Sprichst du Fußball? - Tom Williams - E-Book

Sprichst du Fußball? E-Book

Tom Williams

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Riva
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Dieses Glossar der einzigartigen Fußballbegriffe aus aller Welt dokumentiert die skurrile und wunderbar kreative eigene Sprache, die von Fans, Kommentatoren und Spielern auf der ganzen Welt verwendet wird. Von einem platzierten Schuss dorthin, »wo die Eule schläft«, (ins obere Eck des Tores) in Brasilien bis zum »Schokoladenbein« eines einseitig begabten Spielers in den Niederlanden ist dieses umfassend recherchierte Buch unterhaltsam und lehrreich zugleich. Der Leser erfährt, warum Dundee-United-Fans in Nigeria einen schweren Stand haben und was Bambi auf dem Eis mit Fußball zu tun hat. Mit über 700 Begriffen aus 89 Ländern ist es das ultimative Wörterbuch für die globale Sprache des Fußballs.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 413

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



TOM WILLIAMS

SPRICHSTDUFUSSBALL?

TOM WILLIAMS

SPRICHSTDUFUSSBALL?

Einzigartige Fachbegriffe aus aller Welt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

1. Auflage 2019

© 2019 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die englische Originalausgabe erschien 2018 bei Bloomsbury Publishing Plc. unter dem Titel Do You Speak Football? © 2018 by Tom Williams. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Nikola Basler

Redaktion: Matthias Teiting

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt auf Basis des Originalumschlags

Umschlagabbildung: Getty Images

Layout: Carsten Klein

Satz: Carsten Klein

Illustrationen: Dan Leydon, (danleydon.com) 2018, Terdpongvector/freepik.com

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-0836-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0475-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0476-3

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

EINFÜHRUNG

SÜDAMERIKA

Es ist angerichtet – die Verbindung zwischen Fußball und Essen

NORD- UND MITTELAMERIKA

So gut wie unhaltbar – Terminologie zur oberen Ecke

EUROPA

Durch die Beine – Tunnel und andere Wege

AFRIKA

Katastrophale Keeper – Das ABC der Ausrutscher

ASIEN

Naturtalente – Wendungen aus dem Tierreich

AUSTRALASIEN

DANK

Für meinen Vater,der mir die Liebe zum Fußball vererbt hat,und für meine Mutter,die Fußball nicht leiden kann.

»Wer fremde Sprachen nicht kennt,weiß nichts von seiner eigenen.«

Johann Wolfgang von Goethe

EINFÜHRUNG

Fußball versteht doch jeder. Stimmt – Fußball schauen oder Fußball spielen geht ohne Worte und Fachvokabular. Aber wie sieht es aus, wenn wir über Fußball sprechen? Wissen Sie, was ein Italiener meint, wenn er Ihnen aufgeregt berichtet, der Spieler habe das Tor »mit dem Löffel« geschossen? Warum einem Ukrainer das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn von einem »Keks mit Rosinen« die Rede ist? Warum es alles andere als eine Ehre ist, von einem Nigerianer als »Dundee United« bezeichnet zu werden?

Was auf den schlammigen Fußballfeldern im viktorianischen England begann, wurde im Laufe der Geschichte zu einem Sport, der überall auf der Welt die Herzen höherschlagen lässt. Jedes Land hat inzwischen seine eigene Fußballgeschichte, und jede Nation blickt durch das einzigartige Prisma der Sprache auf ihre ganz eigenen Erlebnisse mit diesem wunderbaren Sport. Folgt man dem Blick durch eines dieser Prismen, wird Fußball plötzlich schräg, witzig und völlig überraschend.

Durch die spanische Fußballsprache ziehen sich Spuren des Stierkampfes. Die englische Fußballsprache ist vom Cricket geprägt, im amerikanischen Fußball schimmern Football, Baseball und Basketball durch. Auch Tiere galoppieren, kriechen und fliegen überall durch die Welt des Fußballs: in Finnland sind es Bären, in Kenia Schlangen, in Indonesien Elefanten, in Brasilien (überraschenderweise) Zebras. Was im Deutschen der Hechtkopfball ist, heißt in Argentinien die »kleine Taube«. Im indischen Bundesstaat Kerala wird ein besonders gewiefter Stürmer mit einer nur dort vorkommenden Fischsorte verglichen.

Ein technisch nicht unbedingt versierter Spieler hat in Brasilien ein »Holzbein«, in Paraguay einen »Holzfuß«; in Serbien besteht ein solcher Spieler gleich ganz aus Holz. Ein wuchtiger Verteidiger ist in Spanien ein »Schrank«, in Tansania ein »Vorhängeschloss« und in Saudi-Arabien ein »Sicherheitsventil«.

Heim und insbesondere Herd bieten einen unerschöpflichen Vorrat an Metaphern. Je nach geografischer Lage wird ein spektakulärer Weitschuss mit einer Banane, einer Gurke, einer Kartoffel oder einem Croissant verglichen. Versucht sich ein Holländer mit seinem schwächeren Fuß an einem Schuss, hat er sein »Schokoladenbein« genommen. Seit Roy Keane gehören in Großbritannien allzu passive Fans der »Krabbenbrötchenbrigade« an (da sie diese auf den Rängen verspeisen, anstatt ihrer Mannschaft zuzujubeln). Im weltweit für seine feine Küche berühmten Frankreich heißt ein perfekter Steilpass, der sozusagen als mundgerechtes Häppchen serviert wird, un caviar.

Fußballsprech speist sich aus vielen Quellen. Ein ganzer Schwung an Wendungen stammt direkt von den Bolzplätzen dieser Welt. Andere Wortschöpfungen verdanken wir einzelnen Spielerlegenden, berühmt-berüchtigten Begebenheiten oder besonders spektakulären Torschüssen. Oft schwingt das Echo von einflussreichen Sportjournalisten und Kommentatoren mit, wie im Fall von Ricardo Lorenz Rodríguez, meist Borocotó genannt, der als Leiter der Sportzeitung El Gráfico die argentinische Sicht auf den Fußball der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. Oder Gianni Brera, der die Landschaft des italienischen Nachkriegsfußballs vermessen hat – vom Schaft bis zur Spitze des Stiefels.

Jede Fußballkultur unter der Sonne hat einen Ausdruck für die höchste aller Demütigungen, nämlich das Durchschieben des Balles durch die Beine des Gegners: Was im Deutschen der Tunnel ist, heißt in der englischsprachigen Welt »Muskatnuss« und panna (»Pforte«) bei den Holländern. Wiederum woanders spricht man von »Ei«, »Brücke«, »Kuli«, »Geige«, »Salat« oder »Gurke« – um nur einige Beispiele zu nennen. Ähnlich sieht es bei der oberen Ecke aus (die oft irgendetwas mit Spinnen oder Spinnweben zu tun hat) oder bei wackligen Torhütern (»Salathand« bei den Brasilianern, »Grützfinger« bei den Esten, »fliegender Büffel« bei den Türken).

Schiedsrichter bekommen überall verbal auf die Mütze. Ein Unparteiischer, dem unterstellt wird, nicht ganz unparteiisch zu sein, erhält in China den Titel einer »schwarzen Pfeife«. In Malaysia muss sich ein solcher Schiedsrichter als »Hornochse« bezeichnen lassen. Regen sich Fans in der Sowjetunion über die Leistung eines Schiedsrichters auf, wollen sie ein Stück Seife aus ihm machen – eine etwas makabre Anspielung auf die sowjetische Praxis, tote Straßenhunde in der Kosmetikindustrie zu verarbeiten.

Einige Länder, darunter Italien, Spanien und Russland, sprechen von »Poker«, wenn ein Spieler den Ball in einem Spiel viermal im Netz versenkt. Für den Ball selbst gibt es endlos viele Umschreibungen, wobei die Südamerikaner hier größere Poeten sind als die Europäer. Was in Europa in weiten Teilen standardmäßig als »das Leder« bezeichnet wird, heißt zum Beispiel in Brasilien gorduchinha – »kleines Dickerchen«.

Mittlerweile beeinflusst natürlich auch das Internet die Entstehung von neuen Begriffen, was unter anderem dazu geführt hat, dass neue Wortschöpfungen wieder verstärkt auf Englisch geprägt werden. Großbritannien hat einst das sprachliche Fundament des Fußballs zementiert (corner, free-kick, offside, sogar das Wort football), den Rest der Spracharbeit dann aber von anderen Kulturen machen lassen (rabona, panenka, sombrero). Jetzt, wo Englisch die Lingua Franca des Internets geworden ist, kehrt die Muttersprache dieses schönen Sports wieder auf die Baustelle zurück.

