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Freiburg im September 1945: Die zerstörte Stadt liegt in der Hand der französischen Besatzungsmacht. Ein junger Inspecteur wird aus der französischen Provinz nach Deutschland beordert, um den bestialischen Mord an einem Colonel der Militärregierung aufzuklären. Zwischen politischen Zwängen und dem Nebel der Nachkriegswirren kommt er einem Geheimbund auf die Spur und gerät in den Sog mysteriöser Ereignisse. Uralte Wesen halten die zerstörte Stadt in Atem und ziehen den jungen Inspecteur in seinen persönlichen Albtraum ...
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Seitenzahl: 554
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„Er fühlte das Blut durch seinen Körper schießen, während die Kreatur, die einst die kleine Elisabeth war, mit heftigem Flattern seinen zuckenden Körper immer wieder nach oben riss…“
Freiburg im September 1945: Die zerstörte Stadt liegt in der Hand der französischen Besatzungsmacht.
Ein junger Inspecteur wird aus der französischen Provinz nach Deutschland beordert, um den bestialischen Mord an einem Colonel der Militärregierung aufzuklären.
Zwischen politischen Zwängen und dem Nebel der Nachkriegswirren kommt er einem Geheimbund auf die Spur und gerät in den Sog mysteriöser Ereignisse. Uralte Wesen halten die zerstörte Stadt in Atem und ziehen den jungen Inspecteur in seinen persönlichen Albtraum…
Jochen Pogrzeba, geb. 1967, lebt und arbeitet in Freiburg im Breisgau und schreibt seit mehreren Jahren Geschichten aus den Bereichen Mystery, Science-Fiction oder Krimi.
„Stadt der Krähen“ ist sein zweiter Roman, doch der erste, der veröffentlicht wird.
„…Argwohn wiegt in der reinsten Sphäre sich wie in dem lichten Himmelsblau die Krähe…“
William Shakespeare
Für Marlene
Elisabeth
Antoni
Jakob
Erste Begegnungen
Das zweite Glas
Das Ritual
Mona
Schatten der Vergangenheit
Der Empfang des Militärattachés
Die Gräfin
Ockhams Rasiermesser
Das alte Elektrizitätswerk
Schlucksee
Brüder
Kollateralschäden
Crème Brûlée
Auf der Flucht
Adelheid
Ein nächtlicher Besuch
Sturmhöhen
Die Militärparade
Kalbfleisch
Der Paulihof
Heimkehr
Die Zigarre schmeckte wie ein frisch gemähtes Blumenfeld, als Colonel Le Mason einen ersten festen Zug nahm. Er schüttelte das brennende Streichholz aus und warf es noch leicht rauchend auf einen kleinen Blechteller, der auf seinem Sekretär stand. Le Mason saß auf einem unbequemen Stuhl und lehnte sich leicht zurück. Nach einem anstrengenden Tag hatte sich der Colonel in seine Privatgemächer zurückgezogen. Die Dienerschaft hatte ein kleines Feuer im Kamin entzündet, sein Bett war frisch bezogen, und auf dem kleinen runden Tisch vor dem Feuer stand eine Obstschale, gefüllt mit frischen Äpfeln. Es war bereits Abend, und das rege Treiben, das tagsüber in dieser alten Stadtvilla herrschte, hatte sich in eine angenehme Stille verwandelt. Le Mason schob den Vorhang zur Seite und blickte aus dem Fenster, von welchem aus man den verwilderten Garten einsehen konnte. Die Dunkelheit hatte sich bereits über die zerstörte Stadt gelegt und den warmen Septembertag abgelöst. Er warf einen unruhigen Blick auf die Auffahrt, auf der einige Wagen und Bauschutt standen. Die Bauarbeiten dauerten immer noch an. Mittlerweile war es den Handwerkern gelungen, die ersten beiden Etagen der alten Stadtvilla wieder instand zu setzen. Das Haus in der Mittelwiehre diente dem Colonel sowohl als Privatsitz als auch als Befehlstand für seinen Stab. In einer Zeit, in der fast alle Einwohner in Ruinen, Zelten oder halb zerfallenen Häusern wohnten, fühlte sich das Leben hier wie vollkommener Luxus an. Seit dem verheerenden Luftschlag der Briten war nun mittlerweile fast ein Jahr vergangen und seither war wenig von dieser Stadt wieder aufgebaut worden. Ein knappes halbes Jahr herrschte bereits Frieden in Europa, und die Siegermächte hatten das zertrümmerte Deutschland unter sich aufgeteilt. Der Südwesten fiel an die Franzosen, die sich gerade erst selbst aus der Paralyse der deutschen Besatzung befreit hatten. Als das zweite Regiment der Chasseurs d'Afrique in die Stadt einmarschierte, hatte es nur Ruinen vorgefunden sowie sechzigtausend Bewohner, die verunsichert und ängstlich ihre neuen Machthaber erwarteten.
Der Colonel nahm wieder einen festen Zug, ging zur Tür und öffnete einen der großen Flügel. Draußen standen zwei Soldaten in akkurat sitzender Uniform, die sofort zu einem militärischen Gruß ansetzten.
"Halten Sie sich bereit. Und achten Sie darauf, dass die Aktion ohne großes Aufsehen über die Bühne geht."
Der Größere der beiden legte seine Hand an den Pistolengürtel und versuchte krampfhaft, einen direkten Blick zu vermeiden. "Oui, mon Colonel!"
Le Mason eilte zurück in sein Privatzimmer und zog die Tür hinter sich zu. Ein Blick aus dem großen Fenster auf die Auffahrt zeigte ihm, dass sich dort immer noch nichts rührte. Wo blieben sie denn?
Er griff nach einer verschlossenen Flasche Portwein. Das Etikett war nichtssagend, doch konnte er sich sicher sein, dass es ein feiner Tropfen war. Eine Portweinzange war nicht zur Hand, deswegen griff er nach seinem Taschenmesser und schnitt den Korken heraus, ganz vorsichtig, ohne den Bodensatz aufzuwirbeln. Mit einem Griff in ein Regal neben dem Fenster nahm er zwei Likörgläser heraus. Der Colonel schenkte sich einen Fingerbreit des Getränks ein und nippte an dem Glas, während er nach draußen in die Dunkelheit blickte. Es war eine schlechte Idee gewesen, direkt nach einer Zigarre einen so kräftigen Wein zu trinken. Le Mason stellte das angebrochene Glas lieblos auf die Anrichte, er hätte sich wohl doch lieber einen Apfel nehmen sollen. Die Äpfel seiner Kindheit kamen ihm in den Sinn, die an den Bäumen auf den Wiesen entlang der Loire wuchsen. Seine Jugend war geprägt vom Krieg, dem großen Krieg, den man nun den ersten Weltkrieg nannte. Wie gerne hatte er seinen beiden Onkeln zugehört, wenn sie von den Heldentaten der französischen Armee gegen die deutschen Eindringlinge berichteten. Der kleine Pierre war an ihren Lippen gehangen. Er hatte sie verehrt. Und er hatte sie auch noch verehrt, als beide plötzlich nicht mehr nach Hause kamen. Seine Mutter hatte stattdessen jeden Sonntag zwei Kerzen angezündet, die auf dem Kaminsims in der Bibliothek standen.
Oft hatte er die beiden flackernden Kerzenlichter angestarrt und sich gewünscht, zusammen mit seinen Onkeln für Frankreich kämpfen zu dürfen.
Doch im nächsten Krieg, in diesem Krieg, sollte er dazu reichlich Gelegenheit bekommen. Seine Laufbahn verlief schwindelerregend, vom kleinen Offizier zum Befehlshaber. In Windeseile durchlief er alle militärischen Ränge. Als die Deutschen Anfang des Jahres kapitulierten, erhielt er, mittlerweile fast fünfzigjährig, seine vorerst letzte Beförderung. Colonel der französischen Armee, Einsatz als Militärgouverneur in Fribourg-en-Brisgau, verantwortlich für Sicherung und Aufbau der französischen Aktivitäten in diesem Teil der Besatzungszone. Verantwortlich für eine halbe Million Menschen und mehrere tausend französische Soldaten. Innerhalb von wenigen Tagen ließ er seine Frau und seine beiden Söhne alleine und nahm hier in der Ferne seinen Dienst auf.
Er schreckte aus seinen Gedanken hoch, als er ein Motorengeräusch auf der Auffahrt wahrnahm. Endlich war sie da. Vorsichtig drückte er seine Zigarre aus und warf einen Blick aus dem Fenster. Aus der Hintertür der DKW Limousine stieg eine Gestalt aus, die gänzlich in eine schwarze Robe gehüllt war. Le Mason konnte sehen, dass die Gestalt barfuß ging, als sie vorsichtig einen Fuß auf den gepflasterten Boden setzte. Dutzende Male hatte er bereits hier an dem Fenster gestanden und Elisabeth beobachtet, wie sie schüchtern, aber anmutig aus dem großen Wagen stieg. Und wie immer hatte der Fahrer es nicht für nötig gehalten, ebenfalls auszusteigen und ihr die Tür aufzuhalten. Die schwarze Gestalt hielt sich die dunkle Robe zu und warf einen flüchtigen Blick auf die Auffahrt. Der Colonel konnte ihre bleichen schlanken Hände sehen, wie sie den Stoff festhielten. Am plötzlich auftretenden Lichtschein war zu erkennen, dass das Hausmädchen die große Eingangstür geöffnet hatte. Mit kurzen Schritten bewegte sich der schwarze Umhang, unter dem sich Elisabeth verbarg, in Richtung des Lichtes.
