Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Wenige Tage, nachdem die Präsidentin der Föderation, Nanieta Bacco, auf Deep Space 9 einem Attentat zum Opfer gefallen ist, sorgt die unerwartete Ankunft eines Fremden für ernsthafte Besorgnis. Er wirkt verstört und verwirrt und bietet nur unbefriedigende Antworten – die er zudem noch in einem eigentümlichen bajoranischen Dialekt gibt. Angeblich weiß er nicht, wo er sich befindet oder wie er auf die Station gekommen ist. Ein kurzer Scan belegt, dass der Besucher eine Projektilwaffe mit sich führt – eine Waffe, die zwar älter ist als die, mit der Präsidentin Bacco ermordet wurde, aber dennoch ähnlich.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
SAKRAMENTEDES FEUERS
DAVID R. GEORGE III
Based onStar Trek and Star Trek: The Next Generationcreated by Gene RoddenberryandStar Trek: Deep Space Ninecreated by Rick Berman & Michael Piller
Ins Deutsche übertragen vonRené Ulmer
Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – DEEP SPACE NINE: SAKRAMENTE DES FEUERS wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.
Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: René Ulmer; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Andrea Bottlinger und Gisela Schell;
Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Doug Drexler/Alan Dingman;
Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.
Titel der Originalausgabe: STAR TREK – DEEP SPACE NINE: SACRAMENTS OF FIRE
German translation copyright © 2017 by Amigo Grafik GbR.
Original English language edition copyright © 2015 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
™ & © 2017 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All rights reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
Print ISBN 978-3-95981-202-3 (September 2017) · E-Book ISBN 978-3-95981-203-0 (September 2017)
WWW.CROSS-CULT.DE · WWW.STARTREKROMANE.DE · WWW.STARTREK:COM
Für Paul E. Roman,einen Mann, der ein geruhsames,bedeutungsvolles Leben geführt hat,einen unvergleichlichen Freund und Baseball-Kumpel,mit dem ich viele unbezahlbare undunvergessliche Augenblicke erlebt habe.Du fehlst mir.
Historische Anmerkung
Prolog
I Rauch
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Kapitel Vierzehn
Kapitel Fünfzehn
II Feuer
Kapitel Sechzehn
Kapitel Siebzehn
Kapitel Achtzehn
Kapitel Neunzehn
Kapitel Zwanzig
Kapitel Einundzwanzig
Kapitel Zweiundzwanzig
Kapitel Dreiundzwanzig
Kapitel Vierundzwanzig
III Asche
Kapitel Fünfundzwanzig
Kapitel Sechsundzwanzig
Kapitel Siebenundzwanzig
Kapitel Achtundzwanzig
Kapitel Neunundzwanzig
Kapitel Dreißig
Kapitel Einunddreißig
Epilog
Danksagungen
Die Ereignisse der Hauptgeschichte dieses Romans beginnen im September 2385, wenige Tage nach dem erfolgreichen Attentat auf die Präsidentin der Föderation, Nanietta Bacco (STAR TREK – THE FALL»Erkenntnisse aus Ruinen«), und erstrecken sich bis in den Dezember desselben Jahres.
Tief verborgen, in einer endlos schwarzen Nacht,
Diejenigen, die den Grenzen ihrer eigenen Dunkelheit entfleuchen
Versammeln sich, zu segnen einen unerprobten Pfad,
Einem feurigen Sakrament beizuwohnen.
Nach Wahrheit suchend reisen sie zu den Kindern,
Führen Widersinn mit sich:
Sie lärmen donnernd auf der Suche nach Seelenfrieden,
Löschen die Wahrheit aus, als sei sie ruchlos.
Sie entfesseln Feuer, eine Tat vor der letzten,
Die Grenzen in einer Richtung dehnt,
Während sie andernorts zusammenbrechen,
Bereiten alles auf die endgültige Vorherrschaft vor.
– Akorem LaanErkenntnisse aus Ruinen, »Der Pfad zur Überlegenheit«
Das Ritual fand unter offenem Sternenhimmel statt. Ein von den heiligen Schriften vorgegebenes Sakrament, in historischen Aufzeichnungen erwähnt, aber seit fünfzigtausend Jahren nicht mehr praktiziert. Votiq stand in der Mitte der Caldera, auf dem schwarzen Vulkanglas, das sich in alle Richtungen bis zum ansteigenden Kraterrand erstreckte. Mit einer Mischung aus Aufregung und Beklemmung beobachtete er, wie sich Gruppen Erz-Suchender langsam zu ihm hinabbewegten, systematisch in konzentrischen Kreisen um ihn herum Aufstellung nahmen. Alle sahen Votiq an, wobei das durch die dünne Atmosphäre gebrochene Sternenlicht ihre schimmernden Exoskelette glänzen ließ. Die geriffelten Augen reflektierten das flackernde Feuer in der Mitte der Versammlung.
Während sich die Oberhäupter der Orden der Aszendenten hier zum ersten Mal seit zahllosen Generationen gegenüberstanden, verließ Votiq den von ihm entzündeten Feuerring. Mit jedem Schritt wurde ihm kühler und der Geruch verbrennender Chemikalien nahm ab. Nach zehn Schritten erreichte er den innersten Kreis aus Erz-Suchenden und nahm seinen Platz unter den Ältesten seiner Art ein. Er stand kurz davor, sein viertes Jahrhundert Lebenszeit abzuschließen, wodurch er unter ihnen den höchsten Rang erhielt, da er sich schon am längsten auf der Suche befand.
Während der vorangegangenen tausend Tage hatte der Oberste Erz-Suchende Votiq Berichte diverser Orden durchgesehen, die viele Ritter als Omen interpretierten, dass sie schon bald die Wahren, die Namenlosen finden würden. Suchende und Erz-Suchende waren davon überzeugt, an der Schwelle zum Finalen Aufstieg zu stehen. Sie würden endlich ihre Götter finden, um von ihnen gerichtet, verbrannt und mit den Würdigen in ihren Reihen wiedervereint zu werden. Votiq konnte es kaum erwarten, sehnte sich danach, betete täglich dafür. Aber die letzten Zyklen seines Lebens hatten wie ein Geschwür Zweifel in ihm heranreifen lassen. Er hatte sein Leben stets in dem Glauben verbracht – in der unauslöschlichen Überzeugung – dass er das Ziel jedes Ritters erreichen würde, den Namenlosen zu begegnen. In letzter Zeit musste er jedoch immer häufiger an die Legionen von Aszendenten denken, die vor ihm gekommen und gegangen waren, von denen jeder ohne Zögern darauf vertraut hatte, zu seinen Lebzeiten die Festung der Wahren zu erreichen. Nicht nur hatten diese zahllosen Toten vergeblich darauf gehofft, ihre weitreichende Suche hatte auch fast zum Aussterben ihrer ganzen Spezies geführt.
Vor Votiq, in der Mitte der Caldera, flackerte das Feuer wie vorgesehen immer wieder auf, wurde größer, je mehr Erz-Suchende erschienen. Den uralten Schriften zufolge hatten die Aszendenten nicht mehr auf diese Weise zusammengefunden, seit sie sich darauf geeinigt hatten, wie sie mit der Ketzerei der Eav’oq verfahren sollten. Dieser Zusammenkunft war eine fast vollständige Auslöschung der Ketzer gefolgt, aber die damit verbundene Einigkeit der Orden war nur vorübergehend gewesen. Der Kreuzzug gegen die Eav’oq hatte einen zerstörerischen Konflikt unter den Aszendenten nach sich gezogen. Ritter wandte sich gegen Ritter. Das ermöglichte den verbliebenen Eav’oq die Flucht und endete in der Zerstörung der Heimatwelt der Aszendenten.
Der Große Bürgerkrieg reinigte die Orden von denjenigen, die von den Lehren abwichen. Danach verließen die überlebenden Aszendenten ihren verwüsteten Planeten und wurden zu Nomaden. Sie jagten die Frevler und suchten gleichzeitig nach den Wahren. Während manche Ritter zu zweit oder zu dritt reisten, manche sogar in noch größeren Gruppen, führten die meisten eine Existenz in Einsamkeit. Jeder Suchende gab Informationen über seinen Standort, seine Beobachtungen und was er tat an die Anführer seines Ordens weiter, die wiederum den Obersten Erz-Suchenden darüber informierten. Die allgemeine Isolation der Aszendenten bedeutete auch, dass sich nur selten Paare fanden, und das resultierte mit der Zeit in einer stetig abnehmenden Zahl ihrer Spezies. Votiq wusste nicht, wie viele Generationen seinem Volk noch blieben, aber mittlerweile hielt er es für möglich, dass sie aussterben könnten, ohne jemals die Festung der Wahren zu finden.
Votiq fragte sich, ob sein Volk sich zu sehr auf eine Sache versteift hatte. Er verabscheute diese Überlegung, auch wenn er mit niemandem darüber sprach. Er fühlte sich deswegen … beschmutzt. Er lebte schon so lange, hatte jeden Augenblick mit der Suche verbracht, fahndete nach seinen Göttern und sprach sich gleichzeitig stets für ihre Heiligkeit aus. Der bloße Gedanke, dass er vielleicht einem Irrglauben folgte – dass sie das alle taten – bereitete ihm große Sorgen.
Und dennoch, Jahrhunderte, Jahrtausende lang waren die Wahren unerreichbar geblieben. Die Aszendenten durchstreiften riesige Regionen des Weltalls, sichteten unzählige Interpretationen der heiligen Schriften, gingen jedem möglichen Hinweis nach, ohne ihr Ziel zu erreichen. Votiq sagte sich stets, dass jeder Schritt – und sogar jede Sackgasse –, dass jede zurückgelegte Entfernung, ungeachtet wie gering, die Ritter den Namenlosen näher brachte.
