Staat tragen - Daniel Kalt - E-Book

Staat tragen E-Book

Daniel Kalt

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Beschreibung

Wie sehen die denn aus? Mode ist Ausdruck individueller Haltung – doch was, wenn man sich für ein politisches Amt bewirbt? Daniel Kalt schenkt uns eine Typologie der modischen Message Control. Angela Merkel überrascht im offenherzigen Abendkleid, Barack Obama bodysurft lässig in Shorts und Wladimir Putin lässt hoch zu Ross die Muskeln spielen. Zufall? Sicher nicht. Wie alles andere auch folgt der Dresscode in der Politik klaren Regeln. Was wir sehen, formt, was wir über unsere Volksvertreter:innen denken. Da schaffen Trachtenjanker wohlige Wärme und schlechtsitzende Anzüge ein "Er ist wie wir"-Gefühl. Daniel Kalt taucht ein in die Welt der politischen Mode-Codes, entschlüsselt Botschaften von Active Wear und Statement Dresses und erstellt einen augenzwinkernden Style-Guide der Macht.

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STAATTRAGEN

ÜBER DASVERHÄLTNISVON MODEUND POLITIK

DANIEL KALT

INHALT

EINLEITUNG: AUSREICHEND GESPRÄCH-STOFF

KAPITEL 01

STILFRAGE: BEDEUTUNG TRAGEN MIT PERSONALUNIFORMEN

KAPITEL 02

REINHEITSGEBOT UND AUTHENTIZITÄTSVERSPRECHEN

KAPITEL 03

PLEITEN, PECH UND PANNENDIENST

KAPITEL 04

DIE LEISTUNGSFÄHIGKEIT DER KÖRPER

KAPITEL 05

BESONDERER KOMMUNIKATIONSBEDARF

KAPITEL 06

BESCHEIDENHEIT IST EINE ZIER

KAPITEL 07

ZAGHAFTE VERSUCHE: DIE MODE ENGAGIERT SICH

ZUM GELEIT: DIE SCHNITTMUSTER DER MACHT

ANMERKUNGEN

BIBLIOGRAFIE

EINLEITUNG: AUSREICHEND GESPRÄCH-STOFF

„Mode ist ein persönliches Stilmittel und eine Alltäglichkeit.“

Brigitte Bierlein

„Insgesamt liebe ich das ‚Aufgestylte‘ nicht. Ich fühle mich dann nicht wohl.“

Angela Merkel

Bereits in der Sprache liegt die Möglichkeit eines Naheverhältnisses geborgen: Ob man nun ein Amt bekleidet oder staatstragend sein möchte – die Verbindung von Macht und zu Repräsentationszwecken angelegter Bekleidung ist eng. Zwar steht, streng genommen, der Staat in dieser Kombination nicht für eine Form der gesellschaftlichen Ordnung, sondern verweist, dem Ursprung des Wortes nach, auf etwas Prächtiges, Prachtvolles, das Stattliche. Gar zu viel prachtvolle Stattlichkeit ist aber ohnehin nicht mehr gefragt, wenn es heute um die Kleiderwahl von Staatsfrauen und -männern geht. Ein Repräsentationsgehabe, das in vergangenen Jahrhunderten noch anempfohlen sein mochte, würde sich in einer Ära oberflächlicher Bescheidenheitstopoi rasch als hinderliche Kommunikationsstrategie erweisen.

Die Zeiten, als in einem feudalen System nur die wenigsten Untertan*innen die Herrschenden zu Gesicht bekamen und darum – wie übrigens potenzielle Ehepartner*innen – mit Bildnissen Vorlieb nehmen mussten, die meist recht großen Interpretationsspielraum zuließen, sind in der medial übersättigten Gegenwartsgesellschaft zwar passé. Zugleich sollte man nicht annehmen, heute würden Bilder weniger verfälscht, manipuliert oder weniger kunstvoll inszeniert werden, um mit ihnen Eindruck zu schinden. Bildbearbeitungssoftware eröffnet in Fotografie und Bewegtbild zuvor ungeahnte Möglichkeiten – das Ganze funktioniert mittlerweile per Fingerwischen über einen Smartphone-Bildschirm. Zudem hat man sich davon abgewandt, Macht zu verkörpern, indem man sich möglichst voluminös, prachtvoll und mit kostbarem Zierrat ausgestattet zeigt – bzw. kampfbereit im Harnisch mit Federbausch am Stahlhelm. Wenn gewählte Volksvertreter*innen zu nah an diese feudale Verfahrensweise heranschrammen, wenn ostentativer Luxus mit dem erwünschten Bescheidenheitstopos bricht, ist es um den Ruf schnell geschehen.

Das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines politisch relevanten Bildhandelns mit Mitteln der Mode exisitiert freilich schon länger: Bereits 1513 gab Niccolò Machiavelli seinem Fürsten, Titelheld in Il principe, dem bis heute populären Leitfaden für Machthungrige, eine kleine Weisheit mit auf den Weg. Die Menschen würden eher dazu tendieren, das zu beurteilen, was sie sehen – und nicht so sehr das, was sie mit eigenen Händen (oder dem Verstand?) begreifen müssen. „Jeder kann sehen, was du zu sein scheinst, wenige werden überprüfen, wer du bist.“1 Damit ist im Grunde genommen auch bereits die Prämisse für das festgelegt, was man heute gemeinhin als Visual Politics bezeichnet. Also ein Handlungsprinzip, das sich dank der in den Kulturwissenschaften seit den 1990er Jahren verfestigten Hinwendung zu den Bildern, dem sogenannten Visual bzw. Iconic Turn, verfestigt hat. Der gute – oder zumindest glaubwürdige – optische Eindruck zählt, und darum ist eben mit Bildern leichter Politik zu machen als mit Worten oder irgendwann tatsächlich folgenden Taten.

