Sprich deutsch! - Eduard Engel - E-Book

Sprich deutsch! E-Book

Eduard Engel

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Beschreibung

Bereits 1917 erschienen gehört dieses Buch nach wie vor zu den sprachwissenschaftlichen Referenzen. Ausführlich beschreibt Engel den Zustand der deutschen Sprache und hält eine flammende Rede, warum die deutsche Sprache gut ist und weniger Fremdwörter bedarf.

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Sprich Deutsch!

Eduard Engel

Inhalt:

Eduard Engel – Biografie und Bibliografie

Sprich Deutsch!

1. Der Zustand der deutschen Sprache

2. Was die Welscher sagen

3. Wie ist zu helfen?

4. Vom Verdeutschen

5. Gutes Deutsch

Schlußwort

Sprich deutsch, E. Engel

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849611590

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Eduard Engel – Biografie und Bibliografie

Der Deutsche ist gelehrt, wenn er sein Deutsch versteht. (Goethe).

Die deutsche Sprache wird die Welt beherrschen. (Schiller).

Im dritten Jahr des Weltkrieges ums deutsche Dasein

Meiner lieben Frau Änne, der deutschkundigen Mitarbeiterin, in Dankbarkeit zugeeignet

› Sprich Deutsch!‹ – Welch ein paradoxer Titel! Das soll offenbar Effekt machen, soll sensationell wirken. – ›Sprich Deutsch!‹ Damit soll dem Leser wohl suggeriert werden, daß man in Deutschland nicht Deutsch spricht, also wieder einmal eine jener fanatischen, zelotischen Fremdwörterhetzen, die in ihrer outrierten Methode zu den extremsten Argumenten greifen, aus der Mücke einen Elefanten machen und die sporadische Einstreuung eines gelegentlichen Fremdwortes gleich als undeutsch stigmatisieren. Dagegen muß doch energisch protestiert werden. Diese Extravaganzen ja Exzesse chauvinistischer Nationalisten und Puristen fallen nachgrade auf die Nerven, diskreditieren eine an sich und gewissermaßen und mit den praktisch gebotenen Kautelen und Restriktionen ganz löbliche oder doch unschädliche theoretische Bewegung, können aber de facto nichts an dem aktuellen Stadium der historischen Entwicklung deutscher Kultur und an der Konsequenz ändern, daß die Welt der Intellektuellen praktisch nun einmal nicht ohne die subtiler differenzierende Nuance eines sorgfältig ausgewählten Fremdwortes in einigen ganz vereinzelten, seltenen, nicht der Rede werten Fällen auskommen kann.

Mit solchen Gedanken in solcher Sprache wird mein Büchlein von manchen Lesern, zumal von den gelehrtesten, empfangen werden, besonders von solchen, die nur einen Blick auf den Titel geworfen und nicht weiter gelesen haben. Ich habe ihre Sprache in den Eingangszeilen so getreu wiedergegeben, daß jeder Kenner sie für echt erklären wird. So und nicht anders wird von der deutschen Bildungswelt, den Intellektuellen in ihrer Sprache, gedacht, gesprochen, geschrieben, nur daß ich mich bei der gebotenen Knappheit mit 34 Fremdwörtern auf 19 Druckzeilen begnügen und die in jeder, wirklich in jeder längeren angeblich deutschen, vorgeblich gebildeten Auseinandersetzung – sagen wir von 100 Druckzeilen – unentbehrlichen, unvermeidlichen, unersetzlichen Sprachkleinode: Moment, Element, Koeffizient, Faktor, interessant, individuell, Individualität, Material, Organisation, subjektiv, objektiv, Synthese, Analyse, System verzichten mußte.

Sprich Deutsch! Die weltgeschichtliche Stunde hat geschlagen, von der ab alle Leisetreterei in dieser höchsten Frage deutschen Volkstumes endlich aufhören und der rücksichtslos laute Ruf erschallen muß: Sprich Deutsch! Sprache ist Volk, Volk ist Sprache, und mit der Besudelung und Verluderung der deutschen Sprache, wie sie jetzt in Alldeutschland verübt wird, läuft der Dauerbestand des wundersamen Volksgebildes, welches Deutschtum heißt, seine äußerste, seine tödliche Gefahr. Was immer die um Beschönigungen, Vertuschungen, Bemäntelungen nie verlegenen Intellektuellen Deutschlands gegen die Anklage vorzubringen wissen, daß sie Welscher und Fälscher des höchsten deutschen Heiligtumes, der deutschen Sprache, sind, – unbeirrt durch scheingelehrtes Wortgeflunker muß ihnen fortan von dem ganzen noch nicht sprachlich verbildeten deutschen Volke zugeherrscht werden: Sprecht Deutsch! Gleichviel wie hochgestellt, gleichviel wie tiefgelehrt, gleichviel wie weltbürgerlich gebildet, – ihr seid Deutsche, also: Sprecht Deutsch! Drückt euch nicht mit scheingeschichtlichen, scheingelehrten, scheingebildeten Spiegelfechtereien um die schlichte Forderung herum: Sprecht Deutsch!; denn ihr seid Deutsche, seid weder Römer noch Griechen, weder Franzosen noch Engländer, ohne deren Sprachkrücken nicht je zwei eurer gesprochenen oder geschriebenen Sätze stehen und gehen können. Von allen gebildeten, von allen nichtgebildeten Völkern der Erde wird die Urforderung jedes lebensstarken Volkstumes: Sprecht die Sprache eures Volkes! erfüllt, triebmäßig, ohne Tifteleien, mit der Selbstverständlichkeit alles gesunden Volkslebens. Einzig in Deutschland, vornehmlich in seinen gebildetsten Schichten, wird die Mahnung: Sprecht Deutsch! nicht beachtet, meist mißachtet, oft verhöhnt.

Ich kenne jede Erwiderung Derer, die Deutsch nicht schreiben wollen, aus überreicher Erfahrung. Keine der vielen Ausreden der zahllosen Welscher sagt mir etwas Neues. Der Leser wird die scheintriftigsten Verteidigungen der Unentbehrlichkeit des Welschens weiterhin kennen und würdigen lernen. Wichtiger jedoch als aller Streit für und wider die Welscherei ist die Erforschung der Tatsachen, die Feststellung des zurzeit in Deutschland herrschenden Sprachzustandes. Wissen wollen wir, wie in Deutschland, zumal in den geistig führenden Schichten unsers Vaterlandes, wirklich gesprochen wird; erst wenn wir dies im unerbittlich grellen Lichte der Wahrheit erkannt, hat die Frage einen Sinn: Darf ohne schwere Gefahr für deutsches Volkstum die deutsche Sprache in Deutschland länger so behandelt werden wie bisher?

Deutsche Mengselsprache

In der deutschen Bildungswelt und weit über sie hinaus, bis in die Tiefen des deutschen Volkes hinunter, allenfalls mit Ausnahme der wenigstgebildeten, wenigstverbildeten Grundschicht, wird eine Sprache gesprochen und geschrieben, die nach allen Begriffen von lebendiger, gesunder Volkssprache nicht mehr deutsche Sprache zu heißen verdient. Insonderheit die geschriebene und gedruckte Sprache Deutschlands mag immerhin noch als eine seltsame Mundart, Abart, Entartung des Germanischen so mitgehen, – deutsche Sprache ist das nicht mehr, was uns in jedem Zeitungsblatt, in fast jedem Buche wissenschaftlichen Inhalts, in zahllosen amtlichen, halbamtlichen, unamtlichen Kundgebungen und Anzeigen täglich, stündlich, minutlich entgegentritt.

