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Seit der Niederlage im Krieg um den Alpha-Quadranten hat die Große Verbindung - die lebende Gesamtheit der gestaltwandlerischen Gründer - mit Fragen gekämpft. Im Augenblick der größten Zweifel ist ihr Schicksal und das des Dominion selbst mit Odos Untersuchungen nach den wahren Beweggründen seines Volkes verbunden, hunderte von jungen Wechselbälgern in die Galaxis hinauszuschicken. Während Odo nach Antworten sucht und seine vergangenen Entscheidungen betrachtet, erreicht Taran'atar auf seiner eigenen Suche nach Klarheit einen Wendepunkt ... einen, von dem es vielleicht kein Zurück mehr gibt.
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Seitenzahl: 285
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FALL DER GÖTTER
DAVID R. GEORGE III
Based onStar Trekcreated by Gene RoddenberryandStar Trek: Deep Space Ninecreated by Rick Berman and Michael Piller
Ins Deutsche übertragen vonChristian Humberg
Die deutsche Ausgabe von
DIE WELTEN VON STAR TREK – DEEP SPACE NINE: DAS DOMINION – FALL DER GÖTTERwird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Christian Humberg;verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust und Gisela Schell;Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Martin Frei;Print-Ausgabe gedruckt von CPI Morvia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.
Diese Geschichte ist Teil der Originalausgabe:
WORLDS OF STAR TREK: DEEP SPACE NINE Vol. 3 (FERENGINAR & DOMINION)
German translation copyright © 2013 by Amigo Grafik GbR.
Original English language edition copyright © 2005 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
™ & © 2013 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are marks of CBS Studios Inc.All rights reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
Print ISBN 978-3-86425-142-9 (Februar 2013) · E-Book ISBN 978-3-86425-143-6 (Februar 2013)
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Für David R. George und John M. Walenista, zwei herausragende Männer, die mich weit mehr lehrten, als sie selbst wussten, und die mir Freuden schenkten, die mir ewig in Erinnerung bleiben werden.
Der Großteil dieser Geschichte spielt im Dezember 2376 (Alter Kalender). Sie endet etwa dreizehn Wochen nach dem Finale des STAR TREK – DEEP SPACE NINE-Romans »Einheit«.
Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: »Ich suche Gott! Ich suche Gott!«
– Friedrich Nietzsche,»Der tolle Mensch«, Aphorismus 125, Buch III
Sollen wir denn alt werden, du und ich und alle, in einem Universum bar jeden Lichts?
– Iloja von Prim, Stanze 1137, Folio Fünf,»Gedanken zu einem feindlichen Kosmos«
Der Himmel hatte sich verändert.
Odo spähte hinauf zu den ungleichmäßig verteilten Lichtpunkten über der namenlosen Welt der Gründer. Er hatte an Nerys gedacht – sich der vergangenen Wochen an ihrer Seite erinnert und sich eine gemeinsame Zukunft ersonnen –, doch die Anspannung, die nun in ihm wuchs, vertrieb diese Bilder. Mit einem Mal wusste er, dass seinem Volk während seiner Abwesenheit etwas Schlimmes widerfahren sein musste. Er stand auf der Brücke, die sich im Zentrum des Jem’Hadar-Angriffsjägers befand, und das monokulare Headset, das er trug, ermöglichte ihm die Sicht ins All. Das Schiff näherte sich dem Planeten, und der gnadenlose Rhythmus der Impulstriebwerke hallte in dem engen Kontrollzentrum wider, erfüllte es ohne Unterlass. Die Stimmen und die Geschäftigkeit der kleinen Besatzung ergänzten das Tableau wie ein eilig angefügtes Postskriptum, das, wenngleich vorhanden, kaum noch Wirkung zeigte. Odos Körper summte im Rhythmus der Triebwerke, seine formbaren Zellen waren gefangen in einem Zustand konstanter Nervosität, während sie versuchten, sich reflexartig der sie umgebenden Betriebsamkeit anzupassen – oder sie zu beruhigen.
Der Monitor seines Headsets war nur ein paar Zentimeter breit und gerade einmal halb so hoch, und auf einer Seite wirkten die beiden Ecken des ansonsten rechteckigen, flachen Objekts wie abgeschnitten. Es zeigte ihm einen neuen Körper am leuchtenden Sternenhimmel. Odo glaubte – hoffte –, was er sah, wäre ein Darstellungsfehler. Er drehte den Kopf nach links. Das Bild in dem Sichtgerät glitt in Richtung Backbord, zeigte nun einen anderen Ausschnitt des Firmaments, doch als er zurück zur Welt der Gründer blickte, war der helle Fleck noch immer da, links oberhalb des Planeten. Ein leuchtender, an den Rändern verschwommen wirkender Kreis, heller als jedes andere Himmelsobjekt in Sichtweite, zog seinen Blick magisch an. Es hatte noch nicht existiert, als Odo zuletzt in der Großen Verbindung aufgegangen war.
»Weyoun«, rief er und konzentrierte sich auf die Brücke jenseits des leuchtenden Okulars. Dort stand der Vorta neben einigen Jem’Hadar, die diverse Konsolen bedienten. Weyoun hatte gerade mit dem Siebten Rotan’talag gesprochen, drehte sich nun aber um und kam schnell herüber. Dabei hob er die Hand und klappte seinen eigenen flackernden Monitor von seinem Auge weg.