Wenn es nun Teil eines zeitgemäßen Rollenverständnisses ist, dass erfolgreiche Politiker*innen das machiavellische Motto ognuno vede quello che tu pari (im Toskanischen des 16. Jahrhunderts gesprochen: Jeder kann sehen, wer du zu sein scheinst) beherzigen und in ihre Social-Media-Auftritte, ins Fernsehen und in Medientermine mitnehmen, dann muss fraglos auch ihr Verhältnis zu Kleidung und den dort hineingepackten „vestimentären Codes“ eine entscheidende Rolle spielen. Die Auswahl von Kleidern gehört wesentlich zum sogenannten Bildhandeln und ist damit Teil strategischer Bildgebungsweisen. Denn noch bevor Politiker*innen an ein Rednerpult treten und das Wort ergreifen, treten sie als Kleiderträger*innen in Erscheinung und werden von ihrem Gegenüber unweigerlich taxiert, eingeordnet, interpretiert. Die non-, oder besser präverbale Komponente spielt bei diesem Aufmerksamkeitstransfer eine entscheidende Rolle. Und auch, wenn es nicht um Mode im Sinne irgendwelcher Laufstegtrends gehen mag – ja: gehen sollte –, so ist doch niemand davor gefeit, zunächst einmal über das Bild, das die Kleidung zeichnet, beurteilt zu werden.

Und darum soll es in den folgenden Kapiteln nun also gehen: Politiker*innen, die in demokratischen Gesellschaften in ihre Ämter gewählt wurden und um die Gunst des Souveräns immer wieder von Neuem buhlen müssen. Monarch*innen, Mitglieder königlicher Familien etc. bleiben weitgehend unbeachtet, ebenso wie First Ladys und Gentlemen eine untergeordnete Rolle spielen, wo sie doch für die Arena der bloßen Repräsentation inklusive Kleiderwahl eher vorgesehen sind als ihre mächtigen Partner*innen. Achten möchte ich außerdem auf eine Ausgewogenheit zwischen Männern und Frauen, auch wenn die Bekleidungsformen und die Bandbreite der textilen Register in Anzahl und Form stark voneinander abweichen mögen. Der erfasste Zeitraum setzt im Wesentlichen im späten 20. Jahrhundert ein, als die bilderbasierte Politikkommunikation in der Ära der Visual Politics dominant wird und nach und nach mit neuen Technologien zurechtkommen muss. Man denke nur an ein ikonisches Bild aus den letzten Jahren – eine Aufnahme, die Hillary Clinton während eines Wahlkampfauftritts im September 2016 vor einer Schar junger Fans zeigt. Die Demokratin ist zwar vor ihr Publikum getreten, die Anwesenden haben ihr aber den Rücken gekehrt. Nicht aus Unhöflichkeit, sondern um die Gelegenheit, ein Selfie mit Clinton im Bildhintergrund zu schießen, nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. „Wir sehen, wie die Unterscheidung zwischen Sender*in und Zuseher*in, Produzent*in und Konsument*in auseinandergenommen wird“,2 lautet ein Interimsfazit in dieser Phase, dem nur zugestimmt werden kann.

Erfolgreiches Agieren auf der politischen Bühne kommt nicht mehr ohne eine begleitende Auseinandersetzung mit bewusstem Bildhandeln aus. Noch ehe das erste Wort gesprochen, die erste Handlung gesetzt ist, zählt der gute oder zumindest gut deutbare erste Eindruck. Dass die Kleiderwahl in diesem Zusammenhang eminent wichtig ist, liegt auf der Hand. Und selbst wenn man sie nicht darauf reduzieren sollte oder sich nicht in erster Linie damit auseinandersetzen möchte: Was Politiker*innen anziehen und ob sie sich darüber Gedanken gemacht haben, wie sie mit aussagekräftiger Bekleidung ihre Photo Opportunities geschickt nutzen, ist heute von entscheidender Bedeutung und kann bestenfalls die Nasenlänge Vorsprung gegenüber ihren Mitbewerber*innen bringen. So steigt auch in Analysen und Kommentaren die Aufmerksamkeit für Dresscodes letzthin spürbar, sodass zwischen Drucklegung dieses Texts und seinem Erscheinen wahrscheinlich eine Vielzahl neuer Beispiele zu den hier besprochenen hinzugekommen sein wird. Dennoch setzen sich die folgenden Ausführungen ein zeitloses Ziel, nämlich eine Typologie der großen Themenkomplexe und Motive zu erstellen. Es geht also nicht in erster Linie darum, eine möglichst vollständige Liste zu präsentieren, sondern aus den markantesten Beispielen eine allgemeine Übersicht abzuleiten, in die sich neue Fälle einordnen lassen.

BEDEUTUNGSEINHEITEN DER MODE

Geschicktes Bildhandeln und damit auch die entsprechende Aufmerksamkeit für den eigenen Look sind für Politiker*innen in ihrer Inszenierung auf Plakatwänden, bei Angelobungsfeierlichkeiten, Parteitagen, Politikwandertagen, ja noch der letzten Instagram-Story von einem Kirtag oder Bierfest von immer größerer Bedeutung. Wer es ernst damit meint, eine politische Rolle standesgemäß ausüben zu wollen, muss dies auch bei der Kleiderwahl beherzigen. Oder, wie man in Instagram-affinen Kreisen sagen würde: Für die totale Message Control braucht es das passende #OOTD, Outfit of the day.

