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Im Zuge der Kompetenzorientierung ist die Relevanz der sprachlichen Mittel – Aussprache, Wortschatz, Morphosyntax – als Voraussetzungen für fremdsprachliche kommunikative Kompetenz vor allem in der deutschen Fremdsprachendidaktik mitunter aus dem Blick geraten. Es scheint daher an der Zeit, ein neuerliches Augenmerk auf die Funktion und Bedeutung der sprachlichen Mittel für eine effiziente Ausbildung der interkulturellen kommunikativen Handlungsfähigkeit zu richten. Diese Aspekte hat die hier in Auswahl publizierte Sektion des XXXIV. Deutschen Romanistentags in Mannheim untersucht.
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Seitenzahl: 632
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Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen
Aussprache, Wortschatz und Morphosyntax in Zeiten der Kompetenzorientierung
Christoph Bürgel / Daniel Reimann
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-0056-4
Der XXXIV. Romanistentag, der vom 26. bis 29. Juli 2015 an der Universität Mannheim zu Gast sein durfte, hatte sich als Thema „Romanistik und Ökonomie“ gesetzt. Diesem Rahmen hat sich auch die fachdidaktische Sektion, aus der diese Veröffentlichung hervorgeht, verschrieben – nämlich: Wie können Lernprozesse in den romanischen Sprachen „ökonomisch“, d.h. effizient, gestaltet werden? Diesbezüglich gibt es sicherlich verschiedenste Ansätze: Die Aneignung von Fremdsprachen kann u.a. über die Entwicklung von Sprachbewusstheit (language awareness) oder metakognitiver Strategien, sowie durch Sprachlernkompetenz im weiteren und mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze im engeren Sinn ökonomischer gestaltet werden. Die Sektion hat sich indes mit dem Rahmenthema „Zur Ökonomie des Fremdsprachenlernens: sprachliche Mittel revisited“ der Frage gestellt, ob nicht eine Neubesinnung auf die sprachlichen Mittel – Aussprache, Orthographie, Wortschatz und Grammatik –, unter den Vorzeichen der Kompetenzorientierung auch zu einer Ökonomisierung von Sprachlernprozessen beitragen kann. Denn in der Folge der Veröffentlichung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) (Europarat 2001) und der Bildungsstandards hat sich der Fremdsprachenunterricht zumindest auf theoretisch-konzeptioneller Ebene durchgreifend verändert. Fremdsprachenlernen steht nunmehr in der Zielperspektive des Erwerbs und der Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen. Diese werden in Anlehnung an den GeR als sich über kommunikative (Teil-)Fertigkeiten artikulierende (sprachliche) Problemlösungskompetenzen modelliert und in ihrem Erwerb zeitlich und qualitativ gestuft – und getestet. Aus bildungspolitischer Perspektive unterliegt der Sprachlernprozess damit einer „Ökonomisierung“ im Sinne einer Orientierung am messbaren „Output“ bzw. „Outcome“. Dabei ist der Erwerb interkultureller kommunikativer Kompetenz zum unbestrittenen Leitziel des gegenwärtigen Fremdsprachenunterrichts avanciert. In der deutschen Fremdsprachendidaktik findet diese Entwicklung ihren Widerhall in neueren Publikationen zur Entwicklung, Förderung und Evaluation fremdsprachlicher Kompetenzen (z.B. Caspari / Schinschke 2009, Eberhardt 2013, Gnutzmann/Königs / Küster 2012, Porsch / Tesch / Köller 2010, Reimann 2014a, b, Reimann / Rössler 2013, Bürgel 2017). Aus ihr ergibt sich insofern eine weitere Dimension von Ökonomisierung fremdsprachlicher Lernprozesse, als Verlage ihren Schwerpunkt bei der Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien zur Fremdsprachenvermittlung in diesen Jahren eindeutig im Bereich der fremdsprachlichen Kompetenzen setzen und sich hier geradezu neue Marktsegmente entwickeln konnten.
Der genannten Zieldimension von Fremdsprachenunterricht stehen jedoch die von Lehrkräften vorgebrachten Klagen über die defizitäre Kommunikationsfähigkeit der Lernenden gegenüber, die sich mit neueren Sprachstandserhebungen – zumindest für das Französische als zweite Fremdsprache (Bürgel / Siepmann 2010, Bürgel 2014) – decken. Zugleich gilt es als unbestritten, dass die sprachlichen Mittel die unentbehrliche Grundlage für interkulturelle kommunikative Kompetenz bilden. So ist der deutliche Zusammenhang zwischen der Verfügung über sprachliche Mittel und kommunikative Kompetenzen exemplarisch für das Verhältnis von Wortschatz und Hör- bzw. Leseverstehen in zahlreichen Studien empirisch belegt worden (Bürgel / Siepmann 2012, Hee Jeon / Yamashita 2014, Qian 2002, Stæhr 2009). Es drängt sich deshalb die Frage auf, ob die Einführung der Bildungsstandards und kompetenzorientierten Kernlehrpläne zu einer Überfokussierung der Kompetenzen und einer Vernachlässigung der sprachlichen Mittel geführt hat. Mehr noch: Hat die Abwendung vom Training der sprachlichen Mittel etwa zur Folge, dass Kompetenzziele möglicherweise faktisch nicht erreicht werden? Ein wesentlicher Teil des Problems liegt dabei in dem immer wieder unreflektiert wiederholten Mantra der kommunikativen Didaktik, demzufolge sprachliche Mittel nur eine „dienende Funktion“ haben dürfen. Es ist unbestritten, dass Wortschatz und Grammatik dem Zweck und dem Gehalt der Aussage untergeordnet sind, doch ebenso unbestritten ist, dass im Sinne der Sprachbewusstheit die Reflexion und Bewusstmachung der Strukturen, des Funktionierens und der Verwendung von Sprache bzw. sprachlicher Mittel ein zentraler ‚ökonomischer Faktor‘ erfolgreichen Sprachlernens ist.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass im Zuge der Kompetenzorientierung die Relevanz der sprachlichen Voraussetzungen für das Fremdsprachenlernen gerade auch in der deutschen Fremdsprachendidaktik vorübergehend aus dem Blick geraten war. Es zeichnen sich jedoch neuere Tendenzen der Refokussierung und Neugewichtung sprachlicher Mittel beim Fremdsprachenlernen ab (Tinnefeld 2014, Bürgel / Siepmann 2016, Leitzke-Ungerer / Polzin-Haumann 2017). In diesem Kontext verortet sich auch der vorliegende Sammelband, der das Verhältnis von sprachlichen Mitteln und Kompetenzentwicklung unter dem Effizienzaspekt, d.h. zur effizienten Ausbildung interkultureller kommunikativer Kompetenzen, betrachtet. Von besonderer Relevanz schien die Frage, ob und inwiefern eine vertiefte Aneignung sprachlicher Mittel den Prozess des Sprachlernens und des Sprachkompetenzerwerbs beschleunigen, mithin ökonomisieren kann.
Folgende Fragen standen im Mittelpunkt der Arbeiten:
Welcher Wortschatz bzw. welche lexiko-grammatischen Konstruktionen, Kollokationen, Phraseme usw. sollen rezeptiv bzw. produktiv beherrscht werden? Wie kann sich deren effiziente und vor allem nachhaltige Aneignung gestalten? Wie kann und soll das Verhältnis von Wortschatz und rezeptiven bzw. produktiven Sprachkompetenzen bestimmt werden? Und: Wie sollte Wortschatzdidaktik in Zeiten der Kompetenzorientierung konzeptualisiert werden?
Wie kann Grammatik lern- und kompetenzwirksam für die Entwicklung von Sprech- und Schreibkompetenzen vermittelt werden?
Welche phonetischen Aspekte sind für die gezielte und effiziente Entwicklung einer guten Aussprachekompetenz der Lernenden relevant?
Welche spezifischen Eigenheiten der Schriftsprache bzw. Orthographie sind für die Entwicklung von Schreibkompetenzen relevant?
Beiträge sollten diese Fragen mit Blick auf eine 'neue Ökonomie' des gelenkten Sprachlernprozesses und Sprachkompetenzerwerbs sowohl empirie- und theoriebasiert als auch anhand konkreter Beispiele diskutieren.
Unter den eingereichten Vorschlägen wurde in einem peer-reviewing-Verfahren eine Auswahl der methodisch und inhaltlich besten Vorträge getroffen. Die nach der Tagung verschriftlichten Beiträge wurden erneut einem kritischen und konstruktiven peer-reviewing durch die Herausgeber bzw. bei einzelnen Fragestellungen durch ausgewiesene Fachleute unterzogen, welches zu einer Auswahl der besten Beiträge und zur Optimierung der angenommenen Aufsätze beigetragen hat.
Die hier versammelten Beiträge wurden folgenden thematischen Sektionen zugewiesen: Aussprache, Wortschatz und Grammatik, Sprachliche Mittel und Pragmatik, Sprachliche Mittel und Mehrsprachigkeit.
Krista Segermann eröffnet den Sammelband mit einem kenntnisreichen und umfassenden Überblick zur historischen Entwicklung der deutschen Fremdsprachendidaktik der letzten 50 Jahre aus eigenem Erleben. Im Zentrum ihres Beitrags steht die Argumentation, dass sich die Disziplin nach und nach in eine Richtung entwickelt hat, die sich immer weiter von den Erfordernissen des konkreten Fremdsprachenunterrichts entfernt und unter dem Obligo einer vermeintlichen ‚Wissenschaftlichkeit‘ hochkomplexe abstrakte Modellierungen anbietet, die vorrangig aus den Bezugsdisziplinen abgeleitet sind. Die Autorin zeigt die Gründe für diese Entwicklung sowie Wege aus der Sackgasse der Ineffizienz des aktuellen Fremdsprachenunterrichts auf.
Der erste thematische Block der sprachlichen Mittel – die Aussprache – widmet sich einem Bereich, dem die Fachdidaktik der romanischen Sprachen als eigenständigem Komplex relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Den Anfang macht Christine Michler mit einem Beitrag zur Wertigkeit von Aussprache und Intonation für die Entwicklung kommunikativer Kompetenz im Französischunterricht. Ihr zentrales Anliegen ist es, didaktische Grundsätze der Ausspracheschulung zur Diskussion zu stellen, die auf einen erfolgreichen und effizienten Spracherwerb abzielen. Ausgehend von einem erhellenden Überblick über didaktische Publikationen zur Aussprache und der Analyse bildungspolitischer Dokumente unterzieht sie ältere und aktuelle Lehrwerke einem kritischen Vergleich hinsichtlich der Prinzipien der Ausspracheschulung. Diese Ausführungen ermöglichen es ihr, handlungsleitende Prinzipien einer systematischen Ausspracheschulung sowie Desiderata hinsichtlich Aussprache und Intonation in einem kompetenzorientierten Unterricht vorzustellen.
