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In diesem Buch greift Dale Carnegie eines der wichtigsten Themen unserer Zeit auf - die alltäglichen Ängste und Sorgen, die uns an der Entfaltung unserer Möglichkeiten hindern und die es uns so schwer machen, einfach glücklich zu sein und den Tag mit Selbstvertrauen und Zuversicht zu beginnen. Die Grundsätze für ein unbesorgteres Leben, die Dale Carnegie hier aufstellt, sind anregend, für jeden Menschen nachvollziehbar und - sie lassen sich wirklich in die Praxis umsetzen. Diese Buch hilft Ihnen - sich das Sorgen abzugewöhnen, ehe es einen zugrunde richtet - zu einer Lebenseinstellung zu gelangen, die Frieden und Glück bringt - mit der Kritik anderer fertig zu werden - geistig und körperlich auf der Höhe zu bleiben - sich selbst zu finden - Trübsinn in wenigen Tagen zu heilen - an vielen Beispielen zu erkennen, was der Wille des Menschen vermag - das Leben positiv zu verändern
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Seitenzahl: 506
Dale Carnegie
Sorge dich nicht - lebe
Aus dem Amerikanischen von Ursula Gail
FISCHER E-Books
Wie dieses Buch entstand – und warum
Als junger Mann in New York war ich sehr unglücklich. Um leben zu können, verkaufte ich Lastwagen, und ich hatte keine Ahnung, wie die funktionierten. Doch das war noch nicht alles: Ich wollte es gar nicht wissen. Ich hasste meinen Job. Ich hasste mein billiges, möbliertes Zimmer in der 56. Straße, in dem es von Kakerlaken nur so wimmelte. Ich erinnere mich noch, dass ich die Krawatten an der Wand aufgehängt hatte, und wenn ich morgens nach einer frischen langte, stoben die Kakerlaken in alle Richtungen davon. Ich hasste auch, dass ich in billigen, schmuddeligen Lokalen essen musste, in denen es vermutlich ebenfalls einen Haufen Kakerlaken gab.
Jeden Abend kehrte ich mit entsetzlichem Kopfweh in mein einsames Zimmer zurück, ein Kopfweh, das durch Enttäuschung, Ärger, Bitterkeit und Empörung genährt wurde. Ich rebellierte, weil sich die Träume, die ich während meiner Studienzeit gehegt hatte, in Alpträume verwandelt hatten. War das das Leben? War das das große Abenteuer, dem ich voll Erwartung entgegengefiebert hatte? Würde das Leben für mich nichts anderes bedeuten, als eine verhasste Arbeit zu tun, mit Kakerlaken zu leben, miserables Essen zu essen – ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft? Ich sehnte mich nach Freizeit, um zu lesen und um die Bücher zu schreiben, die ich schon damals in meiner Studienzeit hatte schreiben wollen.
Ich wusste, dass ich alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hatte, wenn ich den Job aufgab, den ich so wenig mochte. Einen Haufen Geld zu machen interessierte mich nicht, aber mein Leben zu leben – das interessierte mich! Kurz gesagt, ich hatte den Rubikon erreicht, das heißt, der Augenblick der Entscheidung war gekommen, den die meisten jungen Leute durchzustehen haben, ehe sie ins Leben hinausgehen. Also traf ich meine Entscheidung, und diese Entscheidung veränderte meine Zukunft völlig. Sie machte mein Leben glücklich und lohnend, wie ich es in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt hätte.
Meine Entscheidung war folgende: Ich würde die verhasste Arbeit aufgeben und an der Abendschule Erwachsene unterrichten. Schließlich hatte ich vier Jahre am Staatlichen Lehrerkolleg von Warrensburg in Missouri studiert, um Lehrer zu werden. Ich würde dann also tagsüber freihaben, könnte lesen, meine Vorträge vorbereiten, Romane und Kurzgeschichten schreiben. Ich wollte «leben, um zu schreiben, und schreiben, um zu leben».
Was sollte ich den Erwachsenen abends nun beibringen? Als ich zurückblickte und über meine eigene Ausbildung nachdachte, erkannte ich, dass für mich mehr als alle andern Studien zusammengenommen das Training und die Erfahrungen im Sprechen in der Öffentlichkeit von praktischem Wert gewesen waren, sowohl im Beruf wie im Leben. Warum? Weil ich dadurch meine Schüchternheit und meine Unsicherheit verloren und Mut und Selbstvertrauen gewonnen hatte, so dass ich mit Menschen umgehen konnte. Mir war dabei auch klar geworden, dass gewöhnlich derjenige die Führungsrolle übernimmt, der aufstehen und sagen kann, was er denkt.
Gewöhnlich übernimmt derjenige die Führungsrolle, der aufstehen und sagen kann, was er denkt.
Ich bewarb mich sowohl bei der Columbia-Universität als auch bei der Universität von New York darum, Abendkurse in freier Rede zu geben, doch dort entschied man, dass man sich ganz gut ohne meine Hilfe durchschlagen könne.
Damals war ich enttäuscht. Heute danke ich Gott, dass sie mich nicht nahmen, denn ich begann an der Abendschule des Christlichen Vereins Junger Männer zu unterrichten, wo ich zeigen musste, was ich konnte, und zwar schnell. Was für eine ungeheure Herausforderung das war! Diese Erwachsenen besuchten meine Kurse nicht, weil sie nach höherer Bildung oder größerem Sozialprestige strebten. Sie kamen nur aus einem einzigen Grund: weil sie mit ihren Problemen fertig werden wollten. Sie wollten bei einer geschäftlichen Besprechung aufstehen und ein paar Worte sagen können, ohne vor Angst in Ohnmacht zu fallen. Vertreter wollten einen schwierigen Kunden besuchen können, ohne vorher dreimal um den Block laufen zu müssen, um sich Mut zu machen. Sie wollten lernen, wie man Ausgeglichenheit und Selbstvertrauen entwickelt. Sie wollten in ihrem Beruf weiterkommen. Sie wollten mehr Geld für ihre Familien verdienen. Und da sie den Unterricht in Raten bezahlten – womit sie gleich aufhörten, wenn sie keine Ergebnisse erzielten – und da ich kein Gehalt erhielt, sondern Umsatzprovision, musste ich praktisch denken, wenn ich essen wollte.
Sie wollten lernen, wie man Ausgeglichenheit und Selbstvertrauen entwickelt.
Damals war mir klar, unter welchen schwierigen Bedingungen ich arbeitete, doch heute begreife ich, dass ich einmalige Erfahrungen sammelte. Ich musste meine Studenten motivieren. Ich musste ihnen helfen, ihre Probleme zu lösen. Ich musste jede Unterrichtsstunde so anregend gestalten, dass sie Lust hatten, wiederzukommen.
Es war eine aufregende Arbeit. Ich war begeistert. Es war erstaunlich, wie schnell diese Geschäftsleute Selbstvertrauen entwickelten und wie rasch viele von ihnen befördert wurden und mehr Gehalt erhielten. Die Kurse waren so erfolgreich, wie ich es in meinen optimistischsten Augenblicken nicht zu hoffen gewagt hatte. Nach drei Semestern zahlte mir der CVJM, der mir am Anfang nicht einmal fünf Dollar Fixum pro Abend hatte geben wollen, dreißig Dollar Umsatzprovision täglich. Zuerst unterrichtete ich nur in freier Rede, aber mit der Zeit erkannte ich, dass diese im Beruf stehenden Studenten auch das Wissen brauchten, wie man sich Freunde erwarb und die Menschen beeinflusste. Da ich über zwischenmenschliche Beziehungen kein passendes Unterrichtsbuch finden konnte, schrieb ich selbst eines. Es entstand – nein, es entstand nicht auf die übliche Art und Weise. Es wuchs und entwickelte sich aus den Erfahrungen meiner Studenten in diesen Abendkursen. Ich nannte es Wie man Freunde gewinnt.
Da ich es nur als Unterrichtsbuch für meine eigenen Abendkurse geschrieben und noch vier andere Bücher verfasst hatte, die kein Mensch kannte, dachte ich nicht im Traum daran, dass ich viel davon verkaufen würde. Vermutlich bin ich einer der wenigen zeitgenössischen Autoren, die über ihren Erfolg völlig verblüfft sind.
