Soziologie verstehen - Thomas Kron - E-Book

Soziologie verstehen E-Book

Thomas Kron

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Beschreibung

Die Soziologie ist ein äußerst kompliziertes Fach, das besonders in den ersten Semestern des Studiums sehr herausfordernd ist. Insbesondere fehlt den Studierenden ein "roter Faden" für die unterschiedlichen Theorien, Methoden und die anderen soziologischen Werkzeuge. Wie kann Studierenden der Zugang zu ihrem Fach erleichtert werden? Was muss eine Einführung in die Soziologie bieten? Diese Einführung in die Soziologie beantwortet diese Fragen mit einem eigens entworfenen, didaktischen Konzept: Es besticht durch eine verständliche Sprache und besonders durch Alltagsbeispiele, die sich zur Veranschaulichung der komplizierten Zusammenhänge durch die Einführung ziehen. Auf diese Weise zeigt das Buch einen ganz eigenen, problemorientierten Weg auf, das Fach Soziologie zu erkunden. Grundgedanke des Buches ist, soziologische Theorien als Werkzeuge zur Beschreibung und Erklärung der Lösungen gesellschaftlicher Probleme zu fassen und entsprechend zu präsentieren. Im Fokus steht das Hauptproblem der Soziologie, das sogenannte Ordnungsproblem: Wie entstehen, stabilisieren und wandeln sich gesellschaftliche Ordnungen? Und warum gibt es diese Probleme überhaupt? Das Buch zeigt, welche theoretischen Lösungen die Soziologie entwickelt hat, um diese Fragen des Ordnungsproblems zu beantworten. Auf diese Weise erhalten Studierende eine Art soziologischen Werkzeugkasten, der ihnen "Problemlöser" für gesellschaftliche Grundfragen an die Hand liefert und sie die Soziologie verstehen lässt.

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Der Autor und die Autorin

Thomas Kron, geb. 1970, promovierte 2000 und schloss 2005 seine Habilitation ab. Seit 2007 ist er Universitätsprofessor für Soziologie an der RWTH Aachen. Aktuell umfassen seine Forschungsgebiete die Soziologische Theorie (insbesondere System- und Handlungstheorien) und die Gewalt- und Konfliktforschung. Hierbei nutzt Thomas Kron die Fuzzy-Logik zur Modellierung u. a. zur Analyse von Terrorismus, Unsicherheit, Hybridität, Gewalt und Kultur.

Christina Laut, geb. 1991, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der RWTH Aachen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Soziologische Theorie (insbesondere Systemtheorie und Poststrukturalismus) sowie (computer-)vermittelten Kommunikation, Anonymität im Netz und die Modellierung von Kommunikation mittels Netzwerkanalyse.

Thomas Kron,Christina Laut

Soziologie verstehen

Eine problemorientierte Einführung

Verlag W. Kohlhammer

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islieb- und isfies-Comics © Eylou, https://islieb.de und https://isfies.de.

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036861-3

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-036862-0

epub:        ISBN 978-3-17-036863-7

Vorwort

 

 

Mit dem vorliegenden Lehrbuch »Soziologie verstehen – eine problemorientierte Einführung« möchten wir Menschen, die sich für die Soziologie interessieren, einen roten Faden durch diese Wissenschaft anbieten. Wenn Sie diesem Faden bis zum Ende folgen, werden Sie verstehen, worum es der Soziologie als Wissenschaft geht.

Das Entstehen dieses Buches hat eine längere Vorgeschichte. Die Idee hierzu hatte ich bereits 2005 nach vielen Diskussionen mit Informatikern im Rahmen eines Forschungsprojekts zur »Sozionik«.1 Während dieser Zeit hat die Forscher:innengruppe rund um Uwe Schimank2 an der FernUniversität in Hagen, deren Teil ich sein durfte, die Frage diskutiert, was die Soziologie erklärt (Schimank/Greshoff 2006). Von Informatiker:innen kann die Soziologie viel lernen. Diese Frage wurde deshalb auch an die Informatiker in dem Projekt weitergegeben: Wann ist für Euch etwas erklärt? Die Antwort lautete: Wenn ein Problem gelöst wurde, dann ist es erklärt.

Diese Antwort hat mich irritiert: Kann das etwa auch für die Soziologie gelten? Welche Probleme löst die Soziologie denn eigentlich? Welche Probleme soll sie lösen? Löst sie Probleme, die die Gesellschaft hat?3 Oder löst sie die Probleme, die ihr bei der Untersuchung der Gesellschaft in den Blick geraten? Diese Fragen hat die Soziologie nicht eindeutig beantwortet. Und sie gibt auch keine einhellige Antwort auf die Frage, was ihr als eine Erklärung gilt.

Solche Vagheiten sind typisch für die Soziologie. Und, nicht überraschend, ist Vagheit dementsprechend eine typische Erfahrung von Studierenden der Soziologie. Fragt man diese nach einem Jahr des Soziologiestudiums, was die Soziologie insgesamt will, dann erntet man in der Regel nicht mehr als ein Achselzucken. Das deckt sich mit meiner Erfahrung während meines eigenen Soziologiestudiums. Damals, noch im Magisterstudiengang, wurde mir insbesondere von Richard Münch4 (1994a) die Soziologie als ein historischer Ablauf der wichtigsten Gedanken und Theorien von den 1850er Jahren bis zur Gegenwart präsentiert. Zugleich blieb mir lange verborgen, was denn der soziologische rote Faden durch alle diese klugen Gedankengebäude sein mag. Gibt es den einen roten Faden überhaupt?

Schon in dieser Zeit meines Studiums habe ich an der Lehre von Uwe Schimank teilgenommen. Bereits im ersten Seminar präsentierte Schimank die Soziologie als einen großen, faszinierenden Werkzeugkasten. Diesen Werkzeugkasten hat er (2000) später in seiner »akteurtheoretischen Soziologie« aus einem Guss vorgelegt. Mit Werkzeugen repariert man Dinge, baut etwas auf oder bringt etwas an – allgemeiner: Mit Werkzeugen löst man Probleme. Der schimanksche Werkzeugkasten enthält also bereits starke Hinweise auf jene Probleme, die die Soziologie löst.5 Der Titel des dazugehörigen Buches drückt dies auch aus: Es geht um Handeln und Strukturen. Anders formuliert: Es geht um das Handlungsproblem und um das Ordnungsproblem, wie bereits Jeffrey C. Alexander6 (1982) in seiner Einführung in die Soziologie dargelegt hatte.

Beide Lehransätze von Münch und Schimank habe ich bei der Übernahme meiner Professur an der RWTH Aachen in der Veranstaltung zur Einführung in die Soziologiezur Anwendung gebracht. Das heißt, ich habe die Werkzeuge anhand von »Handeln und Strukturen« präsentiert, ergänzt um die ausführlichere Darstellung einzelner Theorien in ihrem historischen Kontext wie in Münchs »Sociological Theory«. Zugleich hat sich rasch herausgestellt, dass dies immer noch nicht dazu führt, den Studierenden einen hinreichend roten Faden soziologischen Denkens zu präsentieren.

 

Thomas Kron

 

Die Schwierigkeiten zu erkennen, worum es der Soziologie als Wissenschaft insgesamt geht, hatte ich ebenfalls. Ich habe diese Veranstaltung von Thomas Kron ›genießen‹ dürfen – inklusive der Frage nach dem Gesamtzusammenhang der Soziologie. Wenn ich mich an jene ersten Semester zurückerinnere, war mit den Inhalten der Veranstaltung zwar der Grundstein für die soziologische Begeisterung gelegt: Das Angebot, auch alltägliche Erfahrungen in Schemen und Muster überführen zu können, hat mitunter zu Aha-Erlebnissen geführt. Das hat Lust auf mehr gemacht! Nichtsdestotrotz schien mir der Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Ansätzen und Theorien oftmals ungeklärt oder diffus. Wenigstens war es die Unterscheidung zwischen sog. »Mikro«- und »Makro«-Zuständen des Sozialen, die den Anschein erweckte, alles Soziologische zu ordnen. Anhand dieser umstritten Unterscheidung von Mikro//Makro7 habe ich gemeinsam mit meinen damaligen Kommiliton:innen versucht, die Zusammenhänge der unterschiedlichen Theorien herzuleiten. Dieses Unterfangen ist allerdings sehr anspruchsvoll, da es ein profundes theoriehistorisches Wissen voraussetzt, das üblicherweise eher im fortgeschrittenen Studium erworben wird.

Mit dem »soziologischen Survival-Sixpack« (Schimank/Kron/Greshoff 2002) von Hartmut Esser8 (1999–2001) wurde mir von Kron in der Einführungsvorlesung zwar ein Angebot gemacht, wie sich die verschiedenen Werkzeuge und historisch relevanten Theorien in ein Modell integrieren lassen. Zugleich war damit die studentische Verwirrung nicht aufgehoben, sondern nur verschoben. Denn das Angebot von Esser ist ein integrales Modell neben anderen Modellen, die ebenfalls integrale Ansprüche hegen, sich selbst mitunter als Supertheorien etikettieren und ebenfalls sehr gute Argumente aufführen. Und leider widersprechen sich diese integralen Theorien und Modelle oftmals. Wäre mir nur eine dieser Theorien und Modelle in der Lehre präsentiert worden, hieße das, mich zu zwingen, mich für eine Theorie zu ›entscheiden‹ und alle anderen abzulehnen bzw. gar nicht erst kennenzulernen. Dieses Entweder-Oder in der Theoriewelt der Soziologie ist nie der Aachener Weg der Soziologie gewesen. Dort gebührt insbesondere Paul B. Hill9 das Verdienst, darauf bestanden zu haben, dass den Studierenden die Soziologie nicht direkt zu Anfang mit einer Verengung präsentiert wird. Die Perspektivenvielfalt der Soziologie wird als ein wertvolles Gut gesehen und die Studierenden sollten vielmehr selbst in die Lage versetzt werden zu entscheiden, auf welches Werkzeug und welche (integrale) Theorie sie im Laufe ihres Studiums setzen wollen oder eben nicht.

