Soziale Ungleichheit - Kein Thema für die Eliten? - Michael Hartmann - E-Book

Soziale Ungleichheit - Kein Thema für die Eliten? E-Book

Michael Hartmann

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Beschreibung

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird in Deutschland immer größer. Die Agenda 2010 und die Steuerpolitik der Bundesregierungen von Schröder bis Merkel haben die hohen Einkommen begünstigt. Der Eliteforscher Michael Hartmann stellt in diesem Buch dar, aus welchen Elternhäusern die tausend mächtigsten Deutschen kommen und wie sie über die soziale Ungleichheit im Land und die Ursachen der Finanzkrise denken. Dabei zeigt sich unter anderem, dass viele der Befragten im Unterschied zur Bevölkerung die herrschenden Verhältnisse als gerecht empfinden - und zwar besonders dann, wenn sie selbst in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen sind. Das Buch präsentiert die Ergebnisse einer Erhebung aus dem Jahr 2012, die die Spitzenpositionen aus den wichtigsten Sektoren (Wirtschaft, Politik, Medien, Justiz, Verwaltung, Militär, Wissenschaft, Kirchen, Gewerkschaften und Verbände) umfasst. Die immer stärkere Orientierung der Politik an den Interessen der Wirtschaft und der reichen Deutschen - so das alarmierende Fazit - droht unsere Demokratie auszuhöhlen.

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Michael Hartmann

Soziale Ungleichheit – Kein Thema für die Eliten?

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird in Deutschland immer größer. Die Agenda 2010 hat die Armut verstärkt, die Steuerpolitik der Bundesregierungen von Schröder und Merkel die hohen Einkommen begünstigt. Der Eliteforscher Michael Hartmann stellt in diesem Buch dar, aus welchen Elternhäusern die tausend mächtigsten Deutschen kommen und wie sie über die soziale Ungleichheit im Land und die Ursachen der Finanzkrise denken. Dabei zeigt sich, dass viele der Befragten im Unterschied zur Bevölkerung die herrschenden Verhältnisse als gerecht empfinden - und zwar besonders dann, wenn sie selbst in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen sind.

Das Buch präsentiert die Ergebnisse einer aktuellen Erhebung aus dem Jahr 2012, die die Spitzenpositionen aus den wichtigsten Sektoren (Wirtschaft, Politik, Medien, Justiz, Verwaltung, Militär, Wissenschaft, Kirchen, Gewerkschaften und Verbände) umfasst. Die immer stärkere Orientierung der Politik an den Interessen der Wirtschaft und der reichen Deutschen - so das alarmierende Fazit - droht unsere Demokratie auszuhöhlen.

Über den Autor

Michael Hartmann ist Professor für Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Bei Campus erschien von ihm unter anderem »Der Mythos von den Leistungseliten« (2002) und »Eliten und Macht in Europa. Ein internationaler Vergleich« (2007).

Inhalt

1.Einleitung

1.1. Der Ansehensverlust der Eliten und die Spaltung der Gesellschaft

1.2. Forschungssample und -methode

2.Das Sozialprofil der deutschen Eliten

2.1. Die Zusammensetzung der Eliten

2.1.1. Drei Minderheiten – Ausländer, ehemalige DDR-Bürger und Frauen

2.1.2. Die soziale Herkunft der Eliten

2.1.2.1. Die soziale Rekrutierung der Wirtschaftselite

2.1.2.2. Die soziale Rekrutierung der politischen Elite

2.1.2.3. Die soziale Rekrutierung der Verwaltungs- und der Justizelite

2.1.2.4. Die soziale Rekrutierung der Medien- und der Wissenschaftselite

2.2. Die Bildungs- und Karrierewege der Eliten

2.2.1. Die Bildungswege der Eliten

2.2.1.1. Die Bildungsabschlüsse der Wirtschaftselite

2.2.1.2. Die Bildungsabschlüsse der politischen, der Medien- und der Verwaltungselite

2.2.2. Die Karrierewege der Eliten

2.2.2.1. Die Karrierewege der Wirtschaftselite

2.2.2.2. Die Karrierewege der politischen Elite

2.2.2.3. Die Karrierewege der Eliten aus Verwaltung und Justiz

2.2.2.4. Die Karrierewege der Eliten aus Wissenschaft und Medien

3.Die Einstellung der deutschen Eliten zur Finanzkrise und zum Problem der sozialen Ungleichheit

3.1. Leistungsprinzip und soziale Unterschiede

3.2. Die drei wichtigsten Probleme Deutschlands aus Sicht der Eliten: Finanzkrise, Alterung der Gesellschaft und Integration

3.3. Die Finanzkrise in den Augen der Eliten

3.3.1. Die Ursachen der Finanzkrise

3.3.2. Welche Konsequenzen sind aus der Finanzkrise zu ziehen?

3.4. Die Bedeutung von Maßnahmen in der Finanz- und Arbeitsmarktpolitik

4.Eliten, Bevölkerung und Demokratie

4.1. Soziale Rekrutierung und politische Einstellung der Eliten – eine Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

4.2. Die Eliten und die Krise der parlamentarischen Demokratie

Anmerkungen

Literatur

Anhang

Personenregister

Kapitel 1

Einleitung

Im Februar 2012 schaffte es eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln in die Schlagzeilen. Der frühere Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann und Arcandor/Karstadt, Thomas Middelhoff, war mit dem Antrag auf eine einstweilige Verfügung gescheitert. Er hatte beantragt, ein als Sicherheit für einen Kredit über 100 Millionen Euro vom Bankhaus Sal. Oppenheim eingefrorenes Guthaben über knapp 24 Millionen Euro freizugeben. Middelhoff hatte argumentiert, dass er und seine Ehefrau sonst bald nicht mehr liquide seien und nur noch über das »absolute Existenzminimum« verfügten. Das sahen die Richter anders. So »sei nicht nachvollziehbar« belegt, dass die von ihnen veranschlagten Kosten der Lebenshaltung »unverzichtbar und nicht in zumutbarer Weise reduzierbar« seien, wenn sie pro Monat allein 35.000 Euro Personalkosten für die Immobilien in Bielefeld und St. Tropez (unter anderem für Pflege und Bewachung) enthielten. Sie sollten sich, so die Empfehlung des Gerichts, an der Wirklichkeit orientieren und nicht am »subjektiven Empfinden aufgrund ihrer bisherigen Lebensführung« (AZ 13 W 79/11).