Das Phänomen zeigt sich vor allem im Fußball-Freestyle und im Straßenfußball. Dort tragen die neuen Tricks und Moves – die zu tausendfach geklickten YouTube-Videos zusammengestellt und über die sozialen Netzwerke verbreitet werden – seit 15 Jahren hauptsächlich englische Namen. Spielereien wie mouse trap, air akka und mesmomeg sind selbst für die begnadetsten Top-Spieler zu ausgefeilt, um sie je auf dem Rasen anwenden zu können. Trotzdem beginnt mit ihnen ein neues Kapitel in der sprachlichen Entwicklung des Fußballs, in dem Elemente der zukünftigen Fußballsprache schon vorhanden sind und nur darauf warten, dass der Sport sie übernimmt.

Da Fußballfans es bei der Sprache, mit der ihr Sport beschrieben wird, ganz besonders genau nehmen, soll noch einmal angemerkt werden, dass manche der hier aufgeführten Begriffe in anderen Ländern oder Regionen eine abweichende Bedeutung haben. Sprache wabert wie Nebel über die Grenzen, und alle Länder stibitzen sich wie die Elstern einzelne Wendungen von ihren Nachbarn. Es sind also oft auch praktische Gründe, aus denen einige Wörter und Wendungen unter der Flagge gerade dieses und nicht des angrenzenden Landes geführt werden.

Ein Großteil der spanischen Fußballsprache ist zum Beispiel auch den Südamerikanern vertraut, und umgekehrt. Genauso überschneidet sich das Fußballvokabular in Portugal und Brasilien, in Belgien und den Niederlanden, in Frankreich und den französischsprachigen Ländern Afrikas, in Großbritannien und den ehemaligen Kolonien sowie in den vielen Ländern der arabischsprachigen Welt.

Diese Zusammenstellung erhebt gar nicht erst den Anspruch eines vollständigen Glossars. Die Leserinnen und Leser sind herzlich eingeladen, sich dem Hashtag #doyouspeakfootball anzuschließen und dort zu ergänzen, was hier fehlt. In diesem Buch soll vor allem ein Eindruck davon vermittelt werden, wie viel und wie vielseitig auf der ganzen Welt über Fußball gesprochen wird. Fußball zu sprechen bedeutet, eine aus tausend Sprachen bestehende Sprache zu sprechen.

Tom Williams@tomwfootball

SÜDAMERIKA

Jene lebendige Mischung aus Lärm, Farben und Talent, auch bekannt als südamerikanischer Fußball, umfasst einfach alles: die stählerne Listigkeit Argentiniens ebenso wie die quirlige technische Versiertheit Brasiliens. Uruguays Olympiasieg 1924, die sagenhafte brasilianische Elf, die den Sport bei der WM 1970 auf bis dato unbekannte Höhen hob – der Fußball verdankt Südamerika einige der großartigsten Mannschaften und mit Männern wie Pelé, Diego Maradona, Ronaldo und Lionel Messi auch einige der begabtesten Spieler.

In den meisten Ländern Südamerikas ist als Hinterlassenschaft der spanischen Kolonialisierung Spanisch die Amtssprache, aber da Brasilien derart viele Einwohner hat (bei der letzten Zählung waren es 208 Millionen), ist Portugiesisch die meistgesprochene Sprache des Kontinents.

ARGENTINIEN

Was macht argentinischen Fußball aus? Auf jeden Fall das Dribbling. Ein perfekter Steilpass. Ein Aufbrausen. Aber auch ein feines Sticheln. Ein heimlicher Handball. Rauch und Asche, Konfetti und Klopapier, Gift und Gewalt. Blut auf der Tribüne, Poesie auf dem Rasen.

Der Fußball hat sich früh auf den Weg nach Argentinien gemacht. Das erste verbriefte Spiel fand weniger als vier Jahre nach Festschreibung der Regeln durch die English Football Association im Jahr 1863 statt. Damit war Argentinien dem benachbarten Brasilien fast 30 Jahre voraus. Hauptsächlich lag dies an den vielen britischen Einwanderern in Argentinien – 1880 lebten um die 40 000 Briten in Buenos Aires –, wobei die heimischen Fußballer in den folgenden Jahrzehnten versuchten, den britischen Einfluss abzuschütteln und einen eigenen Stil zu entwickeln.

Im Ergebnis entstand eine herrlich expressive, aber im Innersten auch verschlagene Version des Sports, und mit ihr kam, Hand in Hand mit der Einführung des Spiels in Uruguay, eine Sprache daher, die zur Grundlage des Fußballjargons eines ganzen Kontinents wurde.

aguante – Ausdauer

Von dem spanischen Verb aguantar – »aushalten«, »ertragen« – abstammend, beschreibt aguante die Standhaftigkeit von Fans, die ihrem Verein auch in schlechten Zeiten beistehen, egal, wie lange diese andauern. Im Gegensatz dazu sind Fans, die sich von den Spielern abwenden, sobald die Ergebnisse anders ausfallen als gewünscht, amargos (»bitter«).

anti-fútbol

Nachdem Argentinien im Campeonate Sudamericano 1957 dem Himmel nahe gekommen war (der elfte Erfolg in diesem Turnier und der fünfte allein in den vergangenen zwölf Jahren), reiste die Mannschaft im darauffolgenden Jahr zur WM nach Schweden, mit der festen Absicht, zum ersten Mal den Pokal zu gewinnen. Stattdessen erlebte die schlecht organisierte Mannschaft eine wahre Katastrophe und wurde von der Tschechoslowakei mit 6:1 in Helsingborg schon eine Woche nach Turnierbeginn nach Hause geschickt. Das Ausscheiden in der Gruppenphase und die damit verbundene Demütigung veränderten den argentinischen Fußball von Grund auf. Wo einst Idealismus geherrscht hatte, machte sich jetzt Zynismus breit. Nirgends zeigte sich die neue Einstellung so deutlich wie in der berühmt-berüchtigten Mannschaft der Estudiantes de la Plata aus den späten 1960er-Jahren. Unter dem Erz-Pragmatiker Osvaldo Zubeldía nahm das Team aus La Plata die etablierte Rangordnung auseinander und gewann 1967 die Liga, um danach dreimal hintereinander bei der Copa Libertadores zu triumphieren. In die Geschichte eingegangen ist die Mannschaft allerdings weniger wegen ihrer Erfolge, sondern wegen ihrer Brutalität. Estudiantes war zu allem bereit, um sich gegen die gegnerischen Spieler durchzusetzen, einschließlich physischer Gewalt und kalten, sorgfältig geplanten psychologischen Schmähungen. Es kursierte sogar das Gerücht, einige Spieler hätten Nadeln auf den Platz mitgebracht. Der Stil von Estudiantes, besonders eindrücklich demonstriert bei zwei Intercontinental Cups, wurde als anti-fútbol bekannt. Bobby Charlton und Denis Law mussten genäht werden, nachdem sie 1968 mit Manchester United gegen Estudiantes aufgelaufen waren, und George Best und José Hugo Medina wurden während des Rückspiels in Old Trafford vom Platz geschickt, weil sie mit den Fäusten aufeinander losgegangen waren. Paddy Crerand, Mittelfeldspieler von ManU, beschrieb Estudiantes als »die dreckigste Mannschaft, gegen die ich je gespielt habe«. Im darauffolgenden Jahr kam es bei einem Rückspiel gegen den AC Mailand in Buenos Aires zu weiterer Gewalt, woraufhin zwei Spieler von Estudiantes de la Plata des Platzes verwiesen und Aguirre Suárez, Eduardo Manera und Keeper Alberto Poletti zu 30 Tagen Gefängnis verurteilt wurden. Poletti erhielt zudem auf Lebenszeit Platzverbot, weil er auf Mailands Goldjungen Gianni Rivera eingedroschen hatte; er wurde später allerdings wieder zugelassen. Das Spiel gegen den AC Mailand ging als la vergüenza de La Plata (»die Schande von La Plata«) in die Geschichte ein und trug eine Teilschuld daran, dass einige europäische Mannschaften sich in den nächsten Jahren weigerten, für den Pokal aufzulaufen. Heute gilt der Ausdruck anti-fútbol für Mannschaften, die einerseits defensiv mauern, andererseits auf dreiste Art versuchen, das Spiel kaputtzumachen. Zum Beispiel hat Lionel Messi die Glasgow Rangers des anti-fútbols bezichtigt, nachdem sie Barcelona in der Champions League im Oktober 2007 in Ibrox auf ein 0:0 festgenagelt hatten.

