Sophie Ariele - Friedrich de la Motte Fouqué - E-Book

Sophie Ariele E-Book

Friedrich De La Motte Fouqué

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Beschreibung

mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Friedrich Heinrich Karl Baron de la Motte Fouqué (Pseudonyme Pellegrin und A.L.T. Frank; geb. 12. Februar 1777 in Brandenburg an der Havel — 23. Januar 1843 in Berlin) war einer der ersten deutschen Dichter der Romantik.

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Friedrich de la Motte Fouqué

Sophie Ariele

Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Funfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Ein und Zwanzigstes Kapitel.
Letztes Kapitel.
[Anhang:]
Impressum

Erstes Kapitel.

Einsam saß bei seinen Büchern und chemischen Mischungen und mannigfach wunderbaren Instrumenten, daraus sich wohl nur wenig Hochgelahrte der Arzneikunde gehörig hätten vernehmen können. Doctor Matthieu, ein berühmter Medicus zu Marseille, von welchem man glaubte, er stehe mit dem schaurig weisen Swedenborg in naher geistiger Verbindung. Ein lebhafter Briefwechsel allerdings ward zwischen dem Doctor und Swedenborg geführt, und zwar oftmal ein so überraschend schneller, daß man hätte glauben sollen, unsichtbare Boten flügelten Swedenborgs Briefe an Doctor Matthieu von Stockholm nach Marseille herüber, und trügen eben so rasch wieder Doctor Matthieu's Antworten von Marseille nach Stockholm zurück.

Ueber dergleichen Mährchen pflegte Doctor Matthieu, wenn sie ihm bisweilen zu Ohren kamen, herzlich zu lachen, und den raschen Gang der Correspondenz durch die genaue Berechnung und Beobachtung des Postenganges zu erklären, die zwischen Swedenborg und ihm einmal festgestellt sey. Oder endlich auch, wenn man sich damit durchaus nicht zufrieden geben wollte, deutete er wohl so zwischen Scherz und Ernst auf eine Taubenpost hin, welche seinen Verkehr mit dem schwedischen Magus befördre. Und gewiß: die schönsten Tauben in dem ganzen schönen Südfrankreich flogen auf Doctor Matthieu's anmuthig blühendem Meierhofe in den Vorstädten von Marseille aus und ein. —

An dem Abende jedoch, womit wir diese Geschichte beginnen, schien der gelehrte Medicus für nichts andres Sinn zu haben, als für seine ernsten und tief geheimnißreichen Studien. Selbst nicht einmal der aufsteigende Donner eines nahen Frühlingsgewitters konnte ihn aus dem tiefen Nachdenken erwecken, in welchem ihn die Cirkel, Quadrate und Triangel auf dem vor ihm liegenden Papiere befangen hielten.

Dazwischen aber seufzte er bisweilen nur kaum vernehmlich: „Sophie Ariele!“ — und fügte dann lächelnd, wohl beinahe lachend, hinzu: „wenn das Glück gut ist, — oder vielmehr nicht gut, — verwirft sie doch am Ende wohl den ganzen Kram, und ich habe vergeblich gemessen und gerechnet!“ — ließ sich indessen durch diese zweifelnden Betrachtungen nicht abhalten, seine Arbeit eifrig fortzusetzen, und sichtlich unangenehm gestört fuhr er in die Höhe, als ein Diener ihm die Ankunft eines Fremden meldete, der um seinen ärztlichen Rath zu fragen komme. Doch hemmte dieser Nachsatz alsbald bei dem Pflichtgetreuen Manne jede fernere Aeusserung seiner Unzufriedenheit. Ja sogar verklärte sich sein edel ernstes Antlitz zu einer sehr anmuthigen Freundlichkeit, indem er dem Diener winkte, den Fremden hereinzuführen.

