Spur der Finsternis - Nora Roberts - E-Book

Spur der Finsternis E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Morgan arbeitet hart, um sich den Traum vom eigenen Haus und einer eigenen Bar zu erfüllen. Doch ihr bescheidenes Leben wird jäh aus den Angeln gehoben, als ihre beste Freundin Nina ermordet wird. Zeit zum Trauern bleibt ihr nicht, denn das FBI eröffnet Morgan, dass sie es mit einem Serienmörder und Identitätsräuber zu tun hat. Nina war für den kaltblütigen Killer nur ein Hindernis, das er aus dem Weg geräumt hat, um an diejenige zukommen, auf die er es wirklich abgesehen hat: Morgan. Schritt für Schritt nimmt der perfide Hacker ihr alles: ihr Erspartes, ihr Haus, ihre Identität. Verzweifelt flüchtet Morgan zurück zu ihrer Familie nach Vermont und setzt Stück für Stück die Scherben ihres zerstörten Lebens wieder zusammen. Doch Morgans Verfolger ist ihr stets auf den Fersen – ihr und den Menschen, die sie liebt.

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Seitenzahl: 651

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Das Buch

Morgan Albright sehnte sich schon immer nach einem echten Zuhause. Mit fünfundzwanzig kann sie sich endlich die Anzahlung für ein kleines Häuschen leisten, in das sie mit ihrer besten Freundin Nina zieht. Später möchte sie einmal ihre eigene Bar eröffnen. Für diesen Traum arbeitet sie hart, rackert sich in zwei Jobs ab. Auf Männer lässt sie sich nicht so einfach ein, die zielstrebige junge Frau kann keine Ablenkungen von ihrem großen Ziel gebrauchen. Bis sie den charmanten Luke trifft. Alles scheint auf dem richtigen Weg, endlich kann Morgan Wurzeln schlagen. Doch dann findet sie Nina zu Hause ermordet auf. Was sich danach entspinnt, ist ein Wirklichkeit gewordener Albtraum: Der Täter ist ein seit Jahren vom FBI gejagter Frauenmörder und Identitätsdieb. Er sucht sich seine Opfer sorgfältig aus und ist dem FBI dabei immer einen Schritt voraus. Morgan passt genau in sein Portfolio. Er wird nicht ruhen, bis er auch sie erledigt hat. Doch so einfach gibt Morgan nicht auf.

Die Autorin

Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von 500 Millionen Exemplaren überschritten. Mehr als 200 Titel waren New-York-Times-Bestseller, und ihre Bücher erobern auch in Deutschland immer wieder die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.

nora roberts

Spur der Finsternis

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Christiane Burkhardt

Die Originalausgabe IDENTITY erschien erstmals 2023 bei St. Martin’s Press, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 11/2023

Copyright © 2023 by Nora Roberts

Published by arrangement with Eleanor Wilder

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarker Str. 28, 81673 München

Redaktion: Claudia Krader

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Umschlaggestaltung: t. mutzenbach design unter Verwendung von Arcangel (Judy Kennamer), Shutterstock.com (Doug Lemke, Sopotnicki, brickrena, Sean Pavone, Dan Lewis, Nikolay 007, LeStudio)

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-31311-1

www.heyne.de

Dieses Buch ist der Familie gewidmet:

Derjenigen, in die man hineingeboren wird,

und der, die man selbst gründet.

Teil 1

Pläne

Nur ein schlechter Plan erlaubt keine Änderung.

Publilius Syrus

Zu Hause glücklich zu sein ist das höchste Ziel, nach dem man streben kann.

Samuel Johnson

1

Ihre Träume und Ziele waren unkompliziert und überschaubar. Als Kind eines Soldaten hatte Morgan Albright von klein auf in verschiedenen Ländern und auf mehreren Kontinenten gelebt. Wegen des Berufs ihres Vaters hatte sie nie richtig Wurzeln schlagen können, denn sie war häufig verpflanzt worden. Von einer Militärbasis zur anderen, von einem Haus, einem Bundesstaat, einem Land zum nächsten. Bis sie vierzehn war und ihre Eltern sich scheiden ließen.

Sie hatte kein Mitspracherecht.

In den ersten drei Jahren nach der Scheidung war ihre Mutter ebenfalls ständig mit ihr umgezogen. Mal in eine Kleinstadt, mal in eine Großstadt, auf der Suche nach … Ja, wonach eigentlich? Morgan war das nie so recht klar geworden.

Mit siebzehn, fast achtzehn beendete sie diesen Zustand der Entwurzelung, indem sie aufs College ging. Dort arbeitete sie an ihren Zielen, Träumen. Sie lernte eifrig und machte zwei Abschlüsse – in Wirtschaftswissenschaften und in Hotelmanagement. Das versetzte sie in die Lage, ihren größten Traum wahr zu machen: Wurzeln zu schlagen. Ein Zuhause zu schaffen. Eine eigene Firma zu gründen.

Auf eigenen Beinen zu stehen.

Sie prüfte Landkarten, Stadtviertel und Klimazonen, um die Auswahl einzuengen. Mit dem Ziel, herauszufinden, wo sie sich nach dem Studium niederlassen sollte. Sie stellte sich eine nette Nachbarschaft vor, möglichst in einem historischen Viertel, in der Nähe zu Geschäften, Restaurants, Bars und anderen Menschen.

Eines Tages würde sie nicht nur ein eigenes Haus, sondern auch ihre eigene Bar besitzen.

Klare Ziele.

Die Tinte auf den Abschlusszeugnissen war kaum getrocknet, da war sie auch schon an den Stadtrand von Baltimore, Maryland, gezogen. Alte Häuser mit Gärten in einer Gegend, die noch nicht gentrifiziert und daher erschwinglich war.

Sie hatte sich ihr Studium selbst finanziert, indem sie erst gekellnert und ab ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr als Barkeeperin gejobbt hatte. Dabei hatte sie stets Geld zur Seite gelegt.

Ihr Vater, inzwischen Oberst, schaffte es nicht zu ihrer Abschlussfeier. Obwohl sie mit Auszeichnung bestanden hatte, gab es keinerlei anerkennende Worte von seiner Seite. Das hatte sie nicht weiter erstaunt. Im Grunde hatte sie bereits aufgehört, für ihn zu existieren, als die Scheidung ausgesprochen worden war.

Aber ihre Mutter und ihre Großeltern mütterlicherseits waren gekommen. Morgan konnte damals nicht ahnen, dass sie ihren Großvater das letzte Mal sehen würde. Der robuste Siebzigjährige, ein sportlicher, gesunder Mann, starb im Winter nach ihrem Abschluss. Er stürzte von einer Leiter. Ein falscher Schritt – alles vorbei.

Eine Lektion, die sich Morgan trotz ihrer Trauer zu Herzen nahm.

Ihr Großvater hinterließ ihr zwanzigtausend Dollar und wertvolle Erinnerungen wie die an gemeinsame Wanderungen in den Green Mountains Vermonts. Das Geld aus dem Erbe ermöglichte Morgan den Umzug von ihrem winzigen Apartment in ein kleines Haus. Ein eigenes Haus, renovierungsbedürftig, aber mit einem Garten, in dem es ebenfalls viel zu tun gab. Die drei kleinen Zimmer und zwei winzigen Bäder erlaubten es, dass sie eine Mitbewohnerin aufnahm, um den Hauskredit schneller abzahlen zu können.

Außerdem hatte sie gleich zwei Jobs: Fünf, sechs Abende die Woche stand sie im Next Round hinterm Tresen, einer wunderbaren kleinen Kneipe, die sie sehr lieb gewonnen hatte. Tagsüber arbeitete sie als Büroleiterin in einem familiär geführten Bauunternehmen.

Ihre Mitbewohnerin lernte sie im örtlichen Gartencenter kennen, als sie sich gerade Gedanken über Bodendecker machte. Nina Ramos arbeitete in den Gewächshäusern und kannte sich wirklich gut aus. Das war praktisch, wenn man einen Garten neu angelegen musste. Nina half ihr, ihre Vorstellungen umzusetzen, und zog in diesem ersten Frühling bei ihr ein. Die beiden jungen Frauen kamen gut miteinander aus und wussten, wann sie sich gegenseitig Ruhe und Freiraum gewähren mussten.

Mit fünfundzwanzig hatte Morgan also ihren ersten Traum wahr gemacht. Wenn sie richtig gerechnet hatte, sollte sich auch ihr zweites Ziel vor dem dreißigsten Geburtstag umsetzen lassen. Ihr einziger Luxus stand in der schmalen Auffahrt. Es würde zwar Jahre dauern, das Auto abzubezahlen, aber dafür brachte es sie zuverlässig und sparsam zur Arbeit und wieder zurück. Bei gutem Wetter fuhr sie sowieso mit dem Rad ins Büro. Nina bezeichnete das Auto als Morgans »Teilziel«.

Das kleine Haus in der Newberry Street besaß einen hübschen Vorgarten und war frisch geweißt worden. Die neue Haustür hatte sie in einem zarten, freundlichen Blau gestrichen. Ihr Chef bei Greenwald’s Builders hatte ihr geholfen, die alten Bodendielen abzuschleifen, ihr Rabatt auf die Farbe gegeben und sie bei allen Reparatur- und Wartungsarbeiten unterstützt.

Morgan hatte Wurzeln geschlagen und spürte, wie gut ihr das tat.

Sie strahlte beim Anblick der leuchtend gelben Narzissenblüten, die ihren neu gepflasterten Gartenweg säumten. Ende März war das Wetter launisch, aber bei den vielen Frühlingsboten … Im letzten Herbst hatten Nina und sie einen Hartriegelstrauch im Vorgarten gepflanzt, und sie konnte regelrecht spüren, wie er die Blüte kaum erwarten konnte. Bald ist es so weit, dachte sie, als sie ihr Rad zum Ständer schob und es vorsichtshalber abschloss. Es war zwar ein sicheres Viertel, aber sie wollte niemanden in Versuchung führen.