In seinen grundlegenden Ausführungen über eine Aufmerksamkeitsökonomie, die ab dem späten 20. Jahrhundert so großen Stellenwert einnimmt, nennt der Philosoph Georg Franck Mode und Kosmetik etwa als zwei „Zulieferindustrien“ im Wirtschaften mit einem immer knapper werdenden Gut.3 Sie mögen am Ende nicht die einzig bestimmenden Faktoren bleiben, aber wie heißt es so schön in Manager*innenschulungen: Die Chance, einen guten ersten Eindruck zu machen, bekommt man eben nur einmal, und dabei können „dreidimensionale visuelle Artefakte“4 entscheidend sein.

Die Vorstellung, dass es eine „Sprache der Mode“ gebe, liegt nahe und ist kein Novum in der begleitenden Theorie. Eine der maßgeblichsten Untersuchungen, wiewohl mittlerweile veraltet, ist dabei jene des „Systems der Mode“ (Le système de la mode) durch Roland Barthes. Der Semiotiker ergründete in den späten Sechzigerjahren, welche sich aus der Bekleidung ableitenden, also eben „vestimentären“ Codes es gebe, wie diese miteinander korrelieren und wie sie ein größeres, gemeinsames, bedeutungsvolles Ganzes ergeben. Barthes nahm als Grundlage seiner Ausführungen die damals noch um vieles wortreicheren Modezeitschriften zur Hand, die in den Bildtexten zu Modestrecken großzügig angelegte, heute kurios anmutende Narrative zu den gezeigten Looks entfalteten. Seine Ausführungen ebneten einer grundlegenden Betrachtungsweise den Weg, derzufolge eine implizite Kommunikation mit Botschaften unweigerlich stattfindet, die der Kleidung eingeschrieben sind. Wie andere Vorläufer*innen einer Modetheorie bzw. -soziologie drückte übrigens auch Barthes, so ernst er den Gegenstand seiner Betrachtungen nehmen mochte, immer wieder Regungen der Ablehnung aus. So etwa, wenn er schrieb: „Sich anziehen, um zu handeln, das heißt auf bestimmte Weise nicht handeln. Es heißt, das Wesen des Tuns zu plakatieren, ohne seine Realität anzunehmen.“5

Die Modecodes spielen als das von Kleidung Mitgemeinte eine wichtige Rolle im Rahmen dessen, was im zeitgenössischen politischen Handeln auf die sogenannte KISS-Formel gebracht wird: Keep It Short and Simple oder gar Keep It Short and Stupid.6 Das gilt besonders wegen der zunehmenden Bedeutung der sozialen Medien, die immer stärker auf Bilder setzen und über die sich neue Wähler*innenschichten erreichen lassen. Sich dieser Ebene zu verschließen oder auf sie – Stichwort #OOTD – zu verzichten, wäre langfristig einer erfolgreichen Karriere wohl abträglich: je größer der Anteil der Digital Natives und mit dem Internet aufgewachsenen Beobachter*innen des Geschehens unter dem gesamten Wahlvolk nämlich wird.

Ob nun die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die, auch in vestimentärer Hinsicht unter Ihresgleichen stilbildend, sich gegen „das Aufgestylte“7 ausspricht und doch das Potenzial erfolgreichen Stylings nicht verkennt; oder die österreichische Interimskanzlerin Brigitte Bierlein, die expressis verbis die Bedeutung dieser „Alltäglichkeit“ als „Stilmittel“8 hervorhebt: Aufmerksamkeit für die Kleiderwahl gehört zu den Vorbereitungen auf öffentliche Auftritte von Politiker*innen. Das wissen etwa die kommunikationsaffinen jüngeren Vertreter*innen eines „radikalisierten Konservatismus“, also einer zeitgemäß aufgemachten Ausprägung konservativer Politik, sehr genau und schufen ihrer Ideologie gemäße Formen des Auftretens, um sich von einem traditionell bürgerlich geprägten Gesamteindruck zu differenzieren. Dazu gehört es, für einen Wandertag in den Bergen eher eine sportliche Activewear-Kombination anzuziehen als das Karohemd mit Janker zur knielangen Hose. Auch ein mit Trachtenzitaten nur vage liebäugelnder, schmal geschnittener Anzug ist die zeitgemäße Alternative zur Krachledernen – auch auf Kirtagen und in Bierzelten. „In der öffentlichen Wahrnehmung ist man lieber unangepasst als spießig. Nichts aber ist spießiger als Konservatismus. Durch die Regelbrüche umgibt man sich mit dem Nimbus des Revoluzzers, während den Kritiker:innen, die auf die Einhaltung von Regeln und Anstand pochen, nur die Spießerrolle bleibt.“9

ZEITGEIST MIT SCHULTERPOLSTERN

Ungleich ihrer Erwartungshaltung gegenüber anderen Very Important People, Künstler*innen etwa oder Schauspieler*innen, Promis der Kategorien A bis Z, erhoffen sich Beobachter*innen von den Very Powerful People, dass ihre öffentlichen Auftritte gleichbedeutend mit Inhaltsversprechen sind. Besonders trifft dies zu, wenn das Wahlvolk als Souverän über das berufliche Schicksal von Politiker*innen entscheiden darf: Die Repräsentationsverpflichtung sieht in diesem Fall anders aus als etwa bei Monarch*innen, die ohne jede Anstrengung zu ihrer Position gelangten. Ein Ausdruck, der in diesem Zusammenhang – Mode, Macht, Politik – gut anwendbar erscheint und sich auf einen konkreten Abschnitt der Modegeschichte im 20. Jahrhundert bezieht, ist jener des Power Dressing. Die Bekleidungsformen der späten Siebziger- und besonders der erfolgshungrigen Achtzigerjahre entsprachen einem Zeitgeist, den John T. Molloy mit Anzieh- bzw. Stilratgebern für Geschäftsleute zusammengefasst hatte. Im Nachhinein waren sich viele Beobachter*innen einig, dass besonders Margaret Thatcher sich in Molloys Ausführungen tatsächlich Inspirationen für die Gestaltung ihrer Personaluniform geholt haben könnte. Aus heutiger Perspektive sind Molloys Ausführungen eher als Kuriosum unter den Modeschriften zu sehen. Dennoch sollten sie in den Erwartungshorizont von Leser*innen zum Zeitpunkt des Erscheinens zurückversetzt werden. Molloys systematische Herangehensweise beruhte, wie der Autor unterstrich, auf empirischen Studien und seiner langjährigen Erfahrung als Stilberater. So könne man, behauptete Molloy, grundsätzliche Fehler vermeiden, indem man sich etwa vom eigenen sozialen Hintergrund bei der Auswahl von Businessbekleidung löse und auch nicht auf die Vorgaben von Designer*innen vertraue. („In den meisten Fällen bedeutet ein Designername auf dem Etikett nur, dass er am Umsatz beteiligt ist.“)10