Die Sprache der deutschen Wissenschaft aller Grade muß nach strenger rechnerischer Prüfung für eine ebensolche Mengselsprache wie das Englische erklärt werden: sie ist eine romanisch-griechische Mundart mit starker Deutschfärbung. Prüft man nur die Begriffswörter, also die Haupt-, Eigenschafts-, Umstands-, Zeitwörter, so ist das Deutsch der Wissenschaft romanisch-griechisch-germanisches Missingsch. Was ich hier nach reiflicher Prüfung als eine Tatsache, nicht als eine Meinung ausspreche, kann nur durch gleichgewichtige Tatsachen, nicht durch Meinungen widerlegt werden. Ich schreibe nicht einer › Sensation‹ halber, sondern ich will nach dem endlosen Hin- und Hergerede der Sprachwelscher und ihrer Gegner die zwei Fragen: Welche Sprache wird in Deutschland wirklich gesprochen und geschrieben? – Welche Sprache soll in Deutschland gesprochen und geschrieben werden? vom unerschütterlichen Boden der Wirklichkeit aus betrachten. Ich habe zu dieser Art der Betrachtung ein stärkeres Recht als die meisten Derer, die über Welscherei oder Deutsch geschrieben haben, denn ich habe ein volles Menschenleben hindurch Welscherei beruflich, amtlich an einer der Hauptquellen einschlürfen müssen: im Dienste des Deutschen Reichstags, dem beherrschenden Mittelpunkte welschender Beredsamkeit. Ich habe daneben ein Menschenleben hindurch als sprachlich prüfender Leser deutscher Bücher, deutscher Zeitungen und deutscher Zeitschriften den Stoff gesammelt für die Behauptung, die endlich ausgesprochen werden muß, bevor es besser werden kann: In Deutschland wird nicht Deutsch gesprochen, wird erst recht nicht Deutsch geschrieben. Ein deutschfeindliches Blatt eines der vielen deutschfeindlichen, bisher noch nicht in den Krieg gegen Deutschland verwickelten Länder schrieb nach dem deutschen Seesiege im Skagerrak aus unfreiwilliger Bewunderung: Das Wort ›Unmöglich‹ scheint es in Deutschland nicht zu geben; was können denn die Deutschen nicht? – Der Weltkrieg ums deutsche Dasein hat in der Tat den, uns Deutsche nicht zum wenigsten, überraschenden Beweis geliefert, daß wir so ziemlich alles können, was in Menschenmacht liegt; daß wir vieles trefflicher können als andre Völker; daß wir jedoch selbst in diesem Tod- oder Lebenkampf ums Fortbestehen deutschen Volkstumes nicht das vermögen, was die niedrigsten unsrer vielfarbigen Feinde mühelos vollbringen: den festesten Grundbau alles Volkstumes unerschütterlich zu bewahren, die unverfälschte, unverwelschte Muttersprache. Ein Beweis aus Hunderten, aus Tausenden: in neun Fällen von zehn bezeichnet der deutsche Mensch, besonders der schreibende, das höchste aller Hochgefühle mit einem elend erdrechselten Fremdwort: Vaterlandsliebe mit Patriotismus. Ich weiß, der gelehrte deutsche Welscher, der nie um eine Bemäntelung seiner Welscherei verlegen ist, wird auch mit beredtem, überaus gelehrtem, lateinisch-griechisch-französischem Wortschwall unwiderleglich beweisen, daß der gebildete Deutsche in vielen Fällen mit der gemeinen, bloß deutschen Vaterlandsliebe nicht ausreicht, daß der Patriotismus mit seinen wundersamen zarten Begriffs nuancen, seinen subtilen und imponderabeln Vibrationen unentbehrlich, unübersetzlich ist, daß nur chauvinistisch-nationalistischer Purismus ein so herrliches Wort wie Patriotismus beanstanden, wohl gar verpönen kann. Auf dergleichen mir verschlossene subtile Differenzierungen der linguistischen Ästhetik lasse ich mich grundsätzlich, schon aus Bescheidenheit, nicht ein; mir genügt die Feststellung der unbestreitbaren Tatsache, daß der deutsche Welscher sich ohne Patriotismus zusamt Patriot und patriotisch sprachlich nicht ›ausleben‹ kann.

Noch aus einem andern Grunde halte ich mich für besonders berechtigt, ja berufen, vielleicht sogar auserwählt, dieses Büchlein zu schreiben und einiges Gewicht für mein Urteil über die Welscherei in Deutschland zu beanspruchen. Ich kenne nämlich nicht bloß die Sprache der deutschen Welscher so genau, wie das nur eine lebenslange Erfahrung und Durchforschung ermöglicht; sondern ich bin, ohne mich dessen zu berühmen, einer der bald gezählten deutschen Schriftsteller, die ihre Bücher in reinem Deutsch schreiben, wiewohl dies in deutschen Landen nur geringen Ruhm erwirbt, ja von den meisten Lesern kaum beachtet wird. Immerhin beweist meine eigne Schreibsprache die von den Welschern grundsätzlich bestrittene Möglichkeit, daß ein Deutscher seine Bücher in der unverwelschten Muttersprache schreiben kann, ohne ein halbes Dutzend fremder Sprachen anzubetteln. Mir liegt wahrhaftig daran, mit allen meinen Schriften, vornehmlich mit dieser, so überzeugend wie nur möglich zu wirken, und jedes erdenkliche saubre sprachliche Mittel zu diesem Hauptzweck meines Schreibens ist mir hochwillkommen. Jede sprachlich darzustellende Farbe meines Willens, jeder wirksame Ausdruck meines Wissens, Fühlens, Könnens ist mir heiß erwünschtes Werkzeug. Dennoch, oder grade darum, verschmähe ich verachtungsvoll alle die Kostbarkeiten, die in dem erbettelten und gestohlenen fremden Sprachplunder stecken sollen. Dieses Büchlein wird die sehr geringe Zahl der in nichtwelscher Sprache abgefaßten deutschen Schriften um eine vermehren. Mir genügt die arme Sprak, die plumpe Sprak meines Volkes für alles, was ich ihm zu sagen habe, und ich überlasse es getrost den Lesern, zu entscheiden, ob die gewiß aufzuweisenden Gebrechen dieses Büchleins meinem Denkvermögen oder meiner Sprache, der deutschen, zur Last zu schreiben sind.

Sie haben Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hören nicht. Über den wahren Zustand der in Deutschland herrschenden Sprech- und Drucksprache besteht eine fast allgemeine vollkommne Täuschung oder Selbsttäuschung. Ich will aussprechen, was ist, und ich will es ohne Menschenfurcht, ohne irgendwelche scheue Rücksicht aussprechen. Ist überhaupt noch eine Rettung aus der grenzenlosen ausländernden Sprachsudelei denkbar – was von den besten Kennern bezweifelt wird –, dann nur durch schonungslose Offenheit. Bei dieser geht es nicht immer mit zarter Mäßigung und glatter Höflichkeit ab. ›Mit Seide näht man keinen groben Sack‹, hat der Meister edler Sitte, Goethe, gelehrt, und aus ihm schöpfe ich noch die andre Berechtigung für den Ton dieses Büchleins: ›Wer das Recht auf seiner Seite fühlt, muß derb auftreten. Ein höfliches Recht will gar nichts heißen.‹ Auf meiner Seite ist das Recht, nämlich das, zu fordern, daß in Deutschland Deutsch gesprochen werde.

Die herrschende Auffassung vom Zustand unsrer gesprochenen und geschriebenen Sprache ist etwa diese. Der Freund deutscher Zunge klagt über die allbekannte ›Fremdwörterei‹, wie er sie nach allgemeinem Sprachgebrauche nennt, und meint damit, daß sich in unsre Rede und unsre Druckwerke eine beträchtliche Zahl fremder Wörter eindränge. Diese Auffassung entspricht bei weitem nicht der vollen Wahrheit. Der Welscher aller Abstufungen, von dem Abgeordneten, der keinen Satz ohne ein Fremdwort sprechen kann, über den Zeitungsschreiber, der zum Ausschöpfen seines Gedankenreichtums auf je zwei Druckzeilen mindestens ein Fremdwort braucht, bis zum berühmten Hochschullehrer, in dessen Sprache die vereinzelten deutschen Begriffswörter stillos zwischen der Fremdbrockensprache wirken, – der Welscher spricht bei passenden feierlichen Gelegenheiten begeistert von der ›unvergleichlich edlen und reichen deutschen Sprache‹; erklärt sich für ihren geweihten Hüter; rügt schmerzerfüllt ›die zunehmende Sprachverwilderung‹, das Übermaß der Fremdwörterei – bei den Andern, besonders bei den bösen Zeitungsschreibern; ist empört, wenn man ihn, milde genug, einen Fremdwörtler nennt, und verkündet ein für allemal und in jedem besondern Falle besonders, daß jeder seiner Fremdbrocken, auch der lächerlichste, der tollste, der von ihm soeben neu erdrechselte, ganz unentbehrlich sei zur Übermittelung seines abgrundtiefen, farbenüppigen, nickelnagelneuen Weisheitschatzes an die weisheitdurstige Menschheit. Daß die sonst um ihres Reichtums willen von Deutschen und Fremden gepriesene deutsche Sprache auch seiner Gedankenüberfülle genügen müsse, – absurdes, phantastisches, irreales, puristisches Postulat.