Was aber, wenn ich die Festung nie erreiche? Was, wenn wir die Festung nie erreichen? War dann alles, was wir getan haben, vergeblich?
Diese Fragen ließen Votiq schaudern und er fürchtete die Antworten. Er wusste, dass er einen solchen Frevel nicht dulden konnte, nicht einmal in seinen eigenen Gedanken, darum verdrängte er seine Zweifel. Er sagte sich, so sehr er sich auch nach dem Finalen Aufstieg sehnte, sein eigener Erfolg war belanglos. Er ermahnte sich, dass sein Volk die Festung erreichen würde, weil es so prophezeit war. Ob er nun mit ihnen gemeinsam vor den Wahren stehen, die reinigenden Flammen der Namenlosen spüren, unter ihrem Urteil brennen würde oder nicht, er hatte viel zur Großen Suche der Aszendenten beigetragen. Er hatte zudem dabei geholfen, das heilige Wesen ihrer Götter zu verteidigen. Sowohl gegen gottlose Fremde, die es wagten, die Wahren zu verehren, als auch gegen jene, die andere Wesen vergötterten.
Das Dominion mit seinen vielen Mitgliedsspezies, die den sie führenden Wechselbälgern Göttlichkeit zusprachen, war ein Beispiel für Letzteres. Und die Gründer selbst verehrten ein Wesen, das sie den Urahn nannten. Angesichts solchen Frevels würden die Aszendenten jeden Ungläubigen hinrichten, den sie finden konnten, und dabei andere Ritter um Hilfe bitten – notfalls von ganzen Orden. Aufgrund seiner Ausdehnung und der geradezu unermesslichen Bevölkerungszahl hatte das Dominion bereits mehrere Angriffe der Aszendenten überstanden. Erst vor Kurzem war Aniq – einer jungen Ritterin, die noch nicht einmal ein Jahrhundert erlebt hatte – ein spezieller Angriff gelungen, der die Gründer schwer getroffen und ihr Imperium führungslos zurückgelassen hatte.
Votiq war überzeugt, dass die Aszendenten das Dominion irgendwann besiegen würden, wie es so häufig in der Vergangenheit geschehen war. Im Verlauf der jüngsten Zyklen hatten die Ritter die Reskott, die Anders-vint-Notalla und die Myshog ausradiert, die alle ihre eigenen sogenannten Götter verehrt hatten. Solche Irrlehren ließen sich natürlich nicht mit der Schändung gleichsetzen, die Fremde begingen, wenn sie die Wahren verehrten. Die Eav’oq hatten sich dieses Vergehens schuldig gemacht, und Votiq glaubte, dass die Aszendenten solche abscheulichen Kulte nicht ungeschoren davonkommen lassen durften.
Doch obwohl sich alle Ritter darüber einig waren, dass diejenigen, die fälschlicherweise die Namenlosen verehrten, ausgelöscht werden mussten, teilten nicht alle die Überzeugung, dass dasselbe auch für diejenigen galt, die andere Gottheiten anbeteten. Das war nur eines von vielen Dingen, worin sich die Orden nicht einig waren. Der stetig wachsende Großteil der Aszendenten betrachtete jüngste Ereignisse als Wegweiser auf dem Pfad zum Finalen Aufstieg: die Verschiebung einer Region der Galaxis, die zu einer Neuausrichtung der Sterne geführt hatte, und Gerüchte über die Rückkehr der Eav’oq, die kurz darauf gefolgt waren; die Vernichtung des »Gottes« der Gründer; und die Entdeckung einer weiteren Spezies, die die Wahren verehrte. Diejenigen, die solche Ereignisse als Vorboten des Endes aller Zeit betrachteten, hatten um eine Zusammenkunft der Erz-Suchenden gebeten, um zu klären, welchen Weg sie einschlagen mussten – gemeinsam. Sie waren davon überzeugt, dass sich die Aszendenten auf ihrer Suche nach Prophezeiungen über die Namenlosen schon viel zu lange und zu weit verteilt hatten, häufig einzelne, auf sich allein gestellte Ritter. Soweit Votiq es verstand, wollten diejenigen, deren Meinung nach der Finale Aufstieg kurz bevorstand, dass sich alle Orden vereinten und die Suche als geschlossene Macht fortsetzten.
Er war gegen eine solche Vorgehensweise. Die Fortschritte der Aszendenten auf ihren langen Reisen beruhten darauf, dass sie so viel wie möglich erforschten, und der Oberste Erz-Suchende konnte keinen Grund erkennen, zukünftige Fortschritte aufs Spiel zu setzen, indem sie jetzt ihre Vorgehensweise änderten. Dennoch begriff Votiq, dass die unzuvereinbarenden Interpretationen dieser angeblichen Zeichen, wie auch der Wunsch, die Details bezüglich der Art, wie die Suche fortgesetzt werden sollte, das Risiko in sich bargen, zu einem Bruch zwischen den Orden zu führen. Das durfte nicht geschehen, genauso wenig wie sie die Eav’oq ungestraft davonkommen lassen konnten, sollten sie wirklich zurückgekehrt sein. Die Aszendenten mussten in neuer Einigkeit fortfahren. Das begriffen alle Erz-Suchenden und darum hatten sie der historischen Zusammenkunft zugestimmt – selbst wenn sie zu einem weiteren Bürgerkrieg und der Auslöschung einer Gruppierung führen sollte.
Wie eine Erinnerung an ein vor langer Zeit gehörtes Musikstück erklang in Votiqs Geist ein Signal aus zwei Tönen. Der Annäherungsalarm wies ihn darauf hin, dass der letzte der Erz-Suchenden angekommen war. Er blickte nach oben, den Kraterrand entlang, und erkannte, dass sich keine weiteren Ritter mehr in Richtung der Caldera bewegten. Der Augenblick war gekommen, den Prozess einzuleiten, der schlimmstenfalls den widersprüchlichen Ansichten in den Reihen der Aszendenten ein Ende bereiten und bestenfalls den Beginn des letzten Sturms auf die Festung der Wahren kennzeichnen würde.
Votiq verließ den inneren Kreis der Erz-Suchenden und ging auf das Feuer zu. Während er sich dem Feuerring näherte, wärmten die Flammen seine Haut, und der Geruch nach brennenden Chemikalien nahm wieder zu. Die harten Sohlen seiner Schuhe klackten hörbar auf der schwarzen gläsernen Oberfläche.
Als er das Feuer erreichte, hob er eine Hand, winkte, wollte mit dieser Geste den anwesenden Rittern vermitteln, dass die Zusammenkunft nun ihren offiziellen Anfang nahm. Zudem deaktivierte er damit den Metallring, der die Flammen erzeugte. Während die Feuersbrunst flackernd erlosch, wurde darin etwas Tetraederförmiges sichtbar. Das von dem eben noch lodernden Feuer unangetastete Objekt stand auf einem zylindrischen Sockel. Die dreieckigen Flächen reflektierten das Licht der Sterne nicht, stattdessen ließ ihre Mattheit den Schrein undurchdringlich erscheinen.
Votiq hob den anderen Arm und intonierte die Worte, die er in seinem Leben so oft gelesen, aber von denen er nie gedacht hätte, dass er sie irgendwann einmal laut aussprechen würde. »Oh Namenlose, oh Wahre«, rief er in hohen Tönen, die melodisch durch den Krater hallten. »Oh große und heilige Götter, wir, eure ergebenen und einzigen wahren Verehrer flehen euch an, die Tore eurer Festung zu öffnen und euch uns zu offenbaren.« Votiq zögerte, erwartete ein Echo seines Gebets zu hören. Stattdessen umgab ihn erdrückende Stille. In diesem Augenblick schwemmte Verzweiflung über ihn hinweg, drohte ihn unter mannigfaltiger Furcht zu ertränken. Er befürchtete, dass die Wahren sein Flehen nicht erhören würden, und auch wenn er es nie zugeben würde, fürchtete er gleichzeitig, dass sie es täten.
Bevor ihn der Mut zum Weitermachen verlassen konnte, rief er die Götter erneut an. »Wir flehen euch an, euch zu offenbaren, oh Wahre, oh Namenlose. Wir bitten euch, den euch hingebungsvoll dienenden Erz-Suchenden, die ohne Unterlass eure Reinheit und euer geheiligtes Wesen vor Ketzern und Frevlern bewahren, ein Zeichen eurer selbst zuteilwerden zu lassen. Jenen, die auf der Suche nach eurer Festung durch die Äonen und unermessliche Weiten reisen. Wir flehen euch an, gebt uns hier und jetzt ein Zeichen, um damit diese Versammlung eurer getreuen Soldaten zu weihen.«
Votiq schloss den Mund und verharrte mit weiterhin zum sternengesprenkelten Nachthimmel erhobenen Armen. Die versammelten Ritter warteten angespannt, besorgt, zwischen Hoffnung und Furcht. Niemand in der schweigenden Versammlung von Aszendenten um den Obersten Erz-Suchenden regte sich.
In dieser Stille legte Votiq die Hände über seinem Kopf aneinander, streckte die beweglichen Finger in einer frommen und bittenden Geste gen Himmel, die auch viele andere Kulturen genau so aufgefasst hätten. In Gedanken wiederholte er seine Gebete, zwang die ihn plagenden Zweifel zur Ruhe. Schließlich löste er die Hände voneinander und breitete die Arme aus.
Wie in einer Imitation seiner Bewegungen öffneten sich zwei Seiten des Tetraeders entlang einer gemeinsamen Kante. Der Schrein entfaltete sich wie eine Blüte, gab das geheiligte Geheimnis in seinem Inneren preis. Es handelte sich um eine grob gearbeitete, wie aus massivem Kristall gemeißelte Skulptur, am oberen und unteren Ende gewölbt, mit einer schlanken Mitte.
