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Beschreibung

Der Fremd- und Zweitsprachenunterricht ist seit langem von einer eklektischen methodischen Vielfalt geprägt, deren theoretische Fundierung oft unklar oder gar zweifelhaft ist. Viele Verfahren sind vor allem durch wohlklingende Begriffe, Medieneuphorie und zyklische Scheininnovationen geprägt. In diesem Wirrwarr will der Band Orientierung bieten, die in theoretischen Konzepten verankert ist, dabei aber gleichzeitig auf eine reflektierte Unterrichtspraxis abzielt. Die Kapitel dieses Bandes behandeln alle einschlägigen Themen des Sprachenlehrens, der modernen Didaktik und Methodik. Zwei Kapitel beschäftigen sich zudem vertieft mit zwei zentralen Themen der modernen Sprachdidaktik: der Erstellung von Lern- und Testaufgaben und der mündlichen und schriftlichen Fehlerkorrektur. In Verbindung mit den anderen Bänden dieser Reihe bilden die Kapitel dieses Bandes eine vollständige Grundlage für die systematische Planung und Durchführung von Sprachenunterricht in allen denkbaren Formaten.

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Kompendium DaF / DaZ

Herausgegeben von Jörg Roche (München)

Band 5

Jörg Roche (Hg.)

Sprachen lehren

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Internet: www.narr.dee-Mail: [email protected]

CPI books GmbH, Leck

ISSN 2512-8043

ISBN 978-3-8233-8212-6eISBN 978-3-8233-0128-8

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ

1.Didaktik (Jörg Roche)

1.1Historischer Überblick

1.2Konstruktivismus und Konstruktionismus

1.3Interkulturelle Sprachdidaktik

2.Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung

2.1Kompetenzorientierung (Jörg Roche, unter Mitarbeit von Svenja Uth)

2.2Gebrauchsbasierung (Svenja Uth)

2.3Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik (Jörg Roche & Svenja Uth)

3.Lern- und Testaufgabenerstellung (Karin Kleppin & Jörg Roche, unter Mitarbeit von Svenja Uth und Christina Bacher)

3.1Lernaufgaben

3.2Testaufgaben

3.3Lern- und Testaufgaben in der Praxis

4.Fehlertypologie und -korrektur (Günther Depner)

4.1Fehlertypologie

4.2Schriftliche Fehlerkorrektur

4.3Mündliche Fehlerkorrektur

5.Methodik

5.1Methoden der Grammatikvermittlung (Jörg Roche)

5.2Aussprachetraining (Katharina Salzmann)

5.3Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation (Karin Kleppin)

6.Alphabetisierung und Schriftspracherwerb

6.1Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen (Mohcine Ait Ramdan)

6.2Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch (Richard Sigel & Mohcine Ait Ramdan)

6.3Mündlichkeit und orthographische Kompetenz im silbenanalytischen Ansatz (Mohcine Ait Ramdan)

7.Mediennutzung (Ferran Suñer Muñoz & Jörg Roche)

7.1Sprachenlernen mit digitalen Medien

7.2Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht

7.3Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten

8.Lernerorientierung

8.1Lernervariablen (Jörg Roche & Kees de Bot, unter Mitarbeit von Svenja Uth)

8.2Lernerstrategien (Christine Fredriksson)

8.3Lerner-Pragmatismus als Orientierung der Sprachenpolitik (Jörg Roche)

9.Literaturverzeichnis

10.Abbildungsverzeichnis

11. Register

Vorwort

Trotz vieler neuerer Bemühungen um Kompetenz-, Aufgaben- und Handlungsorientierung kommen in der Praxis der Sprachvermittlung weiterhin verbreitet traditionelle Verfahren zur Anwendung, beispielsweise bei der Festlegung der Lehrprogression, den Niveaustufen, der Fehlerkorrektur und der Leistungsmessung. Mit der Weiterentwicklung der kognitiven Linguistik und weiterer kognitiv ausgerichteter Nachbardisziplinen beginnt sich nun aber auch in der Sprachvermittlung in vieler Hinsicht ein Paradigmenwechsel zu vollziehen. Die kognitionslinguistischen Grundlagen dieses Paradigmenwechsels werden in dieser Reihe systematisiert und anhand zahlreicher Materialien und weiterführender Aufgaben für den Transfer in die Praxis aufbereitet.

Die Reihe Kompendium DaF/DaZ verfolgt das Ziel einer Vertiefung, Aktualisierung und Professionalisierung der Fremdsprachenlehrerausbildung. Der Fokus der Reihe liegt daher auf der Vermittlung von Erkenntnissen aus der Spracherwerbs-, Sprachlehr- und Sprachlernforschung sowie auf deren Anwendung auf die Sprach- und Kulturvermittlungspraxis. Die weiteren Bände behandeln unter anderem die Themen Sprachenlernen und Kognition, Kognitive Linguistik, Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen, Unterrichtsmanagement, Medienwissenschaften und Mediendidaktik, Kulturwissenschaften, Mehrsprachigkeitsforschung, Propädeutik.

Durch die thematisch klar abgegrenzten Einzelbände bietet die Reihe ein umfangreiches, strukturiertes Angebot an Inhalten der aktuellen DaF/DaZ-Ausbildung, die über die Reichweite eines Handbuchs weit hinausgehen und daher sowohl in der akademischen Lehre als auch im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen behandelt werden können.

Die Reihe wird von (fakultativen) flexibel einsetzbaren Online-Modulen für eine moderne Aus- und Weiterbildung begleitet. Diese Online-Module ergänzen den Stoff der Bücher und enthalten Zusatzlektüre und Zusatzaufgaben (www.multilingua-akademie.de). Das Digitale Lexikon Fremdsprachendidaktik (www.lexikon-mla.de) bietet darüber hinaus Erklärungen der wichtigsten Fachbegriffe und damit einen leichten Zugang zu allen aktuellen Themen der Fremdsprachendidaktik sowie der Sprachlehr- und -lernforschung und ihrer Bezugsdisziplinen.

Möglich gemacht wurde die Entwicklung der Inhalte und der Online-Module durch die Förderung des EU Tempus-Projektes Consortium for Modern Language Teacher Education. Neben den hier verzeichneten Autorinnen und Autoren haben eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der editorischen Fertigstellung des Manuskriptes dieses Buches mitgewirkt: Christina Bacher, Tamara Schabka, Patricia Boos, Kathrin Heyng (Gunter Narr Verlag) und Corina Popp (Gunter Narr Verlag). Ihnen allen gebührt großer Dank für die geduldige und professionelle Mitarbeit. Svenja Uth wird nicht nur für ihre editorischen Arbeiten gedankt, sondern vor allem für die Koordination der gesamten Abläufe, von der inhaltlichen Konzeption des Bandes bis zur Fertigstellung des druckfertigen Manuskriptes.

Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ

Der Bedarf an solider Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Sprachvermittlung nimmt ständig zu. Immer stärker treten dabei spezialisierte Anforderungen zum Beispiel in Bezug auf Fach- und Berufssprachen, Kompetenzen oder Zielgruppen in den Vordergrund. Theoretisch fundiert sollten die entsprechenden Angebote sein, aber gleichzeitig praxistauglich und praxiserprobt. Genau diese Ziele verfolgen die Buchreihe Kompendium DaF / DaZ und die begleitenden Online-Module. In mehreren Modulen und Bänden soll hiermit eine umfassende Einführung in die Wissenschaft und in die Kunst des Sprachenlernens und Sprachenlehrens gegeben werden, weit weg von fernen Theorie- oder Praxiskonstruktionen und Lehr-Dogmen. Im Mittelpunkt des hier verfolgten Ansatzes steht das, was in den Köpfen der Lerner geschieht oder geschehen sollte. Sachlich, nüchtern, effizient und nachhaltig. Buchreihe und Online-Module sind eine Einladung zur Professionalität eines Bereichs, der die natürlichste Sache der Welt behandelt: den Sprachenerwerb. In diesen Materialien und Kursen werden daher Forschungsergebnisse aus verschiedenen Forschungsrichtungen zusammengetragen und der Nutzen ihrer Synthese für die Optimierung des Sprachenerwerbs und Sprachunterrichts aufgezeigt.

Warum Aus-, Weiter- und Fortbildung heute so wichtig ist

Wer sich etwas eingehender darum bemüht zu verstehen, welche Rolle die Sprache im weiten Feld des Kontaktes von Kulturen spielt − oder spielen konnte −, muss von den Gegensätzen, Widersprüchen und Pauschalisierungen, die die Diskussion in Gesellschaft, Politik und Fach bestimmen, vollkommen irritiert sein. Vielleicht lässt sich aus dieser Irritation auch erklären, warum dieser Bereich von so vielen resistenten Mythen, Dogmen und Praktiken dominiert wird, dass das eigentlich notwendige Bemühen um theoretisch fundierte Innovationen kaum zur Geltung kommt. Mangelndes Sprach- und Sprachenbewusstsein besonders in Öffentlichkeit und Politik führen ihrerseits zu einem ganzen Spektrum gegensätzlicher Positionen, die sich schließlich auch bis in die lehrpraktische Ebene massiv auswirken. Dieses Spektrum ist gekennzeichnet durch eine Verkennung der Bedeutung von Sprache im Umgang der Kulturen auf der einen und durch reduktionistische Rezepte für ihre Vermittlung auf der anderen Seite: Die Vorstellung etwa, die Wissenschaften, die Wirtschaft oder der Alltag kämen mit einer Universalsprache wie dem Englischen aus, verkennt die − übrigens auch empirisch über jeden Zweifel erhabenen − Realitäten genauso wie die Annahme, durch strukturbasierten Sprachunterricht ließen sich kulturpragmatische Kompetenzen (wie sie etwa für die Integration in eine fremde Gesellschaft nötig wären) einfach vermitteln. Als ineffizient haben sich inzwischen auch solche Verfahren erwiesen, die Mehrsprachigkeit als Sonderfall − und nicht als Regelfall − betrachten und daher Methoden empfehlen, die den Spracherwerb vom restlichen Wissen und Leben zu trennen versuchen, also abstrakt und formbasiert zu vermitteln. Der schulische Fremdsprachenunterricht und der Förderunterricht überall auf der Welt tendieren (trotz rühmlicher unterrichtspraktischer, didaktischer, struktureller, konzeptueller und bildungspolitischer Ausnahmen und Initiativen) nach wie vor stark zu einer solchen Absonderung: weder werden bisher die natürliche Mehrsprachigkeit des Menschen, die Sprachenökologie, Sprachenorganik und Sprachendynamik noch die Handlungs- und Aufgabenorientierung des Lernens systematisch im Fremdsprachenunterricht genutzt. Stattdessen wird Fremdsprachenunterricht in vielen Gesellschaften auf eine (internationale) Fremdsprache reduziert, zeitlich stark limitiert und nach unterschiedlich kompetenten Standards kanalisiert.