Es dauerte ungefähr eine knappe Minute, bis es an seiner Tür klopfte.
"Bitte!"
Die Tür öffnete sich und das Dienstmädchen trat herein. "Ihr Besuch ist da, Monsieur le Colonel…"
Hinter dem Dienstmädchen betrat Elisabeth den Raum. Sie hatte nun die Kapuze ihrer Robe abgezogen. Ihr langes, dichtes schwarzes Haar umrahmte ihr hübsches, mädchenhaftes Gesicht. Wie all die Abende zuvor stand sie schüchtern im Türrahmen und versuchte den direkten Blickkontakt mit ihm zu vermeiden.
"Lassen Sie uns alleine! Sie können nun Feierabend machen, gehen Sie zu Bett."
"Jawohl, Monsieur le Colonel."
Das Zimmermädchen schloss leise die Tür hinter sich, und der Colonel war nun mit dem jungen Mädchen allein. Es wirkte alles wie immer, so wie in den Wochen zuvor auch. Doch heute würde es anders werden. Er spürte ein tiefes Unbehagen und doch fühlte er, dass er keine andere Wahl hatte. Er musste es tun.
"Guten Abend, Elisabeth."
"Bonsieur, mon Colonel."
Normalerweise musste er immer schmunzeln, wenn Elisabeth versuchte, französische Wörter zu benutzen. Doch heute war ihm nicht danach. Elisabeth war ungebildet und aus einfachem Haus. Ihre Versuche, weltgewandt zu wirken, machten auf ihn einen leicht lächerlichen Eindruck.
"Ich soll Ihnen beste Grüße von der Frau Gräfin ausrichten, mon Colonel."
Elisabeth hatte die Worte gerade zu Ende gesprochen, als sie mit einer eleganten Handbewegung ihre Robe fallen ließ. Der schwarze Stoff glitt an ihrer Haut entlang, und einen halben Augenblick später stand sie völlig nackt vor ihm, bekleidet nur mit einer Perlenkette um ihren Hals und dem Stoff der Robe, der sich wie eine Schlange um ihre Füße wand.
Der Colonel konnte den Blick nicht von dem nackten jungen Mädchen lassen, ihrem glatten Haar, ihrer zarten weißen Haut. Sein Blick glitt ihren Körper entlang und verfing sich unter ihren Brüsten, wo ihre schlanke Figur von einer kaum merklichen Wölbung unterbrochen schien. Sie bemerkte seinen Blick und streichelte sanft ihren Bauch mit beiden Händen. "Colette."
Der Colonel ging langsam einen Schritt auf Elisabeth zu. Sie erwiderte seinen Blick. "Colette. Unser Kind soll Colette heißen. Ich will, dass sie einen französischen Namen bekommt, so wie ihr Vater."
"Colette? Was macht dich so sicher, dass du ein Mädchen bekommst?"
Elisabeth lächelte schüchtern. "Ich kann es spüren, mon Colonel. Es ist ein Mädchen."
Der Colonel spielte mit ihrer Perlenkette, welche sanft um ihren Hals lag. Er nahm eine der Perlen und rollte sie leicht zwischen den Fingern. "Das ist alles nicht so einfach, mein Kind."
"Mon Colonel?"
"Ich bin ein Colonel der französischen Armee, du bist eine einfache Bedienstete. Wir beide können kein Kind zusammen haben."
Elisabeth ließ den Blick auf den Boden sinken. "Mon Colonel, ich verstehe nicht."
"Ich habe Frau und Familie zuhause in Frankreich, zu denen ich zurückkehren werde. Ich habe einen Krieg hinter mir und eine strahlende Karriere in der französischen Armee vor mir. Da ist kein Platz für dich oder dein Baby, das musst du doch verstehen?"
"Ja, mon Colonel."
Elisabeth hatte die letzten Worte kaum hörbar vor sich hin gemurmelt.
"Ich hatte schöne Stunden mit dir, genau das, was ein vielbeschäftigter Soldat nach einem harten Tag braucht. Dafür werde ich dir und der Frau Gräfin immer dankbar sein. Aber irgendwann muss auch das vorbei sein. Ich meine, dass du schwanger geworden bist, das war einfach nicht vorgesehen."
"Es tut mir leid, mon Colonel. Ich wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen."
"Das hast du aber."
La Mason schritt in Richtung des brennenden Kamins, als Elisabeth immer noch nackt neben ihrer heruntergefallenen Robe stand und schüchtern auf den Boden starrte. Le Mason griff nach dem zweiten Likörglas und schenkte es bis an den Rand mit Portwein voll. Er ging um das Bett herum, bis er vor Elisabeth stand. "Trink ein Schlückchen, das wird dich für das Erste beruhigen."
Elisabeth griff nach dem Glas und nahm zwei vorsichtige Schlucke. "Sie meinen, ich darf Sie in Zukunft nicht mehr besuchen?"
"Ja, es ist zu gefährlich für mich, ich kann dich leider nicht mehr empfangen."
"Mon Colonel, was ist mit unserer Tochter?"
Er spürte einen Kloß in seinem Hals.
"Ich habe keine Tochter, ich habe zwei prächtige Söhne, die einmal zur Elite der neuen französischen Republik gehören werden."
Elisabeths Lippen zitterten und eine kleine Träne rann ihr langsam über die Wange.
"Mon Colonel, soll ich mich anziehen und gehen?"
"Nein, ich kann dich nicht einfach gehen lassen."
"Wie meinen Sie das, mon Colonel?"
"Du kannst das Baby nicht behalten."
Das Mädchen schaute ihm entsetzt in die Augen, ihr Körper erzitterte, und zum ersten Mal an diesem Abend konnte er wahrnehmbare Gefühlsregungen an ihr ausmachen.
"Mon Colonel…"
"Einer meiner Offiziere wird dich heute noch nach Strasbourg fahren und dich in eine Klinik bringen. Dort werden sie dir das Kind wegmachen."
Elisabeths Augen weiteten sich erschrocken aus und kleine Tränen schossen ihr den Nasenrücken entlang. "Mon Colonel…"
Die Stimme schien ihr zu versagen, ihre Worte klangen nun wie ein leises Piepsen. Bisher hatte er noch nie einen Gefühlsausbruch bei ihr miterlebt, nicht einmal dann, wenn er sich mit ihr vergnügte.
"Du musst es verstehen, meine Kleine. Es ist für alle das Beste. Du und dein Kind seid nur eine Last für mich, und du bist noch so jung, du hast dein ganzes Leben vor dir, das kannst du doch nicht an ein Kind verschwenden."
Elisabeth hielt sich die Hände vor das Gesicht und brach nun endgültig in bittere Tränen aus.
"In drei Tagen geht ein genehmigter Militärflug von Strasbourg nach Berlin. Dort wirst du in einem Heim für Kriegswaisen untergebracht."
"Berlin? Nein, mon Colonel…"
"Ich werde dir aus meinem Privatvermögen ein Startkapital mitgeben. Damit sollte es dir gelingen, in der französischen Besatzungszone ein neues Leben aufzubauen.
"Mon Colonel, bitte, meine Tochter."
"Sieh doch ein, dass es das Beste für uns alle ist."
"Mon Colonel, ich flehe Sie an, bitte lassen Sie mich einfach gehen."
"Das ist leider nicht möglich, meine Kleine."
Elisabeth vergrub ihr Gesicht in den Händen und wurde von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt. "Meine Colette..."
"Dir wird nichts passieren, der Eingriff geht ganz schnell, du wirst nichts davon merken, und alles ist, wie es vorher war. Mach es uns doch nicht so schwer. Ich habe mir diese Entscheidung auch nicht leicht gemacht."
"NEIIIN!"
Le Mason wich erstaunt zurück, als Elisabeths weinerliches Gesicht plötzlich entschlossene Züge bekam. Auf einmal strahlte sie eine Bestimmtheit, ja fast Aggressivität aus. Dies hatte er bei dem jungen Mädchen, das in den Wochen zuvor fast stoisch alles über sich ergehen ließ, so nie gesehen.
"Ich werde nirgendwo hingehen!"
Sie schüttelte sich und riss seine Hand von sich weg, die Perlenkette schaukelte heftig, als sie ihren Kopf nach hinten warf. Erschrocken trat er ein paar Schritte zurück. "Galors! Dardigny!"
Eilig rief er die beiden Soldaten herbei, die vor dem Zimmer Posten bezogen hatten. Die Tür wurde aufgerissen, und beide Männer stürmten herein. Sie ergriffen sofort das nackte Mädchen, das nun wild um sich schlug und laut schrie. Die beiden hatten alle Mühe, sie festzuhalten.
"Stellt sie ruhig und bringt sie wie besprochen nach Strasbourg zu Colonel Leuvin. Er ist bereits informiert."
Die Soldaten schienen ihn nicht zu hören, zu sehr waren sie in den Kampf verstrickt. Elisabeth wehrte sich nach Leibeskräften, mit verschlossenen Augen versuchte sie sich aus dem Griff der beiden Soldaten zu befreien. Und langsam, zuerst kaum merklich, spürte der Colonel ein unbestimmtes bedrückendes Gefühl in der Magengegend. Irgendetwas stimmte nicht, irgendetwas lag in der Luft wie ein nicht hörbarer Brummton, der in seinen Därmen hämmerte.
