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Nur für einen Sommer Um endlich ein Interview mit dem geheimnisvollen Bestsellerautor Hunter Brown zu bekommen, ist die Journalistin Lee Radcliffe zu allem bereit. Und so sagt sie Ja, als er sie bittet, ihn auf einen Campingtrip zu begleiten. Allerdings nicht nur aus beruflichen Gründen, denn sie findet ihn auch als Mann ausgesprochen interessant ... "Sommer, Sonne und dein Lächeln" Quer durch die USA reist die schöne Fotografin Blanche einen Sommer lang mit ihrem Kollegen Sidney Colby. Und auc Nur für einen Sommer" Um endlich ein Interview mit dem geheimnisvollen Bestsellerautor Hunter Brown zu bekommen, ist die Journalistin Lee Radcliffe zu allem bereit. Und so sagt sie Ja, als er sie bittet, ihn auf einen Campingtrip zu begleiten. Allerdings nicht nur aus beruflichen Gründen, denn sie findet ihn auch als Mann ausgesprochen interessant ... "Sommer, Sonne und dein Lächeln Quer durch die USA reist die schöne Fotografin Blanche einen Sommer lang mit ihrem Kollegen Sidney Colby. Und auch wenn sie von Anfang an deutlich gemacht haben, dass dieser Auftrag nichts mit Gefühlen zu tun hat - beide sind geschieden, eine neue Liebe ist undenkbar - wächst zwischen ihnen ein Gefühl, das mehr als erotische Anziehung ist ...
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Seitenzahl: 518
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Nur für einen Sommer
Die Journalistin Lee Radcliffe hat es sich in den Kopf gesetzt, den mysteriösen Top-Autor Hunter Brown zu interviewen, und tatsächlich gelingt es ihr während eines Schriftstellerkongresses, seine Bekanntschaft zu machen. Doch Hunter will sich nur unter einer Bedingung ihren Fragen stellen: Lee soll ihn auf einen Campingtrip begleiten. Natürlich sagt sie Ja – wenn auch keineswegs nur aus rein professionellen Gründen: Sie will herausfinden, wie Hunter als Mann ist …
Sommer, Sonne und dein Lächeln
Beide sind geschieden, beide haben Angst vor einer neuen Bindung. Aber einen Sommer lang reisen die Fotografin Blanche Mitchell und ihr Kollege Sidney Colby ungeachtet ihrer Gefühle gemeinsam durch die USA: Ihre Aufnahmen sollen die schönsten Seiten des Landes – Blanches Spezialität – und die harte Wirklichkeit – Sidneys Aufgabe – widerspiegeln. Doch je länger sie unterwegs sind, desto klarer wird: Das perfekte Bild kann, ebenso wie ein perfektes Leben, nur gemeinsam mit viel Liebe entstehen …
Nora Roberts
Sommerträume
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Deutsche Taschenbucherstausgabe
Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:
Second Nature/One Summer
Copyright © 1986 by Nora Roberts
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V., Amsterdam
Konzeption/Reihengestaltung: fredeboldpartner.network, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Titelabbildung: GettyImages, Köln
Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A., Schweiz
Satz: Berger Grafikpartner, Köln
Ebook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-647-3 ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-648-0
www.mira-taschenbuch.de
Nora Roberts
Nur für einen Sommer
Roman
Aus dem Amerikanischen von
Anne Pohlmann
… und dem vollen und weißen und kalten Mond. Er sah die Schatten, die sich über dem eisverkrusteten Schnee verschoben und zitterten. Schwarz auf Weiß. Schwarzer Himmel, weißer Mond, schwarze Schatten, weißer Schnee. So weit das Auge reichte. Leere Weite, ohne Farben. Das einzige Geräusch war das pfeifende Stöhnen des Windes durch die nackten Bäume. Aber er wusste, er war nicht allein. Für ihn gab es kein Entkommen, keine Sicherheit, weder im Schwarzen noch im Weißen. Durch sein erfrorenes Herz brach sich ein dünner Strom heißer Angst. Sein Atem, schwer, erschöpft, kam in Stößen kleiner, weißer Wölkchen. Über den vereisten Boden fiel ein schwarzer Schatten. Es gab keinen Ort mehr, an den er flüchten konnte.
Hunter zog an seiner Zigarette und starrte durch die Rauchwolke auf die Worte auf dem Monitor. Michael Trent war tot. Hunter hatte ihn erschaffen, hatte ihn ausschließlich für diesen kalten mitleidslosen Tod unter dem Vollmond gestaltet. Hunter bedauerte es nicht, diesen Mann zu zerstören, den er gründlicher kannte als sich selbst.
Er ließ das Kapitel hier enden. Die Einzelheiten von Michaels Mord überließ er der Vorstellungsgabe des Lesers. Die Atmosphäre war geschaffen, Geheimnisse angedeutet, das Verhängnis greifbar, aber nicht erklärt.
Hunter wusste, diese Eigentümlichkeit seines Stils faszinierte und erregte seine Leser. Das genau war seine Absicht. Es stellte ihn zufrieden, was nicht häufig der Fall war.
Schreibend schuf er das Furcht erregende, das den Atem nehmende Grauen, das Unaussprechliche. Hunter holte die schwärzesten Albträume der Menschen ans Licht und machte sie mit kühler Genauigkeit greifbar. Er machte das Unmögliche möglich, das Unheimliche alltäglich. Das Alltägliche wiederum kehrte er häufig zum fröstelnd Beängstigenden um.
Wie ein Maler mit seiner Farbpalette, so ging er mit Worten um und gestaltete daraus Geschichten voller Farbe und Klarheit, die den Leser von der ersten Seite an fesselten. Er schrieb Horrorgeschichten, und er war außergewöhnlich erfolgreich.