Wie immer betrachtete Votiq das Auge aus Feuer ehrfürchtig. Für ihn hätte seine Ernennung zum Obersten Erz-Suchenden keine größere Ehre mit sich bringen können, als das Heiligtum zu bewahren. Während die Aszendenten die heiligen Schriften als unwiderlegbare Wahrheit und von göttlicher Herkunft betrachteten, stellte das Auge etwas noch Heiligeres dar: eine indirekte körperliche Verbindung zu den Namenlosen.
Vor Ewigkeiten hatte es neun dieser geheimnisvollen Artefakte gegeben und sie alle hatten mit dem strahlenden Glanz der Wahren gebrannt. In uralten Aufzeichnungen behaupteten ein paar Ritter, sie hätten das Gefühl gehabt, die Namenlosen würden durch die Augen über sie wachen. Andere wichtige Erzählungen berichteten, wie zwei Suchende in die Augen hineingesehen hatten, wobei sie zuerst einen Blick auf die Wahren erhaschen konnten und dann den Verstand verloren. Der Großteil der historischen Aufzeichnungen befasste sich damit, wie Ritter durch ein Auge Visionen erhalten hatten.
Aber das alles war lange vor dem Großen Bürgerkrieg geschehen, der die Heimatwelt der Aszendenten zu einem Planeten mit strahlenverseuchtem Boden, vergiftetem Wasser und aschegeschwängerter Luft gemacht hatte. Die Zerstörung ihrer Welt hatte bis auf eines – das Auge der Weissagung und Veränderung – auch alle Augen des Feuers vernichtet. Dessen Licht war seitdem erloschen.
Votiq ließ die Arme sinken, wandte sich vom Schrein und seinem kostbaren Inhalt ab. Er sah zu seinem Platz im innersten Kreis der Erz-Suchenden. Da das Feuer erloschen war, erkannte er in den Augen seiner Kameraden besinnliche Ruhe. Er sah nach links, nach rechts, blickte in ernste und erwartungsvolle Mienen. Jenseits der Ritter konnte er den nächsten Ring der Versammelten sehen und den dahinter.
Der Oberste Erz-Suchende öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ein grünes Glühen legte sich auf die Exoskelette der Ritter. Votiq beobachtete, wie Überraschung auf ihren Gesichtern erblühte. Er brauchte nicht lange, bis er begriff, dass die Quelle des Lichts hinter ihm lag.
Votiq wirbelte herum, als ein blendender Lichtblitz den Schrein und das heilige Artefakt darin verschlang. Er fiel auf die Knie, hatte gerade noch genug Zeit zu erkennen, dass das Auge der Weissagung und Veränderung kräftig grün leuchtete, bevor alles, was er sah, in einem überwältigend hellen Licht verschwand. Einen Augenblick lang spürte er Hitze, hob die Hände, um seinen Kopf zu schützen. Aber noch während er das tat, wurde das Licht schwächer, und als er seine Umgebung betrachtete, sah sie aus, als wäre ihr jegliche Farbe entzogen worden.
Jemand stand vor Votiq und schloss den Schrein. Als der Oberste Erz-Suchende die Arme sinken ließ, drehte sich die weibliche Gestalt zu ihm um. Sie war kleiner als ein Aszendent, ungefähr ein Viertel kleiner als er selbst. Auf ihrer grauen nackten Haut waren an verschiedenen Stellen Schuppenkämme zu erkennen. Sie formten Halbkreise um ihre tief liegenden Augen, rahmten ihre Stirn und ihre Kinnpartie ein und liefen gut sichtbar an den Seiten ihres Halses zu ihren Schultern hinab. Ohne den Schutz irgendeiner natürlichen Panzerung wirkte sie verletzlich, aber ihre entschlossene Miene vermittelte einen anderen Eindruck.
Aus dem inneren Kreis der Erz-Suchenden drang eine Stimme durch die Stille: »Wer … sind … Sie?«
Votiq kannte die Antwort bereits, und sie verlieh der Leidenschaft in seiner Seele neues Leben. All seine Zweifel schmolzen wie Eis in der wärmenden Sonne. Er fühlte sich geehrt, einem lange vorhergesagten Augenblick beiwohnen zu dürfen, einem Ereignis, wodurch das Ende aller Zeit angekündigt wurde.
Einen Augenblick später ließ die Gestalt den Blick über die Versammlung schweifen und bestätigte, was er dachte. Sie sprach, als würde sie direkt aus den heiligen Schriften vorlesen: »Ich bin das Feuer.«
Iliana Ghemor sprach die Worte, als hätte sie ihr ganzes Leben lang darauf gewartet, sie sagen zu können. Sie fielen nicht hervorgestammelt über ihre Lippen, ohne bemerkt zu werden, sondern dröhnten über die dunkle Landschaft, sodass jeder der Anwesenden sie hören konnte. Die in Kreisen um sie herum stehenden großen, glühenden Fremden – und derjenige, der direkt vor ihr auf den Knien lag – reagierten auf ihre Verkündung, als wären sie geschlagen worden. Alle starrten sie erwartungsvoll an, begierig darauf, was sie als Nächstes sagen würde.
Ghemor ließ sie warten. Sie hatte keine Angst, war nicht unsicher. Sie wusste nicht, was sie in den nächsten Augenblicken sagen würde, war aber überzeugt, dass sie die richtigen Worte wählen und das Richtige tun würde. Noch nie hatte sie in ihren Gedanken und ihrem Körper eine solche Kraft gespürt – echte Kraft, ihre eigene Kraft. Nicht die, die einem Reichtum oder Technologie verliehen, und auch nicht die, die Gewaltandrohungen oder sorgfältig geplante Strategien oder erfolgreich durchgeführte Taktiken mit sich brachten. Ghemor fühlte sich selbst stark.
Sie blickte an sich herab und sah, dass sie endlich auch von ihrem letzten Gefängnis befreit war. Aber um ganz sicher zu gehen, berührte sie ihr Gesicht, strich den Nasenrücken bis hinauf zu der Vertiefung mitten auf ihrer Stirn, dann ihr Kinn entlang und um ihre Augen herum. Ihre bajoranischen Gesichtszüge waren Vergangenheit und an ihre Stelle waren die ihres cardassianischen Erbes getreten.
Nicht getreten, dachte Ghemor. Wiederhergestellt.
Sie war als stolze Tochter Cardassias geboren und erzogen worden. Während Ghemors Kindheit unterrichtete ihre Mutter Kaleen an der Zentraluniversität als Inquisitor der Ersten Ebene und ihr Vater Tekeny diente dem Zentralkommando als Legat. Sie wuchs privilegiert auf, als naive und patriotische Bürgerin der sagenumwobenen Cardassianischen Union, die das Beste sah und erlebte, was ihr Volk zu bieten hatte.
Ghemor interessierte sich für Kunst und zog irgendwann nach Pra Menkar, um ihr Studium fortzusetzen. Während sie die Universität besuchte, sprach sie ein Mann namens Corbin Entek an und versuchte sie für den Obsidianischen Orden zu rekrutieren, dem elitärsten Geheimdienst der Union. Das Angebot schmeichelte ihr – und möglicherweise schüchterte es sie auch etwas ein –, aber sie interessierte sich nicht für diese Art von Arbeit, darum lehnte sie ab. Doch als ihr Verlobter Ataan Rhukal während seiner Dienstzeit auf Bajor von Mitgliedern des Widerstands getötet wurde, überdachte sie ihre Entscheidung noch einmal. Schließlich schloss sie sich dem Orden an und meldete sich freiwillig für eine verdeckte Ermittlung, die den bajoranischen Untergrund infiltrieren sollte. Spezialisten in Gedankenkontrolle begruben Ghemors eigene Persönlichkeit unter implantierten Erinnerungen an ein Leben als Bajoranerin, und Chirurgen veränderten ihr Äußeres, damit sie genau wie eines der Mitglieder der Widerstandszelle aussah, die für den Tod ihres Geliebten verantwortlich war. Die Shakaar-Zelle hatte mehr getan, als nur ihren zukünftigen Ehemann zu töten. Sie war auch für eine Vielzahl grässlicher terroristischer Anschläge gegen die Cardassianer verantwortlich, die nur deswegen auf Bajor blieben, um den rückständigen Bajoranern ein besseres Leben zu ermöglichen. Der Widerstand musste aufgehalten werden, und zu diesem Zweck wurde Iliana Ghemor zu Kira Nerys.
Sie war zu Kira geworden, hatte es aber nicht geschafft, ihren Platz einzunehmen – zumindest nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Bevor sie ihre Mission antreten konnte, fand sie sich in den Fängen von Skrain Dukat wieder, einem Gul des cardassianischen Militärs, dem Präfekten von Bajor. Er hielt sie heimlich fünftausend Tage lang als persönliches Spielzeug gefangen. Während dieser Zeit vergewaltigte und schlug er sie, je nachdem, wonach ihm gerade sein verkommener Sinn stand.
Fünftausend Tage, dachte Ghemor wütend. Man hatte sie fast ihr gesamtes erwachsenes Leben lang wie eine Sexsklavin gehalten, fast die Hälfte ihres gesamten Lebens. Und all das nur wegen Kira Nerys. Hätten die Terroristen Ataan nicht getötet oder hätte Kira Ghemor nicht so ähnlich gesehen, wäre Iliana auf Cardassia geblieben und hätte ohne Zweifel ein erfülltes Leben als Ehefrau, Mutter und Künstlerin geführt.
Ghemor hob den Blick zum Himmel. Eine unermessliche Zahl Sterne starrte ihr kalt entgegen. Sie versuchte das stecknadelkopfgroße Licht auszumachen, das vor langer Zeit die Tage ihrer Kindheit warm erhellt hatte, aber sie erkannte keine der Konstellationen. Vergeblich suchte sie nach dem Langen und Einsamen Aufenthalt, nach der Blume des Wissens, nach den Verbitterten Kindern, aber sie konnte nicht ein vertrautes Muster ausmachen.
