Spur des Blutes - G.M. Ford - E-Book
SONDERANGEBOT

Spur des Blutes E-Book

G. M. Ford

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer zieht hier die Fäden? Ein Bankraub mit tödlichen Folgen Der renommierter Journalist und Schriftsteller Frank Corso sieht sich in Pennsylvania mit einem schwierigen Fall konfrontiert. Zusammen mit der scharfsinnigen Reporterin Chris Andriatta soll er über einen spektakulären Raub schreiben: Ein Mann betritt eine Bank und fordert verzweifelt nach Geld – um den Hals trägt er eine Bombe. Bevor die Polizei ihn aufhalten kann, fordert die Explosion mehrere Todesopfer … Mit jedem Fakt, den Corso in dieser tragischen Geschichte freilegt, gerät er weiter in die Schusslinie eines unsichtbaren Feindes – und ahnt schnell, dass der Bombenanschlag kein Einzelfall war. Im Wettlauf gegen die Zeit müssen Corso und Andriatta nach dem mörderischen Fädenzieher suchen, ehe die nächste Bombe losgeht … »Der Ausdruck ›Pageturner‹ könnte für dieses Buch erfunden worden sein.« New Books Magazine Die actionreiche Thriller-Reihe um den abgebrühten Journalisten Frank Corso für Fans von Michael Connelly und Jeffery Deaver. Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 383

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Über dieses Buch:

Der renommierter Journalist und Schriftsteller Frank Corso sieht sich in Pennsylvania mit einem schwierigen Fall konfrontiert. Zusammen mit der scharfsinnigen Reporterin Chris Andriatta soll er über einen spektakulären Raub schreiben: Ein Mann betritt eine Bank und fordert verzweifelt nach Geld – um den Hals trägt er eine Bombe. Bevor die Polizei ihn aufhalten kann, fordert die Explosion mehrere Todesopfer … Mit jedem Fakt, den Corso in dieser tragischen Geschichte freilegt, gerät er weiter in die Schusslinie eines unsichtbaren Feindes – und ahnt schnell, dass der Bombenanschlag kein Einzelfall war. Im Wettlauf gegen die Zeit müssen Corso und Andriatta nach dem mörderischen Fädenzieher suchen, ehe die nächste Bombe losgeht …

Über den Autor:

G.M. Ford (1945 – 2021) war ein preisgekrönter amerikanischer Schriftsteller, der mit seinen beiden Krimireihen um den Journalisten Frank Corso und Privatdetektiv Leo Waterman internationale Bekanntheit erreichte. Er wurde u.a. für den Shamus, Anthony und Lefty Award nominiert und lebte an der Westküste, zuletzt in Oregon, wo er an der Universität auch als Dozent für Kreatives Schreiben tätig war.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Frank-Corso-Reihe, bestehend aus »Dunkle Strafe«, »Killer-Trieb«, »Spur des Bösen«, »Spur des Bösen«, »Die Geisel« und »Spur des Blutes«

***

eBook-Neuausgabe September 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »Blown Away« bei William Morrow, New York, an imprint of HarperCollins Publishers Inc. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Die Spur des Blutes« bei Goldmann.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2006 by G.M. Ford

Copyright © der deutschen Erstausgabe Ausgabe 2008

by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Danie Johns

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-180-3

***

dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

G. M. Ford

Spur des Blutes

Thriller. Frank Corso ermittelt 6

Aus dem Amerikanischen von Leo Strohm

dotbooks.

Für Betty,

weil du immer da bist.

Sagt ihnen, dass ich etwas gesagt habe.

Pancho Villas letzte Worte

Kapitel 1

»Der Kopf ist da drüben gelandet.«

Corso drehte sich um und sah, wie der Mann mit dem Finger in der Luft einen Bogen beschrieb.

»Genau da, wo jetzt dieser rote Honda steht«, fügte der Mann noch hinzu.

»Und wo hat Marino gesessen, als die Bombe explodiert ist?«, erkundigte sich Corso.

Jetzt deutete der Mann auf den Bereich vor Corsos Stiefelspitzen. »Genau da. Sehen Sie? Da, wo der Bürgersteig geflickt worden ist.«

»Ich sehe nichts.«

»Sie müssen genau hinsehen«, meinte der Mann. Er deutete auf eine Stelle. »Sehen Sie dieses kleine Rechteck da?«

Corso bückte sich. In der heraufziehenden Dunkelheit war die angeblich geflickte Stelle im Belag des Fußweges nicht zu erkennen, also ließ er sich auf ein Knie hinab und nahm die Hände zu Hilfe. Mit den Fingerspitzen konnte er den Umriss spüren. Folgte den Linien. Vielleicht gut einsfünfzig lang und einen Meter breit. Sehr sauber gemacht, als wären hier keine Straßenbauer, sondern Landschaftsgärtner am Werk gewesen.

»Hätte eigentlich gar nichts dran gemacht werden müssen«, sagte der Mann. »Hatte nicht den geringsten Kratzer.«

Corso hob den Blick. Der Mann war Mitte dreißig und hatte sich bereits einen kleinen Bierbauch zugelegt. Außerdem hätte er einen Besuch beim Friseur genau so dringend nötig gehabt wie sein Fischgrät-Sportsakko eine Reinigung. Abgesehen von seiner etwas problematischen Einstellung zu Fragen der Körperpflege schien Carl Letzo jedoch ein ganz netter Kerl zu sein und entsprach mehr oder weniger dem Bild, das Corso sich mittlerweile von Kleinstadt-Journalisten gemacht hatte. Was jedoch nicht in dieses Bild passte, war, dass er ihn am Flughafen abgeholt hatte. Zumal er niemandem etwas von seiner bevorstehenden Ankunft verraten hatte.

»Aber es war, als ob die Stelle Krebs gehabt hätte oder so was«, sagte Carl. »Etwas, das herausgeschnitten werden musste, bevor es anfängt sich auszubreiten. Etwas, das ausgelöscht werden muss ... verstehen Sie? Damit der Organismus sein normales Leben weiterführen kann.«

Corso erhob sich. Er klopfte sich die Hände ab und blickte sich um. Das gewisse Etwas dieser weit abgelegenen Orte am Rand der Zivilisation. Ein Gefühl der Farblosigkeit ... ein Gefühl der Leere ... als lauerte gleich hinter dem Horizont etwas Gewaltiges und Undurchdringliches. Er hatte es schon oft empfunden, dieses Gefühl der Vergänglichkeit. Als wäre der Ort eher eine Art Demarkationslinie als eine Heimat ... eher ein Wachposten als eine Stätte der Entspannung ... als wäre denen, die zurückgeblieben waren, nichts weiter geblieben, als die vorüberziehende Parade zu betrachten.

»Also, Carl«, fing Corso an. »Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie mich hierhergebracht und mir dadurch einen Haufen Zeit gespart haben, aber, ähm ... nur aus Interesse: Wie haben Sie eigentlich erfahren, dass ich auf dem Weg in Ihr hübsches Städtchen hier war?«

»Von Dorry.«

»Wer ist Dorry?«

»Ihre Pressesprecherin.«

»Aaahhhh.« Corso stieß den Atem aus. Plötzlich ergab das alles einen Sinn. Nach dem Erscheinen seines letzten Buches hatte er den Verlag gewechselt. Hatte sich mehr Geld in die Taschen gestopft, als er sich jemals hätte träumen lassen, und dann gemacht, dass er wegkam, als wäre der Teufel hinter ihm her. Niemals wäre er auf die Idee gekommen, dass sie ihm eine Pressesprecherin verpassen würden. Er nahm sich vor, seinen neuen Lektor anzurufen ... Greg, oder? ... ja, genau ... heute Abend ... zu Hause.