Seit fünf Jahren galt er als Meister seines Fachs. Ihm waren sechs Top-Bestseller gelungen, vier davon hatte er zu Drehbüchern für Spielfilme umgearbeitet. Die Kritiker schwärmten, die Verkaufszahlen stiegen, Fanpost aus der ganzen Welt überschüttete ihn. Hunter kümmerte es wenig. In erster Linie schrieb er für sich selbst, denn Geschichten erzählen, das konnte er am besten. Wenn er mit seinen Geschichten zusätzlich noch Leser unterhielt, war er zufrieden. Doch wäre er von den Lesern und Kritikern nicht so begeistert aufgenommen worden, er hätte trotzdem geschrieben.
Er hatte seine Arbeit, er hatte sein Privatleben. Das waren die zwei entscheidenden Dinge in seinem Leben.
Er selbst hielt sich nicht für einen Einsiedler, auch nicht für ungesellig. Er lebte ganz einfach das von ihm gewählte Leben. Vor sechs Jahren hatte er auch nicht anders gelebt, vor dem Ruhm, dem Erfolg, dem Geld.
Hätte ihn jemand gefragt, ob die Folge von Bestsellern sein Leben geändert habe, hätte er geantwortet: Warum sollte es? Er war Schriftsteller gewesen, bevor „Was dem Teufel gebührt“ auf Platz eins der Bestsellerliste in THE NEW YORK TIMES geraten war. Er war immer noch Schriftsteller.
Manche behaupteten, sein Lebensstil sei berechnend - er schaffe sich aus Kalkulation das Bild eines Sonderlings. Eine gute Werbung. Manche überlegten sogar öffentlich, ob er gar nicht existiere, nur das kluge Produkt der Fantasie eines Verlegers sei. Doch Hunter Brown besaß eine ausgeprägte Gleichgültigkeit allem Gerede gegenüber. Er hörte ausschließlich das, was er hören wollte, sah nur, was er sehen wollte, und erinnerte sich an alles.
Er begann mit dem nächsten Kapitel. Das nächste Kapitel, das nächste Wort, das nächste Buch, das war für ihn von viel größerer Bedeutung als jeder auf Mutmaßungen aufgebaute Zeitungsartikel.
An diesem Tag arbeitete er sechs Stunden und hätte sicher noch zwei weitere schreiben können. Die Geschichte floss wie Eiswasser aus ihm, klar und kalt.
Seine Finger, die jetzt auf der Tastatur des Computers lagen, waren auffallend schön – gebräunt, lang gliedrig und mit breiten Handflächen. Einem Betrachter könnte sich der Eindruck aufdrängen, mit diesen Händen würden Konzerte oder Gedichte erschaffen. Doch sie hielten schwarze Träume und Monster fest – nicht die mit den tropfenden Giftzähnen und der Schuppenhaut, sondern Monster, die real genug waren, um die Haut prickeln zu lassen. Er fügte immer genügend Wirklichkeit hinzu, um den Horror alltäglich und nur zu glaubhaft zu machen. Aus den dunklen Winkeln seiner Arbeit lugte eine Kreatur, und diese Kreatur war die tief verborgene Angst eines jeden Menschen. Hunter fand sie immer. Und dann, Millimeter um Millimeter, führte er den Leser in diesen Winkel hinein.
Halb vergessen schwelte die Zigarette in dem überquellenden Aschenbecher neben seinem Ellenbogen. Er rauchte zu viel. Dies war vielleicht das einzige äußere Zeichen des Drucks, den er sich selbst auferlegte und den er sich von sonst niemandem hätte aufbürden lassen. Er wollte sein Buch bis zum Ende des Monats fertig haben, einem von ihm selbst gesetzten Termin. Er hatte einem sehr seltenen Impuls nachgegeben und zugesagt, auf einer Schriftstellertagung in Flagstaff in der ersten Juniwoche zu reden.
Es geschah nicht häufig, dass er Auftritten zustimmte, und wenn, dann handelte es sich nie um große, von der Öffentlichkeit beachtete Gelegenheiten. Diese Konferenz versammelte nicht mehr als zweihundert publizierende und angehende Schriftsteller. Er würde seine Rede halten, Fragen beantworten und wieder nach Hause fahren. Ein Honorar gab es nicht.
Allein in diesem Jahr hatte Hunter ohne Begründung Angebote von einem der angesehensten Organisatoren im Verlagswesen abgelehnt. Ansehen interessierte ihn nicht. Andererseits hielt er es für seine Pflicht, Beiträge an die Schriftstellervereinigung von Arizona abzuführen. Hunter hatte schon immer verstanden, dass nichts umsonst war.
Es war später Nachmittag, als der Hund, der zu seinen Füßen lag, den Kopf hob. Das Tier war schlank, mit schimmerndem grauen Fell und den schmalen, klugen Augen eines Wolfs.
„Ist es Zeit, Santanas?“ Hunter streichelte den Kopf des Hundes. Zufrieden und entschlossen, abends noch weiterzuarbeiten, schaltete er den Computer aus.
Hunter trat aus dem Chaos seines Arbeitszimmers in das aufgeräumte Wohnzimmer mit seinen großen Butzenscheibenfenstern und der hohen Decke. Es roch nach Vanille und Blumen.
Er stieß die Tür zur gepflasterten Terrasse auf und blickte hinüber zum dichten, das Haus umschließenden Wald. Der Wald schloss ihn ein und andere aus. Hunter hatte nie überlegt, was für ihn wichtiger war. Er brauchte die Abgeschiedenheit. Er brauchte den Frieden, das Geheimnis und die Schönheit, wie er auch die tief roten Wände des Canyons brauchte, die sich jenseits der Bäume majestätisch erhoben. Durch die Stille hörte er das Plätschern des Bachs und roch die schwere Frische der Luft. Das nahm er nie für selbstverständlich, denn er hatte es nicht immer gehabt.