Siehe auch:

bunker

(USA),

zaburkvam betona

(Bulgarien),

den Bus parken

(England),

catenaccio

(Italien),

Cholismo

(Spanien)

banderazo – große Fahne

Eine große, im Vorhinein geplante Unterstützungsmaßnahme für einen Spieler oder eine Mannschaft, bei der große Fahnen geschwenkt und Leuchtraketen gezündet werden.

barras bravas – wilde Horden

Ein Name für die gewalttätigen Fanclubs, deren Einfluss sich tentakelartig durch alle großen argentinischen Vereine zieht. Barras bravas bestehen zum einen aus gekaufter Muskelkraft, zum anderen aus Mafia-Gangs. Sie sind gut vernetzt mit Teilen der Vereinsführung, korrupten Polizisten und lokalen Politikern und verdienen beträchtliche Summen mit illegalen Aktivitäten wie der Abzocke von Tickets oder Parkplätzen sowie Geldwäsche und Drogenhandel. Die Gewalt zwischen den Fanclubs der rivalisierenden Vereine hat seit Aufkommen der barras in den 1950er-Jahren mehrere Hundert Leben gekostet; in den vergangenen Jahren kam es allerdings immer häufiger zu Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Fraktionen innerhalb der Clubs, bei denen es um die Kontrolle über die jeweiligen Geldströme ging.

Siehe auch:

torcedores

(Brasilien),

ultràs

(Italien),

fanaty

(Russland)

bicicleta – Übersteiger

Der Übersteiger – bei dem ein Spieler einen Fuß über den Ball setzt und damit einen Richtungswechsel antäuscht – gehört zu den Klassikern unter den Finten. Gerüchten zufolge hat ihn der argentinische Flügelstürmer Pedro Calomino erfunden, der im Juni 1911 zum ersten Mal für Boca Juniors antrat. Calomino, eines der ersten Idole von Boca, spielte in Turnschuhen, weil er Fußballschuhe nicht leiden konnte, und verhalf dem Verein zu vier Ligapokalen. Für seine la bicicleta genannte Finte, sein Markenzeichen, wurde er von den Fans bejubelt und von den gegnerischen Außenverteidigern gehasst. Amedeo Biavati, Flügelstürmer für den FC Bologna und die italienische Nationalmannschaft, machte die Technik in Italien bekannt, wo sie in den 1930er-Jahren als doppio passo (»Doppelschritt«) in die Geschichte einging. In jüngerer Zeit haben Spieler wie Ronaldo, Denílson, Robinho und insbesondere Cristiano Ronaldo, der das Publikum mit dem schwindelerregenden Konzept des Mehrfach-Übersteigers bekannt gemacht hat, der bicicleta zu neuem Ruhm verholfen.

Siehe auch:

pedaladas

(Brasilien),

khawya f amra

(Marokko),

caap waa

(China),

marwaha

(Saudi-Arabien)

Bilardismo

Carlos Bilardo, auch El Narigón (»der Zinken«) genannt, war einer der Vollstrecker im Mittelfeld der Estudiantes de la Plata unter Osvaldo Zubeldía (die erwähnten Gerüchte über mit Nadeln bewaffnete Spieler rankten sich hauptsächlich um ihn). Als er die Fußballschuhe 1970 an den Nagel hängte, löste er Zubeldía als Manager ab. 1983 wurde er Trainer der Nationalmannschaft, die er mit den Prinzipien des anti-fútbol vertraut machte. Sein Vorgänger César Luis Menotti, dem Argentinien den Triumph bei der Weltmeisterschaft 1978 verdankte, war ein Idealist. Bilardo war das Gegenteil. Seine Worte: »Beim Fußball geht es ums Gewinnen und sonst gar nichts.« Immerhin war es sein innovatives 3-5-1-1-System, das Diego Maradona den Freiraum gab, Argentinien bei der WM 1986 in Mexiko zum Ruhm zu führen. Unter Bilardo schaffte es Argentinien vier Jahre später sogar ein weiteres Mal ins Finale, verlor aber in einem erbärmlichen Spiel, bei dem zwei Spieler vom Platz gestellt wurden, 1:0 gegen Westdeutschland. Seitdem stehen sich die Ideologien dieser beiden Trainer und WM-Sieger unvereinbar gegenüber, und jeder Trainer, der in ihre Fußstapfen tritt, wird unweigerlich in das Spannungsfeld Bilardismo-Menottismo eingeordnet.

Siehe auch:

Menottismo

(Argentinien)

boba – Drag-Back

Als einer der zahlreichen Spieler, die mit dem Titel »Neuer Maradona« geschlagen waren, gelang es dem auch für den FC Portsmouth kickenden Andrés D’Alessandro immerhin, den Fußball um ein Täuschungsmanöver zu bereichern. Bei seiner la boba (wörtlich »die Idiotin«) getauften Finte stellt er den linken Fuß auf den Ball, rollt das Leder nach links und sofort wieder zurück, um dann loszusprinten. Nichtsahnende Verteidiger fallen auf die erste demonstrative Ballberührung herein und stehen dann dumm da – umso mehr, da auf la boba gern ein Tunnel folgt.

botineras – Spielerfrauen

Eine botinera ist das argentinische Pendant zur deutschen Spielerfrau und bezeichnet also die Ehe- und/oder Lebenspartnerinnen von Profifußballern. Die Bezeichnung kommt von botín (»Stiefel«), was den Damenschuh mit Absatz genauso wie den Fußballschuh mit Nocken meinen kann. Botineras war außerdem der Titel einer Soap, die 2009 und 2010 im argentinischen Fernsehen ausgestrahlt wurde.

cinco – Fünf

Wie überall auf der Welt setzte sich auch in Argentinien das 4-2-4-System durch, nachdem Brasilien damit bei der Weltmeisterschaft 1958 durchschlagende Erfolge erzielt hatte. Bis dahin war ein altmodisches 2-3-5 der Standard gewesen. Die zwei Flügel (mit den Trikotnummern 4 und 6) fielen jetzt zurück, um eine Viererkette zu bilden, während der Mittelläufer (mit der Trikotnummer 5) von seiner Position aus verteidigte. Die cinco ist in Argentinien also ein defensiver Mittelfeldspieler. Die Liste der Großen, die dieses Trikot auf internationaler Ebene getragen haben, führt Namen wie Luis Monti, der für Argentinien und Italien spielte, Néstor »Pipo« Rossi, wegen seiner lautstarken Organisationsarbeit auf dem Rasen auch »die Stimme« genannt, oder der unvergleichlich elegante Fernando Redondo, ehemals Mittelfeldspieler bei Real Madrid. Bei der WM 1978 meinte Argentinien – wie sonst nur bei zwei anderen Gelegenheiten –, die Aufstellung alphabetisch organisieren zu müssen, womit die 5 an Keeper Ubaldo Fillol ging. Als Manuel Pellegrini in seiner Zeit als Trainer von San Lorenzo und River Plate zu einem System mit zwei defensiven Mittelfeldspielern überging, wurde die Aufstellung doble cinco (»Doppelfünf«) getauft. Der Begriff cinco grandes (»die großen Fünf«) bezieht sich wiederum auf die fünf großen Vereine des Landes: River Plate, Boca Juniors, Independiente, Racing Club und San Lorenzo.

