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Patrick Souness ist schwarz, seine Chefin, die Polizeipräsidentin eine Frau. Beide haben es in dem konservativen Hansestädtchen King's Lynn im Südosten Englands nicht einfach, sich zu behaupten. Insbesondere, da sie in Finley Mc Gregor einen Deputy Chief Constable, also einen stellvertretenden Polizeichef vorfinden, der noch in Denkmustern vergangener Jahrzehnte verhaftet ist. Speedway ist der erste Fall in diesem spannungsgeladenen Umfeld, in dem es Souness gegen alle Widerstände gelingt, nicht nur ein Kriminalkommissariat in King's Lynn aufzubauen, dessen Leitung er übernimmt, sondern auch den Mord an dem Speedway-Rennfahrer, Lokalmatador Bobby West, aufzuklären. Damit verschafft er sich bei den Kollegen des Revieres erheblichen Respekt und gewinnt loyale Mitarbeiter für künftige Fälle.
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Seitenzahl: 257
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Alfred Hägele
Speedway
Ein King's Lynn Krimi
Impressum
© 2024 Alfred Hägele
Coverdesign: Simon Renner
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
Paperback ISBN 978-3-384-22037-0
e-Book ISBN 978-3-384-22038-7
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich.
Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:
Alfred Hägele, Seitsberger Str. 2, 73433 Aalen, Germany
Das Cover-Bild wurde mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) generiert und vom Cover-Designer bearbeitet.
Über den Autor
Über das Buch
Klarstellung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16.Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19.Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
Danksagung
Weitere Werke des Autors
Der Autor wurde 1957 in einer schwäbischen Kleinstadt geboren und arbeitete nach seiner Ausbildung zum Bilanzbuchhalter sowie einem Abendstudium der Betriebswirtschaft bis zu seiner Pensionierung im Beteiligungscontrolling internationaler Unternehmensgruppen. Zuletzt durfte er die europaweite Expansion eines bedeutenden süddeutschen Papierkonzerns begleiten. Seine Liebe zu King’s Lynn entdeckte er während unzähliger Geschäftsreisen in dieses beschauliche Hanse-Städtchen an der Mündung des Great Ouse in die Nordsee. Kein Wunder, dass in all seinen King’s Lynn Krimis die dort ansässige Papierfabrik immer eine gewichtige Rolle spielt.
Patrick Souness ist schwarz, seine Chefin, die Polizeipräsidentin eine Frau. Beide haben es in dem konservativen Hansestädtchen King’s Lynn im Südosten Englands nicht einfach, sich zu behaupten. Insbesondere, da sie in Finley Mc Gregor einen Deputy Chief Constable, also einen stellvertretenden Polizeichef vorfinden, der noch in Denkmustern vergangener Jahrzehnte verhaftet ist.
Speedway ist der erste Fall in diesem spannungsgeladenen Umfeld, in dem es Souness gegen alle Widerstände gelingt, nicht nur ein Kriminalkommissariat in King’s Lynn aufzubauen, dessen Leitung er übernimmt, sondern auch den Mord an dem Speedway-Rennfahrer, Lokalmatador Bobby West, aufzuklären. Damit verschafft er sich bei den Kollegen des Revieres erheblichen Respekt und gewinnt loyale Mitarbeiter für künftige Fälle.
Dieses Buch ist ein Roman und daher Fiktion. Handlungen und Charaktere sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Bei den Örtlichkeiten handelt es sich jedoch weitgehend um Originalschauplätze.
Der Oktobertag hätte sonniger nicht sein können, doch über Bobby West würde die Sonne nie wieder scheinen, denn um Punkt 16 Uhr und fünfundvierzig Sekunden war Bobby tot.
Die Motoren in der Aaron-Fox-Arena, der legendären Speedwaybahn in King’s Lynn heulten auf, als die vier Starter des Finaldurchgangs vor dem Startband standen. In weniger als einer Minute würde die Entscheidung um den nationalen Titel fallen.
Wohl- und Wehe der letzten zwei Konkurrenten.
Hopp oder Topp. Sieg oder Niederlage. Meister oder Verlierer. Geld oder Almosen.
Spannung pur, mehr ging nicht.
Bobby West und Ross Jenkins, punktgleich vor dem Rennen, der, der vor dem anderen über die Ziellinie schießen würde, war Champion!
Welch eine Dramatik.
Die beiden waren unterschiedlicher, wie sie es nicht hätten sein können. Hier Bobby, der Newcomer, der Jungspund, der Unerfahrene mit gerade mal zwanzig Lenzen auf den gepanzerten Schultern, der seine ganze Karriere noch vor sich hatte.
Dort Ross, der alte Hase, der Erfahrene, der Oldtimer, mit seinen betagten dreiunddreißig Jahren. Das Ende seiner sportlichen Laufbahn stand bevor.
Doch eines hatten beide gemeinsam. Keiner brachte es bisher zu Meisterehren. Kein Wunder bei Bobby West, schließlich fuhr er im vergangenen Jahr noch bei den Junioren. Ross Jenkins dagegen raste schon seit über zehn Jahren um die Sandbahnen auf der Insel. Hatte aber nie die Meisterschaft gewonnen, ab und an mal ein Rennen. Mehr nicht. Vizemeister war er. Ja, man jubelte ihm zu, damals, doch er wusste, Zweiter sein heißt erster Verlierer.
