Spätzletango - Kevin Leonard Butler - E-Book

Spätzletango E-Book

Kevin Leonard Butler

0,0

Beschreibung

Cosy Crime aus dem Ländle. Der kleine Ort Goldthal auf der Schwäbischen Alb steht kopf: Eine Ausgrabungsstätte spaltet die Dorfgemeinschaft. Als der leitende Archäologe tot aufgefunden wird und keine Geringere als die Bürgermeisterin unter Mordverdacht gerät, will die krimibegeisterte Bibliothekarin Dora Fuchs unter den wild gewordenen Dörflern für Ruhe sorgen – und den Fall aufklären. Der örtlichen Polizei sind Doras Ambitionen allerdings ein Dorn im Auge, und sie bekommt mehr Steine in den Weg gelegt, als ihr lieb ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 281

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Geboren als ein Kind der 1980er, wuchs Kevin Leonard Butler in einer kleinen Gemeinde am Fuße der Schwäbischen Alb auf. Nach Jahren als Buchhüter in einer Bibliothek zog es ihn aus dem Ländle an den Rhein. Trotz der Ferne zu seiner Heimat schlägt sein Herz immer noch für Spätzle mit Linsen und Hefezopf. Aktuell lebt er mit seinen beiden Katern in Niedersachsen.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2021 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Roy Bishop/Arcangel.com

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Christiane Geldmacher, textsyndikat.de, Bremberg

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-802-3

Originalausgabe

Unser Newsletter informiert Sie

regelmäßig über Neues von emons:

Kostenlos bestellen unter

Für Mama – danke für alles

Prolog

»Hier haben Sie sich also versteckt.« Er hatte die Tür hinter sich fest verschlossen und lehnte sich dagegen. Seine Augen beobachteten sein Gegenüber, wie sie hinter ihrem Schreibtisch saß, sich hinter einem großen Papierberg verbarg und es vermied, ihn anzublicken. Er wusste nicht, warum, jedoch hatte ihre Abneigung ihm gegenüber etwas Erregendes.

»Ich verstecke mich nicht, ich arbeite. Ein Fremdwort für Sie, ich weiß.«

Er lachte freudlos auf. »Herrlich, so stutenbissig wie eh und je. Ich finde, Sie sollten etwas netter zu mir sein.«

Sie gab ein Stöhnen von sich und legte ihren Stift zur Seite. »Was wollen Sie?«

Er hatte sich von der Tür abgestoßen und schlenderte gemütlich zu ihr. Die Wände des Büros waren mit Bildern ihrer letzten Reisen behängt, die Regale überfüllt mit Büchern, und der Besprechungstisch war mit Unterlagen und Akten vollgemüllt.

»Das wissen Sie genau. Ihre Stelle natürlich.«

Sie begann ausgelassen zu lachen, als hätte sie noch nie so einen guten Witz erzählt bekommen. »Sie haben wohl den Verstand verloren? Wenn sonst nichts mehr ist, Sie wissen ja, wo der Ausgang ist.« Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, nahm sie ihre Arbeit wieder auf.

Mit voller Wucht knallte er seine Faust auf die Schreibtischplatte. »Ohren auf, Sie geben mir Ihre Stelle, und zwar freiwillig. Verstehen wir uns?«

Sie zeigte nicht die gewünschte Reaktion, blieb still sitzen und zog nur spöttisch eine Augenbraue hoch. »Ach ja, und warum sollte ich so etwas Verrücktes tun?«

Diese Irre saß hier auf ihrem hohen Ross und hielt sich für die Königin der Welt. Traurig, was zu viel Alkohol aus manchen Menschen machen konnte.

Er setzte ein Lächeln auf, nahm auf dem Stuhl vor ihr Platz und kostete den Moment gründlich aus. »Ich weiß Dinge. Dinge, die Sie Ihre Karriere und Freiheit kosten werden.«

»Sie schaffen es nicht einmal, von der Wand bis zur Tapete zu denken. Sie entschuldigen mich, es gibt Menschen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Nicht dass Sie davon eine Ahnung hätten.« Sie griff nach ihren Unterlagen und schrieb darin herum.

»Wie wäre es damit, dass ich weiß, wie Ihr Vorgänger ums Leben kam. Reicht das aus?«

Sie blickte auf und fügte in genervtem Tonfall hinzu: »Und warum erzählen Sie mir davon? Es war ein schrecklicher Unfall, das wissen Sie so gut wie ich.«

»Wie man so schön sagt: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht … Sie sind ein karrieregeiles Luder, und deshalb wurde er umgebracht. Und ich habe Beweise dafür.«

Das schummrige Licht der Schreibtischlampe warf längliche Schatten auf ihr Gesicht, und er konnte sehen, wie sie die Zähne fest aufeinanderpresste. Ein lautes Knacken war zu hören, als der Stift in ihren Fingern zerbrach. »Du mieses Arschloch!«

»Die roten Flecken in Ihrem Gesicht stehen Ihnen nicht. Die kommen vom Stress, nicht wahr? Wir machen es so: Sie bekommen von mir einen Tag Bedenkzeit. Entweder Sie übertragen mir Ihren Posten oder –«

»Oder was? Sie sind wirklich verrückt, wenn Sie glauben –«

»… meine Beweise und ich sind schneller bei der Polizei, als Sie dreimal hintereinander ›gelbe Ente‹ sagen können.« Er erhob sich aus seinem Stuhl und lief mit einem triumphierenden Gefühl in der Brust zur Tür zurück. Ab nächster Woche würde er einen der wichtigsten Posten hier haben und war diese blöde Kuh los. Gab es etwas Besseres?