»Also ... Sie waren dabei, als es passiert ist?«

Carl deutete auf die Filiale der Bank of Commerce, auf deren Parkplatz sie gerade standen. »Da hinten, an der Ecke des Gebäudes. Näher haben sie mich nicht rangelassen.«

Das einstöckige, rechteckige Bankgebäude war beinahe so schmucklos wie der Straßenbelag. Dieser Mangel an Extravaganz schien nachdrücklich darauf hin weisen zu wollen, dass die Leute hier das Geld ihrer Kunden nicht verplemperten – genauso wenig wie ihr Eigenes.

Von den umstehenden Bäumen waren lediglich die schwarzen Stämme im gefrorenen Gras sowie knorrig-arthritische Überreste der Zweige geblieben, die über ihren Köpfen in der frühabendlichen Brise zitterten.

Im Westen wurde der bleigraue Himmel von hinten angestrahlt, als ob irgendwo in den höheren Lagen des Himmels ein lange verdunkeltes Fenster geöffnet worden wäre, das den Sinnen kundtat ... noch vor dem ersten Salzlufthauch ... noch vor der ersten Fischerhütte ... kundtat, dass die terra firma in Kürze enden würde und nun – ob es einem gefiel oder nicht – Plan B in Kraft zu treten hatte.

Corso blickte auf seine Armbanduhr. Zehn nach vier, und das spätherbstliche Sonnenlicht senkte sich bereits zur Nachtruhe in den See. Draußen auf der Straße erwachten die Straßenlaternen über dem dahinkriechenden Verkehr flackernd zum Leben. Es war kalt genug für Schnee. So kalt, dass die Leute am liebsten lange in ihren Häusern blieben. Selbstmordwetter.

In Carls Rücken schlitterte ein dunkelgrüner Honda Acura über den Parkplatz. Die Spikereifen klapperten wie Kastagnetten auf dem nackten Asphalt. Einige wenige schmutzige Schneeflecken hatten sich ins Unterholz verkrochen.

»Eigentlich hatte ich mit sehr viel mehr Schnee gerechnet.«

Carl nickte. »Normalerweise schon. Bis vor ein paar Wochen haben die Zäune noch bis zur Hälfte im Schnee gesteckt. Dann hatten wir eine Wärmeperiode. Eine ganze Woche lang hat es wie aus Kübeln geschüttet. Der Regen hat alles weggeschmolzen.«

»Wie war das Wetter denn letztes Jahr?«

Carl Letzo dachte nach. »Ungefähr so wie jetzt. Bloß noch Schnee auf dem Boden. In der Nacht davor hatte es fünfzehn Zentimeter geschneit.« Er blickte sich um, ließ vor seinem geistigen Auge alles noch einmal lebendig werden. »Also eigentlich alles ziemlich normal. Die Leute hier lassen sich von einem bisschen Schnee nicht weiter aus dem Konzept bringen.«

Corso deutete auf die Hintertür der Bank. »Er kommt also mit dem Geld zu dieser Tür da raus.«

Letzo nickte. »Das Geld ist in einer weißen Plastiktasche«, sagte er. »Er kommt aber nicht weit. Nach ein paar Schritten schnappen ihn die Bullen.«

»Hat er versucht zu flüchten?«

Letzo schüttelte den Kopf. »Ich bin erst kurz danach dazugekommen, aber ich glaube nicht. Ich habe bisher kein Wort darüber gehört, dass er Widerstand geleistet hätte.«

»Und was dann?«

»Soviel ich gehört habe, hat er losgejammert, dass er gleich in die Luft fliegt, wenn er die Anweisungen auf seinem Zettel nicht befolgt. Die Bullen hatten Angst in seiner Nähe, also haben sie ihn auf den Parkplatz gesetzt und auf die Sprengstoffspezialisten gewartet.«

»Und?«

»Dann bin ich angekommen.« Er deutete auf den Asphalt. »Er hat hier auf dem Boden gesessen ... im Schneidersitz.«

»Und was hat er gemacht?«

»Geweint. Um Hilfe gefleht.«

»Und dann?«

Letzos Augen verengten sich. »Ka-wumm. Die Bombe ist explodiert. Hat ihn in Stücke gerissen und über den ganzen Platz verteilt.«

»Wo waren die Sprengstoffspezialisten, als das passiert ist?«

Er versuchte seine Stimme unter Kontrolle zu behalten, schaffte es aber nicht. »Unterwegs.«

»Wie groß war die Verspätung?«

»An die zehn Minuten«, erwiderte Letzo, ohne zu zögern.

Corso musterte ihn gründlich. »Gehe ich Recht in der Annahme, dass diese Verspätung hier im Ort eine kontroverse Debatte ausgelöst hat?«

»Es gab jede Menge Schuldzuweisungen.«

»Wie lange hat es denn gedauert, bis das Entschärfungskommando da war, vom Zeitpunkt des Anrufs gerechnet?«

»Kommt drauf an, wen Sie fragen.«

»Wieso denn das?«

»Weil es widersprüchliche Aussagen darüber gibt, wann genau der Notruf eingegangen ist.«

Corso wartete ab, ob er noch etwas hinzufügte. Das tat er auch. »Die Leute aus der Bank sagen, es hätte zwanzig Minuten oder so gedauert. Das Entschärfungskommando sagt, der Notruf sei später eingegangen. Sie behaupten, sie hätten nur exakt neun Minuten gebraucht.«

»Das ist aber ein ziemlich großer Unterschied.«

»Ein Stein des Anstoßes wie aus dem Lehrbuch.«

»Und niemand hat das weiterverfolgt?«

»Was denn?«

»Diesen Unterschied. Soweit ich weiß, ist das doch genau das, was die Medien machen. Stecken ihre versammelten Spürnasen in die dunklen Winkel und Spalten irgendwelcher Unstimmigkeiten. Deuten mit dem Finger auf Ungereimtheiten. Machen Schuldzuweisungen.«

Letzo meinte achselzuckend: »Viele hier in der Stadt sind immer noch sehr aufgewühlt.«

»Und?«

Corso sah, wie die Wangen des Mannes sich rot färbten. »Ich schätze, man könnte sagen, dass der ganze Ort die Reihen um diesen Vorfall dicht geschlossen hat.«

Corso starrte ihn ungläubig an. »Soll das heißen, sie erzählen alle das Gleiche oder sagen überhaupt nichts?«

Carl Letzo wirkte peinlich berührt. »In der Regel beides«, witzelte er.

»Hört sich ganz so an, als würde sich da irgendwo eine investigative Reportage verbergen.«

»Wäre meine letzte«, sagte Letzo.

»Tatsächlich?«

Als sein Gesprächspartner erneut mit den Schultern zuckte, ahnte Corso, dass ihm diese Geste zur Gewohnheit geworden sein musste – eine Möglichkeit, den Stachel seiner journalistischen Wirkungslosigkeit besser zu ertragen, ein trauriges Arrangement mit seinen persönlichen und beruflichen Grenzen. »Und Sie hoffen, dass ich so lange hier herumwühle, bis irgendetwas zum Vorschein kommt.« Corso stieß ein bellendes, trockenes Lachen aus.

»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte der Jüngere.