Sie schloss die Haustür auf und rief: »Hallo«, da Ninas wenig zuverlässiges Auto am Straßenrand parkte. »Ich bin’s, ich bin spät dran.« Sie ging durchs Wohnzimmer und dachte wie so häufig daran, wie viel offener der Raum wirken würde, wenn sie die Wand zur Küche einriss. Dafür sparte sie bereits vielleicht im Herbst, noch vor Weihnachten …

»Ich bin nicht spät dran«, rief Nina zurück. »Und ich hab eine Verabredung!«

Nina hatte ständig Verabredungen. Sie war quirlig und lebensfroh und hatte mehr Zeit als Morgan, weil sie nicht in zwei Jobs gleichzeitig arbeitete.

Morgan blieb in der offenen Zimmertür stehen.

Verschiedene, offensichtlich aussortierte Outfits lagen über das ganze Bett verteilt. Nina bewunderte sich gerade vor dem Ganzkörperspiegel. Ihr rabenschwarzes Haar fiel tief auf das Rückenteil eines roten Kleides, das die Kurven ihrer zierlichen Figur perfekt zur Geltung brachte. Ihre dunklen Augen strahlten, als sie Morgans Blick im Spiegel begegneten.

»Na, was sagst du?«

»Eigentlich sollte ich dich hassen. Aber egal. Wohin gehst du und vor allem mit wem?«

»Sam lädt mich heute Abend ins Fresco’s ein.«

»Schick! Ja, das rote Kleid ist der Hammer.« Sie war ein wenig neidisch. Der einzige Nachteil ihrer Wohngemeinschaft bestand darin, dass Morgan lang und schlaksig, Nina dagegen klein und kurvig war. Sie konnten ihre Klamotten also nicht tauschen. »Behalt es an! Kann es sein, dass du seit fast drei Wochen ausschließlich mit dem wahnsinnig gut aussehenden Sam ausgehst?«

»Seit fast vier.« Nina drehte sich um die eigene Achse. »Von daher …«

»Ich werde ganz leise sein, wenn ich nach Hause komme.«

»Ich mag ihn echt, Morgan.«

»Ich auch.«

»Nein, so richtig, meine ich.«

»Aha.« Morgan legte den Kopf schräg und musterte ihre Freundin. »Ich weiß, dass er es ernst mit dir meint. Es steht ihm im Gesicht geschrieben. Wenn du auch in diese Richtung denkst, kann ich dir als deine Freundin nur meinen Segen geben.«

Nachdem sie ihre Wahnsinnshaarpracht zurückgeworfen hatte, stieß Nina einen ihrer verträumten Seufzer aus. »Und ob ich in diese Richtung denke!«

»Ich kann dir nur zuraten. Aber jetzt muss ich mich für die Arbeit umziehen.«

»Von einem Job zum nächsten. Ich muss hier dringend aufräumen und putzen, Sam soll mich schließlich nicht für schlampig halten.«

»Du bist nicht schlampig.« Nur chaotisch, dachte Morgan, doch zum Glück behielt Nina ihr Chaos bei sich.

Im Gegensatz zu Ninas fröhlichem Durcheinander, ihren lavendelfarbenen Wänden und ihrem Schminktisch voller Make-up, Haarpflegeprodukte und sonstiger Utensilien, sah es in Morgans Reich eher übersichtlich aus. Das dritte Zimmer, kaum mehr als eine Abstellkammer, nutzte sie als Arbeitszimmer. Das war also tabu. Ruhige blaue Wände, das ein oder andere Kunstwerk, das sie Straßenkünstlern in Baltimore abgekauft hatte, eine weiße Steppdecke mit passenden Kissen, dazu ein kleiner, gemütlicher Lesesessel.

Morgan legte ihre Bürokleidung ab – graue Hose, weiße Bluse, marineblauer Blazer – und schlüpfte in ihr Kneipenoutfit – schwarze Hose, schwarze Bluse. Im Bad zog sie die Schublade auf, in der sie ihr Make-up sortiert hatte. Und verwandelte sich von ihrer Tages- in die Nachtversion. Ihr kurzes, asymmetrisch geschnittenes blondes Haar passte zu beiden Jobs, aber die Barkeeperin wählte dramatischeren Lidschatten und knalligeren Lippenstift. Aufgrund jahrelanger Übung war die Verwandlung innerhalb von zwanzig Minuten vollzogen.

Da sie nicht edel bei Fresco’s speisen würde, sauste sie in die Küche und nahm sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Sie aß ihn im Stehen, malte sich aus, die Wand wäre schon weg, träumte von neuen Schranktüren und Küchengeräten, von ein paar offenen Regalen und …

»Amiga mia, du musst was Richtiges essen.«

»Joghurt ist was Richtiges.«

Nina, die inzwischen einen Bademantel trug, stemmte die Hände in die Hüften. »Ich meine etwas, was man mit Messer und Gabel essen und kauen muss. Du bist von Natur aus beneidenswert schlank, aber wenn du nicht isst, wirkst du dürr und ausgezehrt. Im Ernst: Eine von uns beiden sollte dringend kochen lernen.« Sie hob einen Finger mit korallenrot lackiertem Nagel und zeigte damit auf Morgan. »Ich finde, das solltest du machen.«

»Ja genau, das mache ich dann in meiner großzügig bemessenen Freizeit. Bist du nicht diejenige mit der Mutter, die toll kochen kann?«

»Komm am Sonntag mit zum Abendessen. Und sag jetzt nicht, du musst arbeiten, irgendwelche Excel-Tabellen erstellen oder so. Du weißt, wie gern dich meine Eltern haben. Mein Bruder Rick kommt auch.«

Den Joghurt in der einen und den Löffel in der anderen Hand, winkte Morgan energisch ab. »Ich werde mich nicht mit deinem süßen Bruder verabreden. Das wäre viel zu gefährlich. Hinterher verlier ich dich als Mitbewohnerin, nur weil ich Sex mit ihm habe und mich anschließend trenne.«

Nina hielt sich eine goldene Kreole ans eine Ohr, dann einen Ohrhänger aus drei miteinander verschränkten Kreisen ans andere. »Welchen soll ich nehmen?«

Morgan zeigte auf den Ohrhänger. »Der ist aufregender.«

»Gut. Aber vielleicht kommst du ja mit Rick zusammen, hast Sex mit ihm und verliebst dich wirklich?«

»Dazu hab ich keine Zeit. Gib mir noch zwei, drei Jahre, dann gibt’s vielleicht eine Lücke im Terminkalender.«

»Ich plane auch gern, aber nicht in Liebesdingen. Doch du hast vom Thema abgelenkt. Du musst was essen.«

»Ich krieg was in der Kneipe.«

»Am Sonntag kommst du mit zum Abendessen«, beharrte Nina, während Morgan den Becher wegwarf und den Löffel abspülte. »Ich sag meiner Mutter, dass du zugesagt hast. Dann gibt es kein Zurück mehr.«

»Ich würde echt gerne kommen. Aber lass mich erst diese Woche hinter mich bringen. Wir haben verdammt viel zu tun bei Greenwald’s. Im Frühling wollen alle ihre Veranda umbauen, anstreichen oder neu bauen.« Sie griff nach ihrer Handtasche. »Viel Spaß heute Abend.«

»Den werd ich haben. Ich ruf meine Mutter an, bevor ich mich in Schale schmeiße.«

»Du bist immer in Schale.«

Morgan eilte zu ihrem Wagen. Sie freute sich, dass sie früh dran war und fuhr die paar Kilometer zur Ortsmitte. Die Läden an der sogenannten Market Mile, der Einkaufsstraße, die tatsächlich genau eine Meile lang war, würden in einer Stunde schließen. Aber Restaurants und Cafés sorgten dafür, dass die Lichter dort erst spätabends ausgingen. Die meisten Gebäude, rosa oder weiß getünchte Ziegelbauten, hatten unten Läden und darüber Wohnungen. Das Next Round bildete keine Ausnahme und vermietete gern an Geschäftsleute oder Angestellte, die kein Problem damit hatten, über einer Bar zu leben.

Morgan verließ die Market Mile und fuhr auf den Parkplatz vor dem Hintereingang der Kneipe. Sie schloss den Wagen ab und lief über den knirschenden Kies zur Küchentür. Wärme und Lärm schlugen ihr entgegen. Im Round gab es Burger, Muscheln, Nachos, Pommes, frittierte Zwiebelringe und Pickles sowie drei Variationen von Chicken Wings.

Wenn sie ihre eigene Bar eröffnete, würde sie weitere Speisen anbieten: mehr Abwechslung. Am besten, sie lernte vorher kochen. Man konnte schließlich nie wissen, wann man einspringen musste.

»Hi, Frankie«, rief Morgan der Frau am Grill zu, während sie ihre Jacke aufhängte. »Wie läuft’s?«

»Ganz gut.« Mit ihrem tintenschwarzen Haarschopf unter der weißen Kappe wendete Frankie drei dicke Burger. »Roddy und seine Brüder essen was bei uns, bevor das Darts-Turnier beginnt. Sei froh, dass du heute nicht zur Happy Hour da warst. Es war knallvoll.«

»Ich mag knallvoll.«

Sie begrüßte die beiden Köche, den jungen Spüler und die Kellnerin, die eine weitere Bestellung für Nachos aufnahm. Obwohl sie noch zehn Minuten Zeit hatte, bevor ihre Schicht begann, ging sie durch die Tür in die Kneipe.