Mit den Jahren erkannte ich, dass meine erwachsenen Studenten noch ein anderes großes Problem hatten: Sie machten sich zu viel Sorgen. Die überwiegende Mehrzahl von ihnen waren Geschäftsleute – Angestellte, Vertreter, Ingenieure, Buchhalter: ein Querschnitt durch alle Berufe und Branchen. Und die meisten hatten Probleme! Es gab auch weibliche Studenten – Büroangestellte und Hausfrauen. Auch sie hatten Probleme! Ganz klar, ich brauchte ein Lehrbuch darüber, wie man seine Sorgen in den Griff bekam. Also machte ich mich wieder auf die Suche. Ich ging zu New Yorks größter öffentlicher Bibliothek Ecke Fifth Avenue und 42. Straße und entdeckte zu meinem Erstaunen, dass dort unter dem Stichwort Worry – also Sorgen – nur zweiundzwanzig Titel verzeichnet waren. Und ich stellte zu meiner Erheiterung auch fest, dass es über Worms – also Würmer – einhundertneunundachtzig Bücher gab. Fast neunmal so viel Bücher über Würmer wie über Sorgen! Erstaunlich, nicht wahr? Sich Sorgen zu machen und Angst zu haben – das sind mit die größten Probleme, die die Menschheit hat, und deshalb sollte man doch wohl annehmen, dass es an jeder Highschool, an jedem College im Land Kurse darüber gibt, wie man seine Sorgen und Ängste abbauen kann. Ich habe aber nie auch nur von einem einzigen entsprechenden Kurs etwas gehört. Kein Wunder also, dass David Seabury in seinem Buch Wie man sich erfolgreich Sorgen macht schreibt: «Wir werden erwachsen und sind so wenig auf den Erfahrungsdruck vorbereitet wie ein Bücherwurm, der ein Ballett tanzen soll.»
Sich Sorgen zu machen und Angst zu haben – das sind mit die größten Probleme, die die Menschheit hat.
Das Resultat? Mehr als die Hälfte unserer Krankenhausbetten wird von Nerven- und Gemütskranken belegt.
Ich sah diese zweiundzwanzig Bücher über Sorgen und Ängste durch, die in den Regalen der New Yorker Bibliothek standen. Außerdem kaufte ich alle Bücher zu dem Thema, die ich finden konnte. Doch es war nicht ein einziges darunter, das ich für meine Kurse verwenden konnte. Da beschloss ich, selbst eines zu schreiben.
Ich begann mich auf das Schreiben dieses Buches genau vorzubereiten. Wie? Indem ich las, was die Philosophen aller Zeiten zu diesem Thema zu sagen hatten. Außerdem las ich Hunderte von Biographien, angefangen bei Konfuzius bis zu Churchill. Ich interviewte auch eine Menge prominenter Leute aus den verschiedensten Gesellschaftskreisen, wie zum Beispiel Jack Dempsey, General Omar Bradley, General Mark Clark, Henry Ford, Eleanor Roosevelt und Dorothy Dix. Doch das war nur der Anfang.
Denn ich tat noch etwas anderes, das weit wichtiger war als die Interviews und das Lesen. Fünf Jahre lang arbeitete ich in einem Versuchslabor zur Erforschung der Angst – ein Labor, in dem unsere erwachsenen Schüler ihre eigenen Versuche machten. Soviel ich weiß, war es das erste und einzige dieser Art auf der ganzen Welt. Wir machten Folgendes: Wir nannten den Studierenden einige Verhaltensregeln, wie sie ihre Angst überwinden könnten, und baten sie, sie in ihrem eigenen Leben anzuwenden und dann im Kurs über die erzielten Ergebnisse zu berichten. Andere erzählten von Techniken, die sie früher ausprobiert hatten.
Ich glaube, dass ich als Ergebnis dieses Experiments mehr Berichte über das Thema «Wie ich Angst und Sorgen loswurde» hörte als jedes andere menschliche Wesen auf Gottes Erdboden. Zusätzlich las ich noch Hunderte von Schilderungen zu dem Thema, die mit der Post kamen oder die Preise in anderen Kursen gewonnen hatten, die wir überall auf der Welt abhielten. Dieses Buch ist also nicht in einem Elfenbeinturm entstanden. Noch ist es eine theoretische Predigt darüber, wie man seine Nöte und Sorgen loswerden könnte. Vielmehr habe ich versucht, einen knappen, spannenden Erfahrungsbericht darüber zu schreiben, wie viele Tausende von Erwachsenen ihre Angstgefühle bewältigten. Eines jedenfalls steht fest: Dieses Buch ist praxisbezogen. Sie können sich die Zähne daran ausbeißen.
Dieses Buch ist praxisbezogen. Sie können sich die Zähne daran ausbeißen.
«Die Naturwissenschaften», sagte der französische Denker und Dichter Paul Valéry, «sind eine Sammlung von Erfolgsrezepten.» Genau darum geht es auch in diesem Buch: eine Sammlung wirksamer und nachgeprüfter Rezepte, wie man das Leben sorgenfrei gestalten kann. Doch ich warne Sie! Sie werden nichts Neues dabei entdecken, aber vieles, das nicht allgemein befolgt wird. Und wenn man es recht bedenkt, so braucht man Ihnen und mir gar nichts Neues zu erzählen. Wir wissen bereits genug und könnten ein vollkommenes Leben leben. Wir haben alle Matthäus 7, Vers 12 gelesen und die Bergpredigt. Unser Problem ist nicht Unwissenheit, sondern Tatenlosigkeit. Der Zweck dieses Buches ist es, eine Menge alter und fundamentaler Wahrheiten neu zu formulieren, sie zu verdeutlichen, sie den modernen Verhältnissen anzupassen, vom angesetzten Staub und Mief zu befreien und sie aufzupolieren – und Sie außerdem ans Schienbein zu treten, damit Sie etwas unternehmen und sie befolgen.
Sie haben dieses Buch nicht aufgeschlagen, weil Sie wissen wollten, wie es entstanden ist. Sie wollen Taten sehen. Schön, fangen wir an. Bitte, lesen Sie Teil eins und Teil zwei, und wenn Sie dann nicht spüren, wie Sie neue Kräfte und neue Einfälle bekommen, wenn Sie dann nicht aufhören, sich Sorgen zu machen, und nicht anfangen, das Leben zu genießen – dann werfen Sie dieses Buch weg. Es taugt nicht für Sie.
Dale Carnegie
1. Wenn Sie aus diesem Buch das meiste herausholen wollen, müssen Sie eine Bedingung unbedingt erfüllen, einen wesentlichen Punkt, der unendlich viel wichtiger ist als alle Vorschriften und Techniken. Wenn Sie diese eine fundamentale Voraussetzung nicht erfüllen, werden Ihnen selbst tausend Tipps, wie Sie arbeiten sollen, wenig nützen. Aber wenn Sie diese Kardinaltugend besitzen, dann können Sie Wunder vollbringen und brauchen Ratschläge, wie Sie so viel wie möglich von diesem Buch haben, nicht zu lesen.
Was ist das für eine Zauberformel? Ganz einfach: ein tiefes, großes Verlangen zu lernen, eine wilde Entschlossenheit, alle Sorgen zu bekämpfen und leben zu wollen.
Die Zauberformel? Ganz einfach: ein tiefes, großes Verlangen zu lernen, eine wilde Entschlossenheit, alle Sorgen zu bekämpfen und leben zu wollen.
Wie können Sie nun Ihren Willen stärken? Indem Sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, wie wichtig die in diesem Buch aufgestellten Grundregeln für Sie sind. Stellen Sie sich vor, wie Ihr Leben reicher, glücklicher wird, wenn Sie sie beherrschen. Sagen Sie sich wieder und wieder: «Mein Seelenfrieden, mein Glück, meine Gesundheit und vielleicht sogar mein Verdienst werden zu einem großen Teil davon abhängen, ob ich die alten, einleuchtenden und ewigen Wahrheiten befolge, die dieses Buch lehrt.»
2. Lesen Sie jedes Kapitel kurz einmal durch, damit Sie einen allgemeinen Überblick bekommen. Vermutlich werden Sie dann versucht sein, gleich zum nächsten überzugehen. Tun Sie es nicht! Außer Sie lesen nur rein zum Vergnügen. Aber wenn Sie lesen, weil Sie sich nicht mehr ärgern und leben wollen, dann fangen Sie vorn wieder an und lesen jedes Kapitel noch einmal gründlich! Auf die Dauer gesehen, sparen Sie damit Zeit und erreichen mehr.
3. Unterbrechen Sie Ihre Lektüre häufig und denken Sie über das Gelesene nach! Überlegen Sie immer wieder, wie und wann Sie die gegebenen Anregungen befolgen können. Diese Methode wird Ihnen weit mehr helfen, als wenn Sie durch die Seiten rennen wie ein Jagdhund, der hinter einem Hasen her ist.
4. Lesen Sie mit einem Rotstift, Bleistift oder Kugelschreiber in der Hand. Und wenn Sie zu einem Vorschlag kommen, den Sie glauben, verwenden zu können, machen Sie daneben einen Strich. Ist es eine Vier-Sterne-Regel, unterstreichen Sie jeden Satz oder machen am Rand ein Kreuz. Ankreuzen und unterstreichen macht die Lektüre interessanter und das Wiederholen leichter.
Ankreuzen und unterstreichen macht die Lektüre interessanter und das Wiederholen leichter.