»Das werden Sie mir büßen!«

De beschde Hendl senn zu nix nuddz

Wenn das da vorne nicht bald schneller ginge, würde ich gleich zur Mörderin werden. Auf diesem Gebiet kannte ich mich gut genug aus.

Als Gott damals dabei war, die Geduld zu verteilen, saß ich bereits im Auto vor einer roten Ampel und hupte. Und da saß ich immer noch. Ich trommelte mit meinen Fingern auf dem Lenkrad herum und warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Ich war schon fünfzehn Minuten zu spät dran. Wieder einmal. Aber es konnte sich hier ja nur noch um Stunden handeln.

Oma Schmittchen, wie jeder im Ort sie nannte, zählte mit ihren hunderteins Jahren zum Urgestein von Goldthal und hatte sich diesen winterlichen Tag für ihren Ausflug ausgesucht. Aber musste sie ausgerechnet jetzt ihren morgendlichen Spaziergang absolvieren? Vor mir? Die Straßen und Gehwege waren voller Schnee und rutschig. Kaum hatte sie mit ihrer Gehhilfe den Zebrastreifen bewältigt, drückte ich aufs Gas und rauschte an ihr vorbei. Wir hatten schließlich nicht alle unendlich viel Zeit.

Während ich weiterfuhr, konnte ich nicht abstreiten, wie hübsch sich Goldthal herausgeputzt hatte. Es war eine Woche vor Weihnachten, und die Straßen waren mit Lichterketten und Kränzen geschmückt. Selbst auf dem Marktplatz hatte man einen riesigen Weihnachtsbaum mit einer Krippe aufgestellt.

Mein Stoßgebet war erhört worden, und die Engel hatten mir in der Nähe des Rathauses eine freie Parklücke beschert. Ich schnappte mir meine Tasche, knallte die Autotür hinter mir zu und lief zum Rathaus – was gar nicht so einfach war mit meinen Stiefeln, die auf der rutschigen Straßenoberfläche nicht besonders viel Halt garantierten.

Dr. Catia Behringer, Bürgermeisterin von Goldthal und meine Vorgesetzte, hatte mich für heute Morgen zu sich ins Rathaus zitiert, und der Tonlage ihrer Stimme war zu entnehmen, dass sie wohl keine sonderlich gute Laune zu haben schien. Wenn Behringer in ihrem früheren Leben nicht eine Rachegöttin gewesen war, wusste ich auch nicht.

Während ich also auf dem rutschigen Gehweg zu meinem Termin hetzte, warf ich immer wieder besorgte Blicke zu den spielenden Kindern in der Nähe, die kreischend eine Schneeballschlacht eröffnet hatten, wild um sich schossen und aus vollem Hals lachten. Hier wirkte zurzeit alles sehr besinnlich und lustig wie in einem Astrid-Lindgren-Film. Zu besinnlich und lustig für meinen Geschmack. Und die Vergangenheit hatte gezeigt, dass ein ruhiges Goldthal ein verdächtiges Goldthal war.

Das Rathaus befand sich im alten Schloss von Goldthal. Als ich die schwere Tür zur Eingangshalle öffnete, wurde ich von diesem vertrauten Duft nach Holz und abgestandener Luft empfangen. Und überall diese abstrakten Bilder, die aussahen, als wären sie von Kindergartenkindern entworfen worden. Ganz und gar nicht nach meinem Geschmack.

Ich eilte rechts die Treppen in den Verwaltungsflur hinauf und vernahm aufgebrachte Stimmen, die von den Wänden widerhallten. Als ich schwer atmend im dritten Stock angekommen war, konnte ich die Quelle dieses Lärms ausmachen und tat das, was Menschen eben so taten – ich blieb stehen und glotzte. Und ich war in bester Gesellschaft, das halbe Rathaus schien sich hier versammelt zu haben, um die dargebotene Show nicht zu verpassen.

Catia Behringer stand auf einem Treppenabsatz, und der wütende Gesichtsausdruck bestätigte meinen Verdacht, dass sie keine gute Laune hatte. Sie wedelte wild mit einer Mappe hin und her und brüllte einen Mann an. Es war dieser Archäologe, Matthias Kleinwächter, der seit einiger Zeit sein Unwesen in Goldthal trieb. Und er schien mutig zu sein, anders konnte ich mir sein Brüllen nicht erklären.

»Schalten Sie doch endlich mal Ihr Gehirn ein, dafür werden Sie schließlich bezahlt, oder haben Sie Ihren Doktortitel beim Lotto gewonnen?«

Behringers Nasenflügel bebten immer schneller, und ich wollte nicht in Kleinwächters Haut stecken. Aber schön, dass er ihren Puls weiter in die Höhe trieb und ich gleich meinen Termin bei ihr hatte. Ich sollte ihm eine Dankeskarte schicken, getarnt als Drohbrief. Was fiel diesem Typen eigentlich ein?

»Sie sollten es endlich gut sein lassen, oder Sie werden es noch bereuen, das schwöre ich.«

Ups, da hatte Kleinwächter wohl richtig ins Wespennest gestochen. Behringer schien sich ihres Publikums zum ersten Mal wirklich bewusst zu werden, und ihre Augen huschten hektisch durch die Reihen ihrer Mitarbeiter. Als ihr Blick an mir haften blieb, wurden sie zu Schlitzen.

