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Seit der Zerstörung Deep Space 9 sind zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit wurde sie von einer brandneuen und topmodernen Sternbasis ersetzt, kommandiert von Captain Ro Laren. Dennoch spüren Besatzung und Bewohner der ehemaligen Station die Auswirkungen ihres Verlusts. Kira Nerys ist aus dem Wurmloch zurückgekehrt, in dem sie gefangen war, seit es zwei Jahre zuvor kollabierte. Sie trifft auf der neuen DS9 ein, um festzustellen, dass Altek Dans bereits dort ist.
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Seitenzahl: 530
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LICHTERIM DUNKEL
DAVID R. GEORGE III
Based on
Star Trek and Star Trek: The Next Generation
created by Gene Roddenberry
and
Star Trek: Deep Space Nine
created by Rick Berman & Michael Piller
Ins Deutsche übertragen von
René Ulmer
Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – DEEP SPACE NINE: LICHTER IM DUNKELwird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: René Ulmer;verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust;Korrektorat: André Piotrowski; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover-Illustration: Alan Dingman;Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice.Printed in the Czech Republic.
Titel der Originalausgabe: STAR TREK – DEEP SPACE NINE: THE LONG MIRAGE
German translation copyright © 2019 by Amigo Grafik GbR.
Original English language edition copyright © 2016 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
™ & © 2018 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All rights reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
Print ISBN 978-3-95981-965-7 (August 2019) · E-Book ISBN 978-3-95981-966-4 (August 2019)
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Dieses Buch widme ich einem großartigen Freund.Bei meiner Hochzeit stand er alsTrauzeuge an meiner Seite.Er steht als Dritter auf dem Schlagmal.Er ist Shortstop und er heißtMark Gemello.(Für Gemello habe ich immer einen Platz!)
Historische Anmerkung
Prolog Kollateralschaden
TEIL EINS Anlage mit hohem Risiko
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
TEIL ZWEI Übergangsverwaltung
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
TEIL DREI Marktrisiko
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
TEIL VIER Transaktionen
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
TEIL FÜNF Reinvestition
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
TEIL SECHS Schlichtung
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
TEIL SIEBEN Bilanzaufstellung
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
EPILOG Risikokapital
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
DANKSAGUNGEN
Der Hauptteil dieses Romans findet Ende Januar 2386 statt, direkt nach den abschließenden Ereignissen in STAR TREK – DEEP SPACE NINE»Vorherrschaft«.
Wir alle sind unabhängige Schiff’,Segeln dahin über die Meere des Lebens,Begegnen uns zwischen Welle und Riff,Aber nur wir kennen das Ziel unseres Strebens.
– Akorem LaanDas Buch der Seufzer, »Lied der Stille«
Als sich die Kellnerin der Nische mit dem Fremden näherte, zog sich ihr Magen misstrauisch zusammen. Der Mann trug Freizeitkleidung – einen dunkel gestreiften Cardigan über einem Poloshirt, eine hellbraune Hose und Slipper –, seine Miene wirkte jedoch ernst. Er hatte sie angelächelt, als sie seine Bestellung aufgenommen hatte, aber als sie wieder hinter den Tresen gegangen war, war davon nichts mehr zu sehen gewesen. Es war offensichtlich, dass ihn etwas Wichtiges beschäftigte, und die Kellnerin konnte nur hoffen, was auch immer es war, würde keinen Ärger für das Diner bedeuten. Sie hatten in letzter Zeit schon genug Aufregung gehabt: Letzte Woche war auf dem Parkplatz eine Prügelei ausgebrochen und einen Monat zuvor hatte es einen bewaffneten Raubüberfall gegeben.
Die Kellnerin lief über den Linoleumfußboden und die Flecken von Sonnenlicht, das durch die Frontfenster des Diners auf sein Schachbrettmuster fielen. Obwohl die Mittagszeit vorbei war und es noch ein paar Stunden bis zur Abendessenszeit dauerte, saßen einige Kunden – viele davon Stammgäste – im Restaurant verteilt. Mister Cardigan hatte sich für die Nische, die am weitesten vom Eingang entfernt war, entschieden, am anderen Ende des Tresens, abseits des Hauptraums des Restaurants mit den anderen Gästen. Als die Kellnerin an seinen Tisch kam, nahm sie das hohe, geriffelte Milchshakeglas von ihrem runden Tablett, das sie auf gespreizten Fingern trug, und stellte es vor dem Mann ab. Ihre Hand war feucht vom Kondenswasser.
»Danke, Joy«, sagte Mister Cardigan nach einem Blick auf das Schild an ihrer Schürze. Seine Mundwinkel hoben sich, aber das Lächeln wirkte aufgesetzt.
»Gern geschehen, Sir. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen.« Sie wartete ein paar Sekunden und versuchte, sich ein Bild von der wahren Stimmung des Mannes und damit seinen Absichten zu machen. Sie dachte an den kleinen Zettel in dem winzigen, fensterlosen Zimmer, das als Büro des Geschäftsführers genutzt wurde, und die Zahlen darauf, die Durchwahl des örtlichen Sheriffbüros.
Anscheinend verstand der Mann Joys Bleiben so, dass sie auf eine Reaktion von ihm wartete. Er zog das Glas zu sich, nahm den aus der weißen Schaumkrone auf dem schokoladigen Getränk ragenden Strohhalm zwischen die Lippen und trank einen Schluck. »Nicht schlecht«, lobte Mister Cardigan. »Nicht so, wie man ihn in der Passyuk Avenue macht, aber ziemlich gut, dafür, dass wir so weit im Westen sind.«
Joy wusste nicht, was sie dazu sagen sollte – von der erwähnten Straße hatte sie noch nie gehört –, aber dann glitt sein Blick an ihr vorbei. Sie blickte über die Schulter, um herauszufinden, was es dort zu sehen gab. Ein anderer Mann hatte das Diner betreten und Mister Cardigan winkte ihm knapp zu. Der neue Kunde stapfte am Tresen entlang auf die Nische zu. Er hatte dicke Arme, eine breite Brust, ein langes, missbilligendes Gesicht und lediglich ein paar dünne Haarbüschel auf seinem kahlen Schädel. Er nickte der Kellnerin zu, dann zwängte er sich schwerfällig auf die Bank in der Nische, dem anderen Mann direkt gegenüber.
»Guten Tag, Sir!«, begrüßte ihn Joy. Sie griff über den Tisch nach den Speisekarten, die zwischen dem Zuckerspender und dem Duo aus Salz- und Pfefferstreuer standen. Mister Cardigan unterbrach ihre Bewegung, indem er ihren Unterarm berührte. Sie musste sich bewusst davon abhalten, nicht vor ihm zurückzuzucken.
»Bringen Sie ihm einfach einen von denen«, sagte Mister Cardigan, wobei er an sein Glas tippte. Die Kellnerin wartete auf eine Bestätigung des zweiten Mannes, der jedoch nur mit den Schultern zuckte.
Joy holte einen Notizblock samt Stift aus der breiten Tasche ihrer Schürze und schrieb sich die Bestellung auf, dann ging sie zurück hinter den Tresen und nahm sich ein weiteres Milchshakeglas. Während sie ein paar Zentiliter Milch einschenkte, sah sie zu der Nische und beobachtete, wie der zweite Mann seine breite Weste öffnete, einen großen Umschlag herausholte und ihn auf den Tisch legte.
»Das ist es?«, fragte Mister Cardigan in einer Mischung aus Unglauben und Enttäuschung. Obwohl er leise sprach, konnte Joy ihn hören. Er nahm den Umschlag und hielt ihn vertikal über dem Tisch. Das senffarbene Päckchen war dick, obwohl es nicht vollgestopft aussah. »Das sieht nicht so aus, als würde da das ganze Bargeld reinpassen, und für einen Scheck ist es zu groß.« Der zweite Mann schüttelte den Kopf, was seine Schultern vor und zurück zucken ließ.
Die Kellnerin ließ einen langstieligen Löffel in das Glas gleiten, dann ging sie ans andere Tresenende, um sich eine Sprudelflasche zu holen. Sie zielte auf die Laffe des Löffels und füllte das Glas fast bis zum Rand, was der Mixtur ihre schaumige Krone verlieh. Als sie wieder zurück zum anderen Ende des Tresens ging, um den Schokoladensirup zu holen, sah sie, wie Mister Cardigan ein paar Blätter halb aus dem Umschlag zog.
»So läuft das nicht – nicht als Rückzahlung Ihres Kreditrahmens«, erklärte er, während er die Dokumente las. »Ich meine … wenn Sie das als eine Art Sicherheit einsetzen wollen …« Mister Cardigan wurde leiser, als würde er über das nachdenken, was er gerade gesagt hatte. Der zweite Mann zuckte mit erhobenen Händen mit den Schultern, als wollte er sagen, dass es keine andere vernünftige Interpretationsmöglichkeit für den Inhalt des Umschlags gab. Es überraschte die Kellnerin nicht, dass die beiden Männer über Geld sprachen oder etwas, das wie ein schlecht durchdachter Schuldenplan klang. Das waren Themen, über die viel gesprochen wurde – nicht nur im Deauville Diner, sondern in der ganzen Stadt.