5. Ich kenne eine Frau, die seit fünfzehn Jahren Direktorin einer großen Versicherungsgesellschaft ist. Sie liest jeden Monat alle abgeschlossenen Versicherungsverträge durch. Ja, sie liest die gleichen Verträge Monat für Monat, Jahr für Jahr. Warum? Weil die Erfahrung sie gelehrt hat, dass sie nur auf diese Weise alle Versicherungsbedingungen genau im Kopf behalten kann.
Ich habe einmal ein Buch über freie Rede geschrieben. Ich brauchte zwei Jahre dazu. Und ich stelle immer wieder fest, dass ich manchmal in meinem eigenen Buch nachschlagen muss, um mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich damals schrieb. Erstaunlich, mit welcher Schnelligkeit wir vergessen.
Wenn Sie also einen echten, dauernden Nutzen aus diesem Buch ziehen wollen, dann glauben Sie ja nicht, ein flüchtiges Durchblättern würde genügen! Nachdem Sie es gründlich durchgearbeitet haben, sollten Sie jeden Monat mehrere Stunden darauf verwenden, einzelne Teile zu wiederholen. Lassen Sie es immer auf Ihrem Schreibtisch liegen. Blättern Sie häufig darin. Machen Sie sich immer wieder genau klar, dass noch gar nicht alle Möglichkeiten und Verbesserungsvorschläge ausgeschöpft sind! Vergessen Sie nicht, dass Sie die im Buch aufgestellten Regeln und Leitsätze nur dann automatisch und unbewusst anwenden, wenn Sie sie oft und lange angewendet und wiederholt haben. Es gibt keine andere Methode.
6. Bernard Shaw sagte einmal: «Wenn man jemand irgendetwas lehrt, wird er es nie begreifen.» Shaw hatte Recht. Lernen ist ein aktiver Prozess. Wir lernen, indem wir es tun. Wenn Sie also die Grundsätze, die Sie in diesem Buch lernen, beherrschen möchten, müssen Sie etwas tun! Wenden Sie sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit an. Sonst vergessen Sie sie sofort. Nur angewandtes Wissen bleibt Ihnen im Gedächtnis.
Lernen ist ein aktiver Prozess. Wir lernen, indem wir es tun.
Vermutlich wird es Ihnen schwerfallen, alle Ratschläge ständig zu befolgen. Ich weiß Bescheid, denn ich schrieb dieses Buch, und doch finde ich es häufig schwierig, all das in die Tat umzusetzen, wofür ich hier plädiere. Während Sie dieses Buch also lesen, denken Sie immer daran, dass Sie nicht nur mehr Wissen erwerben wollen. Sie versuchen vielmehr, andere Gewohnheiten anzunehmen. Ja, Sie versuchen sogar, Ihr Leben neu zu gestalten. So etwas erfordert Zeit und Ausdauer und tägliches Üben.
Deshalb schlagen Sie immer wieder nach! Betrachten Sie dieses Buch als Ihr Arbeitsexemplar im Kampf gegen die Sorgen. Und wenn Sie mit irgendeinem schwierigen Problem konfrontiert werden – regen Sie sich nicht auf! Reagieren Sie nicht automatisch, nicht impulsiv. Das ist meistens falsch. Schlagen Sie stattdessen dieses Buch auf und lesen Sie die Absätze nach, die Sie unterstrichen haben. Dann probieren Sie diese neuen Methoden aus, und beobachten Sie, welche Wunder sie vollbringen.
7. Bezahlen Sie Ihren Familienmitgliedern jedes Mal eine kleine Geldstrafe, wenn sie Sie dabei erwischen, wie Sie eine der in diesem Buch aufgestellten Regeln verletzen. So wird man Sie zähmen!
8. Lesen Sie bitte im 22. Kapitel noch einmal, wie der Bankier H. P. Howell und der alte Ben Franklin mit ihren Fehlern fertig wurden. Warum benützen Sie nicht die Howell-und-Franklin-Methode, um zu überprüfen, ob Sie die in diesem Buch besprochenen Grundsätze richtig anwenden? Wenn Sie es tun, passiert zweierlei:
Erstens entdecken Sie, dass Sie sich mitten in einem Umformungsprozess befinden, der faszinierend und unbezahlbar zugleich ist.
Zweitens stellen Sie fest, dass Ihre Geschicklichkeit, mit Sorgen umzugehen und richtig zu leben, wächst und gedeiht wie ein immergrüner Lorbeerbaum.
9. Führen Sie Tagebuch – ein Tagebuch, in welchem Sie die Siege notieren, die Sie dank der Anwendung der in diesem Buch aufgestellten Grundsätze errungen haben. Seien Sie genau! Nennen Sie Namen, Daten, Ergebnisse! Solche Berichte werden Sie zu noch größerem Eifer anspornen. Und wie spannend werden diese Aufzeichnungen erst sein, wenn Sie sie – in ein paar Jahren – eines Abends zufällig wieder lesen!
Neun Ratschläge, wie Sie das meiste aus diesem Buch herausholen können
Entwickeln Sie ein unbezähmbares Verlangen, die Grundregeln zur Bekämpfung Ihrer Ängste beherrschen zu können.
Lesen Sie jedes Kapitel zweimal, ehe Sie zum nächsten übergehen.
Unterbrechen Sie Ihre Lektüre häufig und überlegen Sie, wie Sie die gegebenen Anregungen in die Tat umsetzen können.
Unterstreichen Sie alle wichtigen Gedanken.
Nehmen Sie sich dieses Buch jeden Monat wieder vor.
Wenden Sie die hier besprochenen Grundsätze bei jeder Gelegenheit an. Verwenden Sie dieses Buch als praktischen Ratgeber für Ihre täglichen Probleme.
Machen Sie das Üben zum Spiel: Jedes Mal wenn ein Freund oder eine Freundin Sie dabei ertappt, wie Sie eine Regel verletzen, müssen Sie ihm oder ihr ein Geldstück geben.
Überprüfen Sie jede Woche Ihre Fortschritte. Überlegen Sie, was für Fehler Sie gemacht haben, was Sie besser machen können und was Sie für die Zukunft gelernt haben.
Führen Sie Tagebuch und notieren Sie, wie und wann Sie die hier beschriebenen Grundsätze angewandt haben. Heben Sie es zusammen mit diesem Buch auf.
Was Sie über Ihre Sorgen und Ängste wissen sollten
Im Frühjahr 1871 blätterte ein junger Mann in einem Buch und las zwanzig Wörter, die für seine Zukunft von ausschlaggebender Bedeutung waren. Der junge Mann war damals Medizinstudent und arbeitete am Montreal General Hospital. Er machte sich Sorgen darüber, ob er sein Schlussexamen bestehen würde, was er dann machen, wo er arbeiten sollte, wie er eine eigene Praxis aufbauen und wie viel Geld er verdienen könnte.
Die zwanzig Wörter, die dieser junge Medizinstudent in jenem Frühling las, trugen dazu bei, dass er der bekannteste Arzt seiner Zeit wurde. Er gründete die weltberühmte Johns Hopkins School of Medicine und wurde zum königlichen Professor für Medizin in Oxford ernannt – die höchste Würde, die einem Mediziner im britischen Reich verliehen werden konnte. Der König von England adelte ihn. Als der berühmte Arzt gestorben war, füllte seine Lebensgeschichte zwei dicke Bände mit zusammen 1466 Seiten.
Sein Name war Sir William Osler. Und hier sind die zwanzig Wörter, die er damals im Frühling 1871 las – zwanzig Wörter des Historikers Thomas Carlyle, deren Beherzigung ihm half, ein Leben frei von Sorgen zu führen: «Unsere Hauptaufgabe ist nicht, zu sehen, was in vager Ferne liegt, sondern nur das zu tun, was das Nächstliegende ist.»
Zweiundvierzig Jahre später hielt dieser Mann, Sir William Osler, an einem milden Frühlingsabend, als die Tulpen auf dem Campus blühten, den Studenten der Yale-Universität eine Rede. Unter anderem sagte er, dass man allgemein annehme, ein Mann wie er, der an vier Universitäten gelehrt und ein erfolgreiches Buch geschrieben habe, müsse ein «besonders kluger Kopf» sein. Er erklärte, dass dies nicht stimme. Seine besten Freunde wüssten, dass er ein «höchst durchschnittliches Gehirn» habe.
«Unsere Hauptaufgabe ist nicht, zu sehen, was in vager Ferne liegt, sondern nur das zu tun, was das Nächstliegende ist.»