Diese Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf die Welt der Reichen und Mächtigen. Middelhoff ist zugegebenermaßen ein extremer Vertreter dieser Welt, aber auch keine völlige Ausnahme, wie nicht nur die jetzt vor Gericht ausgetragenen Konflikte um den Untergang des Bankhauses Sal. Oppenheim mit seinen honorigen, dem Adel zugehörigen Führungsspitzen und seiner Kundschaft aus den Kreisen der deutschen Milliardärsdynastien belegen. Das zeigt auch die lange Reihe von anderen Skandalen in der Wirtschaftselite, die man in den letzten Jahren beobachten konnte. So geriet etwa 2008 Klaus Zumwinkel, als Vorstandschef der Deutschen Post, Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Telekom, Aufsichtsratsmitglied bei der Allianz, der Lufthansa und Morgan Stanley, Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes und Manager des Jahres 2003 unbestritten ein zentrales und hoch angesehenes Mitglied der deutschen Wirtschaftselite, in das Visier der Finanzbehörden. Er hatte trotz eines Vermögens in dreistelliger Millionenhöhe und eines Jahresgehalts von über vier Millionen Euro mehr als eine Million Euro an Steuern hinterzogen. Er wurde deswegen im Januar 2009 zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe von einer Million Euro verurteilt. Schon wenige Wochen später ließ Zumwinkel sich dann seine Pensionsansprüche von der Deutschen Post in Höhe von 23 Millionen Euro ausbezahlen. Zur gleichen Zeit wurde auch einer der zehn reichsten Männer der Republik, der Milliardär Reinhold Würth, wegen Steuerhinterziehung in zweistelliger Millionenhöhe angeklagt und sogar zur Zahlung von 3,5 Millionen Euro verurteilt.

Wie verbreitet die Steuerflucht in diesen Kreisen war, illustriert eine Äußerung des bekannten Düsseldorfer Modehändlers Albert Eickhoff, nachdem er im Rahmen einer Steuerfahndung im November 2012 erwischt worden war. Er sagte der Bild-Zeitung: »Damals gehörte es zum guten Ton, Geld ins Ausland zu schaffen.« Zwei Jahre zuvor hatte der Vorstandsvorsitzende der mit staatlichen Garantien von über 100 Milliarden Euro gerade noch vor der Pleite geretteten Hypo Real Estate Schlagzeilen gemacht. Axel Wieandt, als Sohn des langjährigen Chefs der BfG-Bank, Paul Wieandt, und Schwager des Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank, Martin Blessing, ebenfalls kein Außenseiter in den Reihen der deutschen Wirtschaftselite, verließ nach nur 18 Monaten die HRE, weil ihm aufgrund der Deckelung des Jahresverdienstes auf max. 500.000 Euro ein Bonus nicht ausgezahlt werden sollte. Er nahm trotz seiner nur kurzen Tätigkeit bei der Bank aber Pensionsansprüche von jährlich knapp 240.000 Euro ab dem 60. Lebensjahr mit. Georg Funke, sein Vorgänger, der die Verantwortung für einen Großteil der Verluste trägt, klagt übrigens immer noch vor Gericht auf die Weiterzahlung seines Millionengehalts bis 2013 und eine anschließende Pension von 560.000 Euro jährlich. Diese Reihe ließe sich fast beliebig fortsetzen.

1.1.

Der Ansehensverlust der Eliten und die Spaltung der Gesellschaft

Was die Bevölkerung denkt – Ergebnisse von Meinungsumfragen

Angesichts eines solchen Verhaltens von Angehörigen der deutschen Wirtschaftselite und der langen Reihe von (mehr oder minder gewichtigen) Skandalen, in die Spitzenpolitiker von Ex-Bundespräsident Wulff über Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg bis hin zu Ex-Bildungsministerin Schavan in letzter Zeit verwickelt waren, ist es nicht verwunderlich, wie sich die Haltung der Bevölkerung zu eben diesen Eliten verändert hat, und das erst recht angesichts der tiefgreifenden Folgen der Finanzkrise. Die regelmäßigen Meinungsumfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach sind in dieser Hinsicht eindeutig: Politiker und Banker rangieren mittlerweile zusammen mit den Fernsehmoderatoren auf den letzten Plätzen, wenn es um das Ansehen von Berufen geht. Während 82 Prozent der Bundesbürger die meiste Achtung vor Ärzten haben und immerhin noch 67 Prozent vor Krankenschwestern, liegen die Vergleichswerte für Banker und Politiker bei lediglich vier und sechs Prozent (Allensbach 2011). Die Politiker haben dabei allein seit 1999 eine Halbierung ihres Ansehens hinnehmen müssen.1 Bei den Bankern dürfte der Niedergang noch drastischer ausgefallen sein. Die im Laufe des letzten Jahres bekannt gewordenen Skandale um die Manipulation des Interbankenzinssatzes Libor durch führende Großbanken und der Milliardenverlust von JP Morgan im Derivategeschäft haben ihr zuvor schon miserables Image noch einmal verschlechtert. Für sie gab es in den älteren Umfragen aber keine eigene Antwortkategorie, so dass ein direkter Vergleich nicht möglich ist.

Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung steht den Eliten immer skeptischer gegenüber und befürchtet zugleich eine weiter zunehmende soziale Spaltung der deutschen Gesellschaft. So halten nach einer Umfrage des Instituts in Allensbach 85 Prozent der Bundesbürger die Manager für überbezahlt, glauben 69 Prozent an einen Verfall von Moral und Anstand in den deutschen Führungsetagen und halten es 63 Prozent für gerechtfertigt, deutschen Managern Geldgier und Selbstbedienungsmentalität zuzuschreiben (Kröcher 2008). 70 Prozent halten die Einkommensunterschiede hierzulande aktuell für zu groß und jeder zweite hält den Kapitalismus insgesamt für überholt, während ihn nur jeder fünfte noch zeitgemäß findet (Kröcher 2012). Die wirtschaftlichen Verhältnisse finden 69 Prozent ungerecht und nur 15 Prozent gerecht. Zudem meinen 64 Prozent, dass die soziale Gerechtigkeit in den letzten drei, vier Jahren abgenommen, und nur ganze sieben Prozent, dass sie zugenommen habe (Allensbach 2013: 2 f.).

Gleichzeitig erwarten 79 Prozent für die Zukunft weiter wachsende soziale Unterschiede und 70 Prozent, dass eine immer größere Zahl von Menschen wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht mehr mithalten kann. Diese Einschätzung wird zugleich von einem Großteil der Bevölkerung auch auf die eigene Situation bezogen. Die eigene materielle Lage wird von den unteren vier Fünfteln »signifikant kritischer« gesehen als noch in den 1990er-Jahren. Während das obere Fünftel zu fast drei Vierteln mit der eigenen wirtschaftlichen Situation zufrieden ist, sind es in der Mittelschicht nur noch 42 Prozent und in den »unteren Sozialschichten« gerade einmal 23 Prozent, ein deutlicher Rückgang seit dem Ende der 1990er-Jahre (Kröcher 2011). In einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung im September/Oktober 2011 gaben sogar 75 Prozent aller Befragten an, die wirtschaftliche Unsicherheit habe in den letzten zehn Jahren zugenommen, und nur ein Drittel stimmte den Aussagen zu, dass alle Menschen die gleichen Chancen hätten, vorwärts zu kommen, und dass man für seine Leistung belohnt werde (Bertelsmann 2011: 3 f.).

