Soziale Medien und Kritische Theorie - Christian Fuchs - E-Book

Soziale Medien und Kritische Theorie E-Book

Christian Fuchs

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Beschreibung

Dieses Buch vermittelt Ihnen ein kritisches Verständnis der komplexen Zusammenhänge und Widersprüche, die den Kern der Beziehung der sozialen Medien zur Gesellschaft ausmachen. Die Neuauflage untersucht Populismus, Rassismus und Nationalismus, stellt das Phänomen der Influencer vor, erklärt den Big Data-Kapitalismus und Imperialismus, untersucht die wachsende Bedeutung von Plattformen, fordert Sie heraus, sich ein wirklich soziales Medium vorzustellen und zu erreichen, das den Zielen einer gerechten und fairen Welt dient, und analysiert schließlich Fake News im Kontext von Facebook und Cambridge Analytica. Dieses Buch ist ein wesentlicher Leitfaden für jeden, der kritisch verstehen will, wie wir zum digitalen Kapitalismus gekommen sind und was wir dagegen tun können.

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Christian Fuchs ist Professor für Mediensysteme und Medienorganisation an der Universität Paderborn, Deutschland. Er ist ein kritischer Theoretiker der Kommunikation, der digitalen Medien und der Gesellschaft. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift tripleC: Communication, Capitalism & Critique. Er ist Autor zahlreicher Publikationen, darunter die Bücher Grundlagen der Medienökonomie: Medien, Wirtschaft und Gesellschaft (2023), Der digitale Kapitalismus (2023) und Kommunikation und Kapitalismus: Eine kritische Theorie (2020).

Christian Fuchs

Soziale Medienund Kritische Theorie

Eine Einführung

3., vollständig überarbeitete Auflage

Dieses Buch ist die deutsche Übersetzung der 4. Auflage des folgenden Buches: Christian Fuchs. 2024. Social Media: A Critical Introduction. London: SAGE Publications, 4th edition.

Umschlagabbildung: © iStockphoto, Photosbypatrik

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

3., vollständig überarbeitete Auflage 2024

2., vollständig überarbeitete Auflage 2021

1. Auflage 2018

DOI: https://doi.org/10.36198/9783838562667

© UVK Verlag 2024

– ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

Internet: www.narr.de

eMail: [email protected]

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung

utb-Nr. 5081

ISBN 978-3-8252-6266-2 (Print)

ISBN 978-3-8385-6266-7 (ePDF)

ISBN 978-3-8463-6266-2 (ePub)

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Vorworte

I. Grundlagen

1Soziale Medien und Kritische Theorie

1.1Überblick

1.2Was ist kritisches Denken und warum ist es wichtig?

1.3Was ist die Kritische Theorie?

1.4Ansätze der Kritischen Theorie

2Was sind soziale Medien?

2.1Überblick

2.2Web 2.0 und soziale Medien

2.3Die Notwendigkeit der Gesellschaftstheorie zum Verständnis der sozialen Medien

2.4Soziale Medien mit Durkheim, Weber, Marx und Tönnies erklären

2.5Ein Modell der Kommunikation auf sozialen Medien

2.6Die Veränderungen der Digitalen Kommunikation in der Coronavirus-Krise

2.7Schlussfolgerungen

3Big Data im digitalen Kapitalismus

3.1Überblick

3.2Der digitale Kapitalismus

3.3Big Data im digitalen Kapitalismus

3.4Die Probleme von Big Data

3.4.1Big Data als Ideologie

3.4.2Konsumkultur

3.4.3Instrumentelle Vernunft

3.4.4Ungleichheit: Big Data Analytics als Waffe der mathematischen Zerstörung

3.4.5Der Überwachungskapitalismus: Die faschistischen Potentiale des Big Data-Kapitalismus

3.4.6Ökologische Probleme

3.4.7Die Zunahme von Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit

3.4.8Das Internet der Dinge

3.4.9Die klügste Technologie ist immer dümmer als der dümmste Mensch

3.5Der digitale Positivismus von Big Data: Die Erforschung sozialer Medien als Big Data Analytics und Computational Social Science

3.6Schlussfolgerungen

II. Plattformen

4Die Macht und politische Ökonomie sozialer Medien

4.1Überblick

4.2Die Grenzen der Partizipation auf sozialen Medien

4.3Der Zyklus der Kapitalakkumulation

4.4Kapitalakkumulation und soziale Medien

4.5Die internationale Teilung der digitalen Arbeit

4.6Digitale Arbeit auf Facebook, Sklavenarbeit und Hausarbeit: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

4.7Schlussfolgerungen

5Google: Eine gute oder böse Suchmaschine?

5.1Überblick

5.2Googles politische Ökonomie

5.3Googologie: Google und Ideologie

5.4Arbeit bei Google

5.5Google: Gott und der Teufel in einem Unternehmen

5.6Google und der Staat: Monopolmacht und Steuervermeidung

5.7Schlussfolgerungen

6Facebook und WhatsApp: Überwachung im Zeitalter der Falschnachrichten

6.1Überblick

6.2Facebooks politische Ökonomie

6.3Die politische Ökonomie von WhatsApp

6.4Die Politische Ökonomie des Metaverse

6.5Facebook und die „Like“-Ideologie

6.6Die Internet Research Agency und der Cambridge Analytica-Skandal: Falschnachrichten auf Facebook

6.7Überwachungskapitalismus?

6.8Schlussfolgerungen

7Der Influencer-Kapitalismus: Verdinglichtes Bewusstsein im Zeitalter von TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat

7.1Übersicht

7.2Die politische Ökonomie des Influencer-Kapitalismus

7.3Die Ideologie des Influencer-Kapitalismus

7.4Sozialistische Influencer:innen

7.5Schlussfolgerungen

8Elon Musks Twitter und die Kolonialisierung der politischen Kommunikation auf Twitter: Politische Ökonomie, digitale Demokratie und die (digitale) Öffentlichkeit

8.1Überblick

8.2Twitters Politische Ökonomie

8.3Habermas’ Konzept der Öffentlichkeit

8.4Politische Kommunikation auf Twitter

8.5Schroffe Kommunikation auf Twitter

8.6@JürgenHabermas #Twitter #PublicSphere

8.7Schlussfolgerungen

9Rechter Autoritarismus auf sozialen Medien

9.1Übersicht

9.2Rechter Autoritarismus und Faschismus

9.3Der digitale Autoritarismus auf sozialen Medien: Das Beispiel von Donald Trump

9.3.1Autoritäre Führung auf sozialen Medien

9.3.2Nationalismus auf sozialen Medien

9.3.3Das Freund-Feind-Schema auf sozialen Medien

9.3.4Gewalt und militantes Patriarchat auf sozialen Medien

9.4Digitale Technologien im Putinismus

9.4.1Der Putinismus

9.4.2Das Internet in Russland zur Zeit des Kriegs in der Ukraine

9.4.3Der russische Informationskrieg gegen die Ukraine

9.5Schlussfolgerungen

10TikTok und die politische Ökonomie Chinas im globalen Kapitalismus

10.1Überblick

10.2Der globale Kapitalismus

10.3Chinas Rolle im globalen Kapitalismus

10.4TikToks Politische Ökonomie im globalen Kapitalismus

10.5Schlussfolgerungen

III. Zukunft

11Wir brauchen wirklich soziale Medien

11.1Die Realität der sozialen Medien: Zehn Probleme

11.2Plattform-Kooperativen

11.3Das öffentlich-rechtliche Internet

11.4Wir brauchen wirklich soziale Medien

11.5Schlussfolgerungen

Literatur

Register

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.1Die Dialektik von Strukturen und Handeln

Abb. 2.2Die drei Dimensionen der Sozialität und Gesellschaftlichkeit des Webs

Abb. 2.3Alltag und Alltagskommunikation in der COVID-19-Pandemiekrise

Abb. 4.1Der Prozess der Kapitalakkumulation

Abb. 4.2Kapitalakkumulation auf kapitalistischen Social Media-Plattformen, die auf personalisierter Werbung beruht

Abb. 4.3Die internationale Teilung der digitalen Arbeit

Abb. 5.1Die Entwicklung der Profite von Google, in Milliarden US-Dollar

Abb. 6.1Die Entwicklung der Profite von Facebook, 2007–2023

Abb. 6.2Ein Beispiel für „Gefällt mir“ auf Facebook zu der Zeit, als es nur einen einzigen Emotions-Button („Like“) gab

Abb. 6.3Ein weiteres Beispiel für Emotionen, die auf einem Posting von der Facebook-Seite der Gedenkstätte Auschwitz

Abb. 6.4Ein Tweet von Donald Trump über „Falschnachrichten“

Abb. 9.1Ein Modell des rechten Autoritarismus

Abb. 9.2Tweet von Donald Trump über Führung mit einem Link zu einem Facebook-Video

Abb. 9.3Nationalistischer Tweet von Trump

Abb. 9.4Nationalistisches Facebook-Posting von Trump

Abb. 9.5Trumps Attacke auf die liberalen Medien

Abb. 9.6Bernie Sanders erklärt den ideologischen Zweck von Trumps Verwendung des Freund-Feind-Schemas

Abb. 10.1Die Entwicklung der Anteile Chinas und der USA am globalen Brutto-Inlandsprodukt

Abb. 11.1Das Mediensystem als Teil der Öffentlichkeit

Abb. 11.2Ein Modell des Club 2.0

Tabellenverzeichnis

Tab. 2.1Unterschiedliche Auffassungen von Sozialität im World Wide Web

Tab. 2.2Informationsfunktionen der Top 20 Websites

Tab. 2.3Fünf Arten von Kommunikationsmitteln

Tab. 3.1Die Akkumulation als allgemeiner Prozess in der kapitalistischen Gesellschaft

Tab. 3.2Ebenen und Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft

Tab. 3.3Die Antagonismen des digitalen Kapitalismus

Tab. 3.4Die Rolle von Big Data im digitalen Kapitalismus

Tab. 4.1Die meistgesehenen YouTube-Videos aller Zeiten

Tab. 4.2Die meistgefolgten Facebook-Seiten

Tab. 4.3Die am häufigsten verwendeten Schlüsselwörter in Google-Suchen 2018 (USA), 2019-2023 (weltweit)

Tab. 4.4Twitter-Nutzerprofile mit der höchsten Anzahl von Followern

Tab. 4.5Instagram-Profile mit der höchsten Follower-Anzahl

Tab. 4.6TikTok-Nutzerprofile mit der höchsten Anzahl an Followern

Tab. 4.7Kapitalakkumulationsmodelle in der digitalen Kulturindustrie

Tab. 4.8Apples Profite

Tab. 4.9Charakteristika von vier Typen der Arbeit

Tab. 5.1Herfindahl-Hirschman-Index (HHI) des Suchmaschinenmarktes

Tab. 5.2Entwicklung der Rangfolge der drei reichsten Direktoren von Google in der Liste der 400 reichsten Amerikaner:innen