Nein, nicht ganz, korrigierte sie sich. Sie erkannte eine Gruppierung von fünf Sternen, von der ihr Shing-kur nach ihrem Gefängnisausbruch, während ihrer gemeinsamen Zeit auf Harkoum erzählt hatte. Wie der einsame Funke in der Wildnis, der zu einem alles verzehrenden Inferno wurde, glimmte in Ghemors Verstand die erste Idee für eine neue Vorgehensweise auf.
Während der sechshundert Tage nach dem Ende ihrer Gefangenschaft im Hochsicherheitsgefängnis auf dem cardassianischen Mond Letau hatte sie sich einige Ziele gesetzt und Pläne geschmiedet, sie zu erreichen. Gegen Ende des cardassianischen Kriegs mit der Föderation und ihren Verbündeten hatte es einen Angriff auf Letau gegeben, bei dem ihre Zelle beschädigt worden war. Sie floh zusammen mit vier anderen Gefangenen, unter ihnen Shing-kur, eine Kressari-Frau, die zu ihrer zuverlässigsten Gefährtin wurde. Gemeinsam planten sie Ghemors Rache an Kira Nerys – und nicht nur an der Kira Nerys, die ihr ein erfülltes Leben verwehrt hatte, sondern an allen Versionen von Kira Nerys in allen Universen.
Durch Gedankenkontrolle hatte Ghemor einen Jem’Hadar dazu gebracht, Kira anzugreifen, allerdings hatte ein künstliches Herz der Bajoranerin das Leben gerettet. Ghemor hatte sich danach Kiras Gegenstück aus einem Paralleluniversum, der Intendantin, entledigt, sich dann aber entschieden, eine Seite aus der religiösen Geschichte Bajors herauszureißen, Trakors Erste Prophezeiung zu erfüllen und in dieser alternativen Realität zum Abgesandten zu werden.
Stattdessen ging Kira ein Bündnis mit Ghemors Doppelgängerin ein, um sie aufzuhalten, wodurch die drei gemeinsam im bajoranischen Wurmloch landeten. Sie alle trafen auf die Propheten – oder zumindest auf die Erscheinungsformen, die sie wählten: Ghemors Mutter und Vater; Kiras Eltern; Ataan, den Ghemor geliebt hatte; Entek, der sie in den Obsidianischen Orden gebracht und dann ausgebildet hatte; Shakaar Edon und Dakahna Vas, zwei von Kiras Mitverschwörern aus ihrer Widerstandszelle; und den niederträchtigen, verabscheuungswürdigen Dukat. Die Propheten ernannten Ghemor zum Feuer, und sie verlangte von ihnen, ihr Leben zurück.
Und die im Wurmloch lebenden Fremden hatten genau das getan. Sie zeigten ihr alle Augenblicke ihres Lebens, offenbarten den brutalen, qualvollen Pfad, den sie zurückgelegt hatte – als Iliana Ghemor und als Kira Nerys – bis zu diesem Ort, zu diesem Zeitpunkt. Sie zeigten ihr alles, was sie gewesen war, was sie getan hatte, was sie gefühlt hatte, einfach alles. Zum Schluss gestatten sie ihr auch einen Blick in die Zukunft.
Ghemor senkte den Blick, weg vom endlosen Firmament über ihr, und betrachtete den vor ihr knienden Fremden. »Ich bin das Feuer«, wiederholte sie leiser, aber keineswegs weniger gebieterisch. »Wer bist du?«
Der Kniende sah mit der Ehrfurcht zu ihr auf, die Ghemor von den Bajoranern im Alternativuniversum nach ihrer Rückkehr aus dem Himmlischen Tempel als ihre Abgesandte erwartet hatte. »Ich … wir … sind die Aszendenten«, sagte er, wobei er die Arme ausbreitete, offensichtlich, um alle Anwesenden mit einzuschließen. Er klang, als würde er singen, anstatt zu sprechen. »Wir hier sind die Erz-Suchenden, die Anführer der Ritter unserer Orden.«
Die Anführer. Ghemor war erfreut, dass die paar Hundert Anwesenden nicht die gesamte Schlagkraft dieses Volkes darstellten. »Erhebe dich«, wies sie den knienden Erz-Suchenden an. Er befolgte ihren Befehl. Stehend überragte er sie. Er sah so aus, als würde er einen eng anliegenden Druckanzug tragen, fast wie eine silbrig flüssige Hülle. Aber da sie weder Helm noch Maske erkennen konnte und auch keine offensichtliche Möglichkeit, dergleichen anzubringen, vermutete sie, dass die Fremden – die Aszendenten – über eine natürliche Panzerung verfügten. Ihre Augen waren groß und goldfarben, mit strahlenförmigen Streifen um den äußeren Rand.
Ghemor trat vor und blickte zu dem Aszendenten auf. »Wer bist du?«
»Ich bin Votiq. Ich bin der Oberste Erz-Suchende.«
»Und warum seid ihr hier?«
»Wir haben uns versammelt, um über Ereignisse zu beraten, die manche von uns als Vorboten für das Ende aller Zeit betrachten«, erklärte er. »Zumindest dachten wir das. Nun wird deutlich, dass wir eigentlich hier sind, um dich zu empfangen, wie es die heiligen Schriften vorhergesagt haben, und dann dem Feuer auf dem Pfad zum Finalen Aufstieg zu folgen.«
Mit diesen wenigen Worten brachte Votiq seinen ganzen religiösen Fanatismus zum Ausdruck. Ghemor bemerkte, wie sehr er die Worte Ende aller Zeit, das Feuer und Finaler Aufstieg betonte, und dass er ihnen eine hohe Bedeutung beimaß. Sie begriff auch, dass er überzeugt war – dass vielleicht alle anwesenden Aszendenten davon überzeugt waren –, dass sie gekommen war, sie zu führen. Ghemor teilte diese Überzeugung. Die Wurmlochwesen hatten sie zum Feuer erklärt und dann zu einer Spezies geschickt, die offenbar auf das Feuer wartete – eine fremde Spezies, die sich um einen Drehkörper der Propheten versammelt hatte. Das konnte kein Zufall sein, viel mehr war dahinter deutliche Absicht zu erkennen.
»Was ist der Finale Aufstieg?«, fragte sie. Votiq neigte den Kopf leicht zur Seite – Ghemor fand, er sah dadurch fast wie ein Haustier aus, das versuchte die Worte seines Herrn zu verstehen. Sie wusste, sie musste behutsam vorgehen, um die benötigten Informationen zu bekommen. »Was weißt du über den Finalen Aufstieg?«, fügte sie hinzu, deutete damit an, etwas über das Thema zu wissen.
»Er wird eintreten, sobald wir die Festung der Wahren finden. Diejenigen der Aszendenten, die unser göttliches Ziel erreichen, werden vor den Namenlosen stehen. Die Götter werden über uns richten, uns verbrennen und uns mit all jenen vereinen, die sie als würdig erachten.«
Seine Überzeugung war ihm deutlich anzuhören. Die Festung der Wahren. Die Namenlosen. Ghemor fragte sich, ob damit der Himmlische Tempel und die Propheten gemeint sein könnten. Sie wusste es nicht, aber alles deutete darauf hin. Ebenso wusste sie, dass es belanglos war. Der Himmlische Tempel könnte die Festung der Wahren sein, aber falls nicht, wäre er ein glaubwürdiger Ersatz.
Ghemor trat von Votiq zurück, drehte sich zu dem tetraederförmigen Behälter mit dem Drehkörper der Propheten darin um und packte ihn an den Seiten. Sie hob ihn an, hoffte, dass er nicht zu schwer für sie war. Aber er war sogar leichter, als sie erwartet hatte, als wäre er leer. Sie ging in die Knie, setzte den Behälter auf dem glatten schwarzen Boden ab und stieg dann selbst auf den Sockel.
Sie drehte sich um die eigene Achse, sah die Reihen der Aszendenten an. Obwohl sie einfach nur dastanden, wirkten sie wie eine beeindruckende Streitmacht. Sie konnte sich nicht sicher sein, aber sie würde es herausfinden. Sie hoffte, dass die Propheten sie hergeschickt hatten, um ihr Schicksal zu erfüllen, und eine schlagkräftige Armee religiöser Kreuzritter unter ihrem Kommando könnte genau das richtige Mittel zum Zweck sein.
»Ich bin aus der Festung der Wahren hergekommen«, rief sie. »Ich bin gekommen, um euch dorthin zu führen.«
Um sie herum brandete lautes Trällern auf, als viele der Aszendenten ihr Schweigen brachen. Sie betrachtete sie eingehend, suchte nach Anzeichen für Widerstand. Sie fand keine. Ein paar der Erz-Suchenden verneigten sich in ihre Richtung, und andere fielen auf die Knie, warfen sich vor ihr auf den Boden. Ghemor wusste, sie würden ihr folgen. Auf ihren Befehl hin würden sie die restlichen Aszendenten zusammenrufen, und sobald ihre Armada vollständig war, würde sie sie nicht nur zum Himmlischen Tempel führen, sondern hindurch und in den Alpha-Quadranten, um sie schonungslos als Instrument ihrer Rache zu nutzen. Sie würden Deep Space 9 angreifen, wo sie endlich die bezwingen würde, die die Schuld an ihrem tragischen Leben trug. Iliana Ghemor würde die Raumstation brennen sehen, und mit ihr Kira Nerys.