»Fuchs, Sie sind die Nächste, ab in mein Büro!«

Hier saß ich also, wie das Opfer kurz vor seiner Hinrichtung.

Behringers Büro wurde von den schweren Holzmöbeln und dem dunklen Boden erdrückt und verstärkte das beklemmende Gefühl in mir nur noch mehr. Das Schrägste waren jedoch die vielen Bilder, die Behringer von sich selbst aufgestellt hatte. Fotografierte man nicht die Sehenswürdigkeiten, wohin man reiste, oder hielt sich Behringer etwa selbst für die Attraktion schlechthin?

»Na, wenn das nicht Selbstliebe ist, weiß ich auch nicht«, murmelte ich vor mich hin und konnte schon die flotten Schritte von Behringer hören, die wie ein ICE ins Büro gerauscht kam und die Tür zuknallte. Ich konnte den Verlauf der bevorstehenden Besprechung kaum erwarten, vielen Dank, Kleinwächter.

Behringer stand hinter ihrem Schreibtisch und zog sich ihr Kostüm zurecht. Das dunkelbraune Haar trug sie zu einem burschikosen Schnitt, Smokey Eyes und wie immer diesen furchtbaren Lippenstift »One-Night-Stand«, der eine Kombination aus hundert Rot- und Pinktönen zu sein schien. Diese Farbe stand nicht jedem, wahrscheinlich auch nur Zirkusclowns. Und der Bürgermeisterin vor mir.

»Fuchs, Sie wissen sicherlich, warum Sie hier sind!«

Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, aber das wollte ich hier nicht zugeben. Meine Gedanken wanderten in die Politik, und ich überlegte, was die Profis in solchen Fällen taten. Ich setzte eine ernste Miene auf und gab ihr die Antwort, die sie hören wollte. »Natürlich, Frau Dr. Behringer, das liegt auf der Hand.«

Behringer öffnete eine Schublade und zog etwas hervor. Es war eine aktuelle Ausgabe des »Blättle«, der Klatschzeitung von Goldthal. Die Schlagzeile der Titelseite lautete:

Büchereileitung wieder im Einsatz – Aufklärung der brennenden Mülltonnen

Das Titelbild zeigte mich mit dem Team der örtlichen Feuerwehr und dem fünfzehnjährigen Verbrecher, der Spaß daran gefunden hatte, nachts Mülltonnen in Brand zu stecken. Wirklich verübeln konnte man es ihm nicht, hier war ja sonst nichts los. Nur hatte er angefangen, Bücher als Brandanzünder zu verwenden, und da hörte der Spaß auf.

Behringer zog weitere Ausgaben des »Blättle« hervor. Jede einzelne Ausgabe enthielt Artikel über mich. Ich schluckte schwer. Auweia. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich bereits zu einer Lokalprominenten geworden war, ich ging aber davon aus, dass sie kein Autogramm von mir wollte. Die letzten Wochen war es sehr ruhig in der Bücherei gewesen, und irgendwie hatte ich mich beschäftigen müssen. Ich war viel durch Goldthal getigert, hatte ausgiebige Gespräche mit Tante Marlies und den Klatschtanten geführt und bei meinen zufälligen Besuchen auf dem Polizeirevier meine Ohren offen gehalten. Dabei hatte ich den einen oder anderen Fall an mich gerissen. Ich konnte ja nichts dafür, dass ich mit solch einer guten Spürnase gesegnet war. Und ich konnte auch nichts dafür, dass Goldthal krimineller war, als der äußere Schein vermuten ließ.

»Ich bin davon ausgegangen, dass wir Sie als Leitung der Bücherei eingestellt hätten und nicht als Privatdetektivin.« Behringer hatte die Hände in ihre Hosentaschen gesteckt und lief auf und ab.

»Ich weiß auch nicht, warum, aber ich werde immer von solchen Fällen angelockt.« Unschuldig zog ich meine Schultern hoch.

»Dann sollten Sie Ihren Magnet ausschalten und sich auf Ihre Tätigkeiten in der Bücherei konzentrieren. Noch einen Winter wie diesen kann ich hier nicht gebrauchen.«

Autsch, der Vergleich tat weh. Bernhard Winter war mein Vorgänger gewesen, der die Stadt jahrzehntelang um mehrere tausend Euro betrogen und den Leiter der örtlichen Bank ermordet hatte. Also eigentlich das genaue Gegenteil von mir. Sollte sie nicht froh sein, dass ich auf der guten Seite des Gesetzes stand?

»Aber –«

»Mir liegen lauter Beschwerden gegen Sie vor. Hören Sie endlich auf, zu schnüffeln, und jetzt raus hier.«

Ich schloss die Tür zum Bürgermeisterbüro und holte tief Luft. Mir war schleierhaft, wie man so kurz vor Weihnachten solch eine schreckliche Laune haben konnte.

»So, heit hend Sie’s abbekomma.«

Connie Bäuerle saß hinter ihrem Schreibtisch und verzog wissend die Lippen. Bäuerle war Anfang fünfzig, hatte ihren Rubenskörper wie immer in zu enge rosa Kleidung gepresst, das aschblonde Haar auftoupiert, trug zu viel Make-up und tippte mit ihren langen Fingernägeln im Schneckentempo auf die Tastatur ein. Die selbst ernannte Chefsekretärin und Klatschtante von Goldthal konnte mir sicherlich mehr erzählen.