Siehe auch:

volante

(Brasilien),

Makélélé role

(England),

pihkatappi

(Finnland),

sentinelle

(Frankreich),

stofzuiger

(Niederlande),

trinco

(Portugal)

enganche – Haken

Der Spielemacher bzw. die Nummer 10 genießt überall auf der Welt Sonderstatus, insbesondere in Osteuropa und Lateinamerika, aber so gottgleich verehrt wie in Argentinien wird diese Position nirgends. In Argentinien ist der enganche (wörtlich »Haken«) genannte Spielmacher nicht nur dafür verantwortlich, Sturm und Mittelfeld zusammenzuhalten, sondern er bestimmt auch den Passrhythmus und gibt der Mannschaft ihre Identität auf dem Rasen. Maradona und Messi sind wohl die berühmtesten 10er des Landes, auch wenn Maradonas großes Vorbild Ricardo Bochini oder der nachdenkliche Boca-Star Juan Román Riquelme viel besser in das typische Bild eines enganches passen. Keiner der beiden war mit physischer Stärke gesegnet, aber beide konnten die gesamte gegnerische Verteidigung mit einem einzigen, tödlichen Steilpass außer Gefecht setzen.

Siehe auch:

ponta de lança

(Brasilien)

gambeta – Dribble

Mittlerweile unweigerlich mit Maradona und Messi verbunden, bezeichnet gambeta das Haken schlagende, schlängelnde Dribbling, das im Grunde zu einer argentinischen Spezialität wurde, kaum dass der Fußball dort angekommen war. Das Wort entstammt angeblich der Literatur der argentinischen Viehzüchter, der gauchos, und beschreibt den markanten Gang eines Straußes. (Eine andere Theorie geht davon aus, dass der Begriff von dem italienischen Wort gamba, also »Bein« abstammt, das seinen Weg über den lunfardo, den italienisch angehauchten Slang des Tangos und der Unterwelt von Buenos Aires in den argentinischen Sprachgebrauch fand.) Das berühmteste Beispiel einer gambeta ist natürlich das Dribbling, mit dem Maradona bei der Weltmeisterschaft 1986 auf dem Weg zum gol del siglo (»Tor des Jahrhunderts«) die englische Verteidigung durchbrach.

golazo – spektakuläres Tor

Der Begriff für einen atemberaubenden Schuss, der von Kommentatoren in ganz Lateinamerika und in weiten Teilen Südeuropas bei einem Tor in die Mikros gebrüllt wird. Der Wortstamm gol, von dem Englischen goal kommend, wird mit dem Suffix -azo versehen, das so etwas wie »groß« bedeutet und dem Ereignis besonderes Gewicht verleiht.

gol del vestuario – Blitztor

Tor, das in den ersten Sekunden eines Spiels geschossen wird.

Siehe auch:

hol v rozdyahal’nyu

(Ungarn)

gol olímpico – olympisches Tor

Der Triumph Uruguays bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris galt als Durchbruch für den Fußball vom Río de la Plata. In die allgemeine Bewunderung mischten sich auch neidische Blicke aus dem Nachbarland Argentinien, das es gar nicht erst nach Frankreich geschafft hatte. Und so forderte Argentinien den Nachbarn, kaum dass er wieder zu Hause war, zu einem Playoff mit Hin- und Rückspiel heraus. Nach einem hart erkämpften 1:1 in Montevideo (und einem Rückspiel, das wegen Scherereien auf der Tribüne abgebrochen werden musste) trafen die Mannschaften am 2. Oktober in Buenos Aires wieder aufeinander. Nach nur einer Viertelstunde weihte der Argentinier Cesáreo Onzari, damals linker Flügel beim Club Atlético Huracán, die Spielstandanzeige mit einem der berühmtesten Tore in der Geschichte des südamerikanischen Fußballs ein: Sein Schuss aus der linken Ecke ging direkt ins Netz. Das International Football Association Board (IFAB) hatte das Regelwerk weniger als vier Monate zuvor geändert und auch direkte Ecktore zugelassen. Argentinien wurde der Sieg zugesprochen, nachdem Uruguay bei einem Stand von 2:1 und Auseinandersetzungen mit Steinen werfenden Fans den Platz verlassen musste. Die Olympiasieger waren geschlagen, und Onzari ging mit seinem Tor in die Geschichte ein: Bis heute heißt ein Tor, das direkt von der Eckfahne aus geschossen wird, in ganz Lateinamerika »olympisches Tor«. Der Kolumbianer Marcos Coll ist bisher der einzige Spieler, der bei einer WM ein gol olímpico erzielt hat, nämlich 1962 gegen den großen Lew Jaschin bei einem 4:4 Unentschieden gegen die Sowjetunion in der Gruppenphase. Megan Rapinoe schloss den Kreis 2012 in London, als sie gegen Kanada einen Ball aus der linken Ecke ins Netz segeln ließ und es damit als Erste schaffte, ein gol olímpico tatsächlich bei einer Olympiade zu schießen.

Siehe auch:

sukhoi list

(Russland)

Ein Tor, das direkt aus einem Eckschuss entsteht, heißt in Lateinamerika gol olímpico.

hacer la cama – das Bett machen

Wenn einer Mannschaft der Verdacht anhängt, daran zu arbeiten, dass ihr Trainer gefeuert wird, muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, das Bett zu machen – hacer la cama. Spieler, denen nachgesagt wird, aktiv an der Amtsenthebung des Trainers beteiligt zu sein, heißen entsprechend camarilleros (ein Slang-Ausdruck, der in etwa »Bettmacher« bedeutet). Hacer la cama beschreibt aber auch das, was ein Spieler tut, der sich aus einer Kopfballsituation duckt und den in die Luft springenden Gegner über seinen flachen Rücken – und auf den Rasen – fallen lässt. In Brasilien heißt Letzteres cama de gato (»Katzenwiege«), in Italien ist die Aktion als ponte (»Brücke«) bekannt.

ladrón – Dieb

Rückt von hinten ein Gegner an einen Mitspieler heran, kommt dieses argentinische Äquivalent zu »Achtung, Hintermann!« zum Einsatz. Es wird in ganz Lateinamerika verwendet, in Brasilien heißt es entsprechend ladrão. Eine mexikanische Variante lautet tienes cola – »an dir hängt was dran«.

Siehe auch:

mala leđa

(Montenegro),

polícia

(Portugal),

house

(Irland),

gorisch

(Russland),

yau gwai

(China)

la nuestra – auf unsere Art

Zwar waren es britische Auswanderer, die den Fußball 1867 nach Argentinien brachten, aber es dauerte nicht lange, bis die neuen Anhänger des Sports gegen den kräftigen, körperbetonten Stil der Briten rebellierten und ihn durch eine subtilere, argentinischere Spielweise ersetzten. Wo die britischen Mannschaften auf lange Bälle, schnelle Sprints und hohe Flanken setzten, bestach der argentinische Fußball mit gambetas, kurzem Passspiel, Einzelleistungen und Listigkeit. Diese Art des Fußballs wurde unter dem Markennamen la nuestra (»auf unsere Art«) bekannt und fand ihren deutlichsten Ausdruck in dem grandiosen Team von River Plate der 1940er-Jahre, das auch la máquina (»die Maschine«) genannt wurde. Die Mannschaft war für das zügellose Verhalten ihrer Spieler jenseits des Rasens mindestens genauso bekannt wie für die ungehemmten Torfeste auf dem Platz. Vieles von dem, was die argentinische Haltung zum Fußball heute ausmacht – das Dribbeln, die Kreativität, die Freude an den Täuschungsmanövern und die Zentralfigur des enganche –, geht auf die Überzeugung zurück, dass es einen ganz bestimmten Spielstil gibt, an dem sich alle argentinischen Spieler und Mannschaften auszurichten haben. »Wenn du deinen Stil aufgibst, gibst du deine Seele auf«, sagte einst Norberto »Beto« Alonso, die gefeierte Nummer 10 von River Plate. »Du kannst auf jede Art gut spielen, aber nach argentinischer Wertung kannst du nur auf eine Art gut spielen: la nuestra.«

la pausa – die Pause

Auf das Timing kommt es an, und nirgends ist dieser vielzitierte Satz so wahr wie auf den Fußballplätzen Argentiniens. La pausa ist ein durch und durch argentinischer Ausdruck, der die Sekunden beschreibt, die ein Spieler einen Pass hinauszögert, damit sein Mitspieler sich optimal in Schussposition bringen kann – das fußballerische Äquivalent zu einem Scharfschützen, der genau zwischen zwei Herzschlägen schießt. Spieler wie Bochini, Maradona und Riquelme haben la pausa zu einer eigenen Kunstform erhoben.