Ein Looser.
Fünfzehn Uhr neunundfünfzig und fünfzig Sekunden.
Die Ampeln zuckten. Rot!
Die Zuschauer hielten den Atem an. Wenige Augenblicke bis zur Entscheidung.
Ross war im Vorteil. Hatte die günstige Innenbahn rot gezogen, West dagegen nur die ungeliebte gelbe Außenbahn. Wenn nicht ein Wunder geschähe, Ross würde siegen. Bis Bobby an den anderen Kontrahenten vorbei käme, wäre Ross schon über der Ziellinie.
Fünfzehn Uhr neunundfünfzig und fünfundfünfzig Sekunden.
Die Ampeln sprangen auf Gelb. Jetzt Vollgas und volle Konzentration. Die Motoren heulten auf. Ohrenbetäubend.
Sechzehn Uhr. Grün!
Die Hatz begann.
Ross schoss los, strebte der ersten Kurve entgegen, lenkte ein, nahm Gas weg, denn die 500-er Maschinen besaßen keine Bremsen. Bobby auf der Außen spurte nach innen, legte seine Maschine quer, driftete über den spritzenden Sand und zog an Richard Ocallaghan im weißen Helm vorbei. Diesen hatte der Mut verlassen, er nahm zu viel Gas weg.
Gegengerade. Lang, fast hundertfünfzig Meter. Vollgas bis zum Anschlag. Ross vorne, dahinter Jay Grant. Die Reifen drehten durch, der Sand spritzte in Fontänen von den Stollen. Klatschte Jay auf das Helmvisier. Es machte ihm nichts aus. Jay war ein Guter. Gab niemals auf. Wenn der Bobby in Schach hielt, würde Ross, das Rennen gewinnen. Die nächste Kurve. Ideallinie suchen, bis einen das eigene Hinterrad fast überholte. Kurvenausgang, Vollgas so schnell es ging. Der Dunst verbrannten Methanols kitzelte in der Nase. Parfüm des Lebens.
Die erste Zieldurchfahrt.
Ross an eins, Jay an zwei, dicht dahinter Bobby auf drei. Richard abgeschlagen auf vier.
Noch drei Runden.
Kurve, Gas weg, driften, Gas geben, Gegengerade. Automatismen wie im Schlaf.
Im Augenwinkel sah Ross, wie Bobby Jay auf die Pelle rückte. Kein Wunder, seine Jawa brachte zwei PS mehr auf die Bahn, als Jays GM. Dazu das Leichtgewicht im Sattel. Kinder sollten nicht solche Maschinen fahren dürfen.
Nächste Kurve, innen bleiben, West keine Angriffsfläche bieten. Jays Gegenwehr versagte. Bobby schoss an dem Konkurrenten vorbei.
Ross eins, West zwei. Noch zwei Runden. Ross spürte fast den Atem seines Widersachers im Nacken. Die Zuschauer johlten, brüllten. Bobby West war der Lokalmatador. Endlich wieder ein Junge aus dem eigenen Stall. Und der fuhr gut. Kam jetzt der Angriff?
Der Himmel über der Aaron-Fox-Arena verlor langsam seine azurblaue Farbe.
Nein, kein Angriff. Der Junge fuhr nicht nur gut, der fuhr clever. Würde erst in der letzten Runde attackieren. Vorletzte Kurve vermutlich. Würde versuchen, mit ihm, Ross, gleichauf aus der Kurve zu driften, dann war sein zwar gleichstarkes, aber um ein paar Kilo leichteres Gesamtpaket aus Motorrad und Fahrer im Vorteil. Auf der Gegengeraden würde der Junge davonziehen, ihm im letzten Halbbogen keine Chance mehr auf einen Konter bieten.
Start – Ziel. Noch einmal um das Oval. Die Kurve schoss auf Ross zu. West neben ihm Zentimeter nur von seinem Lenker entfernt. Wie einfach, dem Gegner einen Stoß zu versetzen. Ganz leicht nur, nur so stark, ihn ins Straucheln zu bringen. Nein, die Fernsehkameras zeichneten alles auf, würden ihn als Betrüger überführen.
Disqualifikation. Aus, der Traum.
Zwanzig Meter, zehn Meter, der Kurvenradius begann. Die Motorräder neigten sich zur Seite. Leicht nur, die Hinterräder brachen nach außen, drifteten.
Ein leises Plopp! Ein Knacken, als ob ein Schulterpanzer zerbrach.
Ross stellte seinen mit schwerem Eisen verstärkten Stiefel in den Sand. Nahm Gas weg, minimal nur.