Tab. 5.3Das von Facebook vorgeschlagene Cost-per-Click-Gebot für Benutzer:innen ab 18 Jahren, basierend auf Standort und Geschlecht

Tab. 5.4Minimale und maximale Preise für das Schlüsselwort „Versicherung“ in ausgewählten reichen und armen Ländern

Tab. 6.1Die Profitraten der weltweit größten Medien- und Digitalkonzerne im Jahr 2022

Tab. 8.1Die Entwicklung der Verluste/Gewinne von Twitter

Tab. 8.2Information und Kommunikation in Tweets zu WikiLeaks, der ägyptischen Revolution und der Bundestagswahl 2017

Tab. 8.3Häufigkeit der monatlichen Nutzung bestimmter sozialer Medien zur Kommunikation oder Diskussion der Proteste mit anderen Aktivisten

Tab. 9.1Der Anteil der staatlich gesponserten Cyberangriffe, 2005-2022

Tab. 10.1Ebenen und Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft

Tab. 10.2Systeme, Logiken, Praktiken und Strukturen des internationalen und globalen Kapitalismus

Tab. 10.3Die Entwicklung des Anteils der Wirtschaftssektoren am Brutto-Inlandsprodukt (BIP)

Tab. 10.4Meistgenutzte Apps in den größten Ländern Afrikas

Tab. 10.5Die weltweit meistgenutzten Internetplattformen im April 2023

Tab. 10.6Die weltweit am häufigsten heruntergeladenen Apps im Jahr 2022

Tab. 11.1Die drei Widersprüche der digitalen Entfremdung

Tab. 11.2Drei Formen der digitalen Entfremdung

Tab. 11.3Vier politische Ökonomien der Medien

Tab. 11.4Ein Modell der öffentlich-rechtlichen Medien

Vorwort zur vierten englischen und dritten deutschen Ausgabe

Als ich 2013 die erste Ausgabe dieses Buches schrieb, war nicht klar, ob „Social Media“ ein weiteres Modewort ist, das bald wieder verschwinden würde wie die Begriffe „virtuelle Realität“, „Cyberspace“, „Social Software“, „Web 2.0“ usw. Internet-Schlagworte wurden oft zur ideologischen Rechtfertigung oder im Rahmen der Schaffung neuer Akkumulationsmodelle des digitalen Kapitalismus geschaffen. Sie halten nun die dritte deutsche Ausgabe von „Soziale Medien und Kritische Theorie: Eine Einführung“ in Händen. Es ist die Übersetzung der vierten englischen Ausgabe. Die sozialen Medien sind sicherlich eines der wichtigsten ideologischen Schlachtfelder der Gegenwart. Es hat sich gezeigt, dass der Begriff „Social Media“ kein flüchtiges Modewort ist, sondern ein Phänomen beschreibt, das in den heutigen Gesellschaften von Bedeutung ist. Soziale Medien sind Teil des Alltags, der Alltagskommunikation und der Alltagssprache geworden.

Social Media: A Critical Introduction und Soziale Medien und Kritische Theorie sind zu weit verbreiteten und konsultierten Lehrbüchern geworden. Die Aufgabe dieses Buches ist, eine Einführung in die Anwendung der Kritischen Theorie zu geben, um soziale Medien in der Gesellschaft kritisch zu verstehen und zu analysieren.

Seit der Veröffentlichung der zweiten deutschen Ausgabe im Jahr 2021 hat es mehrere Entwicklungen gegeben, die einer genaueren Betrachtung bedürfen:

Die Kurzvideoplattform TikTok ist inzwischen die weltweit beliebteste und am häufigsten heruntergeladene App. TikTok wird von dem chinesischen transnationalen Unternehmen ByteDance betrieben.

Im Jahr 2022 kaufte Elon Musk, der CEO von Tesla und einer der reichsten Menschen der Welt, Twitter. Er strukturierte das Unternehmen und die Plattform um, was zu zahlreichen Kontroversen wie Massenentlassungen und der Entsperrung von Donald Trumps und anderen rechts-rechten Twitter-Profilen geführt hat.

Die Polarisierung der Weltpolitik hat sich fortgesetzt. Rechtsextreme und faschistische Kräfte sind gestärkt worden. Im Jahr 2022 marschierte die russische Armee in die Ukraine ein. Im Jahr 2023 wurden bei Terroranschlägen der Hamas in Israel viele Juden und Jüdinnen getötet und ein Krieg im Gazastreifen ausgelöst. Die Welt ist weiterhin mit sich verschärfenden Krisen konfrontiert, darunter die Klimakrise, soziale Krisen, Flüchtlingskrisen infolge von Rassismus, Kriegen, Naturkatastrophen und Ungleichheiten, sozioökonomische Krisen, humanitäre Krisen usw. Es besteht die Gefahr eines neuen Weltkriegs. In der Welt des Internets haben die Krisen der Welt und die Polarisierung der Weltpolitik zu einer zunehmenden Ideologisierung der sozialen Medien geführt. Soziale Medien sind ein ideologisches Schlachtfeld, auf dem Fake News verbreitet und bekämpft werden, Echokammern entstehen und Bots die menschlichen Online-Aktivitäten automatisieren.

Die Kombination von kapitalistischen Plattformen auf der einen Seite und Faschismus, Rassismus, Nationalismus und Ideologie auf der anderen Seite hat die Bemühungen um die Schaffung alternativer, demokratischer, nicht-kapitalistischer Internet- und Social Media-Plattformen verstärkt. In diesem Zusammenhang sind öffentlich-rechtliche Internetprojekte und Plattform-Kooperativen besonders wichtig.

Unter Berücksichtigung dieser Entwicklungen enthält die dritte deutschsprachige Auflage dieses Buches einige wichtige Überarbeitungen:

Die Kapitel wurden aktualisiert, um den neuesten Entwicklungen in der Gesellschaft und in den Medien Rechnung zu tragen.

Es wurde ein neues Kapitel über TikTok hinzugefügt.

Das Kapitel über Twitter wurde grundlegend überarbeitet, um den Veränderungen Rechnung zu tragen, die die Plattform erfahren hat, seit sie Elon Musk gehört.

Das Kapitel zu rechtem Autoritarismus und sozialen Medien stellt nun auch Aspekte des Putinismus vor und legt einen stärkeren Fokus auf die Begriffe Faschismus und digitaler Faschismus.

Das Kapitel über Big Data wurde zu einem Kapitel weiterentwickelt, das sich auf den Begriff „digitaler Kapitalismus“ konzentriert und der Rolle von Big Data im digitalen Kapitalismus besondere Aufmerksamkeit widmet.

Neue Debatten über die Schaffung von demokratischen, nicht-kapitalistischen Alternativen zu den kapitalistischen und staatskapitalistischen Digitalgiganten sind hinzugekommen.

Ich danke Malissa Rastoder für das ausgezeichnete Korrekturlesen des gesamten Manuskripts, desweiteren Jürgen Schechler vom UVK-Verlag und Natalie Aguilera und Sarah Moorhouse vom Sage-Verlag für ihre sehr gute Unterstützung auf Verlagsseite.

Paderborn, Februar 2024

Christian Fuchs

Vorwort zur dritten englischen und zweiten deutschen Ausgabe

Die erste Ausgabe dieses Buches erschien im Jahr 2014 in englischer Sprache. Die Arbeit daran begann im April 2011. Aus dem ursprünglichen Buchplan von neun Kapiteln ist inzwischen ein umfassendes Lehrbuch mit insgesamt fünfzehn Kapiteln geworden, das nunmehr in der dritten Auflage vorliegt. Die zweite Ausgabe erschien im Jahr 2017. Die von Felix Kurz ins Deutsche übersetzte zweite englische Ausgabe erschien als erste deutsche Auflage im Jahr 2019.

Die Welt der sozialen Medien und des Internets verändern sich gemeinsam mit der Gesellschaft rasant. Angesichts dieses raschen Wandels ist die dritte englische Ausgabe eine radikale Überarbeitung und Erweiterung der zweiten englischen Ausgabe. Alle Kapitel wurden grundlegend überarbeitet und verändert und es wurden etliche neue Kapitel hinzugefügt. Die dritte englische Auflage wurde von Christian Fuchs vollständig neu ins Deutsche übersetzt. Diese Übersetzung wurde von UVK/utb als zweite deutsche Ausgabe veröffentlicht. Es sind auch türkische und chinesische Übersetzungen des Buches erhältlich (türkische Übersetzung: Diyar Saraçoğlu, chinesische Übersetzung: Wendan Zhao).

Als ich die mit der Arbeit an der ersten Auflage im Jahr 2011 begann, war nicht klar, ob es sich bei sozialen Medien um einen Internet-Hype und ein Buzzword handelt, das bald wieder verschwunden sein würde. Fast zehn Jahre später hat sich der Begriff der sozialen Medien in der Alltagssprache eingebürgert und soziale Netzwerke, Microblogs, Wikis, Blogs, nutzergenerierte Fotos und Videos sowie Apps sind aus dem Alltagsleben nicht mehr wegzudenken. Während man vor zehn Jahren oft mit Verwunderung angesehen wurde, wenn man über digitale Arbeit sprach, gibt es zu diesem Thema heute ständig öffentliche und politische Debatten. Es vergeht kaum eine Woche ohne Schlagzeilen über das eine oder andere Ereignis, das mit sozialen Medien zu tun hat. Das Phänomen der sozialen Medien ist aus der heutigen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Im vorliegenden Buch geht es um den Zusammenhang von sozialen Medien und Gesellschaft.

Big Data sind zu einem wichtigen Phänomen der heutigen Gesellschaft und des heutigen Kapitalismus geworden. Oft wird unter Big Data die immense Menge, Geschwindigkeit und Vielfalt der digitalen Daten verstanden, sodass der Umgang mit diesen Daten rein menschliche Fertigkeiten übersteigt. Es geht bei Big Data aber nicht nur um quantitative Zunahmen, sondern auch um qualitative Veränderungen der Gesellschaft. Das neue Kapitel „Der Big Data-Kapitalismus“ behandelt diese qualitativen Veränderungen und ihre Implikationen.