Mano de Dios – die Hand Gottes

Gab es je eine poetischere Beschreibung für einen dreisten Betrugsversuch? Maradona trieb ganz England an den Rand der Raserei und löste weltweit einen Sturm der Empörung aus, als er im Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1986 im Estadio Azteca in Mexico City das argentinische Eröffnungstor mit der Hand an Keeper Peter Shilton vorbeimogelte. Auf die Frage, wie er dieses Tor geschossen habe, sagte Maradona: »Un poco con la cabeza de Maradona, y un poco con la Mano de Dios.« (»Ein bisschen mit dem Kopf von Maradona, ein bisschen mit der Hand Gottes.«) Beide Teams hatten es vor dem Spiel vermieden, den Falklandkrieg anzusprechen, aber Jahre später sagte Maradona, sein erstes Tor sei eine Art Rache für den 1982 ausgebrochenen Konflikt gewesen, der 649 Argentiniern das Leben gekostet hatte. »Vor dem Spiel haben wir bekräftigt, dass der Fußball nichts mit dem Falklandkrieg zu tun hat«, schreibt er in seiner 2004 veröffentlichten Autobiografie El Diego. »Aber wir wussten, dass viele junge Argentinier gefallen waren, abgeschossen wie kleine Vögel. Das war die Rache.« Als Thierry Henry im November 2009 im entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Irland bei dem ersehnten Ausgleichstor für Frankreich mit der Hand nachhalf, um an William Gallas vorbeizukommen, wurde dies wahlweise als »le Hand Gottes« oder die »Hand des Frosches« bezeichnet.

manos de manteca – Butterhände

Gehören einem ungeschickten Torwart.

marianela

Juan Evaristo gewann bei den Olympischen Spielen 1928 mit Argentinien die Silbermedaille und spielte 1930 Seite an Seite mit seinem jüngeren Bruder Mario im WM-Finale. Dem Flügelspieler wird die Erfindung einer als marianela bekannt gewordenen, mittlerweile wieder verschwundenen Finte zugesprochen. Das typischerweise von einem eingekesselten Abwehrspieler genutzte Manöver ähnelt einer rabona, allerdings dreht sich der Spieler kurz vor dem Ballkontakt wie ein Balletttänzer um sich selbst und schiebt den Ball mit den Zehen zu einem tiefer stehenden Mitspieler zurück.

Siehe auch:

rabona

(Argentinien)

Menottismo

Wenn Carlos Bilardo das Ying ist, dann ist César Luis Menotti das Yang. Der linke Intellektuelle sah seine Aufgabe als Fußballtrainer hauptsächlich darin, die Massen zu unterhalten. Schlank, langhaarig und Kette rauchend hatte Menotti Argentinien als Gastgeber der Weltmeisterschaft 1978 mit einer angriffslustigen Mannschaft zum ersten WM-Titel geführt und damit, wie er fand, ein Stück des alten, sorglosen Argentiniens wieder auferstehen lassen, obwohl sich das Land in den mörderischen Klauen des Diktators Jorge Rafael Videla und seiner rechten Militärjunta befand. Der argentinische Sieg war allerdings nicht ganz lupenrein, denn aus den gegnerischen Reihen wurden Klagen über Einschüchterungsversuche und parteiische Schiedsrichter laut. Als Argentinien Peru auf dem Weg ins Finale mit vier Toren schlagen musste und gleich mit 6:0 an den Gegnern vorbeizog, gingen ebenfalls einige Augenbrauen nach oben; die Peruaner behaupteten aber steif und fest, sie hätten sich nicht kaufen lassen. Menotti, alias El Flaco (»die Bohnenstange«), übte offene Kritik an seinem Nachfolger Bilardo und sagte sogar, er »schäme sich als Argentinier« für den negativen Fußball, den Argentinien bei der WM 1990 zur Schau gestellt habe. Die fußballphilosophische Auseinandersetzung zwischen den beiden Trainern zieht sich wie ein roter Faden durch den argentinischen Fußball.

Siehe auch:

Bilardismo

(Argentinien)

morfón – Fummler

Ein aus dem Lunfardo, dem Slang von Buenos Aires stammender Ausdruck, der wiederum von dem italienischen Wort morfa – »Mund« – kommt. Als der chronische Ballfummler Mauro Zárate 2011 von Lazio Rom an Inter ausgeliehen wurde, gehörte zu seinem Vertrag der etwas ungewöhnliche Bonus für eine erfolgreich geschlagene Vorlage. Die Argentinier betitelten den Zusatz als »anti-morfón«-Klausel. In Costa Rica gibt es für die Ballfummler den schönen Ausdruck mamón (»Muttersöhnchen«).

Siehe auch:

amarrabola

(Peru),

ballverliebt

(Deutschland),

chupón

(Spanien)

palomita – Täubchen

Flugkopfbälle werden in Argentinien unter dem Namen palomita gehandelt. Den bekanntesten dieser Art schoss Aldo Pedro Poy. Als er im Dezember 1971 im Halbfinale der argentinischen Meisterschaft für Rosario Central gegen den Lokalrivalen Newell’s Old Boys auflief, schoss er seine Mannschaft mit einem Flugkopfball zum Sieg zu 1:0. Im Finale setzte sich Rosario dann gegen San Lorenzo durch und gewann damit als erster nicht aus der Provinz Buenos Aires stammender Verein die argentinische Meisterschaft. Seitdem kommen die Fans von Rosario alljährlich mit Poy zusammen, um den Jahrestag dieses Tores zu feiern – indem sie den Kopfball nachstellen. In Spanien bezeichnet palomita zudem einen Torwart, der nach dem Ball hechtet.

Siehe auch:

gol de peixinho

(Brasilien),

een Beb Bakhuys

(Niederlande)

Papá – Papa

In der eigenwilligen Sprache der argentinischen Fußballgemeinde wird der eigene Verein zum papá eines Rivalen, wenn er ihn besiegt. Generell ist der papá so etwas wie das Leitmotiv vieler Fußballgesänge im ganzen Land. Als Argentinien 2014 in Brasilien ins WM-Finale einzog, wurde ein zur Melodie von »Bad Moon Rising« gesungenes Schmählied für den Gastgeber zum inoffiziellen WM-Song: »Brasil, decime qué se siente tener en casa a tu papá!« (»Brasilien, sag mir, wie es sich anfühlt, wenn dein Papa zu Hause ist.«) Zur unendlichen Erleichterung aller Brasilianer entschied Deutschland, dass der Spaß lange genug gedauert hatte, und schickte Argentinien mit Mario Götzes Treffer zum 1:0 in der Verlängerung nach Hause.

¿Para qué te traje? – Wozu habe ich dich dabei?

Durch den argentinischen Kommentator Juan Manuel »Bambino« Pons verbreitet und üblicherweise in einem übertriebenen Heulen vorgetragen, kommt diese Wendung zum Einsatz, wenn ein Spieler einen Pass verschießt oder einen Torschuss in Richtung Eckfahne verbummelt. Pons behauptet, den Satz von einem Trainer namens Ricardo Trillin übernommen zu haben. Mittlerweile ist der Ausruf weit verbreitet und bezeichnet generell einen peinlichen Fehler. Wenn etwa ein Stürmer den Ball über ein leeres Tor schießt oder ein Torwart ein zahmes Schüsschen nicht hält, bekommt er ein para qué te traje zu hören.

pecho frío – kalte Brust

Der Ausdruck bezieht sich auf einen Spieler, der sich ausgerechnet dann in Luft auflöst, wenn seine Mannschaft ihn braucht. Die gauchos haben ihre arbeitsscheuen Pferde so beschrieben. Einer, der sich des Öfteren einer pecho frío bezichtigen lassen musste (zugegebenermaßen hauptsächlich von River-Fans), war Riquelme, der zwar mit Boca so ziemlich alles gewonnen hatte, in der Nationalmannschaft aber nie zur vollen Form aufgelaufen war.