Interkulturelle Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung

In unserer zunehmend globalisierten Welt gehört die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen zu einem der wichtigsten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aufgabenbereiche. Die Globalisierung findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: lokal innerhalb multikultureller oder multikulturell werdender Gesellschaften, regional in multinationalen Institutionen und international in transkontinentalen Verbunden, Weltorganisationen (unter anderem für Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Sport, Banken) und im Cyberspace. Dabei sind all diese Globalisierungsbestrebungen gleichzeitig Teil einer wachsenden Paradoxie. Der Notwendigkeit, die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme wegen der globalen Vernetzung der Ursachen auch global zu lösen, stehen andererseits geradezu reaktionäre Bestrebungen entgegen, der Gefahr des Verlustes der »kulturellen Identität« vorzubauen. Einerseits verlangt oder erzwingt also eine Reduktion wirklicher und relativer Entfernungen und ein Überschreiten von Grenzen ein Zusammenleben und Kommunizieren von Menschen verschiedener Herkunft in bisher nicht gekannter Intensität, andererseits stehen dem Ideal einer multikulturellen Gesellschaft die gleichen Widerstände entgegen, die mit der Schaffung solcher Gesellschaften als überkommen geglaubt galten (Huntington 1997). Erzwungene, oft mit großer militärischer Anstrengung zusammengehaltene multikulturelle Gesellschaften haben ohne Druck keinen Bestand und neigen als Folge des Drucks vielmehr dazu, verschärfte kulturelle Spannungen zu generieren. Auch demokratisch geschaffene multikulturelle Gesellschaften benötigen meist viel Zeit und Energie, um sich aus der Phase der multi-kulturellen Duldung zu inter-kultureller Toleranz und interkulturellem Miteinander zu entwickeln. Die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und die ethnischen Auseinandersetzungen in Afrika und Asien zeigen, dass es zuweilen gewaltig unter der Oberfläche gesellschaftlicher Toleranz- und Internationalisierungspostulate rumort. Ethnozentrismus, Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, Rechtspopulismus, Rassismus, Diskriminierung, Terrorismus, Bürgerkrieg, Massen- und Völkermord sind durch politisch und wirtschaftlich bewirkten Multikulturalismus nicht verschwunden. Das verbreitete Scheitern von Multikulturalismus-Modellen zeigt, dass ein verordnetes oder aufgezwungenes Nebeneinander von Kulturen ohne Mediationsbemühungen eher Spannungen verstärkt, als nachhaltig Toleranz zu bewirken. Es mangelt an effizienten Verfahren der Vermittlung (Mediation) zwischen Kulturen. Den Sprachen kommt in dem Prozess der Mediation deswegen eine besondere Rolle zu, weil er mit der Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg anfängt und auch nur durch diese am Laufen gehalten wird. Die Sprache kann nicht alle Probleme lösen, aber sie hat eine Schlüsselposition beim Zustandekommen interkulturellen Austauschs, die weit über die Beherrschung von Strukturen sprachlicher Systeme hinausgeht. Diese Funktion hat mehr mit Kulturvermittlung als mit strukturellen Eigenschaften sprachlicher Systeme zu tun und sie kann kaum durch eine einzige Lingua Franca erfüllt werden. Das Lernen und Lehren von Sprachen ist in Wirklichkeit eines der wichtigsten politischen Instrumente im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung. Sprachunterricht und Sprachenlernen werden aber von Lehrkräften und Lernern gleichermaßen oft noch als die Domäne des Grammatikerwerbs und nicht als Zugangsvermittler zu anderen Kulturen behandelt. Wenn kulturelle Aspekte im Fremdsprachenerwerb aber auf die Faktenvermittlung reduziert werden und ansonsten vor allem strukturelle Aspekte der Sprachen in den Vordergrund treten, bleiben wichtige Lern- und Kommunikationspotenziale ungenutzt. Dabei bleibt nicht nur der Bereich des landeskundlichen Wissens unterentwickelt, sondern es wird in erster Linie der Erwerb semantischer, pragmatischer und semiotischer Kompetenzen erheblich eingeschränkt, die für die interkulturelle Kommunikation essentiell sind. Wenn in der heutigen Zeit vordringlich interkulturelle Kompetenzen verlangt werden, dann müssen in Sprachunterricht und Spracherwerb im weiteren Sinne also bevorzugt kulturelle Aspekte der Sprachen und Kommunikation berücksichtigt werden. Dazu bedarf es aber einer größeren Bewusstheit für die kulturelle Bedingtheit von Sprachen und die sprachliche Bedingtheit von Kulturen. Diese müssen sich schließlich in kultursensitiven Lern- und Lehrverfahren manifestieren, die Mehrsprachigkeit nicht nur künstlich rekonstruieren und archivieren wollen, sondern die in Fülle vorhandenen natürlichen Ressourcen der Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität organisch, dynamisch und effizient zu nutzen wissen. Das Augenmerk der künftigen Lern- und Lehrforschung ist daher verstärkt auf Aspekte der Ökologie und Ökonomie des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements zu richten. Das bedeutet aber, dass die Spracherwerbs- und die Mehrsprachigkeitsforschung sich nicht nur eklektisch wie bisher, sondern systematisch an kognitiven und kultursensitiven Aspekten des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements ausrichten müssen. Diesen Aufgabenbereich zu skizzieren, indem wichtige, dafür geleistete Vorarbeiten vorgestellt werden, ist Ziel dieser Reihe.

Interkultureller Fremdsprachenunterricht

Als die Forschung begann, sich mit interkulturellen Aspekten in Spracherwerb und Sprachunterricht zu beschäftigen, geschah dies auf der Grundlage bildungspolitischer Zielsetzungen und hermeneutischer Überlegungen. Literarische Gattungen sollten den kommunikativen Trend zur Alltagssprache ausgleichen helfen und damit gleichzeitig frische, auf rezeptionsästhetischen Theorien basierende Impulse für das Fremdverstehen und die Fremdsprachendidaktik liefern (vergleiche Hunfeld 1997; Wierlacher 1987; Krusche & Krechel 1984; Weinrich 1971). Die anfängliche Affinität zu lyrischen Texten weitete sich auf andere Gattungen aus und verjüngte mit dieser Wiederentdeckung der Literatur im Fremdsprachenunterricht gleichzeitig das in den 1980er Jahren bereits zum Establishment gerinnende kommunikative Didaktikparadigma. Man vergleiche die Forderung nach einem expliziten interkulturellen Ansatz von Wylie, Bégué & Bégué (1970) und die bereits frühe Formulierung der konfrontativen Semantik durch Müller-Jacquier (1981). Für die auf Zyklen sozialisierte Zunft der Sprachlehre stand fest: das ist eine neue, die vierte Generation der Fremdsprachendidaktik, die interkulturelle, oder zumindest die Version 3.5, die kommunikativ-interkulturelle. Allerdings hat diese Euphorie nicht überall zu einer intensiveren, systematischen Reflexion interkultureller Aspekte in Bezug auf ein besseres Verstehen des Sprachenlernens und eine effizientere Ausrichtung des Sprachenlehrens geführt. Selbst in der Lehrwerksproduktion, deren Halbwertzeitzyklen seitdem immer kürzer werden, ist die Anfangseuphorie vergleichsweise schnell verflogen. Infolge des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) − und bereits seines Vorgängers, des Schwellen-Projektes (threshold level project) des Europarates − scheinen sich aufgrund der (oft falsch verstandenen) Standardisierungen die starken Vereinheitlichungstendenzen zu einer Didaktik der Generation 3 oder gar 2.5 zurück zu verdichten. Die Aufnahme der Fremdperspektive in Lehrwerken beschränkte und beschränkt sich oft auf oberflächlich vergleichende Beschreibungen fremder kultureller Artefakte, und die Behandlung der Landeskunde unterliegt nach wie vor dem Stigma der vermeintlich mangelnden Unterrichtszeit.

Ein kleiner historischer Rückblick auf die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts

Der Fremdsprachenunterricht ist traditionellerweise vor allem von den bildungspolitischen, pädagogischen, psychologischen und soziologischen Vorstellungen der entsprechenden Epoche und ihren gesellschaftlichen Trends beeinflusst worden. Diese Aspekte überschreiben im Endeffekt auch alle sporadischen Versuche, den Fremdsprachenunterricht an sprachwissenschaftlichen oder erwerbslinguistischen Erkenntnissen auszurichten. So verdankt die Grammatik-Übersetzungsmethode ihre Langlebigkeit den verbreiteten, aber empirisch nicht begründeten Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Lerners, der Autorität des Inputs und der Bedeutung elitärer Bildungsziele. Mit den audio-lingualen und audio-visuellen Methoden setzt eine Ent-Elitarisierung und Veralltäglichung des Sprachenlernens ein. Die vorwiegend mit Alltagssprache operierenden Methoden sind direkte, wenn auch reduzierte Abbildungen behavioristischer Lernmodelle und militärischer Bedürfnisse ihrer Zeit. Der kommunikative Ansatz schließlich ist von den Demokratisierungsbestrebungen der Gesellschaften bestimmt. Sein wichtigstes Lernziel, die kommunikative Kompetenz, ist dem soziologischen Ansatz der Frankfurter Schule entlehnt (Habermas 1981). Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen stellt zwar keinen neuen didaktischen Ansatz dar, bildet aber über seine Ausrichtung auf den pragmatischen und utilitaristischen Bedarf eines zusammenwachsenden und mobilen europäischen Arbeitsmarktes den Zeitgeist des politisch und wirtschaftlich gewollten Einigungsprozesses in Europa ab und wirkt daher paradigmenbildend und auf den Unterricht stärker standardsetzend als alle didaktischen Ansätze zuvor. Er weist deutliche Parallelen zu den Proficiency-Guidelines des American Council of Teachers of Foreign Languages (ACTFL) auf, die ihrerseits − wie bereits die audiolinguale Methode − stark von den Bedürfnissen der Sprachschulen des US-Militärs beeinflusst wurden. Eine erwerbslinguistische oder stringente sprachwissenschaftliche Basis weist er nicht auf. Typisch für die zeitlichen Strömungen sind konsequenterweise auch all die Methoden, die in der Beliebigkeit des Mainstreams keine oder nur geringe Berücksichtigung finden können. Diese alternativen Methoden oder Randmethoden wie die Suggestopadie, Total Physical Response, Silent Way oder Community (Language Learning) Approach reflektieren die Suche des Sprachunterrichts nach zeitgemäßen Verfahren, die vor allem die vernachlässigte Innerlichkeit der Gesellschaft ansprechen oder die Kritik an ihrem Fortschrittsglauben ausdrücken sollen. Die gefühlte Wahrheit der Methoden bei gleichzeitigem Mangel an wissenschaftlich-kritischer Überprüfung der Annahmen ergibt ein inkohärentes Bild der Fremdsprachendidaktik und -methodik, das zwangsläufig zu vielen Widersprüchen, Rückschritten und Frustrationen führen muss. Die rasante Abkehr von der Sprachlerntechnologie der 60er und 70er Jahre, das Austrocknen der alternativen Methoden, die Rückentwicklung der kommunikativen Didaktik oder die neo-behavioristischen Erscheinungen der kommerziellen Sprachsoftware gehören zu den Symptomen dieses Dilemmas. Die anhaltende unreflektierte Verbreitung eklektischer Übungsformen der Grammatik-Übersetzungsmethode oder des Pattern Drills in Unterricht und Lehrmaterial illustriert, wie wenig nachhaltig offenbar die Bemühungen um eine theoretisch fundierte und empirisch abgesicherte kommunikative Didaktik waren. Mit dem Auftauchen der interkulturellen Sprachdidaktik und der »vierten Generation von Lehrwerken« (Neuner & Hunfeld 1993) schien sich eine Veränderung gegenüber den Referenzdisziplinen anzubahnen. Zunehmende Migration und Globalisierungstendenzen machten eine entsprechende Öffnung nötig. Aber auch diese anfänglichen Bestrebungen haben sich in der Breite des Lehrmaterials und des Sprachunterrichts genauso wenig durchgesetzt wie wissenschaftlich fundierte Modelle von Grammatik und Sprache. Stattdessen beschäftigt sich die Unterrichtsmethodik geradezu aktionistisch mit temporären Neuerungen (wie den neuen Medien, dem Referenzrahmen, der farbigen Darstellung grammatischer Phänomene) oder Wiedererfindungen bekannter Aspekte (wie dem Inhaltsbezug oder der Diskussion der Bedeutung mündlicher Texte), ohne sich ernsthaft mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Didaktik zu beschäftigen. Ein kurzer Rückblick auf die Vorschläge von Comenius zum inhaltsbezogenen Lernen aus dem 17. Jahrhundert etwa oder der Sprachreformer früherer Jahrhunderte sowie die Modelle aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts würde der neueren Diskussion des Content and Language Integrated Learning (CLIL) eine erhellende Perspektive bieten. Comenius hält unter Bezug auf einen christlichen Gelehrten bereits 1623 fest:

Die Kenntnis einer Sprache mache noch keinen Weisen, sie diene lediglich dazu, uns mit den anderen Bewohnern der Erdoberfläche, lebenden und toten, zu verständigen; und darum sei auch derjenige, welcher viele Sprachen spreche, noch kein Gelehrter, wenn er nicht zugleich auch andere nützliche Dinge erlernt habe. (Comenius 1970: 269)

Dabei verbindet Comenius bereits die Prozesse des Spracherwerbs und der allgemeinen Maturation (der Vision und des Intellekts des Kindes) und nimmt damit Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung sowie die in der Spracherwerbsforschung etablierten, kognitive Entwicklungsphasen repräsentierenden Konzepte der Erwerbssequenzen vorweg. Darüber hinaus produzierte er bereits ein Lehrbuch (Orbis sensualium pictus), in dem er systematisch die Verwendung visueller Materialien beim Sprachenlernen und -lehren bedachte (Comenius 1981). Auch die Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der industriellen und sozialen Umwälzungen entstandene, bildungspolitisch und methodisch motivierte Reformbewegung des Fremdsprachenunterrichts bildet zwar eine didaktische Brücke zwischen den Arbeiten von Comenius und den Elementen des inhaltsbezogenen und handlungsorientierten Lernens moderner didaktischer Ansätze, verfolgt jedoch keine wissenschaftlichen Ziele. Ihr geht es vielmehr darum: Fremdsprachen jedem zugänglich zu machen, anstatt sie einer exklusiven Elite vorzubehalten, den Fremdsprachenunterricht weit über den Unterricht klassischer Literatur hinaus zu erweitern, indem Inhalte des Alltags- und Berufslebens sowie schulischer Fächer in den Fremdsprachenunterricht aufgenommen werden sollten, zum Beispiel in verschiedenen Verfahren des immersiven Lernens.

Mitbegründer oder Anhänger dieser Bewegung wie Jesperson (1922), Passy (1899), Sweet (1899), Gouin (1892), Berlitz (1887), Viëtor (1882) prägten die Reformbewegung mit unterschiedlichen auf die Praxis ausgerichteten Ideen, Modellen und Unterrichtsverfahren. In seiner einflussreichen Einführung benennt Stern (1983) diese Phase wie folgt:

The last decades of the nineteenth century witnessed a determined effort in many countries of the Western world (a) to bring modern foreign languages into the school and university curriculum on their own terms, (b) to emancipate modern languages more and more from the comparison with the classics, and (c) to reform the methods of language teaching in a decisive way. (Stern 1983: 98)

Verschiedene Methoden sind in den 20er Jahren (bis in die 40er Jahre) des 20. Jahrhunderts als »praktische Antworten« auf die vorangehende Diskussion entwickelt worden: darunter die vermittelnde Methode (England), die Lesemethode (England) und BASIC English (British/American / Scientific / International / Commercial), ein Versuch, das Sprachenlernen zu vereinfachen und zu rationalisieren. Mit diesen Methoden beginnen die ersten Ansätze, das Unterrichtsgeschehen, die sprachliche Basis, das Testen von Fertigkeiten und das Lern- und Lehrverhalten mittels verschiedener Pilotstudien systematisch zu untersuchen (unter anderem die Modern Foreign Language Study der American and Canadian Committees on Modern Languages 1924 − 1928, siehe Bagster-Collins, Werner & Woody 1930). Dieser Trend wurde in den 40er und 50er Jahren mit der Profilierung der Linguistik noch intensiviert. Hierzu gehören Schlüsselereignisse wie die Veröffentlichung von Psycholinguistics: A Survey of Theory and Research Problems, herausgegeben von Osgood, Sebeok, Gardner, Carroll, Newmark, Ervin, Saporta, Greenberg, Walker, Jenkins, Wilson & Lounsbury (1954), Verbal Behavior von Skinner (1957) und Lados erste systematische Erfassung der kontrastiven Linguistik Linguistics across Cultures: Applied Linguistics for Language Teachers (1957). The American Army Method, deren Errungenschaften später heiß umstritten waren, versuchte nachzuweisen, dass Sprachunterricht auch ohne die traditionellen schulartigen Methoden und mit wesentlich größeren Gruppen und in kürzerer Zeit effizient durchgeführt werden kann. Als Folge der behavioristischen Ideologie wurden besonders in den USA die audiolingualen und in Frankreich die audiovisuellen Lehrverfahren entwickelt, die lange Zeit den Sprachunterricht dominierten und unter anderem auch dem Vormarsch der Sprachlabortechnologie Vorschub leisteten und − trotz gegenteiliger empirischer Evidenz − bis heute dem konditionierenden Einsatz elektronischer Medien zugrunde liegen (zum Beispiel in Programmen wie Rosetta Stone oder Tell me more).

Die stetige Zunahme von linguistischen Studien und die Begründung der Psycholinguistik als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet leisteten später einen wesentlichen Beitrag zur Identifizierung der aus den Methoden der behavioristischen Verhaltensformung entstehenden Probleme des Spracherwerbs (zum Beispiel Rivers einflussreiches Buch The Psychologist and the Foreign Language Teacher 1964). Als Folge der zunehmenden Kritik an den intuitiven Methoden gewann schließlich das kognitive Lernen − bis heute weitgehend als das regelgeleitete, systematische Lernen missverstanden − in der Diskussion um angemessene Ansätze an Gewicht. Chomskys nativistische Theorie auf der einen Seite und soziolinguistische und pragmalinguistische Strömungen auf der anderen haben im Anschluss daran vor allem die Erwerbsforschung und die Entwicklung neuer methodischer Verfahren geprägt. Chomskys Ausgangshypothese zufolge haben Kinder eine angeborene Fähigkeit der Sprachbildung (in der Muttersprache, L1). Wenn Kinder zum ersten Mal die Sprache hören, setzten allgemeine Prinzipien der Spracherkennung und Sprachproduktion ein, die zusammen das ergäben, was Chomsky den Language Acquisition Device (LAD) nennt. Der LAD steuere die Wahrnehmung der gehörten Sprache und stelle sicher, dass das Kind die entsprechenden Regeln ableite, die die Grammatik der gehörten Sprache bildeten. Dabei bestimmten Verallgemeinerungen, wie die Sätze in der entsprechenden Sprache zu bilden seien. Im Zweitsprachenerwerb werde die Reichweite des LAD einfach auf die neue Sprache ausgedehnt. Nativistische Theorien des Spracherwerbs haben jedoch wenig Einfluss auf die Entwicklung von Erwerbs- und Unterrichtskonzepten für Fremdsprachen gehabt. Den stärksten Einfluss haben sie in der Erforschung und Formulierung von Erwerbssequenzen ausgeübt. In deutlichem Kontrast dazu haben sich seit den 1970er Jahren parallel verschiedene Forschungsrichtungen ausgebildet, die sich an die Valenzgrammatik, die Pragmalinguistik (Sprechakttheorie, Diskursanalyse), die funktionale Linguistik, die Textlinguistik und die Psycholinguistik und andere Kognitionswissenschaften anlehnen. Mit wenigen Ausnahmen ist es aber auch dieser Forschung nicht gelungen, nachhaltig auf die Lehr- und Lernpraxis einzuwirken. Unter den Versuchen einer systematischen Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse für die Entwicklung von Lehrmaterial und Lehrverfahren sind die folgenden zu nennen:

ein kurzlebiger Versuch, die Valenzgrammatik als Grundlage einer didaktischen Grammatik einzuführen (zum Beispiel das DaF-Lehrwerk Deutsch Aktiv)

die eklektische Nutzung von Elementen der pragmatischen Erwerbsforschung in der Lehrwerksproduktion (siehe die DaF-Lehrwerke Tangram, Schritte international)

die Berücksichtigung von Aspekten der Interkomprehensionsdidaktik in Lehransätzen (EUROCOMM)

die Gestaltung des Sprachunterrichts nach handlungstheoretischen und konstruktivistischen Prinzipien (Szenariendidaktik, fallbasiertes Lernen, Fachsprachenunterricht).