Eine andere Art Lärm, dachte sie. Nicht das Zischen von Fleisch auf dem Grill, das Hacken von Messern und Klappern von Geschirr. Stimmengewirr erfüllte den großen Raum mit der langen schwarzen Bar, den Tischen und Nischen. Laute Musik kam aus der Jukebox, aber nicht so laut, dass sie die Gespräche übertönte. Sie sah Roddy und seine Brüder in ihrer üblichen Nische bei der Dartscheibe. Die Stammgäste tranken Bier und knabberten Nüsschen. Sie ging hinter den Tresen und wollte Wayne ablösen, der gerade einen Limettenschnitz in eine Flasche Corona-Bier gab.

»Gerade ist es eher ruhig«, meinte der und schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln. »Der Typ am Tresenende muss noch zahlen. Er hat schon seinen zweiten Wodka Tonic intus, also behalt ihn im Auge.« Wayne brachte das Corona zu einem anderen Tresengast und wechselte ein paar Worte, bevor er zu Morgan zurückkam. »Er wartet auf sein Onlinedate – es ist die erste Verabredung. Sie ist spät dran, und er wirkt nervös.«

Süß, fand Morgan, ein bisschen nerdig. Wetten, dass er lauter Spielkonsolen im Wohnzimmer hatte? »Verstehe.«

»Gut, dann geh ich jetzt mal. Noch einen schönen Abend.«

Wie immer kontrollierte sie die Vorräte: Eiswürfel, Limetten- und Zitronenschnitze, Oliven und Kirschen. Sie arbeitete ein paar Bestellungen von den Tischen ab und wollte gerade zu dem Corona-Typen, als sie eine Frau entdeckte, die sich nervös umsah, bevor sie auf den Typen an der Bar zuging.

»Dave? Ich bin Tandy. Tut mir leid, dass ich zu spät bin.«

Seine Miene hellte sich auf. »Ach, das macht doch nichts. Schön, dich kennenzulernen. Wollen wir uns an einen Tisch setzen?«

»Nein, das passt schon.« Sie ließ sich auf den Barhocker neben ihm sinken.

Morgan lief den Tresen entlang. Die beiden sahen sich ebenso nervös wie erwartungsvoll an. »Hi. Was darf ich euch bringen?«

»Äh, ja … könnte ich ein Glas Chardonnay haben?«

»Aber natürlich. Tolle Ohrringe.«

»Ach.« Tandy fasste sich ans linke Ohrläppchen. »Danke.«

»Echt hübsch«, bekräftigte Dave. »Du siehst toll aus.«

»Danke. Du auch.« Sie lachte. Morgan schenkte den Wein ein. »Man weiß nie, was einen erwartet. Ich war so nervös, dass ich noch mal um den Block marschiert bin. Deshalb bin ich ein bisschen spät dran.«

»Ich war vor lauter Anspannung zwanzig Minuten zu früh da.«

Morgan sah, dass das Eis gebrochen war. Einer der Gründe, warum sie es so liebte, in einer Kneipe zu arbeiten. Man wusste nie, welche Liebesgeschichten in einem netten Nachbarschaftslokal anfingen oder endeten, aufblühten oder dahinwelkten. Während Roddy und seine Brüder ihre Burger vertilgten, füllte sich der Laden. Das Onlinepärchen beschloss, sich doch an einen Tisch zu setzen, und orderte Nachos. Morgan wettete auf ein zweites Date. Der Wodka Tonic zahlte und ging, er gab ein mickriges Trinkgeld. Dartpfeile bohrten sich in die Scheibe, befeuert vom Jubel der Zuschauer.

Ein Mann Anfang dreißig kam rein. Blonde Haare, markante Züge, durchtrainierter Körper. Fast wirkte er wie ein Filmstar, der inkognito unterwegs war. Er trug Jeans, Stiefel und einen hellblauen Pulli, der nach Kaschmir aussah, und ließ sich auf einen Hocker sinken.

Morgan ging zu ihm. »Willkommen im Next Round. Was kann ich für dich tun?«

»Ich wüsste da so einiges.« Er grinste sie an – unverkrampft, charmant. »Fangen wir mit einem Bier an. Habt ihr lokales Bier vom Fass?«

»Natürlich.« Obwohl Getränkekarten auslagen, zählte sie die Sorten auf.

»Wie wär’s, wenn du mir eines aussuchst?«

»Wonach suchst du denn?«

»Noch so eine doppeldeutige Frage.«

Sie lächelte. Der sucht bestimmt Anschluss, dachte sie, und will nicht nur einen Drink. Konnte er haben.

»Bei einem Bier, meine ich.«

»Weich, aber nicht langweilig. Vollmundig, aber nicht zu dominant. Mit einer malzigen Note.«

»Versuch mal das.« Sie holte ein Probierglas und zapfte einen Schluck.

Während er das Bier verkostete, ließ er sie nicht aus den Augen. »Ja, das passt. Eine gute Wahl.«

»Das ist mein Job.«

Bevor er etwas sagen konnte, tauchte eine der Kellnerinnen auf. »Der Mädelstisch da hinten ist in den Neunzigern stecken geblieben. Vier Cosmopolitans, Morgan.« Sie trug ein Tablett mit leeren Gläsern in die Küche, während Morgan sich an die Arbeit machte.

»Du verstehst was von deiner Arbeit«, bemerkte der Neuankömmling, als sie die Drinks mixte.

»Das sollte ich auch. Bist du geschäftlich unterwegs?«

»Sehe ich nicht aus wie ein Einheimischer?«

Fast, dachte sie. Seine Kleidung war teuer, aber nicht protzig. »Ich hab dich hier noch nie gesehen.« Gelächter wurde laut. »Ein Darts-Turnier«, erklärte sie.

»Verstehe. Ein richtiges Turnier?«

»Irgendwie schon. Magst du noch was? Die Speisekarte?«

»Ist die Küche gut?«

»Ja.« Sie legte ihm eine Karte hin. »Schau mal rein, lass dir ruhig Zeit.« Mit den fertigen Cosmopolitans marschierte sie den Tresen entlang. Nahm Bestellungen entgegen, erledigte sie und plauderte dabei mit den Stammkunden. Dann arbeitete sie sich zurück zu ihrem Ausgangspunkt.

»Ich probier einen Market-Street-Burger, außer du rätst mir ausdrücklich davon ab.«

»Der ist nicht umsonst ein Klassiker. Wenn du es ein bisschen schärfer magst, nimm die Spicy Fries dazu.«

Er hob die Hände. »Bisher hast du immer richtig gelegen.«

Lachend bonierte sie seine Bestellung.

Roddy, eins zweiundneunzig groß und einhundertzwanzig Kilo schwer, kam an den Tresen. »Noch ’ne Runde, ihr Süßen. Wie geht’s?«, sagte er freundlich zu dem Schönling, während Morgan seine Bestellung abarbeitete.

»Ein kaltes Bier, eine wunderschöne Barkeeperin, Sport live. Was will man mehr.«

»So schaut’s aus.« Roddy nahm die Biere und ging.

»Dein Freund?«

Morgan musterte ihren Gast. »Nein, Roddy und seine Brüder – die Darts-Spieler – sind Stammkunden. Bei meinem anderen Job arbeite ich mit seiner Freundin zusammen.«

»Zwei Jobs? Wie ehrgeizig. Was ist deine andere Arbeit?«

»Büroleiterin eines Bauunternehmens. Und was machst du so?«

»Was mir Spaß macht, zumindest versuch ich es. Bin in der IT-Branche und nur für ein paar Monate hier, ein Beraterjob.«

»Woher stammst du?«

»Ich bin viel unterwegs. Ursprünglich komm ich aus San Francisco, lebe aber inzwischen in New York, zumindest überwiegend. Bist du in der Gegend zu Hause?«

»Inzwischen, ja.«

Eine weitere Kellnerin kam und rasselte eine Bestellung herunter.

»Ich bin ein Soldatenkind«, erzählte sie, während sie weiterarbeitete.

»Dann weißt du, wie es ist, viel unterwegs zu sein.«

»Allerdings. Ich bin froh, es hinter mir zu haben.«

Als sein Essen kam, musterte er ausgiebig den Teller. »Ihr macht wirklich keine kleinen Portionen.«

»Nein. Möchtest du einen Tisch?«

Er schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln. »Mir gefällt es hier. Ich heiße übrigens Luke«, stellte er sich vor. »Luke Hudson.«

»Morgan. Schön, dich kennenzulernen.«

Er aß, bestellte noch ein Bier und blieb das gesamte Darts-Turnier über da. Dabei stellte er Fragen, ohne aufdringlich zu werden. Tresengeplauder, wie Morgan fand.

Luke war in einem Hotel abgestiegen. Seine Firma hätte ihm ein Haus gemietet, aber er mochte Hotels und genoss auf seinen Reisen das Lokalkolorit. Er fragte, wo ihr Vater stationiert gewesen sei, wo sie bisher am liebsten gelebt habe. Ein lockeres Gespräch, während sie Drinks mixte, den Tresen wischte, mit anderen Gästen sprach.

»Ich sollte los«, meinte er. »Eigentlich wollte ich nicht so lange bleiben. Ich scheine meine Stammkneipe gefunden zu haben.« Er stand auf. »Wir sehen uns.« Er überraschte sie mit einem Handschlag, behielt ihre Hand in seiner und lächelte sie an. »Es war schön, Zeit mit dir zu verbringen, Morgan.«

»Ich hab auch gern mit dir geplaudert.«

»Das wiederholen wir.«

Er zahlte bar und gab ein großzügiges Trinkgeld.

***

Einige Abende später erschien Luke, als Morgans Schicht fast beendet war. Es war Quizabend im Round, und der Geräuschpegel stieg, als Tische und Grüppchen Antworten brüllten.

