SPINOZA  - Lebensgeschichte, Philosophie und Theologie - Fritz Mauthner - E-Book

SPINOZA - Lebensgeschichte, Philosophie und Theologie E-Book

Fritz Mauthner

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Beschreibung

Für jeden, der sich für die Philosophie des 17. Jahrhunderts und insbesondere für das Werk von Baruch de Spinoza interessiert, ist "SPINOZA - Lebensgeschichte, Philosophie und Theologie" von Fritz Mauthner ein Muss. Mit einer herausragenden Analyse und einem tiefgründigen Verständnis der Materie bietet dieses Buch einen faszinierenden Einblick in das Denken eines der bedeutendsten Philosophen der Neuzeit. Mauthners umfassende Darstellung und sein klarer Schreibstil machen dieses Werk zu einer unverzichtbaren Lektüre für jeden philosophisch interessierten Leser.

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Fritz Mauthner

SPINOZA - Lebensgeschichte, Philosophie und Theologie

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0675-9

Inhaltsverzeichnis

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.

An

Martin Andersen Nexö,

den dänischen Dichter der stärksten Internationale, der internationalen Brüderschaft der Armut und des Leidens.

Lieber verehrter Freund,

es war für Sie ein leidiger, für mich ein günstiger Zufall, daß die italienische Regierung Ihnen, als einem „staatsgefährlichen" Dichtersmann, die Einreise verweigerte, daß Sie auf Ihrer Fahrt nach dem Süden am Bodensee haltmachen mußten und ich so Gelegenheit hatte, Ihnen persönlich und bald geistig nahe zu kommen. Wir haben einander schnell gefunden, in dem Gemeinsamen. Als ich nun darüber sann, wie ich Ihnen ein Zeichen dieser Gemeinsamkeit geben könnte, fügte es ein anderer Zufall, daß der Neudruck meines alten Bekenntnisses zu dem Weltüberwinder Spinoza zwischen uns zur Sprache kam. Ich bitte Sie herzlich, die Widmung dieses Büchleins anzunehmen.

Es wäre ja leicht möglich - so weit mir das möglich ist - klingende Worte zu machen über die Notwendigkeit, Ihren Namen mit dem Spinozas zusammenzubringen: Sie waren ein proletarischer Arbeiter, bevor Sie der Dichter des Proletariats wurden, und Baruch de Spinoza war zeitlebens ein armer Glasschleifer, während er ohne Entgelt für sich und die anderen armen Menschen die Wahrheit suchte; Sie halten nicht allzuviel von der betriebsamen Vielwisserei der staatlichen Hochschulen, und Spinoza gar war so frei, so ganz frei, daß er, der mittellose Handarbeiter, ablehnte, als er ordentlicher und gutbezahlter Universitätsprofessor werden sollte. (Nebenbei: glauben Sie noch an einen Fortschritt der Kultur, wenn Sie daran denken, daß ein deutscher Kurfürst vor 250 Jahren es wagen durfte, einen konfessionslosen Menschen, einen von seiner Synagoge feierlichst verfluchten Juden, zu einem Professor in Heidelberg zu ernennen? Wir wollen dar-über plaudern, bald, bei einem Viertel oder auch nur bei einem Achtel alten Meersburger.)

Aber diese Wortbrücke zwischen den Namen Spinoza, und Nexö wäre doch nicht ganz ehrlich, also nicht nach unsrem Geschmack. Sie wissen, daß die Linsen-Schleiferei damals noch ein Nebenberuf gelehrter Optiker war, daß Spinoza überdies vielleicht einer hübschen jüdischen Tradition oder Legende folgte, als er nicht von seiner Weisheit, sondern nur von seinem Handwerk leben wollte. Und bei der Zurückweisung der Professur bestimmte ihn doch wohl die Sorge, er würde als Beamter einer wissenschaftlichen Anstalt nicht seine volle Denk- und Redefreiheit behalten. Es wäre also besser, Ihnen das Büchlein zuzueignen, ohne Angabe der Gründe, nur als Äußerung eines Gefühls,

Und doch: der Wunsch kam mir, als Sie von der freien dänischen Volkshochschule erzählten, wo Sie einst ein Schüler und dann ein Lehrer waren. Volkshochschule! Mein alter Traum. Ich stimme darin mit Ihnen und mit Richard Benz überein, daß die Volkshochschule der Zukunft nicht ein Ableger der Universität sein darf, nicht ein Almosen für das Volk, sondern eine Gegen-Universität, eine Revision der Grundlagen aller Wissenschaften, ein ganz Neues, wo die Studenten und die Professoren der alten Universitäten noch was lernen können.