 

Christina Laut

 

Diese Lehranschauung beizubehalten bedeutet wiederum, dass die Beantwortung der Frage, welche Probleme die Soziologie denn nun löst, als Leitfaden einer Einführung in die Soziologie nicht an Attraktivität verliert, im Gegenteil. Die Problemorientierung kann, so unsere Annahme, einen roten Faden durch die Soziologie ziehen, dem dann die verschiedenen soziologischen Ansätze, Theorien, Modelle usw. zugeordnet werden können. Auf diese Weise lässt sich die typische Verwirrungserfahrung des Soziologiestudiums mildern.

So reizvoll uns diese Annahme erschienen ist, so schwierig war sie für uns umzusetzen. Die Rede von dem Handlungs- und Ordnungsproblem hat sich als zu allgemein herausgestellt. Mindestens können diese Probleme in sechs differenziertere Probleme unterteilt werden, nämlich in die Fragen

1.  wie Handlungen durch die Gesellschaft geprägt werden,

2.  wie die Handlungen durch die Menschen ausgewählt werden und

3.  wie Handlungen zusammenwirken.

Und es kann gefragt werden,

4.  wie gesellschaftliche Ordnungen entstehen,

5.  wie sie sich stabilisieren und

6.  wie sie sich wandeln.

So plausibel uns diese Aufteilung zunächst erschien, sind wir damit doch erst mal in weitere Schwierigkeiten hineingeraten. Es ist uns z. B. sofort aufgefallen, dass die Antworten auf diese Fragen miteinander verwoben sind, was die Darstellung mindestens erschwert. Wenn man bspw. davon ausgeht, dass die Gesellschaft die Handlungen der Menschen prägt, dann unterstellt man ja bereits, dass es eine gesellschaftliche Ordnung gibt. Die Entstehung dieser gesellschaftlichen Ordnung ist aber zugleich nicht ohne jene Handlungen zu erklären, die sich als geprägt herausstellen. Dies ist wohl das Henne-Ei-Problem der Soziologie. Uns bleibt die Hoffnung, mit dem vorliegenden Lehrbuch einen guten Umgang mit diesem Problem gefunden zu haben. Der Begriff der Problemorientierung ist hier also mehrdimensional, denn er betrifft die Probleme der Soziologie sowie die Probleme der Darstellung der Soziologie.

Eine weitere Herausforderung ist der Zwang zur Begrenzung. Die Idee für dieses Lehrbuch ist, sich praktisch in der Lehre im Rahmen einer Einführung in die Soziologie zu bewähren, in der überwiegend Studierende des ersten Semesters sitzen. Dafür standen an der RWTH Aachen einst im Magisterstudiengang vier Semester zur Verfügung. Durch die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge wurde diese Einführung letztlich auf ein Semester verkürzt.10 Daraus folgt die Unumgänglichkeit, sich zeitlich und sachlich zu beschränken und tatsächlich auf Probleme zu konzentrieren. Es ist eine problemorientierte Einführung. Wollten wir zu diesen Problemen gleichermaßen alle soziologischen Lösungen angemessen präsentieren, dann wäre dies ein sehr dickes Buch für eine viersemestrige Einführungsveranstaltung geworden. Schön, aber nicht hilfreich für unsere aktuelle Praxis. Wir präsentieren demnach eine Auswahl von soziologischen Lösungen zu den Problemen und stellen diese recht verkürzt dar.

Zugleich soll damit sehr deutlich angemerkt sein: Das vorliegende Lehrbuch ersetzt kein anderes Lehrbuch. Ausdrücklich empfehlen wir die bereits genannten Lehrbücher von Hartmut Esser, Richard Münch und Uwe Schimank. Wer diese Bücher alle gut durcharbeitet, erhält einen hervorragenden Überblick über die Soziologie. Und selbstverständlich sind dies nicht die einzigen sehr nützlichen Einführungen in die Soziologie. Wer sich gut umschaut, findet noch sehr viele andere hervorragende Werke. Das vorliegende Lehrbuch versteht sich ausdrücklich als Ergänzung zu all diesen Einführungen. Es hilft, einen roten Faden durch die Soziologie zu ziehen. In diesem Sinne gilt der Titel: »Soziologie verstehen«. Erste Ergebnisse aus den Vorlesungen, die entlang dieser Struktur gehalten wurden, stimmen uns jedenfalls hoffnungsvoll, dass dies gelungen ist.

Im Laufe dieser Zeit haben wir verschiedenste Aspekte mit unterschiedlichen Personen diskutiert. Ihnen allen sind wir zu Dank verpflichtet. Leider ist es unmöglich, diese alle hier namentlich einzeln aufzuführen. Wir picken lediglich einige Menschen heraus, mit denen besonders viel diskutiert wurde: Neben den o. g. Personen sei aus dem Hagener Team rund um Uwe Schimank Lars Winter hervorgehoben, mit dem Aspekte zu den gesellschaftlichen und soziologischen Problemen sowie zur Erklärung der Soziologie ausgefochten wurden. Aus Aachen haben Lena M. Verneuer-Emre konstruktive und Bettina Mahlert sehr kritische Impulse gegeben. Einen besonderen Dank ist den Studierenden der Soziologie an der RWTH Aachen geschuldet, die an der Einführungsvorlesung teilgenommen und diese sowohl wohlwollend als auch kritisch bewertet haben. Ganz besonders hilfreich sind uns die Kommentare, Anmerkungen und Hinweise von folgenden Menschen gewesen, die das Buch vorab gelesen haben: Ralf Becker, Sven Graumüller, Betim Kai Gecaij, Marina Langohr, Daniel Scherer, Torsten Stephan, Anna-Maria Weihrauch, Benjamin Wittorf. Diese hervorragende Idee, Nicht-Soziolog:innen das vorliegende Buch auf Verständlichkeit prüfen zu lassen, verdanken wir Aladin El-Mafaalani. Viele ihrer Anregungen sind in dieses Lehrbuch eingeflossen. Alles das, was unverständlich geblieben ist, ist natürlich uns zuzurechnen.

Ein ganz besonderer Dank geht an Eylou, den großartigen Zeichner der islieb- und isfies-Comics11, die wir hier verwenden dürfen! Wir sind selbst große Fans und können nur empfehlen, in den Fan-Club einzutreten!

Zu guter Letzt: Wir danken denMitarbeiter:innen vom Kohlhammer Verlag für die Unterstützung in allen Belangen!

 

Thomas Kron & Christina Laut

1     Es handelte sich um ein Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in dem Soziologie und Informatik interdisziplinär kooperiert haben. Das Hagen-/Dortmunder-Projekt hat unter dem Titel »Untersuchungen zur Dynamik sozialer Systeme anhand der Simulation komplexer, adaptiver Agenten« firmiert.

2     Uwe Schimank, geboren 1955, ist Professor für Soziologie. Ein Großteil des vorliegenden Lehrbuchs schließt an Schimanks Einführung in die akteurtheoretische Soziologie »Handeln und Strukturen« (2000) an bzw. übernimmt von ihm wesentliche Argumente.

3     Unsere Antwort ist: Ja, die Soziologie löst Probleme, die die Gesellschaft hat. Das bedeutet, die Soziologie kümmert sich nicht nur ausschließlich um das, was sie anhand von Theorien in den Blick bekommt, sondern sie nutzt, dass sie selbst Teil der Gesellschaft ist und diese zugleich soziologisch beobachtet (mithin: sich selbst soziologisch beobachtet). Dies mag erkenntnistheoretisch schwierig sein. Zugleich wäre der Versuch, gesellschaftliche Probleme zu ignorieren, wenn diese nicht in soziologische Sichtapparaturen passen, ebenfalls nicht einfach.

4     Richard Münch, geboren 1945, ist Professor für Soziologie und galt lange als relevantester Vertreter der parsonsschen Theorie in Deutschland.

5     Es wundert nicht, dass wir etliche von Schimanks Vorschlägen hervorragend übernehmen und für unsere Zwecke hier einsetzen können.

6     Jeffrey C. Alexander, geboren 1947, ist US-amerikanischer Soziologe und einer der führenden Sozialtheoretiker und Vertreter der Kultursoziologie.

7     Wir verwenden die doppelten Bindestriche »//« im Folgenden als Unterscheidungsmerkmal. Die Anregung dazu verdanken wir Ben von https://ueberschriften.de.

8     Hartmut Esser, geboren 1943, ist emeritierter Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre mit einem Forschungsschwerpunkt zur theoretischen Integration der Sozialwissenschaften.

9     Paul B. Hill, geboren 1953, war Professor für Soziologie an der RWTH Aachen mit dem Schwerpunkt Methoden der empirischen Sozialforschung.