Bobby, der Idiot! Was machte der? Blieb bei Vollgas! So schaffte man keine Kurvendurchfahrt. Bobbys Maschine neigte sich zur Seite und der reagierte noch immer nicht. Als ob er auf dem Sattel festgewachsen sei. Doch dann strebte sein Körper wie in Zeitlupe dem heißen Sand entgegen, löste sich von Sitz und Lenker, prallte auf dem Boden auf. Das Motorrad entwickelte ein Eigenleben. Die um das Handgelenk des Jungen gewickelte Sicherheitsschnur spannte sich, die Spritzufuhr zwischen Tank und Motor unterbrach, das Triebwerk erstarb unter einem letzten Aufheulen. Wie eine leblose Puppe schlitterte der Körper des Fahrers über den Sand. Zwei Meter neben ihm die Maschine. Gleichzeitig krachten beide in die mit dicken rot-weißen Kunststoffpolstern gesicherte Bande.
Ross registrierte dies nur aus den Augenwinkeln. Er raste durch das Rund. In großem Abstand führend vor Jay Grant und Richard Ocallaghan.
Gegengerade. Noch eine Kurve, dann Start- und Zielgerade, dann war er Sieger!
Meister. Champion.
Blaue Flagge. Verdammt. Rennabbruch.
Sekunden vor der Ziellinie!
Bobby West bekam das alles nicht mehr mit. Noch bevor sein Körper in die Bande krachte, war er tot!
Sechzehn Uhr und fünfundvierzig Sekunden.
Eine Wolke löschte die Sonne über der Aaron-Fox-Arena aus; eine Kugel löschte das Leben des jungen Bobby West aus.
Ross Jenkins jubelte, nahm das Gas weg. Ließ die Maschine ausrollen. Richard Ocallaghan und Jay Grant taten es ihm nach. Lenkten ihre Maschinen vorbei an der Unfallstelle in die Boxengasse.
Aus dieser stürmten Menschen. Rennkommissare, Sanitäter, Security. Sie alle rannten zu dem Verunglückten. Gestikulierten. Winkten wild. Noch mehr Leute versammelten sich an der Unglücksstelle. Andrew Lloyd, Bobbys Freund und Trainer, brüllte irgendetwas, die Worte verhallten ungehört in der Südkurve. Auf den Rängen standen die Zuschauer auf, reckten die Hälse. Stille breitete sich aus – Totenstille. Die Sonne verschwand hinter der Haupttribüne.
Ein Rettungshelfer zog einen Streckenposten an dessen Schutzkleidung, schrie ihm etwas ins Ohr, worauf dieser zurück in das Fahrerlager rannte.
Von dort sprintete der Rennarzt, ganz in weiß gekleidet, über die Sandbahn, kniete sich neben Bobby.
Ein Marshall im orangen Overall zerrte ein Gestänge mit einem Leinwandstoff aus einem Container. Beorderte drei weitere Kollegen zu sich. Gemeinsam zogen sie das Rohrgerippe auseinander, falteten daraus einen Pavillon mit weißem Dach, hängten Seitenteile ein und rannten damit im Gleichschritt zu der Unfallstelle. Hinter ihnen zwei weitere Rettungsassistenten mit einer Trage.
Die Lautsprecher unter dem Stadiondach knirschten. Mit blecherner Stimme verkündete der Stadionsprecher den vorläufigen Rennabbruch wegen eines tragischen Unfalls. Als ob das Publikum das nicht selbst mitbekommen hätte. Der Renndirektor, ein Mann in den Siebzigern mit weißer Lockenpracht schritt gemächlichen Schrittes an den Ort des Unglücks.
Declan Bacall leitete schon seit einer halben Ewigkeit den Rennzirkus Speedway auf den Sandbahnen der Insel. Auch die Rennen in der Aaron-Fox-Arena. Er hatte viele Unfälle erlebt in all den Jahren, ihn schockte so etwas nicht so schnell.
»Na Männer«, sagte er, als er unter das Zelt schlüpfte. »Wie geht es unserem Bobby. Hat sich wohl mächtig wehgetan, wie es aussah.«
»Verdammt Bacall. Bobby ist tot! Tot! Tot!«, schrie einer der Sanitäter.
Declan Bacall blieb das Gesicht stehen. Ungläubig blickte er auf den leblosen Körper, den eben vier starke Arme auf die Trage hievten.
»Doktor Murphy das ist unmöglich?«
»Ich fürchte, die Tragödie ist wahr.«
»Aber, aber wie ist das möglich? Das war doch nur ein ganz gewöhnlicher Rennunfall?«
»Genickbruch, vielleicht. Oder ein Herzinfarkt, oder …? Verdammt ich weiß es nicht. Wir bringen Bobby ins Krankenhaus zur Obduktion.«
Bacall rieb verzweifelt die Hände. Ein tödlicher Unfall unter seiner Regie. Das durfte nicht wahr sein. Der Speedway-Sport stand ohnehin seit geraumer Zeit unter kritischer Beobachtung der Gesellschaft. Speedway sei eine nach Methanol duftende Dorfsportart mit harten Jungs, Gridgirls und Bratwurst. Also einfach herrlicher Unfug, urteilte einmal einer der wohlwollendsten Kritiker (1). Die meisten jedoch packten diesen Machosport, wie sie es nannten, mit deutlich härteren Bandagen an. Umweltschutz, Klimaschutz, Lärmverschmutzung, das waren ihre Themen gegen jede Art von Motorsport. Ein tödlicher Unfall wäre für die ein gefundenes Fressen, ein weiterer Tropfen, der das Fass bis an den Rand füllte. Der letzte Tropfen? Sie würden ihn und den ganzen Sport in der Luft zerreißen.