Elisabeths Haar war völlig zerzaust, ihr sonst so glattes und dünnes Haar hatte sich in eine feste schwarze Mähne verwandelt, die sich wild um ihren Kopf legte. Der Colonel schaute das Knäuel der drei kämpfenden Menschen an, zwei Soldaten und ein nacktes Mädchen, das übermenschliche Kräfte zu bekommen schien. Er überlegte kurz, ob er zu seiner Dienstwaffe greifen sollte, die in einer Schublade des Sekretärs lag, doch das hämmernde Gefühl in seinem Bauch war stärker geworden und schien sich in Richtung seines Herzen auszubreiten. "Elisabeth! Elisabeth! Nimm doch Vernunft an!"
Für kurze Zeit war plötzlich Ruhe, das Mädchen hatte aufgehört, sich zu wehren. Den Kopf nach hinten gelegt, hielt sie ihre Augen immer noch geschlossen. Die beiden Soldaten hielten sie fest, waren aber mittlerweile völlig außer Atem. Elisabeths Körper war zum Bersten angespannt und der Colonel konnte plötzlich Muskeln entdecken, die er vorher an diesem zarten Körper nie wahrgenommen hatte. Ihr Bizeps wirkte nun doppelt so groß, ebenso die Muskelpartie um ihre Schulter. Neben ihrem angedeuteten Babybauch konnte er klar heraustretende seitliche Bauchmuskeln wahrnehmen.
Für einen Moment lag eine gespannte Stille im Raum, bis Elisabeth mit einer blitzartigen Bewegung ihren Kopf nach vorne schnellen ließ und ihre Augen aufriss. Le Mason wich erschrocken zurück, als er in zwei glänzende, völlig schwarze Augen starrte, jegliches Weiß war daraus verschwunden. Ihre Gesichtszüge hatten sich in eine Fratze verwandelt, die nur noch von dem wirren Gestrüpp, das einmal ihre Haare gewesen waren, zusammengehalten wurde.
Sein Herz klopfte bis zum Hals, und das drückende Gefühl hatte nun seinen Kopf erreicht. Wie in Zeitlupe, fast wie in Trance, starrte er auf das Wesen, welches einmal die kleine Elisabeth gewesen war.
In Sekundenschnelle schienen lange Schuppen aus ihrer Haut zu sprießen, ihre Schulter, ihr Rücken, ihre Brüste waren von einem grässlichen schwarzen Flaum umhüllt. Sie warf den Kopf nach hinten, und was gerade noch ein wütender Schrei gewesen war, verwandelte sich in ein markerschütterndes elendiges Krächzen. Ihr Gesicht wurde wie von einer unsichtbaren Macht zusammengedrückt, und wo gerade noch ihr Mund und Nase gewesen waren, hatte sich ein braunes schorfartiges Gebilde geformt. Ihre Beine wurden dünner und anstelle ihrer Füße schabten jetzt zwei krallenartige Scheren auf dem Boden. Ihr Hals schwoll an, so dass ihre Halskette zerbarst und die Perlen wie Geschosse in alle Richtungen davonflogen. Alles ging blitzschnell, und die beiden Soldaten blickten auf das fremde Wesen, das nun zwischen ihnen stand. Sie wollten sich losreißen, doch die Gestalt hielt ihrerseits die beiden fest. Eine große dunkel gefiederte Hand packte nun den Hals des kleineren Soldaten und riss den Kopf mit einer heftigen Drehbewegung aus seiner Verankerung. Der Colonel konnte das Knacken des obersten Halswirbels hören, bevor das Wesen den leblosen Körper mit einer kurzen Handbewegung von sich wegschleuderte. Der andere Soldat griff sich panisch an seinen Gürtel, wodurch seine Dienstpistole und ein Armeemesser auf den Boden fielen. Elisabeths schwarze Augen starrten den Colonel an, bis sie den Kopf drehte und ihr schnabelartiges Gebilde dem größeren Soldaten in den Hals rammte. Der zog seine Hände nach oben, während sein Blut in einer roten Fontäne aus der Halsschlagader schoss. Er versuchte sich aus der Umklammerung zu lösen, doch das Wesen war nun heftig in Bewegung geraten. Wo vorher Elisabeths zarte Arme waren, bewegten sich zwei große schwarze Schwingen, als ob es Schwung holen wollte, um sich weiter in den Soldaten zu bohren. Nach einem kurzen, aber heftigen Todeskampf sank der Soldat wie ein rotes lebloses Bündel zu Boden.
Der Colonel starrte auf das Wesen, er konnte den Blick nicht von ihm wenden. Es schien ihn zu fixieren, mit einem dunklen ausdrucklosen Blick, wie er dies noch nie zuvor gesehen hatte. Ein markerschütternder Schrei, der einem schrillen Krächzen glich, schien seine Ohren zu durchbohren, als Elisabeth ihre Arme ausbreitete, die nun komplett mit schwarzen Federn bedeckt waren. Die Kreatur schien nun das ganze Licht zu verschlucken, welches vorher den Raum erhellt hatte.
Der Colonel stolperte, als er hastig einen Schritt zurückwich. Der Sekretär stürzte unter seinem Gewicht um, als die Kreatur mit staksigen Schritten näher kam. Er lag nun rücklings am Boden neben einer umgestürzten Blumenvase, als er mit seinen Händen verzweifelt versuchte, in dem umgefallenen Sekretär nach seiner Dienstwaffe zu suchen. Das Wesen schien seine Absicht zu bemerken, und das Letzte, was er hörte, war ein markerschütternder Schrei, als es auf seinen Bauch sprang und ihre riesigen Krallen in seine Eingeweide bohrte. Er fühlte das Blut durch seinen Körper schießen, während die Kreatur, die einst die kleine Elisabeth war, mit heftigem Flattern seinen zuckenden Körper immer wieder nach oben riss. Irgendwann nahm er die Schreie nur noch wie durch einen Schleier wahr, und die grässliche Fratze vor seinen Augen verschwand in einem dunklen Nebel.
Schon kurz hinter Belfort war ihm dieses unangenehme Gefühl direkt aus seinen Eingeweiden in die Kehle gestiegen. Er vertrug Autofahren einfach nicht, und die Schotterpisten des südlichen Elsasses machten es ihm auch nicht einfacher. Ihm war übel, speiübel, und er versuchte konsequent am Fahrer vorbei den zitternden Horizont zu fixieren. Er saß auf dem Hintersitz eines Citroen Traction Avant, wo er sich verzweifelt in den stoffüberzogenen Sitz krallte. Antoni hatte sich ein paar Akten zum Studium aus dem Koffer genommen, aber im Moment war nicht daran zu denken, seinen Kopf auch nur leicht zu bewegen. Sein Magen fühlte sich an, als ob eine giftige Brühe von einer Wand zur anderen schwappte und dort jeden Moment die Dämme brechen könnten. Der Fahrer, ein äußerst schweigsamer älterer Soldat, hatte ihn schon einige Male durch den Rückspiegel fixiert. Er musste jämmerlich aussehen. Nein, Antoni vertrug Autofahren einfach nicht.
Antoni hatte seine Reise gestern am Bahnhof von Perpignan angetreten. Sein überhasteter Aufbruch hatte ihm kaum genug Zeit gelassen, das Nötigste an Utensilien in die beiden alten verschlissenen Koffer zu packen, die ihm sein Vater mitgegeben hatte. Die Zugfahrt entlang der französischen Südküste und durch das malerische Rhônetal hatte er im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen. Kurz vor Besançon war er wieder aufgewacht, und erst dann konnte er sich ein wenig Zeit nehmen, in den Akten zu blättern, die ihm vor seiner Abreise von seinem Vorgesetzten zugesteckt worden waren. Viel konnte er nicht arbeiten, denn in Belfort war die Zugfahrt wieder zu Ende gewesen. Die Gleise nach Norden waren noch zerstört, die Kriegsspuren waren hier, so kurz vor dem Elsass, noch deutlich zu sehen. In Belfort hatte ihn dieses automobile Ungetüm mit seinem mürrischen Fahrer abgeholt, um ihn weiter zu seinem Bestimmungsort zu bringen. Der Soldat hatte zur Begrüßung vor ihm salutiert. Für Antoni war es eine befremdliche Situation, denn obwohl er dem Fahrer vorgesetzt war, war er doch kein Mitglied der französischen Armee. Er hatte daher den Salut nicht erwidert und war mit einem kurzen Merci in das geräumige Auto eingestiegen. Und nun saß er hier und kämpfte mit den kleinen Dämonen, die in seinem Magen Polka tanzten.
Ein Schlagloch riss ihn aus seinen Tagträumen und viel hätte nicht gefehlt, dann hätte sich sein Mageninhalt einen Weg nach draußen gesucht. Antoni spürte den Blick des Fahrers durch den Rückspiegel, auch wenn dieser den direkten Blickkontakt vermied. Er versuchte Haltung zu bewahren, schließlich war er Inspecteur der Sûreté Nationale und er wollte es sich nicht erlauben, vor einem einfachen Dienstsoldaten seine Fassung und seinen Mageninhalt zu verlieren.