10  Dies betrifft nur die Vorlesung als Veranstaltungsform. Die weitere Vermittlung der Einführung in die Soziologie wird an der RWTH zu Beginn des Soziologiestudiums in seminaristischer Form geleistet.

11  https://islieb.de und https://isfies.de.

Inhalt

 

 

Vorwort

1   Einleitung

2   Wie wir es miteinander zu tun bekommen

2.1   Konstellationen

2.1.1   Beobachten

2.1.2   Beeinflussen

2.1.3   Verhandeln

2.2   Zusammenfassung

3   Ordnung, nirgendwo

3.1   Koordination

3.2   Kooperation

3.3   Konflikt

3.4   Zusammenfassung

4   Soziale Strukturen stabilisieren gesellschaftliche Ordnung

4.1   Handlungshervorbringung

4.2   Handlungsaufprägung

4.3   Bewertungsstrukturen

4.3.1   Handlungshervorbringung durch Sozialisation

4.3.2   Moderne Werte

4.3.3   Zusammenfassung

4.4   Erwartungsstrukturen

4.4.1   Institutionen und Normen

4.4.2   Soziale Rollen

4.4.3   Soziale Drehbücher

4.4.4   Rollengestaltung

4.4.5   Rollenkonflikte

4.4.6   Identität

4.4.7   Handlungsaufprägung durch Zuschreibung

4.4.8   Macht (und Herrschaft)

4.4.9   Zusammenfassung

4.5   Deutungsstrukturen

4.5.1   Wissen ist Herrschaft

4.5.2   Der Markt und der homo oeconomicus

4.5.3   Das Handlungsproblem

4.5.4   Aufprägung, Hervorbringung oder Auswahl von Handlungen?

4.5.5   Zusammenfassung

4.6   Konstellationsstrukturen

4.6.1   Wo alle Strukturen zusammenkommen: Gruppe

4.6.2   Wo alle Strukturen zusammenkommen: Habitus

4.6.3   Zusammenfassung

5   Wie wandelt sich die Gesellschaft?

5.1   Wandel durch Bewertungsstrukturen

5.2   Wandel durch Deutungsstrukturen

5.2.1   Wandel durch Deutungsstrukturen nach Simmel

5.2.2   Wandel durch Deutungsstrukturen

5.3   Wandel von Erwartungsstrukturen

5.4   Wandel durch Konstellationsstrukturen

5.5   Ein Wandel kommt selten alleine!

5.5.1   Wandel bei den Wikingern

5.5.2   Moderner Wandel

5.6   Zusammenfassung

6   Nix bliev wie et Wor

Literatur

1          Einleitung

 

 

Womit beschäftigt man sich in einem Studium der Soziologie? Der Studienführer der Zeitschrift ZEIT Campus12 beantwortet die Frage so:

Soziologie

Soziolog:innen … untersuchen, wie sich Menschen in der Gesellschaft verhalten.

 

Darum geht es

Egal, ob am Arbeitsplatz, in Schulen, beim Sport oder auf Dating-Portalen wie Tinder: Soziolog:innen untersuchen sämtliche Aspekte sozialen Handelns. Sie wollen wissen, wie sich Menschen in gesellschaftlichen Gruppen verhalten und welchen Einfluss sie dabei aufeinander nehmen.

Wir werden im Folgenden zeigen, dass diese Darstellung grundsätzlich nicht richtig ist. Zugleich ist diese Betrachtungsweise auch nicht ganz falsch. Und da sind wir auch schon mitten in den üblichen Schwierigkeiten und den wunderbaren Herausforderungen der Soziologie für die Studierenden. Worum es der Soziologie geht, kann man ganz unterschiedlich darstellen. Und je nachdem, welche Darstellung man wählt, sieht die Antwort etwas anders aus. Man kann sich bspw. anschauen, welche wichtigen theoretischen Beiträge es innerhalb der Soziologie gibt und die Theorien im historischen Verlauf rekonstruieren (so z. B. Münch 1994a). Oder man schaut sich die theoretischen und empirischen Themen an, mit denen sich die Soziologie beschäftigt (Joas/Mau 2020). Oder man rückt alle Themen und Theorien unter eine spezifische Perspektive (so Esser 1993, 1999–2001). Alle diese Zugänge haben ihre Berechtigung. Zugleich erscheint die Soziologie im Lichte dieser und weiterer Lehrbücher wie ein Kaleidoskop, das immer andere Dinge präsentiert, wenn man es dreht.

Wir möchten dieser Multi-Perspektivität, die im Fach selbst durchaus umkämpft ist, einen weiteren Sichtwinkel hinzufügen. Damit erhöhen wir zwar einerseits das Spektrum möglicher Betrachtungsweisen der Soziologie, zugleich bietet unsere Perspektive eine gewisse Vereinfachung an. Wir fragen nämlich: Welche Probleme will die Soziologie lösen?

Dies ist eine zugegebenermaßen ziemlich technische Herangehensweise. Wir hören schon jene Kolleg:innen, die da rufen: Wir wollen keine Probleme lösen, sondern soziale Sachverhalte beschreiben und erklären. Okay, zugleich haben auch andere Wissenschaften durchaus Erfolg damit, sich auf Probleme zu konzentrieren. Und schon der erste Blick auf die Probleme, die die Soziologie lösen möchten, ist durchaus spannend, denn dann wird sofort erkennbar, dass es der Soziologie nicht um das Verhalten von Menschen geht, wie der o. g. Studienführer suggeriert! Der Soziologie geht es nämlich um die Beschreibung und Erklärung kollektiver Erscheinungen. Die Soziologie möchte also nicht wissen, weshalb ein einzelner Mensch arm ist, ein bestimmter Mensch in den Krieg zieht oder bestimmte Wertvorstellungen hat. Die Soziologie interessiert sich dafür, wie man Ungleichheit, Kriege oder Werte als kollektive Phänomene erklärt. Ganz allgemein geht es der Soziologie also um Probleme gesellschaftlicher Ordnung.

Zugleich gilt: Wenn wir uns soziologisch mit gesellschaftlichen Ordnungsproblemen beschäftigen, dann sehen wir, dass wir für die Antworten kaum ohne Menschen auskommen. Denn es ist zunächst ja fraglich, weshalb überhaupt gesellschaftliche Ordnungsprobleme auftauchen können. Die etwas ausweichende Antwort darauf ist, dass unsere Welt kein Schlaraffenland ist – jener Ort, an dem die Menschen keine gesellschaftliche Ordnung benötigen, weil die gebratenen Hähnchen dort vom Himmel direkt in den Mund fallen, und in dessen Flussbetten Milch, Honig oder Wein statt Wasser fließen. Das Schlaraffenland als Metapher bedeutet, dass die Menschen sich nicht darum kümmern müssen, wie sie ihrem Bedürfnis der Nahrungsaufnahme nachkommen können, weil dieses Bedürfnis – so wie jedes andere Bedürfnis auch – schlicht dann erfüllt wird, wenn es auftaucht. Die Bedürfniserfüllungen fallen dort quasi alle vom Himmel. Wenn dies der Fall ist und alle Bedürfnisse automatisch für alle Menschen erfüllt sind, dann braucht es keine gesellschaftliche Ordnung. Nun ist eine solche Automatik aber unmöglich.

Zwar weisen alle Menschen einen mehr oder weniger gleichen Satz an Bedürfnissen auf. Zugleich sind die Menschen aber durchaus kreativ darin, unterschiedliche Strategien zu entwickeln, wie man diese Bedürfnisse erfüllen kann. Wer Hunger hat, kann als eine Strategie zur Erfüllung des Bedürfnisses nach Nahrung ggf. gebratene Hähnchen essen. Jedoch stehen nicht für alle Menschen weltweit gebratene Hähnchen zur Verfügung. Diese Ressource ist also knapp. Man muss demnach schauen, dass man genug Lebensmittel für möglichst alle Menschen erzeugt und diese entsprechend verteilt. Dabei sind die Menschen in der einen oder anderen Art und Weise aufeinander angewiesen. Und genau diese Angewiesenheit aufeinander erzeugt Probleme.

Probleme gesellschaftlicher Ordnung gibt es, weil die Menschen es miteinander zu bekommen, wenn sie versuchen, ihre verschiedenen Bedürfnisse mit unterschiedlichen Strategien zu erfüllen.

Und weil es im Schlaraffenland dieses aufeinander Angewiesensein nicht gibt und sich die Menschen nicht in die Quere kommen, gibt es dort auch keine Probleme gesellschaftlicher Ordnung. Die Menschen sind es, die jene Energien liefern, aus denen Probleme gesellschaftlicher Ordnung resultieren, die dazu anhalten, kollektive Lösungen aufzurufen. Und wenn Menschen Ordnungsprobleme erzeugen, weil sie es miteinander zu tun bekommen, dann muss die Soziologie zur Erklärung der Entstehung dieser Probleme die Menschen in ihrem »Miteinander-zu-tun-bekommen« berücksichtigen. Und vermutlich müssen Menschen auch an irgendeiner Stelle zur Erklärung der Lösungen jener Probleme berücksichtigt werden, die ohne Menschen nicht entstanden wären. Kurz: Die Soziologie interessiert sich für gesellschaftliche Probleme und Lösungen und kommt zur Erklärung dieser Probleme und Lösungen nicht an Menschen vorbei.

12  https://www.zeit.de/campus/studienfuehrer-2017/studienfaecher-soziologie-studium (zuletzt abgerufen am 05.02.2021).