Als ich mit der Arbeit an der ersten Auflage im Jahr 2011 begann, war der Arabische Frühling in aller Munde. Oft wurde behauptet, es habe sich dabei um Twitter-Rebellionen und Facebook-Revolutionen gehandelt. Die Rolle der Technik in der Gesellschaft wurde dabei überschätzt und die Beurteilungen waren oft zu technik-euphorisch. Die Diskussion und die Analyse des Internets in sozialen Bewegungen waren damals im Großteil der Studien auf progressive politische Bewegungen begrenzt. Heute sind der Nationalismus, der Rassismus, die rechte Demagogie, Falschnachrichten, postfaktische Politik und autoritäre Ideologie auf sozialen Medien und im Internet allgegenwärtig. Im Jahr 2020 hatte Donald Trumps Twitter-Account die siebentgrößte Anzahl an Follower. In vielen Teilen der Welt gibt es autoritäre Führer, Individuen, Bewegungen und Parteien, die das Internet und soziale Medien als neue Formen der Propagandamittel nutzen und dabei die Vernetzung, Kommentarfunktionen, Likes, personalisierte Werbung, nutzergenerierte Inhalte usw. benutzen.

In der Neuauflage dieses Buches sind diese Entwicklungen in der Form des neuen Kapitels „Rechter Autoritarismus auf sozialen Medien“ präsent. Es geht darin insbesondere um Donald Trump und Twitter und die Frage, wie Autoritarismus, Rassismus und Nationalismus auf sozialen Medien kommuniziert werden.

Der Cambridge Analytica-Skandal ist charakteristsch für das Zusammenwirken von rechts-rechter Ideologie, Falschnachrichten, Überwachung, kapitalistischen Plattformen wie Facebook und Neoliberalismus. Das Facebook-Kapitel dieses Buches wurde grundlegend überarbeitet und hat nun einen Fokus auf „Facebook und WhatsApp: Überwachung im Zeitalter der Falschnachrichten“.

Influencer sind ein wichtiges Phänomen auf sozialen Medien, insbesondere auf YouTube, Instagram, Snapchat und TikTok. Vor allem junge Menschen sind Follower von Influencern. Es haben sich neue Hoffnungen der Nutzer:innen, über das Internet berühmt zu werden, aufgetan. Das schaffen aber nur wenige und meistens nur jene, die die Unterstützung von Marken, Talentagenturen und Talentnetzwerken erlangen. Für viele werden die Hoffnungen, im Internet berühmt zu werden, enttäuscht, und sie bleiben proletarisierte Plattformarbeiter. Das Kapitel „Influencer-Kapitalismus: Verdinglichtes Bewusstsein im Zeitalter von Instagram, YouTube und Snapchat“ setzt sich mit diesem Thema auseinander.

Etliche der Internet-Plattformen mit der höchsten Anzahl der Nutzer:innen sind chinesische Konzerne. Daher wird auch häufig von BAT gesprochen, ein Akronym für die Suchmaschine Baidu, den Onlineshopping-Konzern Alibaba (Taobao, TMall) und Tencent (QQ, WeChat). Daher wurde zur zweiten englischen Ausgabe ein Kapitel über chinesische soziale Medien hinzugefügt. In der Neuauflage wurde dieses Kapitel überarbeitet und eine Diskussion des chinesischen Sozialkredit-Systems hinzugefügt.

Die Sharing- und Plattform-Ökonomie sowie die damit verbundene „Gig-Ökonomie“ sind in aller Munde. Uber und Airbnb sind charakteristisch dafür. Die Hoffnungen auf neuen Wohlstand bedeuten in der Realität oft prekäre Plattformarbeit. Das Kapitel über Airbnb und Uber aus der zweiten Auflage wurde überarbeitet und weiterentwickelt zum Kapitel „Die Sharing-Ökonomie von Airbnb, Uber und Upwork“. Außerdem habe ich ein neues Kapitel zum Thema „Der Plattform-Kapitalismus“ hinzugefügt.

Es stellt sich die Frage, welche Alternativen es zu kapitalistischen sozialen Medien, dem digitalen Kapitalismus, dem Big Data-Kapitalismus, dem Influencer-Kapitalismus und dem Plattform-Kapitalismus gibt. Die Frage nach den Alternativen wird in drei Kapiteln behandelt. Der Fokus liegt insbesondere auf Perspektiven für ein öffentlich-rechtliches Internet und Plattform-Kooperativen. Das Kapitel „Wikipedia: Eine neue demokratische Form kooperativer Arbeit und Produktion?“ wurde überabeitet. Die zwei Kapitel „Kapitalistische Soziale Medien: Probleme und Alternativen“ und „Ein Manifest für wirklich soziale Medien“ sind Neuhinzufügungen.

Die Einleitung sowie die Kapitel über „Was sind soziale Medien?“, Google, Twitter und „Die Macht und politische Ökonomie sozialer Medien“ wurden überarbeitet und aktualisiert.

Da das Thema der sozialen Medien immer vielfältiger wird, ließe sich sicherlich ein Buch schreiben, das noch viel länger ist. Die dritte englische und zweite deutsche Ausgabe sind eine grundlegende Überarbeitung der zweiten englischen und der ersten deutschen Ausgabe. Ich musste, um neue Themen aufgreifen zu können und das Buch überschaubar zu halten, auch einige Kapitel streichen. Die Kapitel über Manuel Castells („Soziale Medien und Kommunikationsmacht“) und Henry Jenkins („Soziale Medien als partizipative Kultur“) wurden gestrichen, können aber in der zweiten englischen und der ersten deutschen Auflage nachgelesen werden. Sie sind auch heute sicherlich noch aktuell und lesenswert. In der ersten englischen Ausgabe aus dem Jahr 2014 gibt es ein Kapitel über WikiLeaks (WikiLeaks: Can We Make Power Transparent?), dessen Thema auch heute noch aktuell ist.

Die Probleme der Gesellschaft können im Internet und auf sozialen Medien, die Teil dieser Probleme und der Gesellschaft sind, erlebt, beobachtet, analysiert und kritisiert werden. Wir leben in einem Kapitalismus, der voll von globalen Problemen ist, die die Menschheit bedrohen. In den letzten Jahren ist das Forschungsfeld der kritischen Internetforschung stetig gewachsen. Es stimmt mich zumindest für die Gesellschaftswissenschaften etwas positiv, dass es ein derart großes Interesse an der kritischen Erforschung der Digitalität gibt und dass es eine Vielzahl ausgezeichneter Studien erscheint, die dem Feld der kritischen Internetforschung zuzurechnen sind, die eine Vielzahl an wichtigen Themen abdecken.

Solange Ausbeutung und Herrschaft existieren, werden diese Phänomene auf vielfältige Weisen mit dem Internet, sozialen und digitalen Medien und digitaler Kommunikation interagieren. Kritische Internet-, Medien-, Kommunikations- und Gesellschaftsforschung ist daher hochaktuell und wichtig. Das vorliegende Lehrbuch ist ein Beitrag zu den Grundlagen dieses Forschungsfeldes.

Gmunden, Okober 2020

Christian Fuchs

Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe

Das Internet ist zu einem integralen Bestandteil des Alltagslebens vieler Menschen geworden. Laut Statistiken gab es Anfang 2018 etwa 4,2 Milliarden Internet-Nutzer:innen weltweit1. Dies sind nahezu 55 Prozent der Weltbevölkerung. Wir informieren uns über Neuigkeiten im Internet, sehen uns Filme und Videos an, hören Musik, kommunizieren privat und beruflich, kommentieren und teilen Inhalte auf Facebook, Instagram und anderen Plattformen, kaufen über das Internet ein, erledigen Banktransaktionen online etc. Unser Gesellschaftsleben ist ohne das Internet heute nicht mehr vorstellbar. Das Internet und die Gesellschaft sind eng verkoppelt: Die Anwendung des Internets hat die Gesellschaft verändert, im Internet spiegeln sich auf komplexe Weise gesellschaftliche Verhältnisse. Das Internet ist ein Raum der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Daher sind alle menschlichen Tätigkeiten im Internet sozial und alle Internetanwendungen soziale Medien.

Seit Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts hat sich aber ein anderes Verständnis sozialer Medien durchgesetzt. Es werden darunter oft neue Internetanwendungen wie soziale Netzwerke (Facebook), Blog-Plattformen (z.B. Tumblr, WordPress, Blogger), Mikroblogs (z.B. Twitter, Weibo), Wikis (z.B. Wikipedia) und Plattformen zur Teilung von Inhalten (z.B. YouTube, Instagram, Flickr) verstanden. YouTube, Facebook, Wikipedia und Twitter zählen heute zu den zehn meistgenutzten Internetplattformen2.

Im Jahr 2017 nutzten 91 Prozent der Deutschen, 88 Prozent der Österreicher:innen3 und 90 Prozent der Schweizer:innen das Internet4. 51 Prozent der Deutschen und 51 Prozent der Österreicher:innen verwendeten 2017 soziale Medien (im engeren Sinn von Twitter, Facebook etc.). 30 Prozent der Deutschen und 23 Prozent der Österreicher kreierten im selben Jahr nutzergenerierte Inhalte und teilten diese auf Online-Plattformen. Im Jahr 2015 hatten nur 0,4 Prozent der Deutschen und 0,7 Prozent der Österreicher:innen keinen Fernseher5. Die Nutzung von Facebook, Twitter, YouTube etc. ist im deutschsprachigen Raum noch nicht so weit verbreitet wie das Fernsehen: Soziale Medien sind aber ein signifikantes Phänomen. Das vorliegende Buch widmet sich also einem gesellschaftlich bedeutenden Kommunikationsphänomen.

Marx, Engels, Horkheimer und Adorno gehören zu den wichtigsten Theoretikern der kritischen Gesellschaftstheorie. Marx beschäftigte sich u.a. mit dem widersprüchlichen Charakter der Technik und der Kommunikationsmittel im Kapitalismus (siehe Fuchs 2017b). Horkheimer und Adorno haben u.a. die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft analysiert, die sich ergeben, wenn Kultur die Warenform annimmt. Obwohl die Werke klassischer Gesellschaftstheoretiker von großer Bedeutung für die Analyse von Kommunikation und Medien sind, hat sich im deutschsprachigen Raum bisher keine kritische Tradition der Analyse von Medien und Kommunikation durchsetzen können. Vielmehr ist dieses Forschungsfeld relativ konservativ. Der Ansatz der Kritik der politischen Ökonomie der Medien und der Kommunikation ist im internationalen Vergleich in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterentwickelt (vgl. Fuchs 2017a). Das vorliegende Buch versteht sich als Einführung dazu, wie der Ansatz der Marxschen kritischen politischen Ökonomie und der Frankfurter Schule (vor allem die Arbeiten von Horkheimer, Adorno, Marcuse und Habermas) verwendet werden kann, um aktuelle Kommunikationsphänomene kritisch zu analysieren. Es ist als Lehrbuch konzipiert, das den Zusammenhang von Internetkommunikation und Kapitalismus verdeutlicht. Eine Vielzahl von Übungsaufgaben ermöglicht es den Leser:innen, sich mit diesem Thema auf praktische Weise auseinanderzusetzen. Ich habe versucht, die Bedeutung kritischer/marxistischer Theorie möglichst anschaulich darzustellen.