»Ja, Gründer?«, sagte er und verneigte sich kurz, die Hände in einer demütigen Geste erhoben. Er trug eine rostbraune Hose und über einem schwefelfarbenen Hemd eine dunklere gemusterte Jacke. »Wie darf ich Ihnen zu Diensten sein?«
»Ich möchte wissen, ob es meinem Volk gut geht«, erwiderte Odo mit mehr Nachdruck als beabsichtigt. Seine Unruhe überraschte ihn selbst und schien weit eher seiner Intuition als dem soeben Beobachteten zu entspringen.
»Es geht ihm hervorragend«, antwortete Weyoun ruhig und erfüllte ihn mit Erleichterung. »Als wir in Sensorreichweite waren, habe ich die Planetenoberfläche persönlich gescannt. Die Große Verbindung ist noch genau so, wie Sie sie verließen.« Der dünne Strich seiner Lippen wurde breiter, hob sich an den Enden – ein vertrautes Lächeln, das Dienstbarkeit verhieß, aber auch von der Sorge kündete, nicht dienstbar genug zu sein. Alle Weyoun-Klone, die Odo gekannt hatte, hatten irgendwann einmal so ausgesehen, abgesehen vielleicht von einem.
»Was ist das für ein helles Objekt oberhalb des Planeten?«, fragte er und dachte an die Ausnahme unter den Vorgängern dieses Weyouns. Der sechste Klon seines Namens war während des Krieges zur Föderation übergelaufen, und obwohl er damals laut darüber spekulierte, fehlerhaft zu sein, hatte er nie die Überzeugung verloren, Odo dienen zu können. Sein Tod durch eigene Hand – eine Tat, durch die er Odo vor dem Tod rettete – war ein heroischer gewesen. So wie es sein Entschluss gewesen war, das Dominion in dem Versuch zu verlassen, es vor sich selbst zu retten.
»Eine aufmerksame Frage, Gründer«, sagte Weyoun gewohnt untertänig. Odo mochte es noch immer nicht, so angesprochen zu werden, tadelte Weyoun und die anderen aber nicht länger dafür. Wie könnte er, nun, da er sein Leben im Alpha-Quadranten vor mehr als zehn Monaten hinter sich gelassen hatte und hergekommen war, um mit den Seinen zu leben? Fünfzehn Jahre war er ihnen fern gewesen, doch inzwischen fühlte er sich als Teil ihrer Gemeinschaft.
»Ich bemerkte das Objekt ebenfalls«, fuhr Weyoun fort. »Der Siebte berichtet, es sei vermutlich eine ferne Nova und stelle keinerlei Bedrohung für die Große Verbindung dar.« Er benannte die Jem’Hadar nie mit Namen, zumindest nicht in Odos Gegenwart.
»Wenn Rotan’talag sich über das Objekt nicht sicher ist«, fragte Odo, »wie kann er dann zu der Schlussfolgerung kommen, es sei keine Bedrohung?« Aus irgendeinem Grund weckte der unerwartete Anblick dieses intensiv leuchtenden Objektes Gefühle in ihm, die er nicht definieren konnte. Es schien mehr dahinter zu stecken als die reine Sorge um sein Volk.
»In der Tat«, stimmte Weyoun ohne Zögern zu, als habe er dies ebenfalls gerade anmerken wollen. »Deswegen befahl ich dem Siebten, für einen vollständigen Bericht weitere Messungen vorzunehmen und zu analysieren. Darüber hinaus werde ich meine Kollegen auf anderen Schiffen kontaktieren und sie um ihre Beobachtungen bitten.« Zahlreiche Schiffe patrouillierten den Raum rings um den Planeten der Gründer. Sie alle hatten eine Besatzung aus Jem’Hadar und Vorta als Kommandanten.
»Sehr gut«, meinte Odo und nickte. Einmal mehr widmete er sich dem Bild auf seinem Headset-Monitor. Der Lichtkreis brannte wie das böse Auge einer gewaltigen Kreatur des Alls, die jenseits des Planeten lauerte. »Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
»Selbstverständlich«, sagte Weyoun und verneigte sich erneut. Dann entfernte er sich, trat einige Schritte rückwärts, machte auf dem Absatz kehrt und ging erneut zu Rotan’talag. Die beiden unterhielten sich kurz und traten zu einer nahen Konsole.
Odo beobachtete sie durch den Headset-Monitor hindurch, sah das Duo hinter dem schimmernden Abbild des Horizonts der Großen Verbindung, wo das Sternenlicht die amorphe Form berührte. Weyoun und Rotan’talag hatten ihm während der vergangenen Monate gute Dienste geleistet, wenngleich keiner der beiden Anzeichen machte, sich über die Grenzen, die die Gründer ihrer jeweiligen Spezies vorgegeben hatten, hinaus zu entwickeln. Dass sie dazu fähig waren, glaubte Odo noch immer, insbesondere aufgrund ihrer ungewöhnlichen individuellen Umstände.
Rotan’talag, so hatte es eine von Odo angeordnete systematische Suche im Dominion ergeben, war einer von nur vier Jem’Hadar ohne Abhängigkeit vom Ketracel-White. Er war zu jung – damals drei Jahre alt, inzwischen vier – und zu unerfahren gewesen, um ihn auf die Mission in den Alpha-Quadranten zu schicken, die schließlich Taran’atar übernommen hatte, doch Odo hielt ihn in seiner Nähe. Vor einigen Jahren auf Deep Space 9 war er bei dem Versuch gescheitert, einem neugeborenen Jem’Hadar die kriegerische Gesinnung abzuerziehen, die ihm angezüchtet war, doch jener namenlose Kämpfer hatte das White benötigt. Und obwohl Taran’atar – wie Rotan’talag frei von der Sucht nach der Chemikalie – die ihm aufgetragene Aufgabe, die Bewohner des Alpha-Quadranten zu beobachten und in ihrer Mitte zu leben, zu erfüllen schien, hatten sich seine Ansichten über sich selbst und seinen Platz im Universum kaum nennenswert verändert. Odo hoffte weiterhin, sie würden es – doch bis Taran’atar so weit war, wollte er sich Rotan’talags annehmen und einen anderen Kurs versuchen: den des wiederholten persönlichen Kontakts.