Fremdsprachenunterricht wird verbreitet noch als Domäne des Einzelerwerbs betrachtet. Die systematische Nutzung von Kenntnissen der Vorsprachen beim Erwerb weiterer Sprachen wird bisher nur ansatzweise bedacht und bearbeitet. In Begriffen wie Mehrsprachigkeitsdidaktik, Deutsch nach Englisch oder Interkomprehensionsdidaktik zeigen sich die Vorboten einer neuen Generation der Fremdsprachendidaktik, deren Grundlagen jedoch noch zu erarbeiten sind, wenn sie nicht bei kontrastiven Vergleichen verharren will.

Zur kognitiven Ausrichtung

Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert − und darum geht es in dieser Buchreihe − sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale während der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Referenzdisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters ihrer Methoden nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt. Die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Sie sollen in den Bänden dieser Reihe soweit zum Tragen kommen, wie das nur möglich ist. Bei jedem Band stehen daher die Prozesse in den Köpfen der Lerner im Mittelpunkt der Betrachtung.

1. Didaktik

Jörg Roche

Das Lehren von fremden Sprachen ist neben dem Lernen von Sprachen das große Anliegen dieser Reihe. Dieser Band beschäftigt sich daher gezielt mit den wichtigsten Aspekten des Sprachunterrichts: dem Verständnis und der Optimierung der Lehrmethodik, der Handlungsdidaktik und der interkulturellen Sprachdidaktik, den angestrebten Kompetenzen, dem Zusammenspiel von Lernerfaktoren, der Vermittlung von Fertigkeiten und Strategien und ihrer Bedeutung im Kontext der Handlungsorientierung, der Fehlerkorrektur in dynamischen Modellen des Sprachenerwerbs, der Mehrwertgewinnung durch digitale Medien, dem Schriftspracherwerb und der Alphabetisierung sowie der Sprachenpolitik.

In der Unterrichtspraxis und in Fortbildungen wird das komplexe Feld – und die Kunst – des Unterrichtens gerne auf praktische Methoden reduziert. Das ist angesichts der großen Herausforderungen des Unterrichtsmanagements und der Heterogenität vieler Lernergruppen und ihrer individuellen Lerndisposition allzu verständlich. Daher wird dieser Band in idealer Weise vom Band »Unterrichtsmanagement« in dieser Reihe ergänzt. Zu einem guten und entlastenden Unterricht gehört aber auch die Kenntnis von Theorien, die eine systematische Planung und Durchführung des Unterrichts ermöglichen. Theorie und Praxis sind also keine Gegensätze. Die einzelnen Kapitel dieses Bandes sind daher, wie die der anderen Bände auch, auf die Praxis ausgerichtet und für die Praxis relevant, meist mit konkreten Unterrichtsmodellen, -hinweisen und -materialien versehen. Sie enthalten aber auch in komprimierter Form wichtige Grundlagen relevanter Theorien, die in den anderen Bänden des Kompendiums detaillierter ausgeführt sind. Auch wenn es hierbei in erster Linie um die Perspektive des Lehrens geht, so ist das Ziel guten Unterrichts ja immer das Lernen. Es geht also nicht so sehr um Steuerung, Instruktion und Input von außen, sondern im Mittelpunkt steht die Optimierung des Lernens durch effizienten Unterricht. Auch hier dient also die Kognition der Lerner als Leitmotiv.

Eine historische Verortung der Methoden des Fremdsprachenunterrichts eröffnet den Band. Ziel ist dabei aufzuzeigen, wieviel historische Substanz heute noch in Unterricht und Lehrmaterial in eklektischer Mischung zu finden ist. Damit soll eine Reflexion tradierter Methoden und ihre Prüfung auf Einsatzmöglichkeiten für heute eingeleitet werden. Im Anschluss daran werden wichtige Lerntheorien und -modelle dargestellt, deren Bestreben es ist, das Lernen durch das Individuum und die Förderung seiner Lernerautonomie zu optimieren. Hierbei geht es um Ansätze, die sich als sehr effizient erwiesen haben, die aber eine gewisse Herausforderung für konventionelles Denken und Handeln im Unterricht darstellen. Das erste Kapitel behandelt ferner die Parameter einer interkulturellen Sprachdidaktik als Grundlage der vielfältigen Begegnungen mit Fremdem und mit Fremdheit im Fremdsprachenunterricht. Damit sind die weiteren Aspekte des Bandes gut situierbar.

1.1 Historischer Überblick

Wie lernen wir (fremde) Sprachen und wie und wann lernen wir sie am besten? Lernen wir Fremdsprachen so, wie wir unsere Erstsprachen lernen? Welche Rollen spielen dabei die Strukturen der zuvor erworbenen Sprachen, die Sprache der Umgebung, angeborene Fähigkeiten, Sprachverarbeitungssysteme und Imitationsverhalten? Auf welche Weise beeinflussen sich die erworbenen und im Erwerb befindlichen Sprachen gegenseitig? Die Antworten auf diese Fragen − das ist ein typisches Merkmal von Wissenschaften − sind zwar umstritten, aber an Versuchen, verschiedene Modelle auszuprobieren, fehlt es nicht. Ein Blick auf die am weitesten verbreiteten Methoden wird dies zeigen. In dieser Lerneinheit werden Sie einen Überblick über die wichtigsten Ansätze des Lernens und Lehrens von Fremdsprachen erhalten. Dabei wird gleichzeitig die geschichtliche Entwicklung der Fremdsprachendidaktik nachgezeichnet und der neueste Stand der lernpsychologischen und didaktischen Erkenntnisse skizziert. Ebenso werden gängige Unterrichts- und Lernverfahren und ihre Grundlagen präsentiert.

Lernziele

In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

die Theorien des Behaviourismus, Nativismus und Kognitivismus kennen und reflektieren können;

die jeweiligen didaktisch-methodischen Konsequenzen der Lerntheorien erläutern können;

den Lernmehrwert verschiedener Sprachlernangebote aus lerntheoretischer Sicht begründen können.

1.1.1 Unterrichtsmethoden und Lerntheorien

Eines der Hauptmerkmale traditioneller Methoden des Fremdsprachenunterrichts, das auch heute noch häufig die Unterrichtspraxis bestimmt, ist die Fixierung auf grammatische Strukturen der beteiligten Sprachen in Lehrzieldefinitionen, der grammatischen Progression, der Fehlerdiagnose und Fehlerkorrektur, der Gewichtung von Interferenz und der Übungstypologie. Die Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Unterrichts und des Lernerverhaltens sind darin fest verwurzelt. Dabei zeigt sich in der neueren Forschung, dass das Verständnis der Prozesse des Sprachenerwerbs, das heißt wie Lerner mit den sprachlichen Strukturen in ihren Strategien und Techniken umgehen, mindestens ebenso wichtig für die Lehrmethodik ist. Mit der Kompetenzorientierung neuer didaktischer Ansätze wird versucht, diesen Paradigmenwechsel über neue Lernzielbestimmungen in der Unterrichtsmethodik abzubilden.

Die Praxis des Unterrichts ist jedoch noch stark von strukturellen Inputtraditionen und -modellen bestimmt. Viel Aufmerksamkeit wird darauf verwendet sicherzustellen, dass der Input für den Lerner möglichst optimal strukturiert ist, und Übungen zu konstruieren, mit denen der Lerner zur Beachtung wichtiger struktureller Merkmale gebracht werden kann. In den bekanntesten Unterrichtsmethoden spielt die Inputorientierung folglich eine zentrale Rolle. Weil diese Methoden auch heute noch eklektisch und wenig reflektiert eingesetzt werden, sollen im Folgenden die zugrundeliegenden Lerntheorien skizziert werden.

Instruktionistische Verfahren: Die Grammatik-Übersetzungsmethode

Es gibt zwar kaum verlässliche Aussagen darüber, wie Menschen in früheren Zeiten miteinander kommunizierten, wir wissen aber, dass seit jeher verschiedene Sprachsysteme nebeneinander existierten, also auch Kommunikation über kulturelle und sprachliche Grenzen hinweg und somit Fremdsprachenerwerb stattgefunden haben muss. Man kann dies zum Beispiel an verschiedenen Schriftzeichensystemen, wie den Hieroglyphen oder verschiedenen Petroglyphen (in Stein geschlagene oder geritzte Schriften) rekonstruieren und an verschiedenen anderen Aufzeichnungen aus den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden ablesen. Noch heute lässt sich der Austausch von Sprachen an Entlehnungen, Scheinentlehnungen, Analogiebildungen und Fremdwörtern in den lebenden Sprachen erkennen. Schließlich gibt es aber auch die ein oder andere explizite Aussage zum Dilemma der Vielsprachigkeit. So wissen wir aus der Bibel (Genesis 11, 1 ff) vom Sprachengewirr in Babel und vom Hochmut der Menschen, der − wie auch heute noch oft − die funktionierende Kommunikation zu Fall gebracht hat. Spätestens seit der Einführung von privaten und später auch öffentlichen Bildungssystemen versuchen Gesellschaften, das Schicksal Babels zu vermeiden, indem sie den müh- und wundersamen Weg des Sprachenlehrens und -lernens beschreiten. In den Anfangszeiten des Sprachunterrichts galten die Klassiker der Antike als Orientierung, und zwar sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Es galt, den Vorbildern aus der ruhmreichen Geschichte Griechenlands und Roms nachzueifern und die Grundlagen der abendländischen Geisteskultur verstehen zu lernen. Ziel war es, die Originaltexte von Aristoteles, Homer, Caesar, Cicero oder Catull zu verstehen und zu übersetzen. An den sprachlichen Strukturen der frühen Leitbilder sollten die eigenen sprachlichen Fertigkeiten und die Fähigkeiten des Geistes allgemein geschult werden. Am Beispiel der klassischen Sprachen sollten sich auch die Strukturen und Wurzeln der eigenen am besten verstehen und erklären lassen, so eine heute noch weit verbreitete Annahme.