Joy schraubte die Flasche mit dem Schokoladensirup auf und schüttete ihn in das Glas. Obwohl sie darauf achtete, was sie tat, hörte sie weiter zu und wartete darauf, dass die beiden Männer ihre Unterhaltung fortsetzten. Schließlich ergriff Mister Cardigan das Wort. »Vielleicht«, räumte er ein, »kann ich versuchen, das als Bürgschaft für Ihre Verluste zu verkaufen, aber ich weiß nicht, wie weit ich mit Wasserrechten in der Wüste komme.«
Joy rührte die Mischung um. Der Löffel klirrte gegen das Glas und übertönte die Antwort des großen Mannes. Nachdem sie fertig war, zog sie einen Strohhalm aus dem Spender und schob ihn in das sprudelnde Schokoladengetränk. Als sie das Glas auf dem Tablett platzierte und wieder hinter dem Tresen hervorkam, hörte sie Mister Cardigan schwer seufzen.
»Wenn ich mit so was zu tun habe, denke ich immer darüber nach, einfach zu verschwinden.« Joy hoffte, dass bedeutete, er würde das Diner bald verlassen und nie wiederkommen, aber als sie das zweite Glas servierte, lächelte Mister Cardigan sie wieder an. Der zweite Mann nickte dankend, aber da er praktisch keinen Hals hatte, neigte sich dabei sein ganzer Körper nach vorne. Die träge Bewegung ließ ihn weitaus weniger Respekt einflößend wirken. Obwohl er kräftig aussah, war Joy überzeugt, dass sie mit Leichtigkeit vor ihm flüchten könnte. Sie bemerkte, sie hatte vor keinem der beiden wirklich Angst, aber ihre zweifelhafte Unterhaltung stimmte sie nachdenklich.
Die Kellnerin trug ihr leeres Tablett zum Tresen und Mister Cardigan sagte: »Was? Sehen Sie mich nicht so an. Ich weiß, ich kann nirgends hin, aber das …« Joy stellte sich vor, wie er den großen Umschlag mit den herausragenden Blättern hochhielt. »… macht mein Leben hier nicht gerade einfacher. Ich hoffe, Sie haben einen Notfallplan.«
Bevor der zweite Mann antworten konnte, hob ein Kunde am anderen Ende des Tresens seine Kaffeetasse. Joy beeilte sich, das Tablett abzulegen, und nahm die Kanne aus der Kaffeemaschine. Sie ging zu dem Mann, füllte seine Tasse nach und wies dann einem Pärchen mittleren Alters, das gerade hereinkam, einen Platz zu. Sie unterhielt sich ein paar Minuten mit ihnen, bis sie sich schließlich entschieden hatten, was sie essen wollten. Sie notierte die Bestellung – Hackbraten für ihn, gebratenes Hühnchen für sie – auf dem obersten Blatt ihres Notizblocks, dann ging sie hinter den Tresen zur Durchreiche, wo sie die Bestellung für den Koch aufhängte. Mehrere andere Bestellungen waren fertig, also servierte sie den Kunden ihr Essen.
Als Joy wieder durch das Diner zu Mister Cardigan blickte, sah sie, dass er und sein Tischgenosse aufgestanden waren. Hastig suchte sie in der Tasche ihrer Schürze nach ihrer Rechnung, aber als sie sie endlich fand, war Mister Cardigan bereits bei ihr. »Ich habe Ihre Rechnung, Sir.« Sie präsentierte ihm den kleinen Zettel.
»Danke, Joy.« Mit einer fließenden Bewegung nahm er ihr die Rechnung aus der Hand und gab ihr im Austausch mehrere Dollarscheine. Joy hatte den Eindruck, der zweite Mann hinter ihm in der Nische sagte etwas, aber sie verstand ihn nicht.
»Ich bin gleich mit Ihrem Wechselgeld zurück.« Aber er machte großzügig deutlich, dass sie es behalten konnte. Er schloss ihre Finger um die Scheine, lächelte und ging an ihr vorbei und zum Eingang. Als er sie öffnete und hinausging, roch Joy die ausgedörrte Wüstenluft. Die Tür schloss sich und sie sah zu dem zweiten Mann.
Er war verschwunden.
Joy drehte sich um und suchte nach ihm. Das Diner hatte nur einen Eingang, durch den die Kunden kamen und gingen, und einen Hintereingang für die Angestellten, aber der zweite Mann hätte keinen davon erreichen können, ohne an ihr vorbeizukommen. Die Kellnerin drehte sich wieder zu der nach wie vor leeren Nische um.
Den mit Schaltflächen versehenen Bogen neben dem Tisch sah sie nicht, da sie darauf programmiert war, ihn zu ignorieren. Sie konnte nicht sehen, wie der zweite Mann hindurchging, und auch nicht den Korridor cardassianischer Bauart dahinter. Für Joy waren das Deauville Diner und Las Vegas darum herum real, nicht aber das Holodeck, in dem sich ihr Leben abspielte. Sie hatte noch nie von Quark’s Bar oder Deep Space Nine gehört.
In der nächsten Millisekunde lud die das Holoprogramm Bashir zweiundsechzig überwachende Software eine Erinnerung in Joys Matrix und zerstreute das unerklärliche Verschwinden des zweiten Mannes. Plötzlich erinnerte sich die Kellnerin daran, wie er an ihr vorbeigegangen war und das Diner durch den Eingang verlassen hatte. Alles war in bester Ordnung.
Als sie hinter dem Tresen zurück an ihre Arbeit ging, hoffte sie dennoch, dass weder Mister Cardigan noch sein übergewichtiger Kompagnon jemals wiederkommen würden. Obwohl sie zu dem Schluss gekommen war, dass sie vor keinem der beiden Angst hatte, gefiel Joy nicht, was sie gesehen und gehört hatte. Auch wenn sie keine Details ihrer Vereinbarung kannte, hatte sie das Gefühl, dass es sich um etwas Gefährliches handelte.
Was das anging, sollte sie recht behalten.
Entschlossen betrat Captain Ro Laren den Hangar, erpicht darauf, die Identität des Piloten, der gerade ein Schiff auf Deep Space Nine gelandet hatte, zu bestätigen oder zu widerlegen. Doktor Pascal Boudreaux, der leitende medizinische Offizier der Station begleitete sie und hinter ihnen folgten seitlich versetzt die Crewmen Barry Herriot und Torvan Pim. Auf Befehl des Captains hatten die beiden Sicherheitsoffiziere ihre Phaser nicht gezogen.
Mit einer Geste bedeutete Ro Herriot und Torvan, im Hangar links und rechts der Tür Stellung zu beziehen, dann ging sie mit Boudreaux auf das Schiff zu. Über ihnen funkelten die Sterne, während sich die Luke schloss. Ein Band aus Emittern am Rand der Öffnung leuchtete blau und signalisierte so, dass das Kraftfeld des Hangars aktiv war und die Atmosphäre im Inneren der Abteilung hielt.
Sechs Meter vom Schiff entfernt blieben Ro und der Arzt stehen. Das leiser werdende Winseln von Antigrav-Einheiten begleitete die Abschaltsequenz. Der Rumpf war matt und fleckig, was in bestimmten Umgebungen vermutlich eine nützliche Tarnung war. Da es etwas kleiner als ein Runabout war, hatte es auf der vorgesehenen Landezone ausreichend Platz. Die relativ kompakte Größe und die einfache Konfiguration legten nahe, dass es vermutlich zu einem größeren Schiff gehörte und nicht auf sich allein gestellt operieren konnte.
Der diensthabende Offizier der Beta-Schicht, Ensign Allasar, hatte gemeldet, dass in keiner der relevanten Datenbanken eine Entsprechung dieses Schiffs zu finden war. Ro kannte die Bauweise nicht, sodass sie über seine Herkunft nur spekulieren konnte. Da es gerade erst durch das Wurmloch ins bajoranische System gekommen war, bestand theoretisch die Möglichkeit, dass es von irgendeinem der unbekannten Planeten in den riesigen, unerforschten Weiten des Gamma-Quadranten stammen könnte.
»Es kommt mir nicht bekannt vor«, merkte Boudreaux an und sprach damit die Gedanken des Captains aus, wenn auch mit seinem kräftigen kreolischen Akzent. »Ich empfange ein einzelnes Lebenszeichen«, ergänzte er mit einem Blick auf seinen Trikorder. »Definitiv bajoranisch.« Ro hatte dem Arzt gesagt, wer der Passagier des Schiffs vorgab zu sein.
»Machen Sie auf alle Fälle eine Blutanalyse«, befahl der Captain. »Nach allem, was in letzter Zeit passiert ist, will ich sichergehen, dass es nicht in Wirklichkeit ein Aszendent oder eine andere Art von Gestaltwandler ist.«
»Verstanden.«
Während Ro nach ihrem Kommunikator griff, schloss sich die Luke über ihnen mit einem beruhigenden Scheppern. Sie wartete einen Moment, bis der Nachhall verklungen war. Das Blau der Emitter um die Luke verblasste, als sich der Kraftfeldgenerator automatisch deaktivierte.
Ro berührte ihren Kommunikator, der zur Antwort zirpte. Doch bevor sie einen Kanal zu dem Schiff vor ihr öffnen konnte, glitt eine Hüllenplatte nach hinten. Ro hörte das Flüstern des Druckausgleichs. Einen Moment später schob sich die Platte zur Seite und gab den Blick auf eine einsame Gestalt frei, die im Zugang des Schiffs stand.
Es war Kira Nerys.