Ausgehend von der Tatsache, dass die Mündlichkeit in der fachdidaktischen Forschung und der Praxis des Fremdsprachenunterrichts verstärkt Beachtung findet, erörtert Isabelle Mordellet-Roggenbuck die Relevanz phonetischer Hör- und Sprechfertigkeiten für die effiziente Entwicklung mündlicher Kommunikationsfähigkeit. Im Zentrum ihres Beitrags steht unter Berücksichtigung der Phonetik und Phonologie als Bezugswissenschaften eine fundierte Analyse ausgewählter phonetischer Aspekte bzw. Faktoren wie die Ausgangssprache der Lernenden, die soziale Akzeptanz des sog. „fremden Akzents“ (cf. Settinieri 2011), spezifische Aussprachemerkmale des Französischen wie die liaison sowie mögliche unterschiedliche didaktische Zielsetzungen im Rahmen des Französischunterrichts. Sodann leitet die Autorin aus den besonderen Herausforderungen der französischen Aussprache für deutsche L2-Lerner eine Reihe von didaktischen Empfehlungen für eine gezielte Ausspracheschulung im Französischunterricht ab.
Ziel des von Eva Leitzke-Ungerer verfassten Beitrags zu diatopischen Aussprachevarietäten im Spanischunterricht ist es, ein varietätenspezifisches auf die Aussprache fokussiertes systematisches Hörverstehenstraining vorzustellen. Ausgehend von den wichtigsten Aussprachemerkmalen der ‚großen‘ diatopischen Varietäten des Spanischen diskutiert die Autorin die zentralen Probleme, die das Hörverstehen für Fremdsprachenlernende, insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen Aussprachevarietäten, bereithält. Die anschließende Kurzanalyse aktueller Spanischlehrwerke in Bezug auf ihren Umgang mit Aussprachevarietäten zeigt zwar, dass in den gängigen Lehrwerken diatopische Varietäten angesprochen werden, aber die Auswahl der Varietäten weniger überzeugend ist und zudem keine authentischen Hördokumente zur Schulung einer rezeptiven Varietätenkompetenz vorgesehen sind. Davon ausgehend stellt Leitzke-Ungerer didaktisch-methodische Kriterien für das varietätenbezogene Hörverstehenstraining vor und illustriert diese an einer wohldurchdachten und lernprogressiv konzipierten Trainingseinheit für das argentinische Spanisch.
Den Abschluss des ersten thematischen Blocks bildet ein Beitrag von Daniel Reimann über eine Befragung von Lehrkräften des Französischen, Spanischen und Italienischen an Gesamtschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen zum Stellenwert von Aussprache im Fremdsprachenunterricht. Die quantitative und qualitative Daten integrierende Pilotstudie belegt ein deutliches Defizit der Angebote zur Ausspracheschulung für Lehrkräfte, sowohl in ihrer Ausbildung, vor allem in aktuellen B.A./M.Ed.-Studiengängen, als auch in späteren Fortbildungsmaßnahmen, welches Spanisch- und Italienischlehrkräfte stärker zu betreffen scheint als Französischlehrkräfte. Dieses Defizit geht einher mit einem geringeren Störungsempfinden gegenüber nicht normgerechter Aussprache insbesondere auch bei für germanophone Sprecherinnen und Sprecher charakteristischen Realisierungen sowie mit einer geringeren Schulungshäufigkeit der Aussprache im Fremdsprachenunterricht, sodass abschließend Desiderata bezüglich der Ausspracheschulung in Schule und Lehrerausbildung formuliert werden können.
Der zweite thematische Block – Wortschatz und Grammatik – wird mit einem Beitrag von Theresa Venus eingeleitet, der Ergebnisse einer explorativ angelegten Pilotstudie mit 45 Lehramtsstudierenden des Französischen und/oder Spanischen zu deren Sprachlernerfahrungen und subjektiven Theorien hinsichtlich effizienter und nachhaltiger Wortschatzaneignung vorstellt. Die Studie offenbart als ebenso erhellendes wie besorgniserregendes Ergebnis, dass im Fremdsprachenunterricht nach wie vor umstrittene Verfahren der Wortschatzaneignung wie beispielsweise zweisprachige Wortgleichungen dominieren, wenngleich die befragten Lehramtsstudierenden im Laufe ihres Studiums eine kritische Haltung zu obsoleten Verfahren der Wortschatzaneignung entwickeln.
Kathleen Plötner präsentiert in ihrem Beitrag Ergebnisse einer Pilotierung zum Fremdsprachenlernen (Französisch, Spanisch) an Berliner Gymnasien. Ihr Erkenntnisinteresse richtet sich zum einen auf die Ermittlung der Gründe für die massive Abwahl der zweiten Fremdsprache nach der Sekundarstufe I und zum anderen auf den Stellenwert des Verbs im Spracherwerbsprozess. Die Ergebnisse der Erhebung zeigen, dass die hohe „Verbprogression“ mit ihren unregelmäßigen Verben und den zahlreichen Tempus- und Modusformen einer der Hauptgründe der „Spracherwerbsfrustration“ darstellt. Insgesamt kann die Autorin innerhalb ihrer Stichprobe aufzeigen, dass defizitäre Wortschatz- und Grammatikkenntnisse der Lernenden einer der Hauptabwahlgründe der zweiten Fremdsprache sind. Als Lösung schlägt sie einen Ansatz vor, der in der neueren Fremdsprachendidaktik zunehmend an Aufmerksamkeit erfährt: das Konstruktionslernen.
Der Beitrag von Domenica Elisa Cicala leistet einen einleitenden Forschungsüberblick v.a. über die italophone Forschung zum Grammatikunterricht. Auf dieser Grundlage führt sie eine kriteriengeleitete Analyse von zehn jüngeren Lehrwerken (erschienen zwischen 2003 und 2013) v.a. für die Erwachsenenbildung auf den Niveaustufen A2/B1 durch, die in Österreich auch für die Arbeit an Sekundarschulen/Gymnasien zugelassen sind. Sodann stellt sie acht Aktivitäten zum Grammatikunterricht, die sie selbst für den hochschulischen Fremdsprachenunterricht entwickelt hat, auf sehr detaillierte Weise einschließlich Materialien und Erwartungshorizonten vor. Ihr Ziel ist dabei, u.a. die Kategorien Aspekt und Aktionsart anschaulicher zu vermitteln als dies in vielen Lehrwerken geschieht. Der Zielsetzung philologisch-hochschulischen Fremdsprachenunterrichts entsprechend, sind zahlreiche Aktivitäten stark formorientiert und kognitvierend angelegt, wobei die kommunikativ-pragmatische Funktion nicht aus dem Blick gerät.
Den Abschluss des zweiten thematischen Blocks bildet der Beitrag von Elena Schäfer zur lernökonomischen Funktion von grammatikbezogenen Erklärfilmen in Französischlehrwerken. Ausgehend von einer Diskussion zum Stellenwert von Grammatik im Fremdsprachenunterricht untersucht die Autorin den diachronen Wandel der Einführung und Erarbeitung des passé composé am Beispiel der Lehrwerksreihe Découvertes (Klett) der Jahre 1994–2012. Dabei nimmt sie insbesondere die seit 2015 in den Klett-Lehrwerken verwendeten Erklärfilme zur Grammatik und deren Mehrwert für effizientes Fremdsprachenlernen in den Blick und kommt zu dem Schluss, dass sie die Verfügbarkeit des grammatischen Regelwissens begünstigen.
Der dritte thematische Block zu sprachlichen Mitteln und Pragmatik wird von Kathrin Siebold mit einem Beitrag zur pragmatischen Kompetenz im Spanischen eröffnet. Ausgehend von der Prämisse, dass die Übertragung von aus der Erstsprache bekannten Kommunikations- und Interaktionsstrategien in fremdsprachlichen Settings zu unangemessenem Sprachverhalten und somit zu interkulturellen Missverständnissen führen kann, diskutiert die Autorin den aktuellen Stellenwert der Vermittlung pragmatischer Kompetenz im Fremdsprachenunterricht unter Einbezug aktueller Forschungsergebnisse. Sie arbeitet abschließend heraus, dass der Forderung nach der Förderung der pragmatischen Kompetenz im fremdsprachlichen Unterricht derzeit vor allem deshalb kaum in befriedigender Weise nachgekommen werden kann, weil kein Konsens darüber besteht, welche konkreten linguistisch-pragmatischen und soziopragmatischen Kompetenzen den Lernenden vermittelt werden sollen.
Britta Thörle untersucht in ihrem Beitrag die Rolle von bislang kaum im Fremdsprachenunterricht berücksichtigten Diskursmarkern bei der Bewältigung von Sprech- und Höraufgaben in der Fremdsprache Spanisch. Die Autorin zeigt mit einer luziden Analyse einer Studie zum lernerseitigen Gebrauch von Diskursmarkern, dass diese in Form und Verwendung je nach Sprecher stark variieren und vom Grad der Sprachkompetenz abhängig sind. So lässt sich beispielsweise eine größere formale Varianz und funktionale Differenzierung der Verwendung von Diskursmarkern bei der Bewältigung von Höreraufgaben bei fortgeschrittenen Lernenden beobachten. Diese Ergebnisse nimmt sie zum Anlass, um Überlegungen zu einer (Weiter-)Entwicklung der Diskursmarkerdidaktik des Spanischen anzustellen, die einen Beitrag zum effizienten Sprachlernen und Sprachkompetenzerwerb leisten soll.
Einen ähnlichen Bereich der sprachlichen Mittel nehmen David Paul Gerards und Benjamin Meisnitzer in den Blick: Modalpartikeln des Spanischen, Französischen und Italienischen. An eigene linguistische Vorarbeiten anschließend entwickeln sie ein wohldurchdachtes Inventar von Kriterien, das erlaubt, ein Element einer Sprache als Modalpartikeln zu kategorisieren. Ausgehend von der Analyse des spanischen si, französischen quand même und italienischen mai, stellen die Autoren eine dreischrittige Übungsreihe vor, bei der die kognitiv-funktionalen Charakteristika der Modalpartikeln im Zentrum stehen. Ziel ist es, die Fremdsprachenlernenden zu befähigen, die Verwendung von Modalpartikeln systematisch zu erfassen, um ihre interaktional-kommunikative Kompetenz zu verbessern.