Auch Verkäufer*innen in Modeboutiquen könne man nicht vertrauen, ebenso wenig wie Männer ihren Ehefrauen, womit sich Molloy strikt innerhalb einer heterosexuellen Matrix und stereotyper Erwartungen an die „Aufgabensetzung“ innerhalb von Partnerschaften hielt, derzufolge eben Frauen für die Kleiderwahl ihrer Männer verantwortlich wären. Beide Gruppen verstünden schließlich wenig von den Erfordernissen des tatsächlichen Geschäftslebens. Nur ihm, Molloy, könne letztlich Vertrauen geschenkt werden: „Mit einem sehr einfachen Regelwerk aus Dos und Don’ts, das aufzustellen mich Jahre gekostet hat, wird es nun für jeden Mann möglich, Erfolg auszustrahlen und dadurch seine Chancen deutlich zu verbessern, ihn auch zu erlangen.“11 Zwei Jahre nach seinem ersten Dress for Success-Band schickte Molloy noch eine Version für Frauen nach, in der er seine Tipps adaptierte und nachjustierte. Immerhin räumte der fleißige Autor durch diese Ergänzung seines Stilratgeberangebots ein, dass im Geschäftsleben nunmehr auch Frauen zu einer ernstzunehmenden Größe werden könnten. Indem er sich so faszinierenden Themen wie „Schlafzimmer oder Vorstandsraum – Ihre Entscheidung“ widmete, verwarf er jedenfalls jene Option, die zehn Jahre vor ihm die Hollywood-Kostümbildnerin Edith Head in ihrem eigenen, ebenfalls Dress for Success betitelten, Ratgeber erwogen hatte.

Für Businessfrauen hatte Head, die einige der bekanntesten Schauspielerinnen ihrer Zeit in Filmrollen als berufstätige Frauen ausstattete und so maßgeblichen Einfluss auf ein popkulturelles, breitenwirksames Bild nahm, den Rat parat, dass sie vor dem Modischen durchaus nicht zurückschrecken mussten. „Es gibt einen feinen Unterschied zwischen jenen, die führen, und jenen, die geführt werden. Wenn Ihre Energie und Ihr Führungsvermögen Sie an die Spitze der Truppe bringen, dann tragen Sie doch nicht die Uniform einer Untergebenen.“ Während Head unter den von ihr skizzierten textil unterstützten Erfolgsszenarien etwa die Option „Wie man sich anzieht, um einen Mann zu bekommen – und zu halten“12 verzeichnete, riet Molloy seinen Leserinnen von dieser Strategie ab: „Sexualität ist gewiss ein wichtiger Teil unseres Lebens. Doch wenn Sexualität ein Auswahlfaktor bei Businesskleidung ist, ist sie der Karriere einer Frau hinderlich.“13 Vor allzu Modischem warnte Molloy seine weiblichen wie zuvor seine männlichen Leser*innen bzw. die bei ihm Rat Suchenden, zugleich verwarf er aber die von ihm als Imitation Man Look bezeichneten Kleiderkombinationen. „Der Effekt läuft eher auf das Aussehen eines kleinen Jungen hinaus, der sich in der Kleidung seines Vaters verkleidet. Er sieht süß aus, strahlt aber keine Autorität aus.“14 Tatsächlich mochten diesen Ratschlag manche der erfolgreichen Politikerinnen dieser Ära, allen voran die britische Premierministerin, damals in ihren schlauen Büchlein notiert haben. Die Zeit für eine Pantsuit Revolution am Kapitol war aber ohnehin noch nicht gekommen, da Politikerinnen in Hosenanzügen dort nicht vorgesehen waren. Mit einer Verschiebung dieses Dresscodes wurde auch die von Molloy vorgegebene Meinung endgültig obsolet.

EINE FRAGE DES PERSONALSTILS

Gut deutbar sein, Zuverlässigkeit ausstrahlen, dabei einen persönlichen Stil verkörpern, der der Mode enthoben ist und dennoch nicht wie aus der Zeit gefallen anmutet: Das sind nur ein paar der Punkte, die Politiker*innen beherzigen, wenn sie dem Aspekt der Kleiderwahl in ihrem Bildhandeln genug Aufmerksamkeit schenken. Bei allem Ernst, der geboten scheint: Wenn soziale Medien mit großem Spaßfaktor, Instagram oder Tiktok etwa, in Kampagnen oder später, um eine Amtszeit zu begleiten, eingesetzt werden, dann hat das Politainment im Sinne einer „symbiotischen Beziehung zwischen Medienunterhaltung und Politik“ bzw. als „Instrument der Inszenierung und der unterhaltenden Vermittlung von Politik“15 längst seinen letzten Triumph gefeiert. Die Balance zwischen Nutzen und Unterhaltung, zwischen Bespaßen und Kommunikation möchte dabei gehalten werden, wozu auch die vestimentäre Sprache beiträgt. So kann bestenfalls die Inszenierung und Selbstermächtigung von Politiker*innen über die Dimension einer „Ästhetisierungstechnik“ hinausgehen und zur „Inszenierung im Sinne eines wahrhaftigen Sichtbarmachens der politischen Institutionen und ihrer Legitimität“16 beitragen.