Im Entwurf für den 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom September 2012 werden die Ergebnisse einer aktuellen repräsentativen Bevölkerungsumfrage zu Reichtum vorgestellt, die einen ähnlichen Tenor haben. Knapp die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass Reichtum auf »bessere Ausgangsbedingungen«, knapp 40 Prozent, dass er auf Beziehungen, und immerhin fast 30 Prozent, dass er auf Unehrlichkeit zurückzuführen sei. An harte Arbeit als Ursache glaubt dagegen nur gut jeder fünfte. Unehrlichkeit wird mit 38 Prozent vor allem von Personen mit Hauptschulabschluss genannt, bessere Ausgangsbedingungen und gute Beziehungen betonen eher Personen mit Hochschulreife. Entsprechend dieser Grundhaltung sind über 68 Prozent der Meinung, reiche Menschen genössen ungerechtfertigte Vorteile, und sogar fast 78 Prozent erklären, dass zu großer Reichtum zu Problemen in der Gesellschaft führe. Folgerichtig sind mittlerweile über zwei Drittel der Deutschen für staatliche Maßnahmen zur Verringerung der Einkommensunterschiede. 2002 waren es noch 14 Prozent weniger. Dagegen sind nur noch knapp 18 Prozent gegenüber 29 Prozent vor zehn Jahren (Bundesregierung 2012: 316, 393 ff.).

Die Einstellung der Bevölkerung entspricht weitgehend der realen Entwicklung: Die Reichen werden reicher…

Wie nachvollziehbar und vielfach auch realitätsnah all diese Einstellungen sind, zeigen die tatsächlich zu beobachtenden Veränderungen in Deutschland seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre. Auf der einen Seite haben sich die Gehälter und auch Pensionszusagen der Topmanager mit enormer Geschwindigkeit von den Einkommen der normalen Beschäftigten entfernt. Auf der anderen Seite hat die Anzahl der Geringverdiener, der Billiglöhner und ganz generell der Armen stark zugenommen. Was den ersten Punkt angeht, so verdiente das Vorstandsmitglied eines DAX-Konzerns mit durchschnittlich gut 2,9 Millionen Euro 2010 viereinhalbmal so viel wie 1995, eine rasante Steigerung innerhalb von nur eineinhalb Jahrzehnten. 2011 sind die Einkommen dann noch einmal deutlich gestiegen, bei den Vorstandsmitgliedern auf nun durchschnittlich 3,14 Millionen Euro, bei den Vorstandsvorsitzenden sogar auf durchschnittlich 5,1 Millionen Euro (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz 2011, 2012a). Mit 17,4 Millionen Euro Jahreseinkommen hat VW-Vorstandschef Winterkorn 2011 dabei einen neuen Rekord für die 30 DAX-Unternehmen aufgestellt. Der gesamte VW-Vorstand hat es auf über 70 Millionen Euro gebracht, d.h., im Durchschnitt hat jedes einfache Vorstandsmitglied 7,3 Millionen Euro verdient.

Da die Einkommen der meisten Beschäftigten im gleichen Zeitraum kaum gestiegen sind, hat sich die Kluft zwischen den Bezügen der Spitzenmanager und den Gehältern der in denselben Unternehmen beschäftigten Arbeiter und Angestellten drastisch vertieft. Bewegten beide sich zwischen Mitte der 1980er- und Mitte der 1990er-Jahre noch weitgehend parallel – die Spanne lag 1987 genauso wie 1995 beim 14-fachen –, veränderte sich das Bild danach gravierend. 2000 war die Differenz schon auf das 24-fache angewachsen, und angesichts der enormen Steigerungen der Managergehälter in den letzten beiden Jahren liegt sie mittlerweile beim 54-fachen (Schwalbach 2011: 158).2

Was die großen Vermögen angeht, so hat sich ihre Zahl in den letzten zehn Jahren ebenfalls deutlich erhöht. Nach der jährlich erstellten Rangliste des manager magazins ist die Zahl der Milliardäre hierzulande allein in dem kurzen Zeitraum zwischen 2004 und 2012 trotz der weltweiten Finanzkrise um fast die Hälfte von 80 auf 115 gestiegen. Die 500 reichsten Deutschen bringen es mittlerweile auf ein Gesamtvermögen von gut 500 Milliarden Euro. Dass Zumwinkel mit seiner ausgeprägten Neigung, Steuerzahlungen zu vermeiden, unter diesen Menschen kein Einzelfall ist, zeigt folgende Zahl mehr als deutlich. Nach einer Studie des Schweizer Wirtschaftsmagazins Bilanz kommt ein Fünftel der 300 reichsten Menschen der Schweiz aus Deutschland, davon allein 28 Milliardäre (vom Spediteur Klaus-Michael Kühne mit einem Vermögen von 6,5 Milliarden Euro bis zum Pharma-Erben Philipp Boehringer mit immer noch über 1,2 Milliarden Euro). Sie alle haben ihren Hauptwohnsitz in die Schweiz verlegt, um Steuern zu sparen, und bei einem Vermögen in einer Gesamthöhe von zirka 75 Milliarden Euro lohnt sich das auch. Ihr sowieso schon enormer Reichtum vermehrt sich dadurch noch schneller. Dasselbe gilt für Familien wie etwa die Reimanns, die die großen Konzerne Reckitt Benckiser und Coty kontrollieren. Sie sind 2006 nach Österreich umgezogen, um die in Deutschland fällige Erbschaftsteuer zu umgehen. Auch die bei der Übernahme von Porsche durch VW durch einen Trick vermiedene Steuerzahlung in Höhe von 1,5 Milliarden Euro mehrt letztlich das Vermögen der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch. Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

… und die Armut hat zugenommen

Am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala hat sich in den letzten 10 bis 15 Jahren eine vergleichbare Entwicklung vollzogen, nur in die entgegengesetzte Richtung. Die Armut hat erheblich zugenommen, vor allem in der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts. Nach relativ geringen Veränderungen während der 1990er-Jahre ist die Armutsquote zwischen 2000 und 2006 rasch von 10,6 auf 14,2 Prozent gestiegen, um bis 2009 mit leichten Schwankungen auf diesem Niveau zu verharren und nach einem weiteren spürbaren Anstieg 2010 einen neuen Höchststand von 15,3 Prozent zu erreichen (unveröffentlichte Angaben des DIW).3 Allein der Anteil der Arbeitslosen, die unter der Armutsgrenze leben müssen, hat sich zwischen 2004 und 2009 von 41 auf 70 Prozent erhöht. Damit liegt Deutschland 25 Prozent über dem europäischen Durchschnitt (Seils 2011). Wer hätte sich Mitte der 1990er-Jahre vorstellen können, dass es in Westdeutschland einmal Großstädte geben würde, in denen jedes dritte Kind oder sogar zwei von fünf Kindern in Armut aufwachsen, wie es heute in Berlin, Bremen, Dortmund, Duisburg, Essen oder Gelsenkirchen der Fall ist. Auch die Armutsquote der gesamten Bevölkerung liegt in diesen Städten mittlerweile zwischen einem Fünftel und einem Viertel. In vielen Großstädten ist die Armut entgegen dem allgemeinen Trend auch seit 2006 weiter stark angestiegen, fast dreimal stärker als in der Bevölkerung insgesamt und teilweise sogar um ein Drittel bis die Hälfte wie in Düsseldorf und Essen (Seils/Meyer 2012: 9).