Nehmen wir mit übertriebener Vorsicht an, der durchschnittliche Bedarf der Anleihen bei fremden Sprachen betrage für einen deutschen Schreiber nur 10 Welschbrocken auf je eine mittlere Druckseite, so bedeutet dies ohne gelehrttuende Redensarten unwiderleglich: der Schreiber war auf 100 Druckseiten 1000 mal außerstande, seine erlauchten Gedanken mit den beschränkten Mitteln seiner gemeinen Muttersprache auszudrücken. Selbstverständlich verschleiert jeder Welscher diese sonnenklare Wahrheit, die seiner Welscherei zugrunde liegt. Noch keiner der Welscher, die für die einfachsten menschlichen Begriffe die Sprachen fremder Völker anbetteln, die also z. B. Psyche statt Seele, Milieu statt Umwelt, Material statt Stoff schreiben zu müssen glauben, noch keiner dieser in 6–7 Zungen redenden und schreibenden Meister deutscher Bildung hat jemals zugegeben: Ich, Wilhelm Schulze oder August Piefke, kann dies und das und jenes und tausend andres nicht vollkommen verständlich und treffend auf Deutsch ausdrücken; sondern jeder, auch der elendeste Schreiber, erklärt in jedem Falle, wo er seine Muttersprache nicht beherrscht, oder sich mit allerlei Fremdbrocken brüsten will, mit einer in keinem andern Lande geduldeten Anmaßung: Im Deutschen kann ›man‹ dies nicht so kurz, so scharf, so fein, so treffend, so bezeichnend, so erschöpfend, mit einem Wort so adäquat sagen wie in verdorbenem Latein, verhunztem Griechisch, berlinischem Französisch, falschgesprochenem Stallknechtenglisch, stümperndem Leierkastenitalienisch. Daß dieser ›man‹ kein andrer ist als eben dieser welschende Mann, wird durch das verschleiernde ›man‹ wegzuschwindeln versucht.

Sprachliche Entvolkung Deutschlands

Die Wahrheit über den Sprachzustand in Deutschland ist allerdings so erschreckend, so fürchterlich, daß sie von den Welschern verschleiert, verschwindelt werden muß. Würde man sich im deutschgesinnten Deutschland der blanken Wahrheit voll bewußt, so wäre es trotz der schier unausrottbaren deutschen Ausländerei vielleicht um das Welschen und die Welscher geschehen. Selbst die Bestbestrebten in Deutschland gestehen sich nicht, daß wir längst mitten auf dem Wege zur Sprachverwelschung sind und immer weiter fortschreiten. Der Allgemeine Deutsche Sprachverein bekämpft seit 31 Jahren das, was auch er irrtümlich milde ›die Fremdwörterei‹ nennt, anstatt unverhüllt von der zunehmenden sprachlichen Entvolkung Deutschlands zu reden. Der gutdeutsch gesinnte Anton Fendrich meint in seiner Schrift ›Der Krieg und die Sozialdemokratie‹ aus demselben Irrtum heraus: ›Wer innen deutsch ist, kann schadlos ein ganzes Schock Fremdwörter vertragen.‹ Ein Schock erscheint ihm als das äußerste zulässige Maß. Der sonst so helläugige Mann hat offenbar keine Ahnung von der Wirklichkeit der deutschen Sprache in Deutschland. Ein Schock Fremdwörter! Du lieber Himmel, als ob ein Mensch über Fremdwörterei reden, als ob ich die Verwelschung Deutschlands anklagen würde um ein elendes Schock Fremdwörter! Nicht um 10 Schock, nicht um 20 Schock – also um 1200 Fremdbrocken – geht der Kampf; sondern um 100 Schock, um 1000 Schock, um 2000 Schock, wie ich beweisen werde. Den deutschen Redner oder Schreiber möchte ich sehen, der nicht schon in halbstündiger Rede auf 10 Druckseiten sein volles Schock Welschwörter los würde!

Die Wirklichkeit, die schmerzliche, die schmachvolle, sieht so aus: Es gibt kein Gebiet menschlichen Lebens und Strebens; kein Gefühl der Freude, des Schmerzes; nicht Wunsch noch Sehnsucht noch Klage; nicht Jubel noch Verzweiflung; kein Tun, kein Lassen; kein Vorbereiten, Ausführen, Vollbringen; keine Wissenschaft, keine Kunst, keine Tätigkeit fürs Gemeinwohl im Staat, in der Stadt, im Dorf, im Verein; nicht Essen noch Trinken noch Spielen; keine hohe oder niedre Belustigung; keinen Groß- oder Kleinbetrieb im Gewerbe; nicht Handel noch Schiffahrt auf dem Wasser oder in den Lüften; nichts im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, was der Deutsche, zumal der sich gebildet nennende, mit den Mitteln seiner Muttersprache ausdrücken kann oder will.

Von Zeit zu Zeit läuft durch die Blätter ein Pröbchen der welschenden Sprachverluderung Deutschlands im Dreißigjährigen Kriege, etwa im Stil dieses Berichtes Wallensteins an den Kaiser Ferdinand nach der Schlacht bei Nürnberg: ›Das Combat hat von frühe angefangen und den ganzen Tag caldissimamente gewährt, alle Soldaten Eurer kaiserlichen Armee haben sich so tapfer gehalten, als ich's in einiger occasion mein lebenlang gesehen, und niemand hat einen fallo in valor gezeigt. Der König hat sein Volk über die Maßen tief diskuragiert; Eurer Majestät Armee aber, indem sie gesehen, wie der König repussiert wurde, ist mehr denn zuvor assekuriert worden.‹ Die Herren in der abdruckenden Zeitung dünken sich sprachlich hocherhaben über solches Gewelsche, und die Leser schmunzeln selbstgerecht über solche Entartung. Ist unter den Zeitungslesern eine Leuchte deutscher Gelehrsamkeit im 20. Jahrhundert, etwa ein › Germanist‹ genannter Hochschullehrer der Deutschkunde, so rümpft er die Nase über solch ein ›glücklicherweise längst überwundenes antiquiertes Stadium deutscher Sprach evolution‹. Das Gleichnis vom Splitter und Balken im fremden und im eignen Auge paßt nicht, denn Splitter ist der Zustand des 17. Jahrhunderts, klobiger Balken das Gewächs unsrer Tage, in denen es die Welscher so herrlich weit gebracht. Die höchste Bildung, d. h. was sich so nennt, schreibt im lichten Ruhmesglanze des 20. Jahrhunderts in Deutschland folgende Sprache: ›Man kann dem deutschen Publikum nichts Distinguiertes spenden, was es nicht sofort seiner gewohnten Trivialität assimiliert. – Das Absolute und der Inhalt des analogischen Denkens, das fiktiv Absolute oder die absolut gedachte Relativität. – Der von der Koalition beherrschten Fraktion fehlten die Instruktionen der Machthaber. – Werther ist ein Gemisch von dramatischer Objektivität und lyrischer Subjektivität. Es ist ein erlesener Genuß, die Intensität und die Diskretion zu erkennen, mit der auf wichtige Situationen vorgedeutet wird. – Eine Biographie Schillers, deren Motive sich auf dem Niveau des populären Interesses bewegen. – Die Arbeitsteilung reduziert den Arbeiter auf eine degradierende Funktion; dieser degradierenden Funktion entspricht eine depravierte Seele.‹

Die Namen der namhaften Welscher, die solch grauenhaftes Zeug für feinstes Deutsch gehalten und jeden andonnern würden, der ihnen von undeutscher Sprache zu reden wagte, nenne ich absichtlich nicht, denn nicht mit den großen Namen sehr schlechter Schreiber, sondern mit der sehr guten Sache deutscher Sprache hab' ich zu tun. Der Leser darf mir glauben, daß ich meine Beispiele für die Welscherei auf den Arbeitsfeldern deutschen Geistes nicht dem Geschreibsel irgendwelcher Schmierer, sondern grundsätzlich nur den Schriften der Zierden deutscher Wissenschaft entnehme. Und nicht etwa mühsam, böswillig herausgeklaubte, sondern beim wahllosen Blättern überall ins Gesicht starrende Greuel. Wer allerdings schon, wie die meisten Leser, solches Gewelsche für die natürliche Bildungssprache in Deutschland hält, dem fallen die tollsten Beweise für unsre Sprachverluderung gar nicht mehr auf. Mir fallen sie auf, weil ich solche Sprachform überhaupt nicht als Deutsch, sondern als eine fremde wüste Mundart empfinde. Diese Empfindung auf meine Leser zu übertragen, ist einer der Hauptzwecke dieses Büchleins.