Im Hinblick auf diese verantwortungsvolle Praxis ist die Gestaltung und bedeutungstragende Implementierung einer Personaluniform zu verstehen, wie etwa Angela Merkel sie während ihrer gesamten politischen Karriere und eben auch ihrer Kanzlerinnenschaft definierte. Sie ist die Protagonistin im ersten Kapitel, das sich in einem weit gefassten Sinn dem Thema des sogenannten Uniform Dressing widmet. Ebenso wie von besonders erfolgreichen Geschäftsleuten kolportiert wird, sie würden im Sinne einer Minimierung der täglich zu treffenden Entscheidungen auch in der Kleiderwahl ein starres Grundgerüst und damit ihre Personaluniform definieren, verfolgte Merkel eine entsprechende Herangehensweise. Damit wurde sie über die Jahre zur verlässlich als markanter Farbklecks auszumachenden Dame in Gruppenbildern mit schwarz, dunkelblau oder anthrazitfarben gewandeten Herren. Dass auch Donald Trump beispielsweise mit einem altherrenhaften Signature Look eine Personaluniform definierte, die seine inhaltliche Positionierung auf den Punkt brachte, gehört ebenfalls in diesen Abschnitt. Inhaltliche Versprechen, die zuvorderst in einem spezifischen Kulturraum gut deutbar sind, stehen im Mittelpunkt des zweiten Abschnitts: Im alpenländischen und süddeutschen Raum gilt das Tragen von Tracht als Modehandeln mit klarer Ansage. Zwar wurde nach der NS-Zeit immer wieder beschworen, dass diese Gewandform nicht mehr ideologisch besetzt sei – für eine „Verdorfung“ der Gesellschaft bzw. einen impliziten Wunsch nach Reinheitsgeboten und Authentizitätsschwüren steht sie aber unwillkürlich noch immer. Das machen sich auch jene Akteur*innen der Politik zunutze, die – ohnehin ein Muss in Österreich oder Süddeutschland – in Bierzelten, Kirtagen oder gar auf der Münchner Wiesn in Erscheinung treten. Wer nicht zünftig und standesgemäß Tracht tragen kann, lässt es lieber bleiben, und die Generation Slim Fit sucht auch hier nach alternativen, leicht abgewandelten Dresscodes.

Je größer das Kontrollbedürfnis seitens der modehandelnden Politiker*innen, desto größer wird begleitend der Wunsch des Publikums (und der zwischengeschalteten Medien), sie bei Ausrutschern oder Stilpannen – dem, was im Englischen als Wardrobe Malfunctions bekannt ist – zu erwischen. Ein Windstoß, der die kunstvoll zurechtgeföhnte Haarwolke eines US-Präsidenten beim Besteigen eines Flugzeugs auseinanderzurrt hier, ein bräunliches Farbrinnsal, das einem Ex-Bürgermeister von New York bei einer Pressekonferenz ins Gesicht rinnt, da (und ja, es handelt sich um Donald Trump und Rudy Giuliani): Das sind nur zwei von unzähligen Beispielen, wie Politiker*innen im Augenblick eines Toiletteversagens abgelichtet werden. Eine Forscherin bezeichnet derlei passenderweise als Gotcha Moment,17 der also kurz den Blick auf den Backstagebereich der politischen Inszenierung freigibt und im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts steht, der sich Modepannen widmet.

Es geht hier übrigens nicht nur um Schadenfreude: Wer in der Ära der Visual Politics durch adäquate Vorbereitungen solche Missstände der Kommunikation nicht a priori zu verhindern weiß, hat eventuell auf der Bühne des politischen Geschehens nichts mehr zu suchen. Und dann gibt es noch andere Pannen, die ihren Ursprung womöglich in einer verunglückten Intention haben: Was wohl Melania Trump mit ihrem I Really Don’t Care-Parka beim Besuch eines Heims für geflüchtete Familien im Sinn haben konnte, ließ sich später beim besten Willen nicht nachvollziehen. Sämtliche nachgereichte Erklärungsversuche muteten entsprechend hanebüchen und sinnentleert an. Harmlos machen sich im Vergleich dazu sündteure Seidenkrawatten mit drolligen Tiermustern bei nicht ganz passender Gelegenheit aus, und selbst jene türkisen Socken eines Spitzenpolitikers im österreichischen Parlament, der vorgeblich seine Schuhe anzuziehen vergaß, ehe er ans Präsidium trat, reichen nicht an das Parkagate von Melania Trump heran.

ANGEWANDTE MUSKELSPIELE

Wer allzu nervös ist, wegen der falschen Kleiderwahl in Kommunikationsfettnäpfchen zu tappen, möge eben den anderen Weg gehen: völliger oder weitgehender Verzicht. Doch es geht natürlich um anderes, wenn entweder bar des Textils oder durch Zuhilfenahme passender Utensilien Kraft, Stärke oder Leistungsfähigkeit dargestellt werden sollen. Auf der einen Seite reicht das Zurschaustellen von nackter Haut und geschwellter Männerbrust bis zu Mussolini (und sogar noch weiter) zurück: Hier finden sich nicht wenige Präzedenzfälle für das stolze Vorführen einer toxischen Maskulinität in der Politik. Frauen nämlich verzichten offenbar eher darauf, sich entsprechend entblättert in Pose zu werfen. Man muss aber nicht in extremis gehen und die athletische Physis bloßlegen, sondern es lässt sich auch auf eine Praxis rekurrieren, die vorsieht, durch Mode „den Körper an sich in eine Form politischer Überredung [zu] transformieren“.18

