschneiderter Traum aus Samt, zarter Baumwolle, Seide und Spitzen.
Sie war die Freundlichkeit in Person.
Allein der Gedanke, dass Alisi sie in dieser Aufführung sehen könnte, ließ ihr Herz schneller schlagen. Heute bekamen die Fotografen ihre Bilder, und Sir Jacob und Dean Bartram, der Regisseur, lagen ihr zu Füßen. Warum konnten die Tage nicht immer so sein?
Weil die Realität einen stets einholte. Spätestens als Nicolo sie zum vereinbarten Zeitpunkt in dem noblen Restaurant abholte und sie sich von ihren zufriedenen Gastgebern verabschiedete, war es auch für Marie so weit.
„Meine Füße bringen mich um.“
Nicolo half ihr, als sie den Aufzug des Savoy verließ. Nach einem Blick in beide Richtungen nahm er sie kurzerhand auf die Arme und trug sie zu ihrer Suite. Seinem besorgten Blick standzuhalten, forderte ihr einiges ab.
„Marie, Sie müssen sich schonen. Ich weiß doch, dass die Schmerzen nicht einfach so verschwinden. Machen wir uns nichts vor.“ Behutsam stellte er sie vor der Tür zu ihrer Suite wieder auf dem weichen Teppich des Hotelflurs ab.
„Nicolo, was soll ich denn deiner Meinung nach tun?“
„Es gibt Spezialisten für so etwas. Hervorragende Spezialisten, das wissen Sie, Marie.“
Sie verzog ärgerlich das Gesicht. „Ja, ich weiß jedoch auch, dass, sobald mein Zustand ans Licht käme, meine Karriere wahrscheinlich beendet wäre.“
„Sie sagen es: wahrscheinlich. Ist es das wirklich wert? Ist es wert, diese unglaublichen Schmerzen zu ertragen? Marie, Sie vergiften sich mit den starken Medikamenten.“
Sie musterte ihn prüfend und lächelte. „Nicolo, ich danke dir von Herzen. Ich weiß deine Sorge zu schätzen, glaub mir. Noch aber bin ich nicht gewillt, aufzugeben. Viel zu lange und zu hart habe ich gearbeitet, um dahin zu gelangen, wo ich heute stehe. Nein, noch ist all das erträglich.“
Sie nahm das Döschen mit den Schmerzpillen entgegen und ignorierte seinen tadelnden Blick. Wie konnte ein so junger Kerl nur schon dermaßen anklagend schauen?
„Gute Nacht, Nicolo. Lass uns darüber schlafen. Wenn ich die Füße hochlegen kann, dann erhole ich mich rasch.“
Sie musste ihn nicht einmal ansehen, um zu wissen, dass er ihr kein Wort glaubte.
Der Gang zur Apotheke war für ihn zur lieben Gewohnheit geworden. Die Unsummen, die er hinblättern musste, um die neuesten und teuersten Schmerzmittel, die legal verfügbar waren, zu bekommen, beunruhigten ihn weitaus weniger als die Gesundheit seiner Arbeitgeberin. Mochte Marie Celeste auch ab und an schwer zu ertragen sein, so überwog seine Bewunderung für diese starke Frau dies doch bei weitem. Seit einigen Monaten jedoch konnte er seine Sorge kaum mehr verbergen. Lange Zeit schon hätte sie in die Hände eines erfahrenen Spezialisten gehört. So konnte und durfte es nicht weitergehen. Mit den starken Mitteln vergiftete sich Marie schrittweise. Er wusste nicht mehr, wie oft er ihr das schon gesagt hatte. Wenn sie doch nur auf ihn hören würde! Mit einer weiteren Packung der stärksten Schmerzmittel, derer er hatte habhaft werden können, eilte Nicolo zurück zum Savoy. Als er an einem kleineren Hotel vorbeilief, erhaschte sein Blick die Meldung im Glaskasten des altehrwürdigen Hauses: „Ärztekongress – Degenerative Knochenerkrankungen“. Neugierig geworden, trat Nicolo näher und spähte ins Innere. Es war sehr früh am Morgen und die Tagung der Mediziner hatte offenbar noch nicht begonnen. Die Flügeltüren des Konferenzraumes waren weit geöffnet und einige Männer in dunklen Anzügen fachsimpelten mit ernsten Mienen. Nur selten erklang ein Lachen. Nicolo nahm seinen Mut zusammen und trat an einen der Herren heran.
„Bitte verzeihen Sie, dürfte ich Ihnen wohl eine kurze Frage stellen?“ Sein Auftreten und seine ausgewählte Höflichkeit zahlten sich aus. Er durfte.
Nur kurze Zeit später klopfte er an Maries Zimmertür, und wenig später hatte er ihr seinen Plan erläutert.
Marie war absolut nicht seiner Meinung. „Nicolo, bitte versteh das nicht falsch, aber hast du den Verstand verloren? Was denkst du macht es für einen Eindruck, wenn ich bei einem Ärztekongress auftauche und mich mit einem Professor treffe, der auf degenerative Knochenerkrankungen spezialisiert ist? Unmöglich!“
So kam sie ihm heute nicht davon. Eine solche Chance würde sich wohl nie wieder bieten.