Sie waren nun kurz vor Colmar, und die Straße war nicht besser geworden. Der Fahrer machte einen plötzlichen Schlenker nach rechts, als ob er Antoni absichtlich in die Bredouille bringen wollte. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte die Kontrolle über seinen Würgereiz verloren. Antoni schaute aus dem Fenster und betrachtete die eintönige Landschaft, die an ihm vorbeizog. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass in dem Krieg, der nun gerade erst fünf Monate hinter ihnen lag, zwei Nationen sich ernsthaft um diesen freudlosen Landstrich gestritten hatten. Die Pontonbrücke auf der Höhe des Kaiserstuhls, über die wenige Wochen zuvor die französischen Panzereinheiten über den Rhein gerollt waren, war nun in Sichtweite. Er schaute aus dem Fenster der Limousine und blickte auf die Bergkette, die sich aus der Ebene herausschälte, wie von unten durch den Boden gestoßen. Der Schwarzwald. Auf Antoni wirkten die Berge seltsam fremd, sie erschienen deutlich dunkler und bewaldeter als die südlichen Pyrenäen, in deren Nähe er aufgewachsen war. Die Sonne war im Untergehen begriffen, und das fahle Licht verstärkte diesen Eindruck. Der Schwarzwald wirkte düster und unwirklich auf ihn, als ob ihn noch nie ein Mensch betreten hätte. Kaum zu glauben, dass dort oben wirklich Menschen wohnten. Hätte man ihm erzählt, dass hier seltsame Gestalten ihr Unwesen trieben, er hätte es sofort für möglich gehalten. Die Gegend wirkte auf ihn so fremdartig, so völlig anders als seine Heimat. Antoni sehnte sich plötzlich nach einer warmen Meeresbrise, nach dem leichten Duft nach Salz, dem aufgeregten Geschrei der Möwen. Das Meer war sein Element, das wurde ihm im Angesicht der unfreundlichen Bergkette wieder bewusst. Noch nie in seinem Leben war er so weit weg vom Meer gewesen wie jetzt, und dieser Umstand machte ihn doch leicht nervös. Toulouse war der nördlichste Punkt, an den es ihn bisher verschlagen hatte, was die Fahrt nach Freiburg für ihn zu einer gefühlten Weltreise machte. In seinen jungen Jahren hatte ihn noch nichts veranlasst, Frankreich zu verlassen. Er war in Perpignan aufgewachsen, ganz unten im südwestlichsten Zipfel von Frankreich. Als Angehöriger der katalanischen Minderheit gehörte es fast schon zum guten Ton, ein wenig unter sich zu bleiben und dem Pariser Zentralisationsbestreben zumindest auf einer kulturellen Ebene zu widerstehen. So war es für seine Familie ein kleiner Schock gewesen, als er nach der Schule die Stadt verließ und sich auf der Polizeischule in Toulouse einschrieb. Und dort, eingeklemmt zwischen den Kriegsschauplätzen im restlichen Frankreich und dem spanischen Bürgerkrieg auf der anderen Seite der Pyrenäen, forcierte er seine Polizeilaufbahn. Eine Karriere als hoffnungsvoller Anwärter verhalf ihm dazu, nicht an die Front eingezogen zu werden. Dann der Abschluss mit Prädikat, Akademiebester, Praktika bei den höchsten Polizeistellen der Regionalpräfektur, Sportauszeichnungen und Pokale, südfranzösischer Polizeimeister im Langstreckenschwimmen, dazu fünf Sprachen ordentlich bis fließend. Jeder, der etwas von der französischen Polizeiorganisation verstand, musste erkennen, dass ihm eine große Karriere bevorstand. So war es vollkommen naheliegend, dass er sofort nach seiner Ausbildung zum Inspecteur ernannt wurde und nur wenige Tage danach seinen ersten Fall übertragen bekommen hatte. Antoni allerdings ging das alles viel zu schnell, er hätte nichts dagegen gehabt, sich für eine gewisse Zeit um die Alltagsgeschäfte und kleineren Delikte seiner Heimatstadt zu kümmern. Doch nun saß er, gerade mal vierundzwanzig Jahre jung, mit einer geschniegelten Uniform und aschfahlem Gesicht in diesem großen Citroen, unterwegs in das Gebiet des alten Kriegsgegners, um dort seinen ersten Mord zu untersuchen.
Fast hätte er sein Unwohlsein vergessen, als ein weiteres Schlagloch ihn ruckartig daran erinnerte. Mittlerweile wurde es auf den Straßen wieder lebhafter und mehrere Panzersperren und Wachposten zeigten ihm, dass sie nun die Pontonbrücke bei Sasbach erreicht haben mussten. Der Fahrer senkte das Tempo, was Antonis Magen zu einem gefühlten Salto veranlasste. Einige Meter voraus war ein Wachposten aufgebaut, vor dem zwei bis an die Zähne bewaffnete französische Soldaten standen. Der Wagen kam direkt neben den Soldaten zum Stehen, die sich sofort herunterbeugten, um einen Blick in den Innenraum zu erhaschen. Der Fahrer kurbelte mühsam das Fenster herunter und hielt seinen und Antonis Ausweis nach draußen.
"Überstellungsfahrt von Inspecteur Antoni Cardona der Sûreté Nationale nach Freiburg zwecks Untersuchung in einem Mordfall."
Einer der beiden Soldaten blätterte angestrengt in den Papieren, während der andere langsam um das Auto ging und es von allen Seiten inspizierte. Antoni hielt sich im Hintergrund und ließ den Fahrer mit den Soldaten sprechen. Er hatte nicht die Absicht, dadurch so etwas wie Unnahbarkeit demonstrieren zu müssen, vielmehr schien ihm jede Bewegung wie eine Qual vorzukommen, denn sein Magen war immer noch weit davon entfernt, sich zu beruhigen.
Schließlich kurbelte der Fahrer das Fenster wieder hoch und fuhr langsam an. Die beiden Soldaten standen nebeneinander und salutierten zum Abschied, als der Wagen vom Wachposten wegrollte. Antoni schaute nach vorne durch die Windschutzscheibe, wo er im beginnenden Dämmerlicht die Pontonbrücke erkennen konnte. Mehrere Soldaten standen neben den Panzersperren, an denen die Brücke aufgehängt war. Die Pontons schaukelten auf den kleinen Wellen des Rheins und ließen die Brücke wie zerbrechliches Treibholz wirken. Zu zerbrechlich für Antonis Geschmack. Ein hölzernes Rattern ließ erkennen, dass der Wagen nun die Brücke befuhr. Sofort meldete sich sein Magen wieder. Das Automobil erzitterte, als ob eine ganze Schwadron Ratten an der Karosserie rüttelte und versuchte, den Lack abzunagen. Das Rütteln wuchs sich zu einem Hämmern in seinem Kopf aus, sein Magen schien Purzelbäume zu schlagen. Er fühlte, wie die Brücke unter der großen Limousine schwankte und die Pontons auf dem Wasser schaukeln ließ. Die wacklige Überfahrt dauerte eine gefühlte Ewigkeit, ihm war nie bewusst, dass der Rhein so breit war. Kurz bevor sie das andere Ufer erreichten, musste der Wagen eine kleine Steigung bewältigen, um die hölzerne Brücke wieder zu verlassen. Kaum hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen, spürte Antoni, dass sein Magen nun endgültig kapitulierte, er hatte den Kampf verloren.
"Bitte halten Sie den Wagen an, schnell!"
Ohne abzuwarten, öffnete er die linke Hintertür und lehnte sich aus der Öffnung, aus der eine kühle Abendluft zu ihm drang. Danach verlor er die Kontrolle über seine Speiseröhre, und was heute Mittag noch eine nette gedeckte Platte im Speisewagen gewesen war, ergoss sich nun als grauer Strahl auf den erdigen Boden neben den Wagen. Dies war also seine erste Handlung auf deutschem Boden. Ein zweiter Strahl folgte, begleitet von einem unkontrollierten lauten Röhren.
Willkommen in Deutschland, dachte er bei sich, als er sich völlig erschöpft aufsetzte und die Tür schloss. Der Fahrer beäugte ihn durch den Rückspiegel.
"Geht es Ihnen gut, Monsieur l‘Inspecteur?"
"Ja, alles bestens. Bitte fahren Sie weiter."
Hoffentlich ist das kein böses Omen, dachte Antoni bei sich, als der Wagen wieder anrollte.
Antoni spürte, dass es ihm besser ging, auch wenn er dem Fahrer gegenüber peinlich berührt war. Der Abend hatte sich über die Szenerie gesenkt, als der Wagen weiter der dunklen Bergkette entgegensteuerte.
Sie müssten bald in Freiburg sein, und vielleicht wäre das ein passender Zeitpunkt, doch noch einen Blick in die Unterlagen zu werfen. Er knipste ein kleines Licht an, das an der Decke der Limousine angebracht war und seinen Sitzplatz spärlich beleuchtete. Zum Lesen sollte es reichen. Der Fahrer blinzelte ein wenig unsicher in den Rückspiegel, offenbar behinderte ihn das Innenlicht an der Sicht nach draußen. Doch er wagte nicht, etwas zu sagen, und Antoni zog es vor, ihn zu ignorieren.
Der Gedanke, völlig unvorbereitet die Untersuchung zu beginnen, war ihm doch zuwider. Er vertraute seiner Intuition nicht, er musste sich der Faktenlage sicher sein, um das Selbstbewusstsein an den Tag zu legen, das man von einem Inspecteur erwartete. Er war nicht der Typ Mensch, der einen Raum betrat und alle durch sein Charisma in den Bann ziehen konnte. Seine Strategie war es immer, nicht weiter aufzufallen, den anderen den Vortritt zu lassen, dann aber im richtigen Moment bereit zu sein. Dazu musste er sich seiner Sache sicher sein, die Fakten aufgenommen, vorher durchdacht und für sich aufbereitet haben. Seine Mutter hatte ihm früher eine alte Fabel erzählt von einem starken Baum, der dem Sturm trotzte und dabei zerbrach, und dem Schilf, welches sich dem Sturm beugte und sich danach wieder aufrichtete. Er würde wie das Schilf sein, dessen war er sich stets sicher gewesen.