In diesen Schulfragen bin ich nicht erst seit der „Revolution" ein Rebell, nicht erst seit zwei Jahren. Sie können es als Däne nicht wissen (und als ein Deutscher würden Sie es, unter uns, auch nicht wissen), daß ich im November 1897 im Berliner Rathause (bei Gelegenheit einer Versammlung für Volksunterhaltung) einen kurzen Vortrag hielt, worin ich auf die geistige Not der Proletarier hinwies und Abhilfe verlangte; daß ich 1910 (in dem Stücke „Schule" meines „Wörterbuchs der Philosophie") leidenschaftlich die Korruption angriff, die von der Volksschule bis zum Staatsexamen das Taglöhnerkind zugunsten der Sprößlinge der Plutokratie und der Bürokratie schädigt; „zurück in den Dreck" rief ich den Söhnen der oberen Stände zu, die dümmer, fauler oder schlechter wären als Proletariersöhne; daß ich in meinen Lebenserinnerungen (noch vor dem Kriege ausgedruckt) bitter genug meine Erfahrungen, auf dem Gymnasium und auf der Universität erlitten, erzählte,

Für den vielzuvielen, für den chinesischen Wissenskram sind unsere mittelalterlichen, chinesischen Universitäten auch nicht gut genug. Die seltenen wirklichen Wahrheitssucher der Geistes- und der Naturwissenschaften wissen das am besten; sie sagen's nur nicht. Die Volkshochschule der Zukunft soll oder wird überall die erkenntniskritische (Sie wissen, ich meine, die sprachkritische) Grundlage schaffen helfen, sie wird in der geschichtlichen Darstellung auf offiziöse Schönfärberei verzichten und nur für wahrhaft vorbildliche Menschen Bewunderung lehren. Ich kenne keinen vorbildlicheren Menschen in Westeuropa als den „grenzenlos Uneigennützigen" Spinoza. Seine Wirkung muß endlich ins Volk dringen. Nicht durch mich. Nicht wahr, diesen Gedankengang erwarten Sie nicht bei mir? Ich bin viel zu alt, um an meiner Volkshochschule selbst umzulernen. Durch Sie und Ihresgleichen muß Spinozas Wirkung ins nachgeborene Volk dringen.

Wissen Sie auch, was Sie mit dem Juden von Amsterdam verbindet? Die geistige Liebe zu der Natur, die er seinen Gott nannte, und die sieghafte Heiterkeit im Schauen und im Erleben des Menschenelends. Bleiben Sie so. Das ist unser Wunsch bei diesem unbescheidenen Gruße, mein Wunsch und der von H. Str.

Meersburg, im Februar 1921. Fritz Mauthner.

I.

Inhaltsverzeichnis

Wer unter „Religion", entgegen allem gegenwärtigen Denken und Dichten, nach wie vor irgendeine Form der Furcht und Knechtschaft unter übermenschlich offenbarten Gesetzen verstehen will, der wird der Meinung zustimmen müssen, Spinoza sei der erste grundstürzende Gottesleugner gewesen; wer aber mit dem schillernden Worte „Religion" - mit mir - nichts ausdrücken will, als tiefen Ernst in der Besinnung über das Menschenleben, der wird erkennen müssen, daß Spinoza eine durchaus und wesentlich religiöse Natur war, der erste stillsiegende Bekenner der neuen Religiosität. Es brauchte eine lange Zeit, bevor diese Einsicht sich durchrang. Spinozas Philosophie war über hundert Jahre lang das Aschenbrödel, von ihren bösen Schwestern, den Philosophien der Schule, in den Schmutz verurteilt; erst seit Lessing und Goethe steht sie in ihrer ursprünglichen Schönheit vor uns, die geborene Fürstin.

Spinoza wurde, da er noch lebte, von einigen freien Männern in England und in Frankreich als ein Gelehrter und als ein Weiser geschätzt, in Holland von wenigen Freunden und Freireligiösen als ein Heiliger verehrt; nur die rechtgläubigen Juden verfolgten ihn seit seiner Jugend, dann die ebenso rechtgläubigen Protestanten, nachdem er (1670) durch seinen „Traktat" Denkfreiheit verlangt und besonders Bibelkritik entscheidend begründet hatte. Nach seinem Tode (1677) wurde aber die Darstellung seiner Philosophie, die nur zufällig „Ethik" heißt, von seinen Genossen herausgegeben und seitdem gehörte es zum guten Ton wohlanständiger Schriftsteller, von Spinoza entweder gar nicht zu reden oder in herabwürdigenden Ausdrücken. Die protestantische Orthodoxie war noch eifriger als die erfolgreiche katholische Gegenreformation an der Arbeit, das Lebenswerk des verwegenen Denkers durch das wohlfeile Mittel der Beschimpfung zu vernichten; den ohne Verabredung vereinigten Feinden der Gedankenfreiheit kam es zustatten, daß Spinoza jüdischen Stammes war; daß man also den immer bereiten Judenhaß gegen ihn aufreizen könnte, wie vielleicht schon Jesus Christus als ein Jude dem Römer Tacitus verächtlich schien (wenn nämlich die Stelle nicht doch ein späterer Zusatz ist). Die Bezeichnung „Spinoziste" wurde zu einem gemeinen Schimpfworte.