Sie warf die Fäuste in die Luft. »Ich bin das Feuer!«
Captain Ro Laren stand in dem kleinen, gerade mal vier Transporterflächen umfassenden Transporterraum. Er grenzte direkt an den Knoten, dem scheibenförmigen Befehlskomplex, der Deep Space 9 krönte. Sie starrte den gerade materialisierten Fremden an. Ros Chefingenieur, Miles O’Brien hatte den Mann allerdings nicht auf die Station gebeamt, sondern ein stundenglasförmiges, grün leuchtendes Objekt, das wie ein Drehkörper der Propheten aussah. Es war nur Augenblicke zuvor aus dem Wurmloch gekommen, und die Sensoren hatten darin eine Lebensform entdeckt. Kaum auf der Station erschienen, war es in einem Blitz weißen Lichts verschwunden und hatte stattdessen einen Bajoraner zurückgelassen. »Wer sind Sie?«, fragte Ro.
»Mein Name ist Altek Dans.«
Der Name sagte Ro nichts. Sie sah zu ihrem Sicherheitschef, Lieutenant Commander Jefferson Blackmer. In einer Hand hielt er einen Phaser, eine Sicherheitsmaßnahme, die Ro angeordnet hatte, bevor der Drehkörper auf die Station gebracht worden war. Ro nickte in Richtung der frei stehenden Konsole, von wo aus O’Brien den Transporter bedient hatte. Um den unausgesprochenen Befehl des Captains zu befolgen, ging Blackmer hastig durch den kleinen Raum. Er gab O’Brien seinen Phaser und gab an der sekundären Kontrolltafel der Konsole Befehle ein.
Vom Zirpen der Eingaben begleitet, stellte sich Ro dem Fremden vor, nannte Rang und Namen. Er wirkte nicht, als könne er etwas mit den Informationen anfangen. Als er nichts erwiderte, betrachtete sie ihn eingehend. Sein Nasenkamm wies ihn eindeutig als Bajoraner aus, aber so was konnte man auch imitieren, und sie würde ihn für eine Bestätigung im Sector General untersuchen lassen. Er war ungefähr einen Kopf größer als Ro, hatte dunkles, kurz geschnittenes Haar und dunkle Augen. Sein bronzefarbener Teint unterstrich seine markanten Gesichtszüge, die ein Drei-Tage-Bart wiederum fast genauso erfolgreich verbarg. Seine Kleidung war schmutzig und unordentlich – eine schwere schwarze Hose und ein schwarzer Pullover mit langen Ärmeln – und dazu hatte er abgetragene Wanderstiefel an. Erde beschmutzte seine Hände und sein Gesicht. Insgesamt sah er aus, als hätte er die letzten Tage in der Wildnis verbracht.
»Sind Sie Himmel?«, fragte der Mann plötzlich. Er sprach Bajoranisch, aber mit einem Akzent, den Ro nicht einordnen konnte. Das weckte ihr Misstrauen, möglicherweise hatte er es auf einer anderen Welt gelernt.
Auf einer anderen Welt, beispielsweise auf Ab-Tzenketh, dachte Ro verbittert. Vor fünf Tagen hatte die Einweihungsfeier der neuen Station stattgefunden. Sie sollte unter anderem dabei helfen, für Frieden in der Region zu sorgen. Stattdessen hatten der Captain und der Großteil der Besatzung mit ansehen müssen, wie die Föderationspräsidentin Nanietta Bacco einem grauenvollen Attentat zum Opfer fiel. Ursprünglich hatte man eine Bajoranerin – Enkar Sirsy, Stabsleiterin der Premierministerin – für den Täter gehalten. Aber die nachfolgende Untersuchung hatte mehr Beweise zutage gefördert und sie entlastet. Dafür sah es nun so aus, als hätten die Tzenkethi etwas mit diesem abscheulichen Verbrechen zu tun.
»Haben Sie gefragt, ob ich … Himmel bin?« Die Frage ergab keinen Sinn, und Ro zog in Erwägung, ob sie ihn aufgrund seines Akzents missverstanden hatte.
Der Mann sah sich im Transporterraum um. Er wirkte verwirrt, möglicherweise sogar desorientiert, und zeigte allmählich Beunruhigung. Als er den Captain wieder ansah, plapperte er: »Ich bin kein Eis.« Diese Erklärung klang für Ro genauso absurd wie seine Frage.
Ohne Vorwarnung ging er auf die zwei Stufen zu, die von der erhöhten Plattform führten. Ro hob hastig die Hand, um ihn aufzuhalten. »Wir haben ein Eindämmungsfeld der Ebene eins um den Transporter errichtet.«
»Ich weiß … ich weiß nicht, was das bedeutet.«
»Es bedeutet, dass sich um die Plattform, auf der Sie stehen, ein Kraftfeld befindet«, erklärte Ro.
Verwirrt schüttelte der Mann den Kopf. »Wo bin ich? Wie haben Sie mich hierher gebracht?«
Bevor Ro antworten konnte, meldete sich Blackmer von seiner Konsole. »Captain, ich kann in keiner unserer Datenbanken Aufzeichnungen über einen Altek Dans finden.«
»Nun, Mr. ›Altek‹?«, setzte Ro an. »Würden Sie uns bitte Ihren echten Namen nennen, wo Sie herkommen und was Sie hier wollen?« Der Captain musste daran denken, dass das Wurmloch mit dem Gamma-Quadranten verbunden war – der Heimat des Dominion, einer interstellaren Großmacht, die einen langen und grausamen Krieg gegen die Föderation und andere Nationen des Alpha-Quadranten geführt hatte. So kurz nach dem Attentat und nur wenige Tage bevor die zehntausend Bewohner von Deep Space 9 auf die Station kommen würden, machte das Erscheinen eines Unbekannten Ro ernsthafte Sorgen.
»Ich habe Ihnen gesagt, wie ich heiße. Ich komme aus Joradell und habe keine Ahnung, warum Sie mich hergebracht haben … oder wo hier überhaupt ist.«
»Ist Joradell ein Planet im Gamma-Quadranten?«, fragte Ro. »Ist er Teil des Dominion?« Die Untersuchungen des Mords an Präsidentin Bacco hatte keine Verbindung zu den Gründern ergeben, aber der Captain würde keine Möglichkeit ausschließen, insbesondere keine gegenwärtigen oder früheren Feinde der Föderation.
»Joradell ist kein Planet«, widersprach der Mann. »Es ist eine aleiranische Stadt auf Bajor.«
»Ich wurde auf Bajor geboren und bin dort aufgewachsen und habe nie von dieser Stadt gehört«, entgegnete Ro. »Warum sagen Sie nicht die Wahrheit und …«
»Captain!«, rief Blackmer, bevor er wieder an ihre Seite eilte. Ro sah, dass er seinen Phaser von O’Brien zurückbekommen hatte. »Die automatischen Sensoren haben keinen Alarm gegeben, aber ich habe einen manuellen Scan durchgeführt. Sie zeigen, dass der Mann eine Projektilwaffe mit sich führt.«
Das beunruhigte Ro noch mehr. Präsidentin Bacco war mit einer solchen Waffe getötet worden. »Chief«, wandte sie sich an O’Brien, »können Sie ihn entwaffnen?«
»Isoliere die Waffe jetzt«, meldete der Ingenieur, während seine stämmigen Finger über die Transporterkonsole huschten.
»Beamen Sie sie in den Bunker«, befahl Ro. Die Sektion lag im äußeren Bereich der Station und stellte eine sichere Lagereinrichtung für potenziell gefährliche Objekte dar. Offiziell wurde sie Sprengkörper-Verwahrungsraum genannt. Verstärkte Schotten und dreifache, sich ergänzende Eindämmungsfelder grenzten den Bereich vom Rest der Raumstation ab, und fortschrittliche Transporter waren dazu in der Lage, die Wucht einer Explosion in das Vakuum des Weltraums umzuleiten.
»Aye, Sir«, bestätigte O’Brien. Während er die Kontrollen bediente, hörte Ro ein gedämpftes, schrilles Summen. Der Mann hörte es offensichtlich auch, schien sich kurz darauf zu konzentrieren, griff dann hastig hinter sich – Ro vermutete, dass er dort seine Waffe trug. Als er sie wieder nach vorne brachte, war seine Hand leer.
Ro ging bis zum Fuß der Stufen, die zur Transporterplattform hinaufführten. In ihrem Gesicht spürte sie das Kribbeln der aufgeladenen Luft zwischen ihr und dem unsichtbaren Eindämmungsfeld. »Mr. Altek, oder wie auch immer Sie heißen mögen, ich stelle Sie unter Arrest, weil Sie illegal eine Waffe auf diese Raumstation gebracht haben. Für den Zeitraum unserer Untersuchung und bis eine formelle Anklage verfasst wurde, werden Sie in Haft bleiben.«
»Raumstation? Ich weiß nicht … Ich wusste …«
»Chief«, sagte Ro, »beamen Sie unseren Gast in den Arrestkomplex.«
»Aye.« Sekunden später formierten sich über der Plattform Strähnen aus weißem Licht, denen einen Augenblick später ebenso helle Flecken folgten. Während sie sich ausbreiteten und den Mann umschlossen, war ihm seine Panik deutlich anzusehen. Kurz darauf verschwand er.
Ro drehte sich zu ihrem Sicherheitschef um. »Ich möchte, dass er ständig beobachtet wird.«
»Verstanden, Captain.«
Der ganze Vorfall beunruhigte Ro, aber ein Detail stach besonders hervor. »Warum haben die automatischen Scans die Waffe nicht entdeckt?« Nachdem für das Attentat auf die Föderationspräsidentin eine Projektilwaffe benutzt worden war, hatte sich der Captain nach Beratung mit Blackmer dazu entschlossen, Anweisung zu geben, die Protokolle der Station dahingehend zu ändern, auch nach solchen Waffen zu suchen, obwohl sie veraltet waren und nur selten benutzt wurden.