Auch wenn sich die Vedek äußerlich stark verändert hatte, seit Ro sie das letzte Mal gesehen hatte, erkannte der Captain sie sofort. Immerhin hatten sie zwei Jahre lang täglich auf der alten Deep Space Nine zusammen gedient, bis Kira die Sternenflotte verlassen und sich den bajoranischen Geistlichen angeschlossen hatte. Die Vedek trug nicht die üblichen Roben ihres Stands, sondern ein dunkelgrünes Hemd mit dazu passender Hose. Kleidung, die irgendwo zwischen zweckdienlicher Schiffskleidung und einer Uniform lag. Das Haar fiel ihr ein gutes Stück bis über die Schultern. Es war länger, als es der Captain je an ihr gesehen hatte. Die Vedek wirkte auch älter und schlanker.
Aber ich habe diese Haltung schon an ihr gesehen, dachte Ro. Ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Kira hatte ihre Zielstrebigkeit immer offen zur Schau gestellt. Tatsächlich hatte die Vedek mit ebendieser Entschlossenheit vor über zwei Jahren ein Runabout gekapert und war damit ins Wurmloch geflogen. Dort hatte sie dabei geholfen, die abtrünnige Besatzung eines romulanischen Warbirds zu besiegen und Captain Sisko und die Defiant zu retten. Als die große Subraumbrücke jedoch mit ihr noch darin kollabierte, hatte man sie für tot erklärt.
Aber ganz offensichtlich ist sie nicht tot, dachte Ro. Obwohl sie darauf wartete, dass Doktor Boudreaux seine medizinische Bestätigung gab, zweifelte der Captain nicht daran, dass Kira Nerys zurück war. Als Widerstandskämpferin, als Mitglied der bajoranischen Miliz und als Sternenflottenoffizier war die Vedek dem Tod mehr als einmal von der Schippe gesprungen. Ros Vertrauen ihre Identität betreffend hatte jedoch weniger mit Kiras Unverwüstlichkeit zu tun, sondern vielmehr mit der immer beeindruckenderen Serie von Ereignissen, die mit den Propheten in Verbindung standen.
Während Ro und Boudreaux auf das Schiff zugingen, trat Kira auf das Deck hinunter. Der Captain hatte das Bedürfnis, ihren ehemaligen befehlshabenden Offizier, der nach so langer Zeit plötzlich wieder unter ihnen weilte, zu umarmen. Aber bevor Ro etwas tun konnte, sagte Kira äußerst sachlich: »Captain, Doktor. Ich nehme an, Sie wollen eine DNA-Probe.« Ohne auf eine Antwort zu warten, streckte sie ihren Arm aus, die Hand geöffnet und die Handfläche nach oben gerichtet. »Sie sollten mein Blut auch auf morphogene Eigenschaften untersuchen.« Da sie fast zehn Jahre lang auf der alten DS9 gedient hatte, kannte Kira die Sicherheitsbestimmungen der Sternenflotte in- und auswendig.
»Danke«, sagte Ro. Sie nickte Boudreaux zu, der sofort ein Gerät aus dem Medikit an seiner Seite holte. Er nahm eine Hautprobe von Kiras ausgestreckter Hand und schob sie in den Trikorder. Dann nahm er ein anderes Gerät und hielt es an den Oberarm der Vedek, um eine Phiole mit Blut zu füllen. Boudreaux brauchte keine zwei Minuten, um Kiras Identität zu bestätigen.
»Danke, Doktor«, sagte die Vedek. Dann fragte sie Ro: »Wie lange war ich weg?«
»Über zwei Jahre.« Ro fragte sich, wie man im Himmlischen Tempel Zeit wahrnahm. »Das Wurmloch ist, kurz nachdem Sie hineingeflogen sind, zusammengebrochen. Man hat Sie für tot erklärt …« Der Captain unterbrach sich mitten im Satz. »Die Vedek-Versammlung hat Sie für vermisst erklärt und angenommen, Sie wären in der Obhut der Propheten.« So verzweifelt und unwahrscheinlich die offizielle Erklärung für Ro immer geklungen hatte, auf einmal ergab alles einen Sinn. »War das der Fall? Waren Sie die ganze Zeit im Wurmloch?«
Kira sah von Ro zum Arzt und wieder zurück. »Wir sollten uns unter vier Augen unterhalten, Captain.«
Ro sah Boudreaux an, der die Augenbrauen hob. Der Captain konnte nicht sagen, ob er amüsiert oder empört war. Sie musste nicht lange über die Bitte nachdenken, sie vertraute Kiras Urteil. »Pascal, gehen Sie zurück ins Sector General und melden Sie Commander Blackmer Ihre Ergebnisse. Wenn Vedek Kira und ich hier fertig sind, bringe ich sie für eine vollständige Untersuchung zu Ihnen.«
»Aye, Captain.« Bevor er ging, sprach der Arzt Kira direkt an. »Es ist schön, Sie wiederzusehen, Vedek.« Kira nickte schweigend und Boudreaux ging zur Hangartür.
Nachdem er gegangen war, deutete Ro auf das Schiff der Vedek. Der Captain hatte Fragen bezüglich dieses Schiffs – Haben es die Propheten selbst gebaut, und wenn nicht, woher stammt es? –, aber sie würde sich erst einmal zurückhalten. Ro spürte die Dringlichkeit, die von der Vedek ausging, und wie wichtig ihr ein vertrauliches Gespräch war. »Sind wir an Bord ungestört?«
Kira nickte erneut, dann führte sie den Captain die Stufen hinauf und in die Hauptkabine. Ros Meinung nach war sie ziemlich eng. Eine Reihe aus sechs Sesseln auf beiden Seiten des kleinen Abteils ließ wenig Bewegungsfreiraum. Ro sah zum Heck und entdeckte, dass eine große Transporterplattform und so etwas wie ein Frachtraum den Großteil des Innenraums einnahmen.
Ro setzte sich in einen der beiden vorderen Sessel vor der Hauptkonsole des Schiffs. Kira blieb stehen. »Gerne beantworte ich alle Ihre Fragen, Captain, aber ich muss erst ein paar Dinge wissen«, erklärte die Vedek. »Was können Sie mir über den Angriff der Aszendenten sagen und was ist mit Endalla passiert? Und was ist aus Taran’atar geworden?«
Die Fragen überraschten Ro. Hatte jemand Kira über alles, was in den vergangenen Monaten geschehen war, informiert? Hatte sie das alles irgendwie miterlebt? Diese Dinge waren während der Abwesenheit der Vedek geschehen … es sei denn … »Sind Sie im Wurmloch den Aszendenten begegnet? Haben Sie ihre Welt dort besucht?«
Die Vedek blinzelte. »Was?« Ihr war die Verwirrung über Ros Frage deutlich anzusehen. »Wollen Sie sagen, im Himmlischen Tempel gibt es … eine Welt der Aszendenten?« Kira wirkte beinahe, als hätte man sie geschlagen. Sie ließ sich schwer in den anderen Sessel vor der Kontrollkonsole fallen. Sie sah zur Seite, durch die vordere Sichtluke, aber Ro war überzeugt, dass sie auf der Suche nach Verständnis eigentlich in sich selbst blickte. Schließlich sah sie den Captain wieder an und beugte sich zu ihr. »Wovon reden Sie?«
Schweigend hörte Kira Ro zu, während diese rekapitulierte, was sich in den vergangenen zwei Monaten im bajoranischen System – und im Wurmloch – ereignet hatte. Die Vedek versuchte, die Implikationen dessen, was sie hörte, zu verarbeiten, was durch ihre eigenen turbulenten Erlebnisse noch erschwert wurde. Es war nur Augenblicke her – zumindest nach Kiras Verständnis –, dass sie im Gamma-Quadranten zusammen mit Taran’atar versucht hatte, einen Angriff der Aszendenten auf Idran IV abzuwehren. Sie hatten nicht nur die Eav’oq-Bevölkerung schützen wollen, sondern auch Kai Pralon während ihres Besuchs dort. Sie waren erfolgreich gewesen und im Anschluss war die Vedek Taran’atar gefolgt, der seinerseits die Flotte der Aszendenten durch das Wurmloch verfolgt hatte.
Aber als Kira den Himmlischen Tempel verlassen hatte, hatte sie vor sich keine Schiffe entdecken können. Stattdessen hatte sie eine gigantische Raumstation gesehen, an denselben Koordinaten, wo sich einst die alte cardassianische Erzverarbeitungsanlage befunden hatte, aus der schließlich Deep Space Nine geworden und die letzten Endes zerstört worden war. Obwohl Kira noch nie eine solche Station gesehen hatte, hatte sie in ihr die typische Sternenflotten-Bauweise erkannt. Eine vergrößerte Ansicht hatte ihr das verzerrte Emblem der Organisation gezeigt sowie die Worte VEREINIGTE FÖDERATION DER PLANETEN auf einem der vertikalen Ringe, die die Station umspannten. Die Vedek hatte sofort geschlussfolgert, dass die Propheten sie irgendwann während ihres Flugs durch den Himmlischen Tempel in der Zeit versetzt hatten, aus der Vergangenheit, als Bajor das erste Mal von den Aszendenten angegriffen worden war, zurück in ihre eigentliche Zeit.
