Standgericht - Franz Taut - E-Book

Standgericht E-Book

Franz Taut

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Beschreibung

Im September 1944 gelingt Feldwebel Helmut Klingler in einem belgischen Dorf westlich von Aachen die Flucht aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Klingler, schafft es bis zu seiner alten Einheit. Sie werden in einem Bunker von den Amerikanern eingekesselt. Er entkommt erneut. Auf seiner Flucht beobachtet er SA-Männer, die einen Jungen beim Plündern erschießen. Er bringt sie um und gilt fortan als Mörder und Deserteur. Ihm droht eine Verurteilung durch das Standgericht. Er würde diese Tat mit seinem Leben bezahlen. Klingler begegnet Jacqueline, die er in der Nähe von Mons schon einmal in einer Gefangenenkolonne gesehen hatte. Ebenso wie er ist sie auf der Flucht. Ihr gemeinsames Schicksal schweißt sie zusammen. Im zerbombten Aachen kämpfen sie ums Überleben.

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Der Ablauf des militärischen Geschehens entspricht der geschichtlichen Wahrheit. Die Namen der handelnden Personen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten sind daher rein zufällig.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2014

©2014 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheimwww.rosenheimer.com

Lektorat und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, HeimstettenTitelfoto: © Bundesarchiv, Bild 101I-301-1951-07A / Fotograf: Kurth

eISBN 978-3-475-54279-4 (epub)

Im Ganzen waren sie vier Mann, darunter ein Feldwebel, und es geschah im September 1944 in einem belgischen Dorf westlich von Aachen.

»Alles Märchen«, sagte der Obergefreite mit dem Kopfverband und zeichnete mit dem Zeigefinger ein großes »S« in den schwarzgrauen Staub, in dem er saß. Er hatte kein Koppel mehr. Sie alle hatten keine Koppel, keine Waffen, keine Gasmasken, und nur drei von ihnen besaßen Kochgeschirre.

»Märchen«, wiederholte der Obergefreite und malte hinter das »S« ein kleines »c«. »Das haben sie sich nur ausgedacht, damit man uns leichter erwischt. Konserven. Schokolade. Weißbrot. Zigaretten. Butter. Whisky. Dass ich nicht lache!« Wütend schrieb er hinter das »c« ein »h«. »Nicht mal Wasser will er uns geben.«

Der Feldwebel sah auf den schmutzigen Zeigefinger des Obergefreiten und wartete auf das »e« nach dem »h«. Er wusste genau, was der Obergefreite schreiben wollte. Nach dem »e« musste ein »i« kommen und so weiter, bis das meistgebrauchte Soldatenwort im Staub geschrieben stand. Aber der Obergefreite wischte mit einer schnellen, ärgerlichen Bewegung das »Sch« aus und sah empor zu dem amerikanichen Posten.

»So’n Kerl!«, sagte er. »Schaut ihn bloß mal an: Wie im Kino!«

»Shut up!«, knurrte der Posten und spuckte durch die Zähne. Er war lang, schlaksig, der Stahlhelm saß ihm tief im Genick, sein Gesicht war hager, verstaubt, sehr dunkel und sehr müde. Mit ausgestreckten Beinen saß er auf einem wackligen Stuhl, den er irgendwo aufgetrieben hatte, balancierte auf dessen Hinterbeinen, die Lehne gegen die brandschwarze Mauer des zerschossenen Hauses gestützt, und aus dem Mundwinkel hing ihm eine Zigarette.

»Schwarz wie die im Kino – er müsste bloß noch nackt sein.«

»Und bemalt«, sagte der Feldwebel.

Er hieß Helmut Klingler, war 24 Jahre alt, man konnte ihn aber auch auf 30 schätzen. Das Alter war in jenen Tagen einem Mann nicht genau anzusehen. Er hatte ein mageres, verhärtetes Gesicht, seine Augen waren enttäuscht und gehetzt, und er konnte immer noch nicht begreifen, wie er hierhergekommen war. Ein Gefangener! Prisoner of War auf Englisch, wie er sich aus seiner Schulzeit dunkel erinnerte.

»He!«, sagte er hinauf zum Posten, aber dieser rührte sich nicht, und der Feldwebel sagte wieder: »He, du!« Und nach einer Weile setzte er auf Englisch hinzu: »Wasser! Brot! Durstig! Hungrig!« Und wieder deutsch: »Verstehst du?«

Als Feldwebel fühlte er sich auch in der Gefangenschaft für die anderen verantwortlich, obwohl er keinen von ihnen kannte. Und dem Obergefreiten mit dem Streifschuss über dem rechten Ohr ging es nicht gut.

Der Schwarze warf die Zigarette weg und zertrat sie mit dem Absatz.

Der Obergefreite sah gierig auf die zertretene Kippe. »Mensch, jetzt ’ne Zigarette!«

»Sag’s ihm doch«, sagte ein Unteroffizier, ein dicker Mann mit einem rosigen Gesicht.

»He, du! «, sagte der Feldwebel zum dritten Mal, jetzt lauter.

Der Posten sah ihn an, seine Augen waren schwarz, abwesend und müde. Sie fielen ihm fast zu, und der Feldwebel zeigte auf den verwundeten Obergefreiten: »Er krank. Kopf kaputt, verstehen? Wasser. Er muss sterben, wenn kein Wasser! Verstehen?«

»Shut up!«, sagte der Posten und schloss die Augen.

»Dem ist das ganz wurscht«, sagte der Obergefreite bitter. »Krepieren oder nicht … aber den Gefallen tu ich ihm nicht!«

»Nix sprecken!«, sagte der Posten mit geschlossenen Augen.

»Deutsch kann er auch noch«, knurrte der Unteroffizier grinsend.

»Gleich schläft er ein!«, stellte der Obergefreite fest.

»Er ist halt müde«, sagte der Unteroffizier gutmütig.

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