»Nun ja, ich sage Ihnen das nur ungern, Carl, aber diese Reise war gar nicht meine Idee. Mein neuer Verleger findet diese ganze Geschichte mit der Bombe um den Hals irgendwie spannend. Er hat darauf bestanden, dass ich hierherfliege und ein bisschen herumschnüffle. Normalerweise suche ich mir den Stoff für meine Bücher ja selber, aber ...« Jetzt machte Corso einen peinlich berührten Eindruck. »... der Typ hat mir gerade so viel Geld in die Tasche gestopft, dass ich mir ein eigenes Flugzeug leisten könnte, also ... was soll ich machen? Ablehnen?« Corso wartete nicht auf eine Antwort. »Sie können mir glauben, Carl, ich halte gar nichts davon, wenn man mich auf eine Geschichte hetzt, die jemand anderes ausgegraben hat, und deshalb werde ich Folgendes tun: Den morgigen Tag verbringe ich mit der Besichtigung der örtlichen Sehenswürdigkeiten, und dann, übermorgen in aller Frühe, nehme ich das erste Flugzeug und verschwinde wieder von hier. Kein Aufstand, kein Aufruhr, kein Gar nichts. Ich sage einfach, dass da nicht genügend Stoff für ein Buch drinsteckt, und lebe mein Leben weiter.«

Letzo zog die Hand aus seiner warmen Jackentasche und fuhr sich damit über sein fleischiges Gesicht. »Sie müssen verstehen«, setzte er an. »Diese Stadt hier ... wir haben es mit knapper Not geschafft. Sind haarscharf am Schicksal der vielen anderen ehemaligen Industriestandorte hier im Nordosten vorbeigeschrammt. Wir konnten uns gerade eben so über Wasser halten. Die Leute hier sind stolz darauf. Sie wollen im Augenblick wirklich nichts Negatives hören.«

Corso ließ ein abfälliges Schnauben hören. »Genau das ist doch die Aufgabe einer Zeitung, Carl. Den Leuten die Dinge zu sagen, die sie nicht hören wollen.«

Corso sah zu, wie Carl Letzos Miene sich von Missmut in Resignation und dann wieder in Missmut verwandelte. Dann hörte er das Klicken von Spikereifen auf Asphalt und drehte den Kopf.

Ein braun-weißer Streifenwagen schob sich auf den Parkplatz, kam nach links auf sie zugerollt und hielt direkt hinter Corso an. Die tiefstehende Sonne und die getönten Scheiben erschwerten die Sicht ins Innere des Wagens.

Einen Augenblick später klappte ächzend die Fahrertür auf. Und noch während die Tür in den Angeln leicht hin und her schwang, stieg sie aus. Sie war Anfang vierzig, untersetzt, aber nicht dick. Eine Frau wie ein Bierfass. Vielleicht einssiebenundsiebzig groß und etwa halb so breit. Bei geeignetem Licht, in geeigneter Stimmung hätte eine geeignete Person sie vielleicht sogar für hübsch halten können. Aber heute nicht.

Heute war sie durch und durch dienstlich unterwegs – harter Polizistenblick und harte Polizistenschale.

»Verscherbelst du deine Zeitung jetzt hier unten, Carl?«, sagte sie.

Irgendetwas an ihrem Tonfall ließ Corso die Zähne zusammenbeißen.

»Carl verteidigt das Recht der Öffentlichkeit auf freie Information«, sagte er.

Sie würdigte Corso keines Blickes und starrte Carl Letzo weiterhin ungerührt an.

»Ist das dein Anwalt, Carl?«

Carl wies mit einer Hand auf Corso. »Um ehrlich zu sein, Chief Cummings, dieser Herr ist Schriftsteller. Er heißt Frank Corso. Er schreibt ...«

»Ich weiß, was er schreibt«, unterbrach sie ihn. Wie eine Rauchfahne hingen ihre Worte in der Luft. Carl verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ein bisschen komme ich mir vor wie in diesem alten Film mit Rod Steiger«, sagte Corso. »Wissen Sie noch? Wo Sidney Poitier in die Stadt kommt und von dem Südstaaten-Sheriff gewarnt wird ... dieses übliche ›Tja, mein Freund, jetzt steckst du aber bis zum Hals in Schwierigkeiten‹.«

Sie reagierte mit einem schmalen, falschen Lächeln. »Nur, falls Sie es noch nicht mitbekommen haben sollten, Mr. Corso: Weiter nördlich als bei uns hier oben geht es kaum.«

»So erklärt sich wohl auch das Wetter«, erwiderte Corso und stand ihr in puncto Lächeln in nichts nach.

Nach einem unbehaglichen Augenblick ließ sie die Schultern sinken, entspannte ihre Gesichtszüge und verlieh ihrer Stimme einen beinahe freundlichen Klang. »Na, kommen Sie schon, Mr. Corso. Steigen Sie ein. Ich bringe Sie zu Ihrem Hotel.«

Corso schüttelte den Kopf, noch bevor sie den Satz zu Ende gebracht hatte. »Nein, danke«, kam es aus seinem Mund.

»Wenn es irgendwie geht, dann vermeide ich es, in einem Polizeiwagen zu sitzen.«

»Inoffiziell, selbstverständlich«, fügte sie mit freundlichem Lächeln noch hinzu.

»Ganz besonders vermeide ich es, inoffiziell in einem Polizeiwagen zu sitzen.«

»Warum können wir nicht ...«, setzte sie an.

»Stehe ich unter Arrest?«, konterte Corso.

»Würden Sie das gerne?«

»Nicht, wenn es sich vermeiden lässt.«

»Wir beide haben das Eine oder Andere miteinander zu besprechen.«

»Zum Beispiel?«

»Wie zum Beispiel die Möglichkeit, dass Sie sich unter Umständen strafbar machen, indem Sie Informationen zurückhalten, die für eine Morduntersuchung von entscheidender Bedeutung sind. Wie zum Beispiel Ihre ausdrücklich formulierte Absicht, Ihre Nase in die laufenden Ermittlungen eines Kapitalverbrechens zu stecken, was ich – das ist der Sinn und Zweck meines Besuchs hier – verhindern werde.«

»Ausdrücklich formuliert? Wo soll ich denn so etwas behauptet haben?«

Sie schaute ihn an, als würde er sich einen Scherz mit ihr erlauben, tauchte mit dem Oberkörper in ihren Streifenwagen und holte eine Zeitschrift hervor, die sie Corso zuwarf. Sie landete aufgeklappt auf halber Strecke zwischen ihr und Corso auf dem Boden. Er musste einen Schritt darauf zugehen und sich bücken, um sie aufzuheben.

Sobald er sie in die Hand genommen und das Titelblatt gesehen hatte, hielt er den Atem an und zuckte zusammen. Die neueste Ausgabe der People. Mit ihm auf dem Cover. Auf der Saltheart stehend, mit bloßem Oberkörper. Eine wohlwollende Bildbearbeitung am Computer hatte ihm zu einem muskulösen Ihr-könnt-mich-mal-Ausdruck verholfen. Die Schlagzeile lautete: Die kalte Spur. Die fettgedruckten, weißen Buchstaben suggerierten, dass der Bestseller-Autor einem Rätsel auf der Spur war, das selbst das FBI vor unlösbare Probleme gestellt hatte. Neuer Bestseller in Arbeit. Siehe Seite neun.

