Spiegel der Wahrheit - Michael C. Sedan - E-Book

Spiegel der Wahrheit E-Book

Michael C. Sedan

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Beschreibung

Michael entzündet einen Feuerkreis um eine Katze. Peter erfreut sich an den Flammen in ihren Augen. Wer kann den gestörten Kindern helfen? Eine Oma, die in der Kaiserzeit geboren wurde oder eine flippige, schrille Erzieherin aus dem 21. Jahrhundert? Wahrheit ist die Schlüsselrolle.

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Spiegel der Wahrheit

Von Michael C. Sedan

Spiegel der Wahrheit

2 Kurzgeschichten im Vergleich

Von Michael C. Sedan

1. Auflage, 2022

© Alle Rechte vorbehalten.

Vorwort:

Wer traut sich hineinzuschauen – in den Spiegel der Wahrheit? Es ist nicht immer ein schönes Bild in diesem Spiegel. Kinder schauen gern hinein! Auch wenn ihr Gesicht schmutzig ist. Kindermund tut Wahrheit kund.

Kindern kam man Geschichten vorlesen und erzählen.

Kinder machen Fehler und Blödsinn.

Schauen wir uns zwei Kindergeschichten durch den Spiegel der Wahrheit an. Es liegen 25 Jahre dazwischen. In der Mitte liegt die Jahrtausendwende. Hat diese Wende mehr verändert, als wir wahrhaben möchten?

Geschichte 1 Die erste Katze

Nach wahrer Begebenheit

Kapitel 1 Feuer und Flamme

Der kleine Michael war stolzer Kaninchenvater. Ausgerechnet am Ostermontag war plötzlich ein Osterhasenbaby verschwunden.

Michael ging in die 7. Klasse. Er war gut in Mathematik. Genau am Ostersonntag hatte sein Lieblingskaninchen den ersten Wurf bekommen. Wenige Tage drauf brachten die beiden anderen Hasenmamas ihre Kinder zur Welt. Mit den drei Hasenmamas war er stolzer Papa von 25 kleinen kuscheligen Häschen. Schnell konnte er sich ausrechnen: Wenn es mit dem Verschwinden in dem Tempo weiterging, würden am 20. April keine Hasenkinder mehr da sein. Dann wären die drei Hasenmamas, der Hasenpapa und der Hasenopa Anton wieder allein. Das wollte er nicht zulassen.

Die Osterferien waren zu Ende. Alle Kinder von Oberhof mussten wieder in die Schule. Gemeinsam mit seinem Bruder Matthias machte sich Michael für die Schule fertig. Sie frühstückten wie immer auf den letzten Drücker, putzten sich eilig die Zähne und schritten zügig aus der Haustür. Durch die Stämme der Streuobstwiese vor ihrem Elternhaus konnten sie den Bus sehen, welcher meistens im Oberdorf bereits an der Haltestelle stand. Dann war Eile geboten. Schnell rannten sie den schmalen Weg entlang und schossen durch die Kirchstraße. Beim Einbiegen in die Hauptstraße war das Brummen des Busses schon zu hören. Aber sie schafften es immer, den Bus zu erreichen.

Als die Grenze mitten durch Deutschland noch geschlossen war und mit D-Mark bezahlt wurde, mussten die Kinder auch samstags zur Schule gehen. Dann liefen Matthias und Michael ein klein wenig langsamer und es kam vor, dass sie den Bus verpassten. Papa Josef hatte die Angewohnheit, freitagabends in die Wirtsstube zu gehen. Er war Samstagsmorgens nicht fahrtüchtig und dieser Umstand verschaffte den beiden Lausebengeln öfters einen freien Samstag.

Leicht außer Atem saß Michael im Schulbus wie immer neben seinem Freund und Schulkamerad Stefan, dem Sohn des größten Bauern aus dem Ort. Im Bus herrschte ein reges Treiben. Jeder hatte etwas zu erzählen. In den Osterferien passierte immer viel im Dorf: Das Aufbauen des Osterfeuers oder die Aktion „Saubere Landschaft“. Die Tiere kamen zum ersten Mal wieder auf die Weide. Die Mädchen ritten wieder über die Wiesen. Michael berichtete Stefan von dem seltsamen Ereignis auf dem Kaninchenhof.