Siehe auch:

pipoqueiro

(Brasilien)

pibe – Junge

Die Inkarnation der romantischen Ader des argentinischen Fußballs ist der pibe (der Gassenjunge, der Bengel), ein schelmischer kleiner Fußballer, der sich die Kunst des Sports auf staubigen Bolzplätzen im Schatten der Hochhäuser der Stadt selbst beigebracht hat – frech, unaufhaltsam und unfassbar begabt. 1928 wollte Borocotó, einer der bekanntesten Sportjournalisten des Landes und Herausgeber der Sportzeitschrift El Gráfico, dem pibe gar ein Denkmal setzen lassen, nämlich eine Statue eines Jungens mit – wie er genau festlegte – »dreckigem Gesicht, einer widerborstigen Mähne«, »den klugen Augen eines Taschendiebs, dem nichts entgeht« und einem »Ball aus Lumpen« zu seinen Füßen. Es gibt viele pibes in der argentinischen Fußballgeschichte, und es wird auch in Zukunft viele geben. Aber keiner wird je den Status von Maradona erreichen, dem Pibe de Oro (»Goldjungen«). Ähnlich berühmt war Carlos Valderrama, der puschelhaarige Spielemacher aus Kolumbien, schlicht als El Pibe bekannt.

potrero

Ein zentraler Bestandteil der argentinischen Auffassung von Fußball sind die potreros, die fast schon mythisch aufgeladenen, aus dürrer Erde gestampften Bolzplätze, auf denen die ganz Großen des Landes für gewöhnlich ihre ersten Schritte tun. In der allgemeinen Vorstellung sind die potreros besondere Orte, an denen die zarten Anfänger sich das erste aufgeschlagene Knie holen und die Tricks und Schlängeleien lernen, die la nuestra ausmachen. Ursprünglich bezeichnet potrero die von den gauchos bewirtschafteten Teile der pampa (»Prairie«), auf denen Pferde und Vieh ungestört grasen durften. In den Fußball schaffte es das Wort, als Borocotó es mit den baldíos in Verbindung brachte, der Bezeichnung für unbebaute Brachflächen zwischen den Gebäuden von Buenos Aires, auf denen chaotisch und sehr inoffiziell Fußball gespielt wurde. Laut Borocotó lernten die Briten den Fußball auf der Schulbank, während die Argentinier den Sport nirgends anders als auf dem potrero lernen können, diesem gesetzlosen, unsterblichen Ort, an dem pibes keine Angst haben müssen, erwachsen zu werden.

Siehe auch:

tanner ba’ player

(Schottland),

kora sharab

(Ägypten),

sakora park

(Ghana)

promedio – Durchschnitt

Nach San Lorenzos Abstieg im Jahr 1981 wurde der Beschluss gefasst, dass das Ausscheiden eines Vereins aus der argentinischen Primera División auf Grundlage der durchschnittlichen Punktzahl pro Spiel über die vergangenen zwei (ab 1984 drei) Spielzeiten hinweg zu erfolgen hatte. Diese Festlegung wurde in erster Linie getroffen, um die cinco grandes des Landes vor dem Abstieg zu bewahren, auch wenn diese Absicht nicht immer von Erfolg gekrönt war. Beweis: Der schockierende Abstieg von River Plate in 2011.

rabona

Wie bei den meisten technischen Finessen im Fußball gibt es wahrscheinlich auch bei der rabona mehrere Erfinder. In Argentinien wird sie jedoch einzig und allein Ricardo Infante zugeschrieben. Dem Stürmer von Estudiantes de la Plata gelang im September 1948 bei einem Spiel gegen Rosario Central ein schier unglaubliches Tor aus knapp 35 Metern Entfernung: Er führte sein Schussbein hinter das Standbein, trat an diesem vorbei gegen den Ball und ließ den Goalie von Rosario alt aussehen. El Gráfico zeigte den Spieler daraufhin als Schuljungen verkleidet auf dem Cover (eine Anspielung auf seinen Vornamen sowie die Tatsache, dass Estudiantes »Studenten« bedeutet) und titelte: »El infante que se hizo la rabona« – »Das Kind, das die Schule schwänzte«. Seitdem ist rabona der Standard-Ausdruck für diese Technik, und nicht nur das: Sogar ein Tangoschritt wurde danach benannt. In Italien machte der bei Cagliari, Ascoli und beim FC Turin kickende Flügelmann Giovanni »Cocò« Roccotelli die Schusstechnik bekannt, und zwar unter dem Namen incrociata (»Überkreuzschuss«).

Siehe auch:

marianela

(Argentinien),

chaleira

(Brasilien)

ratonera – Mäusenest

Ein Torschuss, der in einer der unteren Ecken verschwindet, landet in la ratonera.

sotana – Priestergewand

Ein Schuss durch die Beine des Gegners heißt in Argentinien üblicherweise caño (»Rohr«), aber sotana ist auch gebräuchlich. Ursprünglich wurde damit ein Spieler aufgezogen, der gerade getunnelt wurde: »La próxima vez, ponte una sotana!« (»In Zukunft trägst du besser eine Soutane!«) Nach und nach wurde die Verhöhnung zum Synonym für den eigentlichen Vorgang.

Siehe auch:

dimije

(Bosnien-Herzegowina),

kupite mu pregaču

(Kroatien),

foul thawb

(Katar)

tiki-tiki

Der Club Atlético Huracán verlor zwar 2009 im Kampf um den Titel der Clausura gegen Vélez Sarsfield, aber der quirlige Fußball der Mannschaft von Ángel Cappa hinterließ einen bleibenden Eindruck. Spieler wie Javier Pastore und Matías Defederico legten einen frischen, sprudelnden Stil voller Tunnel, Hackentricks und lupenreinen Pässen an den Tag, der unter dem Namen tiki-tiki in die Geschichte einging.

Siehe auch:

tiki-taka

(Spanien)

tronco – Baumstamm

Ein großer Spieler, der gerade einmal das Minimum an Technik beherrscht.

Siehe auch:

perna de pau

(Brasilien),

pieds carrés

(Frankreich),

duffer

(Irland),

derevo

(Russland),

drvo

(Serbien),

tuercebotas

(Spanien)

viveza – Schärfe

Gelegentlich auch viveza criolla (»kreolische Listigkeit«) genannt, steht dieser Ausdruck für die keine Regeln achtende Verschlagenheit, die das Herz der argentinischen Kultur und damit auch des argentinischen Fußballs ausmacht. Ein anderes Wort dafür wäre picardía (»Gerissenheit«), das wie viveza ein Leben aus Schnorren und Schwindeln, Überlebenskunst und das Ausnutzen jeglicher Gutmütigkeit beschreibt. Im Fußball hat diese Haltung zu allerlei Kontroversen geführt. So geht das Gerücht, dem brasilianische Außenverteidiger Branco sei während des WM-Halbfinales 1990 – das der Nachbar Argentinien gewann – mit Betäubungsmitteln versetztes Wasser untergejubelt worden. Für Maradona, die picardía in Person, war es kein Betrug, ein Tor gegen England mit der Hand zu schießen; er steckte vielmehr seine »Hand in die Tasche eines Engländers und nahm das Geld heraus, das dem sowieso nicht gehörte«.

Siehe auch:

malandragem

(Brasilien)

BOLIVIEN

Bolivien ist – neben seinem Nachbarn Paraguay – eines der zwei landumschlossenen Länder Südamerikas, hat seine Nationalmannschaft zu drei Weltmeisterschaften geschickt (1930, 1950 und 1994) und 1963 die Ehre gehabt, das Campeonato Sudamericano de Fútbol auszurichten.

Der Spitzname der Nationalmannschaft, Los Altiplanos (»das Bergvolk«), gibt einen Hinweis auf die Höhe, in der die Heimspiele in La Paz stattfinden. Hier erlitt das Argentinien Maradonas im April 2009 mit 6:1 eine geschichtsträchtige Niederlage.

gol de apenitas – gerade noch so ein Tor

Ein Lupfer, der nur Millimeter an den ausgestreckten Händen des Torwarts vorbeisegelt, oder ein Schuss, der es wie ein Wunder durch einen ganzen Wald aus Verteidigern schafft – solche Tore um Haaresbreite werden in Bolivien als gol de apenitas bezeichnet. Apenitas ist dabei die Verkleinerung von apenas, »kaum«. Kommt das Tor außerdem unter Anwendung feinster Technik zustande, ist von einem gol de lujo (»Luxustor«) die Rede. Ein Tor, dass eher zufällig, zum Beispiel nach einem überraschenden Abpraller entsteht, ist ein gol de chiripa (»Glückstreffer«).

BRASILIEN

Zwar war auch in Brasilien der Fußball zunächst den städtischen Eliten vorbehalten, aber das Spiel verbreitete sich in den 1920er-Jahren in Windeseile in den verarmten Vorstädten, Slums und favelas, wo letztendlich die unnachahmliche Fußballkultur des Landes entstand. Der brasilianische Fußball war immer schon verspielt und schillernd, in höchstem Maße individualistisch und von unerschöpflichem Einfallsreichtum geprägt. Und genau diese Spielweise hat das Land wohl so nachhaltig definiert wie sonst nichts auf der Welt.