Auch wenn man den Blick von den gesellschaftlichen Extremen hin zur Gesamtheit der Bevölkerung wendet, bestätigt sich dieser erste Eindruck. Die bundesdeutsche Gesellschaft ist seit der Jahrtausendwende insgesamt ebenfalls erheblich ungleicher geworden. Wies Deutschland im internationalen Vergleich lange Jahrzehnte eine relativ ausgeglichene Einkommensstruktur auf, lag international im unteren Mittelfeld, nahe bei den für ihre vergleichsweise geringen Einkommensunterschiede bekannten skandinavischen Ländern, so hat sich das binnen eines Jahrzehnts deutlich verändert. Nach Angaben des Statistischen Amtes der EU hat sich im letzten Jahrzehnt nur in zwei europäischen Ländern die Einkommenskluft zwischen dem oberen und dem unteren Fünftel noch stärker geöffnet, in Bulgarien und Rumänien (Dauderstädt 2010: 2).

Der Anteil der Politik an der zunehmenden Ungleichheit

Ausschlaggebend für diese gravierende Verschlechterung sind in erster Linie zwei Maßnahmen der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder, die sog. Hartz-Reformen und die Reduzierung der steuerlichen Belastung für hohe Einkommen und Unternehmen. Die steuerlichen Beschlüsse sorgten für eine Anhebung der Brutto- wie (sogar noch stärker) der Nettoeinkommen bei den oberen zehn Prozent der Bevölkerung, die Agenda 2010 für eine Senkung bei der unteren Hälfte. Sie verschlechterte nicht nur die Situation für Arbeitslose (deutliche Verkürzung des Bezugszeitraums für Arbeitslosengeld, Abschaffung der Arbeitslosenhilfe), sie öffnete, was noch wichtiger ist, außerdem den Weg für einen (staatlich subventionierten) Niedriglohnsektor und bewirkte eine starke Lohnzurückhaltung bei den Beschäftigten. Die Angst, in Hartz IV abzustürzen, erhöhte sowohl deren Bereitschaft, schlecht oder sehr schlecht bezahlte Jobs anzunehmen, als auch die Akzeptanz geringer Nominallohnerhöhungen, die dann oft nicht einmal die Verluste durch die Inflation ausgleichen konnten. Die Gewerkschaften sind dadurch ebenfalls unter Druck geraten, haben allerdings auch wenig unternommen, um gegenzusteuern. Die Entwicklung wurde durch die starke Zunahme von befristeten und Leiharbeitsverhältnissen, die durch gesetzliche Neuerungen erst ermöglicht wurde, noch weiter verstärkt. Erstere haben seit 1996 von 4,7 auf 8,9 Prozent zugenommen, Letztere von 0,6 auf 2,9 Prozent (Gundert/Hohendanner 2011: 2). Dazu kommen dann noch die bei den Unternehmen immer beliebter werdenden Werkverträge, die eine weitere Senkung der Löhne ermöglichen. Bei den Realeinkommen ist diese Entwicklung deutlich spürbar. Sie sind zwischen 2000 und 2010 im Mittel um 4,2 Prozent gesunken. Nur die oberen zwei Zehntel der Beschäftigten haben bei den Löhnen und Gehältern überhaupt zulegen können (Brenke/Grabka 2011: 12).4

Die Bezieher geringer Einkommen und die Arbeitslosen spüren die Folgen der Arbeitsmarktreformen am stärksten. Sie sind die eindeutigen Verlierer der letzten zehn Jahre. Unter den Arbeitslosen sind die Langzeitarbeitslosen besonders betroffen. Über eine Million Menschen ist seit der Einführung von Hartz IV dauerhaft auf das Arbeitslosengeld II angewiesen. Dazu zählen neben ungefähr 400.000 Langzeitarbeitslosen, die in dem ganzen Zeitraum keine bezahlte Beschäftigung gefunden haben, auch über 300.000 Aufstocker, deren Einkommen unterhalb der Grenzen von Hartz IV liegt (Öchsner 2012). Ganz allgemein zählt mittlerweile eine wachsende Zahl der Beschäftigten zu den »working poor«. Waren es 2004 noch 4,9 Prozent, stieg ihre Zahl bis 2010 schon auf 7,5 Prozent (Bundesregierung 2012: 475; Seils 2011). Sie bleiben arm, obwohl sie arbeiten, häufig sogar in Vollzeit.

Das ist die Konsequenz der massiven Ausweitung des Niedriglohnsektors mit einem Höchstlohn von 9,15 Euro pro Stunde. In ihm ist mit über 23 Prozent mittlerweile fast ein Viertel der Beschäftigten tätig, verglichen mit gut 17 Prozent Mitte der 1990er-Jahre (Bundesregierung 2012: 328).5 Die Löhne im Niedriglohnsektor liegen teilweise unterhalb der Hartz-IV-Sätze und müssen deshalb durch staatliche Transferzahlungen ergänzt werden. Von den sechs Millionen Beziehern von Hartz IV gehören 1,3 Millionen in diese Kategorie. Elf Milliarden Euro, d.h. ein Drittel des Bundesetats für Hartz-IV-Leistungen, werden inzwischen für solche Aufstockungsleistungen ausgegeben (Möller 2012; Sievers 2010). Zwölf Prozent der Beschäftigten, d.h. fast vier Millionen Menschen, müssen für Bruttostundenlöhne von weniger als sieben Euro und vier Prozent sogar für weniger als fünf Euro arbeiten (Bundesregierung 2012: 327; IAQ 2011). Auch Tarifverträge und eine berufliche Ausbildung schützen nicht immer vor solchen Niedriglöhnen. So bekommen beispielsweise die Mitarbeiter in Architektur- und Ingenieurbüros als Anfangsgehalt nicht mehr als 6,21 Euro die Stunde, Bäcker- und Konditorgesellen 6,97 Euro. Bei un- oder angelernten Kräften geht es runter bis auf gut drei Euro die Stunde für Friseurinnen in den neuen Bundesländern und Berlin. Besonders heftig betroffen von dieser Entwicklung sind Leiharbeitskräfte. Sie verdienen, wenn sie in Vollzeit tätig sind, im Durchschnitt nur gut halb so viel wie andere Vollzeitbeschäftigte. Jeder dritte von ihnen hat weniger als 1.200 Euro brutto im Monat, jeder achte muss ergänzend Hartz IV beantragen (DGB 2011). Wer von diesen Menschen arbeitslos wird, der bekommt sofort Hartz IV, weil das Arbeitslosengeld I aufgrund der niedrigen Einkommen so gering ausfällt.

Die Hartz-Reformen haben alles in allem nicht gehalten, was ihre Befürworter stets versprochen haben. Der Weg aus der Arbeitslosigkeit ist nicht leichter geworden, weder durch die Maßnahmen der Arbeitsagenturen unter dem Motto »Fördern und Fordern« noch durch die massive Ausweitung von befristeten Arbeitsverträgen und Leiharbeit. Wie aktuelle Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen, ist es von den Arbeitslosen, die als Leiharbeiter Beschäftigung fanden, gerade einmal sieben Prozent gelungen, in den nächsten zwei Jahren ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis außerhalb der Leiharbeit zu finden. Die Masse verblieb in der Leiharbeit oder wurde wieder arbeitslos (Lehmer/Ziegler 2010: 4).6 Ganz generell stellen Fehr und Vobruba in ihrer Untersuchung der Hartz-Reformen fest: »Seit der Hartz-Reform haben sich die Arbeitslosigkeitsepisoden der Sozialtransferbezieher nicht verkürzt. Im Gegenteil verweilen Alg-II-Bezieher bei Berücksichtigung soziodemographischer Effekte und der Arbeitsmarktsituation eher länger in Arbeitslosigkeit als Sozial- und Arbeitslosenhilfebezieher vor der Einführung des SGB II« (Fehr/Vobruba 2011: 216).