Robert Hesselbach nimmt in seinem Beitrag die Bedeutung und die Vermittlung von Ökonomie und Komplexität bei der Vermittlung umgangssprachlicher Varietäten im Fremdsprachenunterricht in den Blick. Der Autor zeigt anhand zweier konkreter Beispiele aus dem Französischen und dem Spanischen, dass Komplexität nicht zwangsläufig mit sprachlicher Norm sowie Ökonomie mit umgangssprachlichen Varietäten einhergeht. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis arbeitet er die Bedeutsamkeit der Beschäftigung mit umgangssprachlichen Varietäten (kontrastiv zur sprachlichen Norm) heraus, um Schülerinnen und Schüler zur kompetenten fremdsprachlichen Kommunikation zu befähigen. Abschließend plädiert er in diesem Zusammenhang vor allem für eine verstärkte sprachliche und linguistische Schulung der Lehramtsstudierenden, um sie auf die Vermittlung sowohl standard- als auch umgangssprachlicher Phänomene vorzubereiten.
Silvia Melo-Pfeifer präsentiert in ihrem Beitrag die Ergebnisse einer empirischen Studie zur Verwendung sprachlicher Mittel in der Interaktion in romanischen Sprachen in Chat-Rooms. In der Studie wurde, ausgehend vom Konzept des translanguaging, untersucht, welche sprachlichen Mittel in der mehrsprachigen schriftlichen Kommunikation in Chat-Rooms genutzt werden und wie sich translanguaging in diesem konkreten Kontext darstellt. Die Ergebnisse der Studie machen dabei deutlich, dass translanguaging als Mittel der Vereinfachung der Kommunikation sowie als Möglichkeit für mehrsprachiges Lernen dienen kann. Vor diesem Hintergrund wird das Potenzial des translanguaging Konzepts für den Fremdsprachenunterricht kurz beleuchtet.
Ziel des Beitrags von Christian Koch über die lernökonomische Bedeutung von sprachlichen Mitteln bei polyglotten Sprechern ist es, aus Einstellungen und Sprachlernmethoden polyglotter Sprecherinnen und Sprecher mögliche Potenziale und Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht abzuleiten. Ausgehend von einem Modell zur Lernerökonomie diskutiert der Autor die Rolle sprachlicher Mittel bei romanisch-polyglotten Sprechern, um anschließend Parallelen und Unterschiede zur schulischen Fremdsprachenaneignung zu ziehen. So konstatiert er abschließend, dass Strategien und Haltungen polyglotter Sprecher zwar nicht direkt auf den Fremdsprachenunterricht übertragbar sind, sich aber aus dem Sprachlernverhalten polyglotter Sprecher durchaus Ansätze zum enrichment besonders für begabte und/oder unterforderte Schülerinnen und Schüler ableiten lassen können.
Wir hoffen, mit den hier versammelten theoretisch-konzeptionellen und empirischen Arbeiten einen Beitrag zur Neubewertung der Rolle der „sprachlichen Mittel“ im Fremdsprachenunterricht, hier insbesondere der romanischen Sprachen, in Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung leisten zu können. Den einzelnen Beiträgerinnen und Beiträgern sei ebenso für ihre Arbeit an diesem Projekt gedankt wie dem Verlag Gunter Narr, allen voran unserer Redakteurin Kathrin Heyng und dem Lektorat um Karin Burger. Für die kompetente Formatierung und Mitwirkung bei der Redaktion des Bandes danken wir darüber hinaus insbesondere unseren Mitarbeitenden Mara Büter und Christian Koch.
Paderborn und Essen, im Juni 2017
Christoph Bürgel und Daniel Reimann
Bürgel, Christoph. 2014. „Leseverstehenskompetenzen von gymnasialen Französischlernern auf dem Prüfstand“, in: Christoph Bürgel / Dirk Siepmann (ed.): Sprachwissenschaft und Fremdsprachenunterricht: Spracherwerb und Sprachkompetenzen im Fokus. Baltmannsweiler: Schneider, 167–183.
Bürgel, Christoph. 2017. „Überlegungen zur Anbahnung nähesprachlicher Kommunikationsfähigkeit im Spanischunterricht“, in: Eva Leitzke-Ungerer / Claudia Polzin-Haumann (ed.):Varietäten des Spanischen im Fremdsprachenunterricht. Ihre Rolle in Schule, Hochschule, Lehrerbildung und Sprachzertifikaten. Stuttgart: ibidem, 115–137.
Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk. 2010. „Was können Französischlehrer und -lerner? Wortschatz- und Hörverstehenskompetenzen auf dem Prüfstand“, in: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung, 21/2, 191–216.
Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk. 2012. „Wortschatz- und Hörverstehenskompetenzen von Französischlehrern und -studierenden“, in: Thomas Tinnefeld (ed.): Hochschulischer Fremdsprachenunterricht. Anforderungen, Ausrichtung, Spezifik, Saarbrücker Schriften zu Linguistik und Fremdsprachendidaktik (SSLF). Saabrücken: htw saar, 91–113.
Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk (ed.). 2016. Sprachwissenschaft und Fremdsprachendidaktik: Zum Verhältnis von sprachlichen Mitteln und Kompetenzentwicklung. Baltmannsweiler: Schneider.
Caspari, Daniela / Schinschke, Andrea. 2009. „Aufgaben zur Feststellung und Überprüfung interkultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht – Entwurf einer Typologie“, in: Adelheid Hu / Michael Byram (ed.): Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie, Evaluation. Intercultural competence and foreign language learning. Models, empiricism, assessment. Tübingen: Narr, 273–288.
Eberhardt, Jan-Oliver. 2013. Interkulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht. Auf dem Weg zu einem Kompetenzmodell für die Bildungsstandards. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier.
Gnutzmann, Claus / Königs Frank G. / Küster, Lutz (ed.). 2012. Fremdsprachen Lehren und Lernen, 41/1, Themenschwerpunkt: Kompetenzen konkret.
Hee Jeon, Eun / Yamashita, Junko. 2014. „L2 Reading Comprehension and Its Correlates: A Meta-Analysis“, in: Language Learning,64/1, 160–212.
Leitzke-Ungerer, Eva / Polzin-Haumann, Claudia (ed.). 2017. Varietäten des Spanischen im Fremdsprachenunterricht. Ihre Rolle in Schule, Hochschule, Lehrerbildung und Sprachzertifikaten. Stuttgart: ibidem.
Porsch, Raphaela / Tesch, Bernd / Köller, Olaf (ed.). 2010. Standardbasierte Testentwicklung und Leistungsmessung. Französisch in der Sekundarstufe I. Münster: Waxmann.
Qian, David D.. 2002. „Investigating the Relationship Between Vocabulary Knowledge and Academic Reading Performance: An Assessment Perspective“, in: Language Learning, 52/3, 513–536.
Reimann, Daniel. 2014a. Transkulturelle kommunikative Kompetenz in den romanischen Sprachen. Theorie und Praxis des neokommunikativen und kulturell bildenden Französisch-, Spanisch-, Italienisch- und Portugiesischunterrichts. Stuttgart: ibidem.
Reimann, Daniel. 2014b. „Wie evaluiert man Sprachmittlungskompetenz? Zur (Weiter-)Entwicklung diagnostischer Instrumente“, in: Französisch heute, 1, 27–33.
Reimann, Daniel / Rössler, Andrea (ed.). 2013. Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr.
Stæhr, Lars Stenius. 2009. „Vocabulary Knowledge and Advanced Listening Comprehension in English as a Foreign Language“, in: Studies in Second Language Acquisition,31/4, 577–607.
Tinnefeld, Thomas (ed.). 2014. Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld zwischen Sprachwissen und Sprachkönnen. Saarbrücken: htw saar.
Über fast 50 Jahre erlebte Geschichte zu berichten, ist immer ein Risiko. Der Historiker weiß natürlich, dass derlei Aussagen der subjektiven Wahrnehmung des Berichterstatters unterliegen und beansprucht nicht, dass die Nachgeborenen erfahren, „wie es eigentlich gewesen ist“ (Leopold von Ranke). So ist der folgende Beitrag in dem Bewusstsein geschrieben, dass auch hier die wissenschaftliche Biographie der Autorin dem historisch Erlebten eine unvermeidlich subjektive Färbung verleiht und dass die Geschichte der Fremdsprachendidaktik auch ganz anders gesehen und dargestellt werden kann.
Doch nicht nur die Darstellung in ihrer Auswahl und Akzentuierung unterliegt der Interpretation. Die Fremdsprachendidaktik selbst ist in ihrer geschichtlichen Entwicklung – wie jede andere Disziplin – als psycho-soziales Phänomen zu begreifen, das sowohl durch individuell-menschliche als auch durch gruppendynamische, politische und wirtschaftliche Gegebenheiten beeinflusst ist. Die Soziologie wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen wird selten thematisiert. Man beschränkt sich auf die Beschreibung ihrer Inhalte und Methoden und deren Veränderung. In den einschlägigen Lexika (z.B. Schröder / Finkenstaedt 1977), Handbüchern, Sammelbänden und Monographien zur Fremdsprachendidaktik werden üblicherweise die historischen Abrisse des Lehrens bzw. Lernens von Fremdsprachen immer wieder aktualisiert, die Entwicklung der Disziplin und der sie bestimmenden psycho-sozialen und sozio-ökonomischen Faktoren wird kaum in den Blick genommen. Eine Ausnahme bilden hier die Veröffentlichungen von H. Sauer, der schon früh z.B. auf den Zusammenhang zwischen „schulpolitischen Empfehlungen und Entscheidungen“ und der „Entwicklung der Fachdidaktik“ aufmerksam gemacht hat (Sauer 1968, 160).
Die Diskussion um das Lehren und Lernen von Fremdsprachen ist uralt. Sie ergab sich zwangsläufig in jeder Kultur, sobald diese mit fremden Sprachen in Berührung kam, deren Prestige groß genug war, um sie lernen zu wollen. Dieser sozio-ökonomische Faktor steht also am Anfang jeder Beschäftigung mit einer fremden Sprache und er hat auch entscheidend auf die wechselvolle Geschichte der (west)deutschen Fremdsprachendidaktik eingewirkt, deren Entwicklung als wissenschaftliche Disziplin ich in den letzten fünf Jahrzehnten in den verschiedensten Funktionen aktiv miterlebt habe. Nach dem Ersten Staatsexamen war ich während der turbulenten Jahre um die Studentenunruhen (1966–1970) zunächst Assistentin am Romanischen Seminar der neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum in der Abteilung Literaturwissenschaft (wo ich auch promovierte), dann Referendarin am Studienseminar Bochum. Danach (1970–1995) wurde ich – fast ein Kuriosum – zunächst vom Seminar für Englische Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Ruhr, Abteilung Dortmund als Romanistin ‚kooptiert‘1 und erwarb hier durch meine Mitarbeitertätigkeit bei der Ausbildung von Englischlehrern für die Volks- bzw. Hauptschule erstmals selbst eine solide fremdsprachendidaktische Ausbildung. Nach der Integration der PH in die Universität Dortmund übernahm ich als kommissarische Leiterin das dem Fachbereich Sprachen angegliederte Sprachenzentrum. Schließlich folgte ich 1995/96 dem Ruf der Universität Jena auf eine Professur für die Didaktik der romanischen Sprachen, die ich bis zu meinem Eintritt in den Ruhestand (2007) innehatte. Aufgrund der vielfältigen Erfahrungen in und mit den Institutionen, die sich mit dem Lehren und Lernen fremder Sprachen beschäftigen (von der Philologie über das Studienseminar, die Pädagogische Hochschule, den Arbeitskreis der Sprachenzentren bis hin zur didaktischen Professur in einem philologisch geprägten Institut für Romanistik), scheint es mir nicht ganz abwegig, die Disziplin, in der ich fast 50 Jahre gearbeitet habe, rückblickend einer Betrachtung zu unterziehen.