Dann sah er sie, sie tänzelte den sich windenden Pfad entlang, der zum Haus führte. Der Schwanz des Hundes begann, wild hin und her zu schlagen.
Manchmal, wenn er sie so beobachtete, dachte Hunter, es sei unmöglich, dass ein so reizendes Wesen zu ihm gehörte. Sie war dunkel und zierlich und bewegte sich mit einer unbekümmerten Grazie. Es war Sarah. Seine Arbeit und sein Privatleben, das waren die zwei entscheidenden Dinge in seinem Leben. Sarah war sein Leben.
Als sie ihn sah, strahlte ein Lächeln auf ihrem Gesicht und ließ die Zahnspange aufblitzen. „Hi, Dad!“
Die Woche, bevor ein Magazin wie CELEBRITY in Druck ging, herrschte äußerstes Chaos. Die Führungsetagen aller Redaktionen waren in wilder Aufregung. Schreibtische waren überhäuft, Telefonleitungen besetzt, die Mittagspausen wurden ausgelassen. Eine Spur von Panik lag in der Luft und dies steigerte sich von Stunde zu Stunde. Die Stimmung war gereizt und in manchen Befehlen schwang die Nervosität mit. Bis spätabends brannten in den Büros die Lichter. Das reiche Aroma von Kaffee und beißender Tabakrauch lagen immer in der Luft. Röhrchen von Magentabletten wurden geleert, und Fläschchen mit Augentropfen wanderten von Hand zu Hand. Nach fünf Jahren war die monatliche Torschlusspanik für Lee selbstverständlich geworden.
CELEBRITY war eine elegante, angesehene und auflagenschwere Zeitschrift. Neben Geschichten über die Reichen und Berühmten wurden Artikel von bekannten Psychologen und Journalisten gedruckt, ebenso Interviews mit Politikern und Rockstars. CELEBRITY-Fotografien waren erstklassig, die Textbeiträge gründlich recherchiert und prägnant geschrieben. Ein Lästerer hatte sie als Qualitäts-Tratsch einstufen können – die Betonung der Qualität vergaß aber auch der größte Lästerer nicht.
Eine Werbeanzeige im CELEBRITY war gleichbedeutend mit einem sicheren Anstieg der Verkaufszahlen und des öffentlichen Interesses und musste entsprechend bezahlt werden. CELEBRITY war in der hart konkurrierenden Zeitschriftenlandschaft eine der führenden monatlichen Publikationen des ganzen Landes. Mit weniger hätte sich Lee Radcliffe auch nicht begnügt.
„Wie kommt die Aufnahme von den Skulpturen?“
Lee warf Blanche Mitchell, einer der Top-Fotografinnen der Westküste, einen Blick zu. Dankbar nahm sie die Tasse Kaffee entgegen, die Blanche ihr reichte. In den letzten vier Tagen hatte Lee insgesamt zwanzig Stunden Schlaf gefunden. „Gut“, antwortete sie kurz.
„Ich habe schon Kritzeleien an Hauswänden gesehen, die eher den Namen Kunst verdienten.“
Obwohl sie ihr persönlich zustimmte, zuckte Lee die Schultern. „Manche stehen auf so etwas.“
Lachend schüttelte Blanche den Kopf. „Als sie mir gesagt haben, dieses Gewirr von roten und schwarzen Drähten am vorteilhaftesten zu fotografieren, hätte ich sie fast gebeten, das Licht auszumachen.“
„Bei dir sieht es fast mystisch aus.“
„Mit dem richtigen Licht kann ich einen Schrottplatz mystisch aussehen lassen.“ Sie lächelte Lee an. „Genauso, wie du ihn faszinierend beschreiben kannst.“
Lees Mundwinkel zuckten, doch ihre Gedanken gingen in die unterschiedlichsten Richtungen. „Das gehört alles zum Handwerk.“
„Wenn wir schon davon sprechen“, Blanche lehnte sich mit der Hüfte gegen Lees voll gepackten Schreibtisch und trank ihren Kaffee, „versuchst du immer noch, etwas über diesen Hunter Brown auszugraben?“
Ein Stirnrunzeln zog Lees elegant geschwungenen Brauen zusammen. Hunter Brown war zum Gegenstand ihres Ehrgeizes geworden und schon fast eine Besessenheit. Vielleicht lag es an seiner absoluten Unzugänglichkeit, dass sie entschlossen war, als Erste den Schleier des Geheimnisses zu lüften. Es hatte sie fast fünf Jahre gekostet, sich einen Namen als Reporterin zu machen, und sie galt als hartnäckig, gründlich und kühl distanziert. Lee wusste, sie hatte sich diese Attribute verdient. Drei Monate lang auf der Suche nach Hunter Brown ins Leere zu laufen, schreckte sie nicht ab. Auf die eine oder andere Art würde sie zu ihrer Story kommen.
„Bisher bin ich nicht einmal über den Namen seines Agenten und die Telefonnummer seiner Verlegerin hinausgekommen.“ Vielleicht lag eine Spur von Frust in ihrer Stimme, doch ihre Miene war entschlossen. „Ich habe noch nie so verschwiegene Menschen getroffen.“
„Sein letztes Buch hat alle Erwartungen übertroffen. Hast du es schon gelesen?“
„Gekauft schon, aber ich hatte noch keine Gelegenheit damit anzufangen.“
Blanche warf eine ihrer langen honigfarbenen Strähnen über die Schulter zurück. „Fang es nicht in einer dunklen Nacht an.“ Sie nahm einen Schluck Kaffee und lachte auf. „Als ich es gelesen habe, konnte ich nur bei Festtagsbeleuchtung einschlafen. Ich weiß wirklich nicht, wie er das schafft.“
Lee blickte auf. „Das ist eine der Fragen, die ich klären werde.“
Blanche nickte. Sie kannte Lee seit drei Jahren und zweifelte nicht daran, dass sie es schaffte. „Warum?“
„Weil …“, Lee trank ihren Kaffee aus und warf den leeren Plastikbecher in ihren überquellenden Papierkorb, „… es bisher noch niemand geschafft hat.“
„Große Herausforderung – das Mount-Everest-Syndrom“, bemerkte Blanche und erhielt dafür eines der seltenen spontanen Lächeln von Lee.