»Welche Laus ist der denn über die Leber gelaufen?« Ich deutete mit dem Daumen auf die Tür hinter mir.

Bäuerle sah von ihrer Tastatur auf und winkte ab. »Ach, des isch nur dr Stress.«

Ich zog meine Augenbrauen zusammen. »Haben wir den nicht alle?«

»Kleinwächter god ihr seid a bar Tag tierisch auf die Nerva.« Ich konnte mir gut vorstellen, dass die arme Bäuerle solche Anfälle unserer Chefin öfters am Tag abbekam.

»Dr Wahlkampf ond die gstohlene Bildla im Ort mached ihr ordentlich zu schaffa. Und dann send da no Sie mit Ihre Ermittlunga.« Bäuerle grinste.

Die Gemälde, richtig. Noch so ein Projekt, um das ich mich kümmern wollte. Seit ein paar Wochen verschwanden in der Region nach und nach kostbare Gemälde aus Museen, Kirchen, Schlössern und anderen wichtigen Institutionen und tauchten nach einiger Zeit wieder auf: als Fälschungen. Das war erst sehr spät aufgefallen und sorgte nun überall für Unruhe. Die Polizei tappte aktuell noch im Dunkeln, und mich juckte es schrecklich in den Fingern, dieses Rätsel zu lösen. Aber nach dieser Ansage von eben sollte ich vermutlich etwas vorsichtiger sein. War ich bereit für eine Undercoveraktion?

Meine Finger spielten mit zwei Büroklammern, die auf dem Tisch lagen. »Und was hat Frau Doktor im Fall der Gemälde vor zu unternehmen?«, versuchte ich so beiläufig wie möglich in Erfahrung zu bringen.

Bäuerle sah sich kurz um und lehnte sich dann verschwörerisch zu mir vor. »Behringer hat Kriminalhauptkommissar Neumüller geschdern ordentlich Feier gmacht. Sie had ehm deidlich zu verstanda geba, dass er endlich seinen Hintern hochkriega soll, oder sie würde dafür sorga, dass er die Johr bis zu seiner Rent als Schülerlotse verbringa wird. Des hend Se aber ed von mir.«

Meine Verwirrung hätte nicht größer sein können. Harald Neumüller war der Vorgesetzte meines Mannes und leitete die Mordkommission. »Warum Neumüller? Ich dachte, Kriminalhauptkommissarin Wahl wäre für die Abteilung Kunstdelikte zuständig.«

»Dui Wahl isch seit a bar Wocha in dr Reha, und Neumüller muss dera ihr Abteilung mitbetreua. Woiß dr Geier, warum.«

Spannend, sehr spannend. Mein Mann wurde immer besser darin, mir die wichtigen Details von seiner Arbeit zu verschweigen. »Hat die Polizei denn schon irgendwelche Spuren?«

Bäuerle setzte ein süffisantes Lächeln auf. »Na, na, da will mi wohl jemand aushorcha.«

»Niemals, wie käme ich denn auf diese Idee?«

»Freile.« Bäuerle lachte, und nicht einmal ich glaubte meine Worte. »An Ihrer Stell dät i jetzt amol die Haxa stillhalta, oder wollet Se au no auf Behringers Abschusslist?«

Darüber musste ich nicht zweimal nachdenken. Ich verabschiedete mich schnell und machte, dass ich davonkam.

Dem oina sai Dod isch am andra sei Brod

Ich dachte immer, ich wäre in den Regeln der »Kriegsführung für Anfänger« sattelfest. Irrtum. Ich hatte meinem Mann Tom mehrere Fallen gestellt, um an Informationen von seiner Arbeit zu gelangen, in die er nicht getappt war. Mein Mann hatte sich wohl eine Ausgabe von »Kriegsführung für Fortgeschrittene« besorgt. Aber das machte nichts, so schnell gab ich nicht auf.

»Du erinnerst dich noch daran, was wir gestern Abend auf der Couch besprochen haben?« Tom zog die Augenbrauen hoch, und wir blieben auf dem Gehweg stehen.

»Du meinst, bevor deine Hände nicht bei dir bleiben konnten und ich das Ende des Films verpasst habe?«

Er sah sich hastig um, ob andere das gehört haben könnten.

»Oder du meinst dieses komische Versprechen, dass ich mich zukünftig aus eurer Polizeiarbeit heraushalten soll?«

»Richtig.«

»Wie könnte ich das vergessen?«, fragte ich und rollte mit den Augen. Manchmal konnte er wirklich ein Spielverderber sein. »Oder liegt es daran, dass deine Kollegen überlegen, mich als Spezialbeauftragte zu engagieren?«

Ein Schnauben. Ich hatte wieder einmal Salz in die Wunde gerieben. Meine Präsenz im örtlichen Klatschblatt hatte seinen Kollegen wohl einiges an Munition geben, um ihn täglich damit aufzuziehen.

»Das war ein Scherz«, bemühte ich mich, die Stimmung wieder in eine harmonische Bahn zu lenken. »Ich versuche, anständig zu bleiben.«

»Danke für dein Verständnis.« Gerade als er mir einen Kuss verpassen wollte, erlangte etwas anderes seine Aufmerksamkeit.