Die Europäische Union verfolgte im Rahmen der Lissabon-Strategie das Ziel, bis 2010 die wettbewerbsfähigste Informationsökonomie der Welt zu werden. Damit war gemeint, dass man europäische Formen von Google, Facebook, Microsoft, Amazon, Apple etc. schaffen wollte. Man wollte den US-amerikanischen digitalen Kapitalismus ein- und überholen. Diese Strategie ist gescheitert. Es gibt heute keine europäischen Äquivalente zu Google, Facebook, Microsoft, Amazon und Apple. Die Strategie, die neoliberale Version der digitalen Ökonomie, in der unregulierte globale Konzerne nach Belieben agieren und Daten, digitale Inhalte, Online-Werbung und digitale Technologien als Waren verkaufen, um Kapital zu akkumulieren, funktioniert in Europa nicht. Unter den fünfzig weltgrößten Unternehmen befinden sich zehn Konzerne, die dem Bereich der Kommunikationsindustrie und digitalen Industrie zuzuordnen sind: Apple (#8), AT&T (#15), Verizon Communications (#18), Microsoft (#20), Alphabet/Google (#23), China Mobile (#25), Comcast (#34), Softbank (#39), Nippon Telegraph and Telephone (#46) und Intel (#49). Sieben dieser Konzerne haben ihre Zentrale in den USA und zwei in Japan. Eines der Unternehmen befindet sich in China. Keiner der weltgrößten Informationskonzerne ist aus Europa. Die Lissabon-Strategie ist also gescheitert. Dies hat damit zu tun, dass die Stärke Europas nicht bei den kommerziellen Medien, sondern im Bereich der öffentlich-rechtlichen Medien und der Alternativmedien besteht. Die EU hat die Möglichkeit verabsäumt, ein öffentlich-rechtliches und alternatives Internet zu schaffen. Die zuständigen Politiker:innen sind von der neoliberalen Ideologie geblendet. Der Versuch, das US-Modell des digitalen Kapitalismus zu kopieren, ist gescheitert.

Die von Edward Snowden aufgedeckte Überwachung der Internetkommunikation durch westliche Geheimdienste sowie der Cambridge Analytica-Skandal zeigen, dass das Internet nicht einfach ein Raum der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist, sondern einer jener Räume, in denen Widersprüche der Gesellschaft ausgetragen werden. Das Unternehmen Cambridge Analytica bezahlte Global Science Research dafür, Online-Persönlichkeitstests auf Facebook durchzuführen, wodurch persönliche Daten von 90 Millionen Nutzern gesammelt wurden, auf Basis derer rechte Organisationen personalisierte Online-Werbungen schalteten, um zu versuchen, den Ausgang von Wahlen (wie z.B. die US-Präsidentschaftswahl 2016) zu manipulieren. Dies wurde durch eine Kombination von nationalistischer Politik, digitalem Kapitalismus und neoliberaler Politik ermöglicht: Die neuen Nationalisten schrecken vor keinen Möglichkeiten zurück, um ihre Ziele zu erreichen. Zu ihren kommunikativen Methoden zählen Falschnachrichten (Fake News), Skandalisierung, Emotionalisierung, die Nutzung von Bots zur Generierung von falscher Aufmerksamkeit, die Verbreitung von Hass und Nationalismus online usw. Facebook als kapitalistisches digitales Unternehmen hat Interesse daran, dass möglichst viele Datenströme auf der Plattform stattfinden, da Daten ein Rohstoff für den Profit sind, den das Unternehmen aus dem Verkauf personalisierter Werbung erzielt. Facebook gab Entwicklern über eine offene Schnittstelle Datenzugriff, da man sich dadurch mehr neue Apps und damit verbunden mehr Nutzungsstunden und mehr verkaufte personalisierte Werbung erhoffte. Die Logik der Profitmaximierung unterstützte die Unterminierung der Demokratie und der Privatsphäre vieler Internet-Nutzer:innen. Der neoliberale Staat unterstützt die Kommodifizierung des Digitalen dadurch, dass es kaum Regulierung gibt und man auf die Selbstregulierung der Konzerne setzt.

Die Kombination der Krise des Kapitalismus mit rechter Ideologie, neuem Nationalismus und Rassismus hat im Internet zu Phänomenen wie Donald Trumps Twitternutzung geführt. Während die Nazis den Volksempfänger benutzten, setzen die heutigen Nationalisten auf soziale Medien, Big Data, Fake News, personalisierte Onlinewerbung und politische Bots. Donald Trump ist das bekannteste Beispiel dafür, wie digitale Medien eingesetzt werden, um Autoritarismus zu kommunizieren, wozu ein hierarchisches Weltbild, in dem es Führer und Geführte gibt, Nationalismus, das Freund-Feind-Schema, patriarchale Ideologie und Militarismus gehören (Fuchs 2018a).

Das Internet und die Gesellschaften, in denen es verwendet wird, sind heute in keinem guten Zustand. Genau deswegen brauchen wir eine kritische Theorie des Internets. Im vorliegenden Buch werden u.a. folgende Themen diskutiert: der digitale Kapitalismus, partizipative Kultur als Ideologie, Kommunikationsmacht; die politische Ökonomie des Digitalen, der Suchmaschinen, der sozialen Netzwerke und der Sharing-Plattformen; Überwachung und Privatsphäreverletzungen im Internet, digitale Demokratie und digitale Öffentlichkeit, Ideologien des Internets. Es geht aber auch um gesellschaftliche Kämpfe im Kontext des Internets und nichtkommerzielle Alternativen zum kapitalistischen Internet. Beispiele dafür sind Wikipedia, Plattformkooperativen und die digitalen Dienste öffentlich-rechtlicher Medien. Europas Stärke ist nicht der digitale Kapitalismus, sondern die Tradition der öffentlich-rechtlichen Medien und der Alternativmedien.

Die Alternativen zum digitalen Kapitalismus bestehen also in der Förderung öffentlich-rechtlicher und zivilgesellschaftlicher Internetdienste (Fuchs 2018a). Wir brauchen keine öffentlich-privaten Partnerschaften, sondern öffentlich-zivilgesellschaftliche Partnerschaften, um ein progressives Internet zu etablieren. Das Internet ist heute nur zu einem partikularistischen Grad ein soziales Medium: Es befördert das Interesse der Konzerne und Mächtigen. Es ist also unsozial, insofern wir unter Sozialität den politischen Begriff einer solidarischen Gesellschaft verstehen. Ein soziales Internet, das von öffentlich-rechtlichen Institutionen (z.B. Suchmaschinen, die von öffentlichen Universitäten organisiert werden, ein von allen europäischen öffentlich-rechtlichen Medien gemeinsam betriebene Alternative zu YouTube etc.) und zivilgesellschaftlichen Organisationen (z.B. Plattformkooperativen, d.h. von Angestellten und Nutzern selbstverwaltete Software- und Internetprojekte; nichtkommerzielle, nicht-profitorientierte soziale Netzwerke; Creative Commons und Free Software-Bewegung usw.). Die stärkere Besteuerung von Online-Werbung und anderen Profitquellen digitaler Konzerne könnte eine der Quellen für die Finanzierung alternativer Internetprojekte darstellen.

Im heutigen Internet spielt sich ein Widerspruch zwischen dem digitalen Kapital und den digitalen Gemeingütern (Commons) ab. Es kommt darauf an, in diesen Konflikt zu intervenieren, um ein Internet zu schaffen, das allen Menschen Vorteile bietet. Ein alternatives Internet ist möglich und notwendig.

London, Juli 2018

Christian Fuchs

Fuchs, Christian. 2018a. Digitale Demagogie: Autoritärer Kapitalismus in Zeiten von Trump und Twitter. Hamburg: VSA.

Fuchs, Christian. 2018b. The Online Advertising Tax as the Foundation of a Public Service Internet. London: University of Westminster Press.

Fuchs, Christian. 2017a. Die Kritik der Politischen Ökonomie der Medien/Kommunikation: ein hochaktueller Ansatz. Publizistik 62 (3): 255-272.

Fuchs, Christian. 2017b. Marx lesen im Informationszeitalter. Eine medien- und kommunikationswissenschaftliche Perspektive auf „Das Kapital Band 1“. Münster: Unrast.

1https://www.internetworldstats.com/stats.htm, aufgerufen am 4. Juli 2018.

2https://www.alexa.com/topsites, aufgerufen am 4. Juli 2018.

3 Datenquelle: Eurostat, http://ec.europa.eu/eurostat

4 Datenquelle: Bundesamt für Statistik, https://www.bfs.admin.ch

5 Datenquelle: Eurostat, http://ec.euroa.eu/eurostat

I. Grundlagen

1Soziale Medien und Kritische Theorie

Schlüsselfragen

Was bedeutet es, kritisch zu denken?

Was ist die Kritische Theorie und warum ist sie relevant?

Was ist der Unterschied zwischen Administrativer und Kritischer Theorie?

Wie können wir uns der Kritischen Theorie nähern?

Wie können wir die Kritische Theorie für die Untersuchung digitaler und sozialer Medien nutzen?

Schlüsselkonzepte

Soziale Medien

Kritische Theorie

Marxistische Theorie

Kritik der Politischen Ökonomie

1.1Überblick

Was ist das Soziale an sozialen Medien? Welche Auswirkungen haben soziale Medienplattformen wie Facebook, Google, Instagram, Snapchat, TikTok, Twitter, Wikipedia, YouTube etc. auf Macht, Wirtschaft und Politik? Dieses Buch gibt eine kritische Einführung in das Studium der sozialen Medien. Es konfrontiert den Leser und die Leserin mit den Konzepten, die für ein kritisches Verständnis der Welt der sozialen Medien erforderlich sind, unter anderem mit Fragen wie:

Kapitel 2: Was ist das Soziale an sozialen Medien?

Kapitel 3: Was ist der digitale Kapitalismus? Was sind Big Data? Was ist die Rolle von Big Data im digitalen Kapitalismus?

Kapitel 4: Wie funktioniert das Geschäftsmodell der sozialen Medien?

Kapitel 5: Was ist gut und was ist schlecht an Google, der weltweit führenden Internetplattform und Suchmaschine?