Er rollte die Zeitschrift fest zusammen, trat auf die Polizeichefin zu und reichte sie ihr. Ihre schmalen, grauen Augen verlangten eine Erklärung.

Corso zuckte mit den Schultern. »Sehe ich zum ersten Mal«, sagte er.

»Wie ist das möglich?«

»Ich habe einen neuen Verleger. Anscheinend geht er das Ganze ein bisschen temperamentvoller an, als ich es gewöhnt bin.«

»Dann haben Sie also gar nichts damit zu tun? Sie sind nur zufälligerweise gerade in der Stadt? Ausgerechnet in der Woche, in der Sie zufälligerweise auf dem Titelblatt der Zeitschrift People auftauchen?«

Corso seufzte. »Das, was ich Ihnen jetzt sage, habe ich auch schon Carl gesagt. Ich bin hier, weil mein Verleger mich hergeschickt hat.« Er deutete auf die Zeitschrift. »Offensichtlich hat er schon eine ganze Weile an dieser Idee gearbeitet. Und genauso offensichtlich werde ich wohl ein paar Worte zum Thema Informationsaustausch mit ihm wechseln müssen.« Sie wollte etwas sagen, aber Corso wurde einfach lauter und sprach weiter. »Also, nur damit wir uns richtig verstehen. Hören Sie mir zu?« Sie antwortete nicht. »Ich habe nicht die Absicht, über diesen Ort hier etwas zu schreiben. Nicht heute. Und nicht in Zukunft. Diese Geschichte ist nicht mein Fall. Ich hab’s gerne einfach, und wenn das hier einfach wäre, dann wäre schon längst jemand dahintergekommen. Ich habe mich schon mal an der Lösung des großen Mysteriums versucht und am Ende wie ein Idiot dagestanden.«

»Wenn man sich Ihre Geschichte betrachtet, Mr. Corso, dann weiß man gar nicht so genau, auf welchen Vorfall Sie angespielt haben. Meinen Sie vielleicht Ihre Entlassung bei der New York Times, als Sie eine Geschichte erfunden haben und die Zeitung anschließend zu 20 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt worden ist?« Sie wartete die Antwort gar nicht erst ab. »Oder den Fall, wo Sie die texanischen Behörden glauben gemacht haben, Sie wüssten, wo sich eine ermordete Frau befindet? Oder gar diesen Vorfall in Minnesota, als ...«

»Suchen Sie sich’s aus«, schnitt Corso ihr das Wort ab. Mit einem knappen Nicken drehte er sich um und stakste mit großen Schritten auf den hinteren Teil des Parkplatzes zu, wo Carls Honda stand. Ein Dutzend Schritte lang drang nur das Geräusch seiner Stiefelsohlen auf dem Asphalt und das spröde Rascheln des Windes in den kahlen Bäumen an sein Ohr. Dann hörte er das Klatschen von Schuhsohlen und das Schnaufen und Prusten, als Carl sich im Laufschritt und dichte Atemwolken ausstoßend neben ihn schob. »Sie können ja prima mit Menschen umgehen«, keuchte Carl.

»Eine besondere Gabe«, erwiderte Corso.

Kapitel 2

»Ich kann es Ihnen nur noch einmal sagen: So läuft das nicht«, krächzte Corso ins Telefon. »Ich kann nicht vernünftig arbeiten, wenn mir jemand über die Schulter schaut.«

»Wir verstehen uns eigentlich als Team.«

Es war, als würde man gegen eine Wand reden. Egal, wie oft er dem Kerl klar machte, dass er keine Hilfe nötig hatte, er bekam jedes Mal wieder eine Plattitüde aus dem Grundwortschatz der Firmen Weisheiten zu hören.

Mit der freien Hand massierte Corso sich die Schläfen. Er trat ans Fenster und schob mit Hilfe der Plastikgardinen – Stange den goldenen Vorhang beiseite. Jenseits des Hotelparkplatzes und des felsigen Strandes zeichnete sich die riesige graue Wasserfläche ab. Trotz der Dunkelheit entdeckte er die Schaumkronen, die, von heftigen Windstößen gepeitscht, mal in diese und mal in jene Richtung schwappten.

»Gleich morgen früh verschwinde ich von hier«, sagte Corso.

»Da wird Kevin aber sehr enttäuscht sein.«

»Kevin ist ein großer Junge. Darum steht an seiner Bürotür ja das Wort ›Verleger‹. Er wird’s überleben.«

Für einen kurzen Augenblick hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

»Selbstverständlich stünde das in eklatantem Widerspruch zu Ihren vertraglichen Verpflichtungen.«

»Wieso denn das?«

»Zur Leistungsklausel.«

»Die was besagt?«

»Die besagt, dass Sie auf Anweisung mit bestimmten Recherchefeldern betraut werden, denen Sie dann – innerhalb eines professionellen Zeitrahmens – nachgehen.«

»Innerhalb eines professionellen Zeitrahmens?«

»Wenn ich mich recht entsinne.«

Corso drehte dem Fenster den Rücken zu und jagte in Richtung Zimmermitte. »Ich kündige«, sagte er. »Ich veranlasse meinen Buchhalter, Ihnen den Vorschuss sofort zurückzuschicken. Richten Sie Kevin aus, dass ich es bedauere, dass wir nicht miteinander ins Geschäft gekommen sind.« Er nahm den Telefonhörer vom Ohr und wollte das Gespräch gerade beenden, als er ein Quäken wahrnahm.

»Was?«

»Plus die acht Millionen Dollar Konventionalstrafe.«

Corso atmete flach. »Sie wollen mir sagen, dass ... dass, wenn ich jetzt aussteige ... dass ich Ihnen dann acht Millionen Dollar schulde?«

»Zuzüglich Nebenkosten und Gebühren, selbstverständlich.«

Corso spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Zweimal setzte er zum Sprechen an, besann sich aber jedes Mal eines Besseren. Seine Kiefermuskeln zuckten. Er setzte den Telefonhörer ab und atmete ein paar Mal tief durch. »Sie hören von meinen Anwälten«, sagte er schließlich. »In der Zwischenzeit werde ich der Angelegenheit weiter nachgehen, und zwar innerhalb ... wie war das noch mal?«

»Eines professionellen Zeitrahmens.«

»Ja, genau. Das war’s. Eines professionellen Zeitrahmens.«

Corso nahm den Daumen, um das Gespräch zu beenden. Er warf das Handy aufs Bett, wo es zweimal aufhüpfte, bevor es zur Ruhe kam.

Mit zwei langen Schritten überquerte er den Teppich, griff nach dem Haustelefon und wählte die Vierzehn. Es klingelte viermal, dann ertönte ein knappes »Hauswirtschaft«.

Er bat um zwei zusätzliche Federkissen für sein Zimmer.

»Oh ... na ja ... ich weiß nicht so recht, ob ... ich ...«

»Kaufen Sie welche, falls es sein muss. Setzen Sie sie mir auf die Rechnung, aber bringen Sie mir ein Paar Federkissen hier rauf!«

»Oh, ja ... Ich ...«

Corso legte auf und stieß einen Fluch aus. Wütend auf sich selbst, weil er seinen Frust an einer Hotelangestellten ausgelassen hatte. Wütend auf seine Arroganz. Wütend über die Auswirkungen, die das Geld offensichtlich auf sein Leben zu haben schien. Er fluchte noch einmal, dann holte er sich das Telefon wieder vom Bett. Er zog die Antenne heraus und trat ans Fenster.