Die Grundstrukturen der lateinischen Grammatik wurden als der Generalschlüssel zu den Sprachen unseres Kulturkreises betrachtet, wenn nicht sogar zu den Sprachen schlechthin. Nach diesem klassischen Modell des Fremdsprachenunterrichts wurde zunächst auch der Unterricht der modernen Fremdsprachen mit der Einführung des öffentlichen Schulwesens im 19. Jahrhundert abgehalten. Es ging auch hier zunächst vor allem um die Grammatikbeherrschung als Ziel und die Übersetzung als Methode des Unterrichts. Ein lerntheoretisches Konzept gibt es für dieses Verfahren jedoch nicht. Es reflektiert lediglich die damals geltenden bildungspolitischen Vorstellungen vom Sprachenlernen. Schematisch dargestellt werden kann das Prinzip dieser sogenannten Grammatik-Übersetzungsmethode) etwa folgendermaßen:

Abbildung 1.1: Schematische Darstellung der Grammatik-Übersetzungsmethode

Behaviouristische Verfahren

Als sich die Vorstellungen vom Sprachenlernen zu ändern begannen, intensivierte sich auch die Suche nach alternativen Verfahren des Fremdsprachenunterrichts. Er sollte nicht mehr nur an klassischen Vorbildern und auf eine kleine Bildungselite ausgerichtet sein, sondern zunehmend praktische Zwecke erfüllen. Eine europäische Reformbewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand (siehe Viëtor, Gouin, Jespersen und andere, vergleiche dazu: Wilhelm Viëtor: Der Sprachunterricht muss umkehren. Heilbronn 1882), machte sich diese pragmatische Ausrichtung zum Ziel, allerdings für weitere 60 Jahre ohne durchschlagenden Erfolg. Ein zu großes Umdenken und Umhandeln hätte diese Neuorientierung verlangt, zu eingefahren waren die Methoden des Unterrichts. Erst in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts schien schließlich ein Verfahren, das scheinbar nach den Prinzipien des Erstsprachenerwerbs (L1-Erwerb) modelliert war, einen leichteren Weg zum Erfolg zu versprechen: die audiolinguale Methode. Im Zentrum dieser Methode steht das Imitieren von gehörter Sprache durch die Lerner. Man nahm an, dass dies dem L1-Erwerb von Kindern entspräche. Auch sie imitierten einfach das, was sie hörten. Man müsse also nur lange und oft genug hinhören, um die richtigen Laute in der richtigen Reihenfolge zu produzieren. Der Fremdsprachenunterricht machte aus dieser Beobachtung eine Methode. Indem den Lernern entsprechende Modelle in Form von einfachen Lauten, Lautkombinationen, Wörtern und Sätzen vorgegeben und diese Muster, sogenannte Patterns, durch ein Reiz-Reaktionsverfahren immer wieder eingeübt und gedrillt wurden, sollten sich die Fertigkeiten zur eigenständigen Nutzung der Fremdsprache entwickeln. Lerntheoretisch ist dieses Pattern-Drill-Verfahren als verhaltensformendes, also behaviouristisches Lernen bekannt geworden, und zwar nicht nur im Bereich der Fremdsprachen, sondern beim Lernen allgemein. Behaviouristisches Lernen ist also ein mechanischer Prozess, der von einem auditiven oder einem kombinierten audio-visuellen Reiz (Stimulus) ausgelöst wird und aus der entsprechenden Reaktion (Response) auf diesen Reiz besteht. Gelernt wird ein Verhalten, und zwar in erster Linie am Modell, an dessen Imitation und mechanischer Wiederholung.

Abbildung 1.2: Grundschema behaviouristischer Lernmodelle

Je nach Schwerpunkt der Reizauslösung unterscheidet man zwischen audiolingualer und audiovisueller Methode im Fremdsprachenunterricht. Die erste Methode wurde besonders in den 40er und 50er Jahren in den USA propagiert und massiv gefördert, vor allem weil man sich davon versprach, möglichst schnell möglichst viele Soldaten auf den Einsatz in den schnell wechselnden Kriegsgebieten vorzubereiten. Sie wird deshalb auch army method genannt. Die audiovisuelle Methode entstand in Frankreich, vermischte sich später mit der audiolingualen Methode und wurde so als la méthode (‚die Methode’) für eine ganze Sprachlerngeneration prägend (bis in die frühen 70er Jahre). Um das mechanische Verfahren zu optimieren, bietet es sich an, auf elektronische Medien zurückzugreifen. Das wurde schon früh mit Tonbändern, Kassetten und Sprachlaboren praktiziert und wird auch heute noch in der Werbung mittels Schlagworten wie „in 30 Tagen Spanisch lernen“ angepriesen. Die älteren Medien, wie Kassetten, sind mittlerweile durch neue Medien wie CD-ROMs, DVDs, Apps und teilweise das Internet ersetzt worden. Das Lernschema dieser Programme bleibt aber das gleiche. Nach Issing (2002: 156) kann man behaviouristisch vermittelte Verfahren deshalb folgendermaßen grafisch darstellen:

Abbildung 1.3: Erweitertes Schema behaviouristischer Verfahren: Der Lerner als Rezipient (nach Issing 2002:156)

Die Medien können nach den Vorstellungen dieses Ansatzes den Unterricht vor allem dadurch optimieren, dass sie die entsprechenden Stimuli in der richtigen Dosis und in ausreichendem Maße, in muttersprachlicher Qualität und gegebenenfalls auch ortsunabhängig (also nicht nur im Unterrichtsraum) zur Verfügung stellen und positive Reaktionen durch akustische und visuelle Signale verstärken (Applaus, Trompetenfanfaren, grüne Ampeln und Ähnliches). Die Medien lassen eine im Sinne des Behaviourismus optimale Steuerbarkeit des Lernablaufes und damit ein optimales Training der Lerner zu. Der Fachbegriff, mit dem diese Verhaltensschulung gefasst wird, lautet Konditionierung. Die Effekte der Konditionierung sind übrigens vor allem in psychologischen Experimenten (und zunächst mit Mäusen und Ratten) untersucht worden. Der größte Versuch am Menschen bleibt aber wohl der Sprachunterricht.

Die behaviouristisch geprägten Medien charakterisieren sich durch ein vorstrukturiertes, lineares Verfahren, das in der Regel äußerst fremdgesteuert und mechanisch verläuft und mit zahlreichen Wiederholungsübungen (Pattern-Drill-Übungen) versehen ist. Die Zerlegung des Stoffes in kleine „Häppchen“ ist ebenfalls ein Charakteristikum behaviouristischer Verfahren (vergleiche Nandorf 2004). Der Lernfortschritt wird regelmäßig vor allem durch die Wiedergabe von Fakten beziehungsweise von Sätzen kontrolliert (vergleiche Kerres 2001). Das lässt sich in multimedialen Lernumgebungen sehr effektiv realisieren, indem die Lerner nach der Darbietung von gesprochenen oder geschriebenen Wörtern oder Sätzen genau denselben Wortlaut sprechen beziehungsweise schreiben. Danach wird die Sprachproduktion der Lerner mit den Daten des Lernprogramms abgeglichen und eine automatische Rückmeldung mit richtig oder falsch und der entsprechenden positiven (Trompetenklang, Applaus) oder negativen (Misstöne, traurige Smileys) lautlichen Untermalung generiert (vergleiche Nandorf 2004). Die Rückmeldung des Lernprogramms sieht meistens nur eine einzige Antwortmöglichkeit vor. Bei falschen Antworten werden auch selten Hilfestellungen angeboten, die den Lernern zur Selbsterschließung der Fragen oder Aufgaben verhelfen könnten. Vielmehr erhoffen sich behaviouristische Lernprogramme, durch Wiederholung und Verstärkung eine Verhaltensänderung beim Lerner zu bewirken, ohne dass entsprechende Verstehensprozesse in Gang gesetzt werden. Beim Lernen spielt es also keine Rolle, ob die Gesamtsituation einen Sinn oder überhaupt einen kommunikativen Wert hat. Denn zur besseren Aufteilung und kleinschrittigen Vorstrukturierung wird der Unterrichtsstoff oft stereotypisch präsentiert, sodass eine differenzierte Vermittlung sprachlicher und kultureller Aspekte ausbleibt.

Am Behaviourismus wurde später kritisiert, dass die stark vorstrukturierten Materialien wenig Spielraum für einen individuellen Zugang seitens der Lerner lassen und dass die erworbenen Wissensbestände und Sprachstrukturen wenig flexibel in neuen Situationen angewandt und der Komplexität sprachlicher und (inter)kultureller Zusammenhänge nicht gerecht werden können. Darüber hinaus stößt das kleinschrittige behaviouristische Verfahren an die eigenen Grenzen, wenn es zum Beispiel darum geht, längere Texte zu behandeln: Die Zerlegung des Stoffs in kleine Teile ist nur bei Einzelwörtern (Wortschatz) und sehr kurzen Dialogen tragbar, wenn überhaupt. Außerdem kann der Behaviourismus aus lerntheoretischer Sicht nicht erklären, warum wir überhaupt Sätze bilden können, die wir vorher gar nicht durch einen Stimulus-Reaktion-Vorgang gelernt haben. Daraus ergibt sich, dass wir viel mehr lernen als das, was uns in Übungen oder im Input als Reiz dargeboten wird. Genau zu diesem Aspekt haben die darauffolgenden Lerntheorien ganz unterschiedliche Lösungsansätze formuliert.

Die klassischen Unterrichtsverfahren der Grammatik-Übersetzungsmethode und die behaviouristischen Verfahren, die vorwiegend mit vorstrukturierten Lehrelementen und lehrergesteuert vorgehen, gelten in neuerer Terminologie als die typischen Instruktionsverfahren und die Medien, die sie nutzen, als die typischen Instruktionsmedien (im Englischen spricht man hier auch von interventionist methods). Damit können sie von zwei anderen Hauptverfahren des Sprachenerwerbs unterschieden werden, die stärker auf die Selbstständigkeit (Autonomie) des Lerners und des Lernens Bezug nehmen: den sogenannten kognitivistischen Verfahren, die auf die Vermittlung von metasprachlichem Wissen ausgerichtet sind, und den konstruktivistischen, die von selbst-generierenden Prozessen der Wissenskonstruktion gesteuert sind. Diese unterscheiden sich zumindest theoretisch in einer Reihe von Aspekten, ergänzen und überlappen sich aber auch in einigen Annahmen, Zielen und Methoden. In einer Mischgruppe von Ansätzen kommen sie mit unterschiedlicher Gewichtung und Funktion zur Geltung. Auch hier spielt die mediale Realisierung eine entscheidende Rolle.

Nativismus

Wie Sie bereits gesehen haben, wurden einige Aspekte des Behaviourismus stark kritisiert. Diese Kritik gegen den Behaviourismus wurde vor allem vom Nativismus und vom Kognitivismus artikuliert. Mit ihnen steht der Verhaltensschulung eine Theorie gegenüber, die das gesamte Inventar der Grammatik von Anfang an voraussetzt.