Kapitel 6: Welche Rolle spielen Datenschutz, Überwachung und Falschnachrichten auf Facebook, der weltweit größten sozialen Netzwerkseite?

Kapitel 7: Was sind die Social Media-Influencer:innen? Welche Aspekte der politischen Ökonomie und Ideologie spielen beim Influencer-Kapitalismus auf Instagram, TikTok, YouTube und Snapchat eine Rolle?

Kapitel 8: Welche Rolle spielt Elon Musks Twitter für die digitale Öffentlichkeit, die digitale Demokratie und ihre Kolonisierung? Welche Möglichkeiten und Grenzen haben die sozialen Medien bei der Belebung der (digitalen) Öffentlichkeit?

Kapitel 9: Wie werden rechter Autoritarismus und digitaler Faschismus über soziale Medien vermittelt?

Kapitel 10: Was ist der globale Kapitalismus? Welche Rolle spielt China im globalen Kapitalismus? Was ist die Rolle von TikTok im globalen Kapitalismus?

Kapitel 11: Was sind die Hauptprobleme der sozialen Medien und welche Alternativen gibt es? Wie können wir soziale Medien erreichen, die den Zielen einer gerechten und fairen Welt dienen, in der die Menschen die Gesellschaft gemeinsam gestalten und gemeinschaftlich kommunizieren? Was sind wahrhaftig soziale Medien?

Dieses Buch stellt einen theoretischen Rahmen für ein kritisches Verständnis von sozialen Medien vor, der für die Diskussion von Social-Media-Plattformen im Kontext spezifischer Themen verwendet wird. Es führt in die kritische Analyse ein, indem es sich auf spezifische theoretische Konzepte konzentriert, die in Beziehung zu sozialen Medien gesetzt werden: Sozialität (Kapitel 2), Big Data und der digitale Kapitalismus (Kapitel 3), Politische Ökonomie (Kapitel 4), politische Ethik (Kapitel 5), Überwachung und Privatsphäre (Kapitel 6), Ideologiekritik (Kapitel 7), Demokratie und Öffentlichkeit (Kapitel 8); die kritische Theorie der autoritären Persönlichkeit, des Faschismus und des rechten Autoritarismus (Kapitel 9), globaler Kapitalismus (Kapitel 10); digitale Entfremdung, digitale Gemeingüter, digitale Alternativen, öffentlich-rechtliche Medien, öffentlich-rechtliches Internet und digitaler/kommunikativer Sozialismus (Kapitel 11).

Das Buch besteht aus drei Teilen:

I. Grundlagen (Kapitel 1-4)

II. Plattformen (Kapitel 5-10)

III. Zukunft (Kapitel 11)

Der „Grundlagen“-Teil führt in die kritische Theorie und die Analyse des Kapitalismus ein. Wir brauchen diese Grundlagen, um soziale Medien kritisch zu verstehen. Der „Plattformen“-Teil präsentiert Fallstudien zu spezifischen Social Media-Plattformen und Social Media-Themen. Er wendet die theoretischen Grundlagen des Buches auf bestimmte Plattformen wie Google, Facebook, WhatsApp, Instagram, YouTube, Snapchat, Twitter, TikTok und Wikipedia an. Der Teil „Zukunft“ befasst sich mit Visionen, wie das Internet und die sozialen Medien aussehen sollten, um die Probleme kapitalistischer sozialer Medien und des kapitalistischen Internets zu überwinden.

Unter sozialen Medien versteht man häufig nutzergenerierte Inhalte, ein Netzwerk von Kontakten und Followern, die gemeinsame Nutzung von Texten/Bildern/Videos, Möglichkeiten zur Online-Wiederveröffentlichung und -Verbreitung von Inhalten, den Ausdruck von Zustimmung und Ablehnung in Form von Emoticons und „Likes“ sowie Möglichkeiten der Online-Kommunikation. Das „Soziale“ ist ein komplexer Begriff. Er kann bedeuten, dass unser Handeln durch das, was in der Gesellschaft geschieht, geprägt wird, dass wir mit anderen kommunizieren und interagieren, dass wir kooperieren und Gemeinschaften bilden usw. Das Soziale hat aber auch mit sozialen und gesellschaftlichen Problemen zu tun. Einige Beobachter argumentieren, dass soziale Medien selbst Teil der sozialen und gesellschaftlichen Probleme geworden sind. „Soziale Medien“ ist in erster Linie ein Begriff, der uns darüber nachdenken lässt, wie Internetplattformen mit der Gesellschaft interagieren. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Frage, wie soziale Medien zu definieren sind, wird in Kapitel 2 gegeben.

Im verbleibenden Teil von Kapitel 1 werde ich den Begriff der Kritischen Theorie einführen und einige Grundlagen davon diskutieren, was es bedeutet, soziale Medien kritisch zu analysieren.

1.2Was ist kritisches Denken und warum ist es wichtig?

Wenn man die Frage „Was bedeutet es, kritisch zu sein?“ mit akademischen Kolleg:innen diskutiert, haben viele die unmittelbare Reaktion: Wir sind alle kritisch, weil wir kritische Fragen stellen und die Arbeit unserer akademischen Kolleg:innen kritisieren. Gelehrte, die sich selbst als kritische Denker oder kritische Theoretiker:innen bezeichnen, stellen diese Behauptungen oft in Frage. Sie heben den Begriff des „Kritischen“ und die Notwendigkeit hervor, kritisch zu sein, um zu betonen, dass ihrer Ansicht nach nicht jeder kritisch ist und dass viele Gedanken (akademische oder nicht) unkritisch sind. Ihr Grundargument ist, dass nicht alle Fragen wirklich in gleichem Maße für die Gesellschaft von Bedeutung sind und dass diejenigen, die sie unkritische oder administrative Forscher:innen nennen, sich oft auf Fragen und Forschung konzentrieren, die für die Verbesserung der Gesellschaft irrelevant oder sogar schädlich für die Gesellschaft und die Menschen sind. Es geht kritischen Theoretiker:innen um Fragen der Macht.

Macht

Macht ist ein komplexes Konzept. Es hat damit zu tun, wer die Gesellschaft kontrolliert, wer wichtige Entscheidungen trifft, wer grundlegende Ressourcen besitzt, wer als einflussreich gilt, wer den Ruf hat, die Gesellschaft zu beeinflussen und zu verändern, wer ein Meinungsmacher ist oder wer dominante Normen, Regeln und Werte definiert. Die Frage „Wer ist an der Macht?“ führt sofort zu der Frage „Und wem fehlt die Fähigkeit, Dinge zu beeinflussen und zu verändern?“ Machtasymmetrien bedeuten, dass es Gruppen von Menschen gibt, die in der Gesellschaft auf Kosten anderer profitieren, indem sie diese für ihre Zwecke instrumentalisieren und Vorteile erlangen, die nicht der Gesellschaft als Ganzes oder denjenigen, die instrumentalisiert werden, zugutekommen.

In sozialen Beziehungen und gesellschaftlichen Verhältnissen mit einer symmetrischeren Machtverteilung können alle beteiligten und betroffenen Menschen oder zumindest viele von ihnen die Strukturen beeinflussen und gestalten, die ihr Leben beeinflussen. Macht ist ein inhärent politisches Konzept. Macht ist auf bestimmte Weise verteilt, und zwar auf einem Kontinuum zwischen absoluter Symmetrie und absoluter Asymmetrie. Eine relativ symmetrische Machtverteilung bedeutet, dass es eine basisdemokratische und partizipative Demokratie gibt. Eine stark asymmetrische Machtverteilung bedeutet eine Diktatur durch wenige, einzelne Personen oder eine kleine Gruppe.

Herrschaft ist nicht dasselbe wie Macht. Es handelt sich um eine bestimmte Art von Macht. Herrschaft ist ein Machtverhältnis, bei dem Individuen, Gruppen, Organisationen oder Institutionen über Zwangsmittel verfügen, die sie einsetzen können oder bereits einsetzen, um sich Vorteile zu verschaffen, die der Durchsetzung ihrer Interessen gegen den Willen, gegen die Interessen und auf Kosten anderer dienen. Herrschaft ist immer ein asymmetrisches Machtverhältnis. Sie hat mit Zwang und Vorteilen des einen Akteurs zu tun, die Nachteile für andere mit sich bringen.

Ausbeutung ist eine besondere Form der Herrschaft. Sie ist eine ökonomische Form der Herrschaft, die in Klassenverhältnissen stattfindet. Ausbeutung bedeutet, dass es eine herrschende Klasse gibt, die wirtschaftliche Produktionsmittel und Eigentum besitzt und kontrolliert, von denen die Arbeiterklasse ausgeschlossen ist, und dass die herrschende Klasse Einfluss auf das Vorhandensein von Zwangsmitteln hat, die die Arbeiterklasse dazu zwingen, wirtschaftliche Ressourcen zu produzieren, die ihr nicht gehören und die das Eigentum von Mitgliedern der herrschenden Klasse sind.

Es macht einen Unterschied, ob man Fragen über die Gesellschaft mit oder ohne Berücksichtigung von Machtinteressen stellt. Kommen wir noch einmal auf das Thema der sozialen Medien zurück. Man kann eine Menge Fragen stellen, die das Thema der Macht ignorieren. Zum Beispiel:

Wer nutzt soziale Medien?

Für welche Zwecke werden Social Media genutzt?

Warum werden sie genutzt?

Worüber kommunizieren Menschen auf sozialen Medien?

Was sind die beliebtesten sozialen Medien?

Wie können Politiker:innen und Parteien soziale Medien am besten nutzen, um bei den nächsten Wahlen mehr Stimmen zu erhalten?

Wie können Unternehmen soziale Medien zur Verbesserung ihrer Werbung und Öffentlichkeitsarbeit nutzen, damit sie mehr Gewinn erzielen?

Wie viel durchschnittlichen Profit bringt ein Klick auf eine personalisierte Werbung, die auf Facebook oder Google geschaltet wird, dem werbetreibenden Unternehmen?

Wie kann ein Unternehmen durch Crowdsourcing-Arbeit für Nutzer:innen und den Einsatz von freier Software Gewinne erzielen?

Die Medien- und Kommunikationswissenschaft entstand als akademisches Feld im frühen zwanzigsten Jahrhundert zur Zeit des Aufstiegs des Konsumkapitalismus. Der Konsumkapitalismus basiert auf der Massenproduktion und dem Massenkonsum von Waren. Zwei grundlegende Ansätze zur Erforschung der Kommunikation entstanden: die administrative Forschung und die kritische Forschung. Die administrative Forschung untersucht, welche Rolle die Kommunikation spielt, um die Verwaltung der Gesellschaft einfacher, effizienter und effektiver zu gestalten. Kritische Forschung stellt Fragen nach Macht und Kommunikationsmacht und beschäftigt sich mit der Frage, wie Gesellschaft und Kommunikation allen und vielen und nicht nur den wenigen zugutekommen können.