Es gibt wohl nur noch einen einzigen Fall, in welchem die Leistung eines bedeutenden Denkers ebenso brutal für lange Zeit totgeschlagen, in Kot begraben wurde, den Fall des Philosophen Epikuros, dessen materialistische, doch geistige und feine Weltanschauung gleich für zwei Jahrtausende beiseite geschafft wurde, nicht totgeschwiegen, aber totgeflucht und totgelogen; der Lügenfeldzug gegen Epikuros erbte sich über von den Stoikern, den Pharisäern des klassischen Altertums, zu den Kirchenvätern, zu den Scholastikern und noch zu den Kartesianern. Es sollte beachtet werden, daß die „Rettung" des Epikuros, die Verteidigung seiner Persönlichkeit und auch seiner naturwissenschaftlichen Lehre, durch Gassendi erfolgte (1647), als der fünfzehnjährige Spinoza eben anfing, sich innerlich von der Religion zu lösen, in der er geboren worden war. Wahrscheinlich machte bereits dieser junge Spinoza auch die äußeren Bräuche seiner Stammesgenossen nicht mehr mit und fügte sich bald auch nicht mehr den Anordnungen der Rabbiner; diese Lostrennung wird den überfall durch einen frommen Juden veranlaßt haben, mag diese Roheit nun nur eine hitzige Rauferei oder wirklich ein Attentat gewesen sein. Die feierliche Austreibung aus der Judengemeinde von Amsterdam erfolgte erst 1656; Spinoza war an diesem seinem Ehrentage noch nicht 24 Jahre alt.

Der Bann, den die Synagoge über Spinoza verhängte, hatte nur die eine Folge, daß er ihn von jeder Rücksicht auf die jüdische Religionsgemeinschaft befreite; aber die Verfemung durch die orthodoxen Pastoren, die seit der Dordrechter Synode wieder mächtig geworden waren, setzte sofort nach Erscheinen des freidenkerischen „theologisch-politischen Traktats" ein, und seitdem blieb Spinozas Denkarbeit geächtet. Der Traktat wurde verboten (die Neudrucke, die alle die Jahreszahl 1670 tragen, sind wahrscheinlich später erschienen und vordatiert). Mit dieser Ächtung hängt es vielleicht zusammen, daß sogar Spinozas „Opera postuma" nicht seinen Namen trugen, sondern nur die Anfangsbuchstaben B. d. S. Ganz grotesk erscheint uns Nachgeborenen diese Scheu, den Namen Spinoza auszusprechen, bei der Herausgabe der ersten deutschen Übersetzung seines Hauptwerkes. Um dieser Tollheit willen und um des Übersetzers willen muß ich einige Zeilen daran wenden,

Der Übersetzer war Lorenz Schmidt, ein Mann, der es nicht verdient hat, verschollen zu bleiben. Er hatte kurz vor Lessing in Wolfenbüttel eine Zuflucht gefunden, auch er - wie Spinoza - ein Verfemter; Lessing machte sich den Spaß, ihn - als der Zorn der Zionswächter über die Veröffentlichung der „Frag-mente" auszubrechen drohte - für den wahrscheinlichen Autor der antichristlichen Stücke auszugeben, damit Reimarus, der wahre Verfasser, nicht bekannt würde. Dieser Lorenz Schmidt (geb. 1702, gest. 1749), Sohn eines Pfarrers und selbst Theologe, hatte im Jahre 1735 durch seine Übersetzung des Pentateuchs einen Sturm im theologischen Sumpf hervorgerufen, einen Zorn, zu dessen Verständnis wir uns heute kaum mehr hinabsenken können. Was man ihm so übel nahm, war zunächst die Verwegenheit, den durch eine Tradition von 200 Jahren beinahe geheiligten Text Luthers verdrängen zu wollen; dann aber war es der Wolffsche Rationalismus, mit welchem er den Urtext wörtlich wiedergab (z. B. „ein starker Wind" wehte über den Wassern, anstatt „der Geist Gottes")1 und mit welchem er in zahlreichen und oft überflüssigen Anmerkungen die Bibelworte schlicht erklärte, in der durchgehenden Absicht, alle Weissagungen des Alten Testaments, die auf Jesus Christus nämlich, kritisch abzulehnen. Er wurde für einen Religionsspötter erklärt, und besonders der bösartige Fanatiker Joachim Lange hetzte die evangelische Kirche und den Reichsfiskal hinter ihm her. Der Schutz des gräflichen Hauses Wertheim, wo er als Erzieher der jungen Herren lebte, konnte ihm nicht viel helfen, weil die fürstliche Linie des Hauses die Befehle des Kaisers auszuführen sich anschickte; doch ließ man ihn nach der Konfiskation des Buches und nach seiner Verhaftung (1737) freundlich entkommen, nach Altona, wo er wahrscheinlich als Korrektor und gewiß als Übersetzer der verrufensten Bücher der Freidenkerei sein Leben fristete, bis er eben endlich in Wolfenbüttel geduldet wurde und sterben durfte,