Ein flüchtiger Blick zeigte zwei attraktive Frauen in leichter Unterhaltung in einem modern eingerichteten Büro. Ein näherer Blick hätte die Gegensätze aufgedeckt: Blanche, in bequemen Jeans und T-Shirt, war vollkommen entspannt. Bei ihr war alles lässig, von ihren alten Turnschuhen bis zu dem herunterhängenden Haar. Ihr anziehendes Gesicht zeigte nur eine Spur von flüchtig aufgetragenem Mascara.
Lee dagegen war eine äußerst elegante Erscheinung in ihrem graublauen Kostüm. Die Anspannung, der Motor ihrer Antriebskraft, machte sich an ihren Händen bemerkbar. Ihre Finger kamen nie zur Ruhe. Ihr Haar hatte einen raffinierten Kurzhaarschnitt, der wenig Aufwand erforderte – was ihr genauso wichtig war wie die gute Wirkung. Der Farbton lag irgendwo zwischen Kupfer und Gold. Ihr Teint war zart und hell, für manche Rothaarige ein Segen, für andere ein Fluch. Wie immer hatte sie ein perfektes Make-up aufgelegt, bis hin zu dem Lidschatten, der zu ihrer Augenfarbe passte. Von ihren zarten Gesichtszügen hob sich ein voller und unübersehbar eigensinniger Mund ab.
Die zwei Frauen verkörperten total unterschiedliche Stile und Geschmacksrichtungen, doch, merkwürdig genug, ihre Freundschaft hatte sich vom ersten Augenblick an gebildet. Obwohl Blanche mit Lees aggressiven Taktiken nicht immer übereinstimmte und Lee ebenso wenig mit Blanches gemäßigter Vorgehensweise, hielt ihre enge Freundschaft seit nunmehr drei Jahren.
„Also.“ Blanche fand in ihrer Jeanstasche einen Schokoriegel und begann ihn auszuwickeln. „Wie sieht dein Schlachtplan aus?“
„Weitergraben“, gab Lee fast grimmig zurück. „Ich habe ein paar vage Verbindungen zu seinem Verlag knüpfen können. Vielleicht kommt über die eine oder andere etwas herüber.“ Ohne es selbst zu merken, trommelte sie mit den Fingern auf ihrem Schreibtisch. „Verdammt, Blanche, er ist wie der Mann, der nirgends war. Ich habe nicht einmal herausfinden können, in welchem Bundesstaat er lebt.“
„Allmählich glaube ich fast an die Gerüchte.“ Draußen, vor Lees Büro, steigerte sich jemand wegen der Bearbeitung eines Artikels fast in einen hysterischen Anfall. „Ich würde sagen, der Bursche lebt in einer Höhle voller Fledermäuse und herumstreunender Wölfe. Das Originalmanuskript schreibt er wahrscheinlich mit Schafsblut.“
„Und opfert zu jedem Vollmond Jungfrauen.“
„Ich wäre nicht überrascht.“ Genüsslich kaute Blanche ihren Riegel. „Ich sage dir, der Mann ist unheimlich.“
„,Der stille Schrei’ ist immer noch auf der Bestsellerliste.“
„Ich habe nicht gesagt, er sei nicht glänzend. Ich habe gesagt, er sei unheimlich. Was für ein Typ mag er wohl sein?“ Selbstironisch lächelnd, schüttelte sie den Kopf. „Ich kann dir verraten, gestern Nacht hätte ich gewünscht, noch nie von Hunter Brown gehört zu haben, als ich versuchte, mit offenen Augen einzuschlafen.“
„Das ist es gerade.“ Ungeduldig erhob sich Lee und trat an das winzige Fenster, das nach Osten ging. Sie blickte nicht hinaus. Der Anblick von Los Angeles interessierte sie nicht. Sie musste einfach nur herumgehen. „Was für ein Typ ist er? Welches Leben führt er? Ist er verheiratet? Ist er fünfundsechzig oder fünfundzwanzig? Warum schreibt er Romane über das Übernatürliche?“ Ungeduldig und verärgert drehte sie sich um. „Warum hast du sein Buch gelesen?“
„Weil es faszinierend war. Weil, als ich auf Seite drei war, man mich nicht einmal mit Gewalt von dem Buch hätte wegreißen können.“
„Und du bist eine intelligente Frau.“
„Verdammt richtig.“ Blanche grinste. „Also?“
„Warum kaufen und lesen intelligente Menschen etwas, das ihnen entsetzliche Angst einjagt? Wenn du dir einen Hunter Brown kaufst, weißt du, was er bei dir verursacht, und trotzdem schießen seine Bücher laufend auf die Spitzen der Bestsellerlisten und bleiben dort. Warum schreibt ein offensichtlich kluger Mann solche Bücher?“ In der Blanche vertrauten Art begann Lee, an allem herumzufingern, das ihr in die Quere kam – die Blätter eines Philodendron, ein Bleistiftstummel, der linke Ohrring, den sie während eines Telefonats abgenommen hatte.