Tom zeigte auf eines der vielen Plakate, die an den Straßenlaternen befestigt waren. Die Bürgermeisterwahlen standen im Frühjahr an, und die Kandidatinnen und Kandidaten hatten den Kampf um die Wählerstimmen eröffnet. »Sie wirbt tatsächlich damit. Mal schauen, wie viele Stimmen sie das kosten wird.«

»Du meinst Behringer?«

Unsere Chefin hatte es sich in den Kopf gesetzt, den Tourismus und die Wirtschaft von Goldthal weiter anzuheizen und ein Kurzentrum zu errichten. An der Stelle, an der sich die Ausgrabungsstätte von Kleinwächter befand.

»Das wird auf jeden Fall spannend … Entschuldige bitte, mein Telefon. Fuchs?«

Während ich mit meiner Schuhspitze Muster in den Schnee zeichnete, lauschte ich mit einem halben Ohr dem Gespräch von Tom und versuchte, die Gesprächsfetzen zu einem sinnvollen Ganzen zu verbinden. Es schien wohl eine Leiche zu geben, ansonsten würde sich Tom nicht so anstrengen, leise zu sprechen.

Tom sah bestürzt aus. »Ich komme sofort!« Er steckte das Handy weg. »Du vergisst das hier am besten gleich wieder und hältst dich an dein Versprechen, richtig?«

»Richtig«, antwortete ich ihm, konnte das plötzliche Prickeln auf meiner Haut, das bei der Aussicht auf einen neuen Fall aufgetreten war, aber nicht ignorieren.

»Pünktlich wie die Maurer«, begrüßte mich Jonas Döhring und deutete auf die große Wanduhr, die fünfzehn Uhr anzeigte. Jonas war der Besitzer von Döhrings Allerlei, einem Geschäft gegenüber der Bücherei, das eine Mischung aus Café und Tante-Emma-Laden war. Es war dafür bekannt, der Treffpunkt von den Klatschbasen von Goldthal zu sein. Benötigte man Neuigkeiten oder Informationen zu einer bestimmten Persönlichkeit, einem Gerücht oder wollte selbst eine Information unters Volk bringen, war man in Döhrings Allerlei genau richtig.

Nach meiner Ankunft in Goldthal hatte ich so einige Schwierigkeiten, mich einzuleben, und in Jonas einen Freund gefunden. Jonas war nicht nur ein guter Freund und Kuchenlieferant, sondern auch mein guter Geist, der mit mir gemeinsam auf Verbrecherjagd ging.

»Für mich bitte ein Kaffee und dieses leckere Etwas in der Vitrine, das sieht himmlisch aus.« Jonas’ Oma war eine Meisterbäckerin und schuld daran, dass ich bereits eine Kleidergröße zugenommen hatte. Aber wie könnte ich nicht diese ganzen Köstlichkeiten direkt vor meiner Nase kosten?

Jonas stellte mir einen Teller mit einer süßen kleinen Nascherei vor die Nase: Apfel-Honig-Kuchen in Form eines Tannenbaumes.

»Wie ist die Lage in den heiligen Bücherhallen gegenüber?«

»Wir können nicht klagen. Die neuen Weihnachtsmedien waren ruckzuck ausgeliehen, und Familie Nikolaus hat so viele Bücher mitgenommen, ich bin wirklich überrascht, dass wir überhaupt noch etwas im Regal haben. Jetzt aber zu den wirklich wichtigen Dingen im Leben. Komm zu Mami.«

Ich spießte ein großes Stück Kuchen auf und führte die Gabel Richtung Mund, als die Ladentür aufgerissen wurde und eine wild schnaufende Bäuerle hereingestürmt kam.

»Es isch furchtbar«, japste Bäuerle und schien kurz vor einem Kollaps zu stehen.

»Setz dich erst mal hin, Connie. Und dann kannst du uns in Ruhe erzählen, was passiert ist.«

Jonas bot ihr meinen Stuhl an. Ohne groß nachzudenken, sprang ich auf, griff über den Tresen und schnappte mir ein Glas und eine Wasserflasche. »Hier, trinken Sie erst mal.«

Sie leerte das Glas mit großen Schlucken, als ob sie einen Marathon hinter sich hätte.

»Was ist passiert?«, erkundigte sich Jonas und nahm neben Bäuerle Platz.

Sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Sagt bloß, ihr wissed ned, was passiert isch?«

»Nein, was denn?« Jetzt machte sie es aber wirklich spannend.

Bäuerle schnappte nach Luft. »Dr Kleinwächter isch tot. Mrhad die Leich heit Morga in dr Ausgrabungsstätt gfunda.«

Ein Prickeln zog wieder über meine Haut. Das war also die Nachricht gewesen, die Tom heute Morgen am Telefon erhalten hatte. »Weiß man schon mehr? Wie ist er gestorben? Und gibt es schon Verdächtige?«

Bäuerle griff nach meinem Kuchenteller und schob sich das Stück, das bis vor ein paar Sekunden noch für mich bestimmt gewesen war, in den Mund. »I bin fix und fertig und renn scho dr ganzen Dag durch d’ Stadt, mei Blutzucker isch völlig im Keller.« Sie schwenkte die Gabel durch die Luft, dass die Kuchenkrümel nur so rumflogen. »Erstochen wora soll er sei, dui arme Wurscht. Tja, und Behringer … na, mr wissed ja, wie des ausganga wird.« Sie zuckte mit den Schultern.

»Was hat die denn damit zu tun?«, fragte ich und konnte hier keinen Zusammenhang erkennen.

»Na, Behringer isch doch die Hauptverdächtige.« Als hätte es auf der Hand gelegen. Was nach dem Geschrei gestern wahrscheinlich auch so war, aber ich musste diese Info erst einmal verdauen.