„Gut, dann hole ich ihn hierher. Auch eine internationale Koryphäe wie er lässt es sich nicht entgehen, eine Marie Celeste zu treffen.“
Marie schien noch nicht ganz überzeugt. „Das wird sich zeigen. Ich bewege mich auf jeden Fall nicht aus dem Hotel.“
Eine gute halbe Stunde später betrat Nicolo gemeinsam mit dem deutschen Arzt Professor Dr. Franz Schadbeck das Savoy. Ihm war gewiss nicht wohl bei dieser Sache, aber Maries Gesundheit durfte nicht weiter leiden. In der Kürze der Zeit hatte er im Gespräch einiges über den Professor in Erfahrung bringen können. Er war in Deutschland und der Schweiz nicht nur Dozent für Medizin, sondern auch an diversen Forschungsprojekten für degenerative Knochenerkrankungen federführend beteiligt. Genau hier setzte Nicolo nun an. Bei einem neuen, erfolgversprechenden Medikament, das der Professor an deutschen Unikliniken laut eigener Aussage bereits sehr erfolgreich testete. Er musste glauben, was der erfahrene Mediziner ihm erzählte, eine andere Wahl hatte er nicht, ebenso wenig wie Marie.
„Bitte, Herr Professor, nehmen Sie einstweilen hier in der Lobby Platz. Darf ich Ihnen einen Kaffee oder Tee bringen lassen, während ich Madame Celeste auf Ihren Besuch vorbereite?“
Der Professor musterte ihn mit amüsierter Miene. „Junger Mann, Sie sehen mir sehr ängstlich aus. Verstehe ich das richtig, dass Madame Celeste kein einfacher Mensch ist?“
Nicolo atmete tief durch. „Herr Professor, Sie ahnen ja nicht, wie nahe Sie der Wahrheit kommen.“ Er sorgte noch in aller Eile dafür, dass der Professor seinen Kaffee erhielt, und lief so rasch er konnte zu Maries Suite.
„Gut, Nicolo, du sollst deinen Willen haben. Bringe diesen Professor zu mir. Aber ich bitte um absolute Diskretion. Über den Besuch dieses Arztes darf nichts an die Öffentlichkeit gelangen, hast du mich verstanden?“
Er nickte erleichtert. „Selbstverständlich, Marie, ich habe ihn unter dem Siegel der ärztlichen Schweigepflicht hierhergeholt. Er ist sich dessen bewusst.“
Marie benahm sich gegenüber dem Professor mustergültig. Vielleicht auch schlicht aufgrund der Tatsache, dass Schadbeck eine eindrucksvolle Persönlichkeit war, dem seine langjährige Erfahrung und sein Wissen im Umgang mit Patienten deutlich anzumerken waren.
„Madame Celeste, Sie wissen, dass Sie sich und Ihren Gelenken bleibenden Schaden zufügen? Ihre Knochen haben begonnen, sich zu verformen. Sie wissen, was in Ihrem Fall eine Deformierung Ihres Fußes nach sich zieht? Auf lange Sicht heißt das, sich vom Spitzentanz zu verabschieden. Sie sind sich, so hoffe ich doch, darüber im Klaren, dass Sie über kurz oder lang um eine Operation nicht herumkommen?“
Marie schwieg Nicolo fast schon zu lange und er befürchtete schon eine harsche Entgegnung, als sie sehr leise antwortete. „Ja, Herr Professor, ich weiß das nur zu gut. Doch ehe ich mit Ihnen weiter darüber spreche, bitte ich Sie, mir eine Frage zu beantworten. Ehrlich und rundheraus, versprochen?“
Nicolo sah dem Mediziner sein Erstaunen an, doch dieser nickte. „Bitte, Madame, fragen Sie.“
Maries Stimme war noch immer leise, aber sehr fest. „Sagen Sie mir, was ist Ihnen Ihr medizinischer Erfolg wert? Wie lange und wie hart haben Sie dafür gearbeitet, um sich dort wiederzufinden, wo Sie heute stehen? Was würden Sie alles in Kauf nehmen, um das Erreichte zu schützen? Wie gesagt, eine aufrichtige Antwort, bitte.“
Professor Schadbeck fuhr sich durch seinen grauen Haarschopf und Nicolo sah das verständnisvolle Lächeln auf dessen Lippen. „Eine kluge und weise Frage, Madame Celeste. Ja, ich würde viel darum geben, meine Arbeit, meine Forschung und meinen Erfolg zu schützen. Ich weiß nur zu gut, worauf Sie abzielen. Bitte glauben Sie mir, ich verstehe Sie wahrscheinlich besser, als Sie sich vorstellen können. Dennoch bitte ich auch um Ihr Verständnis, dass ich Sie als verantwortungsvoller Mediziner warnen muss. Sie wollen nicht die beschwichtigende Antwort eines Scharlatans, Sie wollen die Wahrheit, sehe ich das richtig?“
Marie nickte, wenn auch zögerlich. „Ja, das will ich. Wahrheit gegen Wahrheit, das ist nur fair.“