Der Linguist Noam Chomsky schlug vor, dass Kinder die allgemeinen Prinzipien einer recht komplexen, hochabstrakten universellen Grammatik (die für alle über 6000 existierenden Sprachen gilt) bereits von Geburt an fertig aufbereitet im Kopf haben. In Abhängigkeit von der jeweiligen Erstsprache können Kinder diese universelle Grammatik dann durch das Umlegen eines inneren Schalters für die einzelnen Variablen mit den spezifischen Charakteristika ergänzen. Kinder wissen dank dieser angeborenen Universalgrammatik beispielsweise von Beginn an, wie ein Fragesatz syntaktisch korrekt aufgebaut ist und müssen ihr grammatisches Wissen also nicht durch einen langen Lernprozess erwerben (vergleiche Bickes & Pauli 2009: 15, siehe hierzu auch Lerneinheit 4.1 und 7.1 im Band »Kognitive Linguistik«).

Einflussreiche Sprachwissenschaftler wie Noam Chomsky oder Steven Pinker vertreten die Annahme eines angeborenen Moduls für den Sprachenerwerb. So ist Sprache Chomsky zufolge nicht ‚designed for use’ oder ‚well adapted to its functions’ (vergleiche Chomsky 1959). Die Eigenschaften menschlicher Sprache können demzufolge nicht aus dem tatsächlichen Gebrauch erschlossen oder erklärt werden. Mit seinem Aufsatz Review of Skinner’s ‚verbal behavior’ (1959) bereitet Chomsky mit überzeugenden Gegenargumenten zu den damals vorherrschenden Annahmen des Behaviourismus den Weg für die moderne Spracherwerbsforschung und Kognitionswissenschaften (vergleiche Bickes & Pauli 2009: 15 f).

Doch wie erklärt der Nativismus nun den Erwerb der Zweit-, beziehungsweise Fremdsprache? Zentral an dieser Frage ist die sogenannte Identitätshypothese, die besagt, dass die L2 (Zweitsprache) genauso wie die L1 (Erstsprache) erworben wird, und zwar dank der Universalgrammatik. Nicht alle Nativisten sind sich aber über die Haltbarkeit der Identitätshypothese einig. Dabei geht es unter anderem um den Streitpunkt, wieviel vom L2-Erwerb angeboren ist und wieviel gelernt werden muss. Eine Gruppe von Nativisten lehnt die starke Version der Identitätshypothese ab und vertritt eine „Light-Version“, in der die Universalgrammatik eine relative Wichtigkeit besitzt: Der Erwerb der Zweit- oder Fremdsprache läuft nicht gleich ab, sondern ähnlich wie der Erstspracherwerb. Dabei werden unmarkierte Formen viel leichter in das System der L2 aufgenommen als markierte Formen. Demnach bereiten unmarkierte Formen, wie beispielsweise die Verwendung von Adjektiven als Prädikativkomplementen (Schweinsteiger ist sehr gut; alle Spieler sind gut), weniger Schwierigkeiten als die markierte Verwendung von Adjektiven in attributiver Funktion (Schweinsteiger ist ein guter Spieler; alle sind gute Spieler). Markierte Formen erfordern nämlich die Anpassung einiger Parameter der Universalgrammatik, was unter anderem durch allgemeine Lernstrategien erreicht werden kann.

Eine weitere Gruppe von Nativisten vertritt einen gemischten Ansatz: Sie gehen davon aus, dass der L1-Erwerb durch die Universalgrammatik und der L2-Erwerb durch allgemeine Lernmechanismen (Problemlösen, Kategorisierung und Ähnliches) gesteuert sind. Den Streitpunkt nativistischer Erwerbstheorien löst Krashen in seinem Modell folgendermaßen: Eine L2 kann sowohl bewusst durch Regeln gelernt als auch implizit erworben werden. Explizites Lernen von Regeln der L2 trägt nach Krashen zwar zur Erweiterung des sogenannten Monitors bei, aber damit kann kein qualitativ hochwertiger und effektiver Umgang mit der L2 garantiert werden wie beim impliziten Erwerb (vergleiche Krashen 1982: 20, zum Monitor-Begriff siehe Lerneinheit 4.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition»). Für einen impliziten Erwerb der Sprache ist vor allem ein verständlicher Input mit Situationsbezügen nötig, in dem Strukturen der nächsten Erwerbsstufe oft genug dargeboten werden. Erst auf diese Weise können Menschen kreativ Hypothesen über die Struktur der Sprache bilden sowie testen und somit die Universalgrammatik weiterentwickeln. Dabei orientiert sich der Input an einer festen Abfolge von Erwerbsstufen.

Welche konkreten Konsequenzen hat aber das Modell von Krashen für den Fremdsprachenunterricht und für den Einsatz der neuen Medien? Entgegen der Annahme, die neuen Medien würden nur das Sprachenlernen (und nicht den Sprachenerwerb) unterstützen, entstand auf der Basis von Krashens Modell der sogenannte Natural Approach, der für einige Zeit in zahlreichen Sprachlernprogrammen umgesetzt wurde (vergleiche Nandorf 2004). Nach dem Natural Approach sollten die neuen Medien verständlichen Input in variierenden Situationen und nach einer bestimmten (durchdachten) Sequenz darbieten. Typisch für die Lernprogramme des Natural Approach ist das Streben nach einer möglichst „natürlichen“ Umgebung, die die L1-Erwerbsbedingungen abbildet, was in vielen Fällen zur Gestaltung von Sprachlernprogrammen ausschließlich in der Zielsprache im Sinne einer Immersion führte. Auch bei der Progression wurde darauf geachtet, die sogenannte „stille Phase“ der Kinder beim L1-Erwerb mit zu berücksichtigen, indem die L2-Produktion nicht von Anfang an gefordert wurde (vergleiche Nandorf 2004). Oft wurde dieses Prinzip in den Lernprogrammen folgendermaßen umgesetzt: Zunächst werden Objekte und Handlungen graphisch dargestellt und zusammen mit den Wörtern (in der Regel auditiv) dargeboten. Im zweiten Schritt werden die Lernenden dazu aufgefordert, das richtige Bild zum Wort zuzuordnen, wodurch eine sofortige Sprachproduktion vermieden wird. Die grammatischen Strukturen spielen dabei eine untergeordnete Rolle, da dadurch primär der implizite Erwerb gefördert werden soll und nicht das explizite Regellernen.

Underwood (1984: 23) fasst die Anforderungen an die neuen Medien und die Förderbereiche aus Sicht des Natural Approach folgendermaßen zusammen:

Förderung des Erwerbs anstatt des Lernens

Implizite Grammatikvermittlung anstatt von expliziter Regelerklärung

Explorativer und kreativer Umgang mit Sprache (mehrere Möglichkeiten anbieten und akzeptieren)

Vermeidung von manipulierten Sprachäußerungen

Keine ständige Kontrolle des Lernfortschritts

Vermeidung von negativen Korrekturen

Keine Belohnung durch lobende Rückmeldungen

Ausschließliche Verwendung der Zielsprache

Simulation einer Umgebung, in der die Verwendung der Zielsprache als natürlich empfunden wird.

Experiment

Schritt 1:

Nehmen Sie einen Stift und ein leeres Blatt. Nun lesen Sie nur ein einziges Mal die folgende Buchstabenfolge und versuchen Sie, sich so viele Buchstaben und Zeichen wie möglich zu merken. Dann notieren Sie Ihre Antwort auf dem Blatt und vergleichen Sie schließlich Ihre Antwort mit der Buchstabenfolge.

asttmbxmaeusumrmaondtnch.de@-.

Das Experiment geht aber noch weiter. Wiederholen Sie denselben Vorgang mit der nächsten Buchstabenfolge:

[email protected]

Was haben Sie beobachtet? Wie viele richtige Buchstaben konnten Sie in jedem Versuch notieren? Wie erklären Sie sich Ihre Ergebnisse?

Schritt 2:

Jetzt können Sie als Versuchsleiter fungieren. Dafür müssen Sie aber einige Vorbereitungen treffen. Schreiben Sie zwei Listen mit jeweils 9-10 Wörtern: In der ersten Liste (A) haben Sie Wörter, die semantisch NICHT miteinander verwandt sind (zum Beispiel Auto, Buch, Hoffnung, Fleisch); in die zweite Liste (B) schreiben Sie 9-10 Wörter, die zwei unterschiedlichen Wortfeldern (Cluster) angehören (beispielsweise Obst => Banane, Apfel und Ähnliches; Technologie => Tastatur, Bildschirm und Ähnliches). Suchen Sie Versuchspersonen, die sich gerne am Experiment beteiligen möchten. Gehen Sie wie in Schritt 1 oben vor:

1.Liste 1 einmal lesen lassen; wegnehmen; Wörter aufschreiben lassen

2.Liste 2 einmal lesen lassen; wegnehmen; Wörter aufschreiben lassen

3.Ergebnisse aus Liste 1 und 2 miteinander vergleichen

Wie erklären Sie sich die Ergebnisse? Wie würden Sie Ihre Vermutungen zum beobachteten Phänomen den Kursteilnehmern und Kursteilnehmerinnen im Kurs erklären?

Sicher haben Sie bemerkt, wie schwierig es ist, sich an einzelne Elemente zu erinnern, wenn es keine sinnvollen Cluster gibt. Sinnvoll bedeutet hier: Unser Gehirn ist darauf eingestellt, immer Sinn zu generieren. Dafür sucht es sich Anhaltspunkte, wie zum Beispiel bekannte Wörter oder andere Symbole, wie das @-Zeichen, Punkt, Komma, Großbuchstaben, Leerzeichen, Pausen etc. Dadurch wird die Identifikation und Zuordnung von Sprache wesentlich erleichtert. Zur Sinngenerierung gehört aber vor allem auch die Zuordnung zu Bedeutungseinheiten und Bedeutungsnetzen und -verknüpfungen. Daher können wir uns in der Regel Begriffe, die einen semantischen Bezug zueinander haben, wie verschiedene Obstsorten oder Ersatzteile für Autos, besser und länger merken. Noch besser wird es, wenn wir die Begriffe taxonomisch zuordnen können, zum Beispiel in einer hierarchischen Struktur von Ober- und Unterbegriffen, Synonymen oder Antonymen etc. Hierzu gleich eine weiterführende Frage, die Ihnen vermutlich gar nicht unbekannt vorkommt: Wenn man ein paar solcher ganz verbreiteten und einfachen Wahrnehmungsprinzipien kennt, wie kann man dann 16-stellige IBAN-Nummern oder langatmige Verwaltungsnummern ohne Gliederungsmerkmale erfinden? Wieviel Grundwissen gehört dazu, um hier zum Beispiel dreistellige Cluster zu bilden oder Zahlen- und Buchstaben-Kombinationen abzuwechseln?