Als der Captain die aktuelleren Ereignisse wiedergab, fühlte sich Kira überfordert. Von einem weiteren Angriff der Ohalavaru auf Endalla zu hören, ärgerte die Vedek, es verwirrte sie jedoch, von der Entdeckung zu erfahren, die man tief unter der Oberfläche des Mondes gemacht hatte, die sich nur als Gerüst beschreiben ließ. Die Rückkehr der Aszendenten überraschte sie nicht völlig – Raiq war immer überzeugt gewesen, dass ein paar ihres Volks die Feuersbrunst über Bajor irgendwie überlebt hatten. Aber ihre kollektive Metamorphose zu einer Verbindung aus Gestaltwandlern war überraschend. Kira wusste nicht, wie sie Taran’atars Anwesenheit unter ihnen bewerten sollte oder die Enthüllung, dass sie alle in den Himmlischen Tempel eingedrungen waren und dort die Form einer wandelbaren Welt angenommen hatten, allem Anschein nach, um dortzubleiben.
Die Vedek musste an ihre Zeit im Wurmloch denken. Dort war sie über die Oberfläche einer Welt gegangen und hatte vergangene Ereignisse miterlebt, die sich direkt vor ihren Augen abgespielt hatten. Mehr noch, sie hatte als eine andere Person gelebt, definitiv während Bajors längst vergessener Vergangenheit, und obwohl sie sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnerte, regte sich in ihr der Verdacht, das alles könnte nicht mehr als eine aufwendige Simulation in einer Umgebung gewesen sein, die ihre Form nach Belieben ändern konnte. Nachdem sie das im Stillen verarbeitet hatte, wusste sie, sie musste dem Captain alles berichten.
Die Vedek schwieg, nachdem Ro fertig war. Kira versuchte, ihre eigenen Erlebnisse mit dem in Einklang zu bringen, was ihr der Captain gerade offenbart hatte, und suchte im Ablauf der Ereignisse nach ihrer Bedeutung. Sie wollte den Willen der Propheten verstehen, aber ihr war auch klar, wie töricht allein der Versuch war. Trotzdem schienen die Umrisse des Bildes, das sich aus all diesen Teilen zusammenfügen ließ, zum Greifen nah zu sein.
»Also hatten Sie mit nichts davon etwas zu tun«, sagte Ro schließlich in die Stille zwischen ihnen. »Sie wussten nicht mal davon.« Das war eine Feststellung, keine Frage.
»Nein.«
»Warum haben Sie dann explizit nach diesen Ereignissen gefragt? Woher wussten Sie überhaupt davon?« Im Moment schien sie eher neugierig als misstrauisch, aber Kira wusste, das würde sich schnell ändern, sollte sie nicht absolut ehrlich zu Ro sein.
»Ich habe nicht nach dem gefragt, was Sie mir gerade berichtet haben«, stellte die Vedek richtig. »Ich habe nach dem Angriff der Aszendenten auf Bajor gefragt und nach Taran’atars Zündung von Iliana Ghemors isolytischer Subraumwaffe.«
»Aber das war vor acht Jahren … und Sie waren dabei. Sie haben das alles miterlebt.«
»Nicht alles«, widersprach Kira. »Ich habe damals nicht gesehen, was auf der anderen Seite des Wurmlochs geschehen ist, bevor die Aszendenten hindurchgeflogen sind.«
»Natürlich nicht«, stimmte der Captain zu. »Wie sollten Sie auch?«
»Weil ich dort war. Nachdem das Wurmloch zusammengebrochen war, habe ich im Inneren eine Art alternatives Leben gelebt – oder ich habe es mir eingebildet – und dann haben mich die Propheten tief in den Gamma-Quadranten geschickt … und in die Vergangenheit.«
Ro nickte langsam und Kira konnte sehen, wie sie die einzelnen Stücke zusammenfügte. »Während Sie also den Aszendenten als befehlshabender Offizier von Deep Space Nine gegenübergestanden haben, existierte auf der anderen Seite des Wurmlochs eine zukünftige Version von Ihnen?«
»Ja«, bestätigte Kira. »Und ich habe gedacht … ich habe gedacht, vielleicht könnte ich ändern, was passiert ist. Dass ich vielleicht die Wissenschaftler auf Endalla retten könnte und Taran’atar. Ich habe es versucht …« Kira beendete ihren Satz nicht. Das tat Ro für sie.
»Aber nach allem, was Sie getan haben, ist es genauso wie ursprünglich gekommen.«
»Ja.« Das zuzugeben schmerzte Kira. Ich habe gedacht, ich wäre die Hand der Propheten. Hatte sie sich ihre Begegnungen mit Ihnen nur eingebildet? Oder hatte sie Ihre Erwartungen an sie missverstanden?
Nein, keines von beidem, erkannte die Vedek. Die Propheten hatten mit ihr kommuniziert, Sie hatten gewollt, dass sie in Ihrem Namen handeln sollte. Sie hatte schlichtweg versagt.
»Es sei denn … es wäre ursprünglich gar nicht so passiert«, gab Ro zu bedenken. »Vielleicht wurde Bajor vor dem Eingreifen Ihres zukünftigen Selbst von den Aszendenten zerstört.«
Kira dachte über diese Möglichkeit nach. Soweit sie es verstand, waren temporale Theoretiker der Ansicht, bei Zeitreisen sei es normal – sofern man eine Reise durch die Zeit jemals als normal bezeichnen konnte –, dass sich solche nicht zu entschlüsselnden Diskontinuitäten häuften. In den bisherigen Begegnungen der Vedek mit den Propheten war ihr Wissen über geschichtliche Ereignisse jedoch erhalten geblieben. Als Akorem Laan – ein Poet, der vor der Vollendung eines seiner größten Werke verschwand – in seine eigene Zeit zurückkehrte und sein Werk beendete, erinnerte sich Kira nach wie vor an das unvollendete Gedicht. Die Vedek merkte das Ro gegenüber an.
»Dann haben die Propheten Sie vielleicht in die Vergangenheit geschickt, um genau das zu erreichen, was geschehen ist«, schlug der Captain vor.
»Die Zerstörung von Endallas Ökosystem und den Tod der Wissenschaftler dort? Das klingt nicht wie etwas, das die Propheten tun würden.«
»Aber wenn ohne Ihr Eingreifen Endalla und Bajor zerstört worden wären, ergibt es Sinn«, beharrte der Captain. »Und wenn die Propheten Sie dorthin gebracht haben, um diese Ereignisse zu beeinflussen, dann ist es nur vernünftig, davon auszugeben, dass Sie eine Auswirkung auf das hatten, was danach geschehen ist: die Verschmelzung der Aszendenten und Taran’atars zu einer gestaltwandelnden Verbindung, dass sie sich als Welt im Wurmloch niedergelassen haben und die Entdeckung von Endallas Gerüst.«
Bei dieser Vorstellung wurde Kira schwindelig. Hatten die Propheten sie mit der Absicht in die Vergangenheit des Gamma-Quadranten geschickt, dass sie dafür sorgte, dass Taran’atar mit der Even Odds durch das Wurmloch fliegen würde? Dass er das eigenartige fremde Schiff benutzte, um zu verhindern, dass die Aszendenten Bajors Bevölkerung auslöschten? Dass die Taten des Jem’Hadars dafür sorgen würden, dass er sich mit den fanatischen Fremden körperlich verband und eine Welt im Inneren des Himmlischen Tempels formte, allem Anschein nach mit dem Segen der Propheten?
Und bin ich innerhalb des Wurmlochs dort gelandet?, fragte sich Kira. Könnte sie auf dieser formbaren Welt gewesen sein, noch bevor sie entstanden war? Sie kannte die Erklärung des Abgesandten, dass die Propheten nicht linear in der Zeit existierten, und sie hatte mit eignen Augen Beweise dafür gesehen. Das würde bedeuten, sie hatte mit den Propheten an einem Ort interagiert, den es nicht geben würde, bis sie die Ereignisse in die Wege leitete, die überhaupt erst zur Entstehung dieses Orts führen würden.
»Vielleicht«, räumte sie schließlich ein und erkannte mit einem Mal, wie sehr sie wollte, dass Ros Erklärung der Wahrheit entsprach. Kira konnte sich nicht einreden, dass ihre Taten im Gamma-Quadranten den schrecklichen Schaden an Endalla oder den Tod der Wissenschaftler dort ungeschehen gemacht hatten, aber sie konnte erkennen, wie sie die späteren Ereignisse ausgelöst hatte, von denen Ro gesprochen hatte – Ereignisse, die man als bedeutsam bezeichnen konnte.
»Vielleicht«, sagte die Vedek erneut und hörte mehr Überzeugung in ihrer Stimme. Zum ersten Mal hatte Kira das Gefühl, sie wurde der Rolle gerecht, die ihr die Propheten auferlegt hatten, als Sie sie zu Ihrer Hand gemacht hatten.
Nog saß alleine an einem kleinen Tisch im hinteren Bereich des Replimat. Sein Abendessen – eigentlich nur eine Vorspeise aus Relotho-Larven – wartete unangetastet auf einem abgedeckten Teller am Rand des Tischs. Auf dem Tisch lagen einige Padds verteilt, von denen die meisten aktiviert waren. Er sah von einem zum anderen, betrachtete Bilder, las Texte, interpretierte Daten und versuchte, sich einen Plan zurechtzulegen, aber es fiel ihm schwer zu entscheiden, wo er überhaupt anfangen sollte.