»Such mir ein anderes lokales Bier vom Fass aus«, bat er Morgan. »Etwas … Aufregendes.« Er drehte sich zu den Teilnehmenden um. »Heute kein Darts?«

»Quizabend. Alle können mitmachen, also ruf einfach die Antwort rein, wenn dir danach ist.«

»Was gibt es zu gewinnen?«

»Zufriedenheit.« Sie hielt ihm ein Probierglas hin.

»Interessant und aufregend«, befand er. »Schwarze Johannisbeere. Das nehm ich.«

Beim Zapfen lächelte sie ihn an. »Noch was dazu?«

»Erst mal nur das Bier. Ich hatte einen langen Tag.«

»Wie läuft’s in der IT-Welt?«

»Die ist genau wie das Bier. Interessant und aufregend. Und bei dir so?«

»Viel zu tun, aber ich mag das.« Sie arbeitete Bestellungen ab. Da das Quiz seinen Höhepunkt erreicht hatte, wurde es jedoch ruhiger.

»Was machst du, wenn du nicht so viel zu tun hast?«, fragte Luke.

»Sollte es jemals dazu kommen, geb ich dir Bescheid.«

»Man muss sich Pausen gönnen. Für den Kopf, für den Körper und die Seele. Erzähl mir, was du dir für einen freien Tag so ausmalst.«

»Ausmalen ist ein gutes Stichwort. Mein Haus muss gestrichen werden, ist aber noch nicht fertig renoviert. Und jetzt im Frühling planen wir die Bepflanzung.«

»Wir?«

»Ich wohn in einer WG.«

»Ist dein Mitbewohner Handwerker?«

»Es ist eine Mitbewohnerin. Sie weiß genau, wie man ein Anwesen mit Pflanzen aufpeppt. Weil sie in einem Gartencenter arbeitet. Innenausstattung ist dagegen nicht so Ninas Ding, damit kenn ich mich eher aus.«

»Du arbeitest in einem Bauunternehmen. Wie praktisch.«

»Es hilft.«

»Als Hauseigentümer muss man vieles instand halten. Das dürfte mit ein Grund sein, warum ich nie in diese Richtung gedacht habe. Ich bin nicht sehr praktisch veranlagt. Und dann ist da noch mein Job.« Er zeigte erneut auf sie. »Soldatenkind. Du wolltest also Wurzeln schlagen.«

»Ganz genau.« Sie mixte einen Whiskey Sour und zapfte zwei Biere, bevor er sie wieder auf sich aufmerksam machte.

»Was hat dich ausgerechnet hierher verschlagen, wenn ich fragen darf?«

»Dieser Ort bietet alles, was ich will. Vier Jahreszeiten, nah an der Stadt, ohne direkt im Zentrum zu sein, keine Kleinstadt, keine Großstadt, genau richtig eben.« Sie stellte ihm ein Schälchen mit Salzbrezeln hin.

»Es ist eine schöne Gegend. Ideal, um ein Haus so aufzuwerten, wie du das gerade tust. Genau deshalb bin ich übrigens hergekommen. Manche Haus- und Ladenbesitzer wollen ihre Haustechnik modernisieren, und es gibt ein paar Neubauten, die als Smart Homes geplant sind. Alte Häuser, neue Käufer, die sanieren oder upgraden wollen.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich stelle einen Teil der Infrastruktur zur Verfügung. Alle wollen heute ein Homeoffice. Die Voraussetzungen dafür kann ich schaffen. Du hast bestimmt auch eines.«

»Ja. Nicht übertrieben smart, aber es funktioniert.«

Das Quiz endete mit Jubel und Buhrufen. Es gab wieder eine neue Runde und Snacks. Während Morgan arbeitete, sah sie, dass Luke mit einem anderen Tresengast ins Gespräch kam. Baseball. Er schien genug zu wissen, um das Gespräch am Laufen zu halten.

»Noch was zu trinken?«

»Ja, danke. Was ist mit dir, Larry? Das geht auf mich.«

»Gern. Wie geht es Ninas Auto?«

»Schlecht.«

Larry schüttelte den Kopf und fuhr sich über den kurzen Bart. »Sie sollte es mal bei mir vorbeibringen.«

»Ich werd’s ausrichten. Larry ist der beste Automechaniker von hier bis Baltimore«, erklärte sie Luke. »Er hat dafür gesorgt, dass Ninas Schrottkarre immer noch fährt.«

»Ich tu, was ich kann. Gefällt dir dein neues Auto noch?«

»Es ist perfekt.« Sie stellte ihnen die Getränke hin und machte eine weitere Runde für einen Sechsertisch fertig. Larry lenkte das Gespräch auf Autos und Motoren, und wieder schien Luke genug zu wissen, um mitreden zu können.

»Ich muss los.« Larry sprang auf. »Meine Frau kommt jeden Moment nach Hause. Literaturkreis … im Grunde nur ein Vorwand, um Wein zu trinken und zu quatschen. War schön, mit dir zu reden, Luke. Danke für den Drink.«

»Gerne wieder.«

»Noch eine Runde?«, fragte Morgan.

»Zwei Bier sind genug. Ich sollte ebenfalls aufbrechen, morgen wartet ein anstrengender Tag auf mich.« Er zahlte und gab ein großzügiges Trinkgeld. »Ich würde gern sagen, arbeite nicht so viel, aber das wirst du ohnehin tun. Schön, dich wiedergesehen zu haben.«

»Viel Glück in der IT-Welt.«

Er schenkte ihr ein Grinsen und marschierte hinaus.

***

An einem turbulenten Freitagabend schaute Luke erneut im Round vorbei. Gemeinsam mit Morgan arbeitete ein Kollege, der immer am Wochenende aushalf, wenn viel los war. Luke lehnte am Tresen, denn jeder Barhocker war besetzt. »Überrasch mich. Ich hatte eine verdammt gute Woche.«

»Ich gratuliere! Hast du das Wochenende frei?«

»Ach, ein bisschen Papierkram und Organisation, aber ansonsten schon. Hast du eine Idee, wie ich meine Freizeit verbringen könnte?«

»Du könntest nach Baltimore fahren, das Hafenviertel und das Aquarium anschauen. Und die O’s haben ihren Saisonstart in Camden Yards.«

»Möchtest du mir die Stadt zeigen?«

Morgan konnte nicht behaupten, dass das überraschend kam. Sie merkte, wann ein Mann Interesse an ihr hatte. Dennoch ging sie nicht auf seinen Vorschlag ein. Das gehörte zum Job. »Geht leider nicht. Am Samstag bin ich tagsüber mit dem Haus beschäftigt, und abends steh ich wieder hier. Der Sonntag ist sowieso komplett verplant. Aber danke für das Angebot.«

Er kostete von dem Bier, das sie ihm anbot. »Der reinste Kurs zum Kennenlernen lokaler Biere. Das ist lecker, zapf mir gern eins.« Er wartete, bis sie ihn bediente. »Hör zu, ich will nicht aufdringlich wirken. Wenn du vergeben bist, sag mir das, kein Problem. Darf ich dich irgendwann zum Essen ausführen? An einem Abend, an dem du ausnahmsweise nicht arbeitest?«

Sie zögerte.

»Kein Stress. Nur nett essen gehen und reden. Magst du Pizza?«

Aus irgendeinem Grund entspannte sie sein Plauderton. »Ich fände es eher komisch, wenn jemand keine mag.«

»Die Pizza im Luigi’s ist gut.«

»Da hast du ja gleich den besten Laden gefunden.«

»Wir könnten eine Pizza essen und ein Glas Wein trinken gehen. Wie wär’s, wenn wir uns direkt dort treffen?«

Sie hatte sich seit Ewigkeiten nicht mehr mit einem Mann verabredet, nicht seit … wann genau? Sie wollte nicht darüber nachdenken. Also warum eigentlich nicht? »Am Montagabend hab ich Zeit.«

»Um sieben im Luigi’s?«

»Okay. Klingt gut.«

»Hast du was dagegen, wenn wir unsere Telefonnummern austauschen? Nur für den Fall …«

Sie zückte ihr Handy und schickte ihm ihre Daten. »Wenn du bleiben willst und einen Platz am Tresen möchtest: Das Pärchen drei, vier Hocker weiter geht bestimmt bald.«

»Danke. Ich bleibe.«

Sie schenkte ihm ein Lächeln und machte sich wieder an die Arbeit.

Er schnappte sich einen Hocker, trank seine zwei Bier und ging kurz nach Mitternacht.

»Montagabend«, sagte er. »Genieß das Wochenende.«

»Du auch.«

»Ein Bild von einem Mann.« Gracie, die Kellnerin, sah ihm nach. »Und er hat einen Blick auf dich geworfen, Süße.«

»Vielleicht. Er scheint nett zu sein, solide – und er ist nur für ein paar Monate in der Gegend.«

»Schmiede das Eisen, solange es heiß ist.«

»Vielleicht«, meinte Morgan.

2

Morgan verbrachte den Samstagvormittag damit, sich ums Haus zu kümmern – Wäsche waschen, putzen und von eingerissenen Wänden, einem neuen Anstrich und einer neuen Küchentheke träumen. Sie erledigte die Wocheneinkäufe, auch für Nina, und legte die Quittung für die monatliche Abrechnung auf die Küchentheke.

Als Nina am Nachmittag mit Stiefmütterchen, Blumenerde und Mulch heimkam, schleppten sie die Übertöpfe aus dem Schuppen. Eines Tages will ich Pflanzkästen haben, dachte Morgan. Aber sie wollte auch neue Fensterläden und eine niedliche kleine Veranda nach vorne raus. Wenn sie sich nicht verrechnet hatte, würde sie sich all das im nächsten Frühling leisten können. Bis es so weit war, kamen die Stiefmütterchen genau richtig.