So spannt sich in meinem Verständnis ein großer Bogen von der auf die Verbesserung der Sprachpraxis gerichteten Aufbruchsstimmung der 60er Jahre über eine Phase der stetigen thematischen Ausweitung durch die Berücksichtigung von Forschungsergebnissen der sog. Bezugswissenschaften – was zu mehr oder weniger heftigen Kontroversen führte. Aufgrund der unterschiedlichen wissenschaftsbiographischen und -soziologischen Kontexte der Protagonisten kam es danach jedoch zu keiner echten Konsolidierung. Die Entwicklungslinien der beiden Hauptakteure, der traditionellen Fremdsprachendidaktik und der mit dem Anspruch eines kompletten Neuanfangs auftretenden Sprachlehrforschung, verliefen weitgehend parallel und verbinden sich in den internationalen Handbüchern höchstens zu einem Schrägstrich-Paar (Fremdsprachendidaktik / Sprachlehrforschung). Auch die 1988 erfolgte Gründung einer „Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung“ brachte keine wirkliche Integration. Die terminologisch vermeintliche Kompromissformel „Fremdsprachenforschung“ markiert eher einen Wendepunkt im Selbstverständnis der Disziplin: hin zu mehr methodologisch verfeinerten empirischen Forschungen, die sich auf mehr oder weniger relevante Teilaspekte des Fremdsprachenlehrens und -lernens bezogen – auf Kosten von Lösungsansätzen für die wirklich drängenden Probleme der Praxis. Diese jüngste Entwicklung, die in den 90er Jahren einsetzte und bis heute andauert, ist umso bedauerlicher, als die mühsam errungene Wertschätzung der Disziplin als angewandter, auf die konkrete Verbesserung der Praxis des Fremdsprachenunterrichts im weitesten Sinne gerichteter Wissenschaftszweig inzwischen weitgehend verspielt zu sein scheint. Fachdidaktische Stellen werden – nach dem Ausscheiden der Professoren der 70er, 80er und 90er Jahre – immer öfter nicht wieder besetzt, immer mehr Institute sind von der Schließung bedroht. Wie konnte es zu dieser kontraproduktiven Entwicklung kommen? Als Erklärungsversuch möchte ich hier vorweg drei Gründe anführen:
Der eine ergibt sich aus der erwähnten Interdependenz von wissenschaftlichen Disziplinen und sozio-ökonomischen Faktoren und betrifft die vielleicht überzogene Erwartung der Öffentlichkeit in Bezug auf eine messbare Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse in allen Bereichen der Gesellschaft (vor allem aber in den allgemeinbildenden Schulen). Diese Erwartung wurde weitestgehend enttäuscht.2
Der zweite betrifft das immer noch andauernde Ringen der Disziplin um ihre Anerkennung in der scientific community, was – psychologisch betrachtet – zu einer Art Überkompensierung eines Minderwertigkeitskomplexes durch vermeintlich optimierte ‚Wissenschaftlichkeit‘ führte.
Der dritte hängt mit der mangelhaften Kooperation zwischen den beteiligten Akteuren an Schulen, Studienseminaren und Hochschulen (Fachdidaktik und Fachwissenschaft) und deren heterogener Motivationslage zusammen.
Trotz vieler Bemühungen in allen drei Bereichen überwiegt in historischer Sicht der Eindruck eines – fast tragisch anmutenden – Scheiterns. Im Folgenden soll versucht werden, die verschiedenen Traditionsstränge aus ihrer Geschichte heraus zu verstehen und nachzuzeichnen.
Die auf das Lernen gerichtete pragmatisch motivierte Beschäftigung mit Fremdsprachen fällt zunächst einmal den Lehrenden als Aufgabe zu. Da schriftlich fixierte Texte von jeher einen höheren Stellenwert hatten als mündliche, standen das Lesen und das Schreiben bei der Vermittlung im Vordergrund. Diese Zielfähigkeiten wiederum ließen Wörter- und Grammatikbuch als geeignete Lehr- und Lernmittel erscheinen und führten zwangsläufig zu einer Art Grammatik-Übersetzungsmethode im weitesten Sinne. Die Lernmotivierung erfolgte vor allem durch den Inhalt der zu entziffernden Texte, die eine hohe kulturelle Wertschätzung besaßen. Für den abendländischen Kulturkreis bedeutete das Fremdsprachenlernen zunächst das Lernen von Griechisch und Latein, danach in gehörigem Abstand – wegen des geringeren Bildungswertes – auch das Lernen der europäischen sog. Vulgärsprachen. Die Bevorzugung der klassischen oder alten Sprachen setzte die modernen oder lebenden Sprachen bis ins 20. Jahrhundert unter einen bildungspolitischen Rechtfertigungsdruck. Von daher versteht sich das zähe Festhalten der neusprachlichen Gymnasiallehrkräfte3 an dem literarisch-ästhetischen und sprachlich-formalen Bildungsauftrag der von ihnen vertretenen Fremdsprachen. Auch das Bemühen um eine enge Bindung an die anglistischen und romanistischen Fachwissenschaften in Gestalt von Sprach- und Literaturwissenschaften einerseits sowie die Distanzierung von der Pädagogik andererseits finden hier ihre Erklärung. Da die Pädagogik hauptsächlich dem Methodischen und damit dem ‚unwissenschaftlichen‘ Praktischen zugewandt war, wurde sie als minderwertig eingestuft. (cf. Sauer 1977).
Durch die Einführung des Schulfachs Englisch bzw. – in Grenzregionen zu Frankreich – Französisch an Hauptschulen 1964 (Hamburger Abkommen) bekam die Diskussion um das Fremdsprachenlehren und -lernen eine neue bildungspolitische Dimension. „Fremdsprachen bzw. Englisch für alle“ galt als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit, der die Aufbruchsstimmung der 60er Jahre kennzeichnete. Vorbereitet und unterstützt wurde dieses Anliegen durch die Initiativen des Europarates, vornehmlich des 1962 geschaffenen „Rates für kulturelle Zusammenarbeit“ (Council for Cultural Cooperation: CCC), der in den Folgejahren wegweisende Projekte und Entschließungen verabschiedete und auch Seminare für Experten des Fremdsprachenunterrichts für alle Schüler ausrichtete, auf denen methodische Neuerungen aus ganz Europa diskutiert wurden.4 In den frühen 70er Jahren entstand dann mit dem zuerst in englischer Sprache veröffentlichten Threshold Level ein Instrument zur einheitlichen Definition von Zielen und Inhalten des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts in Europa.
Parallel dazu fanden auf der politischen Ebene zwischen 1959 und 1967 Konferenzen der europäischen Erziehungsminister statt, auf denen ebenfalls die notwendige Ausweitung des Fremdsprachenunterrichts auf alle Europäerinnen und Europäer (also auch auf Erwachsene) zur Debatte stand und entsprechende Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen gefordert wurden. Auch auf den Konferenzen der internationalen Lehrerverbände wie der Fédération internationale des professeurs de langues vivantes (FIPLV5) oder der Internationalen Vereinigung von Verbänden der Volksschullehrer stand in den 60er Jahren die Diskussion von neuen Methoden und Hilfsmitteln für den erweiterten Fremdsprachenunterricht im Vordergrund. Die Internationale Konferenz moderner Fremdsprachenunterricht von 1964, veranstaltet vom Pädagogischen Zentrum Berlin, dokumentiert eindrucksvoll die Entwicklung der von pädagogisch-methodischen Überlegungen geprägten fachdidaktischen Diskussion – unter Einbeziehung der Methodendiskussion in den USA.6 (Cf. Sauer 1968, 152–160) Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die Rolle der Wirtschaft als Produzent des Sprachlabors, das im Zuge der in den USA entwickelten audio-lingualen Methode eine überragende Bedeutung als vielversprechendes neues Medium des Fremdsprachenunterrichts gewann.7
Der fremdsprachliche Unterricht für Schülerinnen und Schüler von eher bildungsfernen Schichten brachte ganz neue Probleme für die Lehrkräfte mit sich und verlangte nach einer Instanz, die sich speziell den methodischen Fragen der Sprachvermittlung widmete. Damit schlug die Stunde der Pädagogischen Hochschulen, denn dort wurden in den 60er Jahren die ersten Lehrstühle für Fremdsprachendidaktik eingerichtet.8 Die mit den Studiengängen der beiden Fremdsprachen an den PHs betrauten Lehrenden – sie rekrutierten sich durchgängig aus erfahrenen Lehrern (die meisten aus dem Gymnasialbereich) – trafen sich seit 1963 regelmäßig zu gemeinsamen Tagungen9, die von den in dieser Zeit führenden Didaktikern mit den (beschränkten) finanziellen und personellen Mitteln der vorhandenen Lehrstühle ausgerichtet wurden.
Die Entwicklung und Ausweitung dieser Veranstaltungen soll im Folgenden als Leitfaden für die historische Darstellung der Fremdsprachendidaktik – zunächst von 1963 bis 1987 – dienen.10
1963: 1. Tagung der Fachvertreter für Englisch an den Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik (Internationales Haus Sonnenberg im Harz: H.-E. Piepho)
Als Themen standen das Verhältnis Allgemeine Didaktik – Fachdidaktik, Fragen der Didaktischen Analyse, Probleme des Englischunterrichts für alle Schüler, Versuche zum Englischunterricht in Primarschulen sowie Medien und Tests zur Debatte.
1965: 2. Tagung der Didaktiker der englischen und französischen Sprache an den Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik (PH Berlin: H. Schütt, H. Kreter, P. Doyé)
Themen waren u.a. Strukturalistik in der Englischdidaktik, Sprachlabor, Englisch in Volksschulen, Schulfunk, englisch-amerikanische Jugendliteratur und wiederum Englischunterricht in Primarschulen.