„Höre ich etwa so etwas wie Missbilligung heraus?“
„Ja, vielleicht.“ Stirnrunzelnd sah Lee auf. „Der Mann ist wahrscheinlich der farbenprächtigste Erzähler des Landes. Wenn er ein Zimmer in einem alten Haus beschreibt, kannst du den Staub riechen. Seine Charakterzeichnungen sind so lebensnah, dass du schwörst, die Menschen seiner Romane schon einmal kennen gelernt zu haben. Und dieses Talent benutzt er, um über Dinge zu schreiben, die einem in der Nacht eine Gänsehaut verursachen. Ich will herausfinden, warum.“
Blanche zerknüllte das Papier des Schokoriegels zu einem Ball. „Ich kenne eine Frau mit scharfem Verstand. Sie hat ein Geschick, verborgene und manchmal unmöglich trockene Fakten auszugraben und aus ihnen fesselnde Geschichten zu machen. Sie ist ehrgeizig, hat ein bemerkenswertes Talent für Sprache, aber sie arbeitet für ein Magazin und lässt einen halb fertigen Roman vergessen in der Schublade liegen. Sie ist reizend, aber Verabredungen trifft sie nur aus Berufsinteresse. Und sie hat die Angewohnheit, beim Reden, Heftklammern in abscheuliche Formen umzubiegen.“
Lee blickte hinunter auf das verbogene Stück Metall in ihren Händen. „Und? Weißt du warum?“
Es war ein Anflug von Humor in Blanches Blick. „Seit drei Jahren bemühe ich mich. Ich habe es noch nicht herausgefunden.“
Mit einem Lächeln warf Lee die verbogene Heftklammer in den Papierkorb. „Schließlich bist du ja auch keine Reporterin.“
Weil sie noch nie gut darin gewesen war, Ratschläge anzunehmen, knipste Lee die Nachttischlampe an, streckte sich aus und öffnete Hunter Browns letzten Roman. Ein oder zwei Kapitel wollte sie lesen und dann früh einschlafen. Früh einschlafen, das war fast ein sündhafter Luxus nach dieser Woche bei CELEBRITY.
Ihr Schlafzimmer war in Schwarztönen und Blauschattierungen gehalten, vom zartesten Aqua bis Indigo. Hier konnte sich Lee entspannen und wohl fühlen, mit den Dutzenden von Kissen und einer riesigen türkischen Brücke. Ihre letzte Errungenschaft, ein großer Ficus-Baum, stand am Fenster und gedieh prächtig.
Dieses Zimmer hielt sie für das einzig wahre private Fleckchen in ihrem Leben. Als Reporterin akzeptierte es Lee, dass sie öffentlicher Besitz war, ebenso wie die Leute, die sie sich aussuchte. Ein Privatleben zu haben, konnte sie nicht für sich beanspruchen, wenn sie selbst laufend im Leben anderer Menschen herumwühlte. Doch in diesem winzigen Winkel der Welt konnte sie sich vollkommen entspannen, konnte vergessen, dass Arbeit auf sie wartete, dass Stufen auf der Karriereleiter zu erklimmen waren. Sie konnte sich vormachen, Los Angeles wimmele nicht von geschäftigem Treiben, solange sie nur diese Oase des Friedens hatte. Ohne sie, ohne die Stunden, die sie sich hier entspannte, würde sie den Karrieredruck nicht aushalten.
Lee wusste, sie hatte die Neigung, zu viel von sich zu verlangen, pausenlos auf Hochtouren zu laufen. In der Stille ihres Schlafzimmers konnte sie jeden Abend neue Kräfte sammeln, um für den Wettkampf am nächsten Tag bereit zu sein.
Entspannt öffnete sie Hunter Browns letztes Werk.
Nach einer halben Stunde steigerte sich Anspannung und unbehagliche Unruhe in Lee, und sie war vollkommen im Bann der Geschichte, so dass sie gar nicht schnell genug umblättern konnte. Hunter Brown stellte einen ganz gewöhnlichen Mann in einer außergewöhnlichen Situation dar und das so fesselnd, dass sich Lee mit der Hauptfigur zusammen plötzlich in einer Kleinstadt in einem dunklen Geheimnis gefangen sah.
Die Erzählung floss, und die Dialoge waren so natürlich, dass sie die Stimmen direkt hören konnte. Er füllte das Städtchen mit vielen wieder erkennbaren, alltäglichen Dingen, dass sie schwören könnte, selbst schon dort gewesen zu sein. Sie wusste, die Geschichte würde ihr mehr als nur einen schlimmen Moment in der Dunkelheit verschaffen, aber sie musste einfach weiterlesen. Das war die Magie eines Meistererzählers. Ihn verfluchend las sie, so angespannt, dass, als das Telefon neben ihrem Bett läutete, ihr das Buch aus den Händen flog. Wieder fluchte Lee, dieses Mal über sich selbst, und nahm den Hörer ab.
Ihre Verärgerung, gestört worden zu sein, dauerte nicht lange. Sie griff nach einem Stift und kritzelte etwas auf einen Notizblock neben dem Telefon. Lächelnd legte sie den Stift wieder hin. Dem Kontakt in New York schuldete sie enormen Dank. Doch erst musste sie Vorbereitungen treffen, um an einer kleinen Schriftstellerkonferenz in Flagstaff, Arizona, teilnehmen zu können.
Lee musste zugeben, das Land war beeindruckend. Wie es ihrer Angewohnheit entsprach, hatte sie während des Fluges von Los Angeles nach Phoenix gearbeitet, doch nachdem sie in die kleinere Maschine nach Flagstaff umgestiegen war, vergaß sie ihre Arbeit. Durch dünne Wolken flogen sie über eine Weite, die nach den Wolkenkratzern und dem Verkehr von Los Angeles kaum zu verkraften war. Sie blickte hinunter auf die Spitzen und Schluchten und die Burgen ähnelnden Wände des Oak Creek Canyon und empfand dabei ein Gefühl aufwallender Erregung, die selten bei einer nicht leicht zu beeindruckenden Frau zu finden ist. Wenn sie doch nur mehr Zeit hätte. Lee seufzte. Es gab nie genug Zeit.