Auf dem Monitor starrte die Nova – oder als was auch immer es sich herausstellen mochte – weiter auf die Welt der Gründer hinab. Odos Gedanken wanderten zu dem Vorta, der gewissermaßen zu seinem Deputy geworden war. Zu Kriegsende auf Cardassia Prime hatte Garak den achten Weyoun erschossen, den die Anführerin der Gründer daraufhin zum letzten seiner Linie erklärte. Vermutlich, weil sie nicht erwartete, dass jemand sein Transkorder-Implantat barg, mittels dessen sein Wissen und seine Erinnerungen auf einen weiteren Klon hätten übertragen werden können. Doch Odo, der seit Dr. Bashirs Autopsie des Überläufer-Weyouns von dem Implantat wusste – hatte es geborgen. Das Exemplar, das der Doktor seinerzeit entfernte, hatte sich zwar selbst zerstört, als Chief O’Brien auf seinen Speicher zuzugreifen versuchte, seine Funktion war aber offensichtlich gewesen: Es hatte die Gedanken und Erfahrungen des Klons gespeichert, in dessen Körper es steckte, und sie automatisch in einen sichereren Speicher hochgeladen, wann immer es in der Nähe eines Kommunikationsnetzwerkes mit Reichweite bis ins Dominion oder zu einem entsprechend ausgestatteten Raumschiff gewesen war.
Odo hatte gewusst, dass er zu seinem Volk in den Gamma-Quadranten zurückkehren und versuchen würde, die aggressive Natur des Dominion zu verändern. Deshalb hatte er den Transkorder aus Weyoun 8s Leichnam entfernt. Ein neuer Klon, so seine Argumentation, mochte sich ähnlich entwickeln – mit dem Wunsch nach Frieden und der Bereitschaft, für diesen einzutreten. Wie nun auch bei Rotan’talag, hatte Odo vorgehabt, die Entwicklung des nächsten Weyouns mit aller Kraft zu steuern.
In einer Wand auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke erwachte ein Bildschirm zum Leben, und das Gesicht einer Frau erschien. Odo erkannte sie als Vannis, eine der Vorta, die Weyoun und die anderen dabei unterstützten, den Willen der Gründer auszuführen. Sie hatte scharf geschnittene Züge, und lange dunkle Locken umrahmten ihr Gesicht, dessen Blässe ein krasser Gegensatz zu den Haaren und den indigofarbenen Augen war. Zu letzteren passte die Jacke, die sie über ihrer im Ton von Elfenbein gehaltenen Bluse trug. Odo sah, wie sie den Mund öffnete und sprach, und wie Weyoun antwortete, doch die Stimmen der beiden waren so leise, die Worte so sanft gesprochen, dass der Klang der Impulstriebwerke sie verschluckte, bevor sie ihn erreichen konnten. Der Jem’Hadar-Siebte achtete nicht weiter auf das Gespräch. Mit geneigtem Kopf arbeitete er an einer angrenzenden Konsole.
Odo hatte sich Weyoun und Rotan’talag bewusst an Bord geholt. Dieses Schiff, schlicht als Jem’Hadar-Angriffsjäger 971 bekannt, war ursprünglich im Orbit der Gründerwelt stationiert und eines von denjenigen gewesen, die die Große Verbindung beschützten. Kurz nach seinem Aufbruch aus dem Alpha-Quadranten und seiner Rückkehr zu den Gründern, hatte Odo begonnen, wiederholt Zeit auf der kleinen Insel zu verbringen, auf der er sich von Nerys verabschiedet hatte. Er brauchte diesen Abstand, um nachzudenken, wie er es gewohnt war – und damit er sich des Verstreichens der Zeit bewusst wurde, was ihm innerhalb der Verbindung kaum gelang.
Einige Zeit später beamte er zum ersten Mal auf dieses Schiff. Anfangs zu wöchentlichen Visiten, dann zu täglichen. Odo wollte begreifen, welche Kräfte das Dominion formten und antrieben, wollte die Sicherheitsberichte studieren, die die vielen als Agenten der Gründer agierenden Vorta verfassten. Als er Weyoun und dann Rotan’talag auf dem Schiff postiert hatte, ermöglichten ihm seine wiederholten Besuche auch den regelmäßigen Kontakt zu ihnen.
Niemand hatte je versucht, Odo von seinem Tun abzubringen. Dennoch spürte er die Missbilligung in der Verbindung. Diese hielt Odos andauerndes Interesse am Leben der Solids für einen ungesunden Spleen. Die Gründer, so lernte er schnell, scherten sich nicht um das, was tagtäglich jenseits ihrer Welt geschah. Durch die genetisch zur Treue gezüchteten Vorta und Jem’Hadar hatten sich die Wechselbälger längst der Notwendigkeit entledigt, derlei Dinge persönlich zu beachten. Die Gründer regierten durch Mittelsmänner, und solange sie sich nicht bedroht fühlten, isolierten sie sich vom Rest der Galaxis. Odos Studium der Sicherheitsberichte, sein andauernder Kontakt zu den Vorta und Jem’Hadar und insbesondere sein Interesse an Weyoun und Rotan’talag waren für sie nichts weiter als Bemühungen, sich an das Leben zu klammern, das er im Alpha-Quadranten gelebt hatte. Obwohl Odo es aufgegeben hatte und in die Verbindung zurückgekehrt war, hielten sie ihn für nicht willens, sich vollständig von jener Existenz loszusagen, die, so ihr kollektives Urteil, Quell seines kindischen Verhaltens war.