Zweisprachiges Deutschland

Man höre auf, von deutscher ›Fremdwörterei‹ zu reden! Es handelt sich längst nicht mehr um ein größeres oder geringeres Maß des Einstreuens fremder Wörter in deutsche Rede und Schrift, sondern um eine bis ins Mark, bis ins Herz der deutschen Sprache vorgedrungene krankhafte Entartung. In Deutschland wird nicht mehr Deutsch gesprochen. Kein Stand, kein Geschlecht, kein Alter in Deutschland spricht mehr Deutsch, sondern Welsch in seinen verschiedenen Abstufungen. Was die Welscher zu diesem Aussprechen der Wahrheit sagen, habe ich ihnen auf der ersten Seite vorweggenommen. Sie müssen mir widersprechen, denn sonst –? Deutschland wird ein zweisprachiges Land; seine Entwicklung zur offenbaren Zweisprachigkeit setzt sich vor sehenden Augen und hörenden Ohren unaufhaltsam fort. Hin und wieder durchflammt ein erbarmungsloser Blitz das bemäntelnde Dunkel, worein die Welscher sei's aus Selbsttäuschung, sei's aus Scham die Wirklichkeit unsers Sprachelends gehüllt haben. Im währenden Weltkriege geschah an einem staatlichen Berliner Gymnasium, das vielen für das ›vornehmste Berlins‹ gilt, folgendes: Ein Oberlehrer rügte bei der Abgangsprüfung als ›schweren Fehler‹, daß der deutschfühlende Jüngling und statt plus , Rechnungsart statt System sagte, sich überhaupt deutscher Ausdrücke an Stelle lateinischer bediente, und tat dabei den unsterblichen Ausspruch: ›Wir können uns ja gar nicht verstehen, wenn Sie immer deutsche Ausdrücke gebrauchen‹.

›Eine Anekdote! sagt der Welscher; ein Spezialfall, wie er bei der Individualität eines eigenwilligen Pädagogen einmal passiert, den man aber nicht generalisieren darf‹. Der allgemeine Zustand einer Sprache setzt sich aus unzähligen ›Spezialfällen‹ zusammen, und in Deutschland wird in unzähligen Einzelfällen eben nicht Deutsch, sondern Undeutsch gesprochen. Der Zustand, den vor 200 Jahren Leibniz warnend vorausgesehen, ist jetzt eingetreten: ›Es will fast das Ansehn gewinnen, wann man so fortfährt und nichts dagegen tut, es werde Deutsch in Deutschland selbst nicht weniger verloren gehen, als das Engelsächsische in Engeland.‹ Wir haben in Deutschland in den letzten zehn Jahren Schreiber am Werke gesehen, z. B. die beiden jüngst Verstorbenen Felix Poppenberg und Karl Lamprecht, einen Kunstschreiber und einen Geschichtschreiber; die beiden Lebenden Simmel und Sombart, einen Seelenforscher und einen Volkswirt, deren sogenanntes Deutsch sich äußerlich in nichts von der germanisch-romanischen Mengselsprache Englisch unterscheidet. Der innerliche Unterschied allerdings ist gewaltig: das noch so mengselige Englisch ist eine gebildete Sprache, das Welsch der vier genannten deutschen Schreiber ist wüste Unsprache.

Keine Übertreibung, nein herbe Wahrheit war der Satz in einer auch in Deutschland geachteten französischen Zeitschrift: ›Die deutschen Männer der Wissenschaft machen ernstliche Anstrengungen, durch eine Verschmelzung der deutschen und der romanisch-französischen Sprache zur Weltsprache zu gelangen. Das Esperanto wird durch sie überflüssig.‹ Hierin steckt eine Ungerechtigkeit gegen das Esperanto, denn dieses ist in all seiner Dürftigkeit eine wohlgeordnete, die Deutschwelscherei eine liederliche Kunstsprache. Zwitterdeutsche nannte Rückert die Deutschgebornen, die sich geistig ihres deutschen Adelgeburtsrechtes entkleidet hatten.

Nicht mehr gefremdwörtelt wird in Deutschland, sondern gewelscht, das heißt: die deutsche Bildungswelt, und ihr nacheifernd die der Ungebildeten, redet eine grauenvolle besondere Sprache, die ich Welsch nenne. ›Fremdwörtler‹ und ›Fremdwörterei‹ schreibe ich daher nur noch ausnahmsweise, sondern ich sage Welscher und weiß, warum ich es sage. Ein Fremdwörtler möchte allenfalls der überwiegend Deutsch schreibende Mann heißen, der nur hin und wieder, in seltenen Ausnahmefällen, ein vereinzeltes besonders schlagkräftiges Fremdwort zum vermeintlichen Aufhöhen und Abtönen seines Stiles gebrauchte. Die Fremdwörtler dieser erträglichen Art lassen sich leicht zählen. Nein, die Regel ist die, daß für jeden einzigen Begriff, zumal für jeden aus dem höheren Geistesleben, ein deutsches Wort wie ein armes verirrtes Kind erscheint, während sich der Fremdling fast in jedem Satze an den gewichtigsten Stellen breit hinpflanzt. Natürlich sagt jeder Welscher: ›Pah, meine paar Fremdwörter!‹ – Dies ist Selbstbelügen; es gibt keinen Welscher mit ›ein paar Fremdwörtern‹, es gibt keinen mit ein paar hundert. Unter 1000 Fremdbrocken fängt das Welsch nicht an, aber meist geht es in die paar tausend, bis zu 5000 und darüber, weit darüber.

Die Deutschverderber unter uns nenne ich Welscher und ich hoffe, dieses ins Herz der Sache treffende Wort an die Stelle des irreführenden Fremdwörtlers setzen zu helfen. Welscher ist nicht meine Schöpfung; Luther und seine deutschgesinnten Zeitgenossen nannten so die verkehrten Geister, die aus krankhaftem Dünkel in unverständlichen Zungen zu den einfältigen Gemütern redeten. Und wer in meiner Bezeichnung Welscher einen ›Mangel an Achtung‹ für diese Klasse von Schreibern erblickt, der sei gefragt: Welche Achtung gebührt Denen, die unsre Muttersprache verachten? Jawohl, ich verabscheue die Welscherei und ich wünsche mein Gefühl allen Lesern einzuflößen. Erfrechen sich unsre Welscher nicht gar, die Freunde reiner deutscher Sprache mit einem Hohnwort, natürlich einem lateinisch-griechischen, Puristen zu schimpfen? Wie in aller Welt soll ich denn die Verschmutzer deutscher Sprache richtig und nicht übergrob benennen? Wäre Schmutziane als Gegenwort zu Puristen unhöflich? Jean Paul schlug für die Sprachbemakler das Wort Makulisten vor; indessen auch dieses Fremdwort ist zu mild, bezeichnet nicht scharf genug, denn es handelt sich beim Welsch unsrer Welscher nicht um vereinzelte Makel, seltene Schmutzflecke. Die Griechen mit ihrem überfeinerten Sprachkunstsinn nannten jeden nicht Griechisch sprechenden Menschen Barbar. Ein Wort für die Griechen, die nicht Griechisch sprechen wollten, haben sie nicht geschaffen, denn solche Ungeheuerlichkeit war ihnen unausdenkbar.

Doch, eine Klasse deutscher Schreiber ist ihrer Muttersprache – bis jetzt! – treu geblieben: noch schreiben die deutschen Dichter mit seltenen Ausnahmen Deutsch, wenigstens wenn sie in Versen dichten oder in künstlerischer Prosa schaffen. Sie sind die einzigen Vertreter deutscher Bildung mit nur einer Sprache. Ihr Vorbild ist aber völlig wirkungslos, die andern Schreiber lernen von den Dichtern sprachlich nicht das geringste. Der deutsche Dichter, es klingt wie Wunder, vermag bis auf diesen Tag ausschließlich mit den Mitteln seiner Muttersprache die zartesten Regungen der Menschenbrust, die feinsten Farbentöne der Sinnenwelt auszudrücken, und jeder seiner Leser hält es für selbstverständlich, daß die deutsche Sprache ihm hierbei überall treulich zu Willen ist. Diese selbe unerschöpflich reiche Sprache jedoch versagt unsern tausenden von Welschern in der Prosa der Rede und Schrift in jeder Minute den Dienst.