Der Professor griff nach Maries Hand. „Hören Sie mir gut zu. Ich verordne Ihnen ein Medikament, das Ihr Sekretär an der Uniklinik hier in London abholen kann. Es beinhaltet starke Entzündungshemmer, die von schmerzstillenden Komponenten unterstützt werden. Somit wird es Ihrer Entzündung entgegenwirken und die Schmerzen um ein Vielfaches verringern. Allerdings muss ich Sie eindringlich ermahnen: Nehmen Sie das Medikament nur nach einer Mahlzeit. Einem reichhaltigen Frühstück, einem guten Mittagessen oder einem vernünftigen Imbiss. Trinken Sie viel, gerne klares Wasser. Zu dem Medikament verordne ich Ihnen eine Salbe, mit der Sie sich jeden Morgen und jeden Abend ihre Füße und die Knöchel massieren.“ Er warf Nicolo einen auffordernden Blick zu. „Junger Mann, ich darf annehmen, dass Sie hierfür Sorge tragen werden?“
Er nickte eilig. „Selbstverständlich, alles, was Madame hilft.“
„Gut, dann verlasse ich mich darauf, dass Sie meinen Anweisungen folgen werden.“ Professor Schadbeck setzte sich an den Sekretär und zog einen Rezeptblock aus seiner unauffälligen Aktentasche. „Besorgen Sie das Medikament schnellstmöglich, dann sollte einer beinahe schmerzfreien Tatjana nichts im Wege stehen.“ Lächelnd reichte er Nicolo das Rezept. Er erhob sich, schob seine randlose Brille etwas nach unten und wandte sich erneut an Marie. „Zu Ihnen, Madame, kann ich nur sagen, bitte hören Sie beizeiten auf die Signale Ihres Körpers. Denn ansonsten wird der Tag kommen, an dem schmerzstillende und die Entzündung eindämmende Mittel von starken Opiaten abgelöst werden müssen. Bitte, lassen Sie es nicht so weit kommen. Ihr Sekretär hat meine Karte. Ich kann Ihnen eine Operation in Deutschland anbieten, einen Eingriff, der gänzlich ohne großes Aufsehen durchgeführt wird. Niemand wird davon Kenntnis erhalten, Sie verstehen? Und ich darf Ihnen versichern, dass sie sich nach der Operation wieder schmerzfrei bewegen können.“
„Bewegen oder tanzen? Sie wissen, was für mich auf dem Spiel steht.“
Schadbeck runzelte nachdenklich die Stirn. „Madame Celeste, Sie wollten die Wahrheit, und die lautet nun einmal: Ich kann Ihnen keine Garantie geben.“
Marie ergriff die Hand des Professors. „Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Ihre Aufrichtigkeit und Ihren Rat. Ich verspreche, mich zu melden, wenn ich Ihre Hilfe benötige.“
Nicolo begleitete den Arzt noch bis zum Aufzug. „Achten Sie auf Madame Celeste, sie selbst hat das schon lange verlernt.“
Professor Schadbecks Abschiedsworte wollten Nicolo so gar nicht gefallen.
Welch ein Hochgefühl, vor allem jedoch welch eine Freude. Die Generalprobe war für sie zum ersten Mal seit vielen Monaten beinahe schmerzfrei verlaufen. Woher genau es rührte, das wusste sie nicht. Es mochte eine Mischung aus der Vorfreude auf den heutigen Abend und den Medikamenten des deutschen Professors sein, letztendlich war es ihr einerlei. Sie schwebte elegant, ja beinahe schwerelos über die Bühne, so wie man es von ihr erwartete. Regisseur Dean und sein Team waren voll des Lobes gewesen. Marie betrachtete sich im Spiegel des Ankleidezimmers ihrer Suite. Das Strahlen in ihren Augen ließ sie um Jahre jünger aussehen.
„Nicolo! Wo steckst du? Ich brauche deine Hilfe. Der heutige Abend ist mir wichtig, sehr wichtig.“
„Ich bin hier, Marie. Wo sonst sollte ich sein?“ Lächelnd tauchte Nicolos Gesicht unter dem dunklen Haarschopf neben ihrem Spiegelbild auf. „Und da ich wusste, dass Sie heute besonders schön sein wollen, wobei ich anmerken darf, dass Sie immer wunderbar aussehen, habe ich bereits alle Vorkehrungen getroffen. Jeden Augenblick muss Miss Ally hier sein. Sie ist die Beste, wenn es um Frisuren geht. Meine Wahl fiel auch darum auf sie, da sie ein perfektes Abend-Make-up zu zaubern versteht.“
Marie atmete tief ein und warf ihm einen dankbaren Blick zu. „Nicolo, was täte ich denn nur ohne dich?“
Die Brauen ihres Sekretärs zucken amüsiert nach oben. „Darüber, liebe Marie, möchte ich nicht einmal im Ansatz nachdenken.“
Wieder einmal war Nicolos Wahl exquisit gewesen. Marie drehte sich sehr zufrieden vor dem großen Spiegel in ihrem Salon. Ihr Haar war zu einer eleganten Hochfrisur gesteckt worden, das dezente Make-up betonte ihre Augen auf das Vortrefflichste, der rubinrote Lippenstift brachte ihre helle Haut wundervoll zur Geltung und die langen Perlohrringe vervollständigten das Kunstwerk, das Ally geschaffen hatte. Das von ihr gewählte, knapp knöchellange, schwarze Etuikleid mit den kurzen Ärmeln, hochhackige Pumps und eine Clutch im selben Rotton wie der Lippenstift machten ihr Abendoutfit perfekt.