»Wir müssen die Polizei verständigen«, sagte der Doktor.
Nicht auch noch die Bullen.
»Murphy, das war doch nur ein Rennunfall. Da braucht es doch keine Polizei.«
»Declan, ich muss! Ich bin dazu verpflichtet.«
»Verdammte Pflicht.« Der Renndirektor schüttelte seinen Kopf, bis die Locken wackelten. »Finley Mc Gregor, der Deputy Chief Constable ist im Stadion. Ich habe ihn auf der Tribüne gesehen. Mit Bratwurst und Bier natürlich. Ich lasse ihn suchen. Und Bishton brauchen wir auch. Verdammt, wo ist denn Sean überhaupt. Warum ist der nicht hier?«
»Mister Bishton ist im ViP-Bereich. Habe ihn vorhin zusammen mit Mc Gregor und der Polizeichefin oben gesehen«, sagte einer der Streckenposten. »Als ich den Sekt für die Siegerehrung aus dem Kühlschrank besorgte«, fügte er entschuldigend hinzu.
»Typisch. Schlagen sich auf unsere Kosten den Bauch voll.« Bacall schüttelte den Kopf. »Dann holt sie. Am besten alle drei!« Er schnaubte. »Sollen die doch entscheiden, wie es weiter geht.«
Sean Bishton war der Vorsitzende des Speedway-Clubs King’s Lynn, also quasi der Hausherr hier. Ohne sein Engagement gäbe es in der beschaulichen Stadt schon seit Jahren keine Arena und damit praktisch keinen Rennsport mehr. Mit Bishton verband Bacall eine Art Hass-Liebe. Während Bacall den Rennzirkus des gesamten Königreichs leitete und die Rennen am liebsten nur in den großen Städten wie London, Birmingham oder Manchester abgehalten hätte, verkämpften sich Männer wie Bishton für den Erhalt der Spektakel auch in den ländlichen Regionen.
Finley Mc Gregor war Deputy Chief Constable, also der stellvertretende Polizeichef von King’s Lynn. Im Grunde hielt er nichts von dem dröhnenden Rummel, den diese Motor-Cracks alljährlich hier veranstalteten. Aber er hatte sich sehen zu lassen. Jeder, der in der kleinen Stadt an der Mündung des Great Ouse in die Nordsee etwas auf sich hielt, war heute hier. Außerdem hatte man ihm eine Ehrenkarte geschenkt, direkt auf Höhe der Ziellinie mit Zugang zum ViP-Bereich. Die Snacks, die man dort servierte, waren nicht von schlechten Eltern und auch die Getränke ließen sich sehen. Mc Gregor machte ausgiebig Gebrauch davon, wie sein aufgedunsenes Gesicht zeugte.
Chief Constable Fiona Grey herrschte als Polizeichefin über alle Einheiten der lokalen Polizeistation in der Stadt. Auch für sie war dieses Rennen mehr eine Pflichtaufgabe, denn wahre Passion. Aber, als oberste Ordnungshüterin hatte man sich, genauso wie ihr Stellvertreter, sehen zu lassen.
Fiona Grey kam, mit Mc Gregor im Schlepptau, in das kleine inzwischen überfüllte Pavillon-Zelt. Sie musste sich bücken, als sie unter den Baldachin schlüpfte. Ihre grau-blonden kurzen Haare standen in vollkommenem Widerspruch zu Finleys Frisur. Während Fiona ihr Haar säuberlich pflegte und frisierte und peinlichst darauf achtete, dass es selbst bei den stürmischen Winden hier oben an der Küste ordentlich saß, erinnerte Finleys Haarschopf eher an einen wild gewordenen Wisch-Mopp. Seine roten Strähnen standen in alle Himmelsrichtungen. Auch was die Figuren der beiden obersten Gesetzeshüter der Hansestadt am nördlichsten Zipfel des Südens des Vereinigten Königreiches anbelangte, konnten sie unterschiedlicher nicht sein. Der Deputy reichte seiner Chefin bis unter die Achselhöhlen, höchstens. Seine geringe Größe glich er mit Leibesfülle aus. In seinem kaki-farbenen Safarianzug sah er aus wie eine Witzfigur aus einem billigen Hollywood-Film.
Grey hingegen war gertenschlank. Böse Menschen hätten sie Bohnenstange gerufen. Auch ihre Kleidung war für ein Speedway-Rennen ungewöhnlich. Die Polizeichefin trug, wie immer, ihren dunkelblauen Hosenanzug. Adrett, doch in dieser Umgebung völlig deplatziert. Eine dünne Staubschicht aus Sand hatte sich auf den feinen Tweed gelegt.
Hinter den beiden folgte ein grimmig dreinblickender Mittsechziger in schwarzer Jeans und weinrotem Hemd. Den beigen Hut, der im Normalfall seine grauen Haare bis in die Geheimratsecken bedeckt hätte, hielt er in der Hand. Eine Hornbrille milderte zwar den giftigen Blick der dunklen Augen etwas, die tiefen Falten um die Mundwinkel aber konterkarierten den Wunsch des Mannes, freundlich zu wirken. Sean Bishton war das genaue Gegenteil eines liebenswerten Opas.