»Sandstrom, Ellis & Taylor.« Eine Stimme so süß wie Honig.

»Peter Sandstrom, bitte«, sagte Corso.

»Ich fürchte, Mr. Sandstrom ist ...«

»Hier spricht Frank Corso.« Noch mehr gottverdammte Arroganz, aber was soll’s?

Corso wartete und fragte sich dabei, ob der Begriff »in der Leitung sein« eigentlich überhaupt noch zeitgemäß war. Ob es überhaupt irgendeine dingliche Verbindung zwischen zwei schnurlosen Telefonen gab. Ein Kabel? Einen Strahl? Ein irgendwas? Vier Minuten und ein halbes Dutzend elektronischer Klicks später war Peter Sandstrom in der Leitung.

»Frank«, sagte er.

Corso ließ sämtliche Höflichkeitsfloskeln und Worthülsen beiseite und kam direkt auf den Punkt. Als er fertig gesprochen hatte, senkte sich Stille über die Telefonleitung. Dann hörte Corso mit einem Mal Stimmengewirr im Hintergrund. »Wo bist du?«, wollte er wissen.

»Beim fünften Abschlag in Ballantine. Du weißt schon ... dieser hinterlistige Rechtsknick.«

»Du musst mich aus diesem Vertrag rausholen.«

Corso meinte, ein kurzes, dreckiges Lachen zu hören, dann fing Sandstrom an zu sprechen. »Ich bin als Nächster mit Abschlagen dran, Frank, also mache ich es kurz und schmerzlos. Du bist einer von den ganz großen Fischen, mein Süßer. Auf der ganzen Welt gibt es nur noch ungefähr ein Dutzend Leute, die mit Schreiben ähnlich viel Geld verdienen wie du. Und ...« Er zog den Satz in die Länge. »Nur, falls du’s vergessen haben solltest: Umsonst ist der Tod. Du hast diese Leute in eine Position gebracht, wo sie nur eine Möglichkeit haben, um ihr Geld wiederzubekommen: Sie müssen dich vermarkten wie die Wiederkunft Christi.« Erneut Hintergrundstimmen. »Ich sehe mir den Vertrag an, Frank, aber ich sage dir jetzt schon das Gleiche wie damals bei der Unterzeichnung. Das ist alles Standard, nichts Außergewöhnliches. Du bist verpflichtet, ihren Themenvorschlägen nachzugehen, und die sind verpflichtet, dich mit allen dazu notwendigen Hilfsmitteln zu versorgen. So einfach ist das. Also mach es nicht komplizierter als nötig.« Wieder die Stimmen. Lauter diesmal.

»Aber acht Millionen Mäuse?«

Peter Sandstrom stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Das ist doch in den Schnee gepisst im Vergleich zu dem, was er dir gezahlt hat, Mann. Entspann dich. Die versuchen doch bloß vorsorglich ihre Ärsche zu schützen, für den Fall, dass du ein Totalausfall bist, wie diese Graham. Weißt du noch? Die mit der Margaret-Thatcher-Frisur? Die diesen riesigen Vorschuss von Random House eingesackt und nie wieder eine einzige Zeile geschrieben hat? Keine einzige Silbe. Weißt du noch?«

Corsos Knurren signalisierte zumindest die vage Möglichkeit einer Erinnerung. Da klopfte es an die Tür. Corso legte das Telefon ans linke Ohr, während er das Bett umkurvte und zur Tür ging. Er zog den Sicherungsriegel zurück, und die Tür sprang krachend auf.

Wäre Corso nicht einsachtundneunzig groß gewesen, der erste Aufprall hätte bereits genügt, um seinen Solarplexus komplett lahmzulegen, und das Schauspiel wäre vorbei gewesen, noch bevor es angefangen hatte. So aber traf ihn der mit einer Skimaske verhüllte Kopf des großen Mannes direkt in den Bauch, ließ ihn zusammenklappen und rückwärts über den Teppich torkeln, während das Handy in hohem Bogen durch die Luft segelte und Corso rückwärts durch das Zimmer geschoben wurde, bis er schließlich einen Fuß auf den Boden bekam, den Kerl mit beiden Händen an seinem rot-karierten Jackett packte und ihm mit erbarmungsloser Wucht das Knie in die Lendengegend rammte.

Das Knie erreichte sein Ziel. Der Kerl stöhnte und kam ins Stolpern. Corso ließ sich auf den Rücken fallen und zog seinen Angreifer mit sich, benutzte dessen Gewicht und Schwung, um ihn mit den Beinen über sich hinweg ins Weltall zu schleudern. Erst, als der Kerl mit einem ohrenbetäubendem Krachen auf dem Schreibtisch landete, entdeckte Corso den zweiten Mann.

Die gleiche Skimaske, andere Absichten. Dieser hielt eine Spritze mit einer kurzen Subkutannadel fest in der rechten behandschuhten Hand. An der stählernen Spitze, die nun pfeilschnell auf Corsos Hals zuraste, glitzerte ein silbriger Tropfen. Aus Corsos Kehle drang ein Schrei, während er sich mit Wucht nach links warf. Die Spritze verfehlte ihn. Der Kerl fluchte.

Erneut hob sein Angreifer die Spritze bis hinters Ohr und wollte gerade noch einmal zustoßen, da legte Corso sein gesamtes Gewicht und die ganze, nicht unerhebliche Länge seiner Gliedmaßen in einen Tritt gegen das Knie seines Gegners. Die Wucht des Aufpralls ließ das Gelenk seitlich wegknicken, in eine Richtung, für die es niemals vorgesehen gewesen war. Es klang, als hätte jemand einen Zweig zerbrochen. Der Kerl ließ die Spritze fallen, sackte auf dem Teppich zusammen und griff nach seinem Knie. Ein hohes Jaulen erfüllte den Raum, während er vor Schmerzen vor und zurück schaukelte.

Corso war gerade dabei sich aufzurappeln, da traf ein schwerer Stiefel frontal auf seine Rippen, presste ihm zischend die Luft aus den Lungen und jagte eine Woge des Schmerzes durch seinen Körper. Er wälzte sich erneut auf dem Boden, wandte jedoch rechtzeitig das Gesicht ab, um der Stiefelsohle auszuweichen, die mit großer Kraft auf sein Ohr traf und seinen Kopf auf den Teppich drückte.

Er rollte sich in Embryonalstellung zusammen und wartete auf den Stiefeltritt gegen seinen Kopf. Über seine Wange lief Blut, als er unter seinem schützend über die Augen gelegten Ellbogen hervorspähte. Dann kam er auf die Knie und sah gerade noch, wie der größere der beiden seinem schwer lädierten Partner zur Tür hinaus half.

Auf dem Fußboden, dicht bei der Tür, saß ein schwergewichtiges Latino-Zimmermädchen. Sie hatte den Kopf in den Nacken geworfen wie ein Kojote, der den Mond anbellt. Ihr gewelltes schwarzes Haar wogte leicht, und sie heulte, als ginge es um ihr Leben.

Kapitel 3

Corso zuckte, als der Sanitäter den Riss in seinem rechten Ohr versorgte. »Sie sollten wirklich unbedingt ins Krankenhaus gehen«, wiederholte der Sanitäter. »Die Wunde muss richtig genäht werden.«

»Mache ich, sobald ich wieder zu Hause bin«, versicherte ihm Corso.