Als Spielart des mit vestimentären Mitteln gesteigerten Körperbewusstseins lässt sich auch das Auftreten jener Slim-Fit-Generation charakterisieren, die in den letzten Jahren vielerorts in höchste Machtsphären vorstieß. Ebenso wie Politiker*innen, die – entweder als Teil ihres konstanten Modestils oder punktuell bei passenden Gelegenheiten – auf Streetwear oder Casualwear setzen, signalisieren die Verfechter*innen schmaler Silhouetten, dass sie auf der Höhe der Zeit agieren und einsatzbereit sind, um die Gunst des Souveräns zu erlangen. Uniformen weisen als leicht zu deutende vestimentäre Signifikanten ebenfalls große inhaltliche Nähe zum Thema Körpereinsatz und physische Leistungsfähigkeit auf. Demokratische Staatsoberhäupter tun dennoch gut daran, sich nicht allzu oft in ihnen zu zeigen, um die Assoziation mit Militärregimes zu vermeiden: Welche Alternativen es gibt und auch, was es mit der schwarzen Lederjacke als unverwundbare zweite Haut und im Einzelfall sogar mit Fetischkonnotationen auf sich hat, wird hier ebenfalls besprochen.

Nach Pannen, Trachten und Körpersprache folgt ein Kapitel, in dem der Fokus auf dem Bestreben liegt, sich im politischen Alltag so explizit wie möglich mit Mode auszudrücken: den vestimentären Code nicht begleitend oder als zusätzliche Ebene in der visuellen Kommunikation einziehend, sondern ihn zum offenkundigen Bedeutungsträger machend. Dabei leuchtet ein, dass Politiker*innen lieber davon Abstand nehmen sollten, sich mit Slogan-T-Shirts vor gleich welches Publikum zu stellen: Wenn sie ohnehin eine Rede im Plenarsaal halten, müssen sie ihre Bullet Points nicht auch noch als Textilprint anbringen. Besonders originell und beispiellos war jene Broschensprache, die die US-Außenministerin Madeleine Albright in den Jahren ihrer Amtszeit entwickelte und perfektionierte. Manchmal leichter, manchmal weniger leicht zu deuten, wurde diese schmückende Kommunikation zu einem beinahe exzentrischen Fixum der Weltpolitik: lobenswert und originell, gewiss, allerdings nur, solange nicht alle Spitzenpolitiker*innen sich auf diese Art des Signalisierens von subtil mitschwingenden Botschaften verlegen.

Anders verhält es sich hingegen mit sämtlichen Neuauflagen von Dresscodes in Suffragettenweiß, primär in den USA: Das Auftauchen dieser Farbe in bestimmten Zusammenhängen und bei sehr konkreten Gelegenheiten hat eine nicht zu übersehende Signalwirkung. Neben Hillary Clinton ist eine der demokratischen Politikerinnen, die sich dieser Wirkung bedienen, Alexandria Ocasio-Cortez. Ohnehin beherrscht sie es meisterlich, Aspekte der Identitätspolitik durch die Zusammenstellung ihrer Styles aufzugreifen. Wenig zweideutig waren auch die Auftritte von Politiker*innen, die sich während der frühen kritischen Phase der globalen Pandemie mit Gesichtsmaske zeigten – manche freilich nutzten auch diese Option, um sie zusätzlich mit Bedeutung aufzuladen.

DIE MÄCHTIGEN, DIE REICHEN, DIE ZÖGERLICHEN

Ein heikles Thema steht im Zentrum des sechsten Kapitels, nämlich, wenn man so will, das Verhältnis von Macht und Geld. Zwar ist es kein Geheimnis, dass Spitzenpolitiker*innen gemeinhin als Spitzenverdiener*innen gelten dürfen, einige von ihnen gar aus vermögenden Industrie- oder Politikdynastien abstammen mögen. Wähler*innen erwarten sich von ihnen aber unausgesprochen, dass sie, zumindest während ihrer Amtszeit bzw. ihren Auftritten als Amtsträger*innen, Zurückhaltung bei der Auswahl kostspieliger Kleidungsstücke oder Accessoires walten lassen. Als „Brioni-Kanzler“ zu gelten oder seine Maßanzüge vom besten Herrenschneider am Wiener Graben zu beziehen: Das kann schon einmal nach hinten losgehen. Eine der wenigen Ausnahmen ist im Bereich von kostbarem Echtschmuck – wobei sie beinahe auch zum Thema des Bedürfnisses expliziter Kommunikation in der Identitätspolitik passen würde – jene Power Pearls, mit denen Kamala Harris ihre tiefe Verbundenheit mit einer Sorority Schwarzer Studentinnen an US-amerikanischen Universitäten ausdrückte.

Mit einem Gegenschuss biegt Staat tragen in die Zielgerade: Der Grundgedanke der ersten sechs Kapitel sieht vor, dass Aufmerksamkeit auf vestimentäre Codes Ordnung in Zusammenhänge bringen kann, deren Funktionsweise und Intentionen für Außenstehende nicht immer gänzlich transparent sind. Und zwar in etwa so, wie sich aus einer organisationstheoretischen Perspektive Bekleidungsformen insgesamt als nichtkontingenter Weg darstellen, die Beziehungen zwischen Individuen zu beeinflussen oder abzubilden. Vestimentäre Codes sind dann eben nicht arbiträre, gesteuerte bzw. steuerbare Konstanten im gesellschaftlichen Gefüge: „Mode kann ein interpretatorischer Schlüssel werden, um einige der unklareren [slippery] Aspekte in Organisationen zu verstehen.“19 Auch deshalb wird verständlich, weshalb Modeschaffende in sich den stärker oder weniger stark ausgeprägten Wunsch verspüren, sich als politisch Agierende zu begreifen.