Für die oft zu hörende Behauptung, die Hartz-IV-Reformen seien für die gute Position der deutschen Wirtschaft in Europa verantwortlich, gibt es nach Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) keine Belege. Es handle sich hier vielmehr um eine Scheinkorrelation, die genauso überzeugend sei wie die berühmte Relation zwischen der Geburtenhäufigkeit und der Anzahl der Störche (Brenke 2013: 20). Zentrale Wettbewerbsfaktoren wie die hohe Produktqualität und das hervorragende Image deutscher Waren (gerade in Ländern wie China oder Russland), durch die der Preis nur eine untergeordnete Rolle spielt, werden bei einer solchen Erklärung ebenso unterschlagen wie die weltweit wieder gewachsene Bedeutung der Industrie, von der die deutsche Wirtschaft ganz erheblich profitiert. Ein Vergleich mit Großbritannien, das in vielerlei Hinsicht Vorbild der Hartz-IV-Reformen war, zugleich allerdings in den letzten drei Jahrzehnten eine massive Deindustrialisierung erfuhr, zeigt das deutlich. Die britische Wirtschaft steht in der internationalen Konkurrenz weitaus schlechter da, obwohl der Arbeitsmarkt weitgehend dereguliert ist und schon seit den 1980er-Jahren zahlreiche Workfare-Programme beschlossen wurden, die wie bei Hartz IV staatliche Transferempfänger zur Annahme von Arbeitsangeboten aller Art verpflichteten und entsprechenden Druck durch eine Kürzung oder den Wegfall der Unterstützungszahlungen etc. ausübten (Mohr 2007, 2008). Die Hartz-Reformen waren nur in einem Punkt wirklich erfolgreich, als Motor zur Senkung von Löhnen, Gehältern und Sozialleistungen. Das wird sich in Zukunft in einer massiven Zunahme der Altersarmut niederschlagen, weil für immer mehr Menschen hierzulande die Einkommen so niedrig ausfallen, dass ihre dadurch erworbenen Rentenansprüche unterhalb der Armutsgrenze liegen.

Bei den Beziehern hoher Einkommen ist genau das Gegenteil zu beobachten, und das gleich aus zwei Gründen. Zum einen profitieren diejenigen, die Aktien oder Unternehmen besitzen, in Form höherer Gewinne oder Dividenden von der Lohnzurückhaltung der Beschäftigten, der Senkung der Lohnnebenkosten und der steuerlichen Entlastung der Unternehmen durch das »Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002« und das »Steuersenkungsgesetz 2000«, durch die die Gewinnsteuern drastisch von 45 auf max. 25 Prozent gesenkt wurden. Zum anderen ist auch die steuerliche Belastung aller höheren Einkommen im letzten Jahrzehnt deutlich gesunken. So ist der Spitzensteuersatz zwischen 2000 und 2005 von 53 auf nur noch 42 Prozent gesenkt worden. Dann sorgt die 2008 beschlossene 25-prozentige Abgeltungssteuer dafür, dass die Bezieher höherer Einkommen ihre Kapitaleinkünfte nicht mehr mit dem persönlichen Steuersatz von bis zu 42 Prozent versteuern müssen. Schließlich ist auch die Erbschaftssteuer immer weiter reduziert worden, für Firmenerben unter bestimmten Voraussetzungen sogar auf null Prozent. All diese gesetzlichen Maßnahmen begünstigen die Wohlhabenden und, noch stärker, die Reichen und die Superreichen.

Die reale steuerliche Belastung der 450 reichsten Deutschen, der oberen 0,001 Prozent, mit einem Jahreseinkommen von wenigstens 11 Millionen und durchschnittlich gut 36 Millionen Euro7 hat sich nach Untersuchungen des DIW allein durch die Steuerreformen der rot-grünen Bundesregierung zwischen 1998 und 2005 von 43,1 auf nur noch 31 Prozent verringert. Bei den 46 reichsten Deutschen, den oberen 0,0001 Prozent, mit einem Mindesteinkommen von 57 Millionen und einem Durchschnittseinkommen von über 174 Millionen Euro fiel der Rückgang noch stärker aus. Sie zahlten statt 48,2 nur noch 28,7 Prozent Steuern. Wären die Steuersätze von 1998 noch gültig gewesen, hätten beide Gruppen 2005 erheblich mehr zahlen müssen, bei den reichsten 65 Deutschen jeder Einzelne im Durchschnitt knapp 34 Millionen Euro (Bach/Corneo/Steiner 2011: 14, 22).8

Die Verschärfung der sozialen Ungleichheit in Deutschland

Für die Einkommensverteilung in Deutschland liegen die Folgen auf der Hand. Die Anteile der oberen wie die unteren Einkommen nehmen auf Kosten der mittleren Einkommen (zwischen 70 und 150 Prozent des Medianeinkommens9 von 19.142 Euro) zu. Letztere, d.h. Haushalte mit jährlichen Bruttoeinkommen zwischen 13.399 und 28.713 Euro, haben von 2000 bis 2010 einen deutlichen Rückgang von 63,8 auf 58,2 Prozent erfahren. Das sind gut 4,5 Millionen Personen. Zugleich haben die unteren Einkommen von weniger als 13.399 Euro um mehr als ein Viertel von 17,8 auf 22,9 Prozent und die oberen Einkommen von mehr als 28.713 Euro leicht von 18,4 auf 18,9 Prozent zugelegt. Dabei entfällt der Zuwachs fast vollständig auf die Extremgruppen mit weniger als der Hälfte bzw. mehr als dem Doppelten des Medianeinkommens, d.h. mit weniger als 9.571 Euro bzw. mit mehr als 38.284 Euro (s. Schaubild 1.1.).

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Schaubild 1.1.: Einkommensgruppen in Deutschland 2000 und 2010 (in Prozent)

Quelle: Angaben des DIW

Verlierer sind eindeutig die Einkommensgruppen zwischen 70 und 110 Prozent des Medianeinkommens, d.h. die untere Hälfte der Mittelschichten. Aus ihren Reihen stammen fast alle Absteiger. Im gleichen Zeitraum haben zudem noch die Abstände zwischen den Medianeinkommen dieser drei Bevölkerungsgruppen zugenommen.10 Die Einkommenskluft hat sich gleich in doppelter Hinsicht deutlich vergrößert. Die Einkommensunterschiede bei den Nettoeinkommen, also nach Steuern und Sozialabgaben, sind dabei erheblich schneller gestiegen als bei den Bruttoeinkommen (einschließlich Rentenzahlungen). Der Anteil der Haushalte mit hohen Einkommen hat zwischen 1998 und 2006 netto mehr als doppelt so stark zugelegt wie brutto, der der Haushalte mit niedrigen Einkommen sogar mehr als dreimal so stark (Goebel/Krause 2007: 828). Die Umverteilungswirkung des Sozial- und Steuersystems hat also ganz offensichtlich spürbar abgenommen.

