Star Trek – Strange New Worlds: Das Weite Land - John Jackson Miller - E-Book

Star Trek – Strange New Worlds: Das Weite Land E-Book

John Jackson Miller

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Beschreibung

Der erste Roman, der auf der spannenden Paramount+-TV-Serie "Star Trek: Strange New Worlds" basiert! Als ein experimentelles Shuttle versagt, vermutet Captain Christopher Pike eine simple Fehlfunktion – nur um herauszufinden, dass die Grundprinzipien, auf denen die Technik der Sternenflotte beruht, schlicht aufgehört haben zu funktionieren. Seine Leute und er sind gezwungen, in einem gefährlichen Manöver das Schiff zu verlassen. Und seine Mannschaft wird über die seltsamste neue Welt zerstreut, der sie je begegnet sind. Der Erste Offizier Una kämpft um das Überleben in einer ungezähmten Wildnis, in der hinter jeder Ecke Gefahr lauert. Die junge Kadettin Nyota Uhura verschlägt es in ein vulkanisches Ödland, wo nichts so ist, wie es den Anschein hat. Wissenschaftsoffizier Spock ist spurlos verschwunden. Und Pike bekommt die Chance, sich einen Kindheitstraum zu erfüllen: Cowboy zu spielen in einer Welt, in der die Werkzeuge des 23. Jahrhunderts nicht funktionieren. Auf der Suche nach seiner Mannschaft begegnet Pike einem überraschenden Gesicht aus seiner Vergangenheit – er entdeckt, dass das Utopia des einen die Hölle eines anderen sein kann. Und so muss er einen Exodus anführen – oder eine Katastrophe galaktischen Ausmaßes riskieren, die selbst das Raumschiff Enterprise nicht aufhalten könnte …

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Ich kann nicht behaupten,mich da draußen je verirrt zu haben …Nur einmal, da war ich drei Tage langneben der Spur.

– Daniel Boone, Pionier

HISTORISCHE ANMERKUNG

Die Ereignisse dieser Geschichte finden im Jahr 2259 statt, nachdem die U.S.S. Enterprise durch die Piraten der Serene Squall gekapert und einige Zeit später erfolgreich zurückerobert wurde (in STAR TREK – STRANGE NEW WORLDS»Die Serene Squall«). Ferner sind sie vor der routinemäßigen Untersuchung des Jonisianischen Nebels und den Begebenheiten einzuordnen, die Doktor M’Benga und seiner Tochter Rukiya widerfahren (in STAR TREK – STRANGE NEW WORLDS»Das Königreich Elysien«).