Fremdwörterbücher

Pah, unsre paar Fremdwörter, oder doch meine paar Fremdwörter! sagt der Welscher. Ich hab' hier nur ein Amt und keine Meinung; ich streite nicht mit allgemeinen Redensarten, sondern mit unantastbaren Tatsachen, die sich in unerbittlichen Zahlen aussprechen. Deutschland ist das einzige Land der Welt mit Fremdwörterbüchern. Wir nehmen dies wie etwas Selbstverständliches hin, ohne zu bedenken, welche furchtbare Anklage in dem bloßen Vorhandensein solcher Bücher liegt. Um zu verstehen, was seine Volksgenossen ihm zu sagen haben, muß im eignen Vaterlande selbst ein leidlich gebildeter Deutscher ohne umfassende Kenntnis fremder Sprachen, müssen alle nicht fremdsprachlich gebildete Deutsche, müssen fast alle Frauen ein besonderes dickes Wörterbuch nachschlagen. Und was für Bücher sind das! In dem scheinbar vollständigsten Fremdwörterbuch, dem von Heyse, stehen gegen 125 000 Fremdwörter. In dem großen Fremdwörterbuch von Kehrein stehen auf 770 doppelspaltigen Riesenseiten über 80 000; in dem zweibändigen von Sanders über 100 000. Das ›gedrängte‹ Fremdwörterbuch von P. T. L. Hoffmann, neu bearbeitet und ergänzt von Th. Matthias, enthält mindestens 30 000 und nennt sich bescheiden ›Wörterbuch der gebräuchlichen Fremdwörter‹. Diese vier vollständigsten deutschen Fremdwörterbücher und alle übrigen sind durchaus unvollständig, denn sie enthalten nur wenige von den zehntausenden fremder Wörter, die sich aus Zusammensetzungen von Fremdwörtern mit deutschen Vorsilben – man denke z. B. nur an die zahllosen mit un- – oder mit deutschen Endungen ergeben. Ferner ›bereichert‹ der echte und gerechte Welscher sein Wunderwörterbuch beliebig durch lateinisches in oder griechisches a für un, unbekümmert, ob sich die Römer und Griechen in solchen Fällen dieser verneinenden Vorsilben wirklich bedient haben oder nicht. Der gewaltige Sprachschöpfer des Welsch beglückt mit seinen bequemen Wortbildungsmittelchen alle Wörterbücher der Welt, mit besonderer Vorliebe das französische, wie wir weiterhin sehen werden.

Ich selbst arbeite seit Jahren an einem kleinen Fremdwörterbuch, einem der wenigst dicken, zugleich insofern dem annähernd vollständigsten seiner Art, als ich ausschließlich solche Fremdwörter aufnehme, die ich in meinem erfahrungsreichen Leben als Reichstagsbeamter und Leser ungezählter Zeitungen und Bücher wirklich als gesprochen und geschrieben kennengelernt habe. Ich schätze die von mir aufgespießten gebräuchlichsten Fremdwörter auf 8000; indessen diese bescheidene Zahl verdoppelt sich durch Hinzurechnung der vorhin bezeichneten Zusammensetzungen und der von mir nur aufgeführten, aber nicht besonders erklärten selbstverständlichen Ableitungen.

Alle obengenannten Zahlen geben immer noch ein falsches Bild der in Deutschland herrschenden Zwittersprache. Zieht man in Rechnung, daß in jedem brauchbaren Fremdwörterbuch dem einzelnen Fremdwort durchschnittlich 3, 4 und mehr deutsche Gleichwörter gegenüberstehen, so ergibt sich selbst aus den kleinsten Fremdwörterbüchern ein wahrhaft grausiges Gesamtbild der Sprachverluderung in Deutschland, Deutschland über alles. Ich darf die Zahl der deutschen Ersatzwörter zu jedem Fremdwort in meinem demnächst erscheinenden Fremdwörterbuch auf durchschnittlich mindestens 5 schätzen. Was bedeutet diese Rechnung? Daß schon die gebräuchlichsten, die alltäglichsten Fremdbrocken, also mit Ausnahme der unzähligen Fachfremdwörter, in 5 × 8000, also in 40 000 Fällen die deutschen Ausdrücke verdrängt haben. Ist dies noch Fremdwörterei, oder ist dies nicht eine ausgebildete Fremdsprache neben der deutschen, inmitten der deutschen, ja vor der deutschen Sprache?

Ich bin mit meiner zahlenmäßigen Untersuchung der sprachlichen Zweizüngigkeit in Deutschland nicht zu Ende. Ich habe durch langsames Blättern in lateinischen, griechischen, französischen, englischen Wörterbüchern festgestellt, daß die Zahl der vom deutschen Welsch noch nicht aufgeschnappten fremden Wurzeln bei weitem geringer, ja schon in eine Ausnahmestellung gedrängt ist gegenüber dem Heer der eingewelschten wildfremden Wortkörper. Ich schlage z. B. das lateinische Wörterbuch unter C auf und setze der Reihe nach die auf einer Seite stehenden Lateinstämme her, die zu den Zierden des deutschen Welsch gehören: Comitium, comitor, commendabilis, commendator, commentarius, commentor, commentum, commercium, commilito, commissum, committo, commoditas, commodus. Ich schlage beliebig im P auf und schreibe ab: Praecipio, praecipito, praecipuus, praecisus, praecludo, praeconius. Ich schlage aufs Geratewohl im lateinischen R auf und setze her: Renitor, renovo, renuntio, reparo, repello, repercutio, repertor, repetitio, repeto, replico, repono, reporto, repraesento.

Soll ich aus dem griechischen Wörterbuch eine Seite mit ana-, eine andere mit kata-, eine dritte mit peri- hersetzen? Oder aus dem Französischen eine Seite mit re-? Mich nimmt Wunder, daß noch keinem jungen Sprachgelehrten der Gedanke gekommen ist, den deutschen Welschsüchtigen mit einem Verzeichnis solcher Fremdbrocken zu Hilfe zu kommen, die von der Welscherei bisher unbegreiflicherweise übersehen worden sind. Die ganze Sammlung würde ja in einem dünnen Heft Platz finden. Die Fremdwörterbücher von Heyse, Kehrein, Sanders, Hoffmann-Matthias sind zugleich ziemlich vollständige Wörterbücher der notwendigsten lateinischen, besonders küchenlateinischen, der griechischen, französischen, besonders der berlinfranzösischen Wörter, und sie erschließen tiefe Einblicke noch in ein halbes Dutzend andrer Sprachen.

Die von den deutschen Welschern geläufig gebrauchten zusammengesetzten Welschwörter mit lateinischem con ( com-, co-, coll-, corr-) füllen in dem vor 40 Jahren erschienenen Kehrein 43 große Spalten. Diese Masse hat sich seitdem noch ansehnlich vermehrt. Es gibt mindestens fünfmal soviel Welschwörter mit lateinischem re- wie deutsche mit rück- und wieder-. Der Welscher gebraucht bei weitem mehr Fremdbrocken mit lateinischem inter als deutsche mit zwischen. Das Welsch hat mindestens ebenso viele Welschereien mit lateinischem de-, wie deutsche Zusammensetzungen mit ab-; mindestens zehnmal so reichliches Gewelsche mit lateinischem dis-, wie deutsche Bildungen mit ent-, ant-, emp- zusammengenommen. Des deutschen Welschers anmutreiche Sprache kennt allein mehr Welschwörter mit lateinischem in- ( ill-, imm-, irr-), als sich in manchem deutschen Wörterbuch in dem ganzen Buchstaben I finden. Was sagt der Leser dazu, daß ich in mein sorgfältig ausgesuchtes kleines Fremdwörterbuch, das nur die wirklich und regelmäßig gebrauchten Welschereien enthält, 294 Fremdwörter mit in, ( ill-, imm-, irr-), 107 mit ex, 314 mit re, 75 mit prä, 153 mit pro, 372 mit kon, ( komm-, koll-, korr-, ko-), 205 mit de, 61 mit sub, ( suk-, suff-, supp-, sus-), zusammen 1581, aufnehmen mußte?