Das macht sich zusammen mit der massiven Reduzierung der Erbschaftssteuer auch bei der Vermögensverteilung deutlich bemerkbar. Auf das oberste Prozent der Bevölkerung entfallen mittlerweile 35,8 Prozent des Gesamtvermögens, allein auf das oberste Promille 22,5 Prozent. Das oberste Promille besitzt damit heute prozentual fast genauso viel wie noch 1969 das oberste Prozent, das damals 27 Prozent des Gesamtvermögens sein Eigen nennen konnte. Die gesamte Zunahme der Vermögenskonzentration fand in einem Zeitraum von über vier Jahrzehnten praktisch nur beim obersten Prozent statt; denn der Anstieg bei den oberen zehn Prozent von 57 auf gut 66 Prozent ist so gut wie identisch mit dem Anstieg beim obersten Prozent von 27 auf knapp 36 Prozent (Bach/Beznoska/Steiner 2011: 11; Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1976: 84). Die aktuelle Reichtumsverteilung in Deutschland entspricht damit fast US-amerikanischen Verhältnissen, wo auf das oberste Prozent der Bevölkerung zirka 40 Prozent des Vermögens entfallen.11

Die Begleiterscheinungen der Finanzkrise

Die Finanzkrise hat die geschilderte Entwicklung weiter forciert. Die notwendigen staatlichen Rettungsaktionen für ins Straucheln geratene Finanzinstitute und die sonstigen Maßnahmen, um die Krise halbwegs in den Griff zu bekommen, haben die Staatsverschuldung in Deutschland nur in den drei Jahren zwischen 2007 und 2010 um über ein Viertel, von 64,9 auf 82,5 Prozent des Bruttosozialprodukts steigen lassen. Allein die deutschen Banken haben seit 2008 knapp 60 Milliarden Euro Finanzhilfen erhalten. Dazu kommen noch ungefähr 230 Milliarden Euro an Garantien durch den Bankenrettungsfonds Soffin, bei denen derzeit niemand sagen kann, wie viel davon endgültig verloren ist. Bei der Hypo Real Estate, auf die über die Hälfte der Summe entfällt, müssen bislang bereits gut 12 Milliarden sicher als Verlust verbucht werden. Die Kehrseite dieser Unterstützungsmaßnahmen für die Finanzbranche bildet die 2009 von Bundestag und Bundesrat mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossene Schuldenbremse für die öffentlichen Haushalte. Es sieht so aus, als ob das in Zukunft vor allem einen Trend der Vergangenheit weiter verstärken wird, den zur Kürzung von Sozialleistungen. Bei den maßgeblichen Parteien ist derzeit nicht zu erkennen, dass sie sich ernsthaft mit der Alternative, der Rücknahme der Steuersenkungen für die Wohlhabenden und Reichen sowie die Unternehmen, beschäftigen. Wenn SPD und Grüne jetzt Forderungen in diese Richtung stellen, so bleibt abzuwarten, ob sie bei einer eventuellen Regierungsbeteiligung auch Ansatz für praktische Politik werden, d.h. in konkrete Gesetzentwürfe münden. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre sind da Zweifel angebracht.

Angesichts all dieser Beobachtungen stellt sich die Frage, wie die Eliten selbst die ganze Entwicklung beurteilen. Sie gehören schließlich fast durchweg zu den Spitzenverdienern. Die Abteilungsleiter der Bundesministerien, die Staatssekretäre, die Leiter der großen Bundesbehörden, die vorsitzenden Richter und Präsidenten an den Bundesgerichten, die hohen Generäle, die Präsidenten der großen Forschungsorganisationen, ihre Grundbesoldung beträgt zwischen 9.000 und 12.000 Euro im Monat. Die Intendanten großer Fernsehsender liegen mit bis zu 310.000 Euro pro Jahr noch deutlich darüber. Ähnlich dürfte es bei den Chefredakteuren großer Zeitungen und Zeitschriften aussehen. Das reicht zwar nicht annähernd an die Einkommen der Spitzenmanager heran, liegt aber doch weit über dem, was die allermeisten Bundesbürger verdienen.

Wie denken diese Personen über die soziale Spaltung der bundesrepublikanischen Gesellschaft? Was sind für sie die Ursachen der Finanzkrise und was die Konsequenzen, die aus der Krise gezogen werden müssen? Diesen Fragen nachzugehen war ein Ziel der vorliegenden Studie. Ein anderes bestand darin, ein Sozialprofil der deutschen Eliten zu erstellen, zu sehen, ob sich in ihrer Herkunft, ihrer Bildung, ihren Karriereverläufen oder ihren wechselseitigen Kontakten in den knapp zwei Jahrzehnten seit der letzten Elitenstudie etwas geändert hat und ob es einen Zusammenhang zwischen den persönlichen Merkmalen und den politischen Einstellungen der Eliten gibt. Letztlich geht es um die zwei entscheidenden Fragen, die jegliche Forschung über Eliten beschäftigen, die nach der vertikalen und die nach der horizontalen Integration der Eliten. Die vertikale Dimension betrifft das Verhältnis zwischen Eliten und Bevölkerung, d.h. vor allem die soziale Rekrutierung der Eliten und die damit verbundenen Einstellungen. Bei der horizontalen Integration geht es um die Verknüpfung der einzelnen Eliten miteinander durch soziale Herkunft, Bildungs- und Karrierewege sowie gemeinsame Haltungen und Wertvorstellungen.12

1.2.

Forschungssample und -methode

Wer zählt zur Elite?

Was die Definition von Eliten angeht, so besteht unter den Sozialwissenschaftlern, die sich mit der Erforschung von Eliten beschäftigen, weitgehende Einigkeit. Unter Eliten sind jene Personen zu verstehen, die aufgrund ihrer Position an der Spitze wichtiger gesellschaftlicher Organisationen in der Lage sind, gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich zu beeinflussen (Hartmann 2007a: 18 ff.). Strittig ist in der Elitesoziologie allerdings, welche Positionen dabei zu berücksichtigen sind und ob der Zugang zu diesen Positionen in erster Linie oder ganz überwiegend auf individuelle Leistung zurückzuführen ist. Der zweite Aspekt, so wesentlich er auch für die Diskussion über Eliten ist (Hartmann 2002, 2004), spielt für die Bestimmung der für eine Erhebung auszuwählenden Positionen und Personen keine nennenswerte Rolle, der erstgenannte dagegen eine entscheidende. Das zeigen die zum Teil doch recht unterschiedlichen Untersuchungssamples bei den vorliegenden Elitenstudien deutlich. Kontrovers ist dabei in erster Linie die Einbeziehung von Personen, deren gesellschaftlicher Einfluss nicht auf der Bekleidung hierarchischer Machtpositionen beruht, sondern auf ihrem persönlichen Ansehen oder Prestige.