Was war dann also das Geheimnis seines Erfolgs? Er erklärte, er habe ihn einem Leben zu verdanken, das er in «Tageseinheiten» gelebt habe. Was meinte er damit? Ein paar Monate vor seiner Ansprache in Yale war Sir William Osler mit einem großen Ozeandampfer über den Atlantik gefahren. Der Kapitän auf der Brücke konnte auf einen Knopf drücken, man hörte Maschinen rattern, und sofort waren die verschiedenen Teile des Schiffes hermetisch voneinander abgeschlossen – in wasserdichte Abteilungen. «Nun ist jeder von Ihnen aber eine noch weit erstaunlichere Schöpfung als dieser Ozeandampfer», sagte Dr.Osler zu jenen Yale-Studenten, «und auf einer viel längeren Reise unterwegs. Ich habe daher die dringende Bitte an Sie, die Beherrschung dieses Mechanismus zu lernen, das heißt in Tageseinheiten zu leben, weil dies die beste Methode ist, sicher zu reisen. Gehen Sie auf die Brücke und sorgen Sie dafür, dass wenigstens die wichtigsten Schotten richtig schließen. Drücken Sie auf den Knopf und hören Sie, wie auf jeder Ebene Ihres Lebens die eisernen Türen die Vergangenheit abschließen – das tote Gestern. Drücken Sie auf einen andern Knopf und verriegeln Sie mit einem eisernen Vorhang die Zukunft – das ungeborene Morgen. Dann sind Sie sicher – für heute sicher! Schließen Sie die Vergangenheit weg! Lassen Sie die tote Vergangenheit ihre Toten begraben … Denken Sie nicht mehr an das Gestern, das Dummköpfen den Weg allen Staubes wies … Wenn die Bürde von morgen mit der von gestern heute getragen werden muss, wankt auch der Stärkste … Verbannen Sie auch die Zukunft aus Ihrem Leben, so endgültig wie die Vergangenheit … Die Zukunft ist heute … Es gibt kein Morgen. Der Rettungsanker ist das Heute. Energieverschwendung, Depressionen, nervöse Ängste bedrängen den Menschen, der sich um seine Zukunft Sorgen macht … Schließen Sie also die Schotten vorn und achtern und gewöhnen Sie sich an, Ihr Leben in ‹Tageseinheiten› zu planen.»
Gewöhnen Sie sich an, Ihr Leben in «Tageseinheiten» zu planen.
Wollte Dr.Osler damit sagen, dass wir uns keine Mühe machen sollten, das Morgen vorzubereiten? Nein, ganz sicher nicht. Er führte in seiner Rede vielmehr aus, dass man sich auf seine Zukunft am besten vorbereite, wenn man sich mit seiner ganzen Intelligenz und Begeisterung darauf konzentriere, die Arbeit von heute auch heute ganz vorzüglich zu leisten. Das sei die einzig mögliche Methode, sich auf die Zukunft vorzubereiten.
Sir William Osler bat die Studenten, den Tag mit der Bitte des Vaterunsers «Und gib uns unser täglich Brot» zu beginnen.
Vergessen Sie nicht, dass in diesem Gebet nur um das tägliche Brot gebeten wird. Es enthält keine Klage über das alte Brot, das wir gestern essen mussten. Und es heißt in ihm auch nicht: «O Gott, es hat schon lange nicht mehr geregnet, vielleicht kommt eine neue Dürre – woher werde ich im Herbst mein Brot nehmen – vielleicht verliere ich meine Arbeit – o Gott, wie kann ich dann Brot kaufen?»
Nein, dieses Gebet lehrt uns, nur um das tägliche Brot zu bitten. Das tägliche Brot ist die einzige Art von Brot, die wir essen können.
Vor langer Zeit wanderte ein armer Philosoph durch ein steiniges Land, wo die Menschen sich nur mühsam ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Eines Tages versammelte sich die Menge um ihn auf einem Hügel, und er hielt eine Predigt, die wahrscheinlich zu den meistzitierten Ansprachen aller Zeiten gehört. Sie enthielt siebenundzwanzig Wörter, deren Klang durch alle Jahrhunderte hallte: «Darum sorget nicht für den anderen Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.»
«Darum sorget nicht für den anderen Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.»
Viele Menschen haben diese Worte von Jesus verworfen: «Darum sorget nicht für den anderen Morgen.» Sie fanden sie zu idealistisch, zu mystisch. «Ich muss an die Zukunft denken», sagen sie. «Ich muss eine Versicherung abschließen, um meine Familie zu versorgen, ich muss Geld für mein Alter sparen, ich muss Pläne machen, um vorwärtszukommen.»
Natürlich stimmt das. Doch als man diese Worte von Jesus vor mehr als dreihundert Jahren übersetzte, deutete man sie anders, als man sie heute deutet. Vor dreihundert Jahren interpretierte man das Wort Sorge oft als Angst. Moderne Bibelübersetzungen zitieren Jesus genauer und sagen: «Ängstigt Euch nicht um das Morgen.»
Selbstverständlich müssen Sie sich Gedanken über das Morgen machen, ja, ganz genaue Gedanken, und Sie müssen es planen und vorbereiten. Aber Sie dürfen keine Angst haben.
Während des Zweiten Weltkriegs planten unsere militärischen Führer auch voraus, aber irgendwelche Ängste oder Sorgen konnten sie sich dabei nicht leisten. «Ich habe die besten Männer mit der besten Ausrüstung versorgt, die wir haben», sagte Admiral Ernest J. King, der die Marine der Vereinigten Staaten befehligte. «Und ich habe ihnen den meiner Meinung nach klügsten Einsatzbefehl gegeben. Mehr kann ich nicht tun. Und», fuhr Admiral King fort, «wenn ein Schiff versenkt wurde, kann ich es nicht bergen. Wenn es versenkt werden soll, kann ich es nicht verhindern. Ich kann meine Zeit viel besser nützen, wenn ich über künftige Probleme nachdenke und nicht über die von gestern nachgrüble. Außerdem – wenn ich mich von solchen Dingen unterkriegen ließe, würde ich nicht lange durchhalten.»
Ich kann meine Zeit viel besser nützen, wenn ich über künftige Probleme nachdenke und nicht über die von gestern nachgrüble.
Ob friedliche oder kriegerische Zeiten, der Hauptunterschied zwischen positivem und negativem Denken ist folgender: Positives Denken beschäftigt sich mit Ursache und Wirkung und führt zu logischer, konstruktiver Planung. Negatives Denken hat häufig Spannungen und Nervenzusammenbrüche zur Folge.
Ich hatte einmal die Ehre, Arthur Hays Sulzberger, den Herausgeber der weltberühmten New York Times, zu interviewen. Er erzählte mir, dass er, als der Zweite Weltkrieg in Europa ausbrach, so bestürzt, so besorgt war, dass er kaum schlafen konnte. Häufig stand er mitten in der Nacht auf, nahm Leinwand und Farbtuben, setzte sich vor einen Spiegel und versuchte, sein Porträt zu malen. Er hatte keine Ahnung vom Malen, trotzdem malte er, um sich von seinen Sorgen abzulenken. Doch dies sei ihm nie gelungen. Er habe erst Ruhe gefunden, als er sich folgende Zeile aus einem Kirchenlied als Motto nahm: Für mich genügt ein Schritt.
Geleite mich, du liebes Licht,
Du stütze meinen Tritt.
Das ferne Land zu schaun begehr ich nicht,
Für mich genügt ein Schritt.
Ungefähr zur gleichen Zeit machte ein junger Mann in Uniform irgendwo in Europa die gleiche Erfahrung. Sein Name war Ted Bengermino. Er stammte aus Baltimore in Maryland. Er hatte sich in einen erstklassigen Fall von Kriegsneurose hineingesteigert.
«Im April 1945», schrieb Ted Bengermino, «hatten meine Ängste so zugenommen, dass ich heftige Unterleibsschmerzen bekam, die die Ärzte als Dickdarmkrämpfe diagnostizierten. Wenn der Krieg damals nicht zu Ende gegangen wäre, hätte ich sicherlich einen totalen körperlichen Zusammenbruch erlitten.
Ich war völlig erschöpft. Ich hatte die Basedowsche Krankheit und war Unteroffizier bei der 94. Infanteriedivision. Ich arbeitete in der Registratur und führte die Listen über Gefallene, Vermisste und Verwundete. Außerdem half ich beim Ausgraben der alliierten und feindlichen toten Soldaten, die während des Kampfes nur hastig in flachen Gruben verscharrt worden waren. Die persönlichen Besitztümer dieser Männer sammelte ich ein und schickte sie an Eltern oder nahe Verwandte, für die sie teure Erinnerungen bedeuteten. Ständig machte ich mir Sorgen, dass wir schreckliche, folgenschwere Fehler machen könnten. Ich quälte mich mit der Frage, ob ich durchhalten würde oder nicht. Ich überlegte, ob ich es noch erleben würde, meinen Sohn in den Armen zu halten. Er war damals gerade sechzehn Monate alt, und ich hatte ihn noch nie gesehen. Ich war so verängstigt und erschöpft, dass ich mehr als dreißig Pfund abnahm. Ich war in einer solchen Panik, dass ich fast den Verstand verlor. Ich betrachtete meine Hände, sie waren kaum mehr als Haut und Knochen. Die Vorstellung, ich könnte als körperliches Wrack nach Hause kommen, entsetzte mich. Ich brach zusammen und schluchzte wie ein Kind. Ich war so durcheinander, dass ich jedes Mal weinte, wenn ich allein war. Eine Zeit lang, kurz nachdem die Schlacht um Caen begann, weinte ich so oft, dass ich beinahe die Hoffnung aufgab, je wieder ein normaler Mensch zu werden.