„Und, Nicolo, was sagst du? Kann ich mich so auf die Straße wagen?“
Nicolo reichte ihr schmunzelnd das edle Kuvert mit der Ehrenkarte für das Konzert. „Marie, so können Sie der Königin von England gegenübertreten.“
Frederico Alisis Konzerte waren stets ein Kunstgenuss. Seine heutige Darbietung aber übertraf alles, was Marie jemals von ihm gehört oder gesehen hatte. Ihr Platz auf dem Balkon, direkt neben der großen Bühne, bot ihr die Möglichkeit, den Maestro genauestens zu beobachten. Täuschte sie sich, oder blickte er tatsächlich des Öfteren in ihre Richtung? War da tatsächlich ein warmes Lächeln, das er allein ihr schenkte? Ihr Herz schien vor Freude doppelt so schnell zu schlagen und sie war froh darüber, dass sie Handschuhe trug, denn ihre Handflächen waren feucht vor Aufregung. Und es wollte ihr nicht gelingen, diese in den Griff zu bekommen. Wann immer ihr Blick auf Frederico fiel, jagte ein freudiger Schauder durch ihren Körper. Vergeblich rief sie sich selbst zur Räson. Schließlich war sie doch kein verliebter Teenager mehr. Der nächste Blick, das nächste Lächeln des Tenors, und jegliche Vernunft rückte in weite Ferne. Als das Konzert zu Ende ging und die Besucher sich wild applaudierend von ihren Sitzen erhoben, hielt es auch Marie nicht mehr auf ihrem Stuhl. Begeistert klatschte sie Frederico Beifall. Erst nach dem achten Vorhang beruhigte sich die Menge etwas. Alisi verbeugte sich erneut, drehte sich dann in Maries Richtung und lächelte sie an. Gänzlich gefangen von der Faszination seines Blicks bemerkte sie zunächst den livrierten Angestellten des Opernhauses nicht. Erst als er sich neben ihr leise räusperte, wandte sie sich ihm zu. Der herrliche Rosenstrauß, den er ihr in die Arme legte, konnte nur von Frederico kommen. Strahlend wandte sie sich der Bühne zu. Alisis Kusshand bestätigte ihre Vermutung.
Obwohl sie sonst viel Wert auf gute Presse legte und ihr ihr die Fotografen wichtig waren, in diesem Augenblick waren ihr die zahllosen, klickenden Kameras und das Blitzlichtgewitter einerlei. Sie sah nur noch den Mann dort auf der Bühne, der mit sichtlicher Bewunderung zu ihr aufblickte. So und nicht anders fühlte sich wahres Glück an.
Herausragend! Exzellent! Einzigartig!
Die Pressestimmen überschlugen sich vor Begeisterung. Beide Abende im restlos ausverkauften Theater hatten Marie einen nahezu triumphalen Erfolg eingebracht. Fast schon schmerzfrei zu tanzen, ließ ihre erfolgreichsten Jahre wieder auferstehen, dazu noch Frederico Alisi in der ersten Reihe, der ihr begeistert zujubelte. Konnte es denn besser sein? Als sie am späten Abend an Fredericos Arm das Theater verließ, lächelte Marie so glücklich und zufrieden wie schon lange nicht mehr in die Kameras. Vergessen war das Drama von Mailand, vergessen ihr Streit mit dem Intendanten der MET. Jetzt zählte nur dieser Moment. Marie wünschte sich, dieses unglaubliche Glücksgefühl auf ewig festhalten zu können.
„Liebes, ich denke, wir müssen aufstehen. Mein Flugzeug geht um halb vier und ich sollte zuvor noch auf mein Zimmer und packen.“ Frederico strich ihr zärtlich eine widerspenstige Locke aus der Stirn. Liebevoll sah er ihr in die Augen. „Du hast mich letzte Nacht zum glücklichsten Mann auf diesem Planeten gemacht. Ich möchte, dass du das weißt. Vor allem jedoch möchte ich dich so schnell wie möglich wieder in meinen Armen halten.“
Marie zog sich mit einem verschämten Lächeln das seidene Laken über die nackten Brüste. „Das wirst du, Frederico, das wirst du. Aber müssen wir es denn nicht geheim halten? Was würden deine zahllosen Bewunderinnen sagen, wenn sie erfahren, dass …“ Marie stockte. Ja, was sollten die vielen Frauen dort draußen, die Frederico zu Füßen lagen, eigentlich erfahren? Was war diese Nacht für ihn gewesen? Fühlte er das Gleiche wie sie? Frederico konnte jede Frau haben, die er wollte. Sie durfte sich keinen allzu großen Hoffnungen hingeben. Eine Nacht, mochte sie noch so einzigartig gewesen sein, bedeutete in seinen Kreisen gar nichts.