»Ich muss das erst noch nachprüfen«, erklärte der Sicherheitschef, »aber ich glaube, es liegt daran, dass die Waffe unseres Besuchers noch viel primitiver ist, als …« Er beendete den Satz nicht, aber das war auch nicht nötig; Ro begriff, dass er versuchte, die eben auf die Station gelangte Waffe mit der zu vergleichen, die Präsidentin Bacco das Leben gekostet hatte.
Der Captain nickte. »Lassen Sie die Waffe von Ihrem Sicherheitsteam untersuchen, und dann arbeiten Sie zusammen mit Nog daran, die internen Sensoren entsprechend einzustellen.« Lieutenant Commander Nog diente als Einsatzleiter und als Assistent des Chefingenieurs auf DS9. »Ich möchte wissen, wenn irgendeine Waffe auf die Station gebracht wird.«
»Aye, Sir.«
»In der Zwischenzeit suchen Sie noch mal gründlicher nach Informationen über unseren Besucher und dann verhören Sie ihn. Ich will wissen, wer er ist und wie und warum er in einem Drehkörper aus dem Wurmloch gekommen ist.«
»Ich auch«, stimmte Blackmer zu. Seine Entschlossenheit war ihm deutlich anzusehen.
»Chief«, wandte sich Ro an O’Brien, »überprüfen Sie die Waffe im Bunker. Wir wollen sichergehen, dass sie nicht mehr ist, als es den Anschein hat. Versuchen Sie auch herauszufinden, wo sie herkommt.«
O’Brien bestätigte seine Befehle, und Ro verließ den Transporterraum in Begleitung ihrer beiden Offiziere. Sie befehligte eine nagelneue, hochmoderne Raumstation, konstruiert vom Ingenieurkorps und von der taktischen Abteilung so ausgestattet, dass sie so unüberwindbar war, wie es der aktuelle Stand der Föderationstechnologie zuließ. Trotzdem fühlte sich Ro verwundbarer als auf der alten Station … ungeachtet der Tatsache, dass abtrünnige Elemente des Typhon-Paktes die ursprüngliche Deep Space 9 vor zwei Jahren zerstört hatten.
Als der Captain zusammen mit Chief O’Brien und Lieutenant Commander Blackmer aus dem Transporterraum kam, stand Colonel Cenn Desca, der Erste Offizier von DS9 und offizieller Verbindungsoffizier zur bajoranischen Regierung von seinem Sessel auf. Er erwartete, dass Vedek Kira nach ihnen hereinkommen würde, aber die Tür schloss sich hinter den drei Offizieren. Die beiden Männer gingen an ihre jeweiligen Arbeitsstationen am inneren Rand auf dem erhöhten Außenring des Kontrollzentrums. Sämtliche primären Konsolen des Knotens waren nach innen gerichtet, in Richtung der Senke, dem tiefer liegenden Areal, in dem sich auch der Hauptsystemmonitor befand. Während sich O’Brien an die Hauptmaschinenraumkontrolle setzte und Blackmer seinen Posten an der Sicherheitsstation einnahm, wandte sich Ro an die Kommandobesatzung.
»Der Drehkörper hat einen Passagier befördert«, verkündete sie, »aber es war nicht Kira Nerys.«
Der Captain berichtete, was im Transporterraum geschehen war, und von dem Bajoraner, der dort aufgetaucht war. Cenn hörte zu, versuchte aber auch seine Gedanken zu ordnen, die sich in einem wilden Durcheinander überschlugen. Er fühlte sich, als hätte ihn ein Schwinger in den Magen getroffen. Das Gefühl war nicht mit dem zu vergleichen, das er empfunden hatte, als der Himmlische Tempel mit Vedek Kira darin kollabiert war, aber es war dennoch ein Gefühl von Verlust.
Wenn die Propheten beschlossen haben, jemanden nach Bajor zurückzuschicken, fragte er sich, warum haben Sie sich dann nicht für Nerys entschieden? Als sich der Himmlische Tempel nach zwei Jahren endlich wieder geöffnet hatte, war nicht nur Cenns Überzeugung, dass er es tun würde, bestätigt worden, er war außerdem kaum in der Lage gewesen, seine Freude im Zaum zu halten. Als dann ein Drehkörper der Propheten daraus hervorgekommen war und die Sensoren eine Lebensform darin empfangen hatten, hatte er einfach gewusst, dass Kira zurück war. Das Wurmloch war während eines Raumschiffgefechts im Inneren kollabiert. Und obwohl viele glaubten, dass Kira dabei ums Leben gekommen war, hatte die Vedek-Versammlung sie für vermisst erklärt und angenommen, sie sei in der Obhut der Propheten. Cenn war voll und ganz derselben Meinung gewesen.
Aber wo ist sie dann?, fragte er sich frustriert. Cenn hatte während der etwas mehr als zwei Jahre, die Kira Befehlshaber von Deep Space 9 gewesen war, unter ihr gedient. Sie waren in Kontakt geblieben, nachdem sie ihren Dienst quittiert hatte, um sich der bajoranischen Religion zuzuwenden. Während Cenn so oft, wie es seine Pflichten zuließen, nach Bajor reiste, um Familie und Freunde zu besuchen, kam Kira nur selten auf die Station. Dennoch wurden sie während dieser Zeit immer bessere Freunde. Dank ihres Glaubens hatten sie viele Gemeinsamkeiten. Cenns Eltern waren sehr gläubig gewesen und hatten ihm schon sehr jung das Geschenk der Hingabe an die Propheten zuteilwerden lassen. Er hatte diese Religiosität nie abgelegt. Kira war ähnlich aufgewachsen und zu einer Anhängerin des bajoranischen Glaubens geworden, aber erst nach ihrem Eintritt in den Klerus war die Freundschaft zwischen ihr und Cenn erblüht. Mit der Zeit, während ihrer vielen theologischen Unterhaltungen, bei denen sie ihren eigenen Glauben beurteilten und einander tiefgründige Fragen stellten, kamen sie sich immer näher.
Cenn fehlten diese Zeiten, und Nerys fehlte ihm. Er konnte sich einreden, dass er sich um ihretwillen wünschte, sie möge nach Bajor zurückkehren, aber welche Verbesserungsmöglichkeiten konnte ihre Existenz noch haben, nun da sie bei den Propheten war? Nein, er musste sich eingestehen, dass er aus rein selbstsüchtigen Gründen auf Kiras Rückkehr hoffte. Selbst für ihn war das ein schwacher Grund, die Wege der Propheten infrage zu stellen.
Der Captain beendete den Bericht über den Unbekannten, den der Drehkörper auf der Raumstation abgesetzt hatte. Sie ging auf dem äußeren Ring des Knotens bis zu zwei nebeneinanderliegenden Stationen, an denen Lieutenant Kalanent Viss und Ensign Vendora deGrom arbeiteten. Bis vor Kurzem war für deGroms Aufgabe als Dockmeister eine zweitrangige Station am äußeren Schott des Kontrollzentrums konfiguriert gewesen, aber da Deep Space 9 nun den vollen Betrieb aufgenommen hatte und mit einem höheren Verkehrsaufkommen und größerem Aufwand bei der Wartung zu rechnen war, hatte man diesen Posten mit dem der Wissenschaftsstation getauscht.
»Kalanent, nehmen Sie Verbindung mit Admiral Akaars Büro auf«, wies Ro Viss an der Kommunikationsstation an. »Ich muss ihn sprechen, in Echtzeit, so bald wie möglich. Berichte folgen.« Als Folge des Attentats hatte man die Ressourcen der Sternenflotte neu strukturiert, damit die im bajoranischen System befindliche Station ohne Verzögerung mit dem Oberkommando der Sternenflotte auf der Erde kommunizieren konnte.
»Sofort, Captain«, bestätigte Viss. Für Cenn klangen ihre Worte immer ein wenig schief, da der Übersetzer im Helm ihres aquatischen Umweltanzugs den Worten einen mechanischen Klang verlieh.
Während die Alonisierin die notwendigen Befehle in ihre Konsole eingab, setzte Ro ihren Weg am Rand des Knotens fort, vorbei an einem der Zugänge der vier Turbolifte, über die man das Kontrollzentrum erreichen konnte. Als sie an den Sesseln für den befehlshabenden und den Ersten Offizier links von sich vorbeikam, sagte sie: »Desca, kommen Sie mit.« Sie sah über die Schulter zurück und ergänzte: »John, Sie haben das Kommando.« Der leitende Wissenschaftsoffizier der Raumstation, Lieutenant Commander John Candlewood verließ seine Station am Rand.
Cenn folgte Ro in ihr Büro. Drinnen trat der Captain hinter einen Schreibtisch, der auf der linken Seite mittig vor einem Schott stand. Cenn setzte sich in einen der beiden Sessel vor dem Möbelstück.
»Was halten Sie von dem Ganzen, Desca?« An dem Schott hinter ihr hing eine runde Skulptur, die weitestgehend aus gebogenen Metallstangen bestand. Man hatte Cenn gesagt, dass sie dem Künstler zufolge eine moderne, flache Interpretation von Deep Space 9 darstellte, aber irgendwie konnte er das nicht darin erkennen.