1967: 3. Tagung der Didaktiker (Fachvertreter) der englischen und französischen Sprache an den Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik: Hochuldidaktik, Lehrinhalte und Arbeitsformen (PH Weingarten: E. Gramsch, H. Gutschow)
Diskutiert wurde wiederum das Verhältnis von Fachwissenschaft und Fachdidaktik, aber auch Probleme von Lehre und Studium in den Hochschulen, wie z.B. landeskundliche und literarische Inhalte, empirische Forschungen als Bestandteile des Studiums sowie Probleme der sowjetischen Fremdsprachenmethodik.
1970: 4. Tagung der Fachdidaktiker für Neuere Sprachen an den Pädagogischen Hochschulen (PH Lüneburg: A. Digeser, P. Doyé, E. Gramsch, H. Kreter, H. Schrey, K. Schwarz)
In Lüneburg war ich zum ersten Mal dabei und erlebte die prickelnde Atmosphäre einer jungen Disziplin im Aufbau, die ihre Identität noch suchte und um Anerkennung als wissenschaftliche Disziplin rang. Es war eine Zeit des Umbruchs im Gefolge der Studentenunruhen der späten 60er Jahre. Die bisher auf die fremdsprachliche Ausbildung der Volksschullehrer fokussierte Fremdsprachendidaktik wurde mit hineingerissen in den Strudel der die Universitäten bzw. Gesamthochschulen erfassenden Forderungen nach einem mehr oder weniger radikalen Wandel in allen Bereichen der Fremdsprachenlehrerausbildung. Das tiefe Missbehagen an dem Zustand der sprachpraktischen Ausbildung an den Hochschulen, die von den Philologien nicht ernstgenommen bzw. einschließlich der sie tragenden Lehrkräfte generell als „nicht wissenschaftstauglich“ abqualifiziert wurden11, führte zur Gründung von Sprachenzentren an zahlreichen Universitäten12, die sich 1970 zum „Arbeitskreis der Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute“ (AKS) zusammenschlossen.13 Die bemängelten Defizite im Bereich der Ausbildung von Gymnasial- bzw. Realschullehrkräften betrafen aber nicht nur die Qualität und Organisation der Sprachlehre und die daraus resultierende Sprachbeherrschung der Studierenden, sondern auch deren didaktisch-methodische Lehrfähigkeiten. Um hier Abhilfe schaffen zu können, sollten die Sprachenzentren14 als wissenschaftliche Institute mit entsprechenden Forschungsaufträgen ausgewiesen sein. Gefordert wurde die Entwicklung einer „allgemeinen Didaktik und Methodik des Fremdsprachenunterrichts“ (sowohl für das Gymnasium als auch für die Realschule und die Berufsschule), „die in unserem Lande als Wissenschaft noch nicht existiert“ (Denninghaus / Bonnekamp 1970).15 Außerdem sollte beim Sprachunterricht für Nichtphilologinnen und -philologen auch die Fachsprachenproblematik im Sinne einer verstärkten Berufsorientierung mit einbezogen werden.16 Für all diese Bereiche war eine wissenschaftliche Basis zu erarbeiten, die sich sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien niederschlagen sollte.
Das „herausragende Ereignis im Kontext dieser Wissenschaftskonstituierung“ (Bausch 1988, 1730) war die acht Jahre lang (1973–1981) währende Förderung innerhalb eines DFG-Schwerpunkts „Sprachlehrforschung“, die die Initiierung von vor allem empirisch ausgerichteten Forschungsprojekten als Ausweis der Wissenschaftlichkeit ermöglichte. Die Sprachlehrforschung17 verstand sich von Anfang an als Gegenentwurf zur herkömmlichen Fremdsprachendidaktik. Sie erhob den „Anspruch, eine weitgehend rezeptologische Fremdsprachendidaktik durch empirische Forschung und aus ihr abgeleitete Empfehlungen für die Verbesserung des Fremdsprachenunterrichts zu ersetzen“ – so in der Zwischenbilanz des Koordinierungsgremiums im DFG-Schwerpunkt „Sprachlehrforschung“ von 1977. Sieben Jahre später hieß es in einem weiteren Rechenschaftsbericht, dass „das Verhältnis von Theorie und Anwendung im Bereich der Sprachdidaktik und des Sprachenlernens von Grund auf reflektiert und neu bestimmt“ werden müsse (Koordinierungsgremium 1983, 55).
Sieht man sich die Liste der DFG-Projekte näher an, so fällt vor allem ihre große Bandbreite auf, die vom Literaturbericht und historisch-gesellschaftlich-politischen Arbeiten über Untersuchungen zu Deutsch als Zweitsprache (Gastarbeiter), Deutsch als Fremdsprache und zur sprachpraktischen Hochschulausbildung bis hin zu Teilaspekten wie Faktoren sprachlicher Kommunikation, pragmatische Aspekte im Konversationsverhalten, Hörverstehen, Lesefähigkeit, Lernstrategien, Fehlerverhalten, Einstellung und Motivation reichen. Ob diese Projekte die erhofften wissenschaftlichen Erkenntnisse brachten, darf bezweifelt werden, da eine nachweisliche Dokumentierung fehlt.
Neben der Sprachlehrforschung etablierte sich an den damals neu gegründeten Universitäten und Gesamthochschulen eine weitere wissenschaftliche Disziplin im fremdsprachlichen Bereich, die sog. Angewandte Linguistik. Die deutsche Sektion der AILA18 wurde 1968 unter dem Vorsitz von G. Nickel, A. Raasch und H.-E. Piepho gegründet (Sauer 1977, 106). Diese GAL (Gesellschaft für Angewandte Linguistik) widmete sich – dem Zug der Zeit folgend – den praktischen Problemen von Sprache, Sprachgebrauch und Kommunikation. Die Sprachdidaktik war dabei allerdings nur ein Aufgabengebiet neben vielen anderen.19
Die Fremdsprachendidaktiker versuchten zunächst bei ihren weiteren, im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfindenden Tagungen (Neuss, Freiburg, Gießen, Dortmund), die verschiedenen Richtungen zu integrieren. Die Vorträge dokumentieren das steigende methodologische Bewusstsein und ein beachtliches wissenschaftliches Niveau der Diskussion.
1972: 5. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten der BRD (PH in Neuss: W. Hüllen, H. Heuer, P.W. Kahl, K. Schröder, L. Weidner)
In Neuss wurden sowohl sprachenpolitische und curriculare (Th. Finkenstaedt, K. Schröder) als auch lerntheoretische (H. Arndt) und forschungsmethodologische Probleme (H. Heuer20) von namhaften Vertretern angesprochen. Auch die Auseinandersetzung mit den neuen Erkenntnissen der Bezugswissenschaften, allen voran mit der linguistischen Pragmatik (Hüllen) stand an. Erstmals gab es eine Veröffentlichung ausgewählter Vorträge in einer Buchpublikation (Hüllen 1973). Im gleichen Jahr vollzog sich eine weitreichende Veränderung beim Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verband (ADNV). Der historisch an die Höheren Schulen gebundene ADNV wurde auf Initiative von W. Hüllen und F.J. Zapp umbenannt in „Fachverband moderne Fremdsprachen“ (FMF), was eine Öffnung für alle Schultypen und Institutionen bedeutete. Damit wurden implizit auch die Weichen gestellt für eine fortschreitende Anerkennung der fremdsprachlichen Kommunikationsfähigkeit als Leitziel des gesamten Fremdsprachenunterrichts.21
1974: 6. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Pädagogischen Hochschulen, Universitäten und Studienseminaren der Bundesrepublik Deutschland (PH in Freiburg i.B.: M. Pelz)
In Freiburg wurden auch die Studienseminare offiziell ins Boot geholt. Die wiederum z.T. publizierten Vorträge (Pelz 1974) spiegeln die Fortsetzung des Bemühens um die Klärung des wissenschaftlichen Selbstverständnisses, vor allem im Verhältnis zu den „Nachbarwissenschaften“ und der Anwendung von deren Erkenntnissen, z.B. der Generativen Transformationsgrammatik. Auch die Methoden-Kontroverse zwischen dem audio-lingual approach und dem cognitive code-learning approach wurde in einem englischen Beitrag angesprochen (cf. Tran 1974).
1976: 7. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studienseminaren (Uni Gießen: H. Christ, H.-E. Piepho)
Die Gießener Arbeitstagung wurde in einer „Kongressdokumentation“ festgehalten (Christ / Piepho 1977).22 Es gab folgende Arbeitsbereiche: Ausbildung von Fremdsprachenlehrern, Beitrag der Fachwissenschaft, Lehrwerk- und Unterrichtsmittelforschung, Unterrichtsmethoden, Spracherwerbsforschung (Fragen der Ausgangs- und Zielsprachenproblematik), Landeskunde. Über allem stand das Bemühen, die unterschiedlichen Traditionen zusammenzuführen. Fast alles, was Rang und Namen hatte, war mit Referaten vertreten. Daneben war auch Raum für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlicher. Indes wuchs der Spaltpilz weiter. In seiner Eröffnungsansprache betonte H. Christ zwar die „beträchtliche Integrationskraft“ der Fremdsprachendidaktik, die nun auch die „Sprachlehrforschung“ und die „Sprachenpolitikforschung“ mit berücksichtige. In seiner ad hoc-Formulierung der drei getrennten Aufgabenbereiche übernahm Christ allerdings eindeutig den Standpunkt der Sprachlehrforschung, indem er dieser „die grundlegende Erforschung der Lehr- und Lernprozesse“ und der Fremdsprachendidaktik die Untersuchung der „Lehrgegenstände“ und der „Lehrmethoden“ zuwies.23
1978: 8. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studien- und Bezirksseminaren der BRD (PH Ruhr in Dortmund: H. Heuer, H. Kleineidam, E. Obendiek, H. Sauer)
Auch bei der Dortmunder Tagung, an deren Organisation ich selbst beteiligt war, wurde wiederum der Zusammenhalt von „Fremdsprachendidaktik, Sprachlehr- und -lernforschung und angewandter Linguistik“ durch das gemeinsame „Interesse am Fremdsprachenunterricht“ vor den zahlreich erschienenen Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Richtungen beschworen (Heuer 1979, 2). Die Vielfalt der Themen war in drei großen Themenbereichen gebündelt:
Fremdsprachen in Schule und Gesellschaft – Begründung, Ziele und Inhalte des Fremdsprachenunterrichts
Fremdsprachendidaktische Forschung und unterrichtliche Praxis
Ausbildung und Fortbildung von Fremdsprachenlehrern.
Bemerkenswert ist der Plenumsvortrag „Zum Wissenschaftsverständnis der Fremdsprachendidaktik“ von R.M. Müller.24 Er definierte die Fremdsprachendidaktik als „Theorie des Unterrichts“ und sah ihre gesellschaftliche Relevanz in der Verbesserung der Verfahren zur Erreichung des Unterrichtsziels, das er als ‚Spracherwerb‘ bezeichnete. Methodisch plädierte er – unter Berücksichtigung der historischen Dimension – für die Sammlung und Beschreibung von vorliegenden Verfahren und deren Theorieansätzen samt Effektivitätserprobung, aber auch für die Entwicklung neuer Verfahren mit Hypothesen über ihre Wirkungen. Die Forderung nach empirischer Erprobung zur Modell- und Hypothesen-Bildung versah er mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass hierbei kein naturwissenschaftlicher Gewissheitsgrad zu erreichen sei.