Als könne er ihre Gedanken lesen, beugte er sich zu ihr und küsste sie liebevoll. „Marie, es ist mir einerlei, was die Damenwelt denkt. Alles, was für mich in diesem Augenblick zählt, das bist allein du, meine Liebe. Ich habe noch einen Auftritt in Paris. Sobald ich wieder in Rom bin, kommst du zu mir, sofern es dein Terminplan zulässt. Ich lade dich ein, dich in meinem ruhigen Landhaus in Trastevere von deinen vielen Auftritten zu erholen.“ Erneut küsste er sie und streichelte zärtlich ihre Wange. „Hab ein wenig Geduld mit mir.“
Seufzend schlang Marie ihre Arme um seinen Hals, zog ihn nahe zu sich und küsste seine Stirn. „Alle Geduld der Welt, du wunderbarer Mann.“
Mailand, Mai 1969
„Meinen Glückwunsch! Marie, du hast es offensichtlich geschafft, aus jeder Menge Zitronen süße Limonade zu machen.“
Ihr Schützling betrachtete sie zweifelnd. „Was genau versuchst du mir zu sagen?“
Franca nippte mit ernster Miene an ihrem starken Kaffee. „Nach den Meldungen, die nach deinem Rauswurf aus der Scala die Gazetten beherrschten, singen sie nun wieder ein wahres Loblied auf dich. Ich hoffe, du weißt, dass du das nicht nur einzig und allein deinen Jahrhundertauftritten in Onegin, sondern auch deiner Beziehung zu Alisi zu verdanken hast.“
Marie nickte, wenn auch zögernd. „Ja, das ist mir durchaus bewusst. Immerhin freut es mich, dass du meine Leistung in London als Jahrhundertauftritte bezeichnest.“
Franca lehnte sich lächelnd in ihrem Bistrostuhl in dem feinen Café in der Mailänder Innenstadt zurück. „Ehre, wem Ehre gebührt. Du warst wunderbar. Die internationale Presse war voll des Lobes. Trotzdem müssen wir höllisch darauf achten, dass die positive Linie beibehalten wird. Ich beobachte mit Sorge, dass die aktuellen Auftritte derzeit weniger Beachtung in der Presse finden als deine öffentlich gewordene Beziehung mit Frederico.“
Maries Züge verfinsterten sich. Sie sah hinaus in das bunte Treiben auf der Straße. „Ich kann dir versprechen, dass ich mein Bestes tue. Trotzdem wäre ich dumm, würde ich die gute Presse nicht zu meinen Gunsten nutzen. Der Spruch carpe diem kommt dir doch sonst so leicht über die Lippen.“
„Wohl wahr, nur übertreiben dürfen wir es nicht. Letztendlich muss nach wie vor deine Leistung als Tänzerin, als herausragende Tänzerin wohlgemerkt, im Vordergrund stehen. Bitte, lies dir die derzeitigen Meldungen einmal durch. Was möchtest du? Im Olymp verharren aufgrund deines Könnens oder wegen der Liebe eines Startenors?“
Marie schüttelte ungehalten den Kopf. „Du weißt, wie wichtig mir meine Karriere ist, ebenso muss dir bewusst sein, welche Opfer ich in der Vergangenheit dafür gebracht habe. Meine nächsten Auftritte in Marseille und Bordeaux werden den Erwartungen entsprechen, die man in mich setzt, das versichere ich dir. Ich kann dich nur bitten, meiner Entscheidungsfähigkeit zu vertrauen, in Ordnung? Ich bin nach wie vor zuerst Marie Celeste, die Tänzerin, und danach die Freundin von Frederico Alisi.“
Franca zögerte eine Weile, ehe sie antwortete. „Ich habe dir immer vertraut und ich bin mir sicher, dass du mich nicht enttäuschen wirst.“
„Nichts anderes habe ich von dir als meiner langjährigen Agentin erwartet. Danke, Franca.“ Marie warf einen Blick auf ihre goldene Armbanduhr. „Bitte sei mir nicht böse, aber ich muss los. Mein Flug nach Marseille geht in den frühen Morgenstunden. Ich möchte ausgeschlafen sein und dort zur Probe nicht müde auf der Bühne stehen.“
Franca erhob sich und schloss ihren Schützling in die Arme. „Das Bild einer ausgeschlafenen und gut vorbereiteten Ballerina kommt meinen Vorstellungen sehr entgegen.“
Lachend verabschiedete sich Marie und eilte unter den bewundernden Blicken der anderen Gäste hinaus zu ihrem bereits wartenden Taxi.
„Gianni, bringst du mir bitte noch einen Grappa? Einen doppelten, wenn ich bitten darf.“
Nachdenklich sah Franca dem gemächlich davonfahrenden Wagen nach. Ja, sie machte sich Sorgen, große Sorgen. Mochte Marie auch derzeit im siebten Himmel schweben, so konnte sie selbst diesem Umstand nicht ganz so viel abgewinnen. Noch immer hallten die Skandale in Mailand und New York unterschwellig in der Fachpresse nach. Gut, die Boulevardblätter überschlugen sich mit Meldungen über das neue Traumpaar am Kunsthimmel. Letztendlich aber war das nur oberflächliches Geplänkel, das sich fast ausschließlich auf die Liebesbeziehung zwischen Alisi und Marie Celeste bezog. Franca wusste, wann es gut war zu schweigen. Daher schwieg sie auch jetzt. Als der Intendant des bezaubernden und beliebten Theaters in Marseille angerufen hatte, war ihr schnell klar gewesen, woher der Wind tatsächlich wehte. Charles Lenoux wollte das Engagement mit Marie Celeste nur, weil er befürchtete, ansonsten auf Alisi als Star des diesjährigen Sommertheaters verzichten zu müssen. Missmutig trank sie ihren köstlichen Grappa. Gut, Marseille wollte Marie für die Aufführung von Beau Danube nach der Musik von Johann Strauss. Anspruchsvoll, aber für Marie eigentlich ein Klacks. Eigentlich. Francas Vertrauen in Maries Können war zwar ungebrochen, dennoch beunruhigte sie die derzeitige Situation. Mochte Maries strahlendes Gesicht, meist an Alisis Seite, im Moment alle Coverseiten zieren, so ließen sich die ernsthaften Meldungen über ihr tänzerisches Können an fünf Fingern aufzählen. Ja, Franca war beunruhigt, und das nicht zu knapp. Marseille, Bordeaux und dann London im Winter. London war bereits vor Maries Beziehung mit Alisi gebucht worden, wo aber blieben die Neuanfragen? Derzeit hagelte es lediglich Interviewanfragen, in denen, da war sich Franca sicher, es gewiss nicht um neue Tanztechniken in Ravels Bolero ging. Selbst ihre zahlreichen Akquisitionsversuche für Marie Celeste endeten viel zu oft in der Frage nach dem Startenor. Als Franca sich auf den Weg in ihr nahegelegenes Büro machte, stand ihre Entscheidung fest. Sollte sich bei Marie beruflich nicht bald wieder mehr ergeben, würde sie sich nach neuen Gesichtern umsehen müssen, nach Gesichtern, die – so wie einst Marie – wieder frischen Wind in die internationale Ballettszene bringen konnten.