Die nächsten Tage und Wochen würden zeigen, ob er mit dieser Einstellung weiterkommen würde. Der grüne Junge aus der Provinz mit seinem ersten Fall neben all diesen hochgedienten Militärs, mit höchsten Würden dekoriert, jahrelange Kriegserfahrung an vorderster Front, mit einer großen Karriere vor oder hinter sich. Es war ihm ein Rätsel, warum ausgerechnet er für diesen Fall ausgewählt worden war. Dieser Mordfall konnte, bei Licht betrachtet, höchstes nationales Interesse berühren oder zumindest hervorrufen. Dazu noch auf besetztem Gebiet beim ehemaligen Kriegsgegner. Ein unangenehmes Gefühl, der Fall könnte ihm eine gehörige Nummer zu groß sein, beschlich ihn. Seine exzellenten Abschlüsse und seine schulischen Leistungen würden alleine nicht ausreichen, hier bedurfte es wohl mehr als nur theoretisches Polizeiwissen. Kenntnisse der internen Struktur der französischen Armee, Fingerspitzengefühl im persönlichen Auftreten in einer besetzten Stadt oder praktische Erfahrungen schienen ihm hier wesentlich nutzbringender. Auch war es für ihn verwunderlich, dass dieser Fall nicht intern untersucht wurde, also von Diensten der Armee, sondern von einem externen Inspecteur der Sûreté Nationale. Trotzdem war er es, der nun die Aufgabe bekommen hatte, diesen Mord aufzuklären.
Sie durchquerten einige Dörfer, deren Straßen völlig leergefegt waren. Lediglich einige beleuchtete Fenster zeigten an, dass innerhalb der grauen Mauern Leben herrschen musste. Die Akten, die neben ihm lagen, waren in einem grauen Pappumschlag eingeschlagen. Auf dem äußersten Deckblatt war in großen roten Druckbuchstaben "STRICTEMENT CONFIDENTIEL" aufgedruckt. Viel Information hatte er nicht bekommen, schließlich war es in diesen Tagen sehr schwer, geheime Regierungsdokumente aus der Besatzungszone ohne Aufsehen nach Südfrankreich zu schicken. Er fischte ein Foto eines älteren Soldaten aus der Mappe, der ernst dreinblickend in voller Uniform vor einer hängenden Trikolore stand. Die Uniform des Soldaten saß wie angegossen, ebenso der leicht gewichste Schnäuzer. Das war also das Opfer, Colonel Pierre Le Mason.
"Was haben sie mit dir gemacht?"
Antoni flüsterte sich selbst zu. Der Fahrer schaute kurz irritiert in den Rückspiegel, warf dann aber wieder seinen Blick auf die dunkle Straße. Er fuhr jetzt sehr langsam, die Panzer, die vor wenigen Wochen in Richtung der Stadt vorgedrungen waren, hatten mit ihren Ketten die Fahrbahn deutlich in Mitleidenschaft gezogen.
Zwei weitere Bilder fielen Antoni in den Schoß. Zwei Fotos, offenbar von einem Wehrausweis abgekratzt, zeigten jeweils einen ernst dreinblickenden Soldaten. Es musste sich um die beiden anderen Opfer handeln, beides untere Dienstgrade. Sie hatten bereits im Krieg gedient, ohne große Auffälligkeiten. Antoni drehte die drei Fotos im Licht. Dies also waren nun die Opfer. Alle drei sind in der gleichen Nacht im selben Zimmer zur selben Zeit ermordet aufgefunden worden, ohne einen konkreten Hinweis auf die Täter oder ein fassbares Motiv. Womöglich war einer dieser Opfer auch der Täter, eine Tat im Wahnsinn. Wer kann schon nachvollziehen, was so ein Krieg aus einem Menschen macht.
Antoni blätterte weiter in der Akte, bis er auf einer Seite hängenblieb, auf der zwei weitere Fotos eingeklebt waren. Auf den monochromen Bildern war kaum etwas auszumachen und nur mit eng zusammengekniffenen Augen konnte er die Fotos deuten. Körper waren zu erkennen, liegende Körper mit in alle Richtungen abstehenden Gliedmaßen. Er brauchte nicht viel Fantasie, um hinter den verschwommenen Flächen die Leichen der Opfer zu identifizieren. Auf dem oberen Bild war ein einzelner Körper zu sehen, vermutlich der Colonel. Auf dem unteren Bild waren zwei weitere Leichen abgebildet. Antoni starrte angestrengt auf das Foto. Einer der beiden Körper hing schräg an der Kommode, den Kopf zur Seite verdreht, offenbar ein Genickbruch. Der andere Soldat hatte eine tiefklaffende Wunde am Kopf, viel mehr konnte Antoni nicht erkennen. Einige schnelle Schlussfolgerungen schossen ihm in den Sinn. Ein aufgesetzter Schuss in den Hals, vielleicht eine Verzweiflungstat, bei der ein Soldat seinen Kameraden, den Colonel und sich selbst richtete. Die Halswunde konnte aber auch von einem Stichgegenstand herrühren, so genau war das auf dem Foto nicht zu erkennen.
Sein Blick wanderte wieder auf das obere Foto. Antoni konnte kaum glauben, was er auf dem Foto sah. Der Körper lag seltsam verdreht unter einem umgekippten Sekretär, offenbar war ein Handgemenge oder sonstige direkte Gewaltanwendung vorausgegangen. Doch auch auf diesem schlechten und viel zu dunklen Foto konnte man das Ausmaß der Verletzungen erahnen, die dem Colonel zugefügt worden waren. Die Arme und Beine zeigten in alle Richtungen, als ob sie keinen Halt mehr am Rumpf hatten. Und auch der Kopf hing in einem unnatürlichen Winkel am Hals. Das wirklich Erschreckende aber war der Torso des Colonels, oder vielmehr das, was davon übrig geblieben war. Eine unförmige Masse war alles, was Antoni noch erkennen konnte. Die Verletzungen sahen nicht nach einer Schussverletzung aus, selbst eine aus nächster Nähe abgefeuerte Maschinenpistole hätte nicht diese verheerende Wirkung gehabt. Der oder die Täter mussten mit einer Axt oder einer ähnlich groben Waffe gewütet haben. Spontan kam Antoni ein Bär in den Sinn. Sein Onkel hatte ihm früher Geschichten aus dessen Zeit in Kanada erzählt und es geliebt, ihn mit blutrünstigen Erzählungen von skalpierenden Indianern oder wilden Bären zu ängstigen. Der Angriff eines Bären richtet sich meist auf die Bauchgegend, wenn sie einen Menschen töten wollen, hatte ihm sein Onkel mit fast schulmeisterlicher Ernsthaftigkeit eingepaukt. Nicht wie ein Wolf, der instinktiv an die Kehle springt. Ein Bär nutzt seine harten und spitzen Pranken, um seine Opfer auszuweiden.
Nach allem, was Antoni bisher über diese Tat sagen konnte, war anzunehmen, dass wohl mehrere Täter an der Bluttat beteiligt gewesen waren. Die Toten waren drei kriegserprobte Männer im besten Alter, zwei davon mit Armeepistolen bewaffnet, alle aus nächster Nähe vermutlich mit Hieb- oder Stichwaffen ermordet. Nein, Antoni konnte nicht an eine Einzeltat glauben. Selbst das Moment der Überraschung schien ihm wenig geeignet, drei Männer dermaßen hinschlachten zu können. Er würde sich vor Ort ein Bild der Lage machen müssen, weitere Einzelheiten vom Tatort konnte er der Akte nicht entnehmen. Ein gefalteter Stadtplan des Freiburger Stadtgebietes fiel aus der Mappe. Antoni legte ihn beiseite, im Auto erschien ihm nicht genug Platz, um die große Karte auszubreiten. Das letzte Blatt der Akte war ein kurzer Lebenslauf des Colonels. Man war offenbar nicht bereit, ihm die komplette Dienstakte zur Verfügung zu stellen. Antoni überflog die Zeilen. Ein einfaches Elternhaus, der Vater war ebenfalls bei der französischen Armee gewesen, wenn auch in niedrigeren Positionen. Trotzdem gelang Le Mason ein stetiger Werdegang, Zugang zu den besten Militärschulen des Landes, schnelle Beförderungen. Alles in allem ein steiler Aufstieg, der vermutlich noch nicht zu Ende gewesen wäre. Der Colonel hinterließ eine Frau und zwei Söhne. Dem ersten Anschein nach, wies nichts auf eine Spur hin, die direkt in der Person des Colonels begründet schien. Vielleicht hatte der Mord einen politischen Hintergrund. Antoni wusste von zerstreuten Freischärlerbewegungen, wie die Werwolf-Organisation, die in anderen Teilen Deutschlands noch vereinzelt gezielte Aktionen gegen die neuen Besatzungsmächte durchführten. Ein Mord an einem französischen Colonel hatte auch eine starke politische Signalwirkung. Es gab einige Richtungen, in die Antoni ermitteln müsste, an Arbeit würde es ihm nicht fehlen.