Die Miene des Mannes machte deutlich, dass er ihm kein Wort glaubte. Kopfschüttelnd setzte er sich auf die Fersen, zog die Plastikhandschuhe aus und schaute den Polizisten an, der während der vergangenen zehn Minuten drohend direkt über den beiden gestanden hatte. »Das ist alles, was ich im Augenblick tun kann«, sagte er. »So lange er sich die Wunde im Schlaf nicht wieder aufreißt, müsste er in Ordnung sein.« Der Polizist nickte und half ihm auf die Beine.

Sie hatten einen Sessel nach draußen in den Flur geschoben, wo es einem spanisch sprechenden Beamten gelungen war, das Zimmermädchen so weit zu beruhigen, dass sie in der Lage war, Fragen zu beantworten.

Corso stand auf. Das Zimmer schwankte und schlingerte. Er hielt sich am Bett fest, um sicherer stehen zu können. Nach einer kurzen Pause durchquerte er den Raum, betrat das Badezimmer und schloss die Tür hinter sich ab. Seine Knie fühlten sich wackelig an, also setzte er sich auf den zugeklappten Toilettendeckel und legte den Kopf in die Hände. Nach einer Weile stand er auf, stützte sich mit beiden Händen auf den Rand des Waschbeckens und schaute in den Spiegel. Drei Klammern hielten den oberen Teil seines Ohres fest. Eine dicke, rote Schmarre zog sich vom Haaransatz bis zum Unterkiefer.

Er drehte das kalte Wasser auf, ließ es in die zusammengelegten Hände laufen und spritzte es sich ins Gesicht. Er prustete, holte tief Luft und wiederholte den Vorgang. Dann noch einmal und noch einmal, so lange, bis das eiskalte Wasser ihn langsam wieder klarer werden ließ.

Da klopfte jemand an die Badezimmertür. Fragte, ob alles in Ordnung sei. Corso bejahte, trocknete sich Hände und Gesicht ab und betrat das, was bis vor kurzem sein Hotelzimmer gewesen war. Die beiden Polizisten standen an der Tür und verglichen ihre Notizen. Am anderen Ende des Zimmers waren die Kriminaltechniker gerade dabei, ihre Sachen zusammenzupacken und sich auf den Weg zu machen.

Die überall verstreuten Überreste des Schreibtisches waren hier und da mit Relikten des Steaks samt Beilagen verziert, das Corso sich vom Zimmerservice hatte bringen lassen. Irgendjemand hatte ein Fenster aufgemacht, sodass eine steife Brise, die vom See herüberwehte, die Vorhänge wie lange goldene Finger aufbauschte.

Ein Mann um die vierzig schlüpfte durch die Tür. An der Brusttasche seines blauen Nadelstreifenanzugs steckte ein goldenes Namensschild. Er hinkte auf Corso zu und berührte ihn mit besorgter Geste am Ellbogen. Seinem Namensschild zufolge handelte es sich um Randy Shields, den Hoteldirektor. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, schmerzte ihn sein Bein, und er wünschte sich irgendwo anders hin.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr wir das bedauern, Mr. Corso«, flüsterte er.

»Sie müssen sich nicht entschuldigen.«

Corsos Großmütigkeit schien ihn zu entlasten. »Wir haben ein neues Zimmer für Sie«, sagte er. »Zwei Stockwerke höher, mit Blick auf den See. Sie brauchen nur die Rezeption anzurufen, sobald Sie so weit sind, und ...« Er hob die Hand zum Pfadfinderschwur. »Auf Kosten des Hauses, selbstverständlich.«

Corso nickte zum Dank und steckte die neue Schlüsselkarte ein. Falls das Hotel noch irgendetwas für ihn tun konnte ... egal, was ... wirklich alles ... Corso nickte unentwegt und versuchte zu lächeln.

»Sind Sie von hier?«, fragte er den Hoteldirektor schließlich. »Geboren und aufgewachsen, meine ich.«

Der Mann lachte. »Ich bin zwar von hier, aber ich war zwischendurch achtzehn Jahre lang weg.«

»Kannten Sie Nathan Marino?«

»Nicht persönlich. Ich wusste, dass es ihn gibt. Kannte seinen älteren Bruder James. Auf der Highschool waren wir in derselben Klasse. Nathan war ein paar Jahre jünger.«

»Was ist mit Ihrem Bein passiert?«

»Kuwait. Splitter von einer Autobombe.«

Die Polizisten schlenderten zu ihnen. Sie waren beide schon relativ alt. Die meisten Polizisten waren schon Mitte vierzig entweder so ausgebrannt, dass sie für ihre Arbeit gar nicht mehr zu gebrauchen waren, oder so korrupt, dass sie auf die Pension gut verzichten konnten. Diese beiden jedoch polierten immer noch ihre Rangabzeichen und wienerten ihre Schuhe und trugen beide die Streifen eines Sergeants. Doch das war auch schon das Ende der Gemeinsamkeiten. Der Glatzkopf besaß die blassesten blauen Augen, die Corso je gesehen hatte. Damit sah er aus wie ein Vampir. Und der mit dem Schnurrbart war ein Latino. Kein Mexikaner. Irgendetwas anderes.

»Schätze, wir haben alles, was wir kriegen können«, sagte der Schnurrbart.

Sein Partner warf einen Blick auf seinen Notizblock. »Ihre Aussage und die von Mrs. Casamayor stimmen in jeder Hinsicht überein. Zwei Männer. Blaue Skimasken. Einer deutlich größer als der andere. Der Größere hat den Kleineren beim Weggehen gestützt.«

Corso nickte. Dadurch drehte sich alles in seinem Kopf. Er setzte sich aufs Bett.

»Sind Sie sicher, dass nichts fehlt?«, fragte der Schnurrbart.

»Das war kein Raubüberfall«, herrschte Corso ihn an.

Diese Bemerkung schien sie zu überraschen. »Sie glauben, die wollten Sie zusammenschlagen?«

»Ich glaube, die wollten mich entführen«, erwiderte Corso. »Ich glaube, die hatten vor, mich zu betäuben und mich dann irgendwo hinzubringen.«

»Sie denken dabei an die Spritze«, sagte der Schnurrbart.

»Und an die Tatsache, dass sie einen Schlüssel hatten.«

»Haben Sie nicht ausgesagt, Sie hätten die Tür aufgemacht?«

»Ich habe gesagt, dass ich den Sicherungsriegel zurückgezogen habe. Da hätte die Tür ja eigentlich immer noch geschlossen sein müssen. War sie aber nicht.«

Sie warfen einander einen verstohlenen Blick zu. Corso brauchte keine zusätzliche Aufforderung.

»Und außerdem, das ganze Vorgehen. Wenn ich jemanden überfallen will, dann komme ich mit einem Baseballschläger. Wenn ich jemanden ausrauben will, dann halte ich ihm eine Pistole unter die Nase, aber ich versuche nicht, ihn zu Boden zu ringen und ihm eine Spritze zu verpassen.«

Unabhängig voneinander warfen alle beide einen unauffälligen Blick durch die offenstehende Tür auf den Flur hinaus.

»Was gibt es denn da draußen?«, wollte Corso wissen.

Der Glatzkopf knickte zuerst ein. »Ein Wäsche wagen«, sagte er. »Von den Bediensteten hat niemand eine Ahnung, wie der hierhergekommen sein könnte. Sie stehen normalerweise in den abgeschlossenen Schränken am Ende der Flure. Jedes Zimmermädchen hat einen eigenen kleinen Rollwagen. Wenn der voll ist, wird der Inhalt in einen der großen Wäschewagen gekippt. Die Wäschewagen selbst dürfen nicht auf den Flur gerollt werden.«

»Unter keinen Umständen«, fügte der Schnurrbart hinzu.