2          Wie wir es miteinander zu tun bekommen

 

 

»Die Hölle, das sind die anderen« – diesen berühmten Satz von Jean-Paul Sartre können wir so verstehen, dass die Hölle als das Gegenteil des Schlaraffenlandes dadurch entsteht, dass es die anderen Menschen gibt, mit denen wir es immer wieder zu tun bekommen.

Handelndes Zusammenwirken

Für dieses »Miteinander-zu-tun-bekommen« verwenden wir den Begriff des »handelnden Zusammenwirkens« (Schimank 2000: 186). Mit dieser Begrifflichkeit wird zum einen klarer, dass nicht eine einzelne Handlung alleine zur Beantwortung der gesellschaftlichen Ordnungsfragen eine Rolle spielt. Es müssen immer mehrere Handlungen sein, die aufeinander wirken. Und zum anderen gibt es eine Wirkung, um die es uns geht. Und diese für uns relevante Wirkung entsteht dadurch, dass sich Handlungen in die Quere kommen. Wir brauchen von den Menschen also erst mal nicht mehr zu betrachten als ihre Handlungen.

Gedanken, Hormone, Blutkreisläufe usw. spielen keine Rolle für die Soziologie. Wir bezweifeln selbstverständlich nicht, dass Menschen denken und durch Hormone und Blutkreisläufe oder ähnliches beeinflusst sind. Diese Dinge sind Randbedingungen des Handelns, so wie es Luft und Magnetismus braucht, damit Menschen überhaupt handeln können. Aber auf diese Dinge müssen wir nicht schauen, weil Gedanken und Blutkreisläufe nicht handelnd zusammenwirken. Handlungen wirken zusammen. Wenn zwei Menschen etwas übereinander denken, dann bleiben die Gedanken in ihren Köpfen und wirken nicht unmittelbar aufeinander ein. Auch die Blutkreisläufe bleiben getrennt, selbst wenn ein Blutdruck mal hoch- oder runtergehen sollte. Der andere Blutkreislauf ist davon nicht direkt betroffen. Ein Zusammenwirken geschieht erst dann, wenn die Gedanken die Köpfe verlassen (was sie natürlich an sich nie, sondern ausschließlich kommunikativ tun) und sich erhitztes Blut in Handlungen übersetzt (in Körperbewegungen, Sprache, Mimik usw.).

Der Begriff des »handelnden Zusammenwirkens« ist zudem etwas präziser als der ebenfalls gebräuchliche Begriff der Wechselwirkung, der als ein Grundbegriff der Soziologie von Georg Simmel13 gilt. Simmel wollte die Soziologie als eine Wissenschaft verstanden wissen, die die Aufgabe hat, »die Formen des Zusammenseins von Menschen zu beschreiben und die Regeln zu finden, nach denen das Individuum, insofern es Mitglied einer Gruppe ist, und die Gruppen untereinander sich verhalten« (Simmel 1989a: 118). Simmel betont damit, dass gesellschaftliche Phänomene weder aus dem Handeln des einzelnen Menschen noch aus einer anderen übersozialen Einheit heraus erklärt werden kann:

»Man steht z. B. bezüglich der Sprache nicht mehr vor der Alternative, dass sie entweder von genialen Individuen erfunden oder von Gott den Menschen gegeben ist; in die Religionsgebilde braucht sich nicht mehr die Erfindung schlauer Priester und die unmittelbare Offenbarung zu teilen usw. Vielmehr glauben wir jetzt die historischen Erscheinungen aus dem Wechselwirken und dem Zusammenwirken der Einzelnen zu verstehen, aus der Summierung und Sublimierung unzähliger Einzelbeiträge, aus der Verkörperung der sozialen Energien in Gebilden, die jenseits des Individuums stehen und sich entwickeln« (Simmel 1992: 15; Herv. TK/CL).

Ein Alltagsbeispiel mag diese Exempel der »Verkörperung der sozialen Energien in Gebilden« ergänzen.

Beispiel: Fußball

Die mitreißende Stimmung in einem Fußballstadion ist weder ausschließlich das Ergebnis des Jubels der Fans noch ist das Fußballspiel an sich mitreißend. Erst wenn die Fußballer:innen auf dem Platz mit den Fans auf den Rängen in bestimmter Weise wechselwirken, also etwa durch abgestimmte Fangesänge oder mittels der Koordination der Namensaufrufung bei Auswechselungen der Spieler:innen durch die Stadionsprecher:innen, dann kann eine mitreißende Stimmung entstehen, die bei den einzelnen Menschen wie bei dem Ganzen wiederum Gefühle einer »kollektiven Ekstase« hervorrufen. Diese Ekstase ist ein kollektives Phänomen und entsteht durch Wechselwirkung bzw. durch handelndes Zusammenwirken.

Menschen und ihr Zusammenwirken sind für Simmel jene Inhalte, die mit ihrem Wechselwirken vielfältige Formen der Vergesellschaftung erzeugen. Später hat er diese Unterscheidung von Wechselwirkungen (Inhalte) und Vergesellschaftung (Formen) durch die Unterscheidung von Leben und Form ersetzt, weshalb man Simmel auch als »Lebenssoziologen« (Berger/Kron 2017) bezeichnen kann. Im Anschluss an Simmel hat es verschiedene Versuche gegeben, Wechselwirkungen – also die Dynamiken des handelnden Zusammenwirkens – dadurch zu analysieren, indem man sie kategorisiert. Die Kategorisierung der Wechselwirkungen resultiert dann in dem Aufzählen bestimmter gesellschaftlicher Formen und Prozesse des handelnden Zusammenwirkens. Simmel selbst hat insbesondere in seiner sog. »großen Soziologie« von 1908 einige solcher typischen »Vergesellschaftungsformen« präsentiert, etwa den Streit, die Konkurrenz, die Über- und Unterordnung oder räumliche Ordnungen. Leopold von Wiese (1966) dürfte derjenige Soziologie sein, der im Anschluss an Simmel diese Art der »formalen Soziologie« am weitesten getrieben hat. Von Wiese hat diese »Formalisierung« – verstanden als Verallgemeinerung der Aussagen über Wechselwirkungen und nicht in dem strengen Sinne der Übertragung in eine formale Sprache wie die Mathematik – als Kategorisierung fortgeschrieben. Er unterscheidet dabei Wechselwirkungen zunächst nach Beziehungen erster und zweiter Ordnung. Zu den Beziehungen erster Ordnungen gehören Beziehungen des Zu- und Miteinanders sowie des Aus- und Ohneeinanders und Mischformen aus beiden. Zu den Beziehungen zweiter Ordnung gehören differenzierende Prozesse, integrierende Prozesse, zerstörende Prozesse und »umbildend-aufbauende« Prozesse. Jede dieser basalen Kategorien wird wiederum in weitere Kategorien unterteilt und mit verschiedenen exemplarischen Prozessen versehen. So unterteilt von Wiese die Beziehungen des Zu- und Miteinanders etwa in allgemeine Beziehungen, Annäherung, Anpassung, Angleichung und Vereinigung. Die integrierenden Prozesse z. B. werden in Gleichmachen, Ein-/Über-/Unterordnung und Sozialisierung unterschieden.

Insgesamt ergibt sich hieraus bei von Wiese eine »Tafel der menschlichen Beziehungen in soziologischer Betrachtung«, die sowohl hilfreich als auch wenig fruchtbar ist: Als eine Art Setzkasten ist sie hilfreich, denn vermutlich dürfte das meiste handelnde Zusammenwirken dort unterzubringen sein. Zugleich sind damit ausschließlich Beispiele des handelnden Zusammenwirkens exemplarisch benannt. Man kann dann zwar konkrete Beobachtungen einordnen, aber die Kategorien selbst sind nur begrenzt generalisierbar. Es ist grundsätzlich fraglich, ob es soziale Kategorien gibt, die alle Zeit überdauern, weil sich Gesellschaften permanent wandeln, wie wir noch sehen werden. Es ist also wahrscheinlich, dass neue gesellschaftliche Phänomene entstehen, für deren soziologische Beschreibung man neue Kategorien benötigen würde, wollte man den Setzkasten von Wieses verwenden. Das bei von Wiese aufgeführte »Proletarisieren« bspw. wird heutzutage nicht als zerstörerischer Prozess eingeschätzt. Auch wenn viele Kategorien bei ihm plausibel erscheinen, beseitigt dies nicht die fundamentale historische Vergänglichkeit seiner Kategorien von Formen und Wechselwirkungen – es könnte eben auch anders sein bzw. ist auch schon mal anders gewesen. Es verwundert wenig, dass sich von Wieses Soziologie nicht hat durchsetzen können, wenngleich man etwa die soziologische Netzwerkanalyse als eine ähnliche, auf Formen ausgerichtete Forschungsrichtung verstehen könnte.14

Die Soziologie interessiert sich also für kollektive Phänomene, die durch handelndes Zusammenwirken von Menschen entstehen. So ganz kommt die Soziologie demnach nicht um das Handeln der Menschen herum. Wichtig für die Soziologie sind dabei die unterschiedlichen Formen und Mechanismen des handelnden Zusammenwirkens. Einige Formen und Mechanismen wollen wir in diesem Buch aus verschiedenartigen theoretischen Perspektiven darstellen. Die Rolle des handelnden Menschen kann in diesen Betrachtungen ganz divergent ausfallen. Im Gegensatz zu Simmel hat insbesondere Max Weber15 das handelnde Zusammenwirken nicht nur auf die Untersuchung gesellschaftlicher Formen begrenzen wollen, sondern eine systematische Verbindung zu einer Analyse des Handelns gezogen. Wenn Weber von Handlung spricht, dann meint er nicht eine »instinktive« Körperbewegung, etwa wenn ich »Aua« schreie, weil ich mir den kleinen Zeh am Tischbein gestoßen habe. Das wäre Verhalten. Handlung ist für Weber immer sinnhaft aufgeladen. Gemeint ist damit jener durchaus berühmt gewordene Sinnbegriff, dessen Abfrage in keiner Soziologieprüfung zu Beginn des Studiums fehlen darf:

»Sinn ist hier entweder a) der tatsächlich α. in einem historisch gegebenen Fall von einem Handelnden oder β. durchschnittlich und annähernd in einer gegebenen Masse von Fällen von den Handelnden oder b) in einem begrifflich konstruierten reinen Typus von dem oder den als Typus gedachten Handelnden subjektiv gemeinte Sinn. Nicht etwa irgendein objektiv ›richtiger‹ oder ein metaphysisch ergründeter ›wahrer‹ Sinn« (Weber 1980: 1).