Langsam überkam ihn die Müdigkeit, Es wurde Zeit, dass sie ihren Bestimmungsort erreichten. Er wollte den Fahrer fragen, wie lange die Fahrt noch dauerte, entschloss sich jedoch zu schweigen. Irgendetwas sagte ihm, dass er die Stille nicht stören sollte. Man hatte ihm vor der Abfahrt mitgeteilt, dass man ihn in der alten Wehrmachts-Kaserne unterbringen würde, die nun von den französischen Streitmächten okkupiert worden war. Die Militärregierung hatte sofort die alte Schlageter- Kaserne der Wehrmacht in Quartier Vauban umbenannt, in Angedenken an Marquis Sébastien Le Prestre de Vauban, einem Baumeister unter Ludwig XIV, der sich mit seinen militärischen Festungsanlagen auch hier in dieser Region verewigt hatte.
Bald erreichten sie die ersten Häuser der Stadt. Die Bebauung wurde dichter und bekam einen gewissen urbanen Charakter. In einiger Entfernung konnte er einen Wachposten erkennen. Ein Holzgestell, umwickelt von Stacheldraht, lag über der Straße. Als die wachhabenden Soldaten das französische Auto näherkommen sahen, hoben sie das Gestell an und trugen es zur Seite. Offenbar war seine Ankunft bereits angekündigt worden. Langsam rollte der Wagen an den Wachposten vorbei und bog auf eine breite Straße ein. Sie wurde von hohen dunklen Mauern begrenzt, die bis vor ein paar Monaten noch prunkvolle Fassaden alter Stadthäuser waren. Wie Reihen ausgeschlagener Zähne in einem schiefen Mund standen die verfallenen Gebäude rechts und links der breiten Straße. Die Engländer hatten ganze Arbeit geleistet, hier war kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Antoni konnte sich lebhaft den Bombensturm vorstellen, der über diese Stadt hinweggefegt war. Er wusste nicht viel über Freiburg, eine kleinere Großstadt in Baden, nahe der schweizerischen und französischen Grenze. Er schaute am Fahrer vorbei durch die Windschutzscheibe, durch die er den spitzen Turm des unversehrten Münsters erkennen konnte. Wie ein Pfeil ragte der gotische Kirchenbau aus den zertrümmerten Häusern in den Abendhimmel.
Über der Stadt lag absolute Ruhe. Seit fast einer Stunde war nun die Ausgangssperre in Kraft. Sie fuhren durch die Innenstadt, vorbei an zerstörten Gebäuden und weiteren Trümmergrundstücken. Es war für Antoni schwer vorzustellen, dass diese Wüstenlandschaft einmal eine der schönsten Städte Deutschlands gewesen sein sollte. Nachdem sie eines der alten Stadttore passiert hatten, steuerte der Wagen geradewegs Richtung Süden. Am dunklen Himmel konnte er einen riesigen Schwarm Vögel wahrnehmen, die tief über der Stadt kreisten. Antoni dachte an Möwen, doch war er hier viel zu weit vom Meer entfernt. Für Schwalben waren die Vögel zu groß, es mussten Krähen sein. Wie einer schwarzen Wolke gleich, drehten sie hoch oben ihre Runden. Der Abendhimmel bekam an den Spätsommerabenden eine leicht rötliche Färbung, was dem kreisenden Vogelschwarm etwas Unheimliches und Bedrohliches verlieh. Antoni hatte noch nie so viele Vögel auf einmal gesehen, nicht einmal die großen Möwenschwärme an der Côte d'Améthyste waren ihm mächtiger in Erinnerung geblieben.
Der kleine Fluss glitzerte wie ein silbernes Band, als sie die Brücke über den Fluss überquerten. Antoni kämpfte mit seiner Müdigkeit, die lange Fahrt und die kurze Nacht im Zug forderten ihren Tribut. Er packte die Akte und stopfte sie in seine Tasche. Er würde sich heute nicht mehr weiter damit beschäftigen können, er fühlte, dass sich sein Tag zu Ende neigte. Der rätselhafte Tod von Colonel le Mason würde bis Morgen warten müssen. Nach weiteren zehn Minuten hatten sie die zerstörte Stadt nach Süden verlassen und fuhren in Richtung der alten Wehrmachtskaserne, die von der französischen Armee in Beschlag genommen worden war. Am Tor wartete der übliche Wachposten auf ihn, doch nach einer kurzen Papierkontrolle wurden sie durchgewunken. Der Wagen fuhr im Schritttempo eine gerade Straße entlang, zu deren beiden Seiten in sauberem Abstand von ungefähr zehn Metern grüne Laubbäume standen. Bald erschien auf der linken Seite ein großer Exerzierplatz und auf der rechten Seite das unscheinbare Gebäudeensemble der Kommandantur. Ein älterer Soldat wartete in Hab-Acht-Stellung vor dem Gebäude und dirigierte den Wagen auf einen Parkplatz. Der Soldat, vermutlich ein Sergent, ging auf den Wagen zu, als der Fahrer den Motor abschaltete. Für Antoni war es eine Wohltat, als das Geräusch verstummte. Erst jetzt nahm er wahr, wie sehr das penetrante Brummen des Fahrzeugs seine Nerven strapaziert hatte. Der Sergent öffnete die hintere Tür und salutierte vor Antoni, als dieser aus dem Auto stieg. Antoni spürte seine Beine nicht mehr, es fühlte sich an, als ob er auf zwei Holzstelzen balancierte. Sicherheitshalber hielt er sich am Autodach fest, als er vor dem Sergent stand. Antoni erwiderte den militärischen Gruß nicht, sondern streckte ihm die Hand entgegen. Der Sergent wirkte ein wenig irritiert, griff aber zu. "Herzlich willkommen im Quartier Vauban in Freiburg, Monsieur l‘Inspecteur. Wir haben Ihr Nachtlager vorbereitet, es wird Ihnen hoffentlich an nichts fehlen."
Antoni hoffte, dass dem Sergenten sein saurer Atem nicht auffiel.
"Ich danke Ihnen vielmals für den Empfang."
"Wie war Ihr Weg aus Paris? Sind die Straßen mittlerweile wieder benutzbar?"
"Ich komme nicht aus Paris, ich komme aus Perpignan."
Der Sergent stutzte. "Nicht aus Paris? Tatsächlich?"
"Warum erstaunt Sie das so sehr?"
"Nun ja, alle unsere Offiziere und Führungspersönlichkeiten kommen aus Paris. Nur die untere Ebene kommt aus der Provinz. Ich hätte gedacht, dass Sie als Inspecteur der Sûreté Nationale…, ich meine… "
"Bemühen Sie sich nicht weiter. Ich komme aus Perpignan, und ich kann Ihnen sogar sagen, dass ich noch niemals in Paris war. Die größte Stadt, in die ich bisher meinen Fuß setzen durfte, war Toulouse. Ich kann Ihnen mit Paris leider nicht dienen."
"Sehr wohl, Monsieur l‘Inspecteur."
Der Sergent schien peinlich berührt zu sein. Antoni zog es vor, das Thema zu wechseln. "Wie sieht mein morgiger Tagesablauf aus?"
Der Sergent war offensichtlich dankbar dafür, dass er das Gespräch wieder aufnehmen konnte. "Sie haben morgen früh einen Termin mit Colonel Leuvin, dem kommissarischen Leiter des Stützpunktes Freiburg und Südbaden, wo Sie ein Fahrer hinbringen wird. Dort werden Sie auch Herrn Walter kennenlernen."
"Herrn Walter?"
"Ja, Herr Walter wird Ihnen mit seinen Ortskenntnissen zur Verfügung stehen und Ihre Ermittlungen als untergeordneter Partner begleiten. Die Kommandantur fand es passend, Ihnen als Ortsunkundigen einen deutschen Begleiter zur Verfügung zu stellen."
"Angenehm. Reichlich unerwartet zwar, aber angenehm. Darf ich Sie bitten, mir meine Unterkunft zu zeigen? Ich habe einen weiten Weg hinter mir, und morgen einen harten Tag vor mir."
"Sehr wohl, Monsieur l‘Inspecteur. Bitte folgen Sie mir."
Der Sergent hatte sich beide Koffer gegriffen und ging geradewegs auf die Eingangstür eines zweistöckigen Gebäudes zu.
Antoni blickte in den dunklen Himmel, durch den abermals eine Schar Krähen ihre Runden zog. Er konnte ihr Krächzen hören, als sie die Kaserne überflogen. Direkt über ihm machte das dunkle Gemenge eine große Kurve, wie von einer unsichtbaren Hand gesteuert. Die Vögel zogen die Kurve immer kleiner, bis ein flirrender schwarzer Strudel am Himmel entstand. Die Umstehenden schienen das Treiben nicht zu bemerken, doch Antoni konnte den Blick nicht von den Tieren abwenden, die laut krächzend die Richtung änderten und davonstoben. So geordnet, wie sie gerade eben noch ihre Bahnen zogen, so durcheinander flogen die Vögel aus seinem Blickfeld in Richtung der Schwarzwaldhöhen.
Der Sergent war mittlerweile mit seinem Gepäck im Haus verschwunden. Antoni hielt sich seine Jacke zu und eilte dem Mann schnell hinterher.
Die Sonne senkte sich langsam hinter die Vogesen auf der anderen Seite des Rheins, als Jakob erschöpft auf eine alte morsche Bank sank. Das Gefühl, wieder deutschen Boden unter den Füßen zu haben, legte sich wie ein schweres Gewicht auf seine Brust. Ein Gefühl der Erleichterung oder der Bürde, er konnte es nicht greifen. Unter abenteuerlichen Umständen hatte er es durch die Schweiz geschafft, doch der größte Weg lag noch vor ihm. Er nahm erneut den Geruch seiner verschmutzten Kleider wahr, denen immer noch das Aroma des Schweinestalls anhaftete, der ihm letzte Nacht als Schlafstatt gedient hatte. Es war seine erste Nacht auf deutschem Boden gewesen, und obwohl er wusste, dass er nun besonders vorsichtig sein musste, hatte er doch so gut geschlafen wie nie zuvor. Auf seinem Weg durch die Schweiz hatte er größere Orte gemieden, da er befürchten musste, dass ein einzelner Wanderer, so dreckig und heruntergekommen wie er, dort zu sehr Aufsehen erregen könnte.