»Erzähl mir mehr von diesem Luke.«

Mit ihrer Kapuze gegen die kühle, nicht sehr aprilmäßige Brise geschützt drückte Morgan die Erde um die fröhlichen Stiefmütterchen fest. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Er ist ITler und muss recht gut in seinem Job sein. Sonst würde ihn seine Firma nicht monatelang irgendwo hinschicken, um ein Gebiet neu zu erschließen oder wie die das nennen. Außerdem zieht er sich gut an. Nicht übertrieben, nur gut.«

»Du hast gesagt, dass er fantastisch aussieht.«

»Ja. Weil es stimmt. Gute Manieren, freundlich. Trinkt nie mehr als zwei Bier. Ich habe einfach eine Verabredung zum Pizzaessen. Mit einem Typen, der bloß vorübergehend in der Gegend ist, Nina. Wir haben kein Aufgebot bestellt.«

Nina schob ihren Sonnenhut aus der Stirn. »Wann warst du das letzte Mal zum Pizzaessen oder so verabredet?«

»Ich will nicht darüber reden.«

»Weil es da nichts zu reden gibt. Du lächelst immer und sagst Nein. Warum hast du diesmal Ja gesagt? Weil er fantastisch aussieht?«

Morgan zuckte etwas verlegen mit den Schultern. »Es schadet jedenfalls nicht. Ich kann auch oberflächlich sein. Er ist interessant, muss sich nicht ständig selber reden hören und hört zu. Das ist nett. Ich finde ihn nett.«

»Und er ist nur vorübergehend in der Gegend.«

»Ja, was momentan ein Pluspunkt ist. In fünf, sechs, sieben Jahren sehe ich mich vielleicht nach was von Dauer um.« Ihre flaschengrünen Augen bekamen einen verträumten Ausdruck. »Dann kann ich mich verlieben, mir Zeit nehmen, überlegen, eine Familie zu gründen … Zuerst muss ich meine Träume verwirklichen. Wow, wie niedlich diese Blumen sind! Schlau von mir, eine Gärtnerin als Mitbewohnerin auszusuchen.«

»Sehr schlau. Wenn ich einmal so weit bin, dann wünsche ich mir einen großen, wilden Garten. Das Haus kann ruhig klein sein, aber ich brauch einen riesigen Garten.« Sie legte sich rücklings ins kühle Gras. »Mit Schatten spendenden Bäumen, mit Zierpflanzen, mit Schmetterlingswiesen und schmalen Wegen, die sich durch den Nutzgarten schlängeln. Mit originellen Häuschen und Badestellen für die Vögel. Ich will einfach alles.«

Morgan streckte sich neben ihr aus. »Wir sollten uns auch ein Vogelhäuschen anschaffen. Ich hab zwar nicht die geringste Ahnung, was ein Nutzgarten ist, aber ich will unbedingt einen.«

»Das lässt sich einrichten.« Nina drückte Morgans Hand. »Mir gefällt es hier. Das Haus hat zwar nicht den riesigen Garten meiner Träume, aber jede Menge Potenzial. Vor allem, wenn du mir freie Hand lässt.«

»Wir ergänzen uns.«

»Du solltest den Supertypen zum Essen einladen.«

»Wir können nicht kochen.«

»Wir kriegen das hin. Ich kann Mama nach einem einfachen Rezept fragen, das trotzdem was hermacht. Sie hat bestimmt eine Idee. Komm, lass uns aufräumen. Dann gehen wir rein und überlegen, was du zu deinem Date anziehst.«

»Wir gehen bloß Pizza essen, Nina.«

»Heute Pizza und morgen … wer weiß? Wir ergänzen uns«, rief Nina ihr in Erinnerung. »Mit Dates kenne ich mich aus. Ich würde sagen, lässig und ein bisschen sexy für eine Verabredung mit einem Mann, der nur vorübergehend in der Gegend ist.«

»Kann sein, dass ich nichts habe, auf das diese Beschreibung passt.«

»Glaub mir, auch mit dem Problem werde ich fertig.«

***

Morgan fragte sich, ob Luke wohl am Samstagabend im Round vorbeischauen würde. Und was es zu bedeuten hatte, dass sie enttäuscht war, als er nicht erschien. Macht nichts, redete sie sich ein. Es war ohnehin wahnsinnig voll gewesen. Außerdem musste sie am Sonntag eine Nachmittagsschicht einlegen, weil ein Kollege mit Blinddarmentzündung ins Krankenhaus gekommen war. Direkt nach der Arbeit war sie dann zu Ninas Familienessen gegangen, hatte eine fantastische Paella und viel Gelächter genossen.

Am Montag nach der Arbeit fuhr sie mit dem Rad nach Hause. Einen Teil des Wochenendes hatte sie damit verbracht, ihre Finanzen zu checken und sich auszurechnen, was sie sich alles leisten konnte. Heute hatte sie ihren Vorgesetzten im Bauunternehmen gefragt, was es wohl kosten würde, die Wand einzureißen und die Küche zu erneuern. Neue Geräte, eine neue Arbeitsfläche, neue Schränke. Das volle Programm. Mit diesem Betrag im Kopf passte sie ihre Pläne entsprechend an. Sie würde die Schränke neu streichen statt sie zu ersetzen, zumindest fürs Erste. Denn auf die Kücheninsel ihrer Träume wollte sie nicht verzichten.

Als sie ihr Rad abstellte, trat Nina in die Haustür.

»Du bist spät dran.«

»Ich habe noch anderthalb Stunden Zeit. Fast.«

»Komm rein, amiga mia. Wir haben so einiges zu erledigen. Ich muss dich schminken.«

»Das kann ich doch selbst machen …«

»Du weißt, wie sich eine Büroangestellte und eine zu kleinen Flirts aufgelegte Barkeeperin schminkt. Aber weißt du auch, wie das Make-up für ein lässiges, sexy Pizzadate aussieht?«

»Ich denke schon.«

»Von wegen.« Nina hob den Zeigefinger. »Komm mit in mein Badezimmer, da hab ich meinen ganzen Kram. Einen Hocker hab ich auch schon bereitgestellt, du bist immerhin fünfzehn Zentimeter größer als ich.«

»Sechzehn Zentimeter.«

»Ja, ja, du mit deinen kilometerlangen Beinen.«

Weil Nina Nina war, beanspruchte sie fast die Hälfte der Zeit, die Morgan hatte, um sich fertig zu machen.

»Ich glaube, mein Gesicht ist fünf Pfund schwerer.«

»Aber jedes einzelne Gramm ist es wert. Schau dich an! Du hast auch so schon wunderschöne grüne Augen, aber jetzt sind sie der Wahnsinn! Ich weiß, was ich tue.«

Da konnte Morgan nicht widersprechen. Ihre Augen wirkten riesig und das Grün intensiv, ihre Haut taufrisch trotz oder wegen der zahllosen Make-up-Schichten.

»Der rote Lipgloss kommt echt gut«, befand Nina und musterte das Ergebnis ihrer Anstrengungen. »Super. Du hast die perfekten Lippen, richtig schön voll. Zieh dich an!«

»Was machst du heute Abend?«

»Ich bleib daheim.« Nina kam mit in ihr Zimmer, um sicherzustellen, dass Morgan tatsächlich anzog, was sie bereitgelegt hatte.

»Echt?«

»Es ist jede Menge Essen von meiner Mutter übrig. Ich lege einen ruhigen Abend mit Schönheitsprogramm ein. Schaumbad, Haarkur, Gesichtsmaske. Ein ausgiebiges Wannenbad mit einem Glas Wein und Kerzen. Ein Verwöhnabend. Hinterher will ich alles über dein Date wissen.«

»Wir gehen bloß Pizza essen.« Diese ganzen Vorbereitungen machten Morgan langsam nervös.

»Mit irgendwas muss man ja anfangen. Meine Güte, hast du einen tollen Po«, fügte Nina hinzu, als Morgan in eine enge Jeans schlüpfte. »Kilometerlange Beine und ein Knackpo.«

Morgan schaute sich um und wackelte mit dem Hinterteil. »Baggerst du mich etwa an?«

»Wenn der Mann, der nur vorübergehend in der Gegend ist, das nicht tut, stimmt was nicht mit ihm.«

»Ich will nicht angemacht werden.« Morgan zog den hellblauen Pulli an. »Aber ein bisschen Interesse kann nicht schaden.« Unter Ninas kritischen Blicken tauschte sie Ohrstecker gegen Ohrhänger, zog ihre besten Stiefel an und schlüpfte in die anthrazitgraue Lederjacke, ein Weihnachtsgeschenk von ihrer Mutter. »Geht das so?«

»Lässig und sexy hoch drei.« Nina holte einen kleinen Zerstäuber aus der Tasche. »Lauf durch den Sprühnebel«, befahl sie und sprühte drauflos.

Morgan verdrehte die Augen und gehorchte.

»Perfekt. Und jetzt ein Drink.«

»Ich werde zum Essen einen Wein trinken.«

»Du wirst auf der Stelle ein winziges Gläschen trinken, damit du schön entspannt bist. Wenn du es beim Abendessen total übertreibst und zwei Gläser Wein trinkst, gehst du mit deinem Date auf der Market Mile spazieren, runter zum Park, zum Teich und wieder zurück. Du brauchst also meinen blauen Schal mit Blumenmuster. Der sorgt für das gewisse Etwas.«

Um Punkt sieben betrat Morgan das Luigi’s. Dort herrschte genauso viel Trubel, wie es sich für ein gutes Lokal gehörte. Es duftete nach Tomatensoße, Gewürzen und geschmolzenem Käse. Sie war erleichtert, dass Luke bereits in einer Nische saß. Das Lächeln, das er ihr schenkte, als er sie sah, tat ihrem Ego gut. Sie ging auf ihn zu.

Er verließ die Nische, nahm ihre Hand und küsste sie leicht auf die Wange. »Du siehst atemberaubend aus.«

»Danke. Ich hoffe, du wartest nicht schon länger auf mich.«

»Ich bin gerade erst gekommen. Tolle Jacke«, bemerkte er, als er ihr hinaushalf.