Eine hohe Mannesgestalt in Kriegertracht, von edler Haltung und jugendlichem Ansehen, trat in das Gemach, und Doctor Matthieu sagte nach den ersten Begrüssungen:

„Wenn mich nicht alles trügt, habe ich die Ehre, einen Schwedischen Offizier in Ihnen zu bewillkommen, und wohl gar einen Bekannten, ja gewissermaßen Abgesendeten meines Freundes Swedenborg zu Stockholm.“

„So ist es, mein Herr!“ entgegnete der Fremde. Ich bin der Schwedische Obrist Gustav Gyllenskiold, welchen sein Freund Swedenborg hierhergewiesen hat, um in Ihrer Nähe die Hülfe zu finden, die sein eigenes tiefes Wissen mir nicht unmittelbar zu ertheilen vermag.“ —

Doctor Matthieu betrachtete seinen Gast eine Zeitlang mit nachdenklichem Schweigen. Endlich sagte er: „die Aufgabe ist schwer; beinahe einer Versuchung ähnlich! Wo Swedenborg nicht helfen konnte, soll ich helfen! Und zudem, — Ihr Aussehn, Herr Obrist, zeugt von der blühendsten Gesundheit. Was möchte da zu heilen seyn? — Verböte nicht Ihr treuherziges Auge und Ihre edle Sitte jeden Verdacht, ich müßte befürchten, Sie wären hergekommen, mich durch eine spottende Vorspiegelung Ihres Krankseyns zu verhöhnen.“ —

Gustav Gyllenskiold fuhr zusammen, wie Jemand, der ein streng unwilliges Wort aussprechen will, und sich das im Augenblicke des Wollens selbst wieder verbietet.

Gutmüthig reichte ihm der Doctor die Hand mit den Worten:

„Ich spräche ja dergleichen nicht aus, Herr Obrist, wenn ich mir einbilden dürfte, es könne Sie in That und Wahrheit treffen. Es ist ja nur eben ein wunderliches: „Wenn,“ mein edler Gast. Ein Wenn, dem ich in meiner Seele fürwahr keinen Raum gönne.“

Gustav Gyllenskiold hatte die freundlich dargebotne Hand ergriffen, und der Doctor setzte hinzu: „Wo ich Ihnen irgend helfen kann, Herr Obrist, — ich bin mit Freuden bereit dazu in dem ganzen Gebiete meiner Kunst. Freilich ist Ihr Uebel ohne Zweifel von großer Bedeutung. Denn wie viel der eingebildeten Kranken es auch geben mag, — ein Mann Ihresgleichen kann unmöglich unter dem Einfluß wesenloser Träume leiden.“ —

Da zog der junge Fremde langsam seine Hand aus der Hand des Arztes, und sagte kopfschüttelnd: „Wenn Sie zu Denen gehören, Herr Doctor, welche die Träume für etwas unbedeutendes halten, so darf ich mir leider auf Ihre Hülfe keine Rechnung machen; denn mein ganzes Unheil besteht eben in schlimmen Träumen. Wachend bin ich gesund und frisch. Aber selten, daß sich der Schlummer auf meine Augen senkt, ohne daß die gräßlichsten Traumgesichte meine Seele ängsten und empören. Bald erscheint mir dann doch ich bitte, verzeihen Sie dem Träumer, der Ihnen so viel von Ihrer Kostbaren Zeit geraubt hat, und sich doch keine Hoffnung darauf machen kann, daß Sie theilnehmend und hülfreich in seinen Zustand eingehn. Leben Sie wohl!“

Aber Doctor Matthieu bat seinen seltsamen Gast mit einnehmender Herzlichkeit, zu bleiben, und wenn auch nicht mit Vertrauen auf seine Hülfe, doch mit Zuversicht auf seine Theilnahme zu rechnen, die ihm ja schon durch den gemeinschaftlichen Freund Swedenborg gesichert sey. —

„Freilich ist es mir unerklärbar,“ fügte er hinzu, als Gyllenskiold, sich freundlich seinen Bitten gefügt hatte, „wie der sonst so selten irrende Weise grade unter diesen Umständen Sie zu mir bescheiden konnte. Denn eben seine und meine Ansichten über Träume bilden der einzig abweichenden Punkt auf unserer wissenschaftlichen Bahn. Obzwar ich vieles andre Geheimnißreiche in der Natur gleich ihm anerkenne und mit ernstem Ahnungsschauer verehre, sind es die Träume, welchen ich nur einen durchaus physischen Charakter beimessen kann, während unser Freund so oft darin einen psychischen Hauch anerkennt, dem er wohl gar zur göttlichen, oder doch mindestens zur geisterhaften Mittheilung erheben will. — Oder wäre es möglich, daß er jetzt seine Ansichten geändert hätte, plötzlich und gänzlich, und mir Sie, Herr Obrist, eben deswegen zusendete, um Ihnen die Bahn zur Genesung auf entgegengesetzte Weise zu eröffnen, als die bisher von ihm versuchte?“ —