»Ich habe 25 kleine Kaninchen.«

»Wow! So viele hattest du ja noch nie.«

»Ja, seit Ostermontag habe ich nur noch 24.«

»Hast du schon eins verkauft?«

»Nein, das hat mir einer geklaut oder die Mutter hat es aufgefressen.«

»Kaninchen fressen kein Fleisch, die fressen nur Pflanzen. Wer klaut denn kleine Kaninchen?«

»Weiß ich nicht. Die liegen ja noch blind im Nest und sind noch ganz nackt. Da kann noch keiner was mit anfangen.

Aber es fehlt eins. Ich schaue jeden Morgen nach. So hat es mir Möckes beigebracht. Möckes war einer er ältesten und erfahrensten Kaninchenzüchter in Oberhof. Michael erzählte weiter: »Jeden Morgen müssen die Kaninchennester geprüft werden, ob alle Kaninchen noch leben. Vielleicht haben die Schwachen nicht genug Milch bekommen und liegen tot im Nest. Bei meiner Lieblingshäsin waren es 9 Stück. Bei so vielen kann das schnell passieren, dass ein Kaninchen nicht stark genug ist, um sich zu ernähren. Das ist ja auch der ganz normale Weg. Das ist der Lauf der Natur. Die kann hart sein, sagen meine Oma und mein Papa. Ich schaue jeden Morgen nach, schiebe vorsichtig das Stroh und das Hasenfell beiseite und zähle die Kleinen. Eins fehlt mir und das ist nicht schön.

Seitdem ich die Kleinen habe, laufen auch immer mal wieder Katzen bei uns über das Grundstück. Oder auch mal ein Hund.«

»Die Katzen, die könnten die kleinen Häschen klauen.«

»Aber das Nest ist oben unterm Dach von meinem neusten Stall. Das ist 1,50 Meter vom Boden entfernt.«

»Ja, Katzen können dahin springen. Oder die klettern da hoch. Hunde schaffen das nicht.

Die kleine Kaninchenzucht von Michael hatte schon eine lange Tradition. Mit acht Jahren hatte Michael Schneider sein erstes Kaninchen bekommen. Sein Freund Klaus besaß in der Zeit auch ein Kaninchen. Die Jungs waren noch nicht reif für ein Tier. Wenn die Omas nicht gewesen wären, hätten die armen Tiere nach vier Wochen einen Hungertot erleiden müssen.

Anschließend hatte Klaus noch drei Hamster. In der Zeit war Michael tierlos.

Ein Klassenkamerad von Michael hatte 1988 mit seinem Vater eine Kaninchenzucht aufgemacht. Klaus und Michael waren aus dem Häuschen gewesen, suchten sich sofort eines aus dem 8er-Wurf aus und begannen eifrig, neue Ställe zu bauen.

Michaels erster Stall war ein klassischer Hasenstall: Vier Stützen, eine Hälfte Fenster mit Hasendraht, die andere verbrettert, mit einem leicht nach hinten geneigtem Flachdach. Der Stall stand hinter dem Holzschuppen seines Vaters auf einer kleinen Wiese. Hier konnte Michael vor sich hin werkeln.

Klaus und Michael hatten sich eines Sonntages heimlich vom Sägewerk vor dem Dorf Bretter »organisiert«. Es waren ein paar Bretter übriggeblieben. Für einen zweiten Stall reichten die nicht, aber für ein Spitzdach. Michaels Ställchen bekam einen kleinen Heuboden – wie bei einem richtigen Bauernhof.

Das gefiel dem Herrn Nachbar so gut, dass er Michael seinen nichtbewohnten Stall schenkte. Dieser wurde im rechten Winkel neben den ersten Stall gestellt. Er hatte ebenfalls ein Flachdach, welches sich leicht nach hinten neigte. Die beiden Hasenfreunde Klaus und Michael bekamen die Idee, wenn man eine leere Torftüte und darüber einen zweiten Boden aus Brettern nageln würde, könnte in dem Dachgeschoss sogar ein Kaninchen wohnen. Die beiden Jungs waren Feuer und Flamme! »Auf meinen Stall mache ich auch ein Spitzdach!«, schwärmte Klaus.

Für die Baumaßnahmen musste weiteres Material herangeschafft werden. Die Jungs stellten sich die Wecker auf zwölf Uhr Mitternacht. In einer warmen Sommernacht fuhren sie mit ihren Fahrrädern mehrere Ladungen bester Fichtenbretter vom Sägewerk in die Fichtenschonung nahe dem Tretbecken. Die Bretter waren ein- bis eineinhalb Meter lang. Davon passten fünf Stück auf einen Gepäckträger.