Harold Lasswell (1902-1978) war ein einflussreicher US-amerikanischer administrativer Kommunikationsforscher. Er formulierte die Lasswell-Formel, die er als „praktische Weise zur Beschreibung eines Kommunikationsaktes“ erachtet. Die Lasswell-Formel stellt die folgenden Fragen:

„Wer

sagt was

über welchen Kanal

zu wem

mit welcher Wirkung?“ (Lasswell 1948/2007, 216).

Ausgehend von dieser Unterscheidung unterscheidet Lasswell zwischen der Kommunikatoranalyse (wer?), der Inhaltsanalyse (was?), der Medienanalyse (welcher Kanal?), der Publikumsforschung (an wen?) und der Medienwirkungsforschung. Die oben skizzierten Fragen sind Beispiele für die Anwendung der Lasswell-Formel auf soziale Medien. Sie fragen: Wer sagt auf welchen Social Media/Online-Plattformen was, zu wem, mit welcher Wirkung?

Der Sozialforscher Paul F. Lazarsfeld (1901-1976) bezeichnet das Stellen und Beantworten solcher Fragen als „administrative Forschung“. Er argumentiert, dass es wirtschaftliche und politische Organisationen gibt, die daran interessiert sind, solche Fragen zu untersuchen, um ihre Profite und ihre Macht zu steigern. „Studien dieser Art werden von den großen Verlagsorganisationen und Rundfunknetzen und zum Teil von akademischen Agenturen durchgeführt, die von Universitäten oder Stiftungen unterstützt werden“ (Lazarsfeld 1941, 3). Administrative Forschung wird „im Dienste einer Art Verwaltungsagentur öffentlichen oder privaten Charakters durchgeführt“ (8). Lazarsfeld argumentiert, dass Max Horkheimer die Idee der „kritischen Forschung“ (9) entwickelt habe, die die Analyse sozialer Phänomene wie der Kommunikation in breitere Zusammenhänge einbettet und sie auf der Grundlage menschlicher Werte beurteilt.

Administrative Fragen haben drei Probleme. Erstens ignorieren viele von ihnen die Themen der Macht, der Herrschaft und der Ausbeutung. Sie stellen nicht die Frage, wer von der Nutzung der sozialen Medien, des Internets und der IKT (Informationsund Kommunikationstechnologien) profitiert und wer Nachteile hat und wie die Vorteile der einen auf den Nachteilen der anderen beruhen. Zweitens basieren solche Fragen auf einer partikularistischen Logik: Sie befassen sich damit, wie bestimmte Gruppen, insbesondere Unternehmen und Politiker, von sozialen Medien profitieren können, und ignorieren die Frage, wie diese Nutzung anderen und der Gesellschaft im Allgemeinen nützt oder schadet. Unkritische Herangehensweisen fragen z.B., wie Unternehmen von sozialen Medien profitieren können, diskutieren aber nicht die Arbeitsbedingungen in diesen Unternehmen. Drittens ignorieren solche administrativen Fragen die Fokussierung darauf, wie die Gesellschaft im Ganzen als Kontext wirkt und die Kommunikation beeinflusst. Die administrative Forschung stellt keine großen Fragen über die Gesellschaft, die mit Klasse, Ausbeutung, Kapitalismus, Herrschaft, gesellschaftlichen Kämpfen, Globalisierung, Staat, Ideologie, Ungleichheit, Macht usw. zu tun haben.

Die Analyse der sozialen Medien und des Internets in der Gesellschaft befasst sich mit drei großen Themenbereichen: Wirtschaft, Politik und Kultur. In der digitalen Wirtschaft geht es um die Produktion, die Verteilung und den Konsum von digitalen Gütern. Die digitale Politik befasst sich mit der Rolle der digitalen und sozialen Medienkommunikation in der Demokratie und der kollektiven Entscheidungsfindung. Die digitale Kultur konzentriert sich darauf, wie Menschen im Internet und auf den sozialen Medien Bedeutung für die Gesellschaft schaffen und diese Bedeutungen zum Ausdruck bringen. Dieses Buch deckt alle drei Aspekte ab. Die drei Bereiche der digitalen Gesellschaft sind miteinander verknüpft. Denken wir zum Beispiel an Google. In Bezug auf die Wirtschaft ist Google ein Monopol auf dem Suchmaschinenmarkt, das mit personalisierter Online-Werbung Geld verdient. Im Bereich der Politik wurde Google dafür kritisiert, dass das Unternehmen es vermeidet, Steuern zu zahlen und eine Überwachungsgesellschaft vorantreibt. Und im Bereich der Kultur wird Google oft als Förderer einer Kultur der oberflächlichen und schnellen Auseinandersetzung mit Informationen gesehen, in der Algorithmen bestimmen, wie wir die Realität wahrnehmen. Wann immer wir soziale Medien analysieren, können wir darüber nachdenken, wie eine konkrete Social Media-Plattform oder ein konkretes Internet-Phänomen mit Wirtschaft, Politik und Kultur zusammenhängen.

Digitaler Autoritarismus

Um über soziale Medien nachzudenken, ist es gut, sich mit einem Beispiel auseinanderzusetzen. Betrachten wir das Beispiel des digitalen Autoritarismus und des digitalen Faschismus und was es bedeutet, dazu kritische Fragen zu stellen.

Rechte, autoritäre Persönlichkeiten wie Donald Trump oder Narendra Modi haben beide mehr als 80 Millionen Follower auf Twitter und Millionen Follower auf Facebook, Instagram und YouTube.

Die extreme Rechte ist eine Gefahr für die Demokratie. Angesichts ihres Wachstums und der Anhängerschaft, die sie im Internet erreicht, stellt sich die Frage, was die Rechtsextremen bei der Nutzung sozialer Medien so effektiv macht.

Die Nutzung von Twitter durch Donald Trump ist ein vieldiskutiertes Social Media-Thema. Häufig berichten Nachrichtenmedien über das, was er getwittert hat. Seine Tweets sind oft beleidigend, aggressiv oder machen sich über seine Gegner lustig. Betrachten wir das folgende Beispiel:

„I am in Japan at the G-20, representing our Country well, but I heard it was not a good day for Sleepy Joe or Crazy Bernie. One is exhausted, the other is nuts – so what’s the big deal?“ (Twitter: @RealDonaldTrump, 28. Juni 2019)

Trump psychologisiert hier zwei seiner wichtigsten politischen Gegner, Joe Biden und Bernie Sanders. Er versucht, sie als geistig behindert darzustellen. Er sagt negative Dinge über seine Gegner:innen, um Wähler:innen anzusprechen. Dies ist eine ideologische Strategie, die zu dem gehört, was Politikwissenschaftler:innen als „Autoritarismus“ bezeichnen. Autoritarismus ist eine Denkweise, Ideologie und Form der Politik, die andere Menschen, insbesondere politische Gegner, nicht respektiert, an Hierarchien glaubt, Macht von oben nach unten ausübt; Law & Order-Politik, Gewalt und Kriegsführung als politische Mittel propagiert und für Nationalismus eintritt. In der heutigen Gesellschaft kommt der Autoritarismus häufig im Internet und in den sozialen Medien zum Ausdruck.

Ein Beispiel dafür, wie wir soziale Medien untersuchen können, ist die Frage „Wie wird rechter Autoritarismus und Nationalismus auf sozialen Medien kommuniziert?“ In dem Buch Digitale Demagogie: Autoritärer Kapitalismus in Zeiten von Trump und Twitter analysiere ich, wie Donald Trump soziale Medien, insbesondere Twitter, nutzt (Fuchs 2018b). Nationalismus 2.0: The Making of Brexit on Social Media untersucht Nutzerkommentare zu den Profilen von Nigel Farage und Boris Johnson am Tag nach dem Brexit-Referendum (Fuchs 2018c). Nationalism on the Internet: Critical Theory and Ideology in the Age of Social Media and Fake News skizziert Grundlagen einer kritischen Theorie des Nationalismus, die auf eine empirische Analyse der Nutzung von sozialen Medien durch rechtsrechte Parteien bei den deutschen Bundestagswahlen 2017 und den österreichischen Nationalratswahlen 2017 angewendet wird (Fuchs 2020c). Das Buch Digital Fascism (Fuchs 2022b) stellt Fallstudien zum Faschismus im Internet und in den sozialen Medien vor und skizziert Grundlagen der Theorie des digitalen Faschismus.

Digitaler Faschismus

Der Faschismus ist eine antidemokratische, antisozialistische und terroristische Ideologie, Praxis und Organisationsform. Er beruht auf der Kombination mehrerer Prinzipien: (a) dem Führerprinzip, (b) dem Nationalismus, (c) dem Freund-Feind-Schema und (d) dem militanten Patriarchat, das die Idealisierung des Soldaten, die Ausübung des Patriarchats, die Unterordnung der Frauen und den Einsatz von Krieg, Gewalt und Terror als politische Mittel beinhaltet. Der Faschismus bedient sich des Terrors gegen vermeintliche Feinde und zielt darauf ab, durch die Institutionalisierung dieser Prinzipien eine faschistische Gesellschaft zu errichten. Er versucht, Menschen zu mobilisieren, die befürchten, aufgrund gesellschaftlicher Konflikte Eigentum, Status, Macht und Ansehen zu verlieren. Darüber hinaus spielt der Faschismus in kapitalistischen Gesellschaften und Klassengesellschaften eine ideologische Rolle, indem er die Probleme der Gesellschaft auf Sündenböcke abwälzt und sie als Konflikte zwischen der Nation und „Ausländern/Ausländerinnen“ oder Feinden darstellt. Dieses Ablenkungsmanöver lenkt die Aufmerksamkeit von der systemischen Rolle von Klasse und Kapitalismus und dem inhärenten Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit in der Gesellschaft ab. Der Faschismus propagiert oft einen eindimensionalen, einseitigen und personalisierenden „Antikapitalismus“, der die Nation als politischen Fetisch darstellt und die Existenz eines Antagonismus behauptet, bei dem auf der einen Seite die Einheit von Kapital und Arbeit einer Nation steht und auf der anderen Seite eine bestimmte Form des Kapitals oder der Wirtschaft oder der Produktion oder der Gemeinschaft. Die zweite Seite wird als Zerstörung des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Überlebens der Nation dargestellt.