Der letzte Abschnitt richtet nun also den Scheinwerfer auf mal mehr, mal weniger zaghafte Versuche einer mode engagée, analog etwa zu einer littérature engagée, auf ihre Verfahrensweisen und Intentionen. Zu erwähnen sind hier die leider zum Teil berechtigten Stereotype einer politisch desinteressierten oder jedes kommerzielle Kalkül stärker gewichtenden Branche. Unrühmliche Wortmeldungen von Designer*innen, ein Handshake mit US-Präsident Trump oder das publike Liebäugeln einer einstigen Modekommunistin mit gesellschaftlichem Engagement werden hier ebenfalls erwähnt. Und andererseits gibt es sie eben doch, die Designer*innen, beherzt wie Slogan-Mode-Pionierin Katharine Hamnett einst beim Handshake mit Margaret Thatcher, unerschrocken wie die Öko-Aktivistin Vivienne Westwood oder auch Demna Gvasalia, der sich mit manchen seiner Kollektionen an seiner Biografie als politischer Flüchtling aus Georgien abarbeitete.

Hierher gehören auch die zögerlichen Reaktionen von Avantgarde- und Luxusmarken auf den russischen Invasionskrieg gegen die Ukraine, der 2022 akkurat während der internationalen Modewochen in Mailand und Paris begann. Die ausbleibenden Wortmeldungen ließen ganz gut verstehen, wie ungern sich Entscheidungsträger*innen auf ein als brüchig wahrgenommenes Eis begeben. Warum voreilig ein Zuviel an Engagement zeigen, wenn man doch die Mächtigen und Reichen bei passender Gelegenheit einkleiden möchte? Auch dies ist Thema, und zwar selten präsenter als bei der Angelobung von Joe Biden: eine Inaugurationszeremonie, die für Modeinteressierte beinahe an Red Carpet-Events in Hollywood, Cannes oder Venedig heranreichte. Vielleicht ist ja das die Zukunft, die mode engagée und politischen Alltag näher zusammenführen wird. Vestimentär bestimmtes Bildhandeln, das seinen Laufsteg direkt in die Gebäude der Volksvertretungen verlagert. Eine Vision, die man freilich weder für das Fashion Business noch gar die Demokratien dieser Welt als besonders zielführend erachten wird. Selbst wenn die beiden Welten offenkundig immer näher aneinanderrücken.20

KAPITEL 01

STILFRAGE: BEDEUTUNG TRAGEN MIT PERSONALUNIFORMEN

„Of course I am obstinate in defending our liberties and our law. This is why I carry a big handbag.“

Margaret Thatcher

Als im Herbst 2021 der Rekordlauf von Angela Merkel als deutscher Kanzlerin – und damit wohl als der mächtigsten Politikerin der Welt – endete, begannen selbst in den seriösesten Blättern die Modebeiträge im Umfeld der Innenpolitik-Ressorts unüberhörbar zu rascheln. Nicht nur Merkels Stil zu regieren wurde nun rückblickend analysiert, sondern Kommentator*innen widmeten sich oft ihren Vorlieben und ihrem Stil in anderen Zusammenhängen. In der Textsorte Politikkommentare zählt die modische Stilkritik zwar weiterhin – man könnte einwenden: berechtigterweise – zu den Orchideenfächern, gerade im Zusammenhang mit Merkel war es jedoch bereits zuvor immer wieder einmal zu vereinzelten Fingerübungen gekommen. Manchmal erschienen einigermaßen sachliche Analysen, häufig genug aber – gerade in den frühen Jahren der Kanzlerinnenschaft – Texte, die die stilprägende Politikerin ex negativo vorführen sollten. Da ein zu tiefer Ausschnitt in der Oper von Oslo, dort ein Schweißfleck in Bayreuth, hier die immergleiche Longchamp-Handtasche als einzige ihr zuordenbare Markenware: Wenn jemandem etwas besonders Bemerkenswertes ein- oder auffiel, ging es los mit dem Für und Wider, der Frage, ob man sich einzelne Fragen nun nur stelle, weil Merkel als Frau das Kanzlerinnenamt repräsentierte, und natürlich mit unumgänglichem begleitendem Protestgeschrei von allen, die solche Textkommentare per se und unabhängig von ihrer eigentlichen Qualität als unwürdig befanden.21

Ging es am Ende ihrer Ära als Kanzlerin aber um Merkels Kleidungsstil, so war man sich weitgehend einig, dass ihre Personaluniform im Lauf der Jahre zum markanten Teil ihres öffentlichen Auftretens und unverzichtbaren Pfeiler ihrer politischen Persona geworden war.22 Nicht selten wurde in diesen Versuchen einer decodierenden Annäherung ausdrücklich auf den Drahtseilakt hingewiesen, der offenbar in diesem Zusammenhang zum Standardrepertoire gehört: Wie über eine Sache sprechen und zugleich klarstellen, dass man das Sprechen über diese Sache eigentlich als unwürdig ansehe? Das unentschlossene Grundmotiv der Beobachtungen ließe sich verknappen auf: „Zum Glück sind wir darüber hinweg, das modische Auftreten von Politikerinnen zu kommentieren, aber …“