»Laut Mrs. Casamayor ist das ein Kündigungsgrund.«

»Und abgesehen davon war die Zimmerreinigung schon vor sechs Stunden abgeschlossen.«

»Das sage ich doch. Diese Typen wollten mich entführen.«

Zum ersten Mal schien der glatzköpfige Polizist zumindest die Möglichkeit ins Auge zu fassen, dass Corso Recht haben könnte.

»Hier in Edgewater haben wir nicht so viele Entführungen«, sagte er schließlich.

»Andererseits, wir haben hier auch nicht so viele Prominente«, fügte sein Partner hinzu.

In seiner Stimme schwang etwas mit, was Corsos Aufmerksamkeit erregte. »Sie glauben also, dass es da um etwas geht, was ich eingeschleppt habe«, sagte er.

»Ist doch logisch«, meinte der Schnurrbart.

»Woher haben die gewusst, wo die Wäschewagen stehen?«, hakte Corso nach.

Die Polizisten zuckten einmütig die Schultern.

»Sie haben doch gesagt, diese Schränke seien abgeschlossen.«

»Ist derselbe Schlüssel, mit dem die Zimmermädchen in die Zimmer kommen.«

»Ist die Schranktür aufgebrochen worden?«, wollte Corso wissen.

»Sieht nicht danach aus.«

»Woher haben die gewusst, dass ich auf dem Zimmer bin?«

Erneutes gemeinsames Schulterzucken. Corso ließ nicht locker.

»Kommt mir ganz so vor, als hätten die eine Menge Unterstützung aus dem Hotel gehabt. Wenn’s nach mir ginge, ich würde mit dem Personal anfangen ... dem aktuellen und auch dem ehemaligen.«

»Aber hier geht es eben nicht nach Ihnen, nicht wahr, Mr. Corso?« Die Stimme kam von der Tür her ins Zimmer geschwebt. Corso musste erst den Hals recken, um an den Polizisten vorbei einen Blick auf Chief Cummings erhaschen zu können, die gerade über den Teppich ging. Sie trug einen bis zum Kragen zugeknöpften schwarzen Wollmantel über einem Kleid oder einem Rock. Die beiden Polizisten plusterten sich auf wie Schuljungs, als sie langsam auf sie zukam.

»Na, Jungs, seid ihr so weit?«, erkundigte sie sich.

Sie versicherten ihr, dass sie startklar waren. Darauf forderte sie die beiden zum Gehen auf, was diese sich nicht zweimal sagen ließen. Als sie in der Tür waren, sagte sie: »Ich will den Bericht morgen früh auf meinem Schreibtisch haben.«

Sie sah ihnen nach und wandte sich dann wieder Corso zu. Mit dem Zeigefinger fasste sie an sein Kinn und drehte seinen Kopf nach rechts, um sein verletztes Ohr zu begutachten. »Könnte schlimmer sein«, meinte sie.

»Könnte aber auch besser sein.«

»Man muss heutzutage aufpassen, wem man die Tür aufmacht.«

»Ich werde in Zukunft versuchen, das zu beherzigen«, versicherte Corso.

»In der Zwischenzeit ... gehen Sie zurück auf Ihr Boot und tun Sie, was Schriftsteller eben so tun. Wir beschäftigen uns mit dem versuchten Raubüberfall. Falls wir irgendwas brauchen oder irgendwelche Neuigkeiten haben, melden wir uns.«

»Das war kein Raubüberfall«, erwiderte Corso. »Diese Typen wollten mich entführen.«

Sie winkte ab. »Wir werden sehen.« Ihr Tonfall war der einer Erwachsenen gegenüber einem aufsässigen Kind. Corso spürte, wie seine Wut wuchs.

Zwei livrierte Bedienstete standen vor der Tür. Corso zeigte ihnen sein Gepäck. Er und die Polizeichefin standen schweigend da und sahen zu, wie die jungen Männer Corsos Koffer und seine Kleidertasche auf einen bronzefarbenen Gepäckwagen luden und aus dem Zimmer rollten.

Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, holte Corso seine neue Schlüsselkarte aus der Hosentasche und ging zur Tür.

»Ich glaube, ich bleibe noch ein paar Tage in der Gegend.«

Sie richtete sich kerzengerade auf. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre, Mr. Corso. Es kommt mir vor, als hätten die Mächte des Bösen Sie ins Visier genommen. Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn Sie weiterziehen.«

Corso lachte. »Sie werden es vielleicht nicht glauben, Chief, aber mit einem Mal habe ich acht Millionen Gründe, um hierzubleiben«, sagte er.

Kapitel 4

»Das ist alles«, sagte sie. Corso nahm ihr den Zeitungsausschnitt aus den ungepflegten Fingern und warf einen Blick auf das Datum. Der Artikel war etwas über ein Jahr alt. Autor: Carl Letzo. Marino-Mysterium weiterhin ungelöst lautete die gemäßigt gehaltene Überschrift.

»Und seither nichts mehr, hmm? Kein Nachfassen? Keine Erinnerung am Jahrestag oder irgendetwas in die Richtung?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich arbeite ja bloß hier unten im Zeitungsarchiv«, sagte sie matt lächelnd. »Montags, mittwochs und freitags. Da müssten Sie schon mit Mr. Blundred sprechen, wenn Sie ...«

Corso fiel ihr ins Wort. »Danke für Ihre Hilfe«, sagte er.

Sie lächelte und enthüllte dabei einen ganzen Mund voller Zahnspangen, machte aber keine Anstalten zu gehen. Corso wartete noch einen Augenblick, dann ließ er sich gegen die Stuhllehne sinken und blickte sie fragend an. Sie wurde unruhig und wandte den Kopf ab. Eine rote Plastikspange hinderte ihr dichtes, braunes Haar daran, ihr ins Gesicht zu fallen. Mit einer ihrer pummeligen Hände zupfte sie an den Nagelhäutchen der anderen herum.

»Ich habe alle Ihre Bücher gelesen«, platzte sie heraus. »Sobald sie erschienen sind. Gebunden«, fügte sie schnell noch hinzu.

Corso bedankte sich. »Es ist immer schön zu hören, dass irgendjemand die verdammten Dinger liest.«

Corsos Kraftausdruck ließ ihr das Blut in die Wangen schießen.

»Meine Mutter und ich ... ich ... wir lesen sie gemeinsam. Sie liest, solange ich bei der Arbeit bin.«

Corso lächelte weiter. Die Stille schien sie zu verunsichern.