Unter digitalem Faschismus versteht man die Online-Kommunikation des Faschismus sowie die Nutzung digitaler Technologien durch faschistische Gruppen und Individuen als Informations-, Kommunikations- und Organisationsmittel. Faschismus ist eine besondere und terroristische Form des rechten Autoritarismus, der darauf abzielt, identifizierte Feinde mit Gewalt, Terror und Krieg zu töten. Digitaler Faschismus bedeutet, dass Faschist:innen digitale Technologien wie Computer, Internet, Mobiltelefone, Apps und soziale Medien nutzen, um (a) intern zu kommunizieren und sich zu organisieren, so dass sie die Organisation faschistischer Praktiken koordinieren, und (b) in der Öffentlichkeit das Führerprinzip, den Nationalismus, das Freund-Feind-Schema und die Androhung von Gewalt zu kommunizieren. Digitale Technologien werden außerdem zur Propagierung von Gewalt, Militarismus, Terror, Krieg, Law and Order-Politik und der Ausrottung der konstruierten Feinde und Sündenböcke verwendet. Es wird versucht, Anhänger zu finden, zu mobilisieren und die konstruierten Feinde zu terrorisieren. Im digitalen Faschismus bedienen sich Faschist:innen digitaler Technologien, um Gewalt, Terror und Krieg als Mittel zur Errichtung einer faschistischen Gesellschaft zu fördern. Die faschistische Ideologie konstruiert Sündenböcke und versucht, die Menschen gegen die Sündenböcke aufzuhetzen. Zu den Sündenböcken, die die faschistische Ideologie konstruiert und gegen die sie online agitiert, gehören Immigrant:innen, Sozialist:innen, Liberale, Intellektuelle, Expert:innen und Demokrat:innen.

Kritische Fragen über den digitalen Autoritarismus und den digitalen Faschismus

Was bedeutet es also, im Kontext des digitalen Autoritarismus und des digitalen Faschismus kritische Fragen zu stellen? Hier sind einige Beispiele:

Was ist autoritärer Kapitalismus und warum ist er entstanden?

Was ist Faschismus und warum lebt er heute wieder auf?

Wie prägt und beeinflusst der autoritäre Kapitalismus die Kommunikation von Autoritarismus und Nationalismus auf sozialen Medien?

Warum gibt es im gegenwärtigen Kapitalismus bestimmte rechte und faschistische Bewegungen, Parteien und Gruppen?

Was sind die politischen und wirtschaftlichen Interessen, die bestimmte Individuen, Bewegungen und Parteien durch die Kommunikation von Faschismus, Rassismus, Autoritarismus und Nationalismus auf sozialen Medien durchzusetzen versuchen?

Wie kommunizieren, repräsentieren und äußern rechte und faschistische Akteure Ideologie auf sozialen Medien und wie lenken sie dadurch die Aufmerksamkeit von den wahren Ursachen der gesellschaftlichen Probleme und von Klasse, Kapitalismus und Herrschaft ab?

Wie kommunizieren rechte und faschistische Akteure autoritäre Führung auf sozialen Medien? Wie setzt dieses ideologische Element partikularistische politischökonomische Interessen durch?

Wie kommunizieren rechte und faschistische Akteure Nationalismus auf sozialen Medien? Wie verstärkt Online-Nationalismus partikularistische politisch-ökonomische Interessen?

Wie kommunizieren rechte und faschistische Akteure Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf sozialen Medien? Wie verstärkt Online-Rassismus partikularistische politisch-ökonomische Interessen?

Wie kommunizieren rechte und faschistische Akteure das Freund-Feind-Schema auf sozialen Medien? Wie verstärkt das Freund-Feind-Schema online partikularistische politisch-ökonomische Interessen?

Wie kommunizieren rechte und faschistische Akteure Gewalt, Militarismus und Law & Order-Politik auf sozialen Medien? Wie verstärkt die Kommunikation von Gewalt im Internet partikularistische politisch-ökonomische Interessen?

Wie kommunizieren rechte und faschistische Akteure patriarchalische Werte und Sexismus auf sozialen Medien? Wie verstärkt die Kommunikation von Sexismus im Internet partikularistische politisch-ökonomische Interessen?

Wie reagieren Nutzer:innen, die rechtsautoritäre und faschistische Ideologen teilen, auf Online-Ideologie? Warum glauben sie an rechte Vorurteile, Behauptungen und Ideologie?

Welche Rolle spielen kapitalistische Unternehmen im autoritären Kapitalismus, im Faschismus und in der Kommunikation des autoritären Kapitalismus?

Wie werden rechte und faschistische Ideologien auf sozialen Medien herausgefordert und in Frage gestellt?

Wie beurteilen antifaschistische, antirassistische, anti-nationalistische, humanistische und sozialistische Akteure, die sich rechten und faschistischen Ideologien entgegenstellen, die rechtsautoritäre und nationalistische Kommunikation auf sozialen Medien? Wie können solche Inhalte am besten in Frage gestellt werden? An welchen Praktiken sind solche Akteure beteiligt und wie stellen sie Nationalismus und Autoritarismus in Frage? Wie funktioniert antifaschistische Kommunikation? Wie kann sie Faschismus, Nationalismus und Autoritarismus am besten herausfordern?

Was sind die kommunikativen und Online-Aspekte antifaschistischer Kämpfe und wie funktionieren sie?

Welchen gesellschaftlichen und kommunikativen Rahmen brauchen wir, um den autoritären Kapitalismus, die rechtsextreme Ideologie und die Kommunikation des Autoritarismus im Internet und auf den sozialen Medien zu überwinden? Was sind erste Schritte, die unternommen werden sollten, um Alternativen zur autoritären digitalen Kommunikation zu etablieren?

Die Liste der Fragen ist beispielhaft und bei weitem nicht vollständig. Sie zeigt, dass viele kritische Fragen über soziale Medien gestellt werden können und gestellt werden müssen. Kritisch über die Gesellschaft und die Medien nachzudenken, hat zum Ziel, Gesellschafts- und Medienstrukturen zu schaffen, durch die alle Menschen Vorteile haben.

1.3Was ist die Kritische Theorie?

Die Kritische Theorie ist eine spezifische Form des kritischen Denkens. Warum ist sie für das Verständnis von Computertechnologien relevant?

Die Geschichte der Kommunikations- und Transporttechnologien ist keine Geschichte von linearem Fortschritt. Obwohl viele Menschen heute von der Nutzung von Büchern, Telefonen, Zügen, Autos, Fernsehen, Radio, Computern, Internet oder Mobiltelefonen Vorteile haben, ist die Geschichte dieser Technologien tief in die Geschichte von Kapitalismus, Kolonialismus, Kriegsführung, Ausbeutung und Ungleichheit eingebettet. Winseck und Pike (2007) zeigen am Beispiel der globalen Expansion von Kabel- und Mobilfunkunternehmen (wie Western Union, Commercial Cable Company, Atlantic Telegraph Company oder Marconi) in den Jahren 1860-1930, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Kommunikation, Globalisierung und Kapitalismus gab.

Edwin Black (2001) hat in seinem Buch IBM and the Holocaust gezeigt, dass International Business Machines (IBM) durch den Verkauf von Lochkartensystemen an die Nazis diese bei ihrem Versuch unterstützte, Juden und Jüdinnen, ethnischen Minderheiten, Kommunist:innen, Sozialist:innen, Homosexuelle, Behinderte und andere zu vernichten. Die Nazis nutzten diese Systeme für die Nummerierung der Opfer, um zu speichern, wohin sie gebracht werden sollten und was mit ihnen geschehen sollte. Das Lochkartensystem war notwendig für den Transport der Opfer des Nazi-Faschismus in Vernichtungslager wie Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Majdanek, Mauthausen, Ravensbrück oder Sachsenhausen. IBM machte aus dem Massenmord ein internationales Geschäft, indem das Unternehmen Profit aus dem Verkauf von Datenverarbeitungsmaschinen an die Nazis erzielte. Die Lochkarten enthielten Informationen darüber, wohin ein Opfer deportiert werden sollte, welche Art von Opfer es war (Jude, Homosexueller, Deserteur, Kriegsgefangener usw.) und seinen Status. Code-Status 6 war die „Sonderbehandlung“, was den Tod in der Gaskammer bedeutete. Black hat gezeigt, dass das System von IBM geliefert und gewartet wurde und dass IBM New York und der deutsche Nazi-Staat Mietverträge abgeschlossen hatten. Black (2001, 9) sagt, dass es eine „bewusste Beteiligung – direkt und über ihre Tochtergesellschaften – von IBM am Holocaust sowie […] an der Nazi-Kriegsmaschinerie, die Millionen andere in ganz Europa ermordet hat“, gegeben habe.

Der Computer und das Internet haben ihren Ursprung im militärisch-industriellen Komplex und wurden später kommerzialisiert. Beide dienten zunächst dem Kriegsinteresse, bevor die Unternehmen die Profitabilität dieser Technologien entdeckten.

Die Beispiele zeigen, dass kapitalistische, militärische oder staatliche Interessen oft über dem kommunikativen Interesse der Menschen stehen.

Diesem Buch liegt die Sorge um die menschlichen Interessen und um die Überwindung der globalen Probleme der Gesellschaft zugrunde. Wir leben in turbulenten Zeiten, die geprägt sind von Kriegen, geopolitischen Rivalitäten, einer stark polarisierte Weltpolitik, das Aufkommen neuer Formen des Faschismus und neuer Nationalismen, weltweiter Ungleichheit, Weltwirtschaftskrise, einer globalen ökologischen Krise, Naturkatastrophen, Pandemien und Gesundheitskrisen, Terrorismus, hoher Arbeitslosigkeit, prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen, steigender Armut usw. Können in dieser Situation alle Menschen Vorteile von sozialen Medien haben? Oder ist es wahrscheinlich, dass nur einige auf Kosten der anderen profitieren? In diesem Buch stelle ich Fragen über Ausbeutung, Herrschaft, Macht und (Un-)Gleichheit in der heutigen Gesellschaft. Ich möchte betonen, dass es wichtig ist, sich darum zu bemühen, die Ungleichheit zu verringern und eine faire, gerechte und auf Gleichheit und Solidarität basierende Gesellschaft zu schaffen, in der alle Vorteile haben und ein gutes Leben führen. Das Buch basiert auf der normativen Annahme, dass wir eine Gesellschaft und soziale Medien brauchen, von denen nicht nur einige von uns profitieren, sondern durch die wir alle Vorteile haben. Dieses universelle Anliegen macht dieses Buch zu einem kritischen Buch. Deshalb hat es den Titel Soziale Medien und Kritsche Theorie: Eine Einführung.

Kritische Theorie ist vor allem mit einem Namen verbunden: Karl Marx.