»Guten Abend!« Nog hob den Blick und sah auf der gegenüberliegenden Seite des Tischs Lieutenant Commander John Candlewood, den leitenden Wissenschaftsoffizier von DS9. Er trug ein Tablett mit mehreren Tellern und einem hohen Glas mit Wasser oder einem anderen klaren Getränk. »Darf ich mich zu dir setzen?«
»Ähm«, sagte Nog, unsicher, wie er am besten ablehnen sollte. Während ihrer gemeinsamen Dienstjahre hatten er und Candlewood sich angefreundet. Kennengelernt hatten sie sich vor fast zehn Jahren, während der historischen dreimonatigen Forschungsmission der Defiant im Gamma-Quadranten. Obwohl Nog im Moment keine Gesellschaft wollte, wollte er auch nicht die Gefühle des Wissenschaftsoffiziers verletzen. »Tut mir leid, John, ich bin im Moment sehr beschäftigt und muss alleine sein.«
Candlewood nickte, dann beugte er sich vor und platzierte sein Tablett auf dem anderen Stuhl. »Wenn du wirklich alleine sein wolltest«, sagte er, während er mehrere Padds einsammelte, sie stapelte und zur Seite schob, »dann wärst du jetzt in deinem Quartier.« Nog wollte widersprechen, aber Candlewood nahm sein Tablett wieder auf und stellte es auf den nun freien Platz auf dem Tisch. Die Mahlzeit des Wissenschaftsoffiziers bestand aus einer Schüssel mit einer widerlich grünen Suppe, einem kleinen Teller mit Blattsalat und einem größeren, auf dem verschiedenfarbiges Gemüse und Käse lagen.
»John, hör mal.« Nog wollte seinen Freund noch immer bitten, ihn alleine zu lassen, aber Candlewood lehnte sich über den Tisch und warf einen Blick auf das oberste Padd auf dem Stapel, den er eben zusammengeräumt hatte. Nog folgte seinem Blick und erkannte darauf eine Landkarte.
»Willst du auf irgendeiner abgelegenen Welt auf Schatzsuche gehen?« Obwohl Nog bereits seit über zwölf Jahren in der Sternenflotte diente, neckten ihn viele seiner Freunde noch immer mit dem Streben der Ferengi nach Profit.
»Nein, keine Schatzsuche«, widersprach Nog ein wenig abweisender als gewollt. »Nein«, wiederholte er freundlicher. Er sah seinen Freund über den Tisch hinweg an und erkannte, dass er wirklich über das, was passiert war, reden wollte. Bis jetzt hatte er noch mit niemandem über seinen Erfolg, Vic Fontaines Programm in eine Holosuite zu laden, gesprochen. Nicht einmal mit Ulu Lani, der hübschen Bajoranerin, die für Quark als Kellnerin arbeitete und die seit Neuestem mit Nog flirtete.
Der leitende Operationsoffizier sah sich um, um sicherzugehen, dass niemand im Replimat auf ihn und Candlewood achtete, dann senkte er seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. Nog erzählte seinem Freund von Vics Matrix und den dramatischen, unerklärlichen Veränderungen daran. Darunter auch, dass der Loungesänger in einem heruntergekommenen Hotel wohnte, aus dem man ihn am vorigen Abend mit Waffengewalt verschleppt hatte.
»Darum geht es hierbei also?«, fragte Candlewood mit einer ausschweifenden Geste über das Sammelsurium aus Padds.
»Ja.«
»Was hast du vor?«
Nog zuckte mit den Schultern. »Ich werde das Einzige tun, was mir bleibt. Ich werde zurück in das Programm gehen und Vic retten.«
»Wovor retten?«
»Das ist es ja: Ich weiß es nicht.« Er seufzte frustriert. »Das versuche ich herauszufinden.«
»Warum reinitialisierst du das Programm nicht einfach?«, schlug Candlewood vor. Nog öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber der Wissenschaftsoffizier hob hastig die Hand, um ihm zuvorzukommen. »Warte, warte. Entschuldigung. Ich habe vergessen, dass Vic etwas ›Besonderes‹ ist.«
Nog hörte die Geringschätzung in der Stimme seines Freunds. Auf der alten DS9 hatte Candlewood Vics Lounge ein paarmal besucht. Obwohl er behauptete, dass es Spaß gemacht hatte, vertrat der Wissenschaftsoffizier auch die Ansicht, dass er es ein wenig seltsam fand, dass Nog eine Simulation aus Computercode und holografischem Licht als Freund bezeichnete.
»Vic ist etwas Besonderes«, beharrte Nog. »Und du weißt, wenn ich sein Hologramm zurücksetze, werden seine Erinnerungen vollständig gelöscht. Ich würde den Vic Fontaine, den ich kenne, praktisch umbringen.«
»Ja, das ist mir klar, es tut mir leid. Es ist nur … bevor du es geschafft hattest, seine Matrix neu zu laden, hattest du ihn seit der Zerstörung der alten Station nicht mehr gesehen. Das ist lange her. Wie viel würdest du wirklich verlieren?«
»Ich weiß, du findest das seltsam, aber Vic ist mein Freund. Seine Erinnerungen zu löschen wäre, als würde ich unsere Freundschaft löschen.«
»Na gut, na gut. Ich sollte mir darüber kein Urteil bilden.« Candlewood tauchte einen Löffel in seine Suppe und hob ihn an die Lippen. Nach ein paar Schlucken hielt er inne und fragte: »Hast du mir nicht mal erzählt, dass du Vic schon mal innerhalb des Programms retten musstest?«
»Das ist zwar lange her, aber ja, ein paar von uns haben Doktor Bashir dabei geholfen. Aber das war ein genau umrissenes Problem im Programmcode mit erkennbaren Parametern und einer eindeutigen Lösung.«
»Ein ›Schachtelmännchen‹.«
»Genau«, bestätigte Nog. »Und darum habe ich mich mit Felix Knightley, dem Mann, der Vics Code geschrieben hat, in Verbindung gesetzt, um herauszufinden, ob das eine weitere Überraschung ist, die er im Programm versteckt hat. Ich warte noch auf Antwort.« Nog schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, dass es so was ist, aber es fühlt sich anders an. Teilweise, weil Vic schon so lange im Simulationstester festsitzt.« Quark hatte den Loungesänger vor der Zerstörung der alten Deep Space Nine gerettet. Nogs Onkel hatte Vics Matrix in einem Testgerät installiert, aber bis vor Kurzem hatte es Probleme gegeben, den Sänger in eine Holosuite hochzuladen.
»Glaubst du, dass Vic auf sein Programm beschränkt ist, könnte der Grund sein?« Candlewood legte den Löffel weg, nahm sich eine Gabel und stocherte in seinem Salat herum.
»Vielleicht, aber ich weiß es nicht«, erklärte Nog. »Das ist im Moment mein größtes Problem: Ich habe keine Ahnung, was los ist. Ich weiß nur, dass man Vic entführt hat. Ich weiß nicht, wer, wo man ihn festhält oder warum, was darauf hinausläuft, dass ich nicht weiß, wie ich ihn finden und befreien soll, ohne ihn zu gefährden.«
»Ich hasse es, das zu fragen«, sagte Candlewood, während er ein Radieschen aufspießte, »aber woher willst du wissen, ob Vic nach seiner Entführung noch am Leben ist?«
»Weil ich mir ziemlich sicher bin, wäre er nicht mehr am Leben, würde das Programm entweder mit einem neuen Hauptcharakter von vorne starten oder sich abschalten. In beiden Fällen wäre Vics Holomatrix unwiderruflich gelöscht.«
Candlewood dachte anscheinend darüber nach. Während der Wissenschaftsoffizier weiteraß, sah Nog zu seinem abgedeckten Teller mit den Relotho-Larven. Er dachte darüber nach zu essen, aber ihm fehlte der Appetit. Seit er mit angesehen hatte, wie die drei bewaffneten Schurken Vic aus dem Hotel verschleppt hatten, war Nog übel.
»Also, wie kann ich helfen?«, fragte Candlewood.
»Was? Ich dachte, du magst Vic nicht.«
»Es ist nicht so, dass ich ihn nicht mag. Es ist nur … nun, er ist ein Hologramm. Aber du bist mein Freund und ganz offensichtlich verzweifelt, also möchte ich helfen, so gut ich kann.«
»Danke.« Nog war für das Angebot dankbar. Candlewood diente an Bord der Station als leitender Wissenschaftsoffizier, aber seine Sternenflottenkarriere hatte er als Computerspezialist begonnen. Nog kannte sich mit isolinearen Kernen aus, aber er wusste auch, Candlewood wäre eine unschätzbare Hilfe. »Nachdem ich etwas von Knightley gehört habe, können wir darüber nachdenken, wie wir weitermachen sollen.«
»Oder vielleicht müssen wir gar nicht so lange warten«, entgegnete Candlewood. »Vielleicht können wir in Vics Programm gehen und nach Hinweisen suchen, was mit ihm passiert ist.«
»Das würdest du tun?«
Candlewood legte die Gabel auf seinen Teller und stand auf. »Gehen wir.«
Nog brauchte keine zweite Einladung.
Odo wartete geduldig, während die Ärztin ihren Scanner über seine imitierte bajoranische Gestalt führte. Er lag in der ansonsten leeren Krankenstation des Newton-Außenpostens auf einer Diagnoseliege und versuchte stillzuhalten. Normalerweise vermied er solche Untersuchungen. Die Nichtformwandler, mit denen er gelebt hatte – zuerst die Cardassianer und dann die Bajoraner –, hatten ihn immer untersuchen wollen, um mehr über seine Eigenschaften zu erfahren. Als er mit Sternenflottenpersonal zusammen gedient hatte, hatte die Weltraumorganisation der VFP auf regelmäßigen medizinischen Untersuchungen als Teil ihres Vorsorgeprogramms bestanden. Gelegentlich hatte Odo nachgegeben – Captain Sisko war recht überzeugend gewesen –, aber meistens hatte der Formwandler Einwände erhoben, um seine Würde und Privatsphäre zu wahren.