»Ein Geschenk von meiner Mutter.«

»Sie hat einen coolen Geschmack. Ich hab schon mal eine Flasche Rotwein bestellt, ich hoffe, das ist okay. Wir können die Bestellung aber auch ändern.«

»Rotwein ist prima. Wie war dein Wochenende?«

»Produktiv. Ich habe deinen Rat befolgt und mir das Viertel von Inner Harbour angeschaut.« Er lächelte die Kellnerin an, die den Wein brachte.

»Wisst ihr, was ihr nehmt?«

»Vielleicht lässt du uns ein paar Minuten Zeit.«

»Kein Problem. Solange ihr wollt.«

Luke hob sein Glas. »Auf einen wunderschönen Abend. Ich hatte Angst, du könntest es dir anders überlegen.«

»Und eine Gratispizza verpassen?«

Er lachte. »Welchen Belag möchtest du?«

»Egal, ob mit allem oder ohne alles: Pizza geht immer.«

»Ich sehe, wir verstehen uns. Wie war dein Wochenende?«

»Auch produktiv. Nina und ich haben Stiefmütterchen gepflanzt. Jedes Mal, wenn ich heimkomme oder losgehe, zaubern sie mir ein Strahlen ins Gesicht.«

»Deine Mitbewohnerin aus dem Gartencenter.«

»Ganz genau.«

»Ihr seid gut befreundet.«

»Ja.« Die erste dauerhafte Freundschaft, die sie in ihrem Nomadenleben geschlossen hatte. »Es ist toll, jemanden zu haben, der kapiert, welchen Rhythmus man hat. Normalerweise ist sie längst weg, bevor ich aufstehe, und meist im Bett, wenn ich vom Round heimkomme.«

»Das dürfte gar nicht schlecht sein. So gebt ihr euch mehr Freiraum.«

»Ja, aber wir genießen es auch, gleichzeitig zu Hause zu sein. Ist es nicht seltsam, keinen geregelten Tagesablauf und keine Nachbarn oder Freunde in der Nähe zu haben?«

»Im Moment gefällt es mir so, wie es ist.« Er lehnte sich zurück. Ein Mann, der mit sich selbst im Reinen war. Das fand Morgan sehr attraktiv. »Eines Tages werde ich mich bestimmt irgendwo niederlassen wollen. Aber noch lerne ich viel über unser Land und schließe spannende Bekanntschaften.« Ein kurzes, intensives Lächeln. »Wie mit dir.«

Auch sein Rhythmus gefiel ihr. Er flirtete genau richtig, nicht zu viel und nicht zu wenig. »Deine Arbeit scheint dir echt Spaß zu machen. Du dürftest richtig gut darin sein.«

»Ich liebe meine Arbeit. Ich liebe es, Software zu programmieren und Probleme zu lösen, um den Leuten das Leben zu erleichtern, ihren Horizont zu erweitern. Vielleicht zeigst du mir eines Tages dein Haus und lässt dich von mir beraten?«

»Vielleicht.«

Wieder lächelte er. »Pizza also.«

Am Ende trank sie zwei Gläser Wein und genoss jede Minute. Er erzählte ihr, wie er eine Ranch in Butte, Montana, mit Smart-Home-Technologie ausgestattet und dabei Bisons beim Grasen beobachtet hatte. Dann hörte er sich die Pläne für ihre neue Küche an und machte Vorschläge. Solche, die es wert waren, auf ihre Wunschliste gesetzt zu werden.

Nach dem Zahlen schlug er einen Spaziergang vor. Die Abendbrise war kühl, aber nach der Wärme im Restaurant tat das richtig gut. Außerdem war es lange her, dass sie mit jemandem spazieren gegangen war, der ihre Hand hielt. Es war fast zehn, viel später als geplant, als sie zu ihrem Auto ging.

»Ich würde dich gern noch mal in so einem Rahmen treffen. Nicht dass ich nicht gern auf einem Barhocker sitze, während du arbeitest. Aber ich möchte dich wiedersehen. Du bestimmst den Zeitpunkt, ich kann mich darauf einstellen.«

Vielleicht weil Nina es vorgeschlagen hatte – jedenfalls ertappte sie sich dabei, ihn zum Abendessen einzuladen. »Am nächsten Montagabend bei mir. Das passt mir am besten.«

»Kannst du kochen?«

»Nein. Das gehört zu den Dingen, die ich noch lernen muss.«

»Das heißt, Nina kann kochen.«

»Nein, aber ihre Mutter. Die wird uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Vorausgesetzt, du bist bereit das zu riskieren.«

»Ich liebe das Risiko. Passt dir sieben Uhr?«

»Ja. Sieben ist prima.«

»Ich werde kommen. Hast du eine Adresse für mich?«

Sie streckte die Hand nach ihrem Smartphone aus. »Ich schick dir eine Wegbeschreibung.«

Er winkte lächelnd ab. »Ich schau einfach bei Google. In der Bar komm ich natürlich vorher vorbei. Vielleicht versuch ich es sogar mal mit Dartspielen.«

»Roddy ist ein Profi.«

»Das Risiko geh ich ein.« Dann beugte er sich vor. Eine dezente Aufforderung, wie sie fand. Genauso weit, dass ihre Lippen sich berührten. Er bedrängte sie nicht, hinterließ aber einen bleibenden Eindruck. Und bescherte ihr ein Kribbeln, das sie lange vermisst hatte. Genau das Richtige, um den Abend zu beschließen. »Gute Nacht, Morgan.«

»Gute Nacht. Ich habe mich wirklich gut amüsiert.«

»Ich mich auch. Komm gut heim.«

Das tat sie, auch wenn sie von dem Gutenachtkuss fast ein bisschen high war. Als sie ins Haus schwebte, wartete nach ihrem Verwöhnprogramm eine strahlende Nina auf sie. Im gemütlichen Pyjama. »Okay, ich brauch dich nur anzusehen und weiß, dass das ein perfektes erstes Date war. Los, erzähl! Hat er dich angebaggert?«

»Genau richtig. Ich mag ihn richtig.« Mit einem glücklichen Seufzen ließ sich Morgan in einen Sessel fallen. »Er ist echt locker, ein toller Gesprächspartner. Der Typ ist wahnsinnig viel rumgekommen, kann gut erzählen und trotzdem zuhören.« Sie zuckte mit den Schultern. »Als er mich zum Abschied geküsst hat, bekam ich Schmetterlinge im Bauch.«

»Was war das für ein Kuss? Ich will mehr wissen.«

»Ich würde sagen, ein zärtlich-verträumter. Nicht aufdringlich, nicht wild-leidenschaftlich. Einfach nur schön und wirkungsvoll. Da hab ich ihn für nächsten Montag zum Abendessen eingeladen.«

»Juhu!« Nina sprang auf und führte einen kleinen Freudentanz auf. »Und er hat dich nicht zufällig unter Drogen gesetzt? Oder irgendwie hypnotisiert?«

»Er ist ein netter, fantastisch aussehender, interessanter Mann. Mehr hat es nicht gebraucht.«

»Das ist mehr als genug. Mama wird uns beim Kochen helfen. Oder soll ich am Montag lieber nicht zu Hause sein?«

»Nein«, erwiderte Morgan spontan mit Nachdruck. »Bitte bleib. Ich hätte ihn nicht eingeladen, wenn du nicht daheim wärst.«

»Soll ich Sam dazu bitten?«

»Ja, gern. Keine große Sache, Nina. Ein nettes, zwangloses Abendessen. Lass uns locker bleiben.«

»Locker. Lässig. Sexy. Schon verstanden, Morgan.«

»Wenn das mit dem Kochen schiefgeht, lassen wir uns eben etwas liefern.« Sie stand auf. »Ich gehör ins Bett. Du auch. Schließlich musst du morgen früh um acht Uhr raus.«

»Ich geh ja schon, ich geh ja schon. Aber erst schick ich Mama eine Nachricht, damit sie sich schon mal Gedanken über ein Menü machen kann. Süße Träume muss ich dir gar nicht erst wünschen, die wirst du ohnehin haben. Bis morgen. Ach, ich kann es kaum erwarten, den Typen kennenzulernen, den Morgan Albright zum Abendessen eingeladen hat.«

***

Luke kam am Dienstagabend in die Kneipe. Er suchte sofort das Gespräch mit ihr – und mit ein paar Stammgästen. Dann bewies er sich eine Weile im Dartspielen und war gar nicht schlecht darin. Er trank seine zwei Bier, aß Chicken Wings.

»Du hast einen Freund.« Gracie zog vielsagend die Brauen hoch.

»Nein. Er ist nur ein paar Monate in der Stadt.«

»Ich sage ja nicht, dass du ihn heiraten musst.«

Als die Lichter ausgingen, um die letzte Runde anzukündigen, ließ Gracie die Schultern kreisen. »Der ist wirklich ein Hingucker. Aber er hat sowas Glattes an sich. Normalerweise werde ich da misstrauisch. Vor fünfzehn Jahren hätte ich fast das erste Mal geheiratet. Der war auch so ein Hingucker. Leider ist er mit meiner Cousine Bonnie im Bett gelandet.«

»Gut, dass ich nicht auf der Suche nach einem Ehemann bin.«

»Also genieß den Hingucker.«

Warum auch nicht?, dachte sich Morgan, als er zum Quizabend erschien. Dass er daran teilnahm, sorgte dafür, dass er erst recht einen Stein bei ihr im Brett hatte. Ein interessanter Mann fühlte sich sichtlich von ihr angezogen, doch ihr voller Terminkalender ließ nicht viel Zeit für Zweisamkeit. Damit konnten sie beide gut leben.