Auf diesen subjektiv gemeinten Sinn kommen wir noch genauer zu sprechen. Bis hierhin ist subjektiver Sinn das, was Menschen mit ihrem Tun beabsichtigen. Wenn Menschen sich in diesem Sinne sinnhaft verhalten, dann handeln sie. Hier genügt es zunächst zu wissen, dass Weber Handeln auf der einen und soziales Handeln auf der anderen Seite unterscheidet. Seine nicht weniger berühmte Definition zum sozialen Handeln lautet weiter:

»Soziales Handeln […] soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist« (Weber 1980: 1).

Statt die Wechselwirkungen in ihren Ausformungen zu kategorisieren, gibt Weber darüber Auskunft, wie Menschen zusammenwirken, nämlich indem sie jeweils ihren subjektiven Sinn auf das Verhalten anderer Menschen beziehen und sich daran in dem Handlungsablauf orientieren. Wenn ich mich also auf das Verhalten anderer Menschen beziehe und prüfe, inwieweit mir deren Verhalten nützlich ist, dann könnte ich diesen Menschen z. B. auf dem Markt ein Angebot machen, weil ich vermute, dass es sich um potentielle Käufer:innen handeln könnte – dann ist das soziales Handeln. Und dieses soziale Handeln kann sich fortsetzen, wenn die anderen Menschen in der Folge anfangen, mit mir zu feilschen, also ebenfalls ihr Handeln sinnhaft auf mich beziehen und daran orientieren.

Diesem Wie des Zusammenwirkens wollen wir nun weiter auf den Grund gehen. Dabei werden wir sehen, dass die Soziologie zwischen formaleren (wie Simmel) und inhaltlicheren (wie Weber) Darstellungen changiert bzw. darum bemüht ist, die Balance zwischen beiden Betrachtungsweisen zu finden. Es geht uns zunächst darum darzustellen, wie das Handeln mehrerer Menschen mit- und aufeinander wirkt. In einem weiteren Schritt werden wir dann schauen, was als kollektives Ergebnis dabei rauskommt, wenn Menschen handelnd zusammenwirken.

2.1       Konstellationen

Bei Uwe Schimank (2000; vgl. Kron 2010: 17 ff.; Kron/Winter 2009) nimmt das handelnde Zusammenwirken im Rahmen seiner »akteurtheoretischen Soziologie« eine wichtige Scharnierfunktion zwischen individuellem Handeln und sozialen Strukturen ein. Handelndes Zusammenwirken meint weiterhin bei ihm in etwa dasselbe wie bei Weber das soziale Handeln, also eine Art des Miteinander-zu-tun-Bekommens, indem der eine Mensch sich am anderen Menschen (an dessen Verhalten oder Handeln) sinnhaft orientiert. Diese Orientierung am Anderen muss nicht direkt geschehen, die Menschen müssen sich nicht von Angesicht zu Angesicht begegnen und die Handlungen müssen auch nicht direkt aufeinander einwirken. Es genügt, dass Menschen sich gedanklich vergegenwärtigen, dass das (eventuell auch unterlassene) Handeln der anderen Menschen in irgendeiner Weise – sei es störend, sei es unterstützend oder ermöglichend – eine relevante Einflussgröße für das eigene Handeln darstellt. Es genügt z. B., dass ich mir vorstelle, dass andere Autofahrer:innen dieselbe Strecke fahren wollen wie ich, um mich einen anderen Weg nehmen zu lassen. Meine Vorstellung muss objektiv gesehen gar nicht richtig sein. Es genügt die pure Unterstellung eines Einflusses von anderen Menschen. Die Menschen gehen schlicht davon aus, dass das, was sie handelnd umsetzen möchten, von dem Verhalten oder dem Handeln anderer Menschen abhängt. Es liegen dann sog. »Intentionsinterferenzen« (Schimank 2000: 186 ff.) vor: Überlagerungen der eigenen Absichten mit dem Verhalten oder Handeln anderer Menschen. Und diese Intentionsinterferenzen fordern die Menschen zu einer Abarbeitung auf. Die Überlagerungen können zu Problemen werden, mit denen die Menschen umgehen müssen. Genau dies ist es, was Weber als »soziales Handeln« definiert hatte. Menschen machen sich Gedanken, was andere Menschen wohl denken und tun werden – und sie richten ihr eigenes Handeln danach aus. Die Menschen stellen so gesehen gegenseitig füreinander eine besondere Art Umgebung dar: keine ansonsten interessenlose Natur, sondern eine reflexions- und handlungsfähige Umgebung. Eine soziale Umgebung.

Diese soziale Umgebung führt zur Notwendigkeit sozialen Handelns, weil wir viele Bedürfnisse nur mit Strategien erfüllen können, die wir nicht komplett alleine wie im Schlaraffenland kontrollieren, sondern wo wir eben mit anderen Menschen interferieren.

Beispiele für bedürfnisorientiertes soziales Handeln

Wenn ich Hunger habe, als Strategie zur Bedürfniserfüllung ein Brötchen essen möchte und zugleich kein Brötchen habe, dann muss ich in der Bäckerei ein Brötchen kaufen. Die Bäckerei kontrolliert jene Ressource, an der ich ein Interesse habe. Zugleich hat die Bäckerei ein Interesse an anderen Ressourcen und eine Strategie, um an diese Ressourcen zu gelangen, ist der Gelderwerb, weil man mit Geld verschiedenste Ressourcen erwerben kann. Ich habe Geld als Ressource, an der wiederum die Bäckerei ein Interesse hat.

Ein anderes Beispiel für soziales Handeln als Konsequenz von bedürfnisorientierten Intentionsinterferenzen: Ich möchte an einem Fahrstuhl einem entgegenkommenden Menschen ausweichen, weil mir meine körperliche Unversehrtheit wichtig ist. Dieser andere Mensch scheint – aus meiner Sicht – rechts an mir vorbei zu wollen. Also halte ich nach links. Aber was tut er? Er schwenkt auch nach links. Und schon ist es geschehen, die Kollision der Körper droht. Und warum? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil ich nicht alleine unter Kontrolle habe, was das Ergebnis meines Handelns ist. Ob wir aneinander vorbeikommen oder nicht, ist also keine Frage von rechts oder links oder der individuellen Interessen und Möglichkeiten bzw. Bedürfnisse und Strategien alleine, sondern zudem davon abhängig, was der andere Mensch jeweils plant und tatsächlich tut.

Die ›Anderen‹ beim sozialen Handeln können konkrete einzelne und dem Handelnden bekannte Personen, aber auch »unbestimmt Viele und ganz Unbekannte« sein, wie Weber ergänzte. Für das soziale Handeln reicht es auch aus, dass die Menschen nur vorgestellt, reine Phantasieprodukte oder Menschenansammlungen bzw. komplette soziale Gebilde oder Prozesse sind: strafende Götter oder die ›Geschichte‹, das ›Deutsche Volk‹ oder die Fakultät.

2.1.1     Beobachten

Damit sich Menschen wechselseitig derartig in Rechnung stellen können, müssen sie sich zunächst einmal wahrnehmen. Der elementarste Typ einer Konstellation des handelnden Zusammenwirkens ist somit die Beobachtungskonstellation (Schimank 2000: 226 ff.). Menschen beobachten sich – nicht immer, aber oftmals wechselseitig – und passen sich an diese Beobachtung (wiederum manchmal wechselseitig) an. Die Menschen nehmen wahr, dass die mit ihrem Handeln verbundenen Absichten, etwa im Rahmen einer Strategie zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse, von dem Handeln anderer Menschen abhängen.

Beispiel: Markt

Ein Beispiel für diese beobachtete Abhängigkeit sind die Preise am Markt. Diese Preise sind nicht nur Auszeichnungen des Warenwerts, sondern zugleich Symbole für wechselseitige Beobachtungen der Konsument:innen. Denn Preise hängen nicht nur von der Qualität des Produkts und noch nicht mal von dem tatsächlichen Kaufverhalten ab, sondern auch davon, wie wir uns alle wechselseitig in unserem Kaufverhalten wahrnehmen. Preise spiegeln diese wechselseitige Beobachtung wider. In ähnlicher Weise sind die Ergebnisse demokratischer Wahlen nicht ausschließlich eine Frage guter oder schlechter Parteipolitik, sondern ebenfalls die Konsequenz der Beobachtung, welcher Partei andere Wähler:innen ihre Stimme geben. Auch das Flair einer Innenstadt ist nicht nur dem Vorhandensein bestimmter Geschäfte geschuldet, sondern dass wir uns wechselseitig beim Flanieren vor diesen Geschäften beobachten – und beobachten, dass und wie wir uns beobachten.