Kognitivistische Verfahren

Bei den kognitivistischen Lernverfahren stehen Struktur und Prozesse des Gehirns im Mittelpunkt des Interesses der unterrichtlichen Steuerung. Der Sprachenerwerb als komplexer Prozess der Informationsverarbeitung erfolgt über die Stufen Wahrnehmen, Erkennen und Identifizieren, Sortieren, Klassifizieren, Verstehen, Behalten und Automatisieren. Lernen gilt demnach als das gezielte Erinnern an Aufgenommenes und die gekonnte Anwendung des Gelernten.

Bearbeitet und aktiv gehalten wird das Gelernte in verschiedenen Gedächtnisspeichern, und zwar im Ultrakurzzeit-, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Diese Speicher sind jedoch keine passiven Schubladen, wie häufig angenommen wird, sondern dynamische Wissensnetze mit bestimmten Arbeitsfunktionen. So lassen sie sich danach bestimmen, wie lange und in welcher Form Information im Arbeitsgedächtnis bearbeitet wird, ob die Daten als einmaliges Ereignis (episodisches Gedächtnis) oder ob sie universell nutzbar gespeichert werden (semantisches Gedächtnis). Unterschieden werden muss weiterhin zwischen dem Faktenwissen, das heißt dem propositionalen oder auch deklarativen Gedächtnis, und dem Methoden- und Vorgangswissen, das heißt dem prozeduralen Gedächtnis. Im Band »Sprachenlernen und Kognition« wird genauer auf die Prozesse der Sprach-, Bild – und Informationsverarbeitung eingegangen. Hier soll nur festgehalten werden, dass verschiedene Speicherfunktionen bei der Informationsverarbeitung eine wichtige Rolle spielen und dass diese vom Gehirn ständig organisiert, vernetzt und umorganisiert werden. Bei den kognitivistischen Unterrichtsverfahren geht es darum, die relativ komplexe, vernetzte Speicherung von Wissen und den Zugang zu den Speichern durch metasprachliche Regeln und eine regelgeleitete (deduktive) Steuerung des Unterrichts und Lehrmaterials zu optimieren. Kognitivistische Verfahren und „Kognitivierung“ beschreiben äußere Steuerungsverfahren des Unterrichts mit dem Ziel der metasprachlichen „Sprachbewusstheit“, nicht den Versuch, die natürlichen Erwerbs- und Verarbeitungsprozesse des Lerners zu ergründen und in Lernverfahren zu modellieren (vergleiche Ellis 1994; Norris & Ortega 2000).

Interessanterweise haben die kognitivistischen Verfahren damit eine Reihe von grundsätzlichen Gemeinsamkeiten mit den behaviouristischen Instruktionsverfahren, vor allem die äußere Steuerbarkeit des Lerners. Allerdings stehen hier die Speicherung, die Einsicht und die Übertragbarkeit des Wissens als Ziele des Lernens über den mechanistischen Reflexen. Kognitivistischen Theorien geht es um die Vermittlung von Einsichten in den Lernprozess selbst und um die Übertragbarkeit des Gelernten auf neue Wissensfelder. Die Lerner sollen die Lernverfahren also auch durchschauen und daraus entsprechende Lernstrategien für das selbstständige Weiterlernen ableiten. Dieses Lernziel des Durchschauens der Lern- und Verarbeitungsprozesse wird metakognitive Reflexion genannt. Die zur Optimierung eingesetzten Lernmedien sind dabei als Mittler grundsätzlich unterschiedlich geeignet. Sie sind aber immer nur Hilfsmittel, die Inhalte transportieren. Ohne Inhalte sind sie praktisch wirkungslos. Das erklärt, warum der Motivationscharakter der Medien überschätzt wird und sich ihr Neuigkeitseffekt im Unterricht so schnell abgreift. Das gesamte kognitivistische Verfahren lässt sich nach Issing (2002: 156) ungefähr so darstellen:

Abbildung 1.4: Schema kognitivistischer Verfahren: Die Medien und Methoden der Lehrer, Lehrbuchautoren und Medienentwickler wirken von außen auf die internen Verarbeitungsprozesse des Lerners, die er zwar durchschauen, aber kaum beeinflussen kann (nach Issing 2002: 156)

Die neueren kognitionswissenschaftlichen Ansätze des Sprachenerwerbs haben mit den hier beschriebenen kognitivistischen Verfahren trotz der Namensähnlichkeit relativ wenig zu tun (vergleiche Suñer Muñoz 2011; Roche 2013a). Um unterrichtliche Steuerung geht es ihnen nur in nachgeordneter Instanz. Wesentlich wichtiger ist der Versuch zu verstehen und darzustellen, wie sich die Prozesse des Sprachenerwerbs in den Gehirnen der Lerner abspielen und welche Modelle und Schemata sie beim Lerner erzeugen.

1.1.2 Zusammenfassung

Zu den ersten Methoden des Fremdsprachenunterrichts gehört die Grammatik-Übersetzungsmethode.

Die Grammatik-Übersetzungsmethode richtete sich ursprünglich an der Vermittlung von Texten der antiken Autoren aus.

Den Mittelpunkt der Grammatik-Übersetzungsmethode bildet die Übersetzung der Originaltexte und die Fixierung auf die grammatischen Strukturen der beteiligten Sprachen.

Abgelöst wurde diese Methode durch behaviouristische Verfahren (Pattern-Drill-Verfahren).

Behaviouristisches Lernen ist ein mechanischer Prozess, der von einem auditiven oder einem kombinierten audio-visuellen Reiz (Stimulus) ausgelöst wird und aus der entsprechenden Reaktion (Response) auf diesen Reiz besteht.

Zu den behaviouristischen Verfahren gehörte beispielsweise die audiolinguale Methode (army method), in deren Zentrum das Imitieren von gehörter Sprache durch die Lerner stand.

Starke Kritik gegen den Behaviourismus wurde vor allem von Vertretern des Nativismus und des Kognitivismus artikuliert. Demzufolge verläuft der L2-Erwerb ähnlich wie der L1-Erwerb, wobei eine angeborene Universalgrammatik eine bedeutende Rolle spielt. Bei den kognitivistischen Lernverfahren stehen Struktur und Prozesse des Gehirns im Mittelpunkt des Interesses der unterrichtlichen Steuerung.

1.1.3 Aufgaben zur Wissenskontrolle

1.Richtig oder falsch?

a.Es gibt sehr verlässliche Aussagen darüber, wie die Menschen in früheren Zeiten miteinander kommunizierten.

b.Wie früher der Sprachenerwerb stattgefunden hat, kann man zum Beispiel an verschiedenen Schriftzeichensystemen wie den Hieroglyphen oder verschiedenen Petroglyphen (in Stein geschlagene oder geritzte Schriften) rekonstruieren.

c.In den Anfangszeiten des Sprachunterrichts galten die Klassiker des alten Ägyptens als Orientierung, und zwar sowohl inhaltlich als auch sprachlich.

d.Das Ziel des Unterrichts war damals, die Originaltexte von Klassikern zu verstehen und für die anderen nachzuerzählen.

e.Die Grundstrukturen der lateinischen Grammatik wurden als der Generalschlüssel zu den Sprachen unseres Kulturkreises betrachtet, wenn nicht sogar zu den Sprachen schlechthin.

f.Es ging zunächst vor allem um die Grammatikbeherrschung als Ziel und die Übersetzung als Methode des Unterrichts.

2.Was sind die Merkmale für behaviouristische Verfahren?

3.Sie haben gelernt, worin die Besonderheiten des kognitivistischen Verfahrens bestehen. Wie kann Ihrer Meinung nach ein kognitivistisches Sprachlernprogramm aufgebaut sein? Beschreiben Sie das Konzept und führen Sie gegebenenfalls Beispiele an.

1.2 Konstruktivismus und Konstruktionismus

In Lerneinheit 1.1 haben Sie bereits einige der ersten Lerntheorien kennengelernt: Behaviourismus, Nativismus und Kognitivismus. Vor einigen Jahren orientierte sich die Sprachdidaktik allerdings neu und versuchte, aus Disziplinen wie der Lernpsychologie Hinweise für einen effektiven Sprachenerwerb zu finden. Damit rückte die gezielte Wissenskonstruktion auf der Basis individueller Erfahrungen mit der Umwelt ins Zentrum des Interesses. Die vorliegende Lerneinheit widmet sich deswegen der Frage, wie sich dieser Wandel in der Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse und der neuen Medien niedergeschlagen hat. Zu diesem Zweck beschreiben die folgenden Abschnitte zunächst die Grundlagen des Konstruktivismus, gehen auf den Unterschied zwischen dem radikalen und dem moderaten Konstruktivismus ein und stellen dann verschiedene Beispiele für den Einsatz der neuen Medien vor, die für diese Lerntheorie repräsentativ sind.

Lernziele

In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

die Theorie des Konstruktivismus kennen und reflektieren können;

den Unterschied zwischen dem radikalen und dem moderaten Konstruktivismus erklären können;

die didaktisch-methodischen Konsequenzen der Lerntheorie erläutern können;

den Lernmehrwert verschiedener Sprachlernangebote aus lerntheoretischer Sicht begründen können.

1.2.1 Konstruktivistische Verfahren

Einige Ideen des Kognitivismus, wie zum Beispiel die aktive mentale Konstruktion von Wissen durch die Lerner, wurden in einer weiteren Lerntheorie – dem Konstruktivismus – aufgenommen. Allerdings ist mit der Entstehung und Entwicklung des Konstruktivismus auch ein großer lerntheoretischer Durchbruch verbunden. Er besteht in der Annahme, dass kein objektives und allgemeingültiges Wissen über die Welt existiert, das gelehrt werden kann (vergleiche Roche 2013a: 23). Die Informationen werden nicht 1:1 im Gehirn abgebildet, sondern werden im Wechselspiel mit der Umwelt individuell erzeugt und mittels permanenter Erkennungs- und Organisationsprozesse in bestehende Wissensnetze eingebettet (Assimilation). Gleichzeitig finden Akkommodationsprozesse statt, durch die das bestehende Wissenssystem an die Umwelt und das in ihr verfügbare neue Wissen angepasst wird. Lernen heißt somit, kognitive Konstruktionen neu aufzubauen und existierende ständig umzugestalten. Daher ist das Wissen höchst individuell und kann nur erworben werden, das heißt es muss selbst konstruiert werden (vergleiche Issing 2009a; Nandorf 2004: 75). Das Individuum konstruiert sein Wissen auf der Basis individueller Erfahrungen mit der Umwelt, bildet ein selbstreferenzielles System, das sich selbst organisiert und selbst begründet (vergleiche Roche 2013a: 23). Das beste Lernmaterial im Sinne konstruktivistischer Theorien stellen demnach Baumaterialien und Werkzeuge dar, die es dem Lerner ermöglichen, in seiner Lernumgebung eigene Wissenssysteme beliebig zu gestalten.