»Um ehrlich zu sein, habe ich geglaubt, Vedek Kira wäre in dem Drehkörper. Aber wir können die Pfade, die uns die Propheten weisen, nicht immer erkennen oder verstehen.«
»Das ist es ja.« Ro schüttelte langsam den Kopf. »Ich bin nicht sicher, ob es irgendwas mit den Propheten zu tun hat.«
Cenn spürte, wie er unbeabsichtigt eine Augenbraue hob, und zwang sich wieder zu einer neutralen Miene. »Entschuldigen Sie, Captain, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, warum Sie das sagen. Das Wurmloch war zwei Jahre verschlossen – zwei Jahre, während derer Wissenschaftler der Föderation keinerlei Anzeichen gefunden haben, dass es überhaupt noch existiert. Und als es sich heute endlich wieder geöffnet hat, kam ein Drehkörper heraus. Wie kann das alles nicht mit den Propheten zusammenhängen?«
»Ich weiß nicht. Es ist nur so ein Gefühl.«
Cenn schätzte auf jeden Fall den Wert von Intuition, selbst im Angesicht von entgegengesetzten Beweisen. Aber der bloße Gedanke, dass die Propheten nichts mit der Erneuerung des Himmlischen Tempels oder mit dem darauffolgenden Erscheinen des Drehkörpers zu tun haben sollten, kam ihm unermesslich unwahrscheinlich vor. »Sir, ich weiß, dass Sie nicht gläubig sind. Könnte das möglicherweise Ihr Urteil in diesem Fall beeinflussen?«
»Oh, Desca.« Ro stand auf. »Ich bin nicht sonderlich an Schubladen interessiert. Warum muss ich einordnen was ich denke und was ich empfinde?« Sie ging von ihrem Schreibtisch zur anderen Seite ihres Büros.
Cenn hatte solche Argumente schon oft gehört, häufig von Leuten, die zuvor ihre Zweifel erklärt oder sogar demonstriert hatten. Jedes Mal fand er es traurig und seltsam ironisch. Solche Personen verleugneten die Göttlichkeit der Propheten, waren aber so wenig von ihren eigenen Zweifeln überzeugt, dass sie keinesfalls als Atheisten bezeichnet werden wollten. Er würde es Ro Laren nie gestehen, aber sie tat ihm wirklich leid. Sie versagte sich nicht nur die Freude und den Trost, die es mit sich brachte, ihr Vertrauen in die Propheten zu setzen, ihr fehlte auch auf fundamentale Weise der Glauben an sich selbst.
Der Captain blieb vor dem äußeren Schott und dem rechteckigen Fenster mit seinen abgerundeten Ecken darin stehen, durch das sie den Weltraum sehen konnte und auch hinab auf den X-Ring der Station, der sich um ihren Äquator zog. Mit in die Hüften gestemmten Händen blickte Ro hinaus. Sie schwieg einen Moment lang, sodass Cenn befürchtete, er habe sie beleidigt, indem er ihre Denkweise infrage stellte. Er dachte darüber nach, sich zu entschuldigen, aber noch während sie hinaussah, sagte Ro: »Es geht nicht darum, ob ich gläubig bin oder nicht.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und kam zu ihm zurück. »Ich bestreite nicht, dass innerhalb des Wurmlochs Wesen leben oder dass sie in der Lage sind, es zu manipulieren. Wir wissen, dass die Drehkörper existieren und auf Personen einwirken können, und es ist unbestreitbar, dass die Propheten einen Einfluss auf die bajoranische Gesellschaft gehabt haben. Vielleicht haben sie sogar aktiv eingegriffen.«
Ros Worte machten Cenn wütend, aber er bewahrte seine gelassene Miene. »Ich würde eher geführt sagen, anstatt eingegriffen, Captain, aber alles, was Sie sagen, stimmt. Im Vergleich zu meiner Denkweise wird in Ihrer Aussage die Wichtigkeit der Propheten für das bajoranische Volk geschmälert.«
»Tut mir leid, Desca.« Sie stützte sich auf eine Ecke des Schreibtischs. »Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich unterschätze keineswegs die Auswirkung, die die Propheten auf Bajor gehabt haben, direkt wie indirekt. Ich weiß nur nicht, ob fremde Wesen, die sich ungefragt in die Angelegenheiten einer anderen Spezies einbringen, es verdient haben, für göttlich erklärt zu werden.«
»Nun, zuerst würde ich argumentieren, dass viele Bajoraner, darunter auch ich, die Propheten nicht nur in unser Leben aufgenommen haben, sondern sie willkommen heißen würden, wenn dem nicht so wäre. Zum Zweiten habe ich sehr häufig das Argument gehört, dass die Propheten lediglich eine fremde Spezies sind. Das ist eine Behauptung, die besonders unter Sternenflottenpersonal beliebt ist, das seit dem Ende der Besatzung auf Bajor und Deep Space 9 stationiert war.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich dadurch nicht beleidigt. Stattdessen ist es meiner Meinung nach eine Ansicht, der es an Informationen mangelt, oder eine kurzsichtige. Ich habe die Drehkörper nicht nur gesehen, ich habe sie erlebt. Ich habe Prophezeiungen gelesen, die von Gelehrten verfasst wurden, die schon seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden tot sind und die während meiner Lebenszeit eingetreten sind. Ich habe die Ankunft des Abgesandten miterlebt und ich habe die Erhabenheit des Himmlischen Tempels gesehen.«
»Das weiß ich alles«, sagte Ro leise.
»Sie können versuchen, das alles einfach als Taten einer fortschrittlichen fremden Spezies zu bezeichnen«, fuhr Cenn fort, »aber es ist nicht so, als hätten die Propheten die Drehkörper in irgendeiner Fabrik hergestellt oder das Wurmloch aus Thermozement und Duranium gebaut oder die Prophezeiungen niederschreiben lassen, nachdem sie bereits eingetreten sind. Was sie für das bajoranische Volk waren und was sie getan haben …« Er hob die Hände mit nach oben gerichteten Handflächen, als wollte er die unermessliche Geschichte der Propheten umfassen. »… kann man nicht anders als göttlich bezeichnen.«
Der Captain schaffte es tatsächlich zu lächeln. »Ihre Leidenschaft ist verlockend.«
»Ich fasse das als Kompliment auf.«
»So habe ich es auch gemeint«, bestätigte Ro. »Ich beneide Sie um Ihre Überzeugung und um das, was Sie offensichtlich aus Ihrem Glauben schöpfen.« Sie stieß sich von der Schreibtischkante ab und ging wieder hinter das Möbelstück. »Aber falls ich mich undeutlich ausgedrückt habe«, fuhr sie fort, während sie sich setzte. »Was ich im Bezug auf die Propheten glaube oder auch nicht glaube, ist in diesem Fall ohne Bedeutung. Ich bestreite nicht, dass sie das Wurmloch wieder geöffnet oder einen Drehkörper mit einem Passagier an Bord hindurchgeschickt haben könnten. Aber vor gerade mal fünf Tagen wurde auf dieser Station Präsidentin Bacco mit einer Projektilwaffe getötet, und die erste Person, die wir wegen dieses Verbrechens verhaftet haben, war Bajoranerin. Jetzt taucht mysteriöserweise ein Bajoraner auf der Station auf – ein Mann, über den wir in unseren Datenbanken keinerlei Aufzeichnungen finden können – und er trägt eine ähnliche Waffe bei sich.«
»Ich sehe da keinen Zusammenhang. Die Beweise, die Doktor Bashir gestern gefunden hat, haben Enkar Sirsy entlastet. Wir wissen, es waren keine Bajoraner, die den Mord an der Präsidentin begangen haben, sondern Tzenkethi.«
»So sieht es im Moment zumindest aus, aber absolut sicher sind wir nicht«, entgegnete Ro. »Nur weil Enkar entlastet wurde und alles auf die Tzenkethi hinweist, ist nicht zwangsläufig ausgeschlossen, dass es keine bajoranischen Komplizen gibt.«
»Und Sie machen sich wegen einer möglichen Verbindung zwischen diesem Altek Dans und dem Attentat Sorgen«, stellte Cenn eher fest, als dass er fragte.
Ro nickte. »Irgendwas stimmt mit ihm nicht.«
»Ich vertraue Ihren Instinkten, wenn es um Personen geht, Captain, aber wollen Sie andeuten, dass die Propheten diesen Mann als Komplizen an der Ermordung von Präsidentin Bacco hergeschickt haben?« Er konnte nicht glauben, dass er eine solche Frage stellen musste. So sehr er sich auch bemühte, gelassen zu wirken, sobald es um seinen Glauben ging, färbten dennoch Schrecken und Ablehnung seine Stimme.