»Das ist doch absurd.«

Aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab das Ganze. Meine Gedanken spulten die Szene von gestern ab, in der wir Behringer und Kleinwächter gemeinsam sehen konnten. Beide hatten Streit gehabt, und Behringer hatte ihm vor allen Mitarbeitern gedroht. Und heute war er tot.

»Dora, in deiner Hose klingelt es.«

»Es ist die Nummer der Polizei.« Kurz stieg Panik in mir auf, wie immer, wenn ich diese Nummer der Polizei sah und mit dem Schrecklichsten rechnete. Dann gewann zum Glück die Vernunft wieder die Oberhand, und ich beruhigte mich damit, dass man mich nicht per Telefon darüber informieren würde, sollte Tom etwas passiert sein. »Ja, hier spricht Dora Fuchs. Mhm … Ja, ich verstehe … Ich komme.«

Jonas und Bäuerle sahen mich an. »Das war die Polizei, ich soll auf schnellstem Weg zur Polizeiwache kommen. Ohne Umwege. Mehr wollten sie mir nicht sagen.«

Koi Kuah glaubd oim, dass se amol a Kalb gwäsa isch

Ich stürmte das Polizeirevier von Goldthal und eilte zum Empfangstresen. Und da saß er vor mir, der Höllenhund persönlich – Gabriele Pischl.

Wie die Kaiserin persönlich saß sie hinter ihrem Monitor und las Zeitung. Ja, war das denn zu fassen? »Wo ist er? Was ist passiert?«

Der Höllenhund sah mich über ihren Brillenrand an und widmete sich wieder ihrer Zeitung. »Was wollen Sie?«

Ich sah sie irritiert an. »Sie haben mich doch angerufen, ich solle sofort aufs Revier kommen. Ist etwas mit meinem Mann passiert?«

Pischls Blick ging an die Decke. »Merkwürdig, ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Na, wird schon nicht so wichtig gewesen sein.« Sie machte eine wegwerfende Geste und widmete sich wieder ihrer Lektüre.

Mir gingen zig Möglichkeiten durch den Kopf, wie ich dieser Frau den Garaus machen könnte. Wütend schaute ich sie an.

Eine Seitentür, die zu den hinteren Büroräumen führte, wurde geöffnet, und ich blickte in das Gesicht von Tom. Mein Gehirn brauchte einen Moment. »Gott sei Dank!« Ich lief um den Empfangstresen herum, ignorierte die bösen Blicke des Höllenhundes und schloss Tom fest in die Arme. »Ich dachte schon, dir wäre was passiert. Jag mir nie wieder solch einen Schrecken ein …«

Tom wirkte überrumpelt. »He? Warum? Hallo, Schatz … Natürlich geht es mir gut … Schön, dich zu sehen, aber was machst du hier?«

»Ich sollte doch so schnell wie möglich herkommen.« Ich warf Pischl einen bösen Blick zu.

»Ach ja, richtig«, begann Pischl und blätterte in ihrer Zeitung auf die nächste Seite um. »Bürgermeisterin Behringer hat nach Ihrer Gemahlin verlangt.«

Ein Kollege von Tom hatte mich in einen der Vernehmungsräume gebracht, wo ich nun saß und auf Behringer wartete. Der Tag war spannender geworden, als ich mir heute Morgen beim Zähneputzen erhofft hatte. Eine Leiche und nun eine Hauptverdächtige, die mich sprechen wollte.

Aber ich sollte nicht zynisch werden.

»Dora, was geht hier vor? Warum will dich unsere Chefin sehen?« Ich hatte auf einem der Stühle Platz genommen, während Tom auf und ab lief. »Du hattest doch versprochen, dich zukünftig aus den Ermittlungsarbeiten rauszuhalten.«

»Ich dachte, du weißt, was sie von mir will.« Das wurde ja immer merkwürdiger.

»Am besten lässt du mich erst mal mit Behringer sprechen, und dann versuchen wir dieses Missverständnis zu klären.«

Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als die Tür geöffnet wurde und eine völlig fertig aussehende Behringer reingeführt wurde. Erschöpft ließ sie sich auf dem Stuhl gegenüber von mir nieder.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte ich.

Behringer streckte den Rücken durch. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«

Okay, sie ging nicht auf den Small Talk ein. »Frau Behringer, warum bin ich hier?«

Die Bürgermeisterin richtete ihre Aufmerksamkeit auf Tom. »Herr Fuchs, ich würde mich gerne in Ruhe mit Ihrer Frau unterhalten.«

Ich konnte Toms Schnauben im Hintergrund hören. »Bei allem Respekt, Sie wissen so gut wie ich, dass das nicht möglich ist.« Tom fing sich einen strafenden Blick von unserer Chefin ein.

»Dann kommen wir gleich zum Geschäftlichen: Ich brauche Ihre Hilfe, Frau Fuchs.«

Mein Gesicht musste mir für ein paar Sekunden entglitten sein. »Meine Hilfe? Wobei?«

Behringer trommelte mit ihren Fingern auf die Tischplatte und schien nur wenig Geduld für meine Begriffsstutzigkeit zu haben. »Sie wissen ganz genau, wobei.«

»Leider nein«, versuchte ich es noch einmal.

»Setzen Sie Ihre Schnüffelnase ein und überzeugen Sie diese Pinguine von meiner Unschuld.« Damit deutete sie auf meinen Ehemann, und ich wollte sie fast schon korrigieren, bis mir alle seine Kollegen einfielen. Ja, Pinguine passte. Ich verkniff mir ein Grinsen.