„Daran zweifle ich!“ erwiederte Gyllenskiold. „Seine Anweisung an Sie, Herr Doctor, war ganz in die geheimnißtiefste Dunkelheit seiner bisweilen so räthselhaften Worte eingehüllt, und ich würde fast meinen, mich durch ein Misverständniß getäuscht zu haben, könnte nicht dieses Blättchen von seiner Hand Sie und mich überzeugen, daß er mich durchaus hierher zu Ihnen nach Marseille weist.“ —

„Unbegreiflich!“ sagte der Arzt nach einigem Ueberlegen, während dessen er immer und immer wieder aus den wohlbekannten Schriftzügen die Worte las und endlich sie beinahe buchstabirte: „Heilung für Freund Gustav Gyllenskiold von seinen Traumesschrecken durch Freund Matthieu in Marseille.“ —

„Unbegreiflich!“ wiederholte er nachsinnend. „Denn ob mir vorhin vielleicht meine Eitelkeit vorspiegeln wollte, als habe sich Swedenborg unerwartet meiner Ansicht gebeugt, — ein deutlicheres Besinnen sagt mir, daß er lange nach Ihrer Abreise aus Stockholm, sehr lange nach her (denn die Posten, wenn man sie gehörig nutzt, gehn unglaublich schneller, als die Reisenden) einen Brief an mich erlassen hat, ganz des Glaubens an die Geistigkeit der Träume voll, ja, mir einen neuen Beweis für seine richtige Ansicht verheißend. Und gewiß, Herr Obrist, mit diesem Beweise meinte er Sie. Die Hauptsache jedoch ist natürlicherweise jetzt Ihre Heilung. Unser Freund muß also meine Art, ähnliche Uebel zu behandeln, wenigstens für Ihren diesmaligen Zustand insbesondre angemessen finden. Schenken Sie mir das gleiche Vertrauen, so bitte ich Sie um eine klare Mittheilung Ihres Leidens und der Art, wie es über Sie kam.“

Zweites Kapitel.

Gyllenskiold, sich neben dem Arbeitstische des Arztes auf einen Lehnsessel niederlassend, sagte nach einem langen schwermuthvollem Sinnen:

„Wie mein Leiden über mich kam? — O mein Gott, lieber Herr, eben dadurch, daß ich geboren ward. Vermuthlich wenigstens ward schon in meinen ersten Kindheitsträumen der finstre Nebelgeist wach, welcher mich noch jetzt verfolgt. Die damals um mich waren, sprechen, ich sey oft mit fürchterlichem Geschrei aus meinem Wiegenschlummer aufgeschreckt. Manchmal aber, meinen sie, hätte ich auch wieder im Schlafe gelächelt, wie ein Engel.“ —

Und wirklich wie ein süßes Engelslächeln ging es bei diesen Worten über seine stolzen Züge hin. Doch bald wieder legte sich eine schwere Schmerzenswolke über sein Angesicht, und er sagte:

„Ob das Erbarmen seyn mochte oder Schmeichelei, oder freundlicher Selbstbetrug, oder ob auch damals Wahrheit, welche nur eben mit dem freundlichen Paradies der Kindheit vorübergezogen ist, — jetzt“ —

Er stockte, und sang sodann leise mit den rührenden Klängen eines alten Liedes:

„Jetzt ist es anders viel!“

Dann hielt er die Hand vor die Augen, während er den Ellenbogen auf die Lehne des Armsessels stützte, und dem Doctor kam es vor, als schlichen leise Thränen über die Wange seines seltsamen Gastes hinab. Auf keine Weise jedoch wollte der Arzt diese mildwehmüthige Stimmung stören, und enthielt sich deshalb des allzuscharfen Beobachtens.