»Declan, was ist hier los«, übernahm er sogleich das Kommando.
»Mein Gott, eine Tragödie. Lewis, ich meine, Doktor Lewis Murphy meinte, Bobby West sei tot.«
»Bobby ist tot! Das meine ich nicht nur, das ist so!«
»Wie bitte?«
»Der Unfall war tödlich. Mit Sicherheit.« Der Doktor stöhnte resigniert. »Absolut tot. Aber die Todesursache, die kann ich hier unter diesen Bedingungen nicht feststellen. Wir müssen den Leichnam in die Pathologie transportieren.«
»Warum ist das noch nicht passiert?« Der Deputy Chief warf sich in die Brust.
»Murphy meinte, bei einem tödlichen Unfall muss erst die Polizei her. Fiona, bitte, was soll das. Es war ein Rennunfall. Tragisch, aber einfach ein Unglück.« Bacall schüttelte die weißen Locken.
»Declan, Doktor Murphy hat absolut korrekt gehandelt. Bevor die Fakten nicht geklärt sind, der Tatort nicht gesichert und aufgenommen ist …«
»Madam, wer spricht hier von einem Tatort.« Finley schob sich in den Vordergrund. Schien die Hoheit über das Geschehen übernehmen zu wollen.
»Dann eben der Unfallort. Trotzdem, wir brauchen erst die KTU, die müssen alle Spuren sichern, fotografieren und was weiß ich sonst noch alles tun. Und Finley, rufen Sie Souness an. Er soll sofort herkommen.«
»Souness? Wozu brauchen wir den, den …« Der Deputy hielt mitten im Satz inne. »Es ist ein Unfall. Unfälle fallen in meinen Zuständigkeitsbereich.«
»Finley, ich weiß, Sie mögen Patrick Souness nicht. Aber die Polizeibehörde hat nun mal entschieden, dass wir hier in King’s Lynn ein Criminal Investigation Department, also eine Kriminalpolizei bekommen sollen. Dem fügen wir uns, und ich sage es ungern, dem wollen wir uns fügen. Die Kriminalität hat leider auch in unserem Borough zugenommen.«
»Aber ausgerechnet ein …«
»Finley Mc Gregor, mäßigen Sie sich. Nur weil dieser Mann Schwarz ist, ist er noch lange kein schlechter Polizist. Im Gegenteil. Wäre er nicht gut, hätte man ihn wohl kaum mit einer solchen Aufgabe betreut. Also bitte Finley, Sie und er sind Kollegen.«
»Noch bin ich ranghöher«, murmelte der Deputy in sein Doppelkinn. Ein Glück, dass im Fahrerlager ein Motor aufheulte und die Worte übertönte.
»Haben Sie Patricks Telefonnummer?«
»Muss ich wohl verlegt haben.«
Die Polizeichefin rollte mit den Augen. Dann kramte sie in ihrem bordeauxroten Handtäschchen und förderte ein Smartphone zutage. »Souness, kommen Sie sofort her. Aaron-Fox-Arena. Dringend! Wir warten auf Sie.«
Noch bevor ihr imaginärer Gesprächspartner antworten konnte, hatte Grey den roten Knopf gedrückt und das Gespräch beendet. »Bis der Superintendent da ist, rührt mir Keiner etwas an. Und kein Wort nach draußen. Auf gar keinen Fall an die Presse.«
»Nun mal halblang! Ich bin der Hausherr. Ich habe zu bestimmen, was hier vor sich geht.«
»Sean, ich fürchte, da muss ich Sie korrigieren. Sie sind zwar der Hausherr, doch in einem solchen Fall – nun, da habe ich das Sagen!« Fiona Grey sprach in sanftem Ton. Sie bemühte sich, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen.
»Aber die Zuschauer. Die warten, wie es weiter geht. Und die Angehörigen.«
»Die Zuschauer.« Fiona strich sich mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn. »Sean, schicken Sie die Leute nach Hause. Sagen Sie ihnen irgendetwas von tragischem Unfall, man hoffe, die Verletzungen des Verunglückten seien nicht so schwer, die näheren Umstände würden untersucht, der Ausgang des Rennens wird heute nicht mehr bekannt gegeben, morgen erst treten die Rennkommissare zusammen und werten die Fernsehbilder aus und lauter solche Sachen. Sie kennen das doch. Ihr Stadionsprecher wird gute Arbeit machen.«
»Und was sagen wir Callum und Eleanor, den Eltern von Bobby? Die wollen wissen, wie es ihrem Jungen geht. Frederick, seinem Bruder und der kleinen Zoe, der Freundin von Bobby. Die haben doch ein Recht auf die Wahrheit.«
»Sean, haben Sie einen Raum für uns. Wir versammeln uns alle dort, damit wir aus dem verdammten Zelt herauskommen. Suchen Sie die Angehörigen und bringen Sie sie dorthin. Ich werde ihnen den Sachverhalt schonend beibringen.« Fiona Grey sackte förmlich in sich zusammen. Verdammt, wie sie so etwas hasste.