Konstruktivistische Ansätze (vergleiche Wendt 1996 oder Wolff 2002) beziehen sich häufig auf die philosophischen, biologischen und neurophysiologischen Grundlagen des radikalen Konstruktivismus, der in den 1960er und 70er Jahren von Ernst von Glasersfeld und seinen Kollegen am Biological Computer Laboratory in Illinois entwickelt wurde, aber nicht für die unmittelbare Anwendung in Lehr- und Lernverfahren gedacht war. Das Radikale daran ist, dass Organismen als Systeme betrachtet werden, die sich selbst organisieren und begründen, also selbstreferenziell und selbstexplikativ sind. So auch das menschliche Gehirn, das nur über eine Umsetzung der physikalisch-chemischen Umweltereignisse in die Sprache des Gehirns mit der Umwelt korrespondiert. Konstruktivistisches Lernen lässt sich in Anlehnung an Issing (2002) folgendermaßen darstellen:

Beim Sprachenlernen im radikal konstruktivistischen Sinne sind optimale Lernumgebungen praktisch nur durch ein komplettes, begrenztes oder modelliertes Eintauchen (Immersion) in die zielsprachige Kultur gegeben. Zu den Verfahren, mit denen solche komplexen, natürlichen Lernumgebungen hergestellt oder simuliert werden können, gehören bilinguale Klassen und Immersionsschulen, in denen Lernstoff in der Fremdsprache unterrichtet wird. Auch der klassische Schüleraustausch und das Nutzen fremdsprachiger und fremdkultureller Ressourcen am Lernort basiert auf dem Immersionsprinzip. Immersion funktioniert nicht wegen der „Beschallung“ durch die fremdsprachige Umgebung, sondern die aktive Auseinandersetzung damit.

Abbildung 1.5: Schema konstruktivistischer Verfahren (nach Issing 2002: 156)

Im Unterricht sind diese idealen Ausgangsbedingungen nicht automatisch vorhanden, aber durch verschiedene Medien und didaktische Verfahren leicht herstellbar, denen bei der Schaffung reicher Lernumgebungen eine herausragende Rolle zukommt. Durch sie werden authentische Situationen realitätsnah und materialreich präsentiert, zum Beispiel in Simulationsspielen. Dabei geht es nicht nur um Abwechslung, Realitätsnähe und Nähe zur Zielkultur. Lerntheoretisch entscheidend ist, dass authentisch reiche Lernumgebungen das Lernen kontextualisieren, verschiedene Zugangsmöglichkeiten und Perspektiven bei der Bearbeitung einer Aufgabe fördern, die reale Kommunikationssituation mit den vielfältigen sprachlichen und außersprachlichen Bezügen abbilden (Pragmatik) und daher auch vielfältige und echte Rückmeldungen in der Kommunikation enthalten, die für das Weiterlernen elementar sind. Diese sind auch deshalb nötig, weil der Sprachenerwerb in reichen Lernumgebungen weitestgehend als Teil einer Handlung nebenbei erfolgt, damit also viel komplexer und differenzierter ablaufen kann als ein strikt geplanter und vorstrukturierter Unterricht. Man spricht hier von inzidentellem Lernen.

Im Sinne des radikalen Konstruktivismus beschränkt sich die Rolle der neuen Medien allerdings oft auf die Bereitstellung reichhaltiger Lernumgebungen ohne jeglichen instruktionistischen Anspruch, damit die Lerner die Inhalte und Situation selbst erschließen und ihr Wissen selbst organisieren. Die Aufgabe der Medien besteht demnach darin, Lernwerkzeuge und Materialien bereitzustellen, „die es dem Lerner ermöglichen, in seiner Lernumgebung eigene Wissenssysteme beliebig zu gestalten“ (Roche 2013a: 23).

Abbildung 1.6: Beispiel für konstruktivistische Sprachlernprogramme: Berliner sehen (Ellen W. Crocker, Kurt E. Fendt © MIT, 2005)

1.2.2 Moderater Konstruktivismus

Die im oberen Abschnitt erläuterte Position wird jedoch selbst innerhalb des Konstruktivismus – wie bereits aus dem Begriff „radikaler Konstruktivismus“ ersichtlich – als etwas extrem betrachtet und kontrastiert mit anderen Positionen wie dem sozial-interaktionistischen Konstruktivismus von Lew Wygotski (1986). In diesem Ansatz wird unter anderem die Wichtigkeit der Ko-Konstruktion von Wissen betont: Neues Wissen entsteht nach dieser Position immer durch die Interaktion mit anderen Individuen in einem bestimmten soziokulturellen Kontext. Nach diesem Ansatz ist die Sprache grundsätzlich durch soziales Handeln geprägt und Bedeutung wird durch Interaktionen und Abstimmungsprozesse ausgehandelt.

Ein Beispiel dafür ist die sogenannte kindgerichtete Sprache (KGS), bei der die Eltern oder Betreuungspersonen und die Kinder ihre Sprache aneinander anpassen. Dieser Ansatz hat die moderne Fremdsprachendidaktik sehr stark geprägt und unter anderem dazu beigetragen, die Wichtigkeit des kooperativen und kollaborativen Lernens zu betonen.

Eine weitere Position innerhalb des Konstruktivismus kritisiert einerseits die starke Instruktion des Kognitivismus, erkennt andererseits die Grenzen von rein konstruktivistisch gestalteten Lernumgebungen wie Berliner sehen (siehe Abbildung 1.6). Solche Lernumgebungen erwiesen sich vor allem für diejenigen Lerner als problematisch, die aus Gründen unterschiedlicher Lerntraditionen nicht an selbstorganisiertes Lernen in offenen Lernsituationen gewöhnt waren (vergleiche Roche 2013a). Damit verbunden sind natürlich auch Aspekte der lernerseitigen Motivation, denn solche offenen Umgebungen mit scheinbar unstrukturierten Ressourcen führten oft zu Überforderung und Frustration. Außerdem scheint es aus Lehrersicht schwierig, auf Planbarkeit und Leistungsmessung vollständig zu verzichten (vergleiche Todorova 2009). Sind Lerner zum Beispiel einer sehr reichen Lernumgebung ausgesetzt, wie sie fremdsprachige Internetseiten bieten, um selbstständig und ohne Hilfe Aufgaben zu bearbeiten, können sie leicht in der Flut der fremden Sprache und Kultur untergehen, wenn sie nicht über die nötigen Sprach- und Navigationskenntnisse verfügen. Um dieser Gefahr zu begegnen, hat sich in der Unterrichtspraxis eine Reihe von theoretisch begründeten Mischformen entwickelt, die die Stärken instruktionistischer und konstruktivistischer Verfahren gleichermaßen nutzen.

Im Rahmen dieses moderaten Konstruktivismus werden sowohl realitätsnahe Lernsituationen zur aktiven Erfahrung von Wissen geschaffen (situiertes Lernen; vergleiche Issing 2009a: 30), als auch Hilfestellungen und Anregungen dargeboten, die den Lernprozess unterstützend begleiten. Seine Verfahren fördern das Lernen in einer komplexen und kontextualisierten Lernumgebung, wobei allerdings der Erwerb hierfür wichtiger kognitiver Grundlagen mehr oder minder stark durch Unterrichtsmaßnahmen gefördert werden kann. Aufgaben werden im Unterricht vorbereitet, Hilfsmittel werden erklärt und zur Verfügung gestellt und die Lehrkraft begleitet das Lernen wie eine Trainerin oder ein Trainer. Die Lerner sind an der Entwicklung des Themas soweit wie möglich direkt beteiligt, setzen das gemeinsam Erarbeitete um, erproben es selbstständig, experimentieren damit und entwickeln es (auch nach individuellen Interessen) selbstständig weiter.

Auch im moderaten Konstruktivismus kommt den neuen Medien eine besondere Rolle zu. Im Softwarebereich wird er häufig auch als instruktionales Design der zweiten Generation oder anchored instruction bezeichnet. Als mediale Realisierung des moderaten Konstruktivismus bieten sich offene Lehr- und Lernsysteme mit Betreuungsmöglichkeiten durch Lehrkräfte (tutorielle Komponenten) an. In diesem Zusammenhang werden komplexe Lernplattformen entwickelt, auf denen handlungsorientierte, authentische Aufgaben mit multiplen Zugangs- und Austauschmöglichkeiten dargeboten werden (vergleiche Roche 2013a). Letzteres wird unter anderem im Rahmen des sogenannten fallbasierten Lernens erreicht. Erst in einer Umgebung, in der die Lerner zum produktiven Denken angeregt werden und eigene Lösungsansätze ausprobieren dürfen, können die individuellen Zugänge zum Lernstoff ermöglicht werden. Die Lernprozesse auf solchen reichhaltigen und komplexen Plattformen können in Abhängigkeit vom lernerspezifischen Bedarf mit unterschiedlicher Intensität tutoriell betreut werden. Dadurch kann ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Konstruktion und Instruktion erreicht werden. Die tutorielle Betreuung kann verschiedene Aspekte beinhalten: die Erstellung eines Lernweges, die Organisation von Chat-Terminen, die Formulierung von Aufgaben im Forum, die Korrektur von Aufgaben, die personalisierte Rückmeldung zum Lernfortschritt, die Bereitstellung weiterer vertiefender Aufgaben und Ähnliches. Bei der Unterstützung von Lernprozessen im Sinne des moderaten Konstruktivismus geht es also um die goldene Mitte: Wieviel Instruktion ist für eine selbstorganisierte, aktive Konstruktion von Wissen nötig? Prinzipiell gilt, das richtige Maß an Instruktion anzubieten, das die Lerner brauchen, um sich komplexe, handlungsorientierte Lernmaterialien zu erschließen und auf dieser Basis Wissen (eventuell auch durch Interaktion mit anderen Individuen) zu erweitern.

Ein Beispiel für eine Lernumgebung im Sinne des moderaten Konstruktivismus ist das Programm zur Erstellung von Cartoons Xtranormal: Storytelling (www.xtranormal.com