INHALT

HISTORISCHE ANMERKUNG

TEIL EINS: ALTE WELTEN

KAPITEL 1: DER CAPTAIN

KAPITEL 2: DIE SCHÄFERIN

KAPITEL 3: DER GÄRTNER

KAPITEL 4: DIE ABGESTÜRZTEN

KAPITEL 5: DIE MÜHLE

KAPITEL 6: DIE AUSSENSTEHENDEN

KAPITEL 7: DIE HÜTER

KAPITEL 8: DER RANGER

KAPITEL 9: HAUSARBEIT

KAPITEL 10: DIE BEGEGNUNG

KAPITEL 11: DIE STADT

KAPITEL 12: DIE WANDERUNG

KAPITEL 13: DAS RUND

KAPITEL 14: DER SKAGARANER

KAPITEL 15: DIE AUFSEHERIN

TEIL ZWEI: ALTE FREUNDE

KAPITEL 16: DAS WIEDERSEHEN

KAPITEL 17: DER HINTERHALT

KAPITEL 18: DER AUFKLÄRER

KAPITEL 19: DIE BEWAHRER

KAPITEL 20: DER PRINZ

KAPITEL 21: DAS BUCH

KAPITEL 22: DER NEUBAU

KAPITEL 23: DIE VERANDA

KAPITEL 24: DAS ZEICHEN

KAPITEL 25: DAS GESCHENK

KAPITEL 26: DIE SUCHE

KAPITEL 27: DIE ERNTE

KAPITEL 28: DIE RAZZIA

KAPITEL 29: DER AUSBRUCH

KAPITEL 30: DIE AUDIENZ

KAPITEL 31: DIE WENDE

KAPITEL 32: DAS GELÜBDE

KAPITEL 33: DER AUFBRUCH

TEIL DREI: ALTE SOLDATEN

KAPITEL 34: DIE JÄGER

KAPITEL 35: DIE GEJAGTEN

KAPITEL 36: DIE KONTROLLEURE

KAPITEL 37: DIE ORDNUNGSHÜTER

KAPITEL 38: DIE VERGESSENEN

KAPITEL 39: DIE KAVALLERIE

KAPITEL 40: DIE SEEFAHRER

KAPITEL 41: DIE EXILANTEN

KAPITEL 42: DIE ORLICHTER

KAPITEL 43: DIE STERNGUCKER

KAPITEL 44: DIE RETTER

KAPITEL 45: DIE ÜBERLEBENDEN

KAPITEL 46: DIE WIEDERVEREINTEN

KAPITEL 47: DIE EXPEDITION

KAPITEL 48: DIE GÄSTE

KAPITEL 49: DIE DENKER

KAPITEL 50: DIE NOVIZEN

KAPITEL 51: DIE BETROFFENEN

KAPITEL 52: DIE GEISTER

TEIL VIER: ALTE WUNDEN

KAPITEL 53: DIE VERSCHWUNDENEN

KAPITEL 54: DIE KONFRONTATION

KAPITEL 55: DER FANG

KAPITEL 56: DER TRAUM

KAPITEL 57: DIE GEEINTEN

KAPITEL 58: DIE ANSTALT

KAPITEL 59: DAS DUELL

KAPITEL 60: DIE WAHRHEIT

KAPITEL 61: DIE INITIATIVE

KAPITEL 62: DIE LEKTION

KAPITEL 63: DIE TÜRSCHWELLE

KAPITEL 64: DER BRUCH

KAPITEL 65: DAS EXPERIMENT

TEIL FÜNF: ALTE FLAMMEN

KAPITEL 66: DER WETTLAUF

KAPITEL 67: DER ANGRIFF

KAPITEL 68: DIE SÄUBERUNG

KAPITEL 69: DER GIPFEL

KAPITEL 70: DER TEMPEL

KAPITEL 71: DIE BLASE

KAPITEL 72: DIE WAHL

KAPITEL 73: DER ABSCHIED

KAPITEL 74: DER KÖNIG

KAPITEL 75: DER KULTIVATOR

KAPITEL 76: DER STARTSCHUSS

KAPITEL 77: DIE KERZE

KAPITEL 78: DAS URTEIL

KAPITEL 79: DER KÄFIG

DANKSAGUNG: DES AUTORS

TEIL EINS

ALTE WELTEN

KAPITEL I

DER CAPTAIN

»Hey, ich sagte doch, ich will auf den Bock!«

Auf dem Co-Pilotensitz des Shuttles neigte Spock den Kopf zur Seite, blickte nach hinten und hob eine Braue. »Captain, ich wüsste nicht, was ein …«

»Entspannen Sie sich, Lieutenant.« Christopher Pike grinste mit der Kaffeetasse in der Hand. »Sie wollen sagen, dass Sie nicht wissen, was ein männliches Exemplar der Gattung Capra mit der Sitzordnung eines Shuttles zu tun haben könnte, und Uhura wird Ihnen erklären, dass der Ausdruck auf die Bezeichnung für die vordere Sitzbank in der Zeit der guten, alten Kutschen zurückgeht. Sie wissen schon, Cowboys und so. Und Nummer Eins wird mir den Blick zuwerfen, den sie mir gerade zuwirft.«

»Der wiederum keiner Erklärung bedürfen sollte«, sagte Lieutenant Commander Una Chin-Riley vom Pilotensessel aus. »Oder, Kadett?«

Nyota Uhura grinste. »Ich wollte nur ergänzen, dass der Begriff eventuell tatsächlich aus dem Wort für Ziegenbock entstanden ist.«

»Sag ich ja: Alle haben Bock auf Bock.« Pike nahm in der zweiten Reihe neben Uhura Platz und blickte nach vorne zu seinem ersten Offizier. »Wie schlägt sich unser neues Baby?«

»So weit, so gut.« Chin-Riley tätschelte die Kontrollkonsole des Shuttles. Uhura berührte ihren Ohrhörer. »Die Enterprisemeldet lediglich sporadischen Sichtkontakt mit uns. Nur drei Sensoren erfassen uns noch.«

»Gut«, sagte Pike. »Vielleicht haben wir Glück und schütteln sie komplett ab.«

Das Shuttle Eratosthenes war für die neue Forschungsära der Obersten Direktive gebaut worden. Eine spezielle Abschirmung schützte es vor Infrarot- und Radarerfassung und seine thermischen und elektromagnetischen Emissionen waren minimal. Ein dünner Film, der auf die Außenhülle des Shuttles aufgetragen war, kontrollierte durch die Variation der durchgeleiteten Spannung, welche Farben von ihm reflektiert wurden. Das Ergebnis war zwar keine Tarnvorrichtung, wie sie die Klingonen während ihres letzten Krieges mit der Föderation benutzt hatten, aber mit solchen Dingen wollte die Sternenflotte ohnehin nichts zu tun haben. Dieses Shuttle diente dem Zweck, neue Zivilisationen zu erforschen, ohne dort Panik auszulösen.