Während der Stadionsprecher seine Pflicht erfüllte und die Zuschauer unter protestierendem Gemurmel das Stadion verließen, verzogen sich die Polizisten und Funktionäre in einen Raum unterhalb der Zuschauertribüne. Dort war ein einigermaßen ungestörtes Gespräch möglich. Nur Doktor Lewis Murphy und die Sanitäter blieben bei dem inzwischen mit einem Tuch abgedeckten Leichnam zurück. Finley postierte ein paar Streckenposten um den Pavillon, sie hatten Schaulustige, oder noch schlimmer, die Presse abzuhalten, die mit ihren Kameras wie Bienen vor ihrem Stock um das Zelt schwirrten.
Einige besonders aufdringliche Vertreter dieser Zunft folgten der gewichtigen Gruppe in die Katakomben des Stadions, wo sie sogar dreist an die Tür hämmerten, hinter welcher der Pulk verschwunden war. Finley Mc Gregor wies sie schroff ab. »Kein Statement, keine Wasserstandsmeldungen, keine Interviews. Lassen Sie uns unsere Arbeit machen.«
Doch das Unglück ließ sich nicht verheimlichen. Es flimmerte bereits englandweit in allen Fernsehkanälen. Die Meldung vom tragischen Unfall des Lokalmatadors beim entscheidenden Finalrennen um die englische Meisterschaft verbreitete sich in den Wohnzimmern landauf, landab wie ein Lauffeuer. Die Szene wurde aus allen Kameraeinstellungen in dutzenden Wiederholungen, in Zeitlupe gezeigt, man mutmaßte, man betrieb Schuldzuweisungen, man spekulierte. Doch es half nichts. Von offizieller Seite kamen keine Statements. Fehlte nur noch, dass einer dieser Hyänen den Tod des armen Rennfahrers verkündete. Zuzutrauen wäre es denen gewesen.
Patrick Souness schlüpfte in seine Shorts, zog die Jeans hoch, streifte sein T-Shirt über und sprang in die Sneakers.
Verdammt, das hörte sich nicht gut an. ›Souness, kommen Sie sofort!‹ In diesem Ton hatte seine Chefin bisher noch nie zu ihm gesprochen.
Er drückte Leonora einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, strich ihr ein letztes Mal über den kleinen, aber festen Busen und stob aus dem Apartment. »Kleines, ich weiß nicht, wann ich wiederkomme. Zieh dich an und geh nach Hause. Ich melde mich.«
Patrick hatte die heißblütige Leonora Dangelo mit den sinnlichen Lippen erst vor gut einer Woche kennengelernt, als sie ihm an der Kasse bei Tesco zu wenig Wechselgeld herausgegeben hatte. Eine gehauchte Entschuldigung, ein Abendessen im Prezzo, dem Nobelitaliener, und schon waren sie im Bett gelandet. Dabei hatte er sich geschworen, nicht so zu beginnen, wie er in Norwich aufgehört hatte. Erst einmal sich über die Dame informieren, bevor man mit ihr in die Kiste stieg. Das Risiko, wieder an die Falsche zu geraten, war immens. Doch gegen diesen Schmollmund, den Augenaufschlag und die schmachtenden Worte war er machtlos.
Hastig griff er sich den Autoschlüssel, stürzte die Treppe seines Apartmenthauses an der Page Stair Lane, direkt hinter dem Damm, der die Stadt vom Great Ouse trennte, hinunter, ließ sich auf den Fahrersitz des Alfa Romeo Spider Cabrios plumpsen und fuhr los. Vorbei am Tuesday Marked Place, die King’s und Queens Street entlang, bis er die London Road erreichte, wie die A148 hier in der Innenstadt hieß. Verdammt, diese winkligen Gassen, der Einbahnverkehr und die winzigen Roundabouts. Daran würde er sich nie gewöhnen. Vielleicht suchte er sich doch eine neue Behausung, draußen im Westen, am Sandpiper Way etwa, dort wo die neuen schmucken Häuschen aus dem Boden schossen wie Pilze.
Der Verkehr an diesem Sonntagnachmittag war lau, daher raste Patrick mit Höchstgeschwindigkeit durch die Kreisverkehre, fädelte in die vierspurige A47 ein, welche er bereits an der nächsten Ausfahrt wieder verließ. Obwohl er erst seit wenigen Wochen in der Kleinstadt lebte, kannte er sich leidlich aus, schließlich lag seine derzeitige Arbeitsstätte, das King’s Lynn Police Investigation Centre, in unmittelbarer Nachbarschaft der Speedwaybahn. Heute jedoch preschte Patrick achtlos an der Einfahrt zu seinem Büro vorüber. Eine kleine Biegung noch, dann hatte er sein Ziel erreicht. Die Aaron-Fox-Arena.
Ein Bobby, dunkelhäutig, vermutlich Inder, gekleidet in schwarzer Uniform, verneigte sich höflich und deutete mit dem Arm durch das Eingangstor, welches wie von Geisterhand zur Seite schwang.
»Hier entlang Sir«, wies der Uniformierte an.
Patrick parkte den Spider gleich neben dem Tor und lief schnellen Schrittes hinter die Haupttribüne, dort wo sich die Katakomben befanden.