Noch darin wird fast allgemein geirrt, daß man sich die Welscherei als das Eindringen vieler, zu vieler einzelner Fremdwörter vorstellt. Die Zahl der vereinzelten, verwaisten Welschbrocken ohne Familienanhang ist sehr gering. Nein, sie rücken an in ganzen großen Sippen; sie kommen mit Kind und Kegel, was wörtlich zutrifft, denn ›Kind und Kegel‹ bedeutet die echt- und unechtbürtigen Kinder, Sie kommen in Herden und Horden; sie vermehren sich, wie es allem Ungeziefer eigen, von heut auf morgen ins Haufenhafte, Massenhafte. Sie nisten sich ein in alle wärmsten Lebensteile deutscher Sprache, deutschen Gedankens, deutscher Empfindung und saugen den eingeborenen Kindern deutscher Muttersprache das Lebensblut aus dem Wortgeäder. Kein Redeteil mehr ohne Gewelsche; nicht das Geschlechtswort, denn der Welscher wirft z. B. mit à la um sich, ein großer Germanist in Berlin mit › à la Karl der Große‹, ein Kunstschmock mit › à la Siegfried‹. Selbst in die Reihen der Ausrufswörter ist das Gewelsche seit mehr als hundert Jahren eingedrungen: bravo! da capo! pardon! allons! adieu!

Und nun sehe man sich die Hunderte von Welschwörtern an, die, einmal in irgendeinen Redeteil eingedrungen, sich wie ein fauliger Schwamm, wie ein krebsiges Geschwür über alle benachbarten Lebenszellen des deutschen Sprachleibes wuchernd ausstrahlen. Schüchtern hat sich zuerst das spätlateinische specialis in der verstümmelten Form special eingeschlichen. Schnell klebt sich dieser Geschwürskern fest und fester, saugt den deutschen Wörtern ›sonder, besonder, sonderlich, eigen, enger, fachlich, artlich, einzel‹ die Lebenssäfte aus, und bald gibt es nur noch special als Bandwurmkopf unzähliger Gebilde: Specialgeschäft, Specialhandel, Specialfrage, Specialidee usw. usw.

Die Geschwürzelle, der Schwammkern spaltet sich, er › differenziert‹ sich, denn es gilt, auch das Sprachgewebe des Umstandswortes ›besonders‹ zu verzehren. Aus special, das wenigstens noch küchenlateinisch war, spaltet sich ein keiner Menschensprache angehörendes speciell ab, und fortan ist alles Besondere ein Specielles, denn das Umstandswort speciell erzeugt aus sich ein nie dagewesenes Hauptwort: das Specielle.

Weiter geht die Wucherung, die Verschwammung, die Durchkrebsung des lebendigen Sprachgefüges. Es gab die Besonderheit, Sonderart, Sonderheit, das Sonderfach, Eigenfach, Leibfach, Hauptfach, Lieblingsfach, Sondergebiet, Leibgebiet, Hauptgebiet, Sonderfeld, den Sonderzweig, Sonderbetrieb, Hauptbetrieb, das Hauptgeschäft, Sondergeschäft, Steckenpferd, die Liebhaberei; – die ganz unklassisch lateinische, sprachlich verlumpte und verluderte Spezialität spreizt sich an ihrer Stelle, frißt sie auf und versperrt jeder Neuschöpfung den Weg. In den Schriften eigensinniger › Puristen‹ müssen sie ihr kümmerliches Leben zu fristen suchen. Immer weiter und breiter wuchert der Sprachschwamm und erzeugt, gespeist aus griechischen Welscherquellen, neue Herrlichkeiten: Spezialist, spezialistisch, spezialisieren. Nur einen Seitenblick werfen wir auf die näheren und ferneren Seitenlinien, auf spezifisch, spezifizieren, Spezifikation, Spezimen. Weiter reicht meine Herrschaft übers Küchenlatein nicht, und besondere Nachforschungen in Lamprechts, Sombarts, Simmels gesammeltem Gesudel zur Erweiterung meiner Kenntnisse anzustellen, muß ich mir bei der Kürze menschlichen Lebens versagen.

Mein Beispiel ist keines der reichsten; es gibt Wurzelschwämme und Wortkrebse von viel breiterer Verästelung des Stammbaumes, mit einem Heer von deutschen und welschen Vorsilben und Endungen, mit so zahlreichen und feinen Zwischenformen, daß man schon ein Spezialist der Welschkunde – oder Welschistik nach dem edlen Muster der Germanistik? – sein muß, um sie mit gebührender Achtsamkeit auseinanderzuhalten.

›Ist denn die deutsche Sprache vogelfrei, als eine Kleinigkeit, die nicht des Schutzes der Gesetze wert ist, den doch jeder Misthaufen genießt? Wie würde ein solches willkürliches, ja freches Umspringen mit der Sprache, wie heutzutage in Deutschland jeder Tintenklexer es sich erlaubt, in England, Frankreich, Italien aufgenommen werden?‹ Schopenhauer hat diese durchaus ungehörige Frage schon vor Menschenaltern gestellt, – ungehörig, denn der tiefe Denker hatte eben nicht bedacht, daß in Deutschland die deutsche Sprache seit Jahrhunderten in der Tat vogelfrei ist, keinerlei Schutz von irgend welcher zum Schutze berufenen Stelle genießt und in mehr als einer Hinsicht den neidvollen Vergleich mit dem gesetzlich geschützten Misthaufen nahelegt.

Das Welsch der Geistigen

In allen Ländern mit Feinbildung sind die geistigen Führer die Hüter und Vorbilder edler Muttersprache. Ein französischer Gelehrter, der nicht Französisch schreiben kann, wird unmöglich; einen französischen Gelehrten, der seine französische Muttersprache für unzulänglich zum Ausdruck seiner Gelehrsamkeit zu erklären gewagt, durch Wort und Tat, hat es in Frankreich nie gegeben. Die Französische Akademie ist der lebendige Ausdruck des Gedankens, daß die reine, aufs feinste ausgebildete Muttersprache das höchste geistige Besitztum des ganzen Volkes ist. In der von Leibniz verfaßten Stiftungsurkunde der Berliner Akademie der Wissenschaften heißt es über deren Aufgaben: › Was zur Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer anständigen Reinigkeit gereichet, absonderlich zu besorgen.‹ In der schroffen Erklärung eines jüngst verstorbenen Mitgliedes der Berliner Akademie gegen die Bestrebungen des Deutschen Sprachvereins hieß es im Jahre 1889: ›Pflege der Sprache beruht nicht vornehmlich auf Abwehr der Fremdwörter, die jetzt zum Gebot des Nationalstolzes erhoben wird.‹ Hier haben wir Geist und Sprache der deutschen Wissenschaft von heute über eine der tiefsten Fragen deutschen Volkstumes. Nicht gerüttelt werden dürfe an dem ragenden Babelturm der Welscherei, vor allem nicht etwa aus verächtlichem ›Nationalstolz‹, der nur so, nicht etwa deutscher Stolz, Vaterlandsstolz, vaterländischer Stolz, völkischer Stolz, Stolz aufs Deutsche heißen darf. In allen andern Ländern mit alten oder jungen Bildungssprachen fühlen sich alle Geistigen, also die Schriftsteller, die Gelehrten, die Redner, die Zeitungsschreiber, die Staatsmänner als Tempelhüter ihrer Sprachen; in Deutschland, allein in Deutschland, sind die geistigen Führer in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl die Tempelschänder und die Verführer. Nie würde der großen Masse des unverbildeten deutschen Volkes der aberwitzige Gedanke kommen, daß man nur mit Hilfe von vielen fremden Sprachen die Gegenstände und Einrichtungen des deutschen Lebens, die Gedanken und Gefühle der deutschen Seele erschöpfend und treffend ausdrücken könne, wenn solcher Aberwitz nicht durch Lehre und Beispiel der Geistigen über ganz Deutschland immerfort ausgestreut würde. Deutschland ist zwar der Hochsitz neuzeitlicher Sprachwissenschaft; vom innersten Kern jedoch aller Sprachweisheit: von der Sprache als einem lebendigen Gewächs, nicht einer gelehrttuenden Leimerei, hat selbst die Wissenschaft von deutscher Sprache, Germanistik geheißen, keine Ahnung. Wie dürften sonst deutsche Sprachforscher in einer Sprache schreiben, deren gleichen es in der 3000jährigen Geschichte menschlicher Zungen nie gegeben hat: in einer durch Tausende roh verstümmelter und vermanschter Fremdbrocken verunstalteten Unsprache?