In der Machtzentrale der Modeindustrie herrscht ohnehin kein Verständnis für derlei einlenkendes Herumwinden, ob nun aufseiten der Handelnden oder aufseiten der Beschreibenden. So ereiferte sich etwa die Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, Anna Wintour, schon 2008 im Geleitwort zur Februarausgabe ihres Magazins über die Entscheidung von Hillary Clinton, damals Bewerberin um den demokratischen Kandidat*innenstatus bei der Präsidentschaftswahl, den vereinbarten Termin für ein Modeshooting in letzter Sekunde platzen zu lassen. Amerikaner*innen, so die einflussreichste Modejournalistin der Welt damals, hätten längst die „Power Suit Mentality“ hinter sich gelassen und seien bereit für eine neue Generation von mächtigen und zugleich modebewussten Frauen. „Politische Kampagnen, die das nicht berücksichtigen, begehen eine schwerwiegende Fehleinschätzung.“23

Tatsächlich deutet der vielerorts nicht überwundene Automatismus einer halbherzigen Ablehnung von Modedingen auf eine Haltung hin, die es abzulegen gilt. Auch dies verdeutlicht Angela Merkels über die Jahre perfektioniertes Geschick der vestimentären Kommunikation als Teil eines Grundverständnisses für Erfordernisse der Visual Politics. Gern und häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang eine Aussage, die die damalige CDU-Jungpolitikerin im Rahmen eines Langzeitprojekts tätigte, das Herlinde Koelbl 1999 als „Spuren der Macht“ in Buchform vorstellte. Koelbl hatte 15 Politiker*innen acht Jahre lang, jeweils einmal pro Jahr, zu einem Gespräch und einem Fototermin getroffen, um zu dokumentieren, wie sich ihre Arbeit und das Bekleiden verschiedener Positionen in den Machstrukturen der Bundesrepublik auf ihre Persönlichkeit – und wohl auch ihre Gesichtszüge, Körperhaltung, die Art, sich zu geben – auswirken würde. Auf die 1996 gestellte Frage, ob sie „mal irgendein Training absolviert habe“, antwortete Angela Merkel fast angewidert: „Ich finde so etwas grauenvoll. […] Mir braucht kein Trainer zu sagen, daß ich mir mal ein leuchtendes Kleidungsstück kaufen sollte. Ich verlasse mich auf mein Gefühl und kaufe mir dann beispielsweise ein oranges Jackett. Aber insgesamt liebe ich das ‚Aufgestylte‘ nicht. Ich fühle mich dann nicht wohl.“24 Gleichwohl ist es Merkel ja in späteren Jahren gelungen, ihre Skepsis gegenüber dem „Aufgestylten“ bzw. jedwedem „Aufgestylt-Sein“ erfolgreich zu überwinden und auch in Angelegenheiten der Kleiderwahl ihren Auftritten – und damit wohl auch der Bundesrepublik im politischen Zusammenhang – einen Stempel, ja gar das Merkel-Gütesiegel aufzudrücken.

GRUPPENBILD MIT DAME (BUNT)

Während es so entbehrlich wie eh und je bleibt, den Kleidungsstil einer* Politikerin* auf modische Relevanz oder stilistisches Geschick zu überprüfen, ist es aufschlussreich hinsichtlich des zeitgemäßen Agierens von Machtträger*innen, ob sie diesen Aspekt mitbedenken. Genau dies hat Angela Merkel zeit ihres politischen Wirkens getan, wovon auch die Evolution ihres persönlichen, extrem markanten Stils Zeugnis ablegt – zumindest ab dem Zeitpunkt, als sie ein Minimum an Aufgestyltheit zuließ. Wenn eine Person es schafft, sich – natürlich nicht nur durch die Kleiderwahl – als eine so markante Erscheinung wie die langjährige deutsche Kanzlerin auf der Weltbühne zu positionieren, dann handelt es sich ohne Zweifel um einen besonders gelungenen Fall von sogenanntem Impression Management. Die Pflege und Kontrolle der Selbstdarstellung vergisst nicht auf die Tatsache, dass man, wie der berühmte Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick in einem seiner pragmatischen Axiome formulierte, nicht nicht kommunizieren könne. Gerade deshalb verwundert es übrigens, dass in vielen Texten über Merkel zu lesen ist, sie pflege ostentatives Desinteresse an Bekleidung oder trage einen Anti-Look: Hier hält man sich wohl allzu sehr an die in einer Frühphase ihrer politischen Karriere getätigte Aussage, von Stilberatung sei nichts zu halten. Die Kanzlerin hat es im Lauf der Jahre definitiv geschafft, sich ein unverkennbares Äußeres zuzulegen, das unkompliziert zu handhaben ist, aber auf eine markante Silhouette mit Farbfläche hinausläuft: Aus jedem in den Sphären der Spitzenpolitik entstandenen Gruppenbild mit Dame sticht Merkel auf den ersten Blick heraus.25

Das Anlegen eines zur Personaluniform geratenen Looks mag am Ende des Tages wie eine einfache Entscheidung aussehen, immerhin muss der oder die Uniform Anlegende zuvor aber an den Punkt gelangt sein, diese eindeutig definieren zu können und auch im Kopf von Außenstehenden zu verankern. Über besonders erfolgreiche Personen heißt es oft, sie konzentrierten sich in Prozessen der Entscheidungsfindung stets auf das Wesentliche und würden darum so oft wie möglich nach der größtmöglichen Vereinfachung streben. Oberstes Ziel sei es, die sogenannte Decision Fatigue, also die Ermüdung ob unablässig zu treffender Entscheidungen, zu vermeiden und Spielraum für das wirklich Wichtige zu bewahren. Zu dieser Vermeidungsstrategie zählt unter anderem, sich mit möglichst geringem Aufwand gut und zugleich wiedererkennbar anzuziehen, insgesamt also auf die größtmögliche Effizienz zu setzen: All dies fasst der Begriff Uniform Dressing zusammen, dessen Grundprinzip ohnehin durch den klassischen und im Nu aus dem Kasten zu fischenden Businessanzug in seiner Standardausführung verkörpert wird. Entscheidend ist aber freilich das Auffinden eines gewissen Etwas