Plötzlich sahe Gustav Gyllenskiold muthig und stolz in die Höhe, und einen Adlerblick auf den Doctor werfend sprach er:

„Gewiß, Sie trauen mir nichts so Kleinliches zu, als daß die Träume allein, und wären ihre Bilder auch noch so schlimm, es vermocht hätten, mich in den Zustand der wehmüthigen Abspannung zu bringen, von dem ich mich jetzt eben beschlichen fühlte. Nein, Doctor, wäre meine Mutter etwas früher gestorben, — ich meine: hätte ich nie ihr himmlischfrohes Lächeln gesehn, wenn ich einmal aus traumleerem oder gar traumsüßem Schlaf erwachend dem Morgen entgegensah, — oder hätte ich auch nie ihre süßen glückerhoffenden Worte vernommen, wenn sie davon sprach, wie sie dereinst ihres Gustavs Hochzeitfeier bereiten wolle, oder ihren Gustav begrüssen, wenn er als ein sieghafter Held aus dem Felde, als ein weiser Königsbote aus Gesandtschaftsfahrten heimkehre, —“

Er schwieg wiederum einige Augenblicke, und sahe mit den dunkelglühenden Blau-Augen schmerzlich wie in seine eigne Seele hinein. Dann sprach er ganz gefaßt, beinahe gleichgültig, wie man etwa von ungünstigen Begebenheiten eines durchaus fremden Menschen redet:

„Seht, Doctor, da hätten es mir die schrecklichen Träume nicht gethan, und eben so wenig das fast noch widerwärtigere Wachen. Denn am Ende, — daß ein ehrliches Herz immer just auf halbe Viertelstunden anerkannt werde, oder höchstens auf ganze, wo die Leute eben Zeit zur Empfindsamkeit haben, und sechs Minuten nachher von der gesammten Verhandlung nichts mehr wissen, — ei nun: dazu ist der Weltlauf eben der Weltlauf, und im Gegensatze desselben ist ein Herz ein Herz. Die Historie thut etwas weh, aber mit einigen Schmerzenslehrgeld begreift man den Tanz, und findet sich darin. Eben so darin, wenn uns der Kriegsruhm immer süßlockend anlächelt, wie ein buhlerisches Weib, und in dem Lächeln liegt die Verheissung: „jetzt grüß' ich Dich! Jetzt küß' ich Dich! Jetzt bist Du mein! Jetzt bin ich Dein!“ — und weder Gruß noch Kuß erfolgt, und die Verheißung zu dem herrlichen Vereine wird nur ein schwellend Gift in Euern Adern! —

Ja, ja, auch das noch läßt ein kräftiger Ehrenmann sich in seinem starken und stillen Sinne gefallen, und denkt zuletzt: man legt mich dennoch einmal in's Grab, und dann mag es hübsche goldne Buchstaben auf Sarg oder Ehrendenkmal geben, und die seltsame Buhle ist dann auf Einmal getreu geworden, und wankt und weicht von der Gruft nicht mehr, und sieht so endlos freundlich den Gestorbnen an, den sie im Leben nur mit trügend lockendem Gesichte wechselnd nachriß auf eine bunte Gaukelbahn! —

Oder hat etwa so ein obbenannter Königsbote auf die Dauer einen bessern Trost zu erhoffen, bevor er eins gekehrt ist in die stille Herberge mit den schwarzen sechs Brettern, und allenfalls mit den goldnen Nägeln oder gemalten Schriftzeichen? — Also es wäre wohl ziemlich Eins, ob man dergleichen auf Erden vorgestellt hat oder nicht, — und die Traumgestalten der großen Altväter mochten ihre langbärtigen Häupter schütteln nach Belieben. —

Aber wenn man bedenkt, wie die eben so süßen, als edelstolzen Hoffnungen des holden Mütterleins betrogen sind für unsre Lebensbahn, — wie es beinahe nur der Schmerz ist, der sich unser Herz in Pacht genommen hat, — ja, da möchte man —!“

Er fuhr unwillig in die Höhe, als habe er einen ihm plötzlich erscheinenden Wolkengeist zu bekämpfen, doch gleich wieder gelassen sich in den Lehnstuhl zurücksetzend, sprach er lächelnd und mit einer leise abwehrenden Bewegung der Hand die beschwichtigende Gegenrede des Arztes zurückweisend: „lassen Sie es gut seyn, guter Doctor. Für diese Narben hab' ich Trost. Ich weiß ja, daß Leben nur Sterben ist. Und was hat es also mit dem sogenannten Leben überhaupt so viel auf sich, oder auch mit dem sogenannten Sterben? Das Letztere ist ja nur der Gipfelpunkt des Ersteren. Deshalb: nicht sowohl um ein ruhigeres Leben ruf' ich in Freund Swedenborgs Auftrag Ihre Kunst an, als vielmehr um ein ruhigeres Sterben. — Das Experiment währt bei den mehrsten Menschen ziemlich lange!“ — setzte er mit weicher Stimme hinzu. —