Schon in den älteren Arbeiten aus den 1950er- oder den frühen 1960er-Jahren gab es diesbezüglich keine einhellige Meinung. So beziehen Stammer (1965a, 1965b) und Zapf (1965a, 1965b) in ihre Studien nur die Spitzen der klassischen Bereiche Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Justiz, Militär, Verbände, Medien und Wissenschaft ein, Dreitzel und Keller dagegen gehen deutlich darüber hinaus. In seiner grundlegenden Definition spricht Dreitzel explizit davon, dass als Elite die Inhaber von Spitzenpositionen zu sehen seien, die »kraft ihrer Positions-Rolle die Macht oder den Einfluss haben, über die Gruppenbelange hinaus zur Erhaltung oder Veränderung der Sozialstruktur und der sie tragenden Normen unmittelbar beizutragen oder die aufgrund ihres Prestiges eine Vorbildrolle spielen können, die über ihre Gruppe hinaus das Verhalten anderer normativ mitbestimmt.« (Dreitzel 1962: 71) Auch Keller bezieht in ihre »strategischen Eliten« nicht nur die Spitzen von Politik, Wirtschaft oder Militär ein, die sie als »externe Eliten« bezeichnet, sondern ebenso die hervorragenden Vertreter der Philosophie und der Kirchen sowie berühmte Künstler, Schriftsteller, Entertainer, Filmstars oder Sportler, die »internen Eliten«, die ihrer Meinung nach für die Formulierung moralischer Standards und die Aufrechterhaltung der Alltagsmoral zuständig sind (Keller 1963: 96 ff.). In den ab Ende der 1960er-Jahre durchgeführten empirischen Elitenstudien (gerade in Deutschland) spielt diese zweite Gruppe dann allerdings kaum noch eine Rolle. Hier geht es fast ausschließlich um die Spitzenrepräsentanten der klassischen Sektoren. Wenn andere Bereiche wie die Kultur überhaupt noch vertreten sind, dann nicht in Person bekannter Künstler, Schriftsteller etc., sondern in Form von »Kulturmanagern« (Hoffmann-Lange 1990: 110), d.h. den Inhabern der leitenden Positionen in den Kulturredaktionen der Medien und bei den Verlagen.

Weshalb die »Prestigeeliten« nicht mit einbezogen werden

Für den faktischen Ausschluss der »Prestigeeliten« sind zwei Gründe ausschlaggebend. Erstens lässt sich im Unterschied zu den »Machteliten« nur sehr schwer bestimmen, welche Positionen in einer Befragung letztlich berücksichtigt werden müssen. Zweitens bleibt selbst dann, wenn man dieses Problem gelöst hat, noch offen, um welche Personen es sich konkret handelt. Wer zählt zu den für die Formulierung der moralischen Standards und die Aufrechterhaltung der Alltagsmoral entscheidenden Künstlern, Schriftstellern, Philosophen etc.? Diese Frage zu beantworten ist nicht so einfach. Das zeigt ein aktuelles Beispiel sehr deutlich. So würde ein großer Teil der Journalisten, Kulturschaffenden und Wissenschaftler vermutlich keine Sekunde zögern, Jürgen Habermas in diesen Kreis aufzunehmen. Er gilt als der berühmteste lebende Philosoph Deutschlands, wenn nicht der Welt. Was den Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung und die Einstellung der Bevölkerung in Deutschland angeht, stellt sich allerdings trotzdem die Frage, ob ihn in dieser Beziehung nicht ein Thilo Sarrazin mit seinen mehr als fragwürdigen Thesen (zumindest vorübergehend) weit übertroffen hat.

Aber auch dann, wenn die Personen als solche nicht umstritten sind, bleibt immer noch offen, wen man im Einzelnen einbezieht. Wie schwierig das ist, lässt sich am Beispiel der Süddeutschen Zeitung als der auflagenstärksten und zusammen mit der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) wohl auch einflussreichsten überregionalen Zeitung verdeutlichen. Wen soll man unter ihren Journalisten zur Elite zählen: den vielleicht bekanntesten investigativen Journalisten, Hans Leyendecker, den weithin ob seiner politischen Kommentare angesehenen Heribert Prantl oder den einflussreichen Chef der Wirtschaftsredaktion, Marc Beise, oder gleich alle drei. Was ist dann mit den zahlreichen Henri-Nannen-Preisträgern beim Spiegel, den Edelfedern des Stern, was mit den bekannten Journalisten bei der FAZ oder bei der Zeit? Wollte man sie allesamt berücksichtigen, wäre der Rahmen einer Elitenstudie schnell gesprengt, da es ja auch noch die bekannten oder berühmten Wissenschaftler, Schriftsteller, Künstler oder Showstars gibt.

Wichtiger als die Frage, welche Personen zu den »Prestigeeliten« zählen, ist allerdings die, ob solche Personen überhaupt sinnvoll in eine Untersuchung der Eliten einbezogen werden sollten. Spielen sie, sinnbildlich gesprochen, wirklich in der gleichen Liga wie Spitzenmanager, Regierungsmitglieder, Bundesrichter, hohe Ministerialbeamte, Präsidenten der führenden Wissenschaftsorganisationen oder Intendanten von Fernsehsendern? Die Antwort auf diese Frage lautet in der aktuellen Studie: nein. Auch wenn es einzelne Personen geben mag, die aufgrund ihres Ansehens auf gesellschaftliche Entwicklungen einwirken können, so bleibt dieser Einfluss in der Regel doch deutlich geringer als der von Personen in den wirklichen Machtpositionen an der Spitze großer gesellschaftlicher Organisationen.

Wie begrenzt ein auf persönlicher Bekanntheit oder persönlichem Renommee beruhender Einfluss ist, zeigt zum Beispiel das Schicksal ehemals berühmter Journalisten oder Fernsehmoderatoren wie Nikolaus Brender oder Margarethe Schreinemakers. Brender zählte in seiner Zeit als Chefredakteur des ZDF ohne Zweifel zu den wichtigsten und mächtigsten Journalisten des Landes. All das hat ihm jedoch nichts genutzt, als der hessische Ministerpräsident Koch (als Vertreter der politischen Elite) entschlossen war, die Verlängerung seines Vertrages zu verhindern. Er musste gehen und ist aktuell nur noch in Nischensendern wie ntv zu sehen. Noch schlimmer erging es Schreinemakers, die damals die wohl unbestrittene Königin der deutschen Talkshows war. Als sie glaubte, in ihrer Sendung ein privates Problem mit dem Finanzamt zum Thema machen zu können, bekam sie sehr schnell zu spüren, wie eng der Handlungsspielraum ist, wenn der persönliche Einfluss nur auf Popularität und nicht auf wirklicher Macht beruht. Ihr wurde die Sendung von der Senderleitung entzogen und sie ist danach trotz mehrmaliger Comebackversuche in der Bedeutungslosigkeit versunken. Ähnliches gilt grundsätzlich auch für andere Bereiche. Selbst der Einfluss früher ausgesprochen mächtiger Politiker geht in der Regel mit der Aufgabe des Amtes verloren. So waren Helmut Kohl oder Gerhard Schröder nach ihrem Abschied aus dem Bundeskanzleramt bestenfalls noch für eine kurze Zeit in der Lage, auf Basis ihrer vorhandenen Netzwerke in den oberen Etagen der Bundespolitik im Hintergrund einige Fäden zu ziehen. Das war mit der Etablierung einer neuen Parteispitze dann aber schnell vorbei. Ihr persönliches Ansehen reichte ganz offensichtlich bei weitem nicht aus, um bei den wichtigen Entscheidungen auch weiter eine Rolle zu spielen.