Anfang der 1970er-Jahre wurde die Weltmeisterschaft live und in Farbe übertragen, und die beeindruckende Kunstfertigkeit und die kanariengelben Trikots von Pelé, Zico und Co. schrieben sich für immer in das globale Fußballgedächtnis ein. Aber eigentlich waren es die Radioübertragungen der 1940er- und 1950er-Jahre, die wie nichts anderes die aufkeimende Liebe zwischen dem brasilianischen Volk und dem jogo bonito (»schönen Spiel«) besangen. Sportreporter wie Rebelo Júnior (der das erste »Goooooool!« aus der Reporterkabine erschallen ließ), Édson Leite und Ary Barroso erzeugten einen komplexen sprachlichen Abdruck voller kreativer Metaphern und seltsamer Analogien. Die Sprache spiegelte die enge Bindung zwischen Land und Fußball wider und entwickelte sich nach und nach zu dem schön-schrulligen Wortteppich, der das Fußballglossar des heutigen Brasiliens ausmacht.

caneta – Stift

Wer einen Brasilianer tunnelt, hat die Qual der Wahl, wenn es darum geht, eine Beschreibung für diesen Vorgang zu finden. Die Kunst, den Ball durch die Beine des Gegners zu schieben, wird wahlweise bezeichnet als: einen Stift (caneta) überreichen; ein kleines Ei (ovinho), ein Fensterchen (janelinha) oder ein Röllchen (rolinho) übergeben; oder ein Röckchen (sainha) verpassen.

Siehe auch:

huacha

(Peru),

salad

(Jamaika),

Gurkerl

(Österreich),

jesle

(Tschechien),

nutmeg

(England),

klobbi

(Island),

panna

(Niederlande),

cueca

(Portugal),

bayda

(Marokko),

yalli

(Senegal),

shibobo

(Südafrika),

deya

(Simbabwe),

lawd daak

(Thailand)

chaleira

Was im Rest der Welt als rabona bekannt ist, nämlich eine Technik, bei der das Schussbein zum Abschuss hinter das Standbein geschoben wird, heißt in Brasilien chaleira. Die Entstehung des Wortes ist kompliziert und geht bis zu Charles Miller zurück, dem ehemaligen Schuljungen aus Southampton, der als der Vater des brasilianischen Fußballs gilt. Der in Brasilien geborene Miller, Sohn eines Schotten und einer Brasilianerin, trug nach seiner Rückkehr von einem Studienaufenthalt in England 1894 dazu bei, den Sport in São Paulo zu etablieren. Er gilt außerdem als Erfinder der Technik, den Ball mit der Hacke nach vorn zu schießen. Bald war diese Art des Schießens – die seltsamerweise eher mit Verteidigern als mit Stürmern in Verbindung gebracht wurde – als charles (oder Charles Miller) bekannt. Als Brasilien 1914 zum ersten internationalen Spiel auflief und sich als eine zu gleichen Teilen aus Rio de Janeiro und São Paulo bestehende Nationalmannschaft 2:0 über Exeter City hinwegsetzte, feierten die damaligen Spielberichte vor allem Außenverteidiger Píndaro für seinen geschickten Einsatz des charles. Mit der Zeit schliff sich charles zu chaleira ab (was übrigens auch »Teekessel« bedeutet), und irgendwann wurde darunter eine rabona verstanden, auch wenn hier keine hundertprozentige Einigkeit besteht. Für manche Brasilianer ist eine chaleira keine rabona, sondern das, was im Deutschen als »Okocha-Trick« oder im Englischen als »rainbow flick« bekannt ist: Der Spieler klemmt den Ball im Laufen zwischen die Fersen und lupft ihn dann von hinten über den Kopf (was in Brasilien eigentlich lambreta heißt). Hebt ein Spieler ein Bein in die Luft und schießt den Ball mit der Hacke des anderen Fußes (eine Variation der chaleira), ist das ein letra (»Brief«). Dafür könnte sich ein Spieler zum Beispiel entscheiden, wenn eine tiefe Flanke leicht hinter ihm ankommt.

Siehe auch:

rabona

(Argentinien)

Brasiliens Showtalent Ronaldinho spielt einen Gegner per chapéu (»Hut« – andernorts als sombrero bekannt) aus.

chapéu – Hut

Im Grunde gibt es im Fußball keine größere Demütigung als den Beinschuss. Wenn ein Spieler den Ball federleicht über den Kopf seines Gegners lupft, hat die Schmach allerdings ähnliche Ausmaße. In Brasilien spricht man dann von einem chapéu. Der berühmteste chapéu des brasilianischen Fußballs war vermutlich der, den der siebzehnjährige Pelé im WM-Finale 1958 auf dem Weg zum ersten seiner beiden Tore gegen Gastgeber Schweden fabrizierte. Der Jungstar vom FC Santos nahm die von links kommende Flanke von Nílton Santos mit der Brust an, lupfte den Ball hoch über Bengt Gustavsson und versenkte (nachdem er Gustavssons groben Ausfall auf Oberschenkelhöhe ausgewichen war) das Leder mit einem niedrigen Volley hinter Keeper Kalle Svensson im Netz. Die Fußballsprache Brasiliens war immer ein Mischling, und so ist es nicht überraschend, dass chapéu von dem französischen chapeau stammt. Die Technik hört auch auf den Namen lençol (»Laken«) oder balão (»Ballon«).

Siehe auch:

sombrero

(Spanien),

baptiser

(Kamerun),

kanzu

(Kenia),

height

(Nigeria),

deff ko watt

(Senegal),

kanyumba

(Sambia).

chute por cobertura – Dachschuss

Von brasilianischen Stürmern – insbesondere Romário und Robinho – als Abschluss sehr geschätzt, ist der chute por cobertura ein Lupfer, bei dem der Ball einen eleganten Bogen beschreibt und über den Kopf des Torwarts ins Netz segelt (also: ein Dach über den Kopf des Torwarts baut).

Siehe auch:

pichenette

(Frankreich),

tscherpak

(Russland),

vaselina

(Spanien)

craque – Ass

Didi. Pelé. Garrincha. Zico. Romário. Ronaldo. Ronaldinho. Neymar. Es ist wenig überraschend, dass Brasilien von der Idee des Fußball-Asses oder craque besessen ist. Die Stars der fünf WM-Siege kann jeder Brasilianer im Schlaf aufsagen: Didi und Pelé 1958, Garrincha 1962, Pelé 1970, Romário 1994, Ronaldo 2002. Die Fans des Landes sind fest davon überzeugt, dass die Nationalmannschaft nicht ohne eine strahlende Galionsfigur leben kann, die alle Tugenden des futebol arte in sich vereint. Der craque kann auf dem Flügel, im Sturm oder als Spielmacher im Mittelfeld spielen, solange er ein Virtuose ist, ein Spieler, der mit einer gewagten Eingebung ein Spiel und sogar ein ganzes Tournier drehen kann. Als Fußballspiele noch nicht im Fernsehen übertragen wurden, erhielt der Top-Spieler einer Begegnung das Etikett craque do dia seguinte (»Ass des nächsten Tages«), weil davon auszugehen war, dass am nächsten Tag alle Zeitungen über ihn berichten würden. Das Wort selbst stammt von dem englischen Militärterminus crack ab, mit dem einst Elitesoldaten beschrieben wurden, schlich sich aber wahrscheinlich aus dem Pferderennen in den brasilianischen Fußballjargon (da ein crack auch ein Gewinnerpferd ist).

Siehe auch:

Primgeiger

(Österreich)

dar um chocolate – jemandem eine Schokolade geben

Nachdem der SC Internacional im Januar 1981 bei einem Spiel gegen Vasco da Gama im Maracaña-Stadion mit 4:0 eine vernichtende Niederlage kassiert hatte, legte der Radioreporter Washington Rodrigues den Song El Bodeguero auf. Der eingängige Refrain lautet: »Toma chocolate, paga lo que debes« – Nimm dir Schokolade, bezahle deine Schulden. Demütigend hohe Siege werden seitdem als chocolate gehandelt.

de três dedos – mit drei Zehen

Dieser Ausdruck beschreibt einen mit der Außenseite des Fußes gespielten Schuss oder Pass. Die eindrücklichste Demonstration dieser Technik stammt wohl von Roberto Carlos, der nach einem Freistoß im Spiel gegen Frankreich 1997 ein schlicht umwerfendes Bananentor schoss. Wird mit dem Innenspann abgezogen, ist von bater na orelha da bola die Rede – das »Ohr des Balles treten«.