Für Odo wurde in diesem Urteil die Uneinsichtigkeit der Gründer offenbar. Welche Ironie, dass eine körperlich fluide Spezies mental wie emotional derart unflexibel sein konnte. Auf Bajor und DS9 war er selbst von anderen als starr und dickköpfig charakterisiert worden. Es hatte etwas Ernüchterndes, diese Wesenszüge im bernsteinfarbenen Ozean seines Volkes widergespiegelt zu finden. Odo versuchte, der Verbindung aufzuzeigen, dass es für eine Spezies, die in der Veränderung ihre Erfüllung fand, ein vollkommener Widerspruch war, sich dem Kontakt zu anderen, nichtwechselbälgischen Lebensformen zu verweigern und auf etwaige durch Freundschaft entstehende Chancen zu verzichten. Die Gründer, so schien ihm, waren zu jedweder Verwandlung fähig, solange ihre Weltsicht die gleiche blieb.
Abermals schaute er zu Weyoun und Rotan’talag. Das Abbild der Vorta verschwand vom Monitor und wurde einen Moment später durch das grün-purpurne Symbol des Dominion ersetzt. Weyoun drehte sich zu Rotan’talag um, der prompt von der Konsole, an der er arbeitete, aufblickte. Während Odo ihnen zusah, fragte er sich, ob es ihm jemals gelingen würde, die Denkweisen dieser beiden zu verändern. Hatte er sich unerreichbare Ziele gesetzt, als er die Große Verbindung Toleranz und Offenheit lehren und den Vorta und Jem’Hadar Wege weisen wollte, die sie von ihrer genetischen Kodierung fort führen sollten? War es zu viel verlangt, die oft brutalen Methoden und Taten des Dominion in Freundlichkeit wandeln zu wollen? Und durfte er, selbst wenn er von innen heraus arbeitete, wirklich erwarten, solche genau definierten und lang etablierten Kulturen so grundlegend zu verändern?
Aber – es hatte schon Veränderungen gegeben. Odo war noch nicht lange zurück bei seinem Volk, doch die Skepsis, die die Gründer seinen wiederholten Ausflügen auf das Schiff der Jem’Hadar entgegenbrachten, hatte sich mit der Zeit gelegt. Zwar zweifelten sie noch immer an der Sinnhaftigkeit hinter Odos Taten und Intentionen, doch taten sie nicht länger alles, was er versuchte und dachte, als völligen Unsinn ab. Inzwischen schienen sie zuzuhören, wenn er mit ihnen zu sprechen versuchte, und vielleicht dachten sie sogar über seine Worte nach. Das, fand Odo, war immerhin ein Anfang. Einer, auf dem er aufzubauen hoffte, wenn er erst wieder auf dem Planeten und eins mit der Großen Verbindung war.
Dennoch musste er zugeben, dass die Gründer in mancher Hinsicht recht behielten. Nicht, was ihren Widerstand gegen friedliche Beziehungen mit Nichtwechselbälgern betraf, sondern in Bezug auf Odos tägliche Lektüre der Sicherheitsberichte des Dominion und auf seinen steten Kontakt zu Weyoun und Rotan’talag. Absichten hin oder her, ging es Odo doch längst auch um die Routine – eine, die er genoss und die sich gar nicht so sehr von der unterschied, die seine Tage auf DS9 geprägt hatte.
Vor inzwischen knapp vier Monaten war Odo mit dem Angriffsjäger 971 in Richtung des Hafens Ee aufgebrochen. Dort hatte er Gerüchten um eine Heilerin und Theologin nachgehen wollen, zu deren Gefolge angeblich einige Ennis zählten. Die Beschreibung der religiösen Person und ihrer Anhänger hatte ihn an Geschichten erinnert, die er über die Jahre von Nerys gehört hatte, und ihn auf die Idee gebracht, bei der Heilerin könne es sich – warum auch immer – um Opaka Sulan handeln, die einstige Kai Bajors. Es war eine äußerst gewagte Theorie gewesen, aber eine, der Odo hatte nachgehen müssen.
Nicht zuletzt, weil seine Suche nach der Heilerin noch einen zweiten Grund gehabt hatte: Es hieß nämlich, diese stünde in Kontakt mit einem Mitglied der Aszendenten, eines mysteriösen Nomadenvolks, das die Region, die inzwischen das Dominion bewohnte, schon vor langer Zeit hinter sich gelassen hatte – vor dem Aufstieg des Imperiums der Gründer. Es war kaum etwas ihre Kultur betreffend überliefert. Vage, mitunter widersprüchliche Schilderungen beschrieben sie als fanatische Kreuzzügler, gnadenlose Glaubenseiferer, die in ihrem Bestreben, sich ihren Göttern anzuschließen, ganze Welten zerstörten. Die Fossilien, die auf mehreren Planeten des Gamma-Quadranten gefunden worden waren, zeugten von Massensterben und wiesen allesamt in die Zeit zurück, während der die Aszendenten, so hieß es, diese Region des Alls durchreisten. Andererseits fand sich auch in anderen Quadranten der Galaxis ähnliches »Beweismaterial« und ging auf ganz andere Ursachen zurück. Dennoch: Sollten die Aszendenten nicht ausgestorben sein, und es bestand auch nur die Möglichkeit ihrer Wiederkehr, dann wollte Odo darüber Bescheid wissen.