In der Abfertigungshalle des winzigen Flughafens hatten die Passagiere die Wahl zwischen einer kleinen Ausschanktheke und Soda- und Süßigkeitsautomaten. Kein Lautsprecher verkündete ankommende oder abfliegende Maschinen. Kein Gepäckträger stürmte auf Lee zu, um ihr Gepäck in Empfang zu nehmen. Draußen wartete keine Reihe von Taxen auf die Fluggäste. Lästig. Lee runzelte die Stirn. Geduld zählte nicht zu ihren Tugenden.
Müde, hungrig und ein wenig erschöpft durch den unruhigen Flug in der kleinen Maschine, trat sie an einen der Tresen.
„Ich brauche einen Wagen, um in die Stadt zu kommen.“
Der Mann in Hemdsärmeln und gelockerter Krawatte hörte auf, Knöpfe seines Computers zu drücken. Sein berufsmäßig höflicher Blick wurde intensiver, als er Lee ansah. Sie erinnerte ihn an eine Kamee, die seine Großmutter zu besonderen Gelegenheiten am Hals getragen hatte. Automatisch straffte er die Schultern.
„Wollen Sie einen Wagen mieten?“
Lee überlegte einen Moment und lehnte es dann ab. Sie war nicht wegen touristischer Ausflüge gekommen, also lohnte sich ein Wagen nicht. „Nein, ich will nur nach Flagstaff.“ Sie nannte ihm den Namen ihres Hotels. „Haben die einen Hotelwagen?“
„Bestimmt. Rufen Sie einfach von dem Telefon dort drüben an, und die werden jemanden schicken.“
„Danke.“
Interessiert sah er ihr nach.
Als sie den Raum durchquerte, fing Lee den Duft von gegrillten Würstchen auf. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, da sie das zweifelhafte Essen während des Flugs zurückgewiesen hatte. Schnell wählte sie die Nummer des Hotels, nannte ihren Namen und erhielt die Zusicherung, innerhalb von zwanzig Minuten einen Wagen zu haben. Zufrieden kaufte sie sich ein Würstchen und nahm auf einem der schwarzen Plastikstühle Platz.
Sie würde erreichen, weshalb sie hierher gekommen war, redete sich Lee energisch ein, während sie hinüber zu den fernen Bergen blickte. Die Zeit hier würde nicht vertan sein. Nach drei frustrierenden Monaten würde sie nun endlich einen direkten Blick auf Hunter Brown werfen können.
Sie brauchte nichts weiter als eine Stunde mit ihm. Sechzig Minuten. In dieser Zeit konnte sie genügend Informationen für einen prägnanten und sehr exklusiven Artikel aus ihm herauslocken. Genau das war ihr auch mit dem diesjährigen Oscarpreisträger gelungen, obwohl der sich widerstrebend, fast feindselig gezeigt hatte. Hunter Brown würde wahrscheinlich auch beides sein. Das steigerte nur noch den Reiz der Aufgabe. Hätte sie ein einfaches überschaubares Leben gewollt, dann hätte sie sich dem Druck ihrer Eltern gebeugt und Jonathan geheiratet. In dem Fall würde sie in diesem Moment wahrscheinlich ihre nächste Gartenparty planen, statt sich zu überlegen, wie sie einen preisgekrönten, publikumsscheuen Schriftsteller überlisten könnte.
Lee hätte fast laut aufgelacht: Gartenpartys, Bridgepartys und der Yachtclub. Das mochte perfekt sein für ihre Familie, aber sie selbst wollte mehr. Mehr was? Das hatte ihre Mutter sie gefragt, und Lee hatte nur antworten können: einfach mehr.
Nach einem Blick auf ihre Uhr ließ sie ihr Gepäck neben dem Stuhl stehen und ging hinüber in den Waschraum für Damen.
Die Tür war kaum hinter Lee geschlossen, als das Objekt all ihrer Pläne in die Eingangshalle schlenderte.
Er tat nicht oft gute Taten und dann nur für Menschen, für die er eine echte Zuneigung empfand. Da er etwas zu früh in die Stadt gekommen war, war Hunter zum Flughafen gefahren, in der Absicht, seine Verlegerin abzuholen. Er sah sich flüchtig um und trat dann an denselben Tresen, an dem zehn Minuten früher auch Lee sich informiert hatte.
„War der Flug 471 pünktlich?“
„Ja, Sir, die Maschine ist vor zehn Minuten gelandet.“
„Ist eine Frau ausgestiegen?“ Wieder sah sich Hunter in der fast leeren Halle um. „Attraktiv, Mitte zwanzig …“
„Ja, Sir“, unterbrach ihn der Angestellte. „Sie ist gerade in den Waschraum gegangen. Dort drüben steht ihr Gepäck.“
„Danke.“ Zufrieden ging Hunter zu Lees fein säuberlich aufgereihten Gepäckstücken. Belustigt ließ er den Blick darüber gleiten. Offensichtlich schleppten alle Frauen immer zu viel mit sich herum. Hatte nicht auch Sarah zwei Koffer für den dreitägigen Besuch bei seiner Schwester in Phoenix mitgenommen? Merkwürdig, sein kleines Mädchen war schon fast eine Frau. Vielleicht auch nicht merkwürdig.
Im Vergleich zu Jungen wuchsen Mädchen viel schneller aus dem Kindesalter heraus.