Fiona Grey erwartete den Detective vor einer Tür mit der Aufschrift Supervisor. »Wo bleiben Sie bloß? Wir warten seit einer halben Ewigkeit.«
»Sorry, Ma’am. Mein freier Tag, ein Sonntag übrigens, da starrt man nicht permanent auf das Handy, ob es klingelt.«
»Schon gut, aber wir haben hier einen Notfall. Einen Unfall, wie es scheint. Beim letzten Rennen.«
»Und dafür brauchen Sie mich? Bestimmt ist Finley da. Der lässt sich doch solch ein Spektakel nicht entgehen.«
»Natürlich ist Mc Gregor da. Ich bin ja schließlich auch da. Aber der Unfall ist schlimm. Tödlich!«
»Heilige Sch…«
»Das können Sie laut sagen.« Die Polizeichefin führte den Detective in einen kleinen fensterlosen Raum, in welchem die Luft stickig und heiß über den Köpfen der Anwesenden hing.
»Da ist er ja, unser Superheld.«
»Lassen Sie diese Sticheleien Finley. Machen Sie stattdessen Superintendent Souness mit dem aktuellen Sachverhalt vertraut.«
Mc Gregor wand seinen nicht vorhandenen Hals in dem nass geschwitzten Kragen seines braunen Hemdes, tat aber wie ihm geheißen. In kurzen Worten schilderte er den Hergang des Unfalls, so wie er ihn selbst erlebt zu haben glaubte.
»Wo ist der Leichnam? Ist die KTU schon da? Gibt es Zeugen?«
»Bobby West ist noch drüben an der Unglücksstelle. Ausgangs der Ostkurve. Unter einem gegen Sicht geschützten Pavillon. Die KTU ist bereits am Ort, hatte ja auch kaum hundert Meter, und Zeugen! Wohl an die zehntausend Stück. Mann, das Stadion war ausverkauft, schon seit Monaten.«
»Und wo sind die? Wurden die alle befragt?« Souness musste die Spritze, die ihm Finley gegeben hatte, unbedingt retournieren. »Bringen Sie mich bitte zu der Unfallstelle.«
Der Deputy riss die Augen auf, doch seine Chefin konterte den Blick. Unterwürfig erhob er sich und verließ wortlos den Raum. Patrick folgte ihm. Den kleinen Mann überragte er um doppelte Haupteslänge. Er hatte nur zu wenigen Menschen aufzusehen, wenn man das Wort nicht im übertragenen Sinn meinte. Nur Fiona Grey konnte es fast mit ihm aufnehmen, wenngleich auch ihr noch ein paar Zentimeter fehlten. Finley schritt wie ein kleiner Junge neben dem athletischen Souness entlang. Wäre die Situation nicht allzu ernst gewesen, man hätte sich an Dick und Doof erinnert.
Unter dem Pavillonzelt herrschte gespenstische Stille. Doktor Murphy und die Sanitäter sahen mit betretener Mine zu, wie ein Mann im weißen Schutzanzug den auf der Trage Liegenden fotografierte. Eigentlich hatten sie von Berufs wegen Leben zu erhalten und nicht den Tod zu bewachen. Weitere Streckenposten achteten sorgsam darauf, die Seitenteile des Zeltes verschlossen zu halten. Schaulustige waren das Letzte, was man hier brauchte.
»Ich wäre jetzt fertig«, sagte der Fotograf.
»Doktor, können Sie schon etwas zur Todesursache sagen?« Souness wandte sich an den Mediziner, nachdem er den noch immer in seiner verstaubten Rennmontur gekleideten Toten grob inspiziert hatte.
»Tut mir leid, dazu brauche ich meine Ausrüstung.«
»Äußerliche Verletzungen?«
»Nicht soweit man es ohne Weiteres erkennen kann. Und hier bei dem vielen Schmutz und Staub möchte ich den Schutzpanzer nicht von dem Toten schneiden, sondern erst wenn er auf unserem Tisch liegt.«
»Bringen Sie den Mann in die Pathologie«, wandte sich Souness an einen Sanitäter. »Und Sie, Doktor, bitte ich, sofort mit der Arbeit zu beginnen. Ich muss schleunigst wissen, an was er gestorben ist.«
»Ich gebe mein Bestes.«
Die Polizei in King’s Lynn verfügte natürlich über keine gerichtsmedizinische Abteilung. Dazu war die Stadt einfach zu klein und zu unbedeutend. Wenn mal eine Obduktion vorzunehmen war, geschah dies im Keller des Krankenhauses, wo ein paar Räume mit entsprechenden Gerätschaften eingerichtet worden waren. Stümperhaft ausgerüstet, ohne Labor, kein Fachpersonal, aber für die üblichen Vorkommnisse ausreichend. Nicht einmal einen eigenen Pathologen gab es. Fast jeder Arzt nahm die Untersuchungen zur Feststellung der Todesursache eines Menschen, wie es in der offiziellen Amtssprache hieß, selbst vor. Meist jedoch bat man Doktor Lewis Murphy, dem man eine besondere Fachkompetenz in diesem medizinischen Segment zuschrieb. Zudem schien der Mann eine gewisse Vorliebe für solche Tätigkeiten zu besitzen, denn wann immer er ein paar Stündchen, oder auch nur Minütchen Zeit fand, trieb er sich in den kalten Räumen der Pathologie herum.