Zurück in Deutschland erschien es ihm sicherer, den Schutz der zerstörten Städte zu suchen, um in dem Dickicht des Chaos wie eine Schabe bei Nacht durch das Netz der alliierten Verbände zu schlüpfen. Schon in Italien war es ihm gelungen, seine deutsche Uniform loszuwerden und gegen Zivilkleidung zu tauschen, so dass er nicht als entflohener Frontsoldat auffiel. Da er einigermaßen ordentlich die niederländische Sprache beherrschte, konnte er im Notfall seine wahre Identität als deutscher Soldat geschickt verbergen. Dies hatte ihm die letzten Tage schon das eine oder andere Mal die Haut gerettet. Er musste an die Situation in Luzern denken, wo er einer schweizerischen Polizeistreife in die Hände fiel, die ihn aber als vermeintlichen niederländischen Staatsbürger seines Weges ziehen ließ. Er stützte sich auf der Bank auf, als er langsam großen Hunger in sich wachsen fühlte. Die nächste Stadt musste Freiburg sein, dort sollte er ein Dach und eine Kleinigkeit zu Essen finden. Es würde bereits dunkel sein, wenn er dort ankäme, ideal, um unbeobachtet in die Stadt zu gelangen.
Jakob konnte es selbst kaum glauben, welche Strecke er bereits zurückgelegt hatte, seit er sich vor ungefähr drei Wochen Hals über Kopf von der gefallenen Vierzehnten Armee abgesetzt hatte. Die Flucht war ein schneller und spontaner Entschluss gewesen, ein Gedanke, der in der gleichen Sekunde geboren wurde, in der er auch seine Ausführung fand. Jakobs Heeresgruppe war von Ligurien unterwegs nach Norden gewesen, die alliierten Truppen im Rücken, die wenige Wochen zuvor in Anzio an Land gegangen waren. Auf die geschlagenen Soldaten wirkte die stille Wanderung wie ein Rückzug, auch wenn niemand es gewagt hätte, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Für Jakob war dies der Weg zurück in die norddeutsche Heimat, weg von den italienischen Kriegsschauplätzen. Der innere Blick nach Norden gab ihm das Gefühl, dass der Krieg für ihn vorbei war und das Schicksal ihn wieder zurück zu seiner Familie führte. Er verschwendete keinen Gedanken an Sieg und Niederlage, es war ihm nicht möglich, in diesen Kategorien zu denken. Er hatte seinen persönlichen Krieg verloren, als er die Heimat verlassen musste. Auf den Weg in einen Konflikt, der nicht seiner war, unterwegs in einem Land, dessen Kultur und Menschen ihm völlig gleichgültig waren.
Auf der Höhe von Turin war die Heeresgruppe Ligurien einer brasilianischen Division in die Hände gefallen, welche der schon geschwächten und demoralisierten Armee übel zusetzte. Jakob hatte Brasilien immer mit Sonne und Samba in Verbindung gebracht, doch musste er dort erfahren, dass Brasilianer ebenso gut mit amerikanischen Kanonen umgehen konnten. Seine Einheit wurde komplett aufgerieben und es war offensichtlich, dass dies auf eine Kapitulation hinauslaufen könnte. Doch für Jakob hätte das den Weg zurück bedeutet. Als Kriegsgefangener zurück bis hinter die Frontlinie, womöglich bis nach Bologna oder Florenz, und damit immer weiter weg von seiner norddeutschen Heimat. So fasste er völlig überstürzt und unüberlegt den Entschluss, sich im wahrsten Sinne des Wortes in die Büsche zu schlagen und alleine seinen Weg nach Norden zu finden. Und so fand er sich kurz bevor die brasilianischen Truppen die Reste der Heeresgruppe Ligurien einsammeln konnten, watend und kriechend in einem eiskalten Gebirgsbach wieder, der am Tag zuvor noch Gletscherwasser in den Alpen gewesen war. Die Sehnsucht trieb ihn nach Norden, stets verbunden mit der Furcht, man könne ihn aufgreifen und gefangen nehmen. Bis zu vierzig Kilometer pro Tag hatte er hinter sich bringen können, eine Leistung, welche er selbst nie für möglich gehalten hatte. Es war ihm in kürzester Zeit gelungen, sich bis Novara durchzuschlagen und dann weiter am Lago Maggiore entlang in Richtung der Schweizer Alpen. Dort konnte er sich in einen Zug schmuggeln und die Schweizer Alpen durch die Tunnel unterqueren. Den Weg von Thun nach Basel hatte er zu seiner großen Überraschung in weniger als einer Woche bewältigt, obwohl er ihn größtenteils zu Fuß zurückgelegt hatte. Er schlief heimlich in Ställen von entlegenen Bauernhöfen und trank Wasser aus Bächen. Er aß, was er zu fassen bekam, er grub rohe Kartoffeln aus dem Acker oder schlich sich des Nachts in kleine Gärten, um Obst zu pflücken. Er war erstaunt, dass sein Körper trotz der völlig unzureichenden Nahrung zu solch einer Höchstleistung im Stande war.
Nun war er also wieder in Deutschland. Den größten Teil des Weges hatte er allerdings noch vor sich. Wenn die alliierten Truppen ihn als desertierten Soldaten erkennen würden, hätte seine Reise ein Ende gefunden. Gefangenschaft oder Schlimmeres wäre für ihn die Folge. Trotzdem hatte sich etwas Zuversicht in ihm ausgebreitet, und wenn er die Berge hinter sich ließe, würde er bald seine alte Heimat wiedersehen. Bis dahin war es noch ein weiter Weg und für heute wollte er nur Freiburg erreichen. Seine Füße schmerzten und irgendwann meinte er, in weiter Entfernung einige Häuser wahrzunehmen.
Die Sonne war bereits untergegangen, als Jakob die letzten Dörfer vor der Stadt hinter sich gelassen hatte. Er zog seinen Mantel zu, ein kalter Wind wehte leicht durch die Straßen. Mittlerweile waren die Wege befestigt und allmählich wichen die alten Höfe mehrstöckigen Stadthäusern. Viele Gebäude waren zerstört, und obwohl aus den Fenstern und Nischen flackerndes Licht nach außen drang, waren oftmals nur die Außenmauern erhalten.
In einiger Entfernung konnte er im Dunkeln schemenhaft einen großen Kirchturm ausmachen, der sich bedrohlich in den Nachthimmel streckte und gespenstisch über der dunklen Stadt thronte. Jakob ging eine größere Straße entlang, wobei er darauf achtete, sich dicht an der Häuserwand zu halten. In einiger Entfernung hinter ihm nahm er das laute Brummen eines Autos wahr, was in Richtung Innenstadt fuhr. Jakob drückte sich in einen Hauseingang und verschwand für einen Moment im Dunkeln. Das Brummen wurde lauter, bis er aus seinem Schlupfwinkel ein Militärfahrzeug sah, das schnell an ihm vorbeifuhr. Er konnte zwei oder drei Soldaten erkennen, die stoisch durch die Windschutzscheibe auf die Straße starrten. Als das Knattern des Motors wieder leiser wurde, schlich Jakob aus seinem Versteck. Ein vorsichtiger Blick die Straße herunter zeigte ihm, dass das Fahrzeug in gut hundert Metern Entfernung anhielt. Ein offensichtlich elektrisch betriebenes Licht ließ ihn vermuten, dass dort ein Wachposten aufgestellt war. Jakob blieb stehen und drückte sich gegen die Wand. Er würde sich einen anderen Weg in die Stadt suchen müssen.
Jakob überquerte schnell die Straße und lief in Richtung eines unbebauten Grundstückes, das sich an die Häuserreihe anschloss. Er hatte das Gefühl, dass er sich von der Stadtmitte entfernte, doch schon bald befand er sich wieder auf einer breiten Straße, welche auf beiden Seiten von Trümmern und Schutt umgeben war. Der Bebauung zufolge handelte es sich um ein kleines Gewerbegebiet. In einiger Entfernung konnte er ein Licht auf der Straße erkennen, offensichtlich ein weiterer Wachposten. Jakob ließ sich ein Stück zurück auf das freie Gelände fallen und ging langsam weiter, den Blick angestrengt nach vorne gerichtet. Nach einigen Metern konnte er erkennen, dass sich der Posten auf einer breiten Brücke befand, auf der sich zwei Soldaten auf Sandsäcken gegenüber saßen. Jakob konnte das Glimmen zweier Zigaretten erkennen. Hier würde es für ihn nicht weitergehen. Er schlich weiter über die unbebaute Schutthalde, wobei er nun mehr kroch als lief, denn mittlerweile war der Wachposten schon in Hörweite. Im Dunkeln konnte er das Glitzern eines kleinen Flusses erkennen, über den die Brücke führte. Die Szenerie hatte etwas Beschauliches. Das flackernde Licht, fast wie bei einem Lagerfeuer, die ruhigen Stimmen der wachhabenden Soldaten, das leise Rauschen des Flusses, all das schien Jakob wie ein warmer Mantel einzuhüllen. Auf der anderen Seite des Flusses nahm er ein großes kompaktes Gebäude wahr und trotz der Dunkelheit konnte er dessen weiße, fast leuchtende, Außenwand erkennen. Ein spitzes Giebeldach mit zwei großen Schornsteinen ragte in den Nachthimmel. Offenbar handelte es sich um ein Elektrizitätswerk, doch war es wohl nicht in Betrieb. Der vordere Teil war zerstört, ein klaffendes Loch in den oberen Stockwerken ließ das ansonsten mächtige Gebäude wie ein abgehacktes geometrisches Gebilde wirken.