Die Dynamik innerhalb von Beobachtungskonstellationen erfolgt in der Regel über diese »wechselseitige Anpassungen« (»mutual adjustment«) der Menschen aneinander: Jede:r passt sich an das Handeln der anderen Menschen und an das kollektive Resultat des handelnden Zusammenwirkens an. Ein typisches Beispiel ist hierfür die Mode (vgl. Simmel 1995).

Beispiel: Mode

Eine Mode entsteht u. a. dadurch, dass die Menschen sich wechselseitig darauf ›abchecken‹, was an Kleidungsstücken zu tragen besonders positiv bewertet wird. Im Laufe der Zeit können sich dann durch pures wechselseitiges Anpassen beim Beobachten bestimmte »Attraktoren« herausbilden, solche Punkte, auf die sich die Menschen in ihrer Handlungswahl fokussieren. Mal also enge Hosen, dann wieder Hosen ›mit Schlag‹ oder eine bestimmte Farbgebung der Kleidung.

Schon in der Mode wird offensichtlich, dass Beobachtungskonstellationen normalerweise dynamisch sind und nicht über die Zeit gleichbleiben. Veränderungen werden vor allem durch »Abweichungsverstärkungen« (Schimank 2000: 235 ff.) bewirkt. Das bedeutet, ein Impuls, der nicht der aktuellen Dynamik der Beobachtungskonstellation entspricht, wird noch gesteigert und rückgekoppelt.

Beispiel: Mode

In der Mode etwa mögen dunkle Farben der aktuellen Mode entsprechen. Plötzlich werden helle Farbtöne ins Spiel gebracht und von einigen Menschen (oftmals Influencer:innen oder andere Prominente) bevorzugt, z. B. weil die Abweichung vom gewöhnlichen Kleidungsstil die eigene Individualität betont. Die Massenmedien und Social Media geben ein entsprechendes Feedback und spiegeln den neuen Kleidungsstil mit einer Bewertung an alle Menschen zurück. Eine positive Bewertung bedeutet dann zugleich eine positive Rückkopplung, an die dann wiederum alle die Mode beobachtenden Menschen anschließen können. Der ursprüngliche Impuls kann derart verstärkt werden, dass irgendwann alle Menschen sich in hellen Farbtönen kleiden, bis dies ›normal‹ geworden ist (siehe Durkheim 1995). Dann können neue Abweichungsverstärkungen wirken.

Solche Abweichungsverstärkungen sorgen dafür, dass die Dinge sich über die Zeit ändern, wie etwa an der Sprache deutlich wird, wenn einige Begriffe – z. B. ›geil‹ oder ›fett‹ – erst in einigen Milieus benutzt werden und sich dann von da aus in weitere Gruppen ausbreiten und von immer mehr Menschen verwendet werden, die von der ursprünglichen Bedeutung der Worte abweichen.

Es kommt manchmal der Punkt, an dem eine Abweichungsverstärkung einen Schwellenwert erreicht und sich recht lange stabil hält. Am Beispiel der Sprache kann man sehen, dass bestimmte Worte irgendwann Allgemeingut sind, in den Duden aufgenommen werden und sich dann auch sehr lange nicht mehr ändern. Es hat dann ein »Lock-in« stattgefunden. Abweichungen können demnach als alternative Pfade, als Abgabelungen eines eingeschlagenen Weges verstanden werden. Betritt man einen solchen Pfad, können damit Abhängigkeiten einhergehen, die vorher so nicht absehbar gewesen und manchmal kaum mehr umkehrbar sind: Ohne dass dies logisch zwingend wäre, geschieht ein »Lock-in«, etwa wenn die Partygäste das einmal gemeinsam gefundene Thema nicht mehr verlassen können. Der Grund für die an sich unwahrscheinliche Stabilität liegt darin, dass nicht nur Abweichungsverstärkungen, sondern zugleich auch Abweichungsdämpfungen wirksam sein können. Abweichungsdämpfungen (Schimank 2000: 235 ff.) bewahren die Menschen davor, von dem bestehenden Zustand abzuweichen. Wer z. B. in einer Rockergruppe von der Norm, eine bestimmte Kutte zu tragen, abweichen möchte, der/die muss sich wohl auf Abweichungsdämpfungen etwa in Form von Sanktionen einstellen. Auch Gesetze, informelle Regeln, soziale Kontrollen usw. haben normalerweise die Funktion der Abweichungsdämpfung, das heißt, sie sorgen für Stabilität. Sie haben allgemeine Abschreckungswirkung selbst für diejenigen, die noch nicht als abweichend auffällig geworden sind und es auch nicht werden, wenn sie sich abschrecken lassen. Wie für Beobachtungskonstellationen allgemein, gilt auch für Abweichungsdämpfungen normalerweise die antizipierte Reaktion der anderen Menschen auf die ins Auge gefasste Abweichung, um von der Umsetzung der Handlung dann doch lieber abzusehen. Rocker können angeblich hart zuschlagen.

2.1.2     Beeinflussen

Sobald die Menschen versuchen, gegebene Beobachtungskonstellationen zu nutzen, um absichtlich auf das Handeln beobachteter Menschen einzuwirken, handelt es sich um eine Beeinflussungskonstellation. Auf Grundlage der Beobachtung wird versucht, die Handlungsmöglichkeiten des bzw. der anderen Menschen zu beeinflussen, sei es bspw. durch Androhung von Schlägen, durch Überzeugungskraft guter Argumente oder durch Anreize wie Geld oder Lob. Das Ziel der Beeinflussung liegt darin, andere Menschen zu einem bestimmten, innerhalb einer gewissen Bandbreite von Möglichkeiten liegenden Handeln zu bewegen, das einem selbst nützlich ist.

Beispiele: Kinder und Eltern

Wenn Kinder z. B. das Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme haben, dann können sie versuchen, ihre Eltern so zu beeinflussen, dass diese etwas Leckeres kochen. Dies muss nicht auf eine Einschränkung der Handlungsoptionen des anderen Menschen hinauslaufen, sondern kann im Gegenteil auch deren Handlungsausweitung beinhalten. Dies geschieht z. B. dann, wenn Kinder das elterliche Bedürfnis nach Anerkennung strategisch nutzen, um diese zum Kochen zu bewegen (»Du kochst immer sooo lecker, Papa!«). Auch Erziehung hat in der Regel das Ziel, den Kindern zu mehr Handlungsautonomie und Handlungswirksamkeit verhelfen zu wollen, indem die Eltern sich mittels Beeinflussungen der Kinder darum bemühen, z. B. deren Selbstbewusstsein zu stärken. Therapien, Coachings etc. zielen in dieselbe Richtung der Erweiterung des Handlungsspielraums durch Beeinflussung.

Die wichtigsten Mittel, um auf andere Menschen Einfluss auszuüben, sind Geld, Gewalt, moralische Appelle, Macht (in anderer Form auch Sympathie, Charisma, Lob usw.), Selbstbindungen und soziales Kapital (›Vitamin B‹). Ganz allgemein wird man diese Mittel als Sanktionen einsetzen, also belohnen oder bestrafen. Diese Sanktionen wirken über verschiedene ›Kanäle‹, indem man sie den anderen Menschen von außen aufzwingt (Macht, Geld) oder diese Mittel so einsetzt, dass die Belohnung oder Bestrafung intrinsisch wirken, z. B. indem er oder sie sich durch Argumente überzeugen lässt oder aufgrund moralischer Appelle ein schlechtes Gewissen bekommt (siehe Parsons 1980: 147) ( Abb. 1).

Abb. 1: Beeinflussungsmedien

Diese Beeinflussungsmittel setzen an der genannten Sinnhaftigkeit des Handelns an, um auf diese Weise den Einfluss handlungswirksam zu machen. So kann man im mehr oder weniger expliziten Wissen um den Sinn der Handlungen Einfluss auf andere Menschen ausüben, indem man z. B. deren Bedürfnisse und Strategien zur Bedürfniserfüllung in das eigene Beeinflussungskalkül einrechnet.

Beispiele: Kinder und Eltern

Wenn ich weiß, dass mein Kind den leckeren Schokoladenpudding als Nachtisch essen möchte, weil es noch Hunger hat, dann kann ich dies nutzen und diesen leckeren Nachtisch als Belohnung für ein aufgeräumtes Kinderzimmer in Aussicht stellen. Ansonsten gäbe es ja auch noch gesundes Gemüse gegen den Hunger. Ich könnte das Kind für das Zimmeraufräumen natürlich auch extra bezahlen oder mit einer WLAN-Sperre drohen, falls das nicht passiert. Eventuell ist Ordnung als wichtiger Wert in dieser Familie auch schon von allen Familienmitgliedern derart verinnerlicht, dass der Hinweis auf ein mögliches schlechtes Gewissen genügt, um zum Aufräumen zu bewegen. Und selbst ein hochgradig egoistisches Kind mag man beeinflussen durch die Erinnerung daran, dass das Aufräumen des Zimmers einen nützlichen Vorteil auch für das Kind darstellt. Denn wenn die Eltern nicht zusätzlich dessen Zimmer aufräumen müssen, haben sie die notwendige Zeit, um Schokoladenpudding zu kochen.