Heute fungierte Murphy notgedrungen als Rennarzt, da für solche Sportveranstaltungen neben einer gewissen Anzahl Sanitätern auch ein Arzt vorgeschrieben war und der eigentlich für diesen Dienst vorgesehene Mann überraschend erkrankt war. Murphy, ein sportlich durchtrainierter Fünfziger, dem man trotz seiner fast weißen Haare und der grau melierten Schläfen sein Alter nicht ansah, wirkte ein wenig ratlos. Sein sonst so freundliches Gesicht, welches in seinen Patienten Vertrauen erweckte, nahm in der jetzigen Situation ernste Züge an. ›Irgendetwas ist hier falsch‹, sagte sein Gesichtsausdruck, dennoch strahlte er Ruhe und Professionalität aus.
»Wir dürfen keine Leiche transportieren«, insistierte der Sanitäter zaghaft. »Das darf nur ein Leichenfahrzeug.«
»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen Mann! Wollen Sie hier einen Leichenwagen vorfahren lassen? Draußen strömen Hunderte von Zuschauer aus dem Stadion, die Meute der Presse wartet auf ihre Sensation, Fernsehkameras sind auf uns gerichtet. Ganz England schaut auf uns. Gehen Sie, fahren Sie Ihren Krankenwagen hierher und laden den Mann ein. Egal was die Vorschriften sagen. Tun Sie es einfach!« Souness hatte sich in Rage geredet. »Was ist mit den Eltern, den Angehörigen? Hat man die schon informiert.«
»Sie warten in einem Nebenraum unterhalb der Tribüne. Chief Constable Grey hat mit den Leuten gesprochen. Ich gehe davon aus, sie hat es ihnen gesagt. «
Unter protestierendem Murren entfernte sich der Rettungsassistent. Sein Einwand war begründet. Die Dienstvorschrift verbot in der Tat den Transport von Leichen. War ein Unfallopfer bereits tot, als der Rettungswagen bei ihm anlangte, durfte er nicht eingeladen werden. Verstarb das Opfer während der Fahrt, musste angehalten und auf einen Leichenwagen gewartet werden. In den meisten Fällen umging man diese Vorschrift, indem man die entsprechende Person so lange reanimierte, bis man im Hospital ankam. Auch unter der Gewissheit, die Anstrengungen seien vergebens. Daher hieß es in solchen Fällen in den Berichten nie: Während der Fahrt ins Krankenhaus verstorben, sondern bestenfalls: Trotz intensiven Bemühens konnten die Ärzte das Leben des Betroffenen nicht mehr erhalten. Er verstarb noch auf dem Op-Tisch.
Der Grund für diese Anweisung war sehr subtil. Die Dienstvorschriften der Krankentransportunternehmen verboten tatsächlich, einen Toten zu befördern, doch gab es keine Gesetze oder Verordnungen, sondern nur überbordende Hygienevorschriften. Wurde eine Leiche transportiert, war das gesamte Fahrzeug vollständig zu desinfizieren. Jedes noch so kleine Teil des Innenraums war auszubauen, zu reinigen und zu sterilisieren. Ganze Horden von Putzkolonnen waren dann beschäftigt den Krankentransporter wieder klinisch rein zu bekommen. Dies kostete Geld und Zeit. Setzten sich daher die Sanitäter über die Vorschriften hinweg, drohte ihnen schlimmstes Ungemach.
Doch den Anordnungen des Detective Superintendents hatte man Folge zu leisten. Die Anweisungen der Polizei waren höher angesiedelt als die Dienstvorschrift oder die Hygieneverordnung. Der Krankenwagen rollte langsam rückwärts über die Sandbahn, bis seine Hecktüren fast den Pavillon berührten. Einer der Streckenposten zog die Seitenwände des Zeltes auseinander, ein Rettungssanitäter öffnete die Türen des Krankentransporters, zwei weitere hoben die Trage an und schoben sie samt dem Patienten in den Innenraum. Noch bevor einer der Draußenstehenden einen Blick auf Bobby werfen konnte, hatten sich die hinteren Türen des Fahrzeugs wieder geschlossen.
»Wo passierte der Unfall genau?«, fragte Patrick den Deputy Chief.
»Hier in der Kurve. Direkt hier, wo wir stehen.«
»Da macht Spurensuche keinen Sinn. Hunderte Menschen sind darüber gestolpert, Reifenspuren der Motorräder und was weiß ich noch. Wir brauchen die Fernsehbilder, um den Unfallhergang auszuwerten. Kommen Sie. Lassen Sie uns zu Fiona gehen, sie muss die Sender dazu bewegen, uns die Aufnahmen so schnell wie möglich zukommen zu lassen.«
Wieder trabte Patrick mit Finley zurück in die Katakomben unter der Zuschauertribüne. Fiona Grey war nicht mehr anwesend.
»Sie spricht gerade mit den Angehörigen. Hier nebenan.« Sean Bishton deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Ein schweres Gespräch. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.«