Tom und ich warfen uns Blicke zu, die zwischen Verwirrung und Entsetzen hin- und herwechselten. Ich musste dringend einen Ohrenarzt aufsuchen und mich durchchecken lassen. Mir war fast so, als hätte Behringer mich gebeten, zu ermitteln und ihre Unschuld zu beweisen. Aber das war unmöglich.

»Frau Behringer, Sie können nicht –« Tom war neben unserer Chefin stehen geblieben und sah sie eindringlich an.

Behringer gab ihm mit einer raschen Handbewegung das Zeichen, zu schweigen. »Sie haben sich heute schon eine Menge Fehltritte erlaubt und sollten lernen, zu erkennen, wann man am besten den Mund hält.«

»Frau Behringer, ich verstehe nicht …« Ich war durcheinander und brauchte jetzt Klarheit. Gestern machte sie mir noch die Hölle heiß, und heute sollte ich ihre Unschuld beweisen. War das ein Test?

»Es ist doch ganz einfach«, begann die Bürgermeisterin. »Ich bin unschuldig. Ich habe niemanden getötet. Es gibt dafür keine Beweise.«

»Wir haben ausreichend Beweise, Frau Behringer.« Tom schien zu den mutigen Menschen in Goldthal zu gehören, er gab ihr Widerworte.

Behringer gab ein abfälliges Geräusch von sich. »Ich bitte Sie, das ist ja lächerlich. Ein Streit mit dem Opfer und ein Lippenstift, der am Tatort gefunden wird. Das sind Ihre ausreichenden Beweise für einen Verdacht?«

»Ihr Alibi –«

»Jetzt wird man schon dafür bestraft, Single zu sein. Eine Flasche Wein und der Fernseher scheinen nicht auszureichen.«

Das hätte ich ihr auch sagen können. Schließlich stand das in jedem mittelmäßigen Krimi. Auweia, ich konnte mir gut vorstellen, dass das schon den ganzen Tag so ging. »Und was genau kann ich nun für Sie tun? Ich bin keine Anwältin oder Polizistin.«

»Sie sollen meine Unschuld beweisen und den wahren Täter enttarnen.«

»Gestern meinten Sie noch –«

»Ach«, krächzte Behringer. »Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Was glauben Sie, warum ich Politikerin geworden bin. Also?«

Das konnte nur ein Scherz sein. Ich begann zu lachen und sprang von meinem Stuhl auf. »Wunderbar, ihr habt gewonnen, herzlichen Glückwunsch. Also, wo ist sie, die Kamera von ›Verstehen Sie Spaß?‹?«

»Frau Behringer, das geht jetzt wirklich zu weit. Das ist Aufgabe der Polizei und nicht die meiner Frau.«

Behringer zog eine Augenbraue hoch. »Sie halten mich für die Mörderin. Sie machen, wie schon lange, einen miserablen Job, und das wird noch Konsequenzen haben, das können Sie mir glauben.«

»Im Moment sind Sie unsere Hauptverdächtige. Und bis wir Beweise für Ihre Unschuld haben –«

Behringer wedelte mit der Hand, als würde sie eine lästige Fliege verscheuchen wollen. »Also, Frau Fuchs, werden Sie mir helfen?«

Do hilfd ällas Bädda nix

I am the Queen and this is my kingdom.

So ungefähr musste sich Queen Elizabeth II. fühlen, wenn sie von ihrem Thron aus ganz England regierte. Ich war stolz auf mein Königreich, saß hinter der Verbuchungstheke und sah von meinen Bestellunterlagen auf.

Bernhard Winter, der ehemalige Leiter, hatte jahrzehntelang Geld der Stadtbücherei veruntreut. Als ihm Andreas Förstner, der Chef der örtlichen Bank, auf die Schliche gekommen war und ihn erpresst hatte, hatte er dafür mit dem Leben bezahlen müssen. Für Winter war es Pech gewesen, dass ich mit dem Gespür für kriminelle Aktivitäten gesegnet und hinter sein Geheimnis gekommen war.

Zum Glück, denn so konnten mein Team und ich Winters Geld, das wir behalten durften, dafür nutzen, die Bücherei ordentlich herzurichten. Und das war dringend nötig gewesen. Wir hatten den alten Teppich und die Neonleuchten aus den siebziger Jahren entfernt. Samt dem Mobiliar. Wir hatten der Bude mit frischer Farbe, schicken Lampen, einer Couch, Lernplätzen und Präsentationsmöbeln neues Leben eingehaucht. Und bevor uns das ganze Geld aus den Fingern geglitten war, hatten wir noch Konsolen und die passenden Spiele dazu eingekauft. Der ganze Stress der letzten Wochen hatte sich gelohnt. Die Bücherei war kaum wiederzuerkennen und freute sich endlich über mehr Besucher als jemals zuvor.

Tante Marlies hatte die Bücherei zu ihrem aktuellen Hauptquartier für sich und ihre Strickfreundinnen auserkoren. Doch die Konkurrenz schlief nicht. Walburga Clotz, Marlies’ Erzfeindin und Anführerin der Quiltdamen »Drei links zwei hoch«, hatte Wind davon bekommen und sich ebenfalls hier ausgebreitet. Ich musste mir etwas überlegen, wie ich deeskalierend eingreifen konnte, bevor die Damen sich noch mit Strick- und Nähnadeln duellierten. Marlies und Walburga waren wie zwei Tornados, und wenn beide aufeinandertrafen, blieb nur verbrannte Erde übrig.