Er hatte nie wirklich damit gerechnet, Hinweise auf Opaka oder die Aszendenten zu finden. Schon die Chance – und war sie auch noch so klein –, Nerys wieder näherzukommen, hatte ihm als Motivation genügt. Und am Ende war er ihr nähergekommen – sogar näher, als er je erwartet hätte.
In der Gestalt einer Trelianerin war Odo auf Ee unerwartet auf Jake Sisko gestoßen. Gemeinsam hatten sie daraufhin die Heilerin gefunden, die sich in der Tat als Opaka herausstellte. Mit ihr und einigen von Jakes Bekannten waren sie daraufhin ins Idran-System geflogen, wo sie die dortigen schockierenden Entwicklungen mit eigenen Augen gesehen hatten, und zu dritt weiter nach Deep Space 9. Während der Parasitenkrise auf der Station hatte Odo seine Tarnung als Trelianerin aufrechterhalten und sich erst offenbart, als Nerys im Kampf gegen die Invasoren seine Hilfe brauchte.
Nach Beendigung der Krise hatte er sich auf seine sofortige Rückkehr in die Große Verbindung vorbereiten wollen. Weyoun wartete schließlich auf Angriffsjäger 971, gleich auf der anderen Seite des Wurmlochs, um ihn zurück ins Dominion zu befördern. Doch jene ersten Stunden allein mit Nerys hatten Odo Frieden und Glück geschenkt, wie er sie seit seinem Abschied vor knapp einem Jahr nicht mehr gekannt hatte. Erst da begriff er, wie sehr ihm ihre Gegenwart in seinem Leben fehlte. Also ließ er ihre gemeinsamen Stunden zu Tagen, dann zu Wochen werden. Um seinen Aufenthalt im Alpha-Quadranten weiter zu rechtfertigen, nahm er sogar eine Einladung der Premierministerin Asarem an, als offizieller Repräsentant des Dominion an der Zeremonie teilzunehmen, mit der Bajor formell in die Föderation aufgenommen wurde. Und auch nach der Festlichkeit blieb er, weigerte sich, Nerys schon wieder zu verlassen.
Für ihn lag darin kein Klammern an das Leben, das er unter den Solids geführt hatte. Aber wer fragte ihn schon nach seiner Ansicht? Sein Volk war davon überzeugt, er habe sich noch immer nicht vollständig von früher gelöst, und obwohl Odo die in dieser Überzeugung liegende Anklage von sich wies, musste er sich eingestehen, tatsächlich Gründe gesucht und gefunden zu haben, seine Rückkehr aufzuschieben. Als er sich zum ersten Mal in die Große Verbindung begeben hatte, war ihm dies eine unvorstellbare Erfüllung gewesen, etwas, für das es seinem Empfinden nach keine Steigerung mehr geben konnte. Doch wenn das stimmte, wie hatte er dann von ihr wegreisen, ihr so lange fern bleiben können?
Eine Bewegung riss Odo aus seinen Gedanken. Weyoun marschierte auf ihn zu, ein Lächeln auf den Zügen, das sich stark von der angstvollen Miene unterschied, die er vorhin noch getragen hatte. Seine Lippen klebten nicht länger aufeinander, sondern ließen seine weißen Quadratzähne sehen, und seine Augenwinkel warfen kleine Fältchen. Er hatte noch immer das Headset an, den Monitor aber beiseite geklappt.
»Gründer«, sagte er, als er vor Odo stehen blieb. »Ich erhielt einen Bericht von einem Vorta auf einem der anderen Schiffe, bezüglich des Objekts. Die Informationen wurden mir inzwischen vom Siebten bestätigt.« Er pausierte erwartungsvoll und sah zu Odo auf, als wolle er ein Lob oder eine Bestätigung, bevor er fortfuhr.
»Weiter«, forderte Odo schlicht. Ihm lag nichts daran, die Unsicherheit dieses Vorta noch zu verstärken.
»Das Objekt ist in der Tat eine Nova«, berichtete Weyoun. »Sie wurde vor gerade einmal drei Tagen am hiesigen Himmel sichtbar und nahm während dieser Zeit stetig an Helligkeit zu. Aber sie liegt weit genug von der Welt der Gründer entfernt, um keine Bedrohung für die Große Verbindung zu sein.«
Odo entspannte sich. Der Druck, den er verspürt hatte, schmolz wie Eis unter einer heißen Sonne. »Sehr gut«, sagte er, erleichtert, dass seine Sorge unbegründet gewesen war. »Wann kommen wir in Transporterreichweite?«
Weyoun hob die Hand zum Headset und schob sich den Monitor zurück vors Auge. »In weniger als drei Minuten«, antwortete er dann.
Odo nickte knapp. »Ich möchte schnellstmöglich hinunterbeamen.« Er zog sein Headset aus und hielt es Weyoun hin.
»Selbstverständlich«, antwortete der Vorta und nahm es entgegen. »Es ist stets ein Vergnügen, Ihnen zu dienen.«
Odo trat nach rechts, durchquerte etwa ein Viertel der Brücke und erreichte eine Nische in der Wand. Dort befand sich die Transporterplattform, auf die er nun trat. Weyoun eilte gehorsam zu einer nahen Konsole. Schweigend warteten sie ab, während sich das Schiff der Welt der Gründer näherte.