1981: 9. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studien- und Bezirksseminaren der BRD – Fremdsprachendidaktiker-Kongress (Uni Hannover: C. Gnutzmann, K. Hellwig, F. Jarman, K. Köhring, D. Krohn, M. Siekmann)
Bei der nächsten Arbeitstagung, die erst drei Jahre später in Hannover stattfand, wurde zum ersten Mal der Begriff ‚Kongress‘ verwendet. Die Organisatoren versuchten wiederum, eine Balance zwischen thematischer Konzentration und Offenheit zu erreichen und boten vier Hauptdiskussionsbereiche an: die „Aufarbeitung der bezugswissenschaftlichen Grundlagen“ der Fremdsprachendidaktik sowie „ihrer gesellschaftspolitischen Beziehungen“, die „Erforschung und Ausrichtung von Fremdsprachenunterricht“ und die „Vor- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrern“ (Gnutzmann 1982, 274). In seiner Rückschau auf den Kongress nahm K. Hellwig eine betont vermittelnde Position ein, indem er die Ansicht vertrat, die Fremdsprachendidaktik befinde sich in einer „Zeit der Konsolidierung“, „der Aufarbeitung von Anregungen, des Zurechtrückens von Zu-wenig-Bedachtem und Vereinseitigungen, des Einlösens von Versprechungen in solider Detailarbeit und des Verknüpfens von Neuem mit Bewährtem“ (273).
1983: 10. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studien- und Bezirksseminaren (RWTH Aachen: J. Donnerstag, A. Knapp-Potthoff)
Die Organisatoren entschieden sich gegen eine thematische Systematisierung und boten in den Sektionen und Arbeitsgruppen ein breites Spektrum der unterschiedlichsten Themen an, wobei die derzeit im Fokus der Diskussion stehenden methodischen Probleme überwogen.25 Neben dem Unterricht in einzelnen Bereichen (Fachsprache, Hauptschule, berufsbildende Schule) wurden auch konkrete methodische Konzepte (Prinzip der Einsprachigkeit, Interaktive Verfahren, Freinet-Techniken) oder der Einsatz von Spielen, Rätseln, Filmen erörtert. Daneben standen Diskussionen zur Motivation, zur Literatur (Textzentrierung vs. Leserzentrierung) und Landeskunde (Stereotypen). Der Theorieaspekt war mit Themen wie „Grundfragen der empirischen Fremdsprachenforschung“, „Neuropsychologische Grundlagen des Fremdsprachenerwerbs“, „Spracherwerbsforschung zwischen Empirie und theoretischer Modellbildung“ oder „Normen im gesteuerten Fremdsprachenerwerb“ besetzt, und zwar vor allem von Referenten, die sich als Sprachlehrforscher verstanden (u.a. J. Vollmer, R.S. Baur, F.G. Königs). Zum ersten Mal wurde auch im fachpolitischen Diskurs Stellung bezogen, indem die Abschlussveranstaltung ein „Manifest zur Fremdsprachendidaktik und ihrer gegenwärtigen Lage“ verabschiedete.
1985: 11. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Ausbildungsseminaren (PH Ludwigsburg: H. Melenk, J. Firges, G Nold, R. Strauch, D. Zeh)
Die Organisatoren der in der Publikation als ‚Kongress‘ ausgewiesenen Tagung entschieden sich für vier unverfängliche Rahmenthemen: Region (Regionalsprache, regionale Literatur, regionale Stereotypen), Drama (Perspektiven des Dramatischen bei der Vermittlung von Sprache und Literatur im Fremdsprachenunterricht und -studium), Politik (Die politische Dimension der Fremdsprachen und des Fremdsprachenunterrichts), Spracherwerb.26
1987: 12. Fremdsprachendidaktiker-Kongress: Die Beziehung der Fremdsprachendidaktik zu ihren Referenzwissenschaften (TU Braunschweig: P. Doyé, H. Heuermann, G. Zimmermann)
Der Kongress in Braunschweig konzentrierte sich erstmalig auf ein einziges Rahmenthema, das systematisch erschlossen werden sollte. Neben der Erörterung der traditionell als Bezugswissenschaften ausgewiesenen Gruppe der Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Landeskunde / Kulturwissenschaft und Erziehungswissenschaft / Allgemeinen Didaktik standen auch die interdisziplinären Bezüge zu Psychologie, Politologie und Soziologie, zu Psycholinguistik und zur Medienwissenschaft zur Diskussion.27 Der Fokus lag auf der Abgrenzung und der Betonung der Eigenständigkeit der Fremdsprachendidaktik als wissenschaftliche Disziplin, die inzwischen eindeutig an Selbstbewusstsein gewonnen hatte.
Mit dem Selbstverständnis der Disziplin und ihrer Methodologie beschäftigte sich inzwischen ein anderer exklusiver Kreis, der sich unter der Führung von K.-R. Bausch, H. Christ, W. Hüllen und H.-J. Krumm 1981 als sog. „Frühjahrskonferenz“ im idyllischen Rauischholzhausen etabliert hatte und der dort bis heute jährlich vorwiegend forschungsmethodische Fragestellungen diskutiert. Dazu werden Statements der geladenen Teilnehmer auf vorgegebene Leitfragen eingefordert, die dann unter dem Titel „Arbeitspapiere der [xten] Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts“ veröffentlicht werden.28Die Leitfragen der 1. Konferenz von 1981 lauteten: „Wie definieren Sie den methodischen Ansatz Ihrer eigenen wissenschaftlichen Disziplin? Wo sehen Sie das größte wissenschaftsmethodische Defizit bei der Erforschung des Fremdsprachenunterrichts?“ (Bausch et al. 1981, 1).
Es lohnt sich, auf diese Papiere etwas näher einzugehen, weil sie ein authentisches Zeugnis ablegen für das intellektuelle Ringen jener Jahre um eine eigenständige wissenschaftliche Fremdsprachendidaktik. So provozierten die in ihrer brüsken Direktheit fast naiv anmutenden Fragestellungen eine sicherlich gewollte Klarstellung von Positionen bezüglich der ‚Wissenschaftlichkeit‘ der Disziplin. Es war vor allem das Problem des Praxisbezuges, an dem sich die Geister schieden. Hier einige Beispiele für die kontroversen Standpunkte:
K.-R. Bausch (Seminar für Sprachlehrforschung Bochum) zählte die „sog. Verwertbarkeitsperspektive“ als einen der „für das Konsolidierungsstadium unserer Disziplin typischen Problembereiche“ auf, die „von zufriedenstellenden Lösungsvorschlägen (noch weit) entfernt“ seien (op.cit., 13).
I. Ch. Schwerdtfeger (Seminar für Sprachlehrforschung Bochum) stellte die Frage, „wie weit alle unsere Ergebnisse sofort in Anweisungen für Unterrichtshandeln einmünden müssen/sollen“ und monierte den dadurch entstehenden ungerechtfertigten Erwartungsdruck (op.cit., 108).29
G. List (Universität Landau) wandte sich gegen ein Verständnis von Praxisorientierung, das sich auf die Registrierung „vermeintlich objektiver“ „Ist-Zustände“ beschränkt, „um diese dann in einem nachgeordneten Schritt nach Belieben mit jeweils bevorzugten Instrumenten zu bearbeiten“ (op.cit., 75).
H.J. Krumm (Universität Hamburg) vertrat die Meinung, „beim derzeitigen Zustand des Fremdsprachenunterrichts“ sei eine „empirische Forschung […] vordringlich, die sich durch ihre Handlungsrelevanz für den heutigen Fremdsprachenunterricht legitimiert“. Forschung helfe, „Alternativen zur bestehenden Unterrichtspraxis zu entwickeln, indem die Analyse der Wirklichkeit des Fremdsprachenunterrichts zu ‚Maßnahmenhypothesen‘ im Hinblick auf Veränderungen führt“. Vorerst beträfen „solche Maßnahmenhypothesen“, die „im Rahmen von Pilotstudien auf ihre Machbarkeit und ihre Wirkungen“ zu überprüfen wären, allerdings nur „partikulare Aussagen“ (op.cit., 62–64).
F.-R. Weller meldete als Wunsch aus der ‚Praxis‘ die Beantwortung der Frage an: „Wie können wir für den Fremdsprachenunterricht zu mehr wissenschaftlicher Erkenntnissicherheit kommen?“ (op.cit., 130).
H. Heuer (Universität Dortmund) stellte in seinem Statement unter dem abschließenden Punkt „Wissenschaft zwischen Grundlagen- und Zweckforschung“ unmissverständlich und mit warnendem Unterton30 fest: „Ohne verwendungsfähige Ergebnisse wird sich die Universitätsforschung zum Fremdsprachenunterricht immer weiter vom Fremdsprachenunterricht entfernen. Auf der Ebene der schulnahen Curriculumentwicklung und der 2. Ausbildungsphase wird eine Ersatzforschung auftreten, die einem doktrinären Praktizismus erliegen könnte“ (op.cit., 49sq.).
Einig waren sich wohl alle Teilnehmer darin, dass die empirische Forschung intensiviert und methodisch auf ein befriedigendes wissenschaftliches Niveau angehoben werden musste. Wie schwierig dieses Postulat umzusetzen sein würde, war ebenfalls allen bewusst. Hier einige Stellungnahmen dazu.
A. Barrera-Vidal sprach von einem „Wechselverhältnis zwischen ‚reiner‘ Beobachtung der Realität, Theoriebildung und Rückkoppelungseffekt auf eben diese Realität“ (op.cit. 5) und exemplifizierte dies am Problem der Lehrwerkkritik. Als besonders „dringendes Desiderat“ an die Forschung nannte er die Klärung des Verhältnisses „zwischen dem neuen Prinzip einer kommunikativen Progression und den traditionellen Grundsätzen einer lexikalischen und grammatischen Progression“. Hier gelte es, „klare und begründete Antworten zu geben“ (op.cit., 8sq.).
K.-R. Bausch mahnte die Entwicklung und Erprobung eines dem Fremdsprachenunterricht und seiner „Faktorenkomplexion“ angemessenen „differenzierten und vielfältigen Untersuchungsinstrumentariums“ zu „Datenerhebungs-, Beschreibungs- und Auswertungsverfahren“ an (op.cit., 16).