Als sie zurück in die Eingangshalle trat, sah Lee ihn. Er stand mit dem Rücken zu ihr, so dass sie nur einen großen, schlanken Mann mit schwarzem lockigen Haar sah, das lässig über den Halsausschnitt seines T-Shirts fiel. Genau pünktlich, dachte sie zufrieden und näherte sich ihm.
„Ich bin Lee Radcliffe.“
Er drehte sich um, und sie erstarrte. Ihr unpersönliches Lächeln fror ein. Im ersten Augenblick konnte sie nicht sagen, warum. Er war attraktiv – vielleicht zu attraktiv. Sein Gesicht war schmal, ohne gelehrt zu wirken, wettergegerbt, ohne zerfurcht zu wirken. Eine Kombination von beidem. Seine gerade Nase erforderte fast die Bestimmung aristokratisch, während der Mund wie der eines Dichters geschnitten war. Sein Haar war voll und zerzaust, als wäre er stundenlang im Fahrtwind gefahren. Aber es waren nicht diese Merkmale, die Lee die Sprache verschlugen. Es waren seine Augen.
Sie hatte noch nie so dunkle Augen gesehen, die so direkt, so verunsichernd blickten. Es war, als sähe er durch sie hindurch. Nein, in sie hinein. Und innerhalb von zehn Sekunden hatte er alles von ihr wahrgenommen.
Er sah ein überwältigendes Gesicht mit hellem Teint und dunklen Augen, die vor Überraschung weit aufgerissen waren. Er sah einen weichen, femininen Mund mit geschickt aufgelegtem Rot. Er sah Nervosität. Er sah ein eigensinniges Kinn und Haar in der Farbe geschmolzenen Kupfers, das sich zwischen seinen Fingern wie Seide anfühlen würde. Er sah eine nach außen hin sichere, innerlich angespannte Frau, die nach Frühlingsabenden roch und aussah wie ein Titelbild von VOGUE. Wenn nicht diese innere Anspannung gewesen wäre, wäre er gegangen. Doch es fesselte ihn immer, was unter der Oberfläche von Menschen verborgen lag.
Mit einem ganz schnellen Blick überflog er ihr elegantes Kostüm. „Ja?“
„Nun, ich …“ Sie brach ab. Das allein brachte sie in Rage. Sie würde sich nicht von dem Fahrer eines Hotels zum Stammeln bringen lassen. „Wenn Sie gekommen sind, um mich abzuholen“, sagte sie knapp, „dann sollten Sie mein Gepäck nehmen.“
Er zog eine Braue hoch und sagte nichts. Ihr Fehler war offensichtlich. Es hätte ihn nur einen Satz gekostet sie aufzuklären.
Und doch, es war ihr Fehler, nicht seiner. Hunter hatte schon immer mehr Impulsen als Erklärungen geglaubt. Er beugte sich, nahm ihren Koffer und warf sich den Kleidersack über die Schulter. „Der Wagen ist gleich draußen.“
Mit der Aktentasche in der Hand und seinen Rücken ihr zugewandt, fühlte sie sich gleich viel sicherer. Die merkwürdige Verunsicherung, redete sich Lee ein, war auf die Erwartung, den berühmten Sonderling endlich zu treffen und den langen Flug zurückzuführen. Männer überraschten sie nie, und ganz gewiss brachten sie sie nicht zum Stammeln und Anstarren. Was sie jetzt brauchte war ein Bad und etwas Kräftigeres zu essen, als es das Würstchen gewesen war.
Der Wagen, zu dem er sie führte, war kein Wagen, sondern ein Jeep. Sie nahm an, das sei sinnvoll bei den steilen Straßen und harten Wintern und stieg ein.
Bewegt sich gut, dachte er und kleidet sich makellos. Ihre Finger konnte sie nicht einen Augenblick lang ruhig halten. „Sind Sie aus der Gegend?“ fragte er sie, nachdem er ihr Gepäck hinten verstaut hatte.
„Nein. Ich bin hier wegen der Schriftstellertagung.“
Hunter warf die Tür zu. „Sind Sie Schriftstellerin?“
Sie dachte an die zwei Kapitel ihres Manuskripts, die sie zur Tarnung mitgebracht hatte. „Ja.“
Hunter fuhr über den Parkplatz und nahm dann die Straße, die zum Highway führte. „Was schreiben Sie?“
Lee lehnte sich zurück und dachte, sie könnte sich hier schon etwas Routine erwerben, bevor sie mitten unter zweihundert Schriftstellern steckte. „Ich habe Artikel und einige Kurzgeschichten geschrieben“, erzählte sie wahrheitsgetreu. Dann fügte sie hinzu, was sie kaum jemandem verriet: „Und ich habe einen Roman angefangen.“
Mit einer Geschwindigkeit, die sie überraschte, aber nicht beunruhigte, bog er auf den Highway. „Werden Sie ihn beenden?“
„Das hängt wahrscheinlich von vielem ab.“
Er warf ihr erneut einen prüfenden Seitenblick zu. „Zum Beispiel?“
Sie musste sich zwingen, still zu sitzen. Die Frage verursachte ihr wieder Unbehagen. „Zum Beispiel, ob das, was ich bisher gemacht habe, gut ist.“
„Besuchen Sie häufig solche Tagungen?“
„Nein, es ist meine erste.“
Daher möglicherweise die Nervosität, dachte Hunter, glaubte aber nicht, die ganze Antwort bekommen zu haben.