Geleite mich, du liebes Licht,
Du stütze meinen Tritt.
Das ferne Land zu schaun begehr ich nicht,
Für mich genügt ein Schritt.
Schließlich landete ich im Lazarett. Ein Armeearzt gab mir einen Rat, der mein Leben völlig veränderte. Nachdem er mich gründlich untersucht hatte, erklärte er mir, dass meine Schwierigkeiten psychisch bedingt seien. ‹Ted›, sagte er, ‹stellen Sie sich Ihr Leben einmal wie eine Sanduhr vor! Sie wissen, dass sich Hunderte von Sandkörnern im oberen Teil befinden und sie alle langsam und gleichmäßig durch den engen Hals in der Mitte rinnen. Nichts, was Sie oder ich tun, kann verhindern, dass ein Sandkorn nach dem anderen hindurchgleitet – außer Sie machen die Sanduhr kaputt. Sie und ich und alle Menschen sind wie diese Sanduhr. Morgens, wenn wir aufwachen, haben wir das Gefühl Hunderte von Dingen an diesem Tag erledigen zu müssen, doch wenn wir nicht eins nach dem andern tun, langsam und gleichmäßig, so wie die Körner durch die Sanduhr rinnen, dann werden wir irgendwann körperlich und geistig zusammenbrechen.›
Seit jenem denkwürdigen Tag, an dem der Armeearzt mir diesen Rat gab, habe ich ihn befolgt: Ein Sandkorn nach dem andern … eine Arbeit nach der andern … Diese Worte halfen mir, körperlich und geistig den Krieg durchzustehen, und sie halfen mir auch in meinem Beruf. Ich bin Werbe- und Anzeigenleiter bei einem Druckereiunternehmen und habe festgestellt, dass es im Berufsleben die gleichen Probleme gibt wie im Krieg: Ein Haufen Dinge muss zur gleichen Zeit erledigt werden, und zwar in sehr wenig Zeit. Wir hatten nur ein kleines Warenlager, wir mussten neue Geräte installieren, die Lagerhaltung ändern, Adressen ändern, Zweigstellen eröffnen und schließen und so weiter. Statt angespannt und nervös zu reagieren, erinnerte ich mich an die Worte des Arztes: Ein Sandkorn nach dem andern … eine Arbeit nach der andern. Ich wiederholte mir diesen Rat wieder und wieder, erledigte alle meine Aufgaben wirksamer und besser, ohne das Gefühl der Unsicherheit und Verwirrung, das mich an der Front fast umgebracht hätte.»
Eine der schrecklichsten Zeiterscheinungen der Gegenwart ist die Tatsache, dass die Hälfte der Krankenhausbetten von Nerven- und Geisteskranken belegt ist, Patienten, die unter der niederschmetternden Last des angehäuften Gestern und der Angst vor der Zukunft zusammengebrochen sind. Aber die große Mehrzahl dieser Menschen hätte nicht ins Krankenhaus gehen müssen, sondern hätte ein glückliches Leben führen können – wenn sie nur die Worte von Jesus beherzigt haben würde: «Darum sorget nicht für den anderen Morgen.» Oder Sir William Oslers Worte: «Lernt in Tageseinheiten zu leben!»
Sie und ich, wir stehen genau in dieser Sekunde an der Nahtstelle zweier Ewigkeiten: die weite Vergangenheit, die ewig andauert, und die Zukunft, die sich bis zum letzten Hauch der messbaren Zeit ausdehnt. Wir können unmöglich in einer dieser Welten leben – nein, nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde. Und wenn wir es dennoch versuchen, können wir sowohl unseren Körper wie unseren Verstand zerstören. Also begnügen wir uns damit, den Zeitraum zu leben, den wir tatsächlich leben können: von jetzt bis zum Schlafengehen. «Jeder Mensch kann seine Last tragen. Wie schwer sie auch ist, bis die Nacht einbricht», schrieb der Schriftsteller Robert Louis Stevenson. «Jeder Mensch kann seine Arbeit tun, wie schwer sie auch ist. Für einen Tag. Jeder Mensch kann freundlich sein, geduldig, mitfühlend, rein, bis die Sonne untergeht. Und das ist alles, was im Leben wirklich zählt.»
Ja, das ist alles, was das Leben von uns verlangt. Nehmen wir als Beispiel Mrs. E. K. Shields aus Saginaw in Michigan. Sie war völlig verzweifelt, nahe daran, Selbstmord zu begehen. Ehe sie lernte, nur zu leben bis zum Abend. «Nach dem Tod meines Mannes», erzählte mir Mrs.Shields, «war ich sehr deprimiert und hatte fast kein Geld. Ich schrieb meinem früheren Arbeitgeber. Und er gab mir meinen alten Job zurück. Ich hatte mir früher meinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Büchern an Schulen auf dem Land und in kleinen Orten verdient. Als mein Mann vor zwei Jahren krank wurde, verkaufte ich meinen Wagen. Nach seinem Tod konnte ich genug Geld zusammenkratzen, um einen gebrauchten Wagen anzuzahlen, und fing wieder an, Bücher zu verkaufen.
Begnügen wir uns damit, den Zeitraum zu leben, den wir tatsächlich leben können: von jetzt bis zum Schlafengehen.
Ich dachte, dass es mir helfen würde, wieder unterwegs zu sein. Aber immer allein im Wagen zu fahren und immer allein zu essen, war fast mehr, als ich aushalten konnte. In manchen Gegenden verkaufte ich nicht viel und stellte bald fest, dass ich die Raten für den Wagen kaum zusammenbekam, obwohl sie nicht sehr hoch waren.
Ein Jahr später arbeitete ich im Gebiet von Versailles in Missouri. Die Schulen waren arm, die Straßen schlecht. Ich fühlte mich so einsam und mutlos, dass ich einmal sogar an Selbstmord dachte. Mir schien es unmöglich, je auf einen grünen Zweig zu kommen. Das Leben hatte jeden Sinn verloren. Jeden Morgen hatte ich Angst davor, aufzustehen und mich mit dem Leben herumschlagen zu müssen. Ich hatte vor allem Angst: Angst, die Raten für den Wagen nicht zahlen zu können; Angst, dass das Geld für die Miete fehlte, dass ich nicht genug zu essen hätte, ich krank würde und mir keinen Arzt leisten könnte. Nur der Gedanke, wie schrecklich traurig meine Schwester sein würde, hinderte mich, Selbstmord zu begehen. Außerdem war kein Geld da für die Beerdigungskosten.
Dann las ich eines Tages einen Artikel, der mich aus meiner Verzweiflung herausholte und mir neuen Lebensmut verlieh. Ich werde nie aufhören, für den einen wesentlichen Satz in dem Artikel dankbar zu sein. Er hieß: ‹Der kluge Mann fängt jeden Tag wie ein neues Leben an.› Ich tippte den Spruch auf einen Zettel und klebte ihn an meine Windschutzscheibe, wo ich ihn beim Fahren immer im Auge hatte. Ich stellte fest, dass es gar nicht so schwierig war, immer nur einen Tag auf einmal zu leben. Ich lernte, das Gestern zu vergessen und an morgen nicht zu denken. Jeden Morgen sagte ich zu mir: ‹Heute fängt ein neues Leben an.›
Der kluge Mann fängt jeden Tag wie ein neues Leben an.
Es ist mir gelungen, meine Angst vor der Einsamkeit, die Angst, Not leiden zu müssen, zu überwinden. Ich bin glücklich und auch ziemlich erfolgreich, habe Optimismus und liebe das Leben. Ich weiß jetzt, dass ich nie wieder Angst haben werde, ganz gleich, wie das Leben mir mitspielt. Ich weiß jetzt, dass ich keine Angst vor der Zukunft zu haben brauche. Ich weiß jetzt, dass ich bewusst einen Tag nach dem andern leben kann und dass es stimmt: ‹Der kluge Mann fängt jeden Tag wie ein neues Leben an.›»
Wer, glauben Sie, schrieb das folgende Gedicht:
Glücklich der Mensch, glücklich er allein,
Der das Heute ganz besitzen kann.
Der in sich ruhend sagen kann:
«Das Morgen, sei es noch so schlimm,
Ich habe heut gelebt.»
Diese Zeilen klingen modern, nicht wahr? Und doch wurden sie dreißig Jahre vor Christi Geburt geschrieben, von dem römischen Dichter Horaz.