L. Bredella wies auf die Gefahr einer „Verabsolutierung des empirisch-analytischen Erkenntnisideals“ hin, das die „Äußerungen der Lernenden“ als „Reflexe äußerer Bedingungen“ deute, anstatt sie als „Handlungen“ mit „Sinnanspruch“ zu verstehen (op.cit., 32sq.).
H. Heuer plädierte für eine „empirisch-hermeneutisch angelegte Methode zur Untersuchung einzelsprachspezifischer Lernvorgänge“, wobei die „intuitiv angenommenen Wahrscheinlichkeiten“ und die „Daten der im Lernprozess sichtbaren und beobachtbaren Sprachoberfläche“ miteinander zu korrelieren seien (op.cit., 47).
J. House-Edmondson forderte die Erarbeitung einer „Theory of Learning“, in der „die Spannung zwischen beobachtbarem Verhalten und kognitiven Strukturen und Prozessen […] sinnvoll gelöst werden“ müsse. Sie sprach sich außerdem für „qualitative Forschungsmethoden, insbesondere Fallstudien“ in „real life situations“ aus (op.cit., 53sq.54).
W. Hüllen strebte eine „Korrelation von Modellaussagen mit Wirklichkeitsbeobachtungen“ an, die „didaktisch in Handlungsanweisungen auf mehreren Abstraktionsstufen der Unterrichtsplanung wiederkehrt“ (op.cit., 60).
H.J. Krumm konstatierte: „Forschung schafft empirische Grundlagen für Sprachlehr- und Spracherwerbstheorien, soweit diese Empirie nicht auf völliger Reduktion der unterrichtlichen Komplexität beruht, sondern Lernsituation und Lernkontext einbezieht“ (op.cit., 63).
G. List machte auf die erkenntnistheoretische Notwendigkeit aufmerksam, den empirischen Zugriff auf seine (subjektiven) Bedingtheiten zu prüfen, Empirie also immer als eine „kritische Form der Erkenntnisgewinnung“ zu betrachten. Unter „Grundlagenforschung“ verstand sie die Thematisierung der „praktisch-funktionellen Implikationen grundlegender Erwerbsprozesse“, einschließlich der „Implikationen, die die Forschung selbst für solche Prozesse mit sich bringt“ (op.cit., 75).
R.-M. Müller plädierte für einen „kritischen“ Forschungsansatz, „bei dem immer schon gegebene Theorien oder Theorieansätze mit ihren wissenschaftlichen, vorwissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Begründungen für fremdsprachenunterrichtliche Handlungsanweisungen auf ihre logische Schlüssigkeit (und die Haltbarkeit ihres implizierten Gewissheits- und Verallgemeinerungsgrades) diskutiert werden“ (op.cit., 79).
H.J. Vollmer warnte vor der unkritischen Übernahme methodischer Verfahren der empirisch-analytischen Sozialforschung. Diese müssten vielmehr „in ihrer Angemessenheit“ „für den komplexen Wirkungszusammenhang FU“ „überprüft und konkret in ihrer jeweils begrenzten Reichweite und Erklärungskraft offen gelegt werden“ (op.cit., 124 und 128).
Aus allen Papieren spricht eindeutig das Bewusstsein von der Größe der Herausforderung, die eine wissenschaftliche Erforschung des Fremdsprachenunterrichts darstellt. Es war abzusehen, dass die unterschiedlichen Positionen, die sich vor allem aus den verschiedenen Traditionssträngen erklärten, nur schwer miteinander in Einklang zu bringen waren.31 Einige Vertreterinnen und Vertreter der Sprachlehrforschung gingen denn auch nach wie vor unverhohlen auf Konfrontationskurs. So verstieg sich K.-R. Bausch 1988 in einem Lexikonbeitrag, der paradoxerweise wohl auf Verlangen der Herausgeber mit „Fremdsprachendidaktik“ überschrieben war (Bausch 1988, 1730) zu der Behauptung, „die Sprachlehrforschung (sei) aus der Kritik an den wissenschaftsmethodischen Unzulänglichkeiten der herkömmlichen Fremdsprachendidaktik (und zum Teil auch der angewandten Linguistik) hervorgegangen“. Er begründete diese ‚Unzulänglichkeiten‘ mit dem „evidenten Defizit an empirischer Grundlagenforschung“ (1729).
Entscheidend für die weitere Entwicklung der Fremdsprachendidaktik war die Gründung der DGFF, der „Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung“, die nicht – wie auf dem Braunschweiger Kongress von 1987 vereinbart – auf dem folgenden Fremdsprachendidaktiker-Kongress 1989 in Hamburg, sondern bezeichnenderweise schon 1988, und zwar auf der 8. Frühjahrskonferenz beschlossen wurde. H. Sauer, der selbst involviert war, referiert das Ereignis wie folgt:
Nach Vorgesprächen zunächst im Kreise von Fremdsprachendidaktikern, die an der Organisation der Arbeitstagungen beteiligt waren, wurde auf der Frühjahrskonferenz 1988 der Beschluss gefasst, eine „Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung“ zu gründen. Durch das Zusammenwirken von Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung sollten deren Gewichte im Kontext der forschungsbetonten Wissenschafts-Organisationen32 und der Lehrerbildung gestärkt werden und die ohne eine Organisation durchgeführten Arbeitstagungen der Fremdsprachendidaktiker, die sich zu beachtlichen Kongressen entwickelt hatten, auf eine organisatorische Basis gestellt werden. Dies sollte unbedingt in guter Nachbarschaft mit dem FMF und anderen Organisationen geschehen und den Einsatz des FMF auf der Ebene der Schulen durch den der DGFF auf der Ebene der Hochschulen und Universitäten ergänzend verstärken. Am 18. Februar 1989 wurde die Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) in der Universität Essen nach vorangegangenen Gesprächen in erweitertem Kreise von der Initiativgruppe – W. Hüllen, G. Lauerbach, D. Möhle, H. Sauer, J.-P. Timm, H.J. Vollmer, G. Zimmermann – durch einen förmlichen Beschluss gegründet. Sodann wurden eine erste Mitgliederversammlung und Wahlen für einen vorläufigen Vorstand und Beirat durchgeführt. Ergebnis: Prof. Dr. Werner Hüllen (1. Vorsitzender), Prof. Dr. Dorothea Möhle (2. Vorsitzende), Prof. Dr. Helmut Sauer (Schatzmeister) (Sauer o.J.).
Die vorgezogene Gründung erklärt sich wohl aus der Tatsache, dass man mit W. Hüllen einen integrierenden Vermittler gefunden zu haben glaubte, der die „historisch bedingte Zersplitterung“ (in Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung) „unter dem Namen ‚Fremdsprachenforschung‘“ zusammenführen könne.33 Außerdem drängte die Zeit, den Vertreterinnen und Vertretern der Fremdsprachen endlich ein offizielles Forum zu geben, um die Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Relevanz in der öffentlichen Wahrnehmung einzufordern – 20 Jahre nach der Aufbruchsstimmung der 70er Jahre, die ohne nennenswerten Prestigegewinn verflogen waren. Doch wurden – in meiner Sicht – die Weichen hier leider falsch gestellt. Sie liefen nämlich eindeutig in Richtung ‚Forschungsbetonung‘ – was sich nicht zuletzt im Namen dokumentiert – auf Kosten der Praxisrelevanz. Eine bis heute andauernde Entfremdung zwischen der wissenschaftlichen Erforschung des Fremdsprachenunterrichts und dessen Verbesserung in der Praxis war die unvermeidliche Folge, wie sich anhand der weiteren Entwicklung zeigen lässt.34 Es steht zu vermuten, dass die fehlende Relevanz auch den staatlichen Geldgebern damals schon nicht verborgen blieb. Eine der ersten offiziellen Aktivitäten der neuen DGFF war das Verfassen einer „Denkschrift zur Neuorientierung der Fremdsprachenlehrerausbildung in der Bundesrepublik Deutschland“ durch eine Arbeitsgruppe35. Die hier erhobenen Forderungen nach mehr finanziellen Mitteln verhallten bis heute ungehört.
1989: 13. Fremdsprachendidaktiker-Kongress: Sprachen – Tor zur Welt (Universität Hamburg: W. Brusch, P.W. Kahl, H.J. Krumm u.a.)
Der 13. Fremdsprachendidaktiker-Kongress in Hamburg war noch in der bisherigen Art organisiert worden, also ohne Rückhalt durch einen offiziellen Verein. Die Hafenstadt feierte gerade ihren 800. Geburtstag, und der Kongress widmete sich – getreu dem genius loci – der gesellschaftlichen Relevanz bzw. der „Bedeutung des Fremdsprachenlernens in einer auf Verständigung und Zusammenarbeit angewiesenen Welt“ (Brusch 1989a, 5). Einer der Hauptvorträge trug denn auch den Titel: „Fremdsprachen und Beruf im vollendeten europäischen Binnenmarkt“. Die DGFF trat mit einer Podiumsveranstaltung zum Thema „Fremdsprachenforschung und öffentliches Interesse“ (unter der Leitung von W. Hüllen) sowie mit ihrer ersten Mitgliederversammlung in Erscheinung. Außerdem wurde die Gründung einer eigenen Zeitschrift als offizielles Publikationsorgan der DGFF beschlossen. Die „Zeitschrift für Fremdsprachenforschung“ (ZFF)36 erscheint seit 1990 in ununterbrochener Folge und dient bis heute der „begründeten Selbstdarstellung“37 der DGFF. Der leitende Redakteur, R.S. Baur, wurde als weiteres ständiges Mitglied in den Vorstand berufen. Die mit Hilfe der Zeitschrift verfolgte Politik der DGFF konnte ich 10 Jahre lang (von 1992–2002) als Mitherausgeberin erleben.
1991: 14. Kongress für Fremdsprachendidaktik der DGFF: Kontroversen in der Fremdsprachenforschung (GHS Essen: W. Hüllen)
Die Vorbereitung des nächsten, erstmalig von der DGFF veranstalteten Kongresses, nahm drei Jahre in Anspruch, die von heftigen inneren Kontroversen geprägt waren. Es ist nicht zuletzt das Verdienst von H. Heuer, dass der Kongress die unterschiedlichen Positionen noch einmal öffentlich thematisierte. Zwei der sieben Sektionen beschäftigten sich explizit mit wissenschaftsmethodologischen Problembereichen: „Qualitative vs. quantitative Fremdsprachenforschung“ und „Gibt es wissenschaftlich begründbare Kriterien für die Bewertung von Fremdsprachenunterricht?“ Die inzwischen vollzogene deutsche Wiedervereinigung ermöglichte auch den Fremdsprachendidaktikern aus Osteuropa die reguläre Teilnahme. Bei der Neuwahl des Vorstands der DGFF wurden demonstrativ auch Vertreter aus der ehemaligen DDR berücksichtigt: L. Bredella (1. Vors.), H. Barthel / N. Lademann (2. Vors.), M. Wendt (Schatzmeister), R. Baur (ZFF-Redaktion). Ein Teil der Kongressbeiträge erschien in der von der DGFF herausgegebenen Reihe Beiträge zur Fremdsprachenforschung (Timm 1993).