Sie kicherte. »Manchmal komme ich nach Hause, und sie will es mir nicht zurückgeben. Sie ... verstehen Sie? ... Sie ist dann so in die Geschichte vertieft, dass sie einfach weiterlesen muss.«

»Klingt ja fast so, als müssten Sie sich zwei davon besorgen.«

Sie riss die Augen auf. »Gebundene Bücher? Sind Sie verrückt geworden? Ich meine ...« Sie hielt inne. »Oh, ich wollte natürlich nicht ... Ich ...«

»Kein Problem«, entgegnete Corso beruhigend. Seine Eingeweide verkrampften sich. Sein Grinsen drohte ihm aus dem Gesicht zu rutschen und auf dem Boden zu zerschellen. Jetzt war er es, der sich abwandte, sein Notizbuch und einen Stift vom Tisch nahm und auf der ersten unbeschriebenen Seite aufschlug. »Wissen Sie was?«, sagte er. »Schreiben Sie mir doch Ihren Namen und Ihre Adresse auf, dann sorge ich dafür, dass die Presseabteilung Ihnen in Zukunft von jeder Neuerscheinung ein paar signierte Exemplare zuschickt.«

»Ehrlich?«, keuchte sie. »Ehrlich?«

»Kein Problem«, wiederholte er. Irgendwo in seinem Hinterkopf meldete sich eine Stimme zu Wort und fragte, ob er vielleicht den Ausdruck »Kein Problem« ungewöhnlich häufig benutzte. Er sah, wie sie Namen und Adresse in das Notizbuch kritzelte, und gelangte zu der Überzeugung, dass die Stimme Recht hatte. Gelangte zu der Überzeugung, dass er mit diesem Ausdruck um sich warf wie andere Leute mit Hochzeitsreis. Warum bloß?

Claudia Cantrell. South East Admiralty Avenue. Corso räusperte sich und schlug die nächste Seite auf. »Vielen Dank noch einmal für Ihre Hilfe«, sagte er.

Es dauerte eine Minute, bis sie die Andeutung kapiert hatte, dann sagte sie etwas von dringenden Arbeiten, verabschiedete sich und verließ unter einer Flut von Entschuldigungen das Zimmer.

Corso lehnte sich in seinem Holzstuhl zurück und betrachtete den nicht besonders hohen Stapel aus vergilbten Zeitungsartikeln, der da vor ihm auf dem Tisch lag. Der staubige Duft nach alter Druckerschwärze brachte Erinnerungen zurück. Erinnerungen an seine ersten Jahre bei der North Carolina Nation. Wo sie den nasskalten Keller des Zeitungsgebäudes »die Leichenhalle« getauft hatten. Vor den Zeiten von Mikrofiche und Mikrofilmen ... lange vor der Zeit der digitalen Speicherung, als noch alles in Form von Kopien aufbewahrt wurde. Noch bevor die Vergangenheit nachträglich bearbeitet werden konnte.

Der Alterungsprozess hatte bereits begonnen und das Papier leicht spröde werden lassen, seine Farbe hatte sich von blond in beige verwandelt. Noch zehn Jahre – und man bräuchte einen Archäologen, um die Zeitung aufzuschlagen.

In fetter Schrift, wie sie normalerweise nur bei Weltkriegen und Terrorattacken zum Einsatz kam, fragte die Schlagzeile: »Selbstmordattentäter?« Im Zentrum der ersten Seite war eine grobkörnige Aufnahme des Parkplatzes zu sehen, auf dem er den gestrigen Nachmittag verbracht hatte. Etwas rechts der Mitte stand ein Polizisten-Quartett um ein zugedecktes Bündel auf dem Asphalt herum, umringt von frischen Schneeverwehungen und vergammelnden Blättern. Fett gedruckte Buchstaben stellten die Frage: »Wahnsinniger oder Opfer?«

Corso bemühte sich nach Kräften, angesichts dieser Ironie ein Lächeln zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht. Das war die entscheidende Frage, nicht wahr? Ob Nathan Marino sich freiwillig an den kriminellen Aktivitäten beteiligt hatte, die zu seinem Ableben geführt hatten, oder ob er, wie viele dachten, lediglich ein armes Schwein gewesen war, das sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten und dieses Pech schließlich mit dem Leben bezahlt hatte.

Wenn man zu den Leuten gehörte, die an so etwas glaubten, dann war die Faktenlage eigentlich eindeutig. Am Abend des 24. März 2003 gegen zweiundzwanzig Uhr fünfzehn hatte ein neununddreißigjähriger Lieferfahrer namens Nathan Marino mit insgesamt sechs Haus-zu-Haus-Lieferungen »Aunt Bee’s Country Fried Chicken« verlassen. Fünf dieser Lieferungen lagen eindeutig im Rahmen des Üblichen. Drei Deluxe-Teller, bestehend aus drei Teilen von Aunt Bee’s »viel gerühmten leckerlecker Hühnchen« – Schlegel, Flügel, Bruststück –, dazu zwei zähe Brötchen und ein kleines Plastikschälchen mit Krautsalat.

Zwei Lieferungen bestanden aus einem Mountain-Man-Dinner, das aus den gleichen Zutaten wie der Deluxe-Teller mit einem zusätzlichen Kübel Kartoffelpüree und Bratensaft bestand. Die sechste Bestellung allerdings hatte mancherlei Debatten ausgelöst. Sie war von weit her gekommen, fast schon drüben in Car teil County. Zwei Super-Eimer und vier große Cola. Jede durchschnittliche Bestellung aus solch großer Entfernung hätte zu einer höflichen Ablehnung der Lieferung geführt. Aber Hühnchenfleisch im Wert von dreiundfünfzig Dollar war nun mal Hühnchenfleisch im Wert von dreiundfünfzig Dollar, und so hatte man Nathan Marino auf die Reise geschickt, nicht, ohne sich darauf zu verständigen, dass er danach nach Hause gehen konnte.

Dreizehn Stunden später war ein zerzauster und niedergeschlagener Nathan Marino am Schalter der Bank of Commerce aufgetaucht und hatte der Angestellten einen Zettel zugeschoben, auf dem stand, dass er als Geisel genommen worden sei, dass um seinen Hals eine Bombe hinge und dass er bei der geringsten Abweichung von seinen Instruktionen per Explosion in die ewigen Jagdgründe befördert würde. Und als wollte er seine Situation unterstreichen, hatte er seine Jacke so weit aufgemacht, dass die an seinem Hals befestigte, überdimensionale Handschelle zu sehen gewesen war. An der Handschelle baumelte ein schwarzes Metallkästchen in der Größe eines Kameragehäuses. Ein Dutzend oder noch mehr Drähte schlängelten sich über sein Uniformhemd bis in das Kästchen. Seine geröteten, geschwollenen Augen ließen darauf schließen, dass er geweint hatte. »Bitte«, war alles, was er gesagt hatte.

Ganz so, wie sie es erst vor Kurzem gelernt hatte, hatte die Schalterangestellte, eine gewisse Mary LouTabakian, den stummen Alarm ausgelöst und dann die Forderungen erfüllt, indem sie den gesamten Inhalt ihrer Geldschublade in die weiße Plastiktasche kippte, die sie für gewöhnlich zum Transport ihres Mittagessens benutzte.

Der Zweigstellenleiter Phil Conley hatte schon länger die sehr ungünstige Anbringung der Alarmtasten beklagt, die leicht auch aus Versehen ausgelöst werden konnten. Daher ging er auch jetzt, als er sich an Mary Lous Fenster schlich, davon aus, dass seine neue Kassiererin mit dem Knie versehentlich gegen den Schalter gekommen war und dass sich somit seine allgemein bekannten Vorbehalte bezüglich dessen Anbringung bestätigt hatten.

Der Anblick Nathan Marinos wischte jedoch schlagartig das selbstgefällige Grinsen aus Phil Conleys Gesicht und ließ ihm die Nackenhaare zu Berge stehen. Als Mary Lou ihm den Zettel reichte, waren seine schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit geworden.

Conley las ihn zweimal durch. Als er wieder aufsah, ließ Nathan ihn einen kurzen Blick auf die Bombe werfen und sagte: »Alles. Sie wollen, dass ich alles mitbringe.«