Ich seufzte zufrieden und sah auf die Uhr. Zehn Uhr, das bedeutete: Zeit für Kaffee und Kuchen. Aber seien wir mal ehrlich: Wann war nicht die perfekte Zeit für etwas Süßes und Koffeinhaltiges? Als hätte er meinen Wunsch nach etwas Süßem spüren können, trat Jonas durch die Eingangstür der Bücherei.

»Rettung naht«, sagte er und stellte sein Mitbringsel auf meiner Theke ab. Ich griff nach einer von den Spekulatius-Kirsch-Schnitten und gab ein lautes Schnurren von mir. »Lecker!«

Ein lauter Wums ertönte hinter mir und ließ mich aufquieken. Ich griff mir an mein Herz und drehte mich um. Medien, Konsolenspiele und unzählige Papiere lagen wild verteilt auf dem Boden und hatten meinen Kollegen unter sich begraben. Er schüttelte den Kopf, sah zu Jonas und mir hoch und stotterte eine Begrüßung. Mit einem leidenden Stöhnen begann er, seine Unterlagen einzusammeln und zu den Jugendmedien um die Ecke zu gehen. Wie auch mein neues Möbelinventar war er meinem Ruf in die Bücherei gefolgt und seit rund einem Monat Mitglied in unserem Team.

Ich hatte mit Engelszungen auf Behringer eingeredet, in die Zukunft der Bücherei zu investieren und die beruflichen Tore noch weiter zu öffnen. Und sie war meiner Bitte tatsächlich nachgekommen, weshalb Luis Keppler, Medienpädagoge aus Kassel, hier nun gemeinsam mit mir das Leben als Reingeschmeckter fristen musste. Es war noch nicht viel Zeit vergangen, weshalb ich nur wenig über Luis sagen konnte. Ich wusste zwar nicht viel über den Alltag meiner Mitmenschen, dafür gab es hier im Ort genug verlässliche Quellen. Aber eines wusste ich gewiss: Luis war bis über beide Ohren in Jonas verknallt.

Und Jonas? Der schien so blind wie alle Männer zu sein und Luis nicht wirklich wahrzunehmen. Ich würde hier wohl meine innere Aphrodite einschalten und den beiden auf die Sprünge helfen müssen. Vielleicht sollte ich von der Bearbeitung von Kriminalfällen auf die Anbahnung von Liebesgeschichten umsteigen? Am besten nähme ich Tante Marlies noch mit ins Boot, die kannte sich in Liebesdingen gut aus. Hier würde noch sehr viel Arbeit auf mich warten.

»Jetzt erzähl schon, warum solltest du gestern so schnell auf das Polizeirevier kommen? Ich bin aus deiner Nachricht nicht schlau geworden.«

»Das war doch ganz eindeutig: Teufel, Pistole und Lupe.«

Jonas kratzte sich am Kopf. »Keine Ahnung, was das bedeuten soll.«

»Teufel stand für Behringer, die Pistole für einen Mord und die Lupe dafür, dass wir einen Auftrag haben. Ganz einfach.«

»Du bist verrückt.«

Ich grinste. »Ich weiß. Stell dir vor …« Und dann berichtete ich Jonas von meinem Besuch bei Behringer und was sie von mir wollte.

»Du machst Scherze.« Jonas sah mich an, als würde ich ihn auf den Arm nehmen wollen. »Und was hast du ihr geantwortet?«

»Auf diese Frage gab es nur eine einzige Antwort.«

»Oje, dein Mann war sicherlich alles andere als begeistert.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Da muss Tom jetzt durch. Wenn einen die Bürgermeisterin darum bittet, einen Mordfall aufzuklären, kann man ja schlecht Nein sagen. Vor allem, wenn besagte Bürgermeisterin die eigene Vorgesetzte ist.« Und in Gedanken fügte ich hinzu: Und wer weiß, vielleicht finden wir auch heraus, wer für die gestohlenen Gemälde verantwortlich ist.

»Eigentlich schon«, erwiderte Jonas und nahm einen Bissen von seinem Kuchen. »Du bist ja nicht bei der Polizei oder eine Detektivin, und hattest du nicht gesagt, dass die Behringer dich aufgefordert habe, nie wieder zu ermitteln? … Okay, okay, ich sag ja schon nichts mehr.« Er hob beschwichtigend die Hände, als ich ihm einen bösen Blick zuwarf.

Ich richtete meine Gabel auf ihn. »Am besten hältst du dich jetzt zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit.«

»Bereit wofür?«, fragte Jonas begriffsstutzig und sah dabei wie ein Welpe aus.

»Jetzt geht es auf Mörderjagd, Watson.«

Mrmuss’s nemma, wie’s kommt

»Endlich Feierabend.« Ich ließ die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fallen und hängte meine Jacke an die Garderobe. »Tom, bist du hier?«, fragte ich in Richtung Wohnzimmer, aus dem mir Licht entgegenflimmerte.

Keine Reaktion. Merkwürdig. Ich stellte meine Handtasche auf dem kleinen Schuhschränkchen ab und betrat das Wohnzimmer.

Unsere Katzen Miss und Mrsjagten sich gegenseitig in einem Affenzahn durch die Wohnung und hielten es nicht für nötig, mich zu begrüßen. So viel zu meinem Stellenwert in dieser Familie.