Rom, Oktober 1969
Der Himmel auf Erden hatte ein menschliches Gesicht. Das Gesicht Fredericos! Marie stand, eine Tasse duftenden Kaffees in ihren Händen, auf dem großen Balkon im ersten Stock von Fredericos herrschaftlicher Villa. Hier in Trastevere, abseits vom geschäftigen Treiben und Getümmel Roms, konnte man sich herrlich entspannen und zur Ruhe kommen. Hinter der weitläufigen Parkanlage schlängelte sich die alte, geschichtsträchtige Landstraße am Anwesen vorbei. Die Geschichte ihres Landes fast schon zu spüren, erfüllte sie mit Freude. Mittlerweile trugen auch sie und das, was sie in ihrem Leben geleistet hatte, zu dieser Geschichte bei. Marie nippte, in ihre angenehmen Gedanken versunken, an dem Getränk. Genügte das, was sie bisher geleistet hatte, um sich ihren Platz in den Annalen der italienischen Geschichte oder zumindest denen des Theaters zu sichern? Ihre Auftritte in Frankreich waren erneut ein Triumph gewesen. Das Medikament des deutschen Professors wirkte wahre Wunder. Ihr war wohl bewusst, dass sie sich nicht auf Dauer darauf verlassen konnte, doch für den Augenblick half es ihr außerordentlich. Sie wusste, dass Nicolo sie mit Argusaugen beobachtete. Hätte er auch nur annähernd geahnt, wie viele von den Pillen sie schluckte – sie hätte ihm zugetraut, ihr das Medikament wegzunehmen. Vorsichtig stellte Marie ihre Tasse auf dem eleganten Marmortisch ab. Sie wandte sich um und betrachtete zum wiederholten Male die Fassade der traumhaften Villa. Der in Zartgelb und Ocker gestrichene Bau mit den vielen hohen Fenstern ähnelte verblüffend dem französischen Château de Villesavin. Frederico hatte es in seinen Kindheitstagen besucht und sich dabei rettungslos in das schöne Bauwerk verliebt. Diese Villa war zwar etwas kleiner, jedoch in ihrer Pracht durchaus ebenbürtig. Lediglich in der Farbgebung hatte er sich für die warmen Farben der Umgebung entschieden. Der gepflegte Park mit den hohen Zypressen, die stolz in den azurblauen Herbsthimmel ragten, war ein herrlicher Ort, um einfach nur spazieren zu gehen und die Seele baumeln zu lassen. Marie fühlte sich hier sehr wohl. Derzeit erholte sie sich von ihrem letzten Engagement in Wien, das sie wirklich genossen hatte. Allerdings musste sie sich eingestehen, dass Angebote nicht mehr in der Menge bei Franca eingingen wie noch vor zwei Jahren. Marie rümpfte ärgerlich die Nase. Die unerbittliche Haltung des Mailänder Intendanten schien sich auf ihre Landsleute zu übertragen. Frankreich, Österreich, Deutschland und England – mehr stand derzeit nicht auf ihrem Plan. Mochte ihr Konterfei an Fredericos Seite auch auf den Titeln sämtlicher Magazine sein – das war nicht der Ruhm, den sie sich auf Dauer ersehnte.
Marie befiel ein flaues Gefühl, und sie versuchte, der aufsteigenden Übelkeit Herr zu werden, indem sie tief einatmete. Es war nicht das erste Mal in den letzten Tagen. Gut möglich, dass ihre Sorgen ihr auf den Magen schlugen. Sie zog sich einen der schmiedeeisernen Stühle heran und setzte sich. Gut, es mochte schon auch an den vielen Tabletten liegen. Allerdings war das Ergebnis es durchaus wert gewesen. Das anspruchsvolle Wiener Publikum beispielsweise war nach allen drei Auftritten ihres Gastspiels zu Dornröschen nach der Musik von Tschaikowski vollkommen aus dem Häuschen gewesen. Erneut stieg eine Welle der Übelkeit in ihr auf. Marie erhob sich mühsam, eilte zurück ins Schlafzimmer und weiter in das edle, mit Carrara-Marmor getäfelte Badezimmer. Was zur Hölle war denn nur los mit ihr? Sollte sie Frederico, wenn er heute Abend aus München zurückkehrte, etwa bleich und krank gegenübertreten? Niemals. Ein Arzt musste zu ihr kommen und zwar rasch. Sie wusch sich das Gesicht, richtete ihren Morgenrock und rief nach Nicolo.
„Signora, Sie werden sich mehr schonen müssen. Zum einen haben Sie offenbar eine Entzündung der Magenschleimhaut. Ihr Magen ist druckempfindlich. Zum anderen sind Sie zu erschöpft, Sie müssen sich mehr schonen.“ Dottore Mazzacurati, Fredericos langjähriger Hausarzt, war definitiv besorgt.