„Ich hoffe, etwas zu lernen.“ Lee überwand sich zu einem kurzen Lachen. „Ich habe mich erst in letzter Minute zur Teilnahme entschlossen. Aber als ich erfuhr, Hunter Brown werde da sein, konnte ich nicht widerstehen.“
Das Düstere in seinem Blick kam und verschwand zu schnell, um von ihr bemerkt zu werden. Er hatte nur eingewilligt, an der Konferenz teilzunehmen, weil die Öffentlichkeit nichts davon erfuhr. Selbst von den Organisatoren wusste im Augenblick noch kaum jemand, dass er sich hinter dem Überraschungsredner verbarg. Wie also, fragte er sich, hat diese kleine Rothaarige mit den italienischen Schuhen und den Mitternachtsaugen es herausgefunden? Er überholte einen Lastwagen. „Wer?“
„Hunter Brown. Der Romanschriftsteller.“
Wieder überkam ihn der Impuls. „Ist er gut?“
Überrascht drehte sich Lee zu ihm und musterte sein Profil.Es war eindeutig leichter, ihn anzusehen, wenn diese Augen nicht auf sie gerichtet waren. „Sie haben nie etwas von ihm gelesen?“
„Sollte ich?“
„Ich denke, das hängt davon ab, ob Sie es mögen, bei Festtagsbeleuchtung und verriegelten Türen zu lesen. Er schreibt Horrorgeschichten.“
Wenn sie genauer hingesehen hätte, wäre ihr der Funke Humor in seinem Blick nicht entgangen. „Geister und Vampirzähne?“
„Nicht ganz“, entgegnete sie nach kurzem Überlegen. „Nicht so einfach. Wenn es etwas gibt, wovor sie sich fürchten, er packt es in Worte und lässt Sie ihn zum Teufel wünschen.“
Hocherfreut lachte Hunter. „Sie mögen es also, in Schrecken versetzt zu werden?“
„Nein“, antwortete Lee unmissverständlich.
„Warum lesen Sie ihn dann?“
„Das habe ich mich selbst gefragt, als ich um drei Uhr früh eines seiner Bücher ausgelesen hatte. Es ist einfach unwiderstehlich. Ich denke, er muss ein sehr merkwürdiger Mensch sein“, murmelte sie halb zu sich selbst.
Nach einer scharfen Kurve fuhr er vor dem Hotel, nach dem sie ihn eingangs kurz gefragt hatte, vor, mehr an dieser Frau interessiert, als er beabsichtigt hatte. „Aber besteht Schreiben nicht nur aus Wörtern und Einbildungskraft?“
„Und Schweiß und Blut“, fügte sie hinzu und zuckte die Schultern. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es sehr angenehm ist, mit einer Einbildungskraft wie der von Brown zu leben. Ich wüsste gern, wie er darüber empfindet.“
Amüsiert sprang Hunter aus dem Jeep, um ihr Gepäck zu holen. „Sie werden ihn fragen.“
„Ja.“ Lee stieg aus. „Das werde ich.“
Einen Augenblick lang standen sie schweigend auf dem Bürgersteig. Er betrachtete sie mit so etwas wie mildem Interesse. Doch sie spürte, da war mehr – etwas, das sie einen Hotelfahrer nach zehnminütiger Bekanntschaft nicht empfinden lassen sollte. Zum zweiten Mal wollte sie sich unruhig bewegen und zwang sich wieder zum Stillstehen. Ohne ein weiteres Wort wandte sich Hunter ab und ging mit ihrem Gepäck ins Hotel.
Sie beobachtete ihn, als er zur Anmeldung ging. Von ihm ging die Aura kühler Zuversicht aus und eine gewisse Arroganz. Warum fuhr ein Mann wie dieser für ein Hotel hin und her, ohne es zu etwas zu bringen? Doch das sollte schließlich nicht ihre Sorge sein. Sie hatte sich um Wichtigeres zu kümmern.
„Lenore Radcliffe“, sagte sie dem Portier.
„Ja, Miss Radcliffe.“ Er schob ihr ein Anmeldeformular hin und reichte ihr dann den Schlüssel. Bevor sie danach greifen konnte, hatte Hunter ihn schon genommen. Erst jetzt bemerkte sie den merkwürdigen Ring an seinem Finger, aus vier schmalen umeinander gewundenen Gold- und Silberbändern.
„Ich bringe Sie hin“, sagte er ganz einfach und durchquerte die Eingangshalle, wobei sie dicht hinter ihm blieb. Vor einer Zimmertür blieb er stehen, schloss auf und bat sie mit einer Handbewegung hinein.
Der Raum war auf Gartenebene mit eigener Veranda, was sie erfreut bemerkte. Während sie sich umsah, schaltete Hunter unbekümmert den Fernseher ein, ging die verschiedenen Programme durch und überprüfte dann die Klimaanlage. „Rufen Sie den Portier, wenn Sie noch etwas brauchen“, riet er ihr und schob ihren Kleidersack in den Schrank.
„Ja.“ Lee kramte in ihrem Portemonnaie und holte fünf Dollar hervor. „Danke.“ Sie hielt ihm das Geld hin.
Ihre Blicke trafen sich, und wieder bewirkte es bei ihr den lähmenden Schock wie zuvor auf dem Flughafen. Ganz tief in ihr rührte sich etwas. Dann lächelte er, so reizend, dass sie darüber die Sprache verlor.
„Danke, Miss Radcliffe.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, steckte Hunter die fünf Dollar ein und schlenderte hinaus.
Wenn Schriftsteller häufig als kurios eingestuft werden, so war eine Schriftstellertagung, wie Lee entdeckte, ein ganzes Kuriositätenkabinett. Ruhig, organisiert oder langweilig war hier nun wirklich nichts.
Wie alle anderen der rund zweihundert Teilnehmer stand sie morgens um acht in einer der zwölf Reihen zur Anmeldung. Vom Lachen und Rufen und den Umarmungen her zu urteilen, war es offensichtlich, dass sich viele der Schriftsteller und Möchtegernschriftsteller kannten. Es herrschte eine lockere Atmosphäre, das Gefühl, unter Gleichen zu sein. Über allem lag erwartungsvolle Spannung.
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