Der Shuttlekonstrukteur, ein ehemaliger Chefingenieur der Enterprise, hatte Pike den Prototyp zum Testen geschickt. Der Captain hatte sofort eine Verwendung dafür gefunden: den Eintritt in den Bullseye-Nebel, um sich dort einem Planeten zu nähern, der so unbekannt war, dass weder er noch sein Mutterstern Namen hatten, die über die Katalogeinträge der Vermesser hinausgingen.

»Fünfhunderttausend Kilometer bis FGC-7781 b«, meldete Spock. »Wir befinden uns jetzt an der letzten gemeldeten Position der Braidwood.«

»Voller Stopp«, befahl Chin-Riley, die wie immer Pikes Gedanken gelesen hatte.

Laut Sternenflottenverzeichnis handelte es sich bei der Braidwood um das Schiff einer zivilen anthropologischen Expedition, zu dem es seit fast einem Jahr keinen Kontakt mehr gegeben hatte. Ihre letzte Nachricht, die an die Unterstützer der Expedition übermittelt worden war, hatte erwähnt, dass die Langstreckensensoren auf dem größten Planeten im System von FGC-7781 eine Gesellschaft entdeckt hatten, die offenbar noch nicht im Warpzeitalter angekommen war.

»Die Vermutung der Expeditionsteilnehmer war korrekt«, sagte Spock, während er seine Messwerte abrief. »Mehrere Lebensformen und künstliche Strukturen in dichten Bevölkerungszentren sowie diverse kleinere, die über ländliche Gebiete verteilt sind.«

»Stadt und Land also. Fehlt nur noch Fluss«, sagte Pike. »Funkübertragungen?«

»Keine entdeckt.« Uhura lehnte sich mit einem Seufzer zurück. »Ich schätze, dann werde ich diesmal einfach den Ausflug genießen.«

Pike nickte ihr verständnisvoll zu. Nicht jede Mission konnte für jedes Crewmitglied zum Abenteuer ausarten.

»Verschmutzungsgrad minimal«, berichtete Spock, der weiterhin Sensorberichte durchging. »Ein erstklassiger Kandidat für eine Studie.«

Wobei das mit dem »erstklassig« wohl die Wurzel des Übels war, dachte Pike. Es war leicht zu erraten, was sich hier zugetragen hatte. Ob ihre Expedition nun von der Föderation genehmigt worden war oder nicht, die Braidwood-Crew wäre verpflichtet gewesen, ihre Entdeckung zu melden und die Position zu halten, bis ein Untersuchungsteam der Sternenflotte eintraf, um den Planeten in Augenschein zu nehmen. Natürlich stieß solch eine Forderung bei Rohstoffprospektoren und Kolonisten auf taube Ohren und Pike ging davon aus, dass Wissenschaftler da nicht anders waren. »Sie sind da runtergeflogen, um sich mal umzusehen, und sind dann nicht mehr zurückgekommen. Und ihre Sponsoren haben sich erst nach einer ganzen Weile ausreichend Sorgen gemacht, um uns endlich mal um Hilfe zu bitten.« Er warf Chin-Riley einen Blick zu. »Was meinen Sie, hab ich den Nagel auf den Kopf getroffen?«

»Die gute alte Gier. Ein absoluter Klassiker.« Sie schüttelte den Kopf. »Manche lernen einfach nie dazu.«

Nun, wir haben dazugelernt, dachte Pike.

Eine Prä-Warp-Gesellschaft wäre nicht imstande, ein Raumschiff wie die Enterprise ins All zu entsenden, allerdings könnten sie durchaus eines wahrnehmen, das über ihnen am Himmel schwebte. Teleskope hatte es auf der Erde schon im siebzehnten Jahrhundert gegeben. Die Eratosthenes hingegen war ideal für eine solche Erkundungsmission und lieferte ganz gewiss mehr Informationen als eine Sonde. »Uhura, melden Sie der Enterprise, dass wir in eine planetare Umlaufbahn gehen. Wir werden mit Scans nach der Braidwood suchen.«

Pike streckte seine Beine entspannt aus, als