Marie, die sich soeben wieder ankleidete, warf ihm einen Blick zu. „Ich hatte ein Engagement in Wien und bin derzeit viel mit Proben für eine Aufführung in London beschäftigt. Allzu viel Zeit, um mich zu schonen, wird mir wohl kaum bleiben.“
Der Dottore schüttelte den Kopf. „Nein, Signora, Sie verstehen mich nicht. Sie werden sich schonen müssen. Noch ist nichts zu sehen, doch ich denke, in etwa zwei bis drei Monaten sieht das wahrscheinlich schon ganz anders aus.“
Marie begann sich über ihn zu ärgern. Nicht sie verstand nicht, sondern er. Und was meinte er mit noch ist nichts zu sehen? Spielte er auf ihren Fuß an? Selbst wenn er die Veränderungen an ihrem Gelenk und Knöchel gesehen hatte, war das bei einer Tänzerin durchaus nichts Ungewöhnliches.
„Dottore, so schnell verformen sich nicht einmal meine Füße. Glauben Sie mir, im Dezember tanze ich in London, komme was da wolle.“
Sein hintergründiges Lächeln irritierte Marie. „Meine Liebe, ich glaube, ich muss nun doch deutlicher werden. Bitte, tanzen Sie im Dezember in London, danach allerdings ist es mit dem Ballett erst einmal vorbei. Signora, Sie und Signore Alisi werden Eltern. Sie erwarten ein Kind.“
Marie erinnerte sich im Nachhinein nicht mehr daran, wie und wann sich der Arzt endgültig verabschiedet hatte. Ein Kind! Welch ein Schock. Das konnte und durfte einfach nicht wahr sein. Wie sollte sie an der Zukunft ihrer Karriere arbeiten, wenn sie schwanger war? Wie würde Frederico darauf reagieren? Ihre Beziehung war noch so jung, so neu. Konnte sie überhaupt ein Kind verkraften? Frederico war derzeit der meistbeschäftigte Tenor der Welt. Nachwuchs kam denkbar ungelegen. Sie selbst, die um ihre Karriere kämpfte, würde endgültig alles verlieren. Eine schwangere Ballerina, undenkbar! Erneut spürte sie die aufsteigende Übelkeit.
Marie zog sich eine leichte Jacke über und ging hinaus in den Garten. Während sie über die ordentlich geharkten Kieswege schlenderte und den Duft des frisch geschnittenen Grases einatmete, wurde sie langsam wieder ruhiger. Nein, ein Kind passte weder in ihre noch – und sie war sich da ziemlich sicher – in Fredericos aktuelle Pläne. Sie konnte es nicht bekommen. Gewiss, ein Kind von Frederico wäre – zum richtigen Zeitpunkt – durchaus ein Glück. Allerdings nicht jetzt, nicht nach so kurzer Zeit. Nicht, wenn sie all ihre Kraft brauchte, um nicht ins Mittelmaß abzurutschen. Nachdem sie eine gute Stunde lang herumgewandert war und eine Weile den Goldfischen im gigantischen Brunnen zugesehen hatte, stand ihre Entscheidung fest: Dieses Kind durfte nicht zur Welt kommen.
„Ein Baby? Du erwartest ein Kind? Marie, du geliebtes Wesen, du kannst ja gar nicht ermessen, wie glücklich du mich machst.“ Aus Fredericos Augen strahlte das pure Glück. Zärtlich zog er sie in seine Arme. „Ich habe mir immer so sehr ein Kind gewünscht. Und nun schenkt es mir ausgerechnet die Frau, die ich mehr liebe und bewundere als alle anderen dieser Welt.“
Das war nicht die Reaktion, die Marie erwartet hatte. Im Gegenteil, seine Begeisterung erschreckte sie regelrecht. Was sollte sie nun tun? Was konnte sie sagen, um das Unglück noch abzuwenden? Frederico wollte dieses Kind, ja, er schien überglücklich zu sein. Wie war es möglich, ihn davon zu überzeugen, dass es zu früh war, dass dieses Kind gänzlich ungelegen kam?
„Frederico, Liebling, bist du dir wirklich sicher? Ich hatte befürchtet, das Kind wäre dir ein Hindernis, stünde deiner Karriere im Weg. Ja, ich hatte Angst, du könntest denken, ich hätte es darauf abgesehen, dich an mich zu binden.“
Der Blick aus den blauen Augen war geradezu entsetzt. „Wie kannst du so etwas denken? Es braucht kein Baby, um mich an dich zu binden. Marie, ich liebe dich von ganzem Herzen und dieses Kind ist die Krönung unserer Liebe. Ich verstehe nicht, wie du glauben kannst, ich könnte dir derartige Beweggründe unterstellen. Niemals.“ Er machte sich sanft von ihr los und schenkte ihr ein geheimnisvolles Lächeln. „Eigentlich wollte ich ja bis Weihnachten warten, aber um dir zu beweisen, dass ich nie etwas anderes wollte, als den Rest meines Lebens mit dir zu verbringen, möchte ich dir etwas zeigen. Bitte setz dich doch, während ich es rasch hole.“
Frederico küsste sie auf den Scheitel und verließ eilig den Salon. Sobald seine Schritte im Flur verhallten, vergrub Marie ihr Gesicht in den Händen. Nein, nein und nochmals nein! Sie wollte kein Kind, sie war nicht bereit dafür, ein Baby zur Welt zu bringen. Ihr Körper würde sich verändern und nie wieder so sein, wie er heute war. Ihre Gelenke konnten das nie und nimmer ertragen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Da glaubte sie, ihr Leben entgegen Francas Unkenrufen wieder unter Kontrolle zu haben, und nun das? Nein, verflucht noch einmal, sie wollte dieses Kind nicht. Aber ihr war nach Fredericos Freudenausbruch auch klar, dass dies das Ende ihrer Beziehung bedeuten würde. Und ohne Frederico, ohne seine schützende und helfende Hand, wäre sie wahrscheinlich rettungslos verloren. Ganz davon abgesehen liebte sie ihn wirklich. Der Mann war das Beste, das ihr passieren konnte, und sie war sich dessen bewusst. Was für ein furchtbares Dilemma, warum war sie nur nicht achtsamer gewesen? Seufzend schlang sie ihre Arme um sich. Was sollte denn nun werden? Wie sähe ihr zukünftiges Leben aus? Mutter und Hausfrau in Schürze und mit einem Neugeborenen auf dem Arm, während Frederico weiterhin die Ovationen seines Publikums genießen konnte? Welch grauenhafter Gedanke.