»Nein, nein, ganz und gar nicht«, versicherte ihm Ro hastig. »Aber das Wurmloch öffnet sich nicht nur in den Alpha-Quadranten.«
Cenn versuchte, die Gedanken des Captains nachzuvollziehen. »Vermuten Sie eine Beteiligung des Dominion? Das sie … was? Einen falschen Drehkörper erschaffen und einen Weg gefunden haben, jemanden darin zu transportieren?«
»Sollte Altek Dans wirklich ein Gründer sein …« Ro wurde leiser. Sie schwieg noch einen Augenblick, bevor sie sagte: »Das ergibt keinen Sinn, oder?«
»Ich denke nicht«, stimmte Cenn zu. »Ich meine, es stellt kein großes Problem dar herauszufinden, ob Altek Dans ein Wechselbalg ist oder nicht. Aber wir hatten seit dem Ende des Kriegs keine Schwierigkeiten mehr mit dem Dominion. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sie etwas mit der erneuten Öffnung des Wurmlochs und der Erschaffung eines Drehkörpers zu tun haben, nur um ein Mitglied ihres Volks auf die neue Raumstation zu bringen.« Ihm fiel noch etwas anderes ein. »Dessen ungeachtet, wie sollten die Gründer irgendeine Rolle bei dem Attentat gespielt haben, wenn das Wurmloch bis heute seit zwei Jahren geschlossen war? Das Dominion ist siebzigtausend Lichtjahre entfernt, und sie verfügen nicht über den Slipstream-Antrieb. Also hätten sie nicht herkommen können.«
»Sie haben recht«, pflichtete Ro bei. »Trotzdem gibt es noch immer etwas, was mich an dem Mann beunruhigt … etwas anderes als sein plötzliches Erscheinen aus dem Wurmloch oder das Fehlen von Informationen über ihn oder die Waffe, die er dabeihatte. Er wirkt … anders. Sogar die von ihm benutzten Worte, der Akzent, mit dem er spricht, es passte einfach nicht.«
Cenn erinnerte sich an einen anderen Vorfall von vor ungefähr zwölf Jahren, den Himmlischen Tempel betreffend, obwohl dabei kein Drehkörper im Spiel gewesen war. »Kennen Sie Akorem Laan?«
»Der Name kommt mir bekannt vor. War das nicht ein berühmter Schriftsteller?«
»Ein Poet«, stellte Cenn richtig. »Tatsächlich gilt er als einer der großen klassischen bajoranischen Poeten. Er lebte vor zweihundert Jahren, aber eines Tages kam er mit seinem Leuchtschiff aus dem Wurmloch gesegelt und hat an Deep Space 9 angedockt.«
»Was? Wieso weiß ich davon nichts?«
»Das war vor unserer Zeit hier.« Cenn rechnete kurz nach. »Vor dreizehn Jahren.«
Captain Ro sah zur Seite, als würde sie einen Blick in ihre eigene Vergangenheit werfen. »Vor dreizehn Jahren habe ich auf Galion gelebt.«
Cenn wusste, dass der Planet Galion damals durch ein Abkommen zwischen der Föderation und den Cardassianern zum Teil der entmilitarisierten Zone erklärt worden war. Sofern ihn seine Erinnerung nicht täuschte, hatten sich viele Mitglieder der Maquis-Führungsebene – und allem Anschein nach auch Ro Laren – dort niedergelassen. Er erinnerte sich auch daran, dass während des Dominion-Kriegs der Großteil von Galions Bevölkerung durch Streitkräfte der Jem’Hadar ausgelöscht worden war. Das könnten alles Gründe dafür sein, warum Ro nichts von dem Leuchtschiff wusste, das durch das Wurmloch aus Bajors Vergangenheit gekommen war.
»Akorems Schiff ist vor zweihundert Jahren in einen Ionensturm geraten, bei dem es beschädigt und er ernsthaft verletzt wurde«, erklärte Cenn. »Er hat damit gerechnet zu sterben, aber dann ist sein Schiff in den Himmlischen Tempel gestürzt. Die Propheten haben seine Verletzungen geheilt und ihn ins bajoranische System zurückgeschickt, aber zweihundert Jahre später.«
Cenn konnte beobachten, wie der Captain begriff. »Das war der Mann, der sich für den Abgesandten gehalten hat und nicht Captain Sisko.«
»Stimmt genau«, bestätigte Cenn. »Er hat geglaubt, dass die Propheten ihn nicht nur in der Zeit nach vorne geschickt haben, um als ihr Abgesandter zu dienen, sondern auch, um die D’jarras wieder einzuführen.« Während der Besatzung hatte man das bajoranische Kastensystem abgeschafft und danach nicht wieder eingeführt. »Captain Sisko hat Akorem den Posten als Abgesandter überlassen, aber als Bajor versucht hat, zu den D’jarras zurückzukehren – von meiner Familie hat man verlangt, Bauern zu werden –, wurde schnell deutlich, dass es nicht funktionieren würde. Captain Sisko und Akorem sind zusammen zurück ins Wurmloch geflogen. Die Propheten haben bestätigt, dass der Captain Ihr erwählter Abgesandter ist und dass Sie den Poeten als eine Art Ermahnung für ihn geschickt haben.«
»Was ist mit Akorem geschehen?«
»Captain Sisko zufolge haben ihn die Propheten in seine eigene Zeit zurückgeschickt, allerdings haben Sie ihm vorher die Erinnerung an seine Zeit im Himmlischen Tempel und an die Zukunft genommen.«
»Wollen Sie behaupten, dass die Situation mit Altek Dans Sie an das erinnert, was mit Akorem passiert ist?«, wollte Ro wissen.
»Das tut es. Dank seiner Werke kannte man Akorem, und weil er vor gerade mal zweihundert Jahren gelebt hat. Aber was, wenn Altek Dans ein Name ist, der in keinem Geschichtsbuch erwähnt wird? Oder wenn seine Zeit noch weiter zurückliegt?« Der Gedanke faszinierte Cenn. »Abhängig davon, woher und aus welcher Zeit er stammt, könnte er eine unschätzbare Informationsquelle über die bajoranische Geschichte sein.«
»Vielleicht«, stimmte Ro zu. »Aber wir müssen uns auch die Frage stellen, warum ihn die Wurmlochwesen hergeschickt haben.«
»Es ist schwierig, die Absichten der Propheten zu erkennen. Ich würde Ihnen einfach raten, dass es genügt, ihnen zu vertrauen.«
Cenn konnte sich denken, was für Probleme Captain Ro – eine Nichtgläubige, auch wenn sie sich gegen diese Bezeichnung verwehrte – damit haben würde. »Desca, der Bajoraner hatte eine Waffe bei sich, die der ähnelt, mit der Präsidentin Bacco getötet wurde.«
»Wie ähnlich?«
»Ähnlich genug, um Jeffersons Aufmerksamkeit zu wecken … und meine. Es handelt sich um eine Projektilwaffe.«
Cenn verstand, warum es dem Captain schwerfiel, es für einen Zufall zu halten, dass Altek eine solche Waffe bei sich gehabt hatte. Nicht mehr lange, und Ro würde die Verantwortung für die Leben von fast dreizehntausend Personen übernehmen – zehntausend zivile Bewohner und zweitausendfünfhundert Besatzungsmitglieder. Und als ob das noch nicht genug wäre, war die Präsidentin der Föderation auf einer Raumstation ermordet worden, die Captain Ros Befehl unterstand.
»Wenn Altek aus Bajors Vergangenheit stammt«, sagte Cenn ruhig, »dann wäre es nur natürlich, dass er eine solche Waffe besitzt.«
»Könnte sein«, stimmte Ro wenig überzeugt zu. »Es ist zwingend notwendig, dass wir das klären, bevor wir ihn wieder laufen lassen müssen.«
»Mit welcher Begründung halten Sie ihn im Moment fest?«, fragte Cenn.
»Ich habe ihn wegen illegaler Einfuhr einer Waffe unter Arrest stellen lassen. Wenn man berücksichtigt, dass er nicht freiwillig nach Deep Space 9 gekommen ist, ist das ein äußerst dürftiger Vorwand.«
»Das bedeutet, da wir ihn nicht tatsächlich irgendeiner Straftat anklagen können, können wir ihn höchstens drei Tage lang festhalten.« Die Föderationsgesetze waren in solchen Belangen sehr deutlich.
»Genau so ist es. Desca, ich möchte, dass Sie mit Jeff zusammenarbeiten. Er wird …«
Das Kommunikationssystem der Station fiel dem Captain ins Wort: »Viss an Captain Ro«, erklang die Stimme des Kommunikationsoffiziers.
»Ro hier. Sprechen Sie.«
»Captain, Admiral Akaar wird in vierzig Minuten mit Ihnen sprechen können.«
»Sehr gut«, bestätigte Ro. »Bestätigen Sie das Gespräch und öffnen Sie zum angegebenen Zeitpunkt einen Kommunikationskanal.«
»Ja, Captain.«
»Ro Ende.« An Cenn gewandt sagte sie: »Jeff wird den Mann verhören und alle verfügbaren Aufzeichnungen durchsuchen, um seine Identität zu bestätigen oder herauszufinden, wer er wirklich ist. Ich weiß, dass Sie umfassendes Wissen über die Geschichte Bajors haben, also helfen Sie ihm, so gut Sie können.«
»Ja, Sir.« Cenn wusste, dass ihr Gespräch damit beendet war, und er stand aus seinem Sessel auf. Als er zur Tür ging, sprach ihn der Captain noch einmal an.
»Desca, bleiben Sie bei der Interpretation von dem, was Sie herausfinden, immer auf der sicheren Seite. Wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass dieser Mann eine Gefahr für diese Raumstation und die Leute darauf darstellt, kann ich ihn nicht laufen lassen.«
Cenn war klar, Commander Gregory Desjardins von der Juristischen Abteilung der Sternenflotte hätte dazu bestimmt etwas zu sagen, aber er verstand, worauf der Captain hinauswollte. »Ich werde mein Bestes tun.« Dann kehrte er durch die Tür in den Knoten zurück.
Auf dem Raumschiff war es gerade simulierter Abend, weswegen die Korridore, durch die Odo dem Sicherheitsoffizier der Sternenflotte in seiner bajoranisch inspirierten Form folgte, nur schwach beleuchtet waren. Diese humanoide Form, die er vor Jahrzehnten zum ersten Mal angenommen und mit der Zeit verfeinert hatte, fühlte sich sowohl fremd als auch vertraut an. Seit er Deep Space 9 vor fast zehn Jahren in Richtung Dominion verlassen hatte, hatte er mehr als die Hälfte der Zeit in anderen Formen oder in überhaupt keiner verbracht. Aber er hatte so lange täglich diese bajoranische Form angenommen – während seiner vielen Jahre auf Terok Nor und DS9 –, dass sie anzunehmen und zu halten irgendwann fast schon mühelos vonstattengegangen war.
Zu mühelos, zumindest Laas’ Meinung nach, dachte Odo. Laas war wie er ein Mitglied der Hundert und genoss seine Fähigkeiten als Formwandler, hielt eine Gestalt nur selten lange aufrecht und wiederholte sie auch nicht allzu häufig. Solange es nicht zwingend notwendig war, vermied er es auch, humanoide Gestalt anzunehmen. Viele der Gründer teilten diese Abneigung und zogen ihren eigentlichen, formlosen Zustand jedem anderen vor, hauptsächlich, um sich in der Großen Verbindung miteinander zu vereinen.
Die Große Verbindung