Seitdem richtet die DGFF alle zwei Jahre einen „Kongress für Fremdsprachendidaktik“ aus38, auf dem auch die Vorstandswahlen erfolgen.39 Die Vertreter des nächsten Tagungsortes werden jeweils kooptiert. Seit 2003 hat sich ein deutlicher, generationsbedingter personeller Wechsel vollzogen. Die Rahmenthemen der Kongresse von 1993 bis 2012 spiegeln das Bemühen, die Fremdsprachendidaktik an die gesellschaftlichen Problemfelder anzuschließen und die allgemeinen pädagogischen Trends zu bedienen, wie z.B. Interkulturelle Handlungsfähigkeit, Mehrsprachigkeit / Mehrkulturalität, Lernerautonomie / Selbstbestimmung, Ganzheitlichkeit etc.:
Verstehen und Verständigung durch Sprachenlernen? – Fremdsprachliches Handeln im Spannungsfeld von Prozess und Inhalt – Fremdsprachen lehren lernen: Lehrerausbildung in der Diskussion – Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität – FU auf dem Prüfstand: Innovation, Qualität, Evaluation – Brücken schlagen: Sprachen, Fächer, Institutionen – Sprachen schaffen Chancen – Sprachen lernen, Menschen bilden – Grenzen überschreiten: sprachlich, fachlich, kulturell – Globalisierung, Migration, Fremdsprachenunterricht – Das Lehren und Lernen von Sprachen im Spannungsfeld von Bildung und Ausbildung.
Wohin hat die Entwicklung der Fremdsprachendidaktik geführt? Ist der Anspruch der Aufbruchsjahre, eine Theorie des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs zu entwickeln, die konkrete Auswirkungen auf die Praxis des Fremdsprachenunterrichts hat, aufgegeben worden, weil er als überzogen angesehen wurde? Wenn dem so ist, so würde ich mich nicht scheuen, von einer historischen ‚Fehlentwicklung‘ zu sprechen.
Der Kurs, der mit der Gründung der DGFF und ihrer Zeitschrift ZFF eingeschlagen wurde, hat zu einer Verengung des Forschungshorizontes auf empirische Untersuchungen geführt.40 Für theoretische Forschung war in diesem Selbstverständnis kein Platz mehr. ‚Forschung‘ als prestigeträchtiger Begriff ist eindeutig im Sinne von research verstanden worden. Dabei wurde unterschlagen, dass research nur einen Aspekt einer angewandten wissenschaftlichen Disziplin darstellt. In den britischen Applied Linguistics ist dieser Bereich z.B. innerhalb einer Trias von theory, practice und research angesiedelt und steht hier für den Bereich der empirischen Forschung (Littlewood 1991). Eine Wissenschaft, die jedoch ausschließlich auf empirische Forschung setzt und den Aspekt der Konzeptbildung, der Explizierung einer auf stringenten Hypothesen beruhenden Theorie ignoriert, begibt sich eines Regulativs, ohne das die Empirie blind und richtungslos bleibt und vor allem keine Impulse für innovative Handlungsempfehlungen geben kann. Ohne einen theoretischen Bezugsrahmen gerät die für den Fremdsprachenunterricht typische Wechselwirkung von Lehren und Lernen als Gegenstand der Erforschung aus dem Blick.41 Symptomatisch dafür ist der Grundsatzartikel „Die Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) stellt sich vor“ von 2001, in dem F. Klippel und G. Schmid-Schönbein42 zwischen zwei „großen Bereichen der fremdsprachendidaktischen Forschung“ unterscheiden, nämlich den „fremdsprachlichen Lernprozessen“ einerseits und der „Fremdsprachenlehrmethode“ andererseits (Klippel, Schmid-Schönbein 2001, 3sq.). Zwar werden unter „Forschungsmethoden“ neben den empirischen Untersuchungen auch „Grundlagenforschung und Theoriebildung“ flüchtig erwähnt, doch wenn konkret vom „Stand der Theoriebildung zum Fremdsprachenlernen“ die Rede ist, so werden darunter offensichtlich empirische Forschungsergebnisse zu Einzelaspekten verstanden, wie z.B. den individuellen „Lernvoraussetzungen und Lernstrategien“ oder der „Lernersprachenforschung“ sowie zu den Bereichen „Lese- und Hörverstehen“, „Wortschatzerwerb“, „autonomes Lernen“, „interkulturelles Lernen“ und „Informationstechnologie als Lern- und Unterrichtshilfe“. Neben Problemen aus der Lernerperspektive werden auch Einzelaspekte aus der bisher vernachlässigten Lehrerperspektive als Forschungsgegenstände erwähnt, wie z.B. „das Erfahrungswissen und die subjektiven Theorien von Fremdsprachenlehrkräften“.
Der bis in die 90er Jahre kontinuierlich erhobene Anspruch, einen Beitrag zu leisten „zur Entwicklung einer integrierten Theorie des Fremdsprachenunterrichts und zur begründeten Konsolidierung bzw. Veränderung der Unterrichtspraxis (Bausch / Krumm 1989, 11sq.), taucht hier nicht mehr auf.43 Stattdessen wird unter „Fremdsprachenlehrmethode“ auf die Ergebnislosigkeit der „vergleichenden Studien zur Wirksamkeit von Unterrichtsmethoden“ in den 60er und 70er Jahren verwiesen und daraus der Schluss gezogen, dass „der Glaube an die Existenz der idealen Lehrmethode zu Recht“ schwindet. Die Argumentation zeugt von einem fatalen Missverständnis, indem die ursprünglich anvisierte ‚Unterrichtstheorie‘ nun auf konkrete ‚Vermittlungskonzepte‘ verkürzt wird.
Der diskreditierte Begriff des ‚Vermittlungskonzepts‘ scheint eine plausible Distanzierung der auf wissenschaftliche Dignität dringenden Forschung von den Erfordernissen der Praxis zu erlauben. Die Horizontverengung könnte nicht offensichtlicher sein. Hatte R.M. Müller 1978 im Hinblick auf die grundsätzliche Verantwortlichkeit der jungen wissenschaftlichen Disziplin gemeint: „Für eine große, revolutionierende Rolle in der Gestaltung der Praxis ist die Fremdsprachendidaktik noch44 nicht entwickelt genug“ (Heuer 1979, 143), so sucht F. Königs sich 35 Jahre später aus dieser Verantwortung herauszuwinden, indem er argumentiert, die heutzutage geltende „individualistisch geprägte Vorstellung von fremdsprachlichem Lernen“ lasse sich nicht mehr vereinbaren mit dem „in Vermittlungskonzepten unvermeidlich hohen Anteil an überindividuellen Gemeinsamkeiten“. Deshalb sei „aktuell nicht mit vermittlungsmethodischen Neuentwicklungen zu rechnen“. Allerdings fügt Königs dann doch hinzu, dass „die Absenz dieses Themas in der Forschung […] sicher nicht dazu führen sollte, dieses Themenfeld in der Ausbildung45 von Fremdsprachenlehrern unbesetzt zu lassen“ (Königs 2013, 13).46 Das Erkenntnisziel der fremdsprachendidaktischen Forschung und die gesamte Entwicklung der letzten 50 Jahre werden vollends ad absurdum geführt, wenn Königs fortfährt: „Allerdings müssen wir dabei einräumen, dass wir gesicherte Aussagen über den Effekt einzelner Methoden oder auch anderer unterrichtlicher Entscheidungen47 auf den fremdsprachlichen Lernvorgang nicht wirklich belegen, sondern allenfalls vermuten können“ (ibid.). Dass dieses Eingeständnis im Grunde eine Bankrotterklärung der fremdsprachendidaktischen Disziplin (und nicht nur der Sprachlehrforschung48) ist, scheint dem Autor seltsamerweise überhaupt nicht bewusst zu werden. Wie ist das möglich? War man nicht angetreten, die „weitgehend rezeptologische [und auf „erfahrungsgeronnenen Handlungsanweisungen“ basierende] Fremdsprachendidaktik durch empirische Forschung und aus ihr abgeleitete begründete Empfehlungen für die Verbesserung des Fremdsprachenunterrichts zu ersetzen“ (op.cit., 8–10)49?
Die Erklärung könnte in der Art der empirischen Forschung liegen, wie sie die Disziplin in ihrer Gesamtheit, allen voran die DGFF, zum Ausweis ihrer Wissenschaftlichkeit in den letzten Jahrzehnten betrieben hat. Königs merkt dazu selbstkritisch an, dass die Untersuchungsmethoden kein Selbstzweck sind, sondern „in konsequentem Bezug zum untersuchten Gegenstand diskutiert, hinterfragt, ggf. erweitert oder entwickelt werden“ müssen (op.cit., 19). Das war eigentlich immer das Credo auch der Sprachlehrforschung gewesen, nämlich „Probleme aus der Praxis (aufgreifen), der systematischen und integrativen Erforschung (zuführen) und wieder in die Praxis (einbringen) (Bausch / Krumm 1989, 9). Zweifel an der Verwirklichung dieser Forderung wurden allerdings schon in den 80er Jahren laut, und zwar ausgerechnet innerhalb der Sprachlehrforschung, in der es zu einer polemisch aufgeheizten wissenschaftsmethodologischen Kontroverse kam.50 Die sog. Bielefelder Gruppe51, die sich der Zweitsprachenerwerbsforschung52 zugewandt hatte, griff die von den Sprachlehrforschern um K.-R. Bausch vertretenen empirischen Forschungsmethoden heftig an, indem sie vor allem deren unterrichtliche Relevanz in Frage stellte. E. Zöfgen behauptete, dass es den von der Sprachlehrforschung vorgelegten Arbeiten „generell an Praxisrelevanz mangelt“, obwohl diese Relevanz in den programmatischen Äußerungen immer wieder gefordert werde, so dass „Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander (klaffen)“. Das „Schwanken zwischen grundlagen- und handlungswissenschaftlicher Orientierung“ zeige sich auch in dem „Mangel an problembezogenen, aus dem FU hervorgegangenen Fragestellungen“ (Bausch / Königs 1986, 171sq.).
Ob Zöfgens Kritik berechtigt ist, kann durch einen kurzen Blick auf einen Katalog von Fragestellungen verifiziert werden, den Bausch und Königs 1983 vorgestellt haben (Bausch / Königs 1983, 329):
In welcher Situation erscheinen Sprachproduktionen von Lernern spontan und in welchen sind sie beobachtbar auf ‚Außenwirkungen‘ zurückzuführen?