„Abkürzen darf man es nach meiner besten Ueberzeugung nicht eigenwillig, und ich bin noch jung. Also lieber Herr Doctor, bitte: erleichtern Sie mir mein langes Sterben, indem Sie die furchtbaren Träume in meinen Lebensnächten verscheuchen oder doch mildern.“

„Und diese Träume?“ fragte der Arzt gespannt. „Erscheinen sie jedesmal in ähnlicher Gestaltung? Oder wechseln sie untereinander nach den verschiedenen Stimmungen Ihrer Seele?“ — Gustav entgegnete lächelnd: „ja nun, — wer so die jedesmaligen Stimmungen seiner Seele anzugeben und auf deren Wiederklinge aus den übrigen Wesen der sichtbaren oder unsichtbaren Welt zu lauschen wüßte, — der wäre freilich ein Meister, und konnte sich das Heilungsrezept selbst aufzeichnen! Oder auch die Erklärung der Unheilbarkeit. Je nachdem der Würfel eben fiele!“ —

„Ei,“ sagte Doctor Matthieu etwas heftig, „meine edle Kunst ist kein Würfelspiel, und wenn es unedle Finger giebt, die sie als ein solches treiben, so bin ich mir Gottlob bewußt, nicht zu ihnen zu gehören. Aber eben deshalb weiß ich auch, daß ohne das volle Vertrauen des Kranken kein Arzt auf der Welt etwas leisten kann. Vermuthlich fanden Sie, Herr Obrist, irgend etwas in meiner Erscheinung, das Ihnen Ihr früheres Vertrauen zu mir benahm, denn es scheint, Sie scheuen es, mir das Geheimniß Ihrer Träume zu erschliessen. Und so kann denn ich meinerseits nur bedauern, daß Sie die weite Reise von Stockholm nach Marseille vergeblich gemacht haben.“

Gustav Gyllenskiold erhob sich mit verhaltnem Unwillen von seinem Sitze, und fand im Begriff ein kalthöfliches Abschiedswort auszusprechen.

Da öffnete sich leise die Thür, und herein schwebte eine zierliche Frauengestalt, ein weißes Täubchen im Arm, sie selbst so zart und schneeig, als ihr Täubchen. Vor dem unerwarteten Anblicke des Fremden färbten sich ihre nur leise von Roth angehauchten Wangen höher; in unaussprechlicher Anmuth neigte sie sich sittig gegen ihn, flüsterte dann ein paar freundliche Worte in das Ohr des Arztes, und war alsbald durch eine gegenüberstehende Thür verschwunden.

Der mildernde Zauber, welchen die Gegenwart der Frauen in jede ächt männliche Brust ausströmt, hatte sich süß und lieb durch des jungen Kriegsmannes Seele ergossen. Er legte den schon zum Fortgehn ergriffenen Hut wieder von sich, und sprach freundlich: „lieber Herr, vorhin begegnete es mir, in rascher Aufwallung auf Ihre Hülfe zu verzichten; jetzt sagen Sie in eben so rascher Aufwallung Ihre Hülfe mir ab. Wir hatten wohl Beide unrecht damit. Aber — vergönnen Sie mir die Bemerkung — sollte nicht der Arzt mehr Geduld mit dem Kranken haben, als der Kranke mit dem Arzt? Ach und auch der Glückliche sollte wohl dem unglücklichen sich weit milder bezeigen, als dieser oft es Jenem gegenüber vermag!“ —

Doctor Matthieu faßte den edlen Jüngling tiefbewegt in seine Arme, und Gustav sprach:

„Nun haben Sie sich mein ganzes Herz aufgeschlossen, und gern will ich Ihnen berichten, was ich selbst von meinen Träumen weiß.“

Beide nahmen vertraulich ihre Sitze wieder ein, und Gyllenskiold erzählte Folgendes.

Drittes Kapitel.