Seit ihm Doktor Girani gesagt hatte, dass die Situation mit der seltsamen, neuen gestaltwandelnden Lebensform friedlich und ohne weitere Opfer beigelegt worden war, hatte Odo nicht mehr den Drang, den Newton-Außenposten so schnell wie möglich zu verlassen. Gleichzeitig stärkte es seine Entscheidung, dass es Zeit für ihn war, zu seinem Volk zurückzukehren. Er wusste nicht, was ihn im Dominion erwarten würde – wie viele Gründer zurückgekommen waren, wie es den Vorta und den Jem’Hadar während seiner Abwesenheit ergangen war und was zum Beispiel aus Laas, Weyoun und Rotan’talag geworden war –, aber er wollte es erfahren.
Odo verspürte den Drang, sich zu bewegen – wenn er schon seine Struktur nicht verändern konnte, dann wollte er zumindest aufstehen und im Raum umhergehen. Aber er hielt sich zurück, genauso wenig protestierte er gegen Girani Semnas fortgesetzte Untersuchung. Die bajoranische Ärztin hatte ihn nach seiner beinahe tödlichen Begegnung mit der Aszendenten-Verbindung nicht nur wieder gesund gepflegt, sie hatte dafür einiges auf sich genommen. Sie war von ihrer Heimat Bajor den ganzen Weg zum Newton-Außenposten gekommen, damit sie sich seines in Mitleidenschaft gezogenen mentalen und körperlichen Zustands annehmen konnte. Es war möglich, dass er ihr sein Leben verdankte, und seiner Meinung nach wäre es ungerecht, wenn er ihr jetzt untersagen würde, ihre Fürsorge zu einem Abschluss zu bringen.
Noch wichtiger war, dass Odo das Gefühl hatte, eine Untersuchung zu benötigen. Seit seiner Infektion mit dem morphogenen Virus während des Dominion-Kriegs hatte es nicht mehr solche Zweifel an seinem körperlichen Wohlbefinden gegeben. Sein explosiver Kontakt mit der Aszendenten-Verbindung hatte ihn in das Formwandler-Äquivalent eines Komas versetzt, ohne Bewusstsein oder Sinneswahrnehmungen. Wochen später war er wieder zu sich gekommen, nur um festzustellen, dass er sich in einem amorphen Zustand befand und seine Form nicht verändern konnte. Er spürte Giranis Versuche, ihm bei der Heilung zu helfen, und mit ihrer Unterstützung erlangte er nach einiger Zeit schließlich seine Formwandelfähigkeiten zurück.
Odo fing an, auf dem Biobett herumzuzappeln, und bemühte sich stillzuhalten. »Schon in Ordnung«, sagte die Ärztin mit einer sanften Berührung an seiner Schulter. Das Summen des Scanners verstummte und sie befestigte das Gerät an ihrem Trikorder. »Ich kann nichts finden, was darauf hindeutet, dass Sie sich in akuter medizinischer Gefahr befinden.« Sie sah auf die diagnostische Anzeige über Odos Kopf. »Aber Ihr Metabolismus macht mir noch etwas Sorgen.«
»Ich bin müde«, gab Odo zu, »aber abgesehen davon geht es mir gut.«
»Ich glaube nicht, dass wir uns deswegen Sorgen machen müssen«, stimmte Girani zu. Odo schob sich von der Liege und die Ärztin trat zurück, damit er die Beine herunternehmen und sich aufsetzen konnte. »Nach dem, was Sie durchgemacht haben, ist das nicht verwunderlich. Es dauert vermutlich noch ein paar Tage, bis Sie wieder bei Kräften sind. Bis dahin würde ich an Ihrer Stelle nicht zu viel Zeit mit Formwandeln verbringen. Vermutlich wird es Sie sogar ermüden, wenn Sie dieselbe Form zu lange halten.«
»Ich verstehe. Ich vermute, dass Sie der Sternenflotte bereits dasselbe mitgeteilt haben.«
»Das habe ich«, bestätigte Girani, ohne zu zögern. Während ihrer gemeinsamen Dienstzeit auf der alten Deep Space Nine hatte Odo ihre direkte Art immer zu schätzen gewusst. »Das hier ist ihre Einrichtung, zumindest zum Teil, und obwohl ich nicht zur Sternenflotte gehöre, arbeite ich im Moment in ihrem Auftrag.«
Odo schnaubte. »Ich habe heute Morgen aus Höflichkeit Admiral Herthums Büro darüber informiert, dass ich den Newton-Außenposten verlasse und ins Dominion zurückkehre, sobald Sie mir die medizinische Freigabe dazu erteilen.« Odo erwähnte nicht, dass er sich ebenso aus Höflichkeit an ihre Empfehlung hielt.
»Ich habe kein Problem damit, dass Sie den Außenposten verlassen. Es sei denn, Sie wollen sich in ein im Weltraum lebensfähiges Lebewesen verwandeln, um eine beachtliche Strecke zurückzulegen.«
»Das ist genau, was ich vorhatte. Allerdings hat mir die Einsatzplanung der Sternenflotte, basierend auf Ihrem Bericht, einen Flug an Bord eines Shuttles nach Deep Space Nine … angeboten … und dass mich von dort aus ein Raumschiff durch das Wurmloch und ins Dominion bringt. Mit Rücksicht auf Ihren medizinischen Rat habe ich zugestimmt.«
»Freut mich zu hören, Odo. Ich möchte ja nicht, dass all meine Mühen umsonst waren.«
Odo grummelte erneut, was Girani zum Lächeln brachte. Sie schob den Trikorder in ein Aufbewahrungsfach an der Seite des Biobetts. Als sie sich wieder aufrichtete, sagte sie: »Ich stelle die Formulare aus, dass Sie die Krankenstation verlassen dürfen. Ich rede mit Doktor Norsa und Commander Selten, damit man Ihnen ein Quartier zuweist, bis das Shuttle abflugbereit ist.«
»Danke, Doktor.«
Girani lächelte erneut und ging zur Tür. Bevor sie sie erreichte, verließ Odo die Liege und sprach sie noch einmal an. Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um, während die Tür zur Seite glitt. »Ja?«
»Danke, Doktor«, wiederholte er, aber bedeutungsschwerer als zuvor. »Ich …« Er wollte ihr sagen, dass er nicht wusste, ob er ohne ihre Hilfe überlebt hätte, aber sein Anstand hielt ihn davon ab, weil er befürchtete, rührselig zu klingen. Stattdessen beschränkte er sich auf ein »Danke.«
»Nichts zu danken.« Bevor der Moment kitschig werden konnte, drehte sie sich wieder um und ging hinaus. Die Tür schloss sich und ließ Odo alleine mit seinen Gedanken zurück.
»Ich traue meinen Ohren nicht!«, sagte Quark, wobei er an die Seiten seines Kopfs deutete. »Und wenn ein Ferengi so was sagt, dann will das was heißen.« Er saß in seinem Büro und schlug mit den flachen Händen hart auf die Kommunikationskonsole, die ihm auch als Schreibtisch diente. Er zog in Erwägung, die Verbindung zu unterbrechen – nicht nur die Kommunikationsverbindung, sondern auch die Geschäftsbeziehung, die er über fast vier Monate mit Mayereen Viray aufgebaut hatte. Er sah auf seine Hände, die so nah an der Schaltfläche lagen, mit der er das Bild der Privatermittlerin von seinem Bildschirm verbannen konnte, aber er wartete einen Herzschlag lang, um sich zu beruhigen. Im Stillen rezitierte er die einhunderterste Erwerbsregel – »Profit ist wichtiger als Gefühle« –, dann dachte er über die Lüge nach, die er sich seit fast einem Jahr selbst einredete, als er das erste Mal einen Ermittler angeheuert hatte, um nach Morn zu suchen. Während Morns langer Jahre als Stammkunde im Quark’s hatte der Barkeeper oft gescherzt, dass er die Begleichung des monatlichen Deckels des Lurianers als langfristigen Kredit betrachtete. Das hatte der Ferengi nun als Rechtfertigung benutzt, um jemanden dafür zu bezahlen, seinen Freund aufzuspüren.
»Ich mache, wofür Sie mich angeheuert haben.« Die Petarianerin hatte eine breite, flache Nase, dunkle Augen und ihre Haut wies einen warmen, goldfarbenen Schimmer auf. »Wenn Sie unsere Vereinbarung beenden wollen, müssen Sie das nur sagen.«
»Ich will, dass Sie Morn endlich finden«, entgegnete Quark. »Sie sind auf meine Kosten schon durch den gesamten Quadranten geflogen – nach Micsim IV, Ardana, Janus VI – und jetzt wollen Sie noch mehr Geld, damit Sie zu einem Planeten fliegen können, dessen Namen Sie mir nicht sagen wollen?«
»Es ist nicht so, dass ich Ihnen nicht sagen will, wie der Planet heißt«, stellte Viray klar. »Ich kann nicht – zumindest noch nicht. Es könnte eine von mehreren Welten sein und ich brauche das Geld nicht nur für den Flug, sondern auch, um die benötigten Informationen zu bekommen.«
»Was heißen soll, Sie brauchen Latinum, um jemandem am Geopolis-Raumhafen zu bestechen, damit der Ihnen sagt, wo Morn hingeflogen ist.« Den Verwendungszweck für das Geld konnte Quark sich denken, aber es störte ihn, dass er immer wieder für Virays Ausgaben aufkommen musste. Er hatte versucht, sie für einen Festpreis anzuheuern, aber das hatte sie abgelehnt, daher musste er für ihre Zeit wie auch ihre Spesen aufkommen.