»Wir sind in Reichweite«, verkündete Weyoun schließlich. Er bediente die Transporterkontrollen, die ihm mit Klicken und anderen leisen Tönen antworteten. Bevor er seine Vorbereitungen abschließen konnte, unterbrach Odo ihn mit einer Frage.
»Wie weit, Weyoun?«, wollte er wissen. »Wie weit ist die Nova entfernt?«
Weyoun machte die gewünschte Angabe. »Sie liegt am Rand des Omarion-Nebels«, fügte er hinzu.
Die Information traf Odo wie ein Schlag, als ströme plötzlich Elektrizität durch seinen Körper. »Der Omarion-Nebel?«, wiederholte er den Namen mit Staunen in der Stimme. Diesen Ort hatten die Gründer einst Heimat genannt. Vor vielen Jahren, als Odo den Nebel erstmals sah, hatte er sich von ihm angezogen gefühlt – ganz so, wie es sein Volk ihm und dem Rest der Hundert verinnerlicht hatte, damit sie eines Tages zurück zu ihm fanden. Odo dachte an seine erste Reaktion auf die Nova und die Auskunft, dass sich diese nahe dem Nebel befinden sollte. Sein Kopf schwirrte, als er versuchte, Sinn in diese Information zu bringen.
»Gründer?«, fragte Weyoun in die eingetretene Stille hinein.
»Ja«, antwortete Odo gedankenverloren, sah auf und signalisierte Weyoun, seine Arbeit an der Konsole fortzusetzen. Sekunden später hallte ein Summen von den Wänden der Nische wider. Einen Moment lang verschwamm Odo die Sicht, als zöge ein dichter Rauchschwaden an seinen Augen vorbei. Dann verging das Transportergeräusch, so schnell wie es gekommen war.
Auch das Jem’Hadar-Schiff war fort. Stattdessen fand sich Odo auf einer kleinen Meeresinsel wieder. Rings um ihn erstreckte sich die messingfarbene, wogende Oberfläche der Großen Verbindung. Odo trat vor, hob den Kopf, blickte zum nebligen Himmel und drehte sich langsam im Kreis, doch er sah nichts außer den üblichen Sternen. Erst dann erblickte er die Nova, gleich oberhalb der zehn Meter hohen Felsformation mit den zwei Gipfeln, die sich auf einer Seite der Insel erhob. Die Nova schien größer zu sein als jedes andere Licht am Firmament, und sie strahlte bedeutend intensiver.
Und Odo begriff. Er hatte Ehrfurcht mit Sorge verwechselt. Mit einem Mal verging seine Furcht, und etwas weit Mächtigeres trat an ihre Stelle: Hoffnung. Dieser glänzend helle Stern berührte seine Seele ähnlich wie einst der Omarion-Nebel. Mit einem Mal erschien ihm die Nova wie ein Bote, der seinem Volk eine strahlende Zukunft verhieß, ein Omen, das den Gründern kommenden Frieden und Freuden voraussagen wollte.
Erst später, als er erneut auf dieser Insel stand und auf die kalte, leere Ödnis seiner Welt hinausblickte, entsann er sich dieses Moments und verstand, wie sehr er sich geirrt hatte.
Getragen von breiten, hauchdünnen Flügeln zog das fremdartige Tier durch die Atmosphäre, als wisse es noch nicht, ob es sich der Schwerkraft ergeben wollte. Sein Körper – klein und relativ schmal, nicht breiter als ein Runabout – schien aus wenig mehr als einem mit Zellplasma gefüllten Beutel zu bestehen. Die primitive Masse hing zwischen den membranartigen, den roten Himmel bedeckenden Extremitäten, und erschien winzig im Vergleich.
Odo erfasste die fremde Kreatur nicht mit seinen eigenen, sondern mit den Sinnen der Großen Verbindung. Er trieb durch die Untiefen der Wechselbälger, ähnlich wie das unbekannte Wesen dort oben durch die Luft. Sein metamorpher Körper, ausgestreckt in zahllose Flächen und Ranken, die mitunter aus einzelnen Zellketten bestanden, zog durch die Gesamtheit seines Volkes, war Teil des Ganzen. Mit jedem Kontakt und jeder Trennung entstanden Verbindungen und endeten wieder, weitergegeben vom einen zum anderen, vom einen zu den vielen, von den vielen zum einen. Sporadisch stiegen flüssige Formen aus dem lebenden Ozean empor, gleich Silhouetten in einem lichtlosen Raum, und vergingen wie mit der Finsternis verschmelzende Schatten.
Kommunikation zwischen den Wechselbälgern geschah als Impuls und Reflex. Diskurs und Dialog fanden statt, wann immer die Erfahrung der Form von einem zum anderen weiterfloss, waren spontane Begleitreaktionen jedweder Berührung. Emotionen und Wahrnehmungen lagen irgendwo dazwischen. Dank eben dieses Bandes zu den anderen Gründern registrierte Odo die gewaltige Kreatur. Jene, deren Zellen die Oberfläche der Verbindung bildeten, gaben ihre Betrachtungen des vom Himmel herabsinkenden geflügelten Wesens an die anderen weiter.