Als sie ihn kommen hörte, setzte sie sich eilig und wischte die Tränen der Verzweiflung, die sich aus ihren Augen stahlen, weg. Frederico hatte sein Jackett ausgezogen und stand nun in einem schwarzen Hemd und schwarzer Tuchhose vor ihr. „Marie, seit dem Augenblick, in dem ich dich das erste Mal gesehen habe, wusste ich, dass ich dich und sonst keine wollte. Deine Schönheit, dein unvergleichliches Lächeln und dein magischer Tanz haben mich sofort verzaubert. Deine Warmherzigkeit, deine Klugheit, dein Humor, ich liebe einfach alles an dir. Schon vor zwei Monaten habe ich in München ein einzigartiges Schmuckstück für dich anfertigen lassen. Nach dem, was du mir heute eröffnet hast, kann und will ich nicht mehr warten. Ich hoffe von Herzen, dass du ebenso empfindest wie ich.“
Als er vor ihr auf die Knie ging, wurde ihr heiß und kalt zugleich. Wie sehr hatte sie sich diesen Augenblick gewünscht, wie sehr ihn herbeigesehnt? Zahllose Male war diese Szene vor ihren Augen abgelaufen, allerdings immer unter vollkommen anderen Voraussetzungen. In dem Moment, als Frederico das schwarze Samtkästchen öffnete und sie den Ring erblickte, konnte sie einen verzückten Ausruf nicht unterdrücken. Marie kannte sich mit Schmuck aus, und das, was ihr da entgegenblitzte, war mindestens hunderttausend Franken wert. In Lira konnte sie sich die Summe erst gar nicht vorstellen. Geblendet von der Schönheit und Kostbarkeit des Ringes, vernahm sie Fredericos warme Stimme.
„Marie, ich liebe dich über alles, bitte werde meine Frau und mach mich zum glücklichsten Mann weit und breit.“
Hatte sie eine Wahl? Während sie mit Mühe ein strahlendes Lächeln auf ihre Lippen zauberte, überschlugen sich in ihrem Kopf die widersprüchlichsten Gedanken und Überlegungen. Ja, sie liebte ihn, aber es hatte ein Arrangement werden sollen, von dem sie beide profitierten. Ja, mit ihm war ihre Zukunft abgesichert, jetzt und für den Rest ihres Lebens. Nein, ihre Karriere würde nie wieder wirklich aufleben, ihr Leben an der Spitze des Erfolges war für immer vorbei. Würde sie ablehnen oder ihn bitten, das Kind abtreiben lassen zu dürfen, da sie noch nicht bereit war, würde sie ihn mit absoluter Gewissheit verlieren. Damit verlöre sie aber nicht nur ihn, sondern auch den Platz in der Gesellschaft, den nur eine Heirat mit ihm ihr dauerhaft sichern konnte. Ein letztes kleines Zuckerbrot angesichts dessen, was ihr bevorstand. Was nun? Vernunft oder der letzte Versuch, ihren eigenen Weg des Erfolges doch noch fortzusetzen?
„Frederico, du ahnst nicht, wie glücklich du mich hiermit machst. Womit habe ich einen Mann wie dich nur verdient? Ich liebe dich, Frederico, darum ja, tausend Mal ja.“
Rom, Februar 1970
Immer hatte er seine Chefin bewundert, all ihre Marotten, ihre Ungeduld, ja selbst Ungerechtigkeiten ertragen, aber seit ihrer Schwangerschaft war sie einfach unerträglich. Lediglich sobald Alisi auf der Bildfläche erschien, wandelte sie sich komplett. Aus der launischen, zornigen und leidenden Diva wurde eine liebevolle, fürsorgliche Frau.
Nicolo lauschte nie. Aber den Heiratsantrag vor vier Monaten mitanzuhören, hatte er nicht verhindern können. Am Schreibtisch im Nachbarzimmer sitzend, bekam er jedes Wort mit. Ja, womit hatte sie so einen Mann eigentlich verdient? Sie ahnte nicht, wie richtig sie mit ihren Worten lag.
Alisi hatte eine märchenhafte Traumhochzeit in Rom arrangiert. Das komplette Lord Byron, eines der Top-Hotels und ein wahrer Jugendstiltraum, war für drei Tage exklusiv angemietet worden. Mit einer weißen Kutsche, gezogen von sechs Schimmeln, begleitet vom Blitzlichtgewitter zahlloser Fotografen, fuhren er und Marie Celeste von der Kirche aus durch Rom. Er schenkte ihr die Hochzeit einer Königin. Marie schien an diesem Tag restlos glücklich zu sein. Nichts war von der Schwangerschaft zu sehen, als sie in ihrem mit Perlen bestickten Traum in Weiß die Stufen vor der Kirche hinabschritt. Sie sah unbeschreiblich schön aus und man merkte, wie sehr sie die Aufmerksamkeit und die Anerkennung genoss.