»Sie wissen, dass ich mich weigere, über meine Arbeitsmethoden zu diskutieren. Meinen Nachforschungen zufolge ist die Zielperson auf dem Weg nach Mericor, Portas oder Delta Leonis. Ich muss feststellen, welcher Planet sein Ziel ist, und mir so schnell wie möglich eine Reisemöglichkeit sichern, bevor die Spur kalt wird.«
Quark schüttelte den Kopf. »Das habe ich schon mal gehört. Ich habe Ihnen schon mehr gezahlt, als ich je erwartet hätte. Irgendwann kann alles, was wie eine gerechtfertigte Investition aussieht, ins Gegenteil umschlagen.«
»Ich verstehe. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Wenn Sie wollen, können wir unsere Geschäftsbeziehung mit sofortiger Wirkung beenden.«
Quark zögerte. Er wollte seinen alten Freund finden, und wenn er sich die Wahrheit eingestand, wollte er ihn nicht nur als zuverlässigen Kunden zurück, er wollte sichergehen, dass es Morn gut ging und dass der Lurianer die Trauer und Schuldgefühle, die ihn nach der Zerstörung der alten Deep Space Nine geplagt hatten, verarbeitet hatte. Aber Quark hatte Mayereen Viray bereits ein kleines Vermögen gezahlt, hauptsächlich, weil sie die besten Empfehlungen hatte, aber auch, weil die billigen Ermittler, die er davor angestellt hatte, eine alte Weisheit der Menschen bestätigt hatten: Qualität hat ihren Preis.
Vergiss irdische Sprichwörter, ermahnte er sich. Wenn ich mich an die Erwerbsregeln halte, bin ich besser dran. Enttäuscht musste er feststellen, dass er auf der falschen Seite von Nummer neunzehn stand: »Zufriedenheit wird nicht garantiert.«
Quark dachte darüber nach, Viray zu entlassen, aber bevor er ihr das mitteilen konnte, sagte sie: »Ich komme nicht nur langsam näher, ich bin schon ganz nah dran.«
Quark ließ den Blick durch sein Büro schweifen, als könnte er irgendwo um ihn herum die Antwort finden. Die Reihen stummer, aber eingeschalteter Bildschirme am Schott zeigten Szenen, die ihm und seinen leistungsstarken Sammelprogrammen Informationen aus dem gesamten Quadranten lieferten. Aber er beachtete keinen davon. Stattdessen dachte er darüber nach, wie sehr er sich wünschte, was ihm die Ermittlerin sagte, wäre wahr. Gleichzeitig jedoch machten ihn genau diese Worte argwöhnisch, dass er nicht zu viel hineininterpretieren sollte. Aber er musste etwas tun – entweder weiter mit Viray zusammenarbeiten oder sie entlassen und etwas anderes versuchen.
»Na gut. Warten Sie.« Quark schaltete die Komm-Verbindung stumm und holte aus dem Regal hinter ihm ein Padd. Er griff auf die aktuellen Zinswerte der ferengischen Zentralbank zu, dann verglich er sie mit Mikrozinsaufrechnungen der Bank von Luria. Nachdem er den projizierten Stand seines Guthabens berechnet hatte, stellte er über eine gesicherte Verbindung Kontakt zum lurianischen Handelsnetz her und bestätigte mit einem erleichterten Seufzen die Summe. Da beide Summen übereinstimmten, markierte Quark einen Teil seines Guthabens für einen Transfer auf Mayereen Virays Konto und gab ihn frei.
Seine Ohren waren ganz heiß, aber er hatte sich entschieden, zumindest vorläufig. Er legte sein Padd weg und öffnete die Verbindung zu Viray wieder. »Das Geld ist unterwegs.«
»Ich werde es sofort abrufen. Ich glaube, Sie werden es nicht bereuen.«
»Wenn ich daran denke, wie viel Latinum ich ausgegeben habe, bereue ich es jetzt schon. Ich hoffe nur, Sie finden Morn bald.«
»Sie sollten darauf vorbereitet sein, dass das Aufspüren der Zielperson vielleicht noch den leichten Teil Ihrer Bemühungen darstellt.«
»Was soll das heißen?«
»Es soll heißen, dass ich die Bewegungen der Zielperson während der vergangenen anderthalb Jahre durch den Quadranten, rein und raus aus dem Raum der Föderation, nachverfolgt habe«, erklärte die Ermittlerin. »Er hat vorsichtig Informationen über ein paar fragwürdige Personen eingeholt. Es scheint offensichtlich, dass er irgendein rechtsfreies, möglicherweise verachtenswertes Vorhaben verfolgt.«
»Ich vertraue darauf, dass Sie nichts von dem weitergeben, was Sie während Ihrer Tätigkeit für mich erfahren haben.« Augenblicklich verfluchte er sich für den Gedanken. Vertrauen, besagte die neunundneunzigste Erwerbsregel, ist die größte aller Verpflichtungen. Dennoch beruhigte ihn Virays Antwort.
»So wie die Beachtung von Einzelheiten ist auch Diskretion ein Eckpfeiler meiner Geschäftspraktiken.« Sie zögerte, dann sagte sie noch: »Aber wenn ich die Zielperson aufgespürt habe und Sie darauf hoffen, ihn ins bajoranische System zurückzubringen, sich mit ihm an einem anderen Ort zu treffen oder einfach nur Kontakt zu ihm aufzunehmen, besteht die Möglichkeit, dass das sehr viel schwieriger wird, als Sie erwarten.«
»Woran machen Sie diese Annahme fest?«
»Ich betrachte es als Konsequenz seines Handelns. Die Zielperson scheint nicht zu wissen, dass man sie verfolgt. Und trotzdem verhält er sich, als wollte er vermeiden, Spuren zu hinterlassen. Sie wollen ihn finden, aber er will nicht gefunden werden.«
»Ich werde daran denken«, versprach Quark, auch wenn er nicht die Absicht hatte, sich daran zu halten. Er hatte Viray wegen ihrer investigativen Fähigkeiten angeheuert, nicht wegen ihrer Ansichten. »Sobald Sie den Planeten ermittelt haben …«
Ein schrilles Kreischen aus der Kommunikationsanlage schnitt Quark das Wort ab. Virays Blick zuckte zur Seite und offensichtlich sah sie etwas Erschreckendes in der Unterkunft, die sie sich irgendwo auf Janus VI gesucht hatte. Einen Sekundenbruchteil später wurde es dunkel im Zimmer. Kurz sah Viray wieder zur Kommunikationsanlage, der Bildschirm beleuchtete ihre grimmige Miene. Hastig drückte sie auf einen Schalter und saß im Dunkeln. Quark konnte nur ihre vagen Umrisse erkennen, als sie aufstand und sich vom Bildschirm entfernte. Aus der Richtung, in die sie gesehen hatte, tauchte ein weiterer Schemen auf. In der Dunkelheit des Zimmers kaum auszumachen, näherte sich der Eindringling der Privatermittlerin.
Quark sah auf seine Anzeigen. Viray hatte ihren Bildschirm abgeschaltet, aber der Kanal war noch offen. Sie will, dass ich sehe, was passiert. Sie will, dass ich zusehe, aber der Eindringling soll nicht wissen, dass es einen Zeugen gibt.
»Wer sind Sie?«, fragte sie laut. Quark hörte eine Antwort, aber der Sprecher war zu weit von der Kommunikationsanlage entfernt, sodass er nicht einmal mit seinen empfindlichen Ohren etwas verstehen konnte.
Viray wich weiter zurück, bis sie außer Sicht verschwand. Plötzlich sprang der Eindringling sie an. Quark wartete und dann erschien ein weiter Eindringling. Er ging vor dem Bildschirm vorbei und war schon wieder verschwunden. Quark hörte unverständliche Stimmen und so etwas wie einen Kampf. Dann tauchten die beiden Eindringlinge mit der Privatermittlerin zwischen ihnen wieder auf. Sie schleppten sie in die Richtung, aus der sie gekommen waren, dann aber sahen sie zum Bildschirm.
Quark erstarrte. Er wusste, man konnte ihn nicht sehen, aber dass die Eindringlinge zum Bildschirm sahen, beunruhigte ihn. Als die zweite Gestalt zu Virays Kommunikationsanlage stürzte, zuckte Quark zusammen. Panisch griff er nach seinen eigenen Kontrollen und suchte hektisch nach der richtigen Schaltfläche. Endlich schaffte er es, die Subraumverbindung zu unterbrechen.
Ein paar Augenblicke lang saß Quark reglos da und starrte den leeren Schirm an. Er wusste nicht, was er von dem, was er gerade mit angesehen hatte, halten sollte. Und noch weniger, was er deswegen unternehmen sollte, wenn überhaupt etwas. Für ihn schien es gar nicht so unwahrscheinlich, dass sich Viray in ihrer Tätigkeit als Ermittlerin Feinde gemacht haben könnte. Quark hatte kein Interesse daran, in irgendetwas hineingezogen zu werden, aber er schlussfolgerte auch, dass seine Suche nach Morn auf unerwartete Weise unterbrochen worden war.