Eine der tragischsten Eigenschaften der menschlichen Natur ist der Hang, das Leben aufzuschieben. Wir alle träumen von einem verzauberten Rosengarten hinter dem Horizont – statt uns über die Rosen zu freuen, die heute vor unserem Fenster blühen.
Eine der tragischsten Eigenschaften der menschlichen Natur ist der Hang, das Leben aufzuschieben.
Warum sind wir solche Dummköpfe – solche traurigen Dummköpfe?
«Wie seltsam er doch ist, der Lauf unseres kleinen Lebens», schrieb der kanadische Schriftsteller Stephen Leacock. «Das kleine Kind sagt: ‹Wenn ich ein großer Junge bin.› Aber was heißt das? Der große Junge sagt: ‹Wenn ich erwachsen bin.› Und dann, wenn er erwachsen ist, sagt er: ‹Wenn ich verheiratet bin!› Doch was ist schließlich an einer Ehe schon viel dran? Seine Gedanken ändern sich, er sagt: ‹Wenn ich nicht mehr arbeiten muss.› Und dann, wenn er alt geworden und diese Zeit gekommen ist, blickt er zurück über das Land, das er durchwandert hat. Ein kalter Wind scheint darüber hinwegzuwehen. Irgendwie hat er alles verpasst, und nun ist es vorbei. Das Leben, erkennen wir zu spät, muss gelebt werden, in jedem Augenblick des Tages und der Stunde.»
Das Leben muss gelebt werden, in jedem Augenblick des Tages und der Stunde.
Der verstorbene Edward S. Evans aus Detroit brachte sich fast um vor Sorgen, ehe er begriff, dass «das Leben gelebt werden muss, in jedem Augenblick des Tages und der Stunde». Er wuchs in armen Verhältnissen auf und verdiente sein erstes Geld mit dem Verkaufen von Zeitungen. Dann arbeitete er als Lebensmittelverkäufer. Später, als er schon sieben Menschen ernähren musste, fand er Arbeit als Hilfsbibliothekar. Obwohl das Gehalt niedrig war, hatte er Angst zu kündigen, und so dauerte es acht Jahre, bis er den Mut fand, etwas Eigenes aufzubauen. Doch als er erst einmal angefangen hatte, schaffte er es, aus den geliehenen fünfundfünfzig Dollar in einem Jahr zwanzigtausend Dollar zu machen. Dann kam ein Rückschlag, ein tödlicher Rückschlag. Er bürgte für einen Freund, und der Freund machte Bankrott. Und gleich hatte er noch einmal Pech: Die Bank, in die er all sein Geld investiert hatte, brach zusammen. Er verlor nicht nur seinen letzten Cent, sondern musste auch noch sechzehntausend Dollar Schulden machen. Das hielten seine Nerven nicht länger aus. «Ich konnte weder essen noch schlafen», erzählte er mir. «Ich wurde krank. Keiner konnte erklären, was ich hatte. Sorgen und nochmals Sorgen waren die Ursache dieser Krankheit. Einmal ging ich die Straße hinunter, da wurde ich ohnmächtig und fiel auf dem Gehweg um. Ich konnte nicht mehr laufen. Man packte mich ins Bett, und an meinem ganzen Körper brachen Furunkel aus, die nach innen wuchsen, bis sogar das Liegen zur Qual wurde. Jeden Tag wurde ich schwächer. Schließlich eröffnete mir mein Arzt, dass ich keine zwei Wochen mehr zu leben hätte. Ich war erschüttert. Ich machte mein Testament und lag dann im Bett und wartete auf das Ende. Sich noch weiter Sorgen zu machen, sich aufzuregen, hatte keinen Sinn mehr. Ich gab mich auf, entspannte mich und schlief ein. Seit Wochen hatte ich keine zwei Stunden hintereinander durchgeschlafen. Aber nun, da meine irdischen Sorgen zu Ende gingen, schlummerte ich wie ein kleines Kind. Das zermürbende Angstgefühl ließ nach. Mein Appetit kehrte zurück. Ich nahm zu.
Nach ein paar Wochen konnte ich schon wieder mit Krücken laufen. Sechs Wochen später war ich imstande, mir Arbeit zu suchen. Ich hatte zwanzigtausend Dollar im Jahr verdient, doch nun musste ich froh sein, dass ich einen Job fand, der dreißig Dollar die Woche einbrachte. Ich verkaufte Bremsklötze, mit denen die Räder der Autos für den Transport festgekeilt werden. Inzwischen hatte ich meine Lektion gelernt. Angst kannte ich nicht mehr, noch spürte ich Bedauern über die vergangenen Ereignisse oder machte mir Sorgen um die Zukunft. Ich konzentrierte mich mit meiner ganzen Zeit, Energie und Begeisterung auf den Verkauf dieser Bremsklötze.»
Jetzt ging es mit Edward S. Evans’ Karriere steil nach oben. Nach ein paar Jahren war er Generaldirektor der Firma Evans Products. Seit Jahren werden die Aktien des Unternehmens an der New Yorker Börse gehandelt. Sollten Sie einmal nach Grönland reisen wollen, landen Sie vielleicht auf dem Flughafen Evans, der ihm zu Ehren so getauft wurde. Doch Edward S. Evans würde seine Siege nicht errungen haben, wenn er nicht gelernt hätte, «das Leben in Einheiten von Tagen zu gliedern».
Sie werden sich sicherlich erinnern, was die Weiße Königin zu Alice sagte: «In der Regel gibt es morgen Marmelade, und gestern gab es welche, bloß heute gibt es nie Marmelade.» Die meisten von uns sind so – sie ärgern sich über die Marmelade von gestern oder machen sich wegen der von morgen Sorgen, statt sie heute dick aufs Brot zu streichen.
Sogar der große französische Philosoph Montaigne machte diesen Fehler. «Mein Leben», sagte er, «war voll von fürchterlichem Unglück, das meistens gar nicht passiert ist.» So war es auch bei mir – und so ist es auch bei Ihnen.
«Bedenkt, dass dieser Tag niemals wieder heraufdämmern wird», sagte schon Dante. Das Leben entschlüpft uns mit unglaublicher Schnelligkeit. Wir rasen mit einer Geschwindigkeit von mehr als dreißig Kilometern pro Sekunde um die Sonne. Das Heute ist unser kostbarster Besitz. Das Einzige, was wir ganz sicher besitzen.
Das ist auch Lowell Thomas’ Maxime. Ich verbrachte kürzlich ein Wochenende auf seiner Farm, und da sah ich, dass er einen Spruch aus dem 118. Psalm gerahmt und im Aufnahmestudio aufgehängt hatte, so dass er ihn immer wieder sehen konnte: «Das ist der Tag, den der Herr macht. Lasset uns uns freuen und fröhlich darinnen sein.»
Das Heute ist unser kostbarster Besitz. Das Einzige, was wir ganz sicher besitzen.
Der Schriftsteller John Ruskin hatte auf seinem Schreibtisch einen einfachen Stein liegen, in den nur ein einziges Wort eingemeißelt stand: HEUTE. Ich habe zwar keinen solchen Stein auf meinem Schreibtisch liegen, doch dafür habe ich mir ein Blatt Papier mit einem Gedicht an den Spiegel geklebt. Ich lese es jeden Morgen, wenn ich mich rasiere. Es ist ein Gedicht, das Sir William Osler immer auf seinem Schreibtisch liegen hatte und das von dem berühmten indischen Dramatiker Kalidasa stammt:
Gruß an die Morgendämmerung
Sieh diesen Tag!
Denn er ist Leben, ja das Leben selbst.
In seinem kurzen Lauf
Liegt alle Wahrheit, alles Wesen deines Seins:
Die Seligkeit zu wachsen,
Die Freude zu handeln,
Die Pracht der Schönheit,
Denn gestern ist nur noch ein Traum,
Und morgen ist nur ein Bild der Phantasie,
Doch heute, richtig gelebt, verwandelt jedes Gestern
In einen glückseligen Traum
Und jedes Morgen in ein Bild der Hoffnung.
So sieh denn diesen Tag genau!
Das ist der Gruß der Morgendämmerung.
Das Erste, was Sie über Ihre Sorgen und Ängste also wissen sollten, ist dies: Wenn Sie sie von Ihrem Leben fernhalten wollen, machen Sie es wie Sir William Osler: Schließen Sie die eisernen Türen zur Vergangenheit und Zukunft. Gliedern Sie Ihr Leben in Einheiten von Tagen.
Schließen Sie die eisernen Türen zur Vergangenheit und Zukunft. Gliedern Sie Ihr Leben in Einheiten von Tagen.
Warum stellen Sie sich nicht einmal die folgenden Fragen und schreiben die Antworten auf?