Ich habe durch umfangreiche Untersuchungen, besonders durch die lange Arbeit an meinem Fremdwörterbuch, festgestellt, daß es in der Sprache deutscher Wissenschaft nicht einen einzigen Begriff mehr ohne sein Fremdwort gibt, und daß dieses Fremdwort bei weitem häufiger gebraucht wird als das deutsche. Ich habe auf einer mittleren Druckseite deutscher Gelehrsamkeit, wohlgemerkt nichtfachlichen Inhalts, z. B. in Büchern über deutsche Dichtung, deutsche Sitten, deutsches Volkstum, bis zu 40 Welschwörtern gefunden. Und so, nur wenig auf und ab schwankend, Seite für Seite. Ich habe Zeitungsblätter beliebig herausgegriffene, auf ihre Sprache geprüft, und habe z. B. in einem großen Berliner Blatte, das allerdings mit schnödem Hohn ›angebrachtermaßen‹ jedes völkische Streben nach reiner deutscher Sprache begeifert, in dem Herausgeberteil des vierseitigen Hauptblattes einer einzigen Morgennummer von 12 Spalten 257 Welschwörter gezählt, wobei solche, die leider einstweilen für unentbehrlich gelten müssen, wie Minister, Politik, politisch, liberal, Staatssekretär, nicht mitgerechnet wurden. Ich habe in dem amtlichen Bericht des Reichstags in einer einzigen zweistündigen Rede eines unsrer Staatslenker 292 Fremdbrocken gezählt, wiederum die sogenannten unentbehrlichsten nicht mitgerechnet. Nicht eines seiner Welschwörter sagte ein Jota mehr als jedes der vielen für jedes zahlreich zu Gebote stehenden ehrlichen deutschen Wörter. Démarche ist nicht mehr als Schritt; › absolut nicht aktuell‹ heißt auf deutsch: durchaus, ganz und gar, schlechterdings, überhaupt, unbedingt – nicht dringend, dringlich, brennend, eilig, zeitgemäß, an der Zeit, an der Tagesordnung, tagfällig, Tagesfrage, geht uns heute gar nichts an, nicht wichtig.

So, dies ist in einigen einleitenden Umrissen das Bild von Muttersprache, Mutterlaut, wie so wonnesam, so traut! Und nun zur Ausmalung dieses flüchtigen Bildes.

Das Welsch des deutschen Alltags

Ich will den Leser aus dem Bann eines ihn und alle Welt umnebelnden Irrtumes reißen: In der Drucksprache, besonders der gelehrten, herrsche freilich eine gewisse Fremdwörterei; im großen und ganzen aber spreche man doch in Deutschland ›bis auf einige Fremdwörter‹ Deutsch. Wir wollen einander nichts vortäuschen, auch ich dem Leser nichts durch mein Buch; denn alles Schreiben, nicht bloß das Dichten, ist Gerichtstag über uns selbst. Aus der Sprachlüge müssen und wollen wir endlich hinaus; der Wahrheit, so abstoßend sie sein mag, wollen wir mit ehrlichem Mut ins Gesicht blicken. Es ist nicht wahr, daß in Deutschland Deutsch gesprochen wird, so wie man in Frankreich Französisch, in England und Amerika, ja noch in dem sprachlich verlottertsten Neste Pennsylvanias, Englisch spricht. Ich gehe auf Grund meiner sorgsamen Forschungen noch einen Schritt weiter: die scheinbar verludertste deutsche Mundart, das Jiddisch der polnisch-russischen Juden, ist nicht so stark mit hebräischen und polnischen Fremdbrocken durchflickt wie die deutsche Durchschnittsrede in Deutschland mit Welschereien aus mindestens 4 Sprachen. Die Rede des deutschen Alltags ist verwelscht, je nach der Bildungsschicht mehr oder weniger, nämlich je ›gebildeter‹, desto verwelschter; aber ein Gespräch deutscher Menschen in reiner deutscher Sprache gibt es nicht. Die paar Ausnahmen, z. B. die meines Hauses, kommen gegenüber dem Millionengewelsche nicht in Betracht. Allerdings das deutsche Ohr ist durch die Gewöhnung von der Kinderstube her aufs Welsch, als die eigentliche deutsche Muttersprache, so fest eingestellt, daß es über die unaufhörliche Fremdstammelei wie über etwas Natürliches hinweghört. Man mache aber die kleinste Probe, wenn man sie zur Nachprüfung des Satzes: Die deutsche Alltagssprache der Gebildeten und Halbgebildeten ist Welsch, noch für nötig hält! Je ein Satz von Rede und Gegenrede mit zusammen etwa 5 Druckzeilen ohne ein Welschwort kommt im praktischen Leben nicht vor, allenfalls in der Theorie. Der Leser muß mir schon gestatten, daß ich ein Weilchen leutselig selber in der Sprache rede, die er und ich tagein tagaus um uns herum vernehmen. Ich exemplifiziere nicht nach alphabetischer Ordnung, sondern pêle-mêle. Ich halte mich auch nicht speziell an dieses oder jenes Metier, Profession, Fakultät, behandle meine Exemplifikationen ganz objektiv, kritisiere sie auch nicht im Detail, wobei einem doch immer eine gewisse Subjektivität passieren kann; abstrahiere von jeder historischen oder genetischen oder retrospektiven Analyse, sondern konstatiere nur die Fakten und schließe mit einer exakten Synthese.

Ich beginne prinzipiell und methodisch mit der Kinderstube, die merkwürdigerweise noch so und nicht Nursery heißt, wohl aber schon in den höheren sozialen Regionen Babyzimmer genannt wird, worin sich für einige Jahre, bis zum obligatorischen Schulbesuch, die Existenz des deutschen Baby abspielt. – Triumphierend unterbricht mich der Welscher mit einer frappanten Digression: Wie wollen Sie Baby vollkommen analog, homogen, adäquat, äquivalent, kongruent ›verdeutschen‹?, denn ihm ist es unfaßbar, wie deutsche Mütter all die 1900 Jahre seit den Tagen der Thusnelda ohne Baby auskommen konnten. Schüchtern nenne ich ihm einige deutsche Koseworte für Baby; aber keines ›deckt sich‹, keines ist inhaltlich identisch mit diesem Unikum voll intimster Prägnanz oder prägnantester Intimität, so daß unsre Diskussion oder Debatte oder Disput oder Colloquium in keinem Resultat kulminiert.

Im Babyzimmer sehen wir einen Milchkocher in Tätigkeit, aber das vornehme Ding heißt Soxhlet-Apparat und funktioniert. Oder es funktioniert nicht, weil es ramponiert, lädiert und nicht mehr intakt ist, also muß es prompt repariert werden. Ja solche kleine Malheurs passieren gelegentlich, und wenn nicht Remedur eintritt, so können sie sich eventuell zu einer wahren Kalamität auswachsen. Das Kindermädchen nämlich, – in gewissen sozialen Sphären die Bonne – hantiert und manipuliert den subtilen Apparat nicht akkurat und penibel genug, so oft man es ihr schon energisch expliziert hat. Man muß sie direkt mit der Nase drauf stoßen, denn sie ist wenig intelligent, ja sogar etwas borniert und obendrein, wie das bei solchen Individuen mit inferiorer Intelligenz passiert, arrogant, prätentiös, obstinat. Wäre sie nicht sonst ganz respektabel, so wäre effektiv mit ihr kein modus vivendi möglich. Indessen kleine Differenzen und Dissense gibt es überall, die tägliche Existenz in jedem Milieu ist au fond nur ein System von Kompromissen, kleine Dissonanzen oder Diskrepanzen und Divergenzen oder Disharmonien sind nicht ganz zu umgehen; man applaniert sie so diskret, kulant und konziliatorisch wie möglich, um nicht ein noch viel ärgeres Dilemma zu riskieren. Auf alle Fälle ist die Situation nicht beneidenswert; aber das ist eben der Revers der Medaille in allen sozialen Institutionen.

Trautes Heim, Glück allein! – aber bitte, nicht ohne Latein, nicht ohne Französisch und, schon des Comforts wegen, nicht ohne Englisch. Das traute Heim basiert auf einem soliden Fundament, hat mehre Etagen, deren eine in Berlin, dem Zentrum der Intelligenz und der Intellektuellen, Belletage heißt; hat eine pompöse Fassade, deren Konstruktion auf der Skizze eines Architekten, einer Autorität, einer Kapazität, ja einer Koryphäe seines Faches beruht. Die Risalite zeigen ein energisches Profil, die Balkone und Loggien kontrastieren frappant mit den wuchtigen Pilastern; indessen der ästhetische Totaleffekt ist doch der einer architektonischen Harmonie, und das ist das Punctum saliens aller Fassadenästhetik.