Wichtig ist zum einen, dass die Wahl der Beeinflussungsmittel dem Sinn des Handelns der anderen Menschen, die beeinflusst werden sollen, entsprechen bzw. mindestens nicht widersprechen. Denn wer Liebe einsetzt und einen nur am Geld interessierten Menschen vor sich hat, kann das Beeinflussungsziel leicht genauso verfehlen, wie jemand, der/die an Solidarität appelliert, obwohl der andere Mensch im Feindschaftsmodus ist. Bei einem Entscheider brauche ich nicht an dessen schlechtes Gewissen zu appellieren und von einer Herrscherin brauche ich keine Unterwürfigkeit zu erwarten. Zudem müssen die Einflusspotentiale in Beeinflussungskonstellationen nicht gleich verteilt sein. Die Asymmetrie von Einflussmöglichkeiten dürfte sogar der Normalfall sein, weil entweder die gesellschaftlichen Strukturen keine Gleichheit zulassen, wie dies z. B. in hierarchisch strukturierten Organisationen der Fall ist, oder die Menschen verfügen schlicht nicht über die gleichen Kapitalien, das heißt, nicht über die gleiche Menge an Geld, Freund:innen, Bildung usw. (bzw. die Qualität der Ressourcen unterscheiden sich). Zudem macht die Dynamik von Beeinflussungen aus, dass diese auf die Konstellation selbst zurückwirken kann, wodurch sich die Beeinflussungschancen zugunsten oder -ungunsten eines Menschen oder einer Gruppe verschieben können. Wenn aus der Mitarbeiterin eine Vorstandsvorsitzende wird, verändert dies nachhaltig ihr Einflusspotential auf ihre vorherigen Vorgesetzten. Aus den mehr oder minder zufälligen wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Menschen können also immer Chancen der Beeinflussung erwachsen. Gerade die Asymmetrien in den Einflussmöglichkeiten treiben oftmals die Interaktionen an, z. B. in einer Mutter-Kind-Beziehung, in der die Mutter scheinbar zunächst mehr Macht und mehr Möglichkeiten hat als das Kind, das Kind aber auf die Selbstansprüche der Mutter zurückwirkt, bspw. auf den von der Mutter an sich selbst gerichtete Anspruch, stets die Hauptverantwortliche für die Betreuung des Kindes zu sein. In ähnlicher Weise drückt die starke formale Macht von Vorgesetzten gegenüber den Angestellten nicht alles an Macht aus, die in dieser Beziehung ausgeübt wird, weil ein erhebliches Beeinflussungspotential ebenfalls bei den Angestellten liegt, die z. B. mit ›Dienst nach Vorschrift‹ drohen können.

Die Dynamiken von Beeinflussungskonstellationen können sehr komplex werden. Und je nach neu entstandener Situation kann anderer Handlungssinn, können andere Bedürfnisse und Strategien wirksam werden. Schon zwischen zwei Menschen können Mehrfach-Überlagerungen vorherrschen. Das heißt, es bestehen zugleich z. B. Interessen an verschiedenen Dingen, die erst einmal nichts miteinander zu tun haben, außer dass sie bei diesen beiden Menschen zugleich vorkommen.

Beispiele: Partnerschaft

Ich mag vielleicht zur Entspannung gern in Ruhe puzzeln, wozu ich meine Partner:in als Unterstützung benötige, weil ich nicht gut puzzeln kann. Mein:e Partner:in mag gerne laut Heavy Metal hören und findet meine Schallplattensammlung dazu sehr geeignet. Als Paar müssen wir dann ruhiges, gemeinsames Puzzeln und das laute Abspielen meiner Schallplatten miteinander abstimmen.

Je mehr Menschen in einem Kontext involviert sind, desto mehr solcher Mehrfach-Überlagerungen können entstehen. Zweckbündnisse, Seilschaften und andere Zuordnungen sowie das Auftauchen ganz besonderer Einfluss-Konstellationen (inklusive Herrscher:innen, Schlichter:innen, Publikum usw.) formen die Beeinflussungskonstellationen zusätzlich, was wiederum das handelnde Zusammenwirken noch unübersichtlicher macht.

Bislang haben wir mit den akteurtheoretischen Überlegungen von Uwe Schimank zwei generelle Arten des handelnden Zusammenwirkens präsentieren können: Beobachtungs- und Beeinflussungskonstellationen. Zusammenwirken wird bereits durch das gegenseitig unterstellte Beobachten anderer Menschen hervorgebracht. Wir haben dies am Beispiel der Mode beschrieben. Zudem haben wir gezeigt, dass die gegenseitige Beeinflussung durch entsprechende Mittel (bspw. Geld, Macht oder Liebe) eine weitere Form des Zusammenwirkens darstellt. Aus diesem Grund stellen wir nun jene spezifische Betrachtungsweise des handelnden Zusammenwirkens dar, die an diese Überlegungen anknüpft und mit deren Hilfe aufgrund einfacher Annahmen sehr klare Schlussfolgerungen zu ziehen möglich ist: die sog. Spieltheorie.

Spieltheorie

Die Spieltheorie ist eine Methode, die unterstellt, dass beim Spielen das Ergebnis nicht davon abhängt, was ein:e Spieler:in alleine tut. Sondern beide Spieler:innen handeln, meistens mit einem Blick auf die Handlungen des Gegenübers, und beide orientieren sich daran simultan genauso wie an dem Verlauf des Spiels. Das, was am Ende insgesamt dabei herauskommt, ist abhängig von der wechselseitigen Orientierung der Spieler:innen aneinander. Dies macht die Spannung von Spielen aus. Und wie bei den meisten Gesellschaftsspielen auch, versuchen die Spieler:innen, das Beste für sich selbst rauszuholen. Hierfür muss man schlauer sein als die anderen Spieler:innen.

Spiele benötigen Regeln, die vorschreiben, was an Handlungen erlaubt und was verboten ist. Diese Regeln geben zudem vor, über welche Informationen die Spieler:innen verfügen dürfen. Liegt das alles fest und das Spiel geht los, dann interessiert vor allem, mit welchen Strategien die einzelnen Spieler:innen vorgehen und was das dann im Gesamtergebnis bewirkt. Als Strategie wird in der Spieltheorie der vollständige Plan verstanden, wie sich jede:r Spieler:in in den möglichen Spielsituationen verhalten wird. Nehmen wir ein berühmtes Beispiel.

Beispiel: »Denn sie wissen nicht, was sie tun«

In dem Film »Rebel Without a Cause« (dt. »Denn sie wissen nicht, was sie tun«) spielt James Dean einen um Liebe und Anerkennung ringenden Rebellen. Unter anderem nimmt er an einer Mutprobe teil, dem sog. »Chicken Game«. Dabei tritt er gegen seinen Widersacher Buzz an. Beide rasen mit gestohlenen Autos auf eine Klippe zu. Wer zuerst vor der Klippe ausweicht, ist der Feigling; wer zuletzt ausweicht, ist der Gewinner. In dem Film springt Jim (gespielt von James Dean) kurz vor der Klippe aus seinem Auto, während Buzz an dem Türgriff hängen bleibt und zu Tode in die Tiefe stürzt.

Die spieltheoretische Modellierung dieses »Chicken Games« geht davon aus, dass beide Spieler:innen zwei Handlungsoptionen haben: Ausweichen oder Weiterfahren. Was Spieler:in 1 tut, ist abhängig davon, was Spieler:in 2 tut und umgekehrt. Denn wenn z. B. Spieler:in 1 sehr früh ausweicht, dann hat Spieler:in 2 gewonnen und kann risikolos den Sieg wortwörtlich einfahren. Da dies simultan für beide Spieler:innen gilt und beide gewinnen wollen, gilt für die Option des Ausweichens, dass diese so spät wie möglich umgesetzt werden muss. Auch dies gilt allerdings für beide Spieler:innen. Daraus nimmt das Spiel seinen Reiz: Es gewinnt jene:r Spieler:in, der/die weiterfährt, während der/die andere ausweicht. Weichen beide zugleich aus, hat niemand gewonnen. Zugleich ist der Schaden gering, weil auch niemand verloren hat. Fahren beide weiter, stürzen beide die Klippe hinunter und es gibt nicht nur keine:n Sieger:in, sondern auch noch den größtmöglichen Schaden für beide.

Üblicherweise wird diese Situation in eine Matrix übertragen. Darin wird für jedes Ergebnis eine fiktive »Auszahlung« eingetragen. Der größte Nutzen wird hier mit einer Auszahlung von 6 gerechnet. Wenn das Gegenüber zugleich ausweicht, bedeutet dies eine Auszahlung von 2 (man hat verloren, aber überlebt). Weichen beide zugleich aus, haben beide überlebt und sind zugleich keine Verlierer:innen, das Spiel hat quasi unentschieden geendet. Allerdings hat auch niemand gewonnen, weshalb beide Spieler:innen eine Auszahlung von 4 erhalten. Die niedrigste Auszahlung von 0 erhalten beide, wenn sie beide weiterfahren und niemand ausweicht, weil dann beide sterben und zugleich niemand gewinnt ( Abb. 2).