Während er nach seinem Padd griff, spürte er, wie seine Ohren zu glühen anfingen. Erneut griff er auf die Bank von Luria zu, obwohl er wusste, dass es zu spät war, seine Zahlung an Viray rückgängig zu machen. Als er seinen Kontostand überprüfte, stellte er fest, dass der Transfer bereits abgeschlossen war.
Geistesabwesend griff Quark über seine Kommunikationskonsole und berührte eine Schaltfläche. Die Tür zu seinem Büro und die innere, schalldichte Tür glitten auf. Ein Wirrwarr aus Geräuschen prasselte auf ihn ein: die Stimmen von Kunden und Angestellten, das Klirren von Gläsern, das Zirpen und Zwitschern des Dom-Jot-Tischs und das Beste von allem, das wirbelnde Brummen des Dabo-Rads.
»Kurzschluss des Doppellaufs«, sagte Orcam, der Dabo-Junge am Tisch. Quark schloss die Augen und lauschte, wie das Rad langsamer wurde. Obwohl die Glücksspieleinnahmen seit Eröffnung der Raumstation seine Erwartungen übertroffen hatten, wappnete er sich für den unausweichlichen Ruf »Dabo!« und einen Jubelschrei der Menge. Er hatte die bittere Erfahrung gemacht, wenn einem das Latinum durch die Finger glitt, dann immer in Massen.
Aber als das Piepen des Rads langsamer wurde und schließlich verstummte, rief Orcam: »Einunddreißig Gork. Keine Gewinner.« Ein paar Kunden ächzten, andere aber riefen aufgeregt ihre nächsten Wetten: »Verbindung plus«, »Bastion durch« und Quarks Liebling »Verdreifachen«.
Es klang nach einer weiteren guten Nacht für das Haus. Quark gestattete sich ein leichtes Lächeln, wobei seine schrägen, scharfen Zähne angenehm gegen seine Lippen drückten. Aber als er aufstand und in seine anhaltend profitable Bar, Café, Spielhalle, Holosuite-Salon und Ferengi-Botschaft ging, konnte er nur an die Tatsache denken, dass Morn nie hier gewesen war.
Kira stand von dem Bett auf, auf dem sie während Doktor Boudreaux’ Untersuchung gelegen hatte. Die Energie und die Gefühle, die die Vedek während der vergangenen Stunden erfüllt hatten, hatten sie verlassen und jetzt fühlte sie sich völlig ausgelaugt. Mehr als alles andere wollte sie schlafen, aber sie wusste, Captain Ro hatte vermutlich noch immer viele Fragen an sie.
Sie unterdrückte den Drang, sich auf den Rand des Betts zu setzen – von wo aus es ein Einfaches wäre, den Kopf wieder auf das verlockend weiche Kissen sinken zu lassen –, und ging stattdessen zur Schlafzimmertür, wo der Captain wartete. Ro hatte angeboten, sie während Boudreaux’ Untersuchung alleine zu lassen, aber das hatte die Vedek abgelehnt. Sie spürte kein Verlangen nach dieser Art Privatsphäre. Andererseits war sie dankbar dafür, dass der Captain ihrer Bitte entsprochen hatte, nicht auf der Krankenstation untersucht zu werden – im Krankenhaus, wie es Ro genannt hatte. Vorläufig wollte Kira ihre Rückkehr vertraulich behandeln, bis sie persönlich mit ihren Freunden und Kollegen auf Deep Space Nine und Bajor Verbindung aufnehmen konnte. Ro hatte sich bereit erklärt, die Vedek direkt aus dem Beiboot der Even Odds in ein Gästequartier zu beamen.
»Ich weiß Ihre Geduld zu schätzen«, sagte der Captain, als Kira sie erreichte.
»Keineswegs. Ich erinnere mich noch an die lange Liste von Vorgehensweisen, die mir die Sternenflotte aufgezwungen hat, nachdem ich von Captain Sisko das Kommando übernommen habe. Damals habe ich mich gefragt, wie sie es bei den ganzen Vorschriften, Abläufen und Berichten jemals geschafft haben, sich über Andor und Vulkan auszudehnen.«
Ro kicherte. »Ich glaube, mittlerweile ist es noch schlimmer geworden.«
Auf der anderen Seite des Zimmers packte Doktor Boudreaux den auf dem Bett aufgebauten tragbaren Scanner zusammen und brachte ihn zu einem kleinen, quadratischen Tisch in der Ecke. »Ich brauche ein paar Minuten, um mir die Ergebnisse anzusehen.«
»Verstanden«, sagte Ro.
Während die beiden Frauen auf den Arzt warteten, sah sich Kira in dem Standardgästequartier um, das man ihr zugewiesen hatte. Es schien nicht größer als die auf der alten Station zu sein, trotzdem hatte man das Gefühl, es wäre eine Verbesserung. Den düsteren, scharfkantigen, fast schon reptilienhaften Charakter der alten DS9 hatte man durch eine hellere, weichere Umgebung ersetzt. Kira bezweifelte, dass diese Einschätzung irgendeiner übrig gebliebenen tief sitzenden Antipathie gegenüber den Cardassianern entstammte, sondern war rein objektiv. Auf der neuen Raumstation, zumindest in ihrem Gästequartier, musste sie nicht an jeder Tür über eine Schwelle steigen und bekam nicht das Gefühl, in den dunklen Ecken würde sich etwas regen, und es fehlte auch dieses anhaltende unangenehme Gefühl.
Nachdem Boudreaux mit seiner Arbeit an dem tragbaren Scanner und seiner anderen Ausrüstung fertig war, kam er zu ihnen. »Soweit ich das beurteilen kann, Vedek, sind Sie kerngesund. Ich habe Werte, die auf kürzlich zurückliegenden Stress hindeuten, und Sie zeigen Anzeichen geistiger und körperlicher Erschöpfung, aber das ist nichts, was eine Nacht ungestörten Schlafs nicht wieder hinbekommt.«
»Das hätte ich ihnen auch vorher sagen können«, erklärte Kira mit einem müden Lächeln.
»Ich warte noch darauf, dass das Labor einige tiefer gehende Tests beendet, aber dabei geht es nur um langfristige Gesundheitsprognosen«, fuhr Boudreaux fort. »Basierend auf dem, was ich bisher gesehen habe, rechne ich nicht damit, dass sich bei diesen Analysen irgendwelche Probleme zeigen werden. Sie sind in guter körperlicher Verfassung und Ihr künstliches Herz arbeitet einwandfrei. Ich habe nicht die geringsten Bedenken, was Ihren aktuellen Gesundheitszustand angeht.«
»Was ist mit Anzeichen für Zeitreisen?«, fragte Ro. Der Captain musste Boudreaux über Kiras Reise in die Vergangenheit informiert haben, da ihn die Frage nicht im Geringsten zu überraschen schien und weil er offensichtlich die notwendigen Tests gemacht hatte.
»Ich konnte keine chronometrische Strahlung feststellen. Normalerweise würde das darauf hinweisen, dass eine Person nicht durch die Zeit gereist ist, aber wir haben Belege, dass das nicht unbedingt der Fall sein muss, wenn das Wurmloch dabei eine Rolle spielt.« Kira nahm an, dass er sich auf einen Vorfall bezog, den Ro erwähnt hatte, bei dem ein Besucher aus dem Wurmloch gekommen war, der allem Anschein nach aus Bajors Vergangenheit stammte, genau wie Akorem Laan vor fünfzehn Jahren. »Kann sein, dass die Eigenschaften des Wurmlochs – die beachtliche Neutrinoaktivität und die Protonenwerte, die Subraumverzerrungen, die asymmetrischen Wellenintensitäten – die Reste der Chronitonen schwächen oder überdecken.«
»Oder es könnte sein, dass eine Zeitreise mit dem Wurmloch auf eine Weise bewerkstelligt wird, mit der Chronitonen nicht das Geringste zu tun haben«, wandte Ro ein.
»Möglicherweise. Am besten unterhalten Sie sich über so was mit Commander Candlewood. Ich habe schon genug Schwierigkeiten herauszufinden, wie ich es in einem Stück vom Morgen zum Abend schaffe.«
Ro lächelte. »Danke, Pascal.«
»Noch was«, sagte Boudreaux. »Ich habe Vedek Kiras körperliches Alter mit ihrem chronologischen verglichen. Sie stimmen mehr oder minder überein. Während der achtundzwanzig Monate seit ihrem Verschwinden hat sie ungefähr dieselbe Zeit gelebt.«
»Verstanden«, sagte Ro. Kira verstand die Andeutung ebenfalls: Die Tatsache, dass ihr körperliches Alter seit ihrem Verschwinden im Wurmloch mit derselben Geschwindigkeit vorangeschritten war wie der Kalender, stellte keinen unabhängigen Beweis für ihre Zeitreise dar. Hätte sie während dieses Zeitraums nur ein Jahr gelebt oder fünf, hätte dieser Unterschied ihre temporale Verschiebung bekräftigt.
Boudreaux ging zum Tisch in der Ecke zurück, sammelte seine medizinische Ausrüstung ein und verließ das Schlafzimmer in Richtung Wohnraum. Ro folgte ihm, genau wie Kira. Ihre Sorge über das eben Gehörte wurde immer größer. Nachdem der Arzt gegangen war, sprach sie die Angelegenheit an.
»Captain.« Sie achtete darauf, auf keinen Fall vorwurfsvoll zu klingen. »Zweifeln Sie an meinem Bericht, dass ich mithilfe des Wurmlochs durch die Zeit gereist bin?«