Wenige Tage später zimmerte der kleine Michael ein Spitzdach auf den zweiten Stall mit der Besonderheit, dass dieses Dach nach vorne hin eine Klappe erhielt, welche man als Hasenstalltür nutzen konnte.

Die erste Dachwohnung für ein Kaninchen entstand!

Doch auf der kleinen Wiese war noch reichlich Platz. Es gab kein Halten mehr. Nach wenigen Wochen war aus dem Standardkaninchenstall ein kleiner Gutshof geworden. Das neueste Gebäude und gleichzeitig der größte Stall wurde mit Sperrholzplatten verblendet. Den Giebel verkleidete Michael mit Holz. Auf die Sperrholzplatten malte er Fachwerk. Auf den obersten Balken unter den Brettern schrieb er mit dem Pinsel aus seinem Wasserfarbkasten:

»Erbaut am 5. Mai 1988«

Im Frühjahr 1989 legte er den Innenhof mit Pflastersteinen, die vor einem Haus auf der Straße gegenüber herumlagen, aus. Im Keller fand er noch alte Blumentöpfe von seiner Oma. Diese stellte er auf und pflanzte Wildblumen oder Gras hinein. In dem dunkelblauen Emailletopf pflanzte er eine kleine Birke, einen Maibaum für seine Lieblinge. Diese lagen oft vor den fünf Stallfenstern und schauten sich das Bäumchen mit den hellgrünen Blättern an. Die größte Wohnung hatte Anton, der Papa der drei Mamas, welche sich in den großzügigen Neubauwohnungen um die 25, seit Ostermontag 24 Enkel kümmerten. Es waren drei schöne Ställe mit modernen zweiflügeligen Panoramafenster-Stalltüren. Da ließ es sich drin wohnen als Deutsche Riesen, eine der größten Kaninchen-Rassen.

In der Schule saßen die beiden Lausbuben Michael und Stefan ebenfalls zusammen. Selten hatten sie Zeit, dem Unterricht zu folgen. Wenn es etwas zu lachen gab, waren die zwei dabei oder entzündeten ein großes Klassengelächter. An einem Frühlingsmorgen saßen Stefan und Michael wie zu Eis erstarrt auf ihren Stühlen. Die Sonne schien durch die vielen Fenster.

Obwohl es ein warmer Tag war und draußen die Vögel zwitscherten, saßen sie kreidebleich auf ihren Stühlchen. Deutsch war nicht gerade Michaels Lieblingsfach.

Herr Korte las aus der Lektüre »Die letzten Hexen im Oberstaufenwald«. Lehrer Korte war ein strenger Lehrer. Ein Grund mehr, das Fach Deutsch zu hassen. Den beiden Lausbuben wurde wenig Möglichkeit geboten, ihren eigentlichen Spielchen, ihrem eigentlichen Treiben nachzugehen. Der große Mann mit dem breiten Schultern und dem strengen Blick lehnte an der ersten Fensterbank des Klassenzimmers und las mit leiser und bedächtiger Stimme vor. Eine andächtige Stille durchzog den Klassenraum:

»Die Fackeln warfen ein spärliches Licht auf den Hexenplatz in den frühen Morgenstunden. Der eisige, starke Wind drohte, sie auszulöschen. In den dunklen Novemberstunden gab es keinen Sonnenschein in dieser leblosen Gegend. Wilde Nebelschwaden zogen umher. Ein dichter Regen nieselte zu Boden. Die Gerichtsdiener verteilten auf dem Boden getrocknete Weißdorn-Reißer. Unter jedem der sieben Scheiterhaufen, welche in einem Kreise aufgestellt waren, füllten sie die Aussparung mit einem Ballen Reisig. Dies war der Befehl des Freiherrn zu Fürstenberge. Dies war eine zusätzliche Sicherung, dass die Hexen nicht zurück in die irdische Welt gelangen konnten. Wenn sie sich in ihrer teuflischen Wut vom Stamme des Scheiterhaufens entrissen, würden die Flammen des Weißdorn-Kreises ihre besessenen Leiber mit in die Höhe nehmen.