Jakob blickte über den kleinen Fluss, er hatte das Gefühl, einen geeigneten Schlafplatz für die Nacht gefunden zu haben. So nah am Wachposten würde ihn niemand vermuten. Morgen könnte er dann von hier aus weiterziehen. Allerdings würde er den Fluss überqueren müssen. Es war nicht der erste Strom, den er auf seiner Reise überwinden musste, und so schlich er langsam an das Ufer. Das Wasser war sehr kalt, doch überrascht stellte Jakob fest, dass es ihm nur bis knapp über die Knie reichte. Er würde also nicht schwimmen müssen und konnte so sicher sein, dass er wenigstens mit trockenem Oberkörper am anderen Ufer ankam.
Die Brücke mit dem Wachposten lag in sicherer Entfernung, trotzdem bewegte er sich sehr vorsichtig und langsam durch das Wasser. Er benötigte für die knapp fünfundzwanzig Meter fast fünf Minuten bis er schließlich die Böschung am anderen Ufer hochkletterte. Die Bebauung auf dieser Seite des Flusses erinnerte Jakob an ein Gewerbegebiet, in einiger Entfernung konnte er Bahnlinien erkennen. Eine Müdigkeit stieg in ihm auf, die ihn fast zu lähmen schien. Am Ende der Straße ragte das große, klobige Gebäude vor ihm auf, das er vorhin vom anderen Ufer aus gesehen hatte. Einige Hochleitungen und Umspannmasten schienen aus dem Gebäude zu fließen und in der Dunkelheit der Stadt zu verschwinden. Seine erste Vermutung, dass es sich um ein Elektrizitätswerk handelte, war also richtig gewesen. Obwohl das Gebäude teilweise zerstört war, wirkte es doch auf seltsame Weise robust. Das Haus war in einem hellen Weiß gehalten, so dass es sogar in der Dunkelheit noch ein schwaches Glänzen von sich gab.
Jakob konnte es nicht fassen, aber eine unheimliche Atmosphäre beherrschte die Szenerie, die ihn einzuschnüren schien. Fast wie eine Beklemmung, gemischt mit einer Art unheilvoller Vorahnung. Zuerst fühlte er es in seinem Magen, dann kroch es über seine Brust hinauf in die Kehle. Ein unbestimmtes Gefühl von irgendwem, oder irgendwas, beobachtet zu werden, beschlich ihn. Auf seiner Reise hatte er einige brenzlige Situationen hinter sich gebracht, doch nun spürte er eine hilflose Panik in sich aufsteigen. Er wunderte sich über dieses eigenartige Gefühl, denn er konnte den Grund nicht fassen. Irgendetwas war seltsam an diesem Ort, in dieser Stadt. Es fiel ihm schwer, dieses Gefühl in Worte oder in Gedanken zu fassen, er wusste nur, dass ihn etwas von der offenen Straße wegtrieb.
Plötzlich spürte er einen sanften Windhauch an seinem Kopf, der von einem leichten Geräusch begleitet wurde, als ob jemand mit einem großen Gegenstand in die Luft schlug. Hastig drehte er sich um, doch in der Dunkelheit war nichts zu erkennen. Über sich hörte er das heisere Krächzen eines Vogels. Jakob blickte noch oben, als plötzlich ein Schatten durch das fahle Mondlicht flog. Da spürte er wieder diesen Lufthauch unmittelbar neben seinem Gesicht, begleitet von einem leisen Klatschen, gerade laut genug, um nicht bedrohlich zu erscheinen. Doch Jakob begriff sofort, dass ihn jemand angriff. Ängstlich spähte er nach oben und versuchte im dunklen Nachthimmel etwas auszumachen. Er wartete darauf, dass sich seine Iris langsam den Lichtverhältnissen anpasste. Für einen Moment lag absolute Stille über der Straße. Jakob bewegte sich nicht, er starrte in die Nacht und lauschte auf jedes Geräusch, dessen er gewahr werden konnte.
Da plötzlich, ein Knall neben seinem Ohr, der ihn sofort zusammenzucken ließ. Jakob ging sofort in die Knie und hielt die Hände über den Kopf. Er nahm in einigen Metern Entfernung ein lautes Krächzen war, bedrohlich und wütend. Ich werde von einem Vogel angegriffen, schoss es ihm in den Kopf. Er konnte einen dunklen Schatten erkennen, der in einiger Entfernung einen Kreis zog und dabei laute, krächzende Schreie ausstieß. Er fixierte das Tier, konnte aber nicht erkennen, um was für einen Vogel es sich handelte. Plötzlich spürte er dicht hinter sich einen weiteren Schlag in der Luft. Er wusste sofort, was das bedeuten musste, sie waren zu zweit. Einer griff ihn von vorne an und einer von hinten. Offenbar war Jakob einem Brutrevier zu nahe gekommen und die ängstlichen Eltern versuchten, ihn nun von ihrem Nest zu vertreiben. Jakob konnte die Gefahr nicht einschätzen, auch kleinere Greifvögel wie Habichte oder Bussarde sind in der Lage, Menschen ernste Verletzungen zuzufügen. Jakob musste von hier verschwinden, doch durfte er auf keinen Fall unbedacht handeln, schließlich konnten hier überall Patrouillen lauern, denen er auf keinen Fall in die Hände fallen durfte. Die Ausgangssperre war schon lange in Kraft, es galt jede verdächtige Aktion zu vermeiden. Ein lautes Krächzen direkt über ihm, die Vögel setzten offenbar wieder zum Angriff an. Hilfesuchend schaute er sich in der Straße um. Das alte Elektrizitätswerk stand wie ein großer Monolith vor ihm, wenig einladend, doch das einzige Gebäude, das ihm eine Zuflucht bieten könnte.
Plötzlich fühlte er einen Schlag ins Gesicht, diesmal war es kein Luftzug, sondern ein Flügel, der ihn am Kopf traf. Die Vögel wurden aggressiver, er musste sofort von der Straße verschwinden. Er hatte keine Ahnung, wo das Brutrevier war, wohin sollte er also fliehen? Er rannte auf das Gebäude des alten Elektrizitätswerkes zu. Ein alter Maschendrahtzaun war bereits niedergerissen und es bereitete ihm keine Probleme, ihn rasch zu überklettern. Plötzlich nahm er einen Schatten wahr, gefolgt von einem heiseren Krächzen. Die Vögel folgten ihm.
Jakob starrte angestrengt auf die Silhouette des Vogels, wie er in Richtung des Mondes flog. Ihm fiel auf, dass der Vogel stark flatterte, sein Flug hatte wenig Elegantes an sich. Der Körper wirkte leicht dicklich und rund, der Kopf war klar vom Körper abgegrenzt. Dies waren keine Raubvögel, ihnen fehlte die charakteristische Eleganz. Es brauchte nur wenige Flügelschläge, um den raketenförmigen Körper eines Milans oder Falken sacht in der Luft zu halten. Doch diese Vögel hatten nichts von alldem. Auch wenn sie die Größe von Raubvögeln hatten, wirkten sie weitaus plumper. Jakob vermutete, dass es sich um Raben oder Krähen handeln musste. Doch jedes Tier kann gefährlich werden, wenn es sich oder seine Jungen in Gefahr wähnt. Jakob rannte auf das Gebäude zu, um dort Unterschlupf zu suchen. Er konnte einen kleinen Eingang erkennen, eine Stahltür, die aus den Angeln hing. Ein erneuter Schlag in den Rücken machte ihm bewusst, dass die Vögel noch nicht nachließen. Seine Füße schmerzten und so kostete es ihn einige Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Jakob wunderte sich, dass diese sonst so behäbig wirkenden Vögel dermaßen aggressiv und beharrlich sein konnten.
Vor sich konnte er den rettenden Eingang erkennen. Drei lose Holzbretter versperrten ihm jedoch den Weg. Er riss hastig eines davon beiseite, als die beiden Vögel wieder angriffen. Ein lautes Krächzen ertönte hinter seinem Ohr, als er etwas Flatterndes an seinem Genick spürte. Doch dieses Mal beließen es die Vögel nicht bei einem Flügelschlag, ein stechender Schmerz im Nacken machte Jakob klar, dass einer der Vögel die Krallen in seine Haut geschlagen hatte. Er stieß einen kurzen Schrei aus und sank in die Knie. Er durfte keinen Lärm machen, er durfte nicht riskieren, dass die Franzosen ihn aufgriffen. Die Vögel ließen jedoch nicht nach, einer der beiden schwarzen Biester hatte sich in seine Kopfhaut gekrallt. Mittlerweile war Jakob der Panik nahe. Er warf sich auf das vor dem Eingang liegende Holzbrett und rollte sich in das Haus hinein. Die Krähe ließ von ihm ab und Jakob konnte nur noch ihr heiseres Krächzen hören, als sie nach oben in den Nachthimmel davonflogen. Keuchend lag er in einem staubigen Flur und starrte nach draußen. Hier in dem Gebäude war es deutlich dunkler. Die Luft war stickig und von außen wehte nur wenig frische Luft zu