Odo zog sich in sich selbst zurück, weg von der Verbindung. Er bewegte sich, bewegte die Fäden seines Körpers und schob sich so durch die flüssige Gemeinschaft seines Volkes nach oben. Er spürte die wachsende Unruhe der anderen. Vor einem Monat, als er in die Verbindung zurückgekehrt war, hatten sie ihn nur zu gern willkommen geheißen, doch unter ihrer Euphorie hatte eine rastlose Strömung gelegen, die ihm nicht entgangen war. Anfangs hatte er sie seiner Heimkehr nach langer Abwesenheit zugerechnet, doch auch als einige Zeit vergangen war, ließ die Anspannung der Gründer nicht nach. Irgendein anderer Impuls trieb ihr kollektives Gemüt an, so hatte Odo gefolgert, und just als er hatte erkunden wollen, worum es sich handeln mochte, war er des gewaltigen, durchscheinenden Wesens gewahr geworden, das auf den Planeten hinabstieg.
Ein Teil von Odos Körper erreichte die Oberfläche der Verbindung und berührte die Luft. In seiner momentanen Form besaß er keinerlei humanoide Sinnesorgane, von daher sah, hörte, roch und schmeckte er nichts. Dennoch empfand er, empfand ganz bewusst, und mit der Empfindung kam ein Bewusstsein des Universums außerhalb seiner selbst.
Odo betrachtete den Himmel und zählte plötzlich nicht nur eine Ausbuchtung im Zentrum der Kreatur, sondern drei. Außerdem korrigierte er sein Größenbild des Wesens. Schien das Quartett der Flügel eben noch von Horizont zu Horizont zu reichen, so erstreckte es sich nun über weniger als die Hälfte dieser Strecke. Je tiefer die Kreatur sank, desto kleiner wurde sie. Risse bildeten sich in den Flügeln, als diese sich weiter zusammenzogen, und an diesen Stellen schimmerte das bloße zarte Fleisch metallisch golden durch. Mit einem Mal erkannte Odo das Wesen.
Er sammelte sich und bahnte sich als flossenbewehrte, wellenförmige, schnelle Rakete seinen Weg durch die Große Verbindung, als er auf die Insel mit den zwei Gipfeln zuhielt, die aus dem glitzernden Wechselbalgmeer ragte. Er spürte, wie sich in seinem Volk eine Mischung aus Erwartung und Sorge aufbaute. Doch wenngleich er die Erwartungshaltung der anderen verstand – schließlich begeisterte die Rückkehr eines, wenn nicht gar dreier weiterer Gründer auch ihn – so enttäuscht und isoliert fühlte er sich, weil sie ihm den eigentlichen Quell ihrer Unruhe nicht offengelegt hatten.
Er glitt rasch vorwärts, und die Eindrücke derer an der Verbindungsoberfläche bestätigten seine Ahnung: Der Flugbahn des ankommenden Wechselbalgs nach zu urteilen, war die Insel dessen Ziel. Odo verlangsamte, als er sich ihr näherte, und blickte in sich. Vor seinem geistigen Auge rief er sich Bilder von Strömungen auf, von rollenden Wassern, die Bewegung verkörperten und sich unaufhaltsam ihren Weg durch Zeit und Raum bahnten. Innerhalb dieser Wellen erschuf er die kreisförmigen Bewegungen von Wirbeln und in den Wirbeln die ihrer unsichtbaren und doch messbaren Auswüchse, Punkte ohne Länge, Tiefe oder Breite, Spiegel des Wandels, die jeweils nur einen Sekundenbruchteil existierten.
Odo veränderte sich und wurde zu dem, was er sich vorstellte. Er sah die Konturen des Leibes, den er bewohnen würde, spürte die Grenzen der physischen Form, die er anzunehmen gedachte. Der Weg der Verwandlung war ihm nicht immer so klar, nicht immer so genau definiert gewesen wie jetzt. Eine lange Zeit über hatte er sich ein Ergebnis vorgestellt, aber nicht die Fertigkeit besessen, es vollends abzubilden. Seine Zellen hatten sich zwar verformt und angepasst, aber nie ganz so, wie er es wollte, und die Form, das Resultat seiner Mühen, war letztlich nur eine Annäherung an die in seiner Vorstellung gewesen. Nun aber, nach Monaten der Anleitung durch sein Volk, wurde er, was immer ihm vorschwebte.
Odos Körper mutierte, wuchs zu einem um eine innere Achse drehenden Wirbel, stieg nach oben und widersetzte sich der Schwerkraft. So wuchtete er sich aus der Großen Verbindung, fuhr hinaus in die Luft und dann hinüber in Richtung des felsigen, rauen Landflecks, auf dem er schließlich landete. Er spürte die Lebendigkeit seines physischen Seins und machte sich daran, aus Möglichkeiten Wirklichkeit werden zu lassen.
Und so geschah die Transformation: aus Eigenwahrnehmung wurde Bewusstsein, der Prozess wurde umgekehrt, aus dem Fließen der Dimensionslosigkeit ging er über in die zurückgehende Strömung, bis er sich zu seinem inneren Fluss fokussierte, und so geschah sie: die Transformation.
Er wurde zum Humanoiden Odo.
Kaum hatte er die kleine Insel erreicht, blickte er nach oben. Der ankommende Wechselbalg faltete seine regenbogenfarbenen, schimmernden Schwingen zusammen, und die drei tränenförmigen Beutel, nunmehr ihrer Flugfähigkeit beraubt, fielen die noch verbliebenen knapp zwanzig Meter hinab, die sie von der Insel trennten. Sie waren nicht einmal ein Viertel so groß wie ein Runabout, und ihre weichen Körper absorbierten die Wucht des Aufpralls, als sie landeten. Odo hatte erwartet, alle drei würden sich sofort zu anderen Formen umgestalten, doch nur der Mittlere verwandelte sich. Kerzengerade streckte er sich in die Höhe, eine spitze Säule aus funkelndem orangegelbem Licht, und wurde zu einer humanoiden Gestalt mit breiter Brust und breiten Schultern: Laas.