Nach vollbrachter Tat traten die vier Herren zum Eingang des Hexenplatzes und stellten sich in einer Reihe auf. Es war eine Totenstille. Nach einer Weile waren feste Huftritte zu hören. Zwei Ritter zu Ross traten aus dem Vorhang des Nebels hervor. Nur schwer konnten die fünf Weiber und zwei Mannen, welche mit schweren Ketten mit den Rössern verbunden waren, folgen. Manche von ihnen waren mit Lehm und Acker überzogen. Dann standen die Rösser still. Der herausschießende Dampf der Gäule vereinte sich mit den Nebelschwaden. Das Gefolge wurde von den Seilen entbunden. Zu viert führte man sie zu jeweils einem der Scheiterhaufen. Die Dornen unter den nackten Füßen stachen in die Haut oder ließen aus dieser Blut herausströmen. Die blutüberströmten Gesichter neigten sich dem Erdreich. Sie schwiegen in ihren letzten Minuten auf dem Erdenrund.

Die weitaus schwereren Qualen Tage zuvor haben ihren Stolz gebrochen, haben den Lebensmut erstickt, haben den Wunsch zum Sterben beschleunigt.

Sie konnten es kaum erwarten, mit den Flammen in die Ewigkeit zu ziehen ...«

Der Lehrer schloss das Buch und schaute mit einem weiten Blick über Köpfe seiner Schülerinnen und Schüler. Selten hatte so eine Ruhe im Klassenraum geherrscht. Er schaute zufrieden in die Menge.

»Ist das eine Totenstille!«, schmunzelte er vor sich hin. »In unsere Lektüre werden die Hexen durch das Feuer bekämpft. Hier an unserer Schule machen wir fachübergreifendes Lernen. In unserer Lektüre werden die Hexen so lange gequält, bis dass sie zugeben, dass sie eine Hexe sind. Im Geschichtsunterricht habt ihr auch schon etwas über Hexen erfahren.

Wer von euch kennt eine weitere Methode, wie man im Mittelalter festgestellt hat, wer eine Hexe ist und wer nicht?« Das lange Schweigen hielt noch etwas an.

Lehrer Korte half ein wenig nach: »Wer von euch hat das Seepferdchen?« Alle zeigten auf. Der Lehrer lächelte und sprach: »Wenn wir jetzt in der Zeit der Hexenverfolgung leben würden ...« Er machte eine Pause, zog die Augenbrauen hoch, presste die Lippen zusammen und nickte mit dem Kopf und sprach dann: »... dann wärt ihr alle tot.« Die Schüler begannen leise untereinander zu murmeln.

Silke, die fleißigste Leseratte der Klasse, zeigte auf und schnippte mit den Fingern.

Korte blickte zur Tür. Silke saß am Fenster. »Nicht mit dem Finger schnippen!« So war er! Er war streng und konnte sich grob äußern, wenn ihm etwas nicht passte.

Er schaute zu Silke. Mit seinem markanten, schnellen Heben des Kopfes erteilte der Lehrer der Schülerin das Wort. »Hexen können schwimmen.«

»Ja, das geht schon in die richtige Richtung«, entgegnete Korte. »Im Mittelalter deutete man das an der Wasseroberfläche bleiben anders. Wenn jemand oben blieb, hatte dieses Wesen kein natürliches Gewicht und war somit eine Hexe. Ein Mensch hat Gewicht und wird nach unten gezogen, wenn er sich nicht bewegt. So einfach hatte man sich das erklärt. Man hatte die Wahl, im Wasser zu ertrinken oder im Feuer zu verbrennen.«

Dies stimmte die ganze Schüler Schar nachdenklich. Sie schauten sich an, die Augen wurden größer. Einige Mädchen bekamen Tränen in die Augen. Manche schüttelten mit dem Kopf. Selbst Michael und Stefan schauten Herrn Korte mit offenen Mündern an. Der Lehrer merkte, wie seine Schülerinnen und Schüler ein wenig Angst bekamen und beschwichtigte sie ein wenig: »Na ja, heutzutage ist das ja zum Glück nicht mehr so. Heute sind wir in einer freien Welt und dürfen schwimmen, so viel wir möchten.«

Und schon wurden die beiden Lausebengel in der zweiten Reihe wieder übermütig. Michael flüsterte Stefan zu:

»Wenn noch mal ein Kaninchen fehlt, dann zieht die Katze auch mit den Flammen nach oben!« Stefan lachte.