Neige ich dazu, das Leben in der Gegenwart auf später zu verschieben, mir über die Zukunft Sorgen zu machen und mich nach einem «verzauberten Rosengarten hinter dem Horizont» zu sehnen?
Mache ich mir manchmal die Gegenwart schwer, weil ich Dinge bedaure, die in der Vergangenheit geschehen sind und die längst vorbei und erledigt sind?
Stehe ich morgens mit dem Vorsatz auf, «den Tag zu nützen» – das heißt, das meiste aus diesen vierundzwanzig Stunden herauszuholen?
Kann ich mehr aus meinem Leben machen, wenn ich es in «Einheiten von Tagen gliedere»?
Wann soll ich damit anfangen? Nächste Woche … morgen … heute?
Hätten Sie gern ein schnelles, sicheres Rezept, wie Sie Ihre Sorgen richtig anpacken müssen – eine Methode, die Sie sofort anwenden können, noch ehe Sie das Buch ganz durchgelesen haben?
Dann möchte ich Ihnen von dem Verfahren erzählen, das Willis Carrier für sich erfand. Er war ein hervorragender Ingenieur, der die Klimatechnik revolutionierte und das weltberühmte Unternehmen Carrier Corporation in Syracuse im Staat New York leitete. Es ist die beste Methode, um schwierige Situationen in den Griff zu bekommen, von der ich je hörte, und ich habe sie von Carrier persönlich. Er erzählte sie mir, als wir mal zusammen in New York im «Engineers’ Club» zu Mittag aßen.
«Als junger Mann arbeitete ich für die Buffalo Forge Company», berichtete Carrier. «Ich bekam den Auftrag, in einer Fabrik im Staat Missouri eine Gasreinigungsanlage zu installieren. Der Bau dieser Fabrik hatte Millionen Dollar gekostet. Mit dem Einbau des Reinigungssystems sollte es möglich sein, die Unreinheiten im Gas zu entfernen, damit es verbrannt werden konnte, ohne die Maschinen zu beschädigen. Dieses Verfahren der Gasreinigung war neu. Es war erst einmal ausprobiert worden und dazu unter anderen Bedingungen. Diesmal tauchten unvorhergesehene Schwierigkeiten auf. Das System funktionierte zwar, aber nicht so gut, wie wir das garantiert hatten.
Ich war über mein Versagen wie niedergeschmettert. Ich hatte das Gefühl, als habe mir jemand einen Schlag auf den Kopf gegeben. Mein Magen, meine Därme verkrampften sich und schmerzten. Eine Zeit lang konnte ich vor Sorgen kaum schlafen.
Schließlich meldete sich mein gesunder Menschenverstand: Sich Sorgen zu machen war keine Lösung. Da überlegte ich mir eine Möglichkeit, wie ich mein Problem in den Griff bekommen könnte. Es funktionierte großartig. Ich wende jetzt seit mehr als dreißig Jahren dieselbe Antisorgentechnik an. Sie ist ganz einfach. Jeder kann es so machen. Sie besteht aus drei Stufen.
Analysiere die Situation ohne Angst, offen und ehrlich, und überlege, was die schlimmste Folge deines Versagens sein könnte.
Ich analysierte die Situation ohne Angst, offen und ehrlich, und überlegte, was die schlimmste Folge meines Versagens sein könnte. Keiner würde mich ins Gefängnis stecken oder mich erschießen. Das stand fest. Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass ich meine Arbeit verlor. Und vielleicht mussten meine Arbeitgeber auch die Anlage abmontieren und würden die zwanzigtausend Dollar verlieren, die wir investiert hatten.
Nachdem ich mir die schlimmstmöglichen Folgen klargemacht hatte, beschloss ich, mich gegebenenfalls damit abzufinden. Ich sagte mir: Dieser Fehler wird für meine Karriere ein Schlag sein, und vermutlich werde ich deshalb meinen Job verlieren. Aber dann kann ich immer eine andere Stelle finden. Die Umstände könnten noch viel schwieriger sein. Und was meine Arbeitgeber betrifft – nun, sie werden einsehen, dass wir ein neues Reinigungsverfahren ausprobiert haben, und wenn sie dieses Experiment zwanzigtausend Dollar kostet, können sie es verkraften. Sie belasten damit die Entwicklungsabteilung, denn schließlich ist die Sache ja noch im Versuchsstadium. Nachdem ich mir die schlimmsten Folgen überlegt und mich mit der Möglichkeit, dass sie sich bewahrheiten könnten, abgefunden hatte, geschah etwas sehr Wichtiges: Ich beruhigte mich sofort und spürte ein Gefühl des Friedens, das ich seit Tagen nicht gehabt hatte.
Von dem Zeitpunkt an blieb ich gelassen und verwendete meine ganze Zeit und meine ganze Energie auf den Versuch, die schlimmstmöglichen Folgen, die ich geistig bereits akzeptiert hatte, abzumildern.
Nun versuchte ich, Mittel und Wege zu finden, um den zu erwartenden Verlust von zwanzigtausend Dollar zu verringern. Ich machte verschiedene Tests und stellte schließlich fest, dass wir durch weitere fünftausend Dollar für zusätzliche Geräte unsere Schwierigkeiten beseitigen könnten. So geschah es dann auch. Statt dass die Firma zwanzigtausend verlor, verdienten wir fünfzehntausend.
Vermutlich hätte ich dies nie geschafft, wenn ich mir weiter Sorgen gemacht haben würde, denn eine der übelsten Folgen einer solchen Geistesverfassung ist die Zerstörung der Konzentrationsfähigkeit. Wenn wir Angst haben, springen unsere Gedanken hierhin und dorthin, und wir verlieren alle Entscheidungskraft. Doch wenn wir uns zwingen, das Schlimmste ins Auge zu fassen und in Gedanken zu akzeptieren, schalten wir damit alle diese vagen Grübeleien aus und versetzen uns in eine Lage, in der wir uns auf unser Problem konzentrieren können.
Der Zwischenfall, von dem ich erzählte, ereignete sich schon vor vielen Jahren. Doch meine Methode funktionierte so hervorragend, dass ich sie seitdem immer anwende. Und das Ergebnis? Mein Leben ist fast völlig frei von Sorgen.»
Warum ist Willis Carriers Zauberformel nun so wertvoll und psychologisch gesehen so nützlich? Weil sie uns aus den großen grauen Wolken herausholt, in denen wir blind vor Angst und Sorgen herumtappen. Sie stellt uns mit den Füßen fest und sicher auf die Erde. Wir wissen, wo wir stehen. Und wenn wir keinen soliden Boden unter uns haben, wie in aller Welt können wir dann hoffen, eine Sache richtig zu durchdenken?
Wenn Professor William James, der Vater der angewandten Psychologie, heute noch leben und von dieser Methode, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen, hören würde, fände sie sicherlich seine völlige Billigung. Wieso ich das weiß? Weil er zu seinen eigenen Studenten sagte: «Seid gewillt, die Dinge zu nehmen, wie sie sind!» Denn: « … die Annahme der Ereignisse ist der erste Schritt zur Überwindung der Folgen jedes Unglücks.»
Lin Yutang hat in seinem viel gelesenen Buch Die Weisheit des lächelnden Lebens denselben Gedanken. «Wahrer innerer Frieden entsteht», schreibt dieser chinesische Philosoph, «wenn wir das Schlimmste hinnehmen können. Psychologisch gesehen, bedeutet dies, glaube ich, dass Energien freigesetzt werden.»
Ja, genau das ist es! Es bedeutet das Freisetzen neuer Energien! Wenn wir uns auf das Schlimmste gefasst machen, haben wir nichts mehr zu verlieren. Und das bedeutet automatisch – dass wir alles zu gewinnen haben! «Nachdem ich mich auf das Schlimmste gefasst gemacht hatte», erzählte auch Willis H. Carrier, «beruhigte ich mich sofort und spürte ein Gefühl des Friedens, das ich seit Tagen nicht gehabt hatte. Von nun an konnte ich klar denken!»
Wenn wir uns auf das Schlimmste gefasst machen, haben wir nichts mehr zu verlieren. Und das bedeutet automatisch – dass wir alles zu gewinnen haben!
Klingt vernünftig, nicht wahr? Und trotzdem haben Millionen Menschen ihr Leben durch Wut und Angst ruiniert, weil sie sich weigerten, das Schlimmste zu akzeptieren. Weil sie sich weigerten, etwas dagegen zu tun. Weil sie sich weigerten, zu retten, was noch zu retten war. Statt ihr Glück noch einmal zu probieren, verzettelten sie sich in einem erbitterten und heftigen Kampf mit ihren Erfahrungen und wurden schließlich Opfer von Zwangsideen und Melancholie.
Möchten Sie noch erfahren, wie jemand anders Willis Carriers Zauberformel nahm und auf sein eigenes persönliches Problem anwandte? Also, hier ist so ein Beispiel. Es handelt von einem New Yorker Ölhändler, der meine Abendkurse besuchte.