Das hieß nicht, dass Morgan wegen Montagabend nicht nervös war. Erstens galt es zu kochen und zweitens zu gucken, ob das zweite mit dem ersten Date mithalten konnte. Sie verließ das Büro eine Stunde früher als sonst. Weil es endlich milder und wirklich April geworden war, fuhr sie beschwingt mit dem Rad nach Hause.

In kürzester Zeit würde es so richtig Frühling sein, überall bunte Blumen und so. Sie sah, dass an ein paar Forsythien bereits was Goldgelbes aufblitzte. Und die große Weide an der Ecke des Häuserblocks zeigte schon erste Weidenkätzchen. In ihrem Garten blühten tiefrote Tulpen. Die Azaleen, zu denen ihr Nina bei ihrer ersten Begegnung im Gartencenter geraten hatte, trugen schon rosa Knospen, die sich im Nu zu einer pinken Blütenpracht entwickeln würden. So albern das auch sein mochte, aber dadurch sie fühlte sie sich als Teil der Nachbarschaft.

Sie stellte ihr Rad ab, strahlte beim Anblick der Stiefmütterchen und betrat das Haus, wo bereits laute Musik lief. Nina war schon zu Hause. Morgan warf ihre Schlüssel in die Schale auf dem Tischchen neben der Haustür, hängte ihre Jacke auf, stellte ihre Handtasche in den Garderobenschrank und betrat das Küchenchaos.

Nina hatte das Haar zum Pferdeschwanz gebunden und trug eine Schürze, die mit weiß Gott was bespritzt war. Ninas Mutter hatte ihr die mitgegeben und auch an eine Schürze für Morgan gedacht. Flaschen, Gläser, Gewürzstreuer waren über die klebrige Arbeitsfläche verteilt.

»Ich hab’s geschafft.« Ninas Augen waren weit aufgerissen, ihr Blick wild. »Ich hab die Marinade für die Lammkoteletts hingekriegt.« Sie riss die Kühlschranktür auf. »Siehst du?«

Neugierig beugte sich Morgan vor und starrte durch die Plastikfolie, mit der die Glasschüssel abgedeckt war.

»Selbst gemacht.«

»Es sieht aus, wie es aussehen soll, und duftet herrlich. Willst du eine Pause machen, Nina?«

»Gern. Du musst die Kartoffeln kochen. Wenn Männer zum Essen kommen, heißt das Fleisch und Kartoffeln. Und, weil April ist, Spargel dazu. Wir müssen außerdem den Tisch decken, für eine schöne Atmosphäre sorgen und uns selbst schön machen. Worauf haben wir uns da bloß eingelassen?«

»Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Den Tisch kannst gern du decken. Solltest du Hilfe bei der Deko brauchen, frag mich. Ich schau mir das immer auf dem Kochkanal an. Die Kartoffeln kann gern ich übernehmen. Wenn du eine Marinade hinbekommst, werd ich wohl mit den Kartoffeln fertigwerden. Auf sie mit Gebrüll.« Morgan zog eine Schürze an. Sie wusch die Kartoffeln und schnitt sie wie in dem Rezept von Ninas Mutter in Spalten. Upps, sie hatten nicht alle dieselbe Größe, ob das wohl ein Problem werden konnte? Doch sie freute sich, dass ihre Schürze im Gegensatz zu Ninas kein bisschen so aussah wie ein Gemälde von Jackson Pollock.

Die Anweisungen von Ninas Mutter wurden haarklein befolgt. Das war nicht so einfach, da diese keine genauen Mengenangaben machte, sondern wollte, dass man Augen und Nase benutzte. Los ging’s. Sie vermengte die Gewürze in einer Schale, schnupperte und schaute. Über die Kartoffeln damit, dann etwas Öl dazu und alles auf einem Backblech verteilen. Anschließend die Lammkoteletts dazu und ab in den Ofen. Blieb nur noch, das Beste zu hoffen.

Das Tischdecken überließ sie Nina, die konnte das gut. Stattdessen stürzte sich Morgan auf den Abwasch und das Aufräumen. Erschöpft legte sie danach ihre Arbeitskleidung ab und schlüpfte in die knöchellange Baumwollhose und das knallpinke T-Shirt. Sie fragte sich ernsthaft, wie Leute das mit der Kocherei jeden Tag hinbekamen. Jetzt mussten dringend der Spargel gegart und das Baguette aufgebacken werden. Wieder band sie sich die Schürze um.

Nina, die aussah wie ein Frühlingsmorgen, begegnete ihr im Flur. »Also Oliven, Käse und ein bisschen Rohkost als Vorspeise. Das kriegen wir hin. Zu schade, dass die Küche so klein ist, da kann man nicht gemütlich sitzen.«

»Im nächsten Frühling«, versprach Morgan. »Es riecht echt gut, Nina. So, als wüssten wir, was wir tun.« In der Küche standen sie dicht nebeneinander und starrten in den Ofen. »Es sieht gut aus. Bist du sicher, dass der Spargel insgesamt bloß zehn Minuten gedämpft und sautiert wird?«

»Wenn Mama es sagt«, meinte Nina feierlich. »Aber wir müssen ihn erst schälen. So gegen Viertel nach sieben fangen wir dann gemütlich mit dem Spargel an. Welche fünf Minuten möchtest du übernehmen? Das Sautieren oder Dämpfen?«

»Äh … das Dämpfen.«

»Das wollte ich eigentlich machen. Also.« Nina ballte eine Faust »Auf drei.«

»Verdammt«, zischte Morgan, als Nina gewann. Stein bricht Schere.

Um sieben lief die Musik nur noch leise im Hintergrund, der Ofen hielt die Speisen warm, und das Fingerfood für die Vorspeise war arrangiert. Pünktlich klopfte es.

»Schürzen aus«, befahl Nina. Sie gingen gemeinsam zur Tür und sahen zwei Männer davorstehen.

»Wir sind gleichzeitig angekommen.« Der reizende Sam mit der Hornbrille überreichte Nina einen Strauß rosa Tulpen und Morgan eine Flasche Wein.

»Ich mach es umgekehrt.« Luke hatte für Morgan lila Hyazinthen in einer transparenten Kugelvase mitgebracht. »Hallo, Nina, ich bin Luke.« Er reichte ihr eine Flasche Wein.

Nach den hektischen Vorbereitungen war der Rest das reinste Kinderspiel. Mit einem Glas Wein drängten sie sich in der winzigen Essecke in der Küche. Soweit Morgan das beurteilen konnte, freundeten sich Luke und Sam rasch an. Der IT-Experte und der leidenschaftliche Gamer hatten sich viel zu erzählen.

Morgan hoffte, dass ihr das Glück weiterhin hold blieb, und gab Butter für den Spargel in die Pfanne.

»Wenn man viel unterwegs ist, gibt es nichts Schöneres als selbst gekochtes Essen.« Luke küsste sie flüchtig auf die Wange. »Ich weiß das echt zu schätzen.«

»Hoffen wir, dass es schmeckt wie gute Hausmannskost und nicht wie eine Herdkatastrophe.«

Er lachte. »Es duftet köstlich. Kann ich mir kurz irgendwo die Hände waschen?«

»Klar. Links in den Flur, dann die Tür zu deiner Rechten.«

»Noch zehn Minuten, bevor es losgeht«, verkündete Nina.

Sam legte den Arm um sie. »Ich kann kaum glauben, dass ihr selbst gekocht habt. Ihr musstet bestimmt den ganzen Tag schuften, um das auf den Tisch zu bringen.«

»Noch hast du nichts probiert«, warnte Morgan.

»Ihr habt den ganzen Tag geschuftet«, wiederholte Sam und küsste Nina auf den Scheitel. »Nur um uns heute Abend zu bekochen.«

Zufrieden hob Nina das Kinn für einen richtigen Kuss.

»Also, los geht’s.« Morgan gab den gedämpften Spargel in die geschmolzene Butter und stellte den Timer ihres Smartphones auf fünf Minuten. Sie schüttelte zwischendurch mehrmals die Pfanne und versuchte, Salz und Pfeffer nach Augenmaß zu dosieren. Während sie am Herd hantierte, half Sam Nina, Koteletts und Kartoffeln aus dem Ofen zu holen und das Brot aufzubacken.

»Teamwork. Toll. Jetzt lass mich ran, Nina.« Sie tauschten ihre Positionen. Nina ließ den Spargel auf einen Teller gleiten und schnitt das Baguette. Morgan arrangierte Kartoffeln und Koteletts auf einer Servierplatte von Ninas Mutter und dekorierte alles laut Anweisung mit frischem Rosmarin.

»Entschuldigung.« Luke kam wieder rein. »Ich hatte einen dringenden Anruf.«

»Kein Problem, wir sind gleich soweit.« Morgan sah zu ihm hinüber. »Alles in Ordnung?«

»Ach, nur eine kleine Terminänderung morgen. Kann ich mich irgendwie nützlich machen?«

»Vielleicht schenkst du Wein nach?«

Endlich stand alles auf dem Tisch. Sam nahm den ersten Bissen. »Du bist ein Schätzchen«, sagte er zu Nina und strahlte dann Morgan an. »Und da sitzt noch eins.«

Nina probierte von dem Lammkotelett. »Hmmm! Wir sind echt gut. Und jetzt?«

»Das selbst gekochte Mahl kann verzehrt werden. Ladys?« Luke hob sein Weinglas. »Auf die Köchinnen!«

»Und auf meine Mutter. Sie muss sich nicht für uns schämen, Morgan.«

Trotz des langen Tages genoss Morgan jede Minute. Eine richtige Essenseinladung in ihrem Zuhause. Eine echte Premiere, ganz ohne Take-away oder Lieferdienst. Gute Gespräche, fröhliches Lachen und Lukes Hand, die ab und zu nach ihrer griff. Sie fand es süß, dass die Männer unbedingt den Abwasch machen wollten, und entspannte sich bei Kaffee und gekaufter Frischkäsetorte.