Der Fall Brender macht noch einen weiteren wichtigen Aspekt deutlich. Es gibt auch bei den Eliten der klassischen gesellschaftlichen Sektoren Unterschiede, was Einfluss und Macht angeht. Brender war nicht nur ein bekannter Journalist, er war als Chefredakteur des ZDF zugleich auch ein Mitglied der medialen Positionselite. Die Nichtverlängerung seines Vertrages erfolgte außerdem gegen den erklärten Willen des damaligen ZDF-Intendanten Schächter. Aber auch er war nicht in der Lage, Koch und die ihm in dieser Personalentscheidung folgenden, der CDU nahe stehenden Mitglieder des Fernsehrats an der rabiaten Durchsetzung ihrer Vorstellungen zu hindern. Das zeigt eines unmissverständlich: die Medienelite, zu der Brender und Schächter während ihrer Amtszeit ganz ohne Zweifel gehörten, verfügt über spürbar weniger Macht als die politische Elite.

Dasselbe trifft selbstverständlich auch auf die Repräsentanten jener Medien zu, die sich im Besitz großer Medienkonzerne wie Bertelsmann oder Springer befinden. Grundsatzentscheidungen werden auch hier von den Eigentümern bzw. ihren unmittelbaren Vertretern an der Spitze des Managements getroffen, notfalls auch über den Kopf der Chefredakteure hinweg oder sogar gegen deren erklärten Willen. Deshalb taugt die Affäre um den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff auch nicht zum Beweis des Gegenteils, der Macht der Medienelite gegenüber der politischen Elite. Ausgelöst wurde die Debatte ja nicht von Vertretern eines klassischen investigativen Journalismus, sondern von der Bild-Zeitung. Dass deren Journalisten eine solche Kampagne gegen den Bundespräsidenten losgetreten haben, ohne das zuvor außer von der Chefredaktion auch von der Leitung des Springer-Konzerns absegnen zu lassen, ist schlechterdings nicht vorstellbar, vor allem nicht angesichts des bekannt guten Verhältnisses zwischen Angela Merkel und Friede Springer.

Dennoch verweist die Causa Wulff auch auf die Achillesferse der politischen Elite. Sie muss sich regelmäßig Wahlen stellen. Anders als die Eliten aus Wirtschaft, Justiz und Verwaltung sind Spitzenpolitiker deshalb von der öffentlichen Meinung und damit auch den Medien ein Stück weit abhängig. Sie können die öffentliche Meinung zwar zwischen den Wahlen eine ganze Zeit lang ignorieren, was Politiker wie Kohl oder Merkel ja auch immer wieder getan haben, spätestens zu Wahlzeiten müssen sie sie dann aber doch (mehr oder weniger) berücksichtigen. Das ändert allerdings nichts am prinzipiellen Machtgefälle zwischen der Medienelite auf der einen und der politischen und wirtschaftlichen Elite auf der anderen Seite. Ähnlich verhält es sich auch im Fall der wissenschaftlichen und der militärischen Elite.

Die Differenzierung der Eliten in den klassischen Bereichen und deren Gewichtung

Es gibt, grob gesprochen, in den klassischen Bereichen zwei unterschiedlich mächtige Typen von Eliten: die vier Kerneliten aus Wirtschaft, Politik, Justiz und Verwaltung auf der einen und die Eliten aus Militär, Medien und Wissenschaft auf der anderen Seite. Für die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland sind die Entscheidungen der erstgenannten von weit größerer Bedeutung (Hartmann 2007a: 20 f.).13 Außerdem verfügen die vier zentralen Eliten auch über umfangreichere und eigenständigere Machtressourcen als die übrigen Eliten. Das ist der Grund dafür, dass sie im Sample der vorliegenden Studie deutlich stärker vertreten sind.14 Die konkrete Gewichtung der einzelnen Sektoren bleibt dennoch immer eine Frage der persönlichen Einschätzung der das Sample auswählenden Wissenschaftler.15 Das zeigen alle bisherigen Studien. So bewegt sich in vier großen Elitebefragungen von 1968, 1972, 1981 und 1995 aus Mannheim und Potsdam beispielsweise der Anteil der politischen Elite zwischen 14,3 Prozent 1981 und 23,9 Prozent 1995 und der der Verwaltungselite sogar zwischen 10,3 Prozent 1968 und 28,7 Prozent nur vier Jahre später. Auch bei den anderen Sektoren gibt es mehr oder minder deutliche Veränderungen (s. Tabelle 1 im Anhang).16 Für die aktuelle Studie sind im Vergleich zu den beiden letzten Elitenstudien von 1981 und 1995 in der Gewichtung der Sektoren vier wichtige Veränderungen vorgenommen worden (s. Tabelle 2 im Anhang). Die Wirtschaft (außer dem Finanzbereich) und die Justiz sind erheblich stärker berücksichtigt worden, die Wirtschaftsverbände, die Medien und (nur im Vergleich zur Studie von 1995) auch die Politik sind dafür deutlich schwächer gewichtet worden.

Der Neugewichtung der Wirtschaft liegt die Überlegung zugrunde, dass sie in den früheren Studien in puncto Macht im Vergleich zur Politik erheblich unterbewertet worden ist und sich außerdem das Kräfteverhältnis zwischen diesen beiden Eliten durch die Globalisierung weiter zu Ungunsten der Politik verschoben hat. Ähnliches gilt auch für die Wirtschaftsverbände. Sie haben durch die Globalisierung und die in der Berliner Republik dichter gewordenen direkten Kontakte zwischen Großkonzernen und Politik spürbar an Gewicht verloren. Zudem ist ihr Einfluss schon in den früheren Studien deutlich überschätzt worden. Was die hohe Justiz und die Medien angeht, so ist Erstere im Sample aufgewertet, Letztere abgewertet worden. Der Grund dafür ist ganz einfach, dass die Entscheidungen der Bundesgerichte die Entwicklung der Gesellschaft ganz durchgreifend zu beeinflussen vermögen, die Medienelite demgegenüber, wie gezeigt, nur eine Elite mit beschränkter Macht darstellt. Erstere hat in den bisherigen Erhebungen daher in Relation zu anderen Sektoren eine zu geringe, Letztere eine zu starke Beachtung gefunden. Die schon in den älteren Studien zumeist nur in relativ geringem Umfang vertretenen Sektoren Gewerkschaften, Kirchen und Militär sind noch weiter zurückgestuft worden; denn auch sie spielen verglichen mit den vier zentralen Eliten aus Wirtschaft, Politik, Justiz und Verwaltung allenfalls in der »zweiten Liga«.