«Ich wurde erpresst!», erzählte er. «Ich dachte, so etwas gäbe es in Wirklichkeit nicht, so etwas passiere nur im Kino – aber es stimmte. Ich wurde tatsächlich erpresst. Die Sache war so: Die Ölfirma, die ich leitete, besaß eine Anzahl von Tankwagen. Natürlich hatten wir auch die notwendigen Fahrer dazu. Damals waren die Kriegsbeschränkungen noch voll in Kraft, und wir erhielten nur eine bestimmte Ölmenge zugeteilt, die wir an unsere Kunden liefern konnten. Was ich nicht wusste, war, dass einige Fahrer unseren Stammkunden weniger Öl gebracht hatten und den Überschuss an ihre eigene Kundschaft abgaben.
Den ersten Hinweis auf diese ungesetzlichen Transaktionen erhielt ich, als eines Tages ein angeblicher Regierungsbeauftragter bei mir auftauchte und Schweigegeld verlangte. Er besaß, wie er behauptete, hieb- und stichfeste Beweise über das, was die Fahrer angestellt hatten, und drohte mir, sie dem Staatsanwalt zu geben, wenn ich nichts ausspuckte.
Natürlich wusste ich, dass ich nichts zu befürchten hatte – zumindest persönlich nicht. Aber ich wusste auch, dass dem Gesetz nach eine Firma für die Handlungen ihrer Mitarbeiter verantwortlich ist. Außerdem war ich überzeugt, dass eine Gerichtsverhandlung und Berichte in der Presse schlechte Reklame für mein Geschäft sein und es ruinieren würden. Ich war nämlich sehr stolz auf das Unternehmen – es war von meinem Vater vor vierundzwanzig Jahren gegründet worden.
Ich machte mir solche Sorgen, dass ich krank wurde. Drei Tage und Nächte konnte ich weder essen noch schlafen. Ich drehte mich mit meinen Gedanken immer wieder wie verrückt im Kreis. Sollte ich bezahlen – fünftausend Dollar – oder sollte ich dem Mann sagen, dass er sich zum Teufel scheren könne? Ich wusste nicht, wie ich mich entscheiden sollte. Es war wie in einem Alptraum.
Dann, am Sonntagabend, fiel mir das Heft Wie man aufhört, sich Sorgen zu machen in die Hände, das ich im Carnegie-Kurs über freie Rede erhalten hatte. Ich fing an, darin zu lesen, und stieß auf die Geschichte von Willis Carrier. ‹Machen Sie sich auf das Schlimmste gefasst›, hieß es da einmal. Und da fragte ich mich: Was kann als Schlimmstes passieren, wenn ich mich weigere zu zahlen und der Erpresser seine Beweise an den Staatsanwalt weiterleitet?
Die Antwort lautete: Das bedeutet meinen geschäftlichen Ruin – schlimmstenfalls. Ins Gefängnis komme ich nicht. Es kann nur passieren, dass mich das Aufsehen, das die Geschichte macht, ruiniert.
Dann überlegte ich weiter. Na schön, mein Geschäft ist also kaputt. Ich finde mich damit ab. Wie geht es weiter?
Nun, wenn mein Geschäft ruiniert ist, werde ich mir vermutlich einen Job suchen müssen. Das war nicht schlimm. Ich wusste eine Menge über Öl – es gab verschiedene Firmen, die mich mit Freuden einstellen würden. Ich fing an, mich wohler zu fühlen. Die irrsinnige Angst, die mich drei Tage und Nächte gewürgt hatte, wurde schwächer. Meine Gefühle wurden friedlicher … Und zu meiner Verblüffung war ich plötzlich in der Lage zu denken.
Ich hatte wieder einen klaren Kopf und konnte Punkt drei in Angriff nehmen – das Schlimmste abzuwenden versuchen. Als ich mir mögliche Lösungen überlegte, tauchte ein völlig neuer Gesichtspunkt auf. Wenn ich meinem Anwalt die ganze Geschichte erzählte, würde der vielleicht einen Ausweg finden, an den ich nicht gedacht hatte. Ich weiß, es ist verrückt, dass ich auf diesen Einfall nicht früher gekommen war – aber da hatte ich natürlich noch nicht nachgedacht. Da hatte ich mir nur Sorgen gemacht! Ich beschloss, sofort am nächsten Morgen mit meinem Anwalt zu sprechen; dann ging ich ins Bett und schlief wie ein Stein.
Ich weiß, es ist verrückt, dass ich auf diesen Einfall nicht früher gekommen war–aber da hatte ich natürlich noch nicht nachgedacht. Da hatte ich mir nur Sorgen gemacht!
Wie ging die Sache aus? Nun, am nächsten Morgen riet mir mein Anwalt, den Staatsanwalt aufzusuchen und ihm die Wahrheit zu erzählen. Und genau das tat ich. Dann erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass dieser Erpresserring bereits seit Monaten in der Stadt arbeitete und der Mann, der sich als ‹Regierungsbeauftragter› ausgab, ein von der Polizei gesuchter Verbrecher war. Das war eine große Erleichterung nach den drei schlimmen Tagen und Nächten, in denen ich mich mit der Frage herumgequält hatte, ob ich dem Schwindler die fünftausend Dollar geben sollte oder nicht.
Diese Geschichte hat mir eine Lehre erteilt, die ich nie vergessen werde. Wenn ich jetzt ein Problem habe, das mich zu überwältigen droht, wende ich die ‹gute, alte Willis-Carrier-Formel› an, wie ich sie nenne.»
Wenn Sie finden, dass Willis Carrier Probleme hatte, kennen Sie folgende Geschichte noch nicht. Es ist die Geschichte von Earl Haney aus Winchester in Massachusetts. Er erzählte sie mir einmal im Hotel «Statler» in Boston.
«Damals in den zwanziger Jahren», sagte er, «hatte ich so viel Sorgen, dass mir die Geschwüre den Magen zerfraßen. Eines Abends bekam ich eine schreckliche Blutung und wurde schleunigst ins Krankenhaus gefahren. Mein Gewicht ging von 79 Kilo auf 40 Kilo runter. Ich war so krank, dass man mir sogar verbot, auch nur die Hand zu heben. Drei Ärzte, darunter ein berühmter Magenspezialist, erklärten meinen Fall für ‹unheilbar›. Ich lebte von Alkalipulver und einem Esslöffel halb Milch, halb Sahne alle Stunde. Eine Schwester schob jeden Morgen und jeden Abend einen Gummischlauch in meinen Magen hinunter und pumpte ihn aus.
So ging das Monate … Schließlich sagte ich zu mir: ‹Hör mal, Earl Haney, wenn du nichts anderes mehr zu erwarten hast als einen langsamen Tod, kannst du mit der Zeit, die dir noch bleibt, genauso gut was Richtiges anfangen. Du wolltest immer schon eine Weltreise machen, ehe du stirbst. Wenn du also verreisen möchtest, wird es höchste Zeit.›
Als ich den Ärzten erzählte, ich würde eine Weltreise unternehmen und mir den Magen selbst zweimal am Tag auspumpen, waren sie entsetzt. Unmöglich! So was hatte es noch nie gegeben! Sie warnten mich, dass ich wahrscheinlich auf See begraben werden müsste. ‹Nein, unmöglich›, antwortete ich. ‹Ich habe meiner Familie versprochen, dass ich im Familiengrab beigesetzt werde. Am besten nehme ich meinen Sarg mit.›
Ich besorgte einen Sarg, nahm ihn mit aufs Schiff und vereinbarte mit der Schiffsgesellschaft, dass man meine Leiche gegebenenfalls in einem Tiefkühlfach aufbewahrte, bis das Schiff seinen Heimathafen wieder anlaufen werde.
Ich reiste ab, beflügelt von einem Gedicht des alten Omar Chayyam:
Ah, genieße, was dir noch vergönnt,
Eh’ auch wir zu Staub zergehn.
Staub zu Staub, und unterm Staub zu liegen,
Ohn’ Wein, Gesang, ohn’ Sänger und – ohn’ End!
Von dem Augenblick an, da ich in Los Angeles an Bord der President Adams ging, die in den Orient fahren sollte, fühlte ich mich besser. Allmählich hörte ich auf, Alkalipulver zu essen und meinen Magen auszupumpen. Bald aß ich alles Mögliche, sogar seltsame einheimische Gerichte, die mich eigentlich hätten umbringen müssen. Nach ein paar Wochen rauchte ich sogar lange schwarze Zigarren und trank Highballs. Ich genoss mein Leben wie seit Jahren nicht mehr! Wir gerieten in den Monsun, in Taifune, die schon allein genügt hätten, mich in meinen Sarg zu befördern, und sei es auch nur aus Angst – doch mir machten alle diese Abenteuer riesigen Spaß.