Der Herausgabe des deutschen Spinoza ging 1741 eine Übersetzung von Tyndals erschrecklicher Schrift „Christentum so alt wie die Welt" voraus; schon da deckte Schmidt sich schlau durch die Hinzufügung einer Widerlegung, der von Forster. Die gleiche Vorsicht waltet nun bei der Herausgabe von Spinozas „Ethik" , nur daß hier schon der Titel grotesk wirkt - wie ich gesagt habe - und die Stellung grell beleuchtet, die Spinoza, nur 40 Jahre vor seiner Wiederentdeckung durch Lessing, in der Republik der Gelehrten einnahm. Noch durfte sein Name nicht genannt werden. „B. v. S. Sittenlehre widerlegt von dem berühmten Weltweisen unserer Zeit Herrn Christian Wo1f." Wolff hatte diese „Widerlegung" schon 1737 in seine natürliche Theologie eingeschaltet, wohl nicht ganz ehrlich, eigentlich in der Absicht, die alte Beschuldigung zu entkräften, daß er (Wolff) den freien Willen leugne, den Fatalismus lehre und somit dem Soldatenkönige verbiete, seine langen Kerls wegen Desertion zu bestrafen; war er doch seinerzeit deshalb bei Androhung des Stranges von der Universität Halle fortgejagt worden. Und Lorenz Schmidt haut in die gleiche Kerbe, da er in seiner Vorrede mit sichtlicher Übertreibung gegen die Gefährlichkeit Spi-nozas als eines Fatalisten loszieht. Lediglich unter solchen Vorsichtsmaßregeln war es gelungen, die erste deutsche Übersetzung des verpönten Werkes herauszubringen,

Es war nicht das letztemal, daß ein Anhänger Spinozas den Namen des Denkers niederzuschreiben sich scheute. Selbst Goethe war noch 1786 so vorsichtig, in den Briefen aus Italien anstatt des Namens Spinoza den Buchstaben S. zu setzen oder zwei Sternchen; ich weiß nicht, ob ich lachen darf oder nicht, wenn ich erfahre, daß Goethe - als er diese Briefe zu seiner „Italienischen Reise" zusammenstellte - vergeßlich war: er irrte sich wirklich und ergänzte den Buchstaben S. mit „Sakontala", anstatt mit „Spinoza".

Die vier ungleichen Denker, die mit ähnlicher Sicherheit im Gebrauche einer metaphysischen Terminologie, aber mit sehr verschiedener Freiheit und Kraft Kant zu überwinden versprachen, hatten erst von den dichterischen Führern Deutschlands gelernt, daß Spinoza als der eigentliche Philosophische Vernichter der Theologie mit Achtung genannt werden müßte. Schon Fichte rühmte sich, Spinoza verbessert zu haben; Schelling entnahm den wertvollsten Teil seiner Naturphilosophie den Gedanken, in denen Spinoza mit Bruno übereinstimmte; Hegel als der erste Kenner der Philosophiegeschichte meinte in einer guten Stunde, „Spinozist zu sein wäre der wesentlichste Anfang alles Philosophierens"; und Schopenhauer, in der Vernunftkritik wirklich ein Fortsetzer Kants, den Professoren Fichte, Schelling und Hegel ein bis zur Ungerechtigkeit strenger Karikaturist, sah auch in Spinoza einen Vorläufer, obgleich er tief genug hinunterstieg, um gegen einen Spinoza derb antisemitische Vorwürfe zu schleudern,