Abb. 2: Chicken Game

Wir erkennen deutlich: Das Gesamtergebnis ist abhängig von dem Zusammenwirken beider Handlungen. Vor dem Hintergrund des Ziels beider Beteiligten (in dem Chicken Game ist es wohl das Bedürfnis nach Anerkennung, denn in dem Film wollen beide Männer einer Frau imponieren) könnte man nun überlegen, welche Strategien aus der Sicht der einzelnen Spieler:innen die beste ist. Doch dieser konkrete Inhalt soll uns hier nicht weiter beschäftigen. Wichtig ist uns ja die Antwort auf die Frage, wie Handlungen zusammenwirken. Wir halten fest: Handeln wirkt zusammen, indem die beteiligten Menschen sich an anderen Menschen in ihrem Handeln orientieren, das jeweils darauf ausgerichtet ist, den individuell höchsten Nutzen zu erlangen. Allerdings können Sie sich merken, dass damit noch nicht klar ist, was die Beteiligten konkret tun sollten.

In ähnlicher Weise kann auch das kollektive Ergebnis der Einhaltung oder Nicht-Einhaltung von Regeln als ein Spiel modelliert werden. Hierzu können wir z. B. das sog. »Absicherungsspiel« verwenden, das mit der Parabel der Hirschjagd verdeutlicht wird, die auf Jean-Jacques Rousseau zurückgeht.

Beispiel: Hirschjagd

Zwei Jäger:innen gehen auf die Jagd. Jede:r der beiden konnte bislang alleine ausschließlich Hasen erlegen. Nun versuchen sie sich abzusprechen und vereinbaren, gemeinsam einen Hirschen zu erlegen, der für beide wertvoller ist als ein Hase. Während der Jagd läuft jedem:r der beiden Jäger:innen genau in dem Augenblick ein Hase über den Weg, als sich für beide auch ein Hirsch in unmittelbarer Nähe zeigt. Nun muss entschieden werden, den Hasen zu erlegen oder den Hirsch zu töten. Tötet man den Hasen, ist die Gelegenheit für das gemeinsame Erlegen eines Hirschs vergeben. Den Hasen zu erlegen, ist für jede:n der beiden Jäger:innen eine ziemlich sichere Angelegenheit. Zugleich müssen beide die Handlung des Gegenübers einbeziehen. Befindet sich der/die andere Jäger:in in dergleichen Situation, dann besteht die Gefahr, dass er/sie den Hasen erlegt und man selbst einen Verlust erleidet, weil man weder Hasen noch anteilig einen Hirschen erhält. Die Auszahlungsmatrix könnte also wie folgt aussehen, wenn wir unterstellen, dass beide Jäger:innen zusammen sicher den Hirschen und jede:r für sich ebenfalls sicher einen Hasen erlegen würden ( Abb. 3).

Abb. 3: Assurance Game

Interaktionsstrategien

Auch Fritz W. Scharpf16 hat in seiner Darlegung der »Interaktionsformen« (2000) gezeigt, wie nützlich die spieltheoretische Methode zur Analyse des (bei ihm insbesondere: politischen) handelnden Zusammenwirkens ist. Zunächst betont Scharpf, dass die spieltheoretische Annahme von Menschen, die immer nur an dem eigenen höchsten Nutzen interessiert sind, das eine Ende des sozialwissenschaftlichen Spektrums der Handlungsmodellierung darstellt. Dem stehen am anderen Ende jene Ansätze gegenüber, die betonen, dass die Welt zu komplex ist, als dass rein auf den eigenen Nutzen konzentrierte Menschen gesellschaftliche Ordnungen schaffen könnten. Scharpf verfolgt deshalb den Ansatz des sog. »akteurzentrierten Institutionalismus«, um verschiedene Orientierungen zusammenzuführen. Er berücksichtigt bspw., dass manche Menschen tatsächlich ihren eigenen Nutzen maximieren (und etwa so viel Geld wie möglich besitzen) wollen, andere Menschen sich aber vor allem daran orientieren, was moralisch gut ist. Dies mag nicht mal zum eigenen Vorteil gereichen, wenn man z. B. nachts vor einer roten Ampel anhält, anstatt diese zu ignorieren und deshalb später nach Hause kommt.

Akteurzentrierter Institutionalismus

Der grundlegende Erklärungsansatz des akteurzentrierten Institutionalismus sieht vor, dass es Probleme in der Welt gibt, die Akteure – Scharpf unterscheidet individuelle (Menschen), aggregierte (z. B. Gruppen) und korporative Akteure (z. B. Parteien) – mit bestimmten Handlungsorientierungen, Präferenzen und Kompetenzen abarbeiten müssen. Hierbei geraten sie in ganz bestimmte Konstellationen hinein. Das heißt, die Art der Konstellation beschreibt das Zusammentreffen der unterschiedlichen Strategien, die die Menschen, Organisationen oder Gruppen verfolgen. Es geht ihm um Strategiekonstellationen, die wie in der Spieltheorie zumeist nicht-kooperativ, aber auch kooperativ oder ganz anders (etwa hierarchisch oder auf Abstimmung) ausgerichtet sein können.

Es gibt demnach zwei andere Betonungen in der Modellierung des handelnden Zusammenwirkens, die die vorherigen Überlegungen sehr gut ergänzen: Dadurch, dass die Konstellationen noch mehr in den Mittelpunkt rücken, steht erstens weniger der jeweils individuelle Sinn des Handelns als vielmehr die individuellen Strategien im Vordergrund. Es geht also weniger darum, was der/die Einzelne beabsichtigt – es geht weniger um das Handeln – als darum, wie er/sie das eigene Handeln unter Berücksichtigung des Handelns der anderen Akteure strategisch ausrichtet. Es geht mehr um das soziale Handeln. Und zweitens betrachtet Scharpf in seinen Strategieanalysen nicht ausschließlich die Orientierungen der Akteure an dem Verhalten oder Handeln der anderen Akteure, sondern berücksichtigt insbesondere die Orientierung der Akteure an der Interaktion an sich, wie wir gleich noch zeigen werden.

Wichtig ist, dass auf diese Weise konkrete reale Situationen mit einem hohen Abstraktionsniveau abgebildet und verschiedene Konstellationen miteinander verglichen werden können. Diese Konstellationen laufen in typischen Prozessen ab, die sich als Interaktionsformen ausgestalten. Wie Georg Simmel geht es Scharpf also um die Darlegung bestimmter Formen von Wechselwirkungen. Insbesondere einseitiges Handeln, Verhandeln, Mehrheitsentscheidungen und hierarchische Steuerung werden von Scharpf als derartige Formen hervorgehoben. Die Handlungen der Akteure, ihr handelndes Zusammenwirken in Konstellationen sowie die Formierung in bestimmten Interaktionen finden dabei immer innerhalb eines institutionellen Kontextes statt, etwa in Verbänden oder innerhalb von Organisationen. Aus den Interaktionsformen folgen sodann kollektive Ergebnisse, z. B. politische Entscheidungen, die als neue Umwelt wiederum Probleme beinhalten oder aufwerfen, die wieder abgearbeitet werden müssen usw. usf.

Für unseren Zusammenhang ist die genannte Ergänzung wichtig, dass Menschen sich auch an der Interaktion selbst orientieren können. Das bedeutet, ihr Handeln ist wesentlich dadurch mitgeprägt, mit welcher Einstellung gegenüber der Interaktion (und nicht ausschließlich gegenüber dem Handeln bzw. Verhalten anderer Menschen) sie ihr Handeln ausrichten. Scharpf (2006: 152 ff.) unterscheidet fünf Interaktionsorientierungen:

•  Individualismus als Interaktionsorientierung beschreibt die Regel der individuellen Nutzenmaximierung wie in der Spieltheorie.

•  Solidarität hingegen meint die uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft mit anderen Menschen. Vorteile werden für beide gleichermaßen als solche bewertet, etwa wenn in einer ehelichen Beziehung eine:r der beiden Beteiligten einen beruflichen Erfolg zu verzeichnen hat. Das bedeutet auch, dass jede:r Nachteile hinnehmen wird, solange dies durch die Vorteile des/der Anderen ausgeglichen wird, etwa wenn er wegen des neugeborenen Kindes weniger arbeitet, was monetär durch ihren Karrieresprung ausgeglichen werden kann.

•  Im Wettbewerb hingegen hat der eigene Sieg höchste Priorität bzw. treibt der Neid, dass der/die Andere gewinnen könnte, die Menschen an. Dies gilt etwa im sportlichen Wettbewerb, aber auch z. B. im Wettbewerb um Lebensparter:innen. Der Gewinn des Anderen ist zugleich mein Verlust und dessen Verlust möglicherweise mein Gewinn.

•  Im Gegensatz dazu steht die Regel des Altruismus, bei dem der Gewinn des/der anderen Menschen auch meinen Gewinn darstellt, etwa in der ärztlichen oder pflegerischen Praxis. Rettet ein Notarzt ein Leben, ist es zugleich ein Gewinn für den Patienten und den Notarzt selbst.

•  Zu guter Letzt kann Feindschaft die Akteure in der Interaktion orientieren. Der Verlust des anderen Menschen ist dann mein ganzer Gewinn – die eigenen Erträge oder Verluste sind irrelevant.

Diese fünf Orientierungen führen die Interaktion tendenziell in bestimmte Richtungen, was das Gesamtergebnis des handelnden Zusammenwirkens betrifft. Wenn