»Ich hasse es, jetzt wegzumüssen. Der heutige Abend ist das Highlight meines bisherigen Aufenthalts. Aber die besagte Terminänderung erfordert, dass ich morgen früh Punkt acht vor Ort sein muss.«

»Wo musst du hin?«, fragte Sam.

»Nach Baltimore. Dort hat ein Investor zwei Reihenhäuser gekauft und möchte sie zusammenlegen, ausgestattet mit Smart-Home-Technik. Ich fürchte, ich muss ein paar Tage dortbleiben. Drei bestimmt.« Er zuckte mit den Schultern. »Den Auftrag hat man mir Ende letzter Woche in den Kalender gequetscht. Ein Freund von einem meiner Chefs.«

»Um acht Uhr in Baltimore. Da musst du früh aufstehen.«

Er nickte Nina zu. »Allerdings. Aber ich freu mich auf die Herausforderung. Zwei alte Häuser zu einer smarten Minivilla umbauen und dabei die historische Bausubstanz erhalten.« Er schaute sich um. »Dieses Haus würde ich nur zu gern übernehmen. Das hat ein Wahnsinnspotenzial, Morgan.«

»Ja, ich weiß. Wenn ich die Zwischenwand einreißen lasse, kann ich vielleicht auch über smarte Technologien nachdenken.«

»Wann immer es so weit ist: Ruf mich an. Ich werde dich auf jeden Fall irgendwie einschieben, das versprech ich dir. Danke, Nina. Bedank dich auch in meinem Namen bei deiner Mutter.« Er stand auf. »Es war alles ganz wunderbar. Schön, dich kennengelernt zu haben, Sam. Ich schaffe es bestimmt, mir dein System nächste Woche anzusehen.«

»Das wäre toll.«

Morgan brachte ihn zur Tür.

»Sobald ich wieder da bin, schau ich in der Kneipe vorbei. Ist es okay, wenn ich dir ab und zu eine Nachricht schicke, während ich einsam und allein in Baltimore im Hotelzimmer sitze?«

»Natürlich.«

»Und darf ich dich nach meiner Rückkehr wieder zum Essen ausführen? Vielleicht zu etwas Edlerem als Pizza?«

»Klingt toll.«

Als er sie küsste, ein bisschen intensiver als beim ersten Mal, hielt sie das für eine ausgezeichnete Idee.

»Viel Glück in Baltimore.«

»Wenn man was von seiner Arbeit versteht, braucht man das nicht, aber danke für die guten Wünsche. Gute Nacht und noch mal vielen Dank für das Abendessen.«

Morgan sah zu, wie Luke an dem nebligen, regnerischen Aprilabend zu seinem Wagen ging. Als sie die Haustür schloss, spürte sie, dass sie einen Freund hatte. Vorübergehend.

Nina steckte den Kopf aus dem Wohnzimmer. »Ich hab gehört, wie die Haustür ins Schloss gefallen ist. Also, ich mag ihn.«

»Ich auch.«

Sam gesellte sich dazu. »Und ich auch, da wären wir uns also einig.«

»Du solltest ihn am nächsten Sonntag zum Abendessen bei Mama mitbringen. Sie ist so was wie deine Mutter hier in Maryland und würde sich freuen.«

»Vielleicht. Ich denk drüber nach. Jetzt geh ich ins Bett. Sehen wir uns morgen früh, Sam?«

»Die Chancen stehen gut«, meinte Nina und brachte ihn zum Grinsen.

Sie machte sich bettfertig und wollte gerade unter die Decke schlüpfen, als sie eine Nachricht von Luke bekam.

Mittwoch, spätestens Donnerstag. Vermiss dich jetzt schon.

Obwohl sie lächeln musste und ihr ganz warm ums Herz wurde, zögerte sie. Dann schüttelte sie den Kopf und reagierte aufrichtig.

Vermiss dich auch. Schlaf gut.

Als sie sich im Bett ausstreckte, strahlte Morgan immer noch.

3

Ninas Auto war alt und schlecht in Schuss. Kein Wunder, dass es am Dienstagmorgen nicht anspringen wollte. Sam fuhr sie liebend gern zur Arbeit, und ein kopfschüttelnder Larry schleppte das Gefährt in seine Werkstatt. Beim Heimkommen klagte Nina über Halsschmerzen und erzählte, dass Larry keine guten Nachrichten in puncto Reparatur habe.

»Eine neue Batterie muss her. Und dann war da noch was mit Keilriemen und Getriebe. Larry geht von fünfhundert Dollar aus.« Sie warf die Hände in die Luft. »Weg sind sie!«

»Das tut mir total leid.« Morgan umarmte sie fest. »Du brauchst einen Tee mit Honig. Ich mach dir welchen.«

»Danke.« Mit schweren Lidern und ziemlich blass um die Nase ließ sich Nina auf einen Stuhl fallen. »Ich hasse Frühlingsschnupfen, aber ich fürchte, den krieg ich gerade. Das und die fünfhundert machen mich echt fertig.«

»Wie wär’s mit Suppe?« Morgan öffnete einen Küchenschrank und nahm eine Dose heraus. »Hühnersuppe mit Nudeln. Die ist zwar nicht von deiner Mama, aber besser als nichts.«

»Hört sich super an. Ich glaube, ich nehme eine heiße Dusche. Danach lege ich mich mit Suppe, Toast und Tee ins Bett und schaue einen Film.«

»Ja, geh ruhig unter die Dusche und mach’s dir im Bett gemütlich. Ich bring dir nachher das Essen.«

»Eine bessere Vermieterin kann man sich nicht wünschen. Ich würde dich zu gern umarmen, will dich aber nicht anstecken.«

Als Morgan ihr das Tablett brachte, saß Nina mit ihrem Notebook im Bett, eine große Schachtel Taschentücher neben sich. »Danke. Echt. Schon geht’s mir besser.«

»Vielleicht solltest du dir morgen einen faulen Tag im Bett machen.« Nachdem sie das Tablett abgestellt hatte, befühlte Morgan Ninas Stirn. »Fieber scheinst du nicht zu haben.«

»Nur so ein blöder Frühlingsschnupfen, dabei haben wir in der Arbeit gerade richtig viel zu tun.«

»Du kannst mein Auto nehmen, wenn du willst.«

»Ich werde gebracht und geholt, trotzdem danke.« Nina hob den Tee zum Mund, blies hinein und nippte daran. »Ah, das ist genau das Richtige. Ich bin dir was schuldig.«

»Als ich letzten Herbst dieses Magen-Darm-Virus hatte, wer hat sich da um mich gekümmert?«

»Ich, weil wir befreundet sind. Ich werd mich gleich aufs Ohr legen und mich gesund schlafen.«

»Schreib mir eine Nachricht, wenn du was brauchst. Ich melde mich nicht, um dich nicht zu wecken, schau aber nach dir, sobald ich heimkomme.«

»Ich hab alles, was ich brauche, außerdem nehme ich ein Schlafmittel.« Sie tauchte den Löffel in die Suppe. »Es ist nicht die von Mama, aber Hühnersuppe mit Nudeln funktioniert immer. Hab einen schönen Abend.«

Als Morgan von ihrer Schicht nach Hause kam, fand sie Nina tief schlafend vor. Am nächsten Tag wachte sie in einem leeren Haus auf und ging davon aus, dass Nina schon unterwegs war.

***

Am Vormittag schickte Luke ihr wieder eine Nachricht: Vermutlich müsse er noch einen Tag länger in Baltimore bleiben. Morgan saß in ihrer Mischung aus Büro und Rezeption mit Blick auf den Parkplatz. Die Aussicht störte sie nicht. So sah sie immerhin sofort, wer kam und ging.

In der Ecke gedieh ein Bogenhanf. Soweit sie wusste, hatte ihn die Frau des Oberchefs vor zwanzig Jahren dorthin gestellt. Jetzt maß er beinahe einen Meter achtzig in seinem roten Übertopf, den sie nicht mehr umfassen konnte. Bill Greenwald, Chef in zweiter Generation, hatte ihr erzählt, seine Mutter beharre darauf, dass die Pflanze der Firma Glück bringe. Solange er gedieh, würde die Firma gedeihen. Bills Frau Ava trug immer noch Schutzhelm und Werkzeuggürtel. Sie arbeitete nach wie vor mit ihren Leuten auf Baustellen. Dort wussten alle, dass sie das Sagen hatte und man sich besser nicht mit ihr anlegte. Bills Bruder Bob, ein Anwalt, kümmerte sich um den Papierkram. Bills und Avas Kinder, Jack und Ella, arbeiteten ebenfalls in der Firma ihrer Eltern mit.

Sollte der Tag kommen, an dem Morgan eine eigene Bar aufmachen würde, würde ihr die Arbeit für diese lebhafte Truppe mit dem engen Familienzusammenhalt bestimmt fehlen.

Bill kam in seiner üblichen Arbeitsuniform – Jeans, T-Shirt und darüber ein aufgeknöpftes Flanellhemd – vorbei. Seine Haare unter der Kappe mit dem Firmenlogo waren grau meliert, die Augen hinter einer rechteckigen Metallbrille verborgen und seine Arme muskelbepackt. »Ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Post von deinem neuen Freund?«

»Neu stimmt, aber als meinen Freund würde ich ihn nicht bezeichnen.«

Er zeigte mit dem Finger auf sie. »Wenn der Blitz einschlägt, spürt man das. Mein Vater hat Ava eingestellt, und ich habe mehr als einen Monat mit ihr zusammengearbeitet. Damals dachte ich mir nur, dass sie mit einem Hammer umgehen kann und sich nichts bieten lässt. Und eines Tages stößt sie dieses Lachen aus. Du kennst es.«

Ein dickes, fettes Lachen. »Allerdings.«