Du willst, dass ich Karl Marx lese? Bist du verrückt? Warum sollte ich das tun?

Karl Marx braucht keine große Vorstellung. Er war ein gründlicher Theoretiker und scharfer Kritiker des Kapitalismus, ein öffentlicher Intellektueller, ein kritischer Journalist, ein Polemiker, ein Philosoph, Wirtschaftswissenschaftler, Soziologe, Politologe, Historiker, Hegelianer, Autor (zusammen mit Friedrich Engels) des Manifests der Kommunistischen Partei (Marx und Engels 1848) und von Das Kapital (Marx 1867, 1885, 1894), ein Führer des Bunds der Kommunisten und der Internationalen Arbeiterassoziation und einer der einflussreichsten politischen Denker des 19., 20. und 21. Jahrhunderts.

Aber war Marx nicht für die Schrecken von Stalin und der Sowjetunion verantwortlich? Marx lebte nicht in den 1930er Jahren, als Stalin Schauprozesse organisierte und seine Gegner tötete. Man kann Marx also nicht wirklich die Schuld für das geben, was mehr als 50 Jahre nach seinem Tod geschah. Darüber hinaus befasste sich Marx in vielen seiner Schriften mit dem Humanismus und einer demokratischen Form des Sozialismus, während Stalin und seine Anhänger keine Humanisten waren (für eine gründliche Diskussion darüber, warum Vorurteile gegen Marx falsch sind, siehe Eagleton 2018).

Die kapitalistische Krise, die 2008 begann, hat deutlich gemacht, dass zwischen Arm und Reich, Besitzern und Nicht-Eigentümern des Kapitals große Unterschiede bestehen und dass es große Probleme des Kapitalismus gibt. Die Occupy-Bewegung hat Klasse zu einem wichtigen Thema gemacht. Occupy Wall Street argumentiert, dass es eine „zerstörende Macht der Großbanken und multinationalen Konzerne über den demokratischen Prozess“ gibt und dass „die Rolle der Wall Street bei der Schaffung eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs […] die größte Rezession seit Generationen verursacht hat“6. In vielen Teilen der Welt entstanden Occupy-Bewegungen. Anti-Austeritäts-Proteste wie 15-M in Spanien, die Bewegung der empörten Bürger:innen in Griechenland, UK Uncut, die People’s Assembly against Austerity, die neuen sozialistischen Bewegungen, die Leute wie Alexandria Ocasio-Cortez, Jeremy Corbyn und Bernie Sanders unterstützen, die Anti-Austeritäts-Studentenproteste 2015 in Montreal und zeitgenössische Arbeiterproteste in China und anderen Ländern, die bessere Arbeitsbedingungen fordern, Umweltproteste wie Extinction Rebellion, die die Verbundenheit des Kapitalismus mit der Zerstörung der Natur betonen, usw. haben die Grenzen des Kapitalismus aufgezeigt. Solche Entwicklungen sind mit einem verstärkten Interesse an den Werken von Karl Marx einhergegangen, die im 21. Jahrhundert sehr aktuell bleiben, weil der Kapitalismus Krisen und Ungleichheiten schafft. Aber ist Marx nicht ein Denker des neunzehnten Jahrhunderts? Warum sollte ich ihn lesen, wenn ich soziale Medien verstehen will? Offensichtlich hat Marx nicht Facebook benutzt. Warum sollte ich mich also heute für seine Werke interessieren?

Du sagst also, dass Marx das Internet erfunden hat? Bist du deppert?

Einige Kommunikationswissenschaftler:innen haben gesagt, dass Marx sich nie zu vernetzten Medien geäußert hat oder dass sein Ansatz veraltet und daher für die Analyse zeitgenössischer Medien und Kommunikation ungeeignet ist. Marx diskutierte die Auswirkungen des Telegraphen auf die Globalisierung von Handel, Produktion und Gesellschaft, war einer der ersten Philosophen und Techniksoziologen der modernen Gesellschaft, nahm die Rolle der Wissensarbeit und den Aufstieg der Informationsgesellschaft vorweg und war selbst ein kritischer Journalist (siehe Fuchs 2021). Dies zeigt, dass jemand, dem die Analyse von Medien und Kommunikation am Herzen liegt, viele Gründe hat, sich mit Marx auseinanderzusetzen. Marx betonte die Bedeutung des Begriffs des Sozialen und des Gesellschaftlichen: Er hob hervor, dass Phänomene in der Gesellschaft (wie Geld oder Märkte und heute das Internet, Facebook, Twitter usw.) nicht einfach existieren, sondern das Ergebnis sozialer Beziehungen und gesellschaftlicher Verhältnisse zwischen Menschen sind. Sie existieren nicht automatisch, nicht für immer und nicht notwendigerweise, da die Menschen die Gesellschaft verändern können. Deshalb sind die Gesellschaft und die Medien offen für Veränderungen und beinhalten die Möglichkeit einer besseren Zukunft. Wenn wir verstehen wollen, was das Soziale an sozialen Medien ist, dann kann uns die Lektüre von Marx dabei sehr helfen.

Die Grundrisse sind eine Vorarbeit von Karl Marx zu seinem Hauptwerk Das Kapital. In den Grundrissen beschreibt Marx ein globales Informationsnetzwerk. Dieses Netzwerk hat die Eigenschaft, dass „jeder einzelne […] Auskunft über die Tätigkeit aller anderen verschafft“ und dass „Verhältnisse und Verbindungen“ zwischen den Menschen hergestellt werden (Marx 1857/1858, 94). Eine solche Beschreibung klingt nicht nur wie eine Vorwegnahme des Internets, sie ist auch ein Hinweis darauf, dass das Denken von Marx für die Medien-/Kommunikationswissenschaft und die Erforschung des Internets und der sozialen Medien relevant ist. Diese Passage in den Grundrissen ist ein Hinweis darauf, dass, obwohl das Internet als Technologie ein Produkt des Kalten Krieges und der kalifornischen Gegenkultur war, Marx dessen Konzept bereits im neunzehnten Jahrhundert vorweggenommen hat. Karl Marx erfand das Internet!

Was ist kritische Theorie?

Wir können sechs Dimensionen der kritischen Theorie identifizieren:

1. kritische Ethik;

2. die Kritik von Herrschaft und Ausbeutung;

3. die dialektische Vernunft;

4. gesellschaftliche Kämpfe und politische Praxis;

5. Ideologiekritik;

6. Kritik der politischen Ökonomie.

1: Kritische Theorie hat eine normative Dimension

Die kritische Theorie misst „die einzelne Existenz am Wesen“ (Marx 1844a, 326). Das bedeutet, dass die kritische Theorie normativ und realistisch ist, sie argumentiert, dass es möglich ist, vernünftig begründete Argumente darüber zu liefern, was eine gute Gesellschaft ist, dass sich die gute Gesellschaft auf Bedingungen bezieht, die alle Menschen zum Überleben benötigen (das Wesen des Menschen und der Gesellschaft) und dass wir bestehende Gesellschaften danach beurteilen können, inwieweit sie menschenwürdige Bedingungen bieten oder nicht bieten.

2: Die kritische Theorie ist eine Kritik von Herrschaft und Ausbeutung

Kritische Theorie hinterfragt alle Gedanken und Praktiken, die Herrschaft und Ausbeutung rechtfertigen oder aufrechterhalten. Beherrschung bedeutet, dass eine Gruppe auf Kosten der anderen profitiert und über Mittel der Gewalt und Repression verfügt, die sie zur Aufrechterhaltung der Situation einsetzen kann, in der die eine Gruppe auf Kosten der anderen profitiert. Ausbeutung ist eine spezifische Form der Beherrschung, bei der eine Gruppe das Eigentum kontrolliert und über die Mittel verfügt, andere zur Arbeit zu zwingen, damit sie Güter oder Eigentum produzieren, die sie nicht selbst besitzen, sondern die von der besitzenden Klasse kontrolliert werden.

Ein Beispiel dafür ist ein Sklavenbesitzer, der einen Sklaven als Eigentum sowie alle Produkte besitzt, die der Sklave herstellt. Es ist ihm sogar erlaubt, den Sklaven zu töten, wenn sich dieser weigert, zu arbeiten. Ein anderes Beispiel ist Facebook Inc., ein Unternehmen, das von privaten Aktionären kontrolliert wird, denen die Facebook-Plattform gehört. Seit Oktober 2021 lautet der Name des Unternehmens Meta Platforms, Inc. Die Benutzer:innen von Facebook erzeugen immer dann, wenn sie online sind, Daten, die sich auf ihre Profile und ihr Online-Verhalten beziehen. Diese Daten, die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen und ihre Profile werden benutzt, um Werbeflächen zu erstellen. Diese Werbeflächen werden an Facebook’s Werbekunden verkauft, die damit in die Lage versetzt werden, personalisierte Werbung auf den Profilen der Nutzer:innen zu präsentieren. Ohne die Facebook-Nutzer:innen gäbe es keinen Profit des Unternehmens. Man kann also sagen, dass die Nutzer:innen den monetären Wert und Profit von Facebook schaffen. Aber sie sind nicht Eigentümer dieses Gewinns, der vielmehr von den Aktionären von Facebook kontrolliert wird. Also werden auch die Facebook-Nutzer:innen ausgebeutet.

Marx formulierte den kategorischen Imperativ der kritischen Theorie, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx 1843b, 385). Die kritische Theorie will zeigen, dass ein gutes Leben für alle möglich ist und dass Beherrschung und Ausbeutung den Menschen vom Erreichen einer solchen Gesellschaft entfremden. Für Marx besteht die „Aufgabe der Philosophie“ darin „die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven“ (Marx 1843b, 379). Bei der Dekonstruktion von Entfremdung, Herrschaft und Ausbeutung stellt die kritische Theorie auch Forderungen nach einer selbstbestimmten, partizipatorischen und gerechten Demokratie. Partizipative Demokratie ist eine Gesellschaft, in der alle Entscheidungen von den Betroffenen kollektiv gemacht werden, und alle Organisationen (Arbeitsplätze, Schulen, Städte, Politik usw.) von den Betroffenen kontrolliert werden. Eine solche Gesellschaft ist nicht nur eine politische Basisdemokratie, d.h. eine Gesellschaft, die von allen Menschen kontrolliert wird, sondern auch eine Wirtschaftsdemokratie, in der die Produzenten den Produktionsprozess und die Produktionsmittel und Resultate der Produktion kontrollieren. Die kritische Theorie will der Welt ihre eigenen Möglichkeiten bewusst machen. Die Welt besitzt „längst den Traum von einer Sache“, von der sie „nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen“ (Marx 1843a, 346).