An der Portierloge vorbei gelangen wir zum Vestibül im Parterre, von dort ins Entree des Hoch parterres und durch einen kurzen Korridor in den Salon, dessen Plafond in Kassettenform durch sehr diskret installierte und kaschierte Transparentlampen beleuchtet wird. – –

Ich unterbreche dieses Gewäsch, das ja nur dadurch so unerträglich öde und blöde wirkt, wirken soll, weil ich den sonst über einen etwas größern Raum verstreuten Sprachkehricht hier auf einen kleinen Hümpel fegen muß. Ich unterbreche mich aus Objektivität, um dem Welscher die Möglichkeit eines energischen Protestes und eines prägnanten Gegen argumentes zu geben. Es lautet: Alle von dir in maliziös subjektiver Akkumulierung herausgesuchte ›vereinzelte Anleihen bei der internationalen Kultursprache‹ werden doch nur in ganz exzeptionellen Fällen angewendet, um der Konversation die Nuance eines kosmopolitischen Kolorits zu geben; das Normale ist doch das deutsche Wort.

Wie soll man höflich bleiben und dennoch dem Welscher der Wirklichkeit gemäß erwidern: Das ist nicht wahr!? Es ist nämlich ganz und gar nicht wahr; vielmehr hat die Wahrheit zu lauten: in Hunderten, in Tausenden, jawohl in Tausenden von Fällen des alltäglichen Lebens, um gar nicht von der Sprache der Wissenschaft zu reden, hat längst das Welschwort sich den Vorrang vor dem Deutschen erobert. Zehnmal so oft wird Resultat gesagt wie: Ergebnis, Endergebnis, Folge, Erfolg, Ertrag, Ernte, Frucht, Wirkung, Ausbeute, Gewinn, Errungenschaft, Ausfluß, Ausgang, Ende, Ende vom Liede, Endzahl usw.; Stadium (in diesem Stadium, die Sache befindet sich in dem Stadium) wie: Stufe, Staffel, Zeitpunkt, Lage, Sachlage, Abschnitt, Stand, Zustand, Verfassung usw.; Transport wie Versand, Beförderung, Ladung, Fahrt, Reise, Fahren, Abfahren, Fracht, Schub, Fuhre, Ladung, Verkehr, Verbringen, Überführung, Rollgeld, Verschiffung, Zufuhr, Abfuhr usw.; Transit statt Durchgang; Export für Ausfuhr, Import für Einfuhr; informieren für unterrichten, belehren und 20 andre; eruieren für ermitteln, erforschen und 30 andre; Illusion für Täuschung, Einbildung, leere Hoffnung und 40 andre. Zehnmal öfter ist man au fait oder au courant, als mit einem der mindestens 10 guten deutschen Ausdrücke gesagt werden kann. Zehnmal so oft ist eine Sache fatal wie unangenehm, peinlich, Pech. Zehnmal so oft wie vor einer vollendeten Tatsache steht man vor einem fait accompli. Zehnmal so oft sagt und druckt man Lokal wie Ort, Raum, Räumlichkeit, Örtlichkeit, Saal, Zimmer und unendlich viel andres. Wie selten liest man das Wort Staatsmann im Vergleich mit Politiker; staatmännisch, klug, vorsichtig, vorausschauend, und was nicht sonst, im Vergleich mit politisch? Es gibt fast nur noch eine Initiative, vereinzelt nur die Entschlußkraft, Anregung, den Anstoß, Antrieb, das Vorgehen, Anbahnen; und die meisten menschlichen Unternehmungen werden energisch entriert, inauguriert und lanciert, selten nur kraftvoll ins Werk gesetzt.

Wie verhält sich der Welscher sprachlich zu etwas Neuem? Natürlich welschend, denn die armselige deutsche Sprache reicht ja nicht einmal entfernt hin zur Bezeichnung der uralten Urbegriffe. Was soll man mit einem so mangelhaften Gedanken vehikel anfangen gegenüber der Fülle der täglich auf uns, besonders auf das sozial und intellektuell feiner differenzierte Individuum eindringenden neuen Produkte menschlicher Theorie und Praxis und Technik? Zunächst ist der Begriff des Neuen an sich für den Welscher etwas nur auf Latein, Küchenlatein, Apothekergriechisch und Französisch völlig ›deckend‹ Wiederzugebendes. Der gelehrte Welscher sagt Novum (›Lessing mußte mit einem Novum kommen‹, ›Diese Verordnung ist ein Novum‹); der welschende Buchhändler oder Theatermann sagt Novität; der welschende Kommis für Modes, Manteaux, Konfektion, Lingerie kennt nur Nouveautés, in feierlichen Fällen Hautes Nouveautés. Das Drollige hierbei ist, daß der gelehrttuende Welscher sein Novum für äußerst vornehm hält, naserümpfend auf die Novität, verachtungsvoll auf die Nouveauté hinabblickt.

Aber, wendet mir der bescheidnere Welscher, der harmlose Gewohnheitswelscher ein, das Fremdwort ist gewiß nicht besser als das deutsche, jedoch es kommt mir als das bequemere in den Mund und in die Feder. Mit solch einem verhältnismäßig unschädlichen Fremdbröckler in Wort und Schrift läßt sich gemütlich reden, denn er versteift sich nicht bockig auf sein ›unersetzliches‹ Gewelsche, bildet sich nichts drauf ein, schwafelt nichts vom ›nicht decken‹; sondern bekennt freimütig, oft reumütig, daß er sich seiner Welscherei schämt, aber nicht Herr über eine allzu lange schlechte Gewöhnung ist. Mit dem gelehrten oder scheingelehrten Welscher ist jeder Streit fruchtlos, sintemalen jedes einmal von ihm hingeschmierte Welschwort für das Resultat sorgsamster Auswahl nach stilistischen Prinzipien erklärt wird, mit dem sich keins von den 20 guten deutschen Wörtern ganz kongruent ›deckt‹. Nämlich das deutsche Wort muß sich mit dem Welschwort, dem Erstgeburtswort des Welschers, decken, um in der deutschen Sprache zugelassen zu werden!

Dem bescheidenen Welscher sage ich: Das ist ja das Elend, daß deine geistigen Erzieher und Führer dich sprachlich so früh und so lange verwildert haben, bis dir das Welschwort zuerst und bequemst in den Sinn und in die Feder kommt. Du bist ein lebender Beweis für die Doppelsprachigkeit Deutschlands, ein vernichtender Ankläger aller Derer, die dich und deinesgleichen sprachlich in Grund und Boden verderbt haben.

Doch nun zurück ins traute deutsche Heim! Wir sehen uns, bis die Dame erscheint und die Honneurs des deutschen Hauses macht, ein wenig im Salon um, wobei wir uns sehr gebildet erinnern, daß ein gemalter Salon noch vornehmer Intérieur heißt. Wir denken dabei an die Schwierigkeit, solch vornehmes Ding als Mehrzahl zu behandeln, und schwanken zwischen Änkteriöhr mit stummem s und Änkteriöhrß mit gesprochenem s. Doch ehe wir noch dieses komplizierte Problem der deutschen Psyche gelöst haben, und während wir noch in die Betrachtung der Bibelots auf Etagèren und in Vitrinen, auf der Kommode, über der Causeuse versunken sind, wird die graziöse Figur der Dame des Hauses zwischen den Stores der Portière vom Boudoir zum Salon sichtbar. Sie nötigt mich nach einem kordialem Shakehand auf ein Tabouret, setzt sich selbst in einen der Fotöllchß, und die Konversation beginnt. Mir werden Elogen und Komplimente wegen meines Talentes als Causeur gemacht; unsre Konversation dreht sich zuerst um den braven Onkel, der sich so gut konserviert hat, geht über auf die interessante, elegante, scharmante, zuweilen medisante, pikante Tante, die in allerlei poetischen Experimenten und Velleitäten dilettiert; auf den patenten, aber trotzdem profund gelehrten Cousin, der demnächst promovieren, sich alsdann habilitieren und komparative Philologie dozieren will; kommt dann diskret und mehr indirekt, sub rosa, auf eine entfernte Cousine, von der die Médisance eine ganze Chronique scandaleuse kolportiert, – aber man darf auf solches On-dit nichts geben –, und landen instinktiv bei der letzten Première im Cines, oder im mondänen artistischen Spezialitätenkabarett.

Die Dame des Hauses war auf der Höhe der Situation, kannte das ganze Repertoire