»Willkommen«, begann Odo, zögerte aber. Er hatte »Willkommen daheim« sagen wollen, schluckte das zweite Wort jedoch hinunter. Stattdessen nickte er und begann erneut. »Willkommen zurück.«
Laas kam näher, bis er direkt vor Odo stand, machte aber keinerlei Anstalten, sich mit ihm vereinigen zu wollen. Die Große Verbindung hatte auch ihm längst erfolgreich beigebracht, wie er andere Lebensformen perfekt nachahmte, dennoch bediente er sich nach wie vor der unfertig scheinenden Gestalt, in der er zwei Jahrhunderte bei den Varalianern überdauert hatte. Odo tat es ihm gleich, wann immer er humanoide Form annahm, und wurde nicht zum fehlerfreien Abbild eines Bajoraners, sondern behielt die glatten Gesichtszüge bei, die ihn schon während seiner Jahre unter ihnen gekennzeichnet hatten.
»Willkommen«, echote Laas, spuckte das Wort nahezu aus. Seine tief liegenden Augen verengten sich unterhalb der wulstigen Höcker auf seiner Stirn. Odo war mehrere Zentimeter kleiner als er und musste aufsehen, um Laas’ Züge zu studieren: die schwache, v-förmige Einbuchtung auf seiner Stirn, die ausgeprägten Wangenknochen, die nach unten weisenden Mundwinkel, die Falten zwischen seinen Nasenlöchern und dem Rest seines Gesichts. »Ich will kein Willkommen«, verkündete Laas. »Ich will wissen, warum die Hundert ausgesandt wurden. Ich will wissen, warum man uns fortschickte.«
Einen Moment lang hielt Odo Laas’ Blick. Die Vehemenz, mit der dieser sein Anliegen vorbrachte, beeindruckte ihn keineswegs. Als Sicherheitschef von Deep Space 9 war er oft aggressivem Verhalten begegnet und hatte stets leidenschaftslos reagiert. So auch nun, als er lässig zur Seite und um Laas herum trat. »Ich freue mich auch, dich zu sehen.«
»Ich führe keinen Streit mit dir, Odo«, sagte Laas und wandte sich zu ihm um. »Du bist einer der Hundert. Du bist einer von uns.« Er deutete an ihm vorbei auf die anderen zwei Wechselbälger. Fast anderthalb Jahre war es inzwischen her, dass er im Alpha-Quadranten auf Odo gestoßen war und von den Gründern erfahren hatte, und nach dem Ende des Krieges hatte auch er sich der Großen Verbindung angeschlossen. Die Gründer hatten ihn daraufhin von der schleichenden Krankheit geheilt, die Sektion 31 geschaffen hatte. Dennoch war Laas nur wenige Monate auf ihrer Welt geblieben und alsbald erneut aufgebrochen, um weitere der Hundert zu suchen.
»Du weißt, warum wir ausgesandt wurden«, erwiderte Odo. »Ich sagte es dir bei unserem ersten Treffen.«
»Ich weiß, was du mir erzähltest«, fuhr Laas ihn an. »Jetzt will ich aber die Wahrheit erfahren.« Er trat an Odo vorbei und zu einem der anderen Wechselbälger.
»Ich sagte dir die Wahrheit«, beharrte Odo.
»Tatsächlich?«, höhnte Laas und blickte erneut zu ihm. »Kennst du sie überhaupt?« Ohne den Blick von Odo zu nehmen, trat er rückwärts in die Mitte der kleinen Insel, genau zwischen die amorphen Körper der beiden anderen Wechselbälger. »Erklär es mir noch einmal. Sag mir, warum die Große Verbindung einhundert von uns aussandte – einhundert Unschuldige – in die Einsamkeit, das Leid und den Tod!«
»Was redest du denn da?«, fragte Odo. Er sah von einem der formlosen Formwandler zum anderen. Erst dann bemerkte er den kleinen Aschehaufen in ihrer Mitte. Die körnige kohlegraue Substanz fiel auf dem dunklen Fels kaum auf. Laas musste sie mitgebracht und bei seiner Landung dort fallen gelassen haben. Odo erkannte den Anblick sofort, obwohl er erst einmal die Überreste eines toten Wechselbalgs gesehen hatte – an Bord der Defiant –, und das war fast fünf Jahre her.
»Ja«, sagte Laas, dem Odos Begreifen nicht entgangen zu sein schien. »Genau davon rede ich.« Sein hasserfüllter Ton hallte über die Insel. »Also, sag mir erneut: Warum schickte unser Volk uns ins Exil? Zu welchem Zweck?«
Odo starrte auf die ausgetrockneten Überreste des einstigen Wechselbalgs und wusste plötzlich keine Antwort mehr.
Taran’atar öffnete die Augen und sah Dunkelheit. Sofort spannten sich seine Muskeln an. Sein Instinkt trieb ihn zur Tat. Er griff nach dem Kar’takin in der Scheide an seinem Rücken und stellte zufrieden fest, dass die Axt noch immer dort war. Seine Hand umschloss ihren perfekt geformten, perfekt proportionierten Griff. Taran’atar war hochkonzentriert und bereit, sich zu tarnen, durch Willenskraft einen Mantel der Unsichtbarkeit um sich zu erzeugen.