Siehe auch:

papegøje

(Dänemark),

trivela

(Portugal),

schwedka

(Russland),

NASA pass

(Nigeria),

outfoot

(Pakistan)

drible da foquinha – Seehund-Dribble

Grundlegende neue technische Innovationen kommen im Fußball gar nicht so häufig vor, und wenn es passiert, heißt das noch lange nicht, dass die Technik sich auch durchsetzt. Als die ersten Gerüchte über einen 17-jährigen Brasilianer die Runde machten, der den Ball in die Luft lupfte, um ihn dann im Laufen auf der Augenbraue zu balancieren, horchte die Fußballgemeinde auf. Erfinder dieser Technik war Kerlon Moura Souza, kurz Kerlon, und er trieb damit sowohl mit seinem Verein Cruzeiro Belo Horizonte als auch mit der brasilianischen U-17 die Gegner in den Wahnsinn. Hatte er den Ball einmal in die Lüfte gebracht, war er nicht mehr aufzuhalten; die Tatsache, dass er den Blick stets auf den Ball gerichtet halten musste, während er ihn auf der Braue balancierte, hielt ihn nicht davon ab, urplötzlich Haken zu schlagen. Die Technik wurde als drible da foquinha bekannt und verhalf ihrem Erfinder zu weltweitem Ruhm. Die Verteidiger standen ihrerseits ratlos vor einem bis dato unbekannten Phänomen und setzten Kerlon meistens per Foul außer Gefecht. Sie rempelten ihn nieder oder traten ihm, wie einer seiner Gegner bei einem Spiel der U-17 gegen Kolumbien, schlicht in die Brust. Der rechte Außenverteidiger von Atlético Mineiro Dyego Rocha Coelho, wurde gar für 120 Tage – letztendlich aber nur für fünf Spiele – gesperrt, nachdem er Kerlon im September 2007 mit einem zynischen Ellenbogencheck niedergemäht hatte. Auch wenn Coelho sich zerknirscht entschuldigte, sahen nicht alle Seiten den Schuldigen in ihm (Brasiliens Coach Dunga fragte sich zum Beispiel laut, ob Kerlon das Kunststück auch vorgeführt hätte, wenn seine Mannschaft hinten gelegen hätte). Mit seinem Vorzeigetrick wurde Kerlon zu einem der ersten YouTube-Stars des Fußballs, aber infolge seines Verletzungspechs war es ihm nicht vergönnt, sich in Europa durchzusetzen, und so driftete er in Japan, den USA, Malta und der Slowakei von Mannschaft zu Mannschaft. »Bei Inter habe ich unter José Mourinho eine Vorsaison gespielt, aber den Seehund habe ich dort nie versucht«, sagte Kerlon über seine Zeit in Mailand. »Hätte ein [Marco] Materazzi mich geschubst, ich wäre weggeflogen.« Seine Laufbahn wird wahrscheinlich nie wieder die Höhen seiner Teenagerjahre erreichen, aber der Name Kerlon ist und bleibt ein Zeugnis für den Pioniergeist des brasilianischen Fußballs.

drible de vaca – Kuh-Dribble

Drible de vaca beschreibt die Technik, den Ball an einem Gegner vorbeizukicken und hinter ihm wieder einzusammeln. Vielleicht ist die Finte bei den inoffiziellen Spielen auf der Wiese entstanden, wo die Begegnung mit einer Kuh zum Berufsrisiko gehörte. Das auch meia-luna (»Halbmond«) genannte Manöver ist der kleine Bruder des drible de Pelé, des schier unglaublichen Kunststücks, das Brasiliens Nummer 10 in den letzten Sekunden des WM-Halfinales 1970 in Guadalajara zur Schau stellte. Pelé sprintete von innen-links los, um einen Pass von Tostão zu erreichen, und verwirrte anschließend Keeper Ladislao Mazurkiewicz mit einem besonderen Täuschungsmanöver: Er ließ den Ball zwischen sich und Mazurkiewicz durchlaufen und rannte dann um Letzteren herum. Kenneth Wolstenholme, Kommentator für die BBC, trauten seinen Augen nicht. »Pelé sprintet rein!«, kreischte er. »Und macht gleich das Vierte! Was für ein Genie!« Der Ball war so schnell, dass Pelé ihn erst weit rechts vom Tor zu fassen bekam, und schon machte sich ein Verteidiger auf den Weg zwischen ihn und das Tor. Pelé überkompensierte den Winkel und feuerte um Haaresbreite am langen Pfosten vorbei. »Der Trick entstand im Moment, das macht man dann einfach«, sagte Pelé dazu. »Das lässt sich nicht planen. Es passiert automatisch, wie ein Reflex. Aber ich weiß bis heute nicht, warum ich das Tor nicht gemacht habe. Als ich am Torwart vorbei war, dachte ich, ›Okay, ich haue den Ball vor dem Verteidiger rein.‹ Aber dann habe ich gesehen, wie schnell er unterwegs war, und dachte, dass ich mich jetzt beeilen muss, und vielleicht war ich dann zu hektisch.« Seitdem haben Spieler wie Zico, Norberto »Beto« Alonso von River Plate und der ehemalige Flügel von Manchester United Jesper Blomqvist die Technik perfektioniert und Pelé insofern übertroffen, als dass sie den Torwart ausgespielt und getroffen haben.

Siehe auch:

grand pont

(Frankreich)

elástico – Gummiband

Die Zuschauer des UEFA-Pokalfinales 1998 zwischen Inter Mailand und Lazio Rom kamen in den Genuss einer wahrhaft außergewöhnlichen Darbietung von Ronaldo, die sich nur Dank zahlreicher Wiederholungen in Zeitlupe in ihre Einzelteile zerlegen ließ. Wenige Minuten, nachdem er im Parc des Princes für Inter auf 3:0 erhöht hatte, legte Mannschaftskollege Javier Zanetti Ronaldo den Ball vor die Füße. Die Nummer 10 von Inter wechselte den Ball vom linken auf den rechten Fuß und zog so an Guerino Gottardi vorbei. Als der Auswechselspieler von Lazio Rom kurz vor Inters linker Auslinie ein zweites Mal störte, tat Ronaldo etwas, das so aussah, als hätte er den Ball an der Spitze seines rechten Schuhs festgeklebt: Er schob das Leder hin und her, sprintete dann die Auslinie entlang und ließ Gottardi mit offenem Mund stehen. Es sah aus wie Zauberei, aber die Wiederholung zeigte, dass Gottardi Opfer eines elástico geworden war, einer Technik, die keiner so gut beherrscht wie die Brasilianer. Bei dem auch als culebrita (»kleine Schlange«) bekannten Kunststück wird der Ball (von einem Rechtsfuß) mit den Zehen von links nach rechts und sofort wieder zurückgespielt. Der Ball geht so schnell hin und her, dass der zuständige Verteidiger unweigerlich ins Leere tritt. Ronaldinho und Cristiano Ronaldo haben die Technik ihrerseits bekannt gemacht, aber mehr als jedem anderen gehört sie Roberto Rivellino, dem schnauzbärtigen linken Flügel der Weltmeister von 1970, bei dem alles so mühelos aussah. Rivellino gilt als Erfinder des elástico, aber ursprünglich hat er die Technik von einem japanisch-brasilianischen Mitspieler namens Sergio Echigo gelernt, an dessen Seite er 1964 für Corinthians São Paulo spielte. »Ich habe es einmal bei ihm gesehen und sofort gefragt: ›He, Japaner, was machst du da?‹«, erzählte Rivellino. »Und er sagte: ›Das ist ganz einfach, Rive, ich zeig’ es dir.‹ Jetzt sagt er, er hat den Trick erfunden, aber ich habe ihn perfektioniert.«

Siehe auch:

culebrita

(El Salvador),

el ghoraf

(Algerien)

embaixadinhas – Fußballjonglieren

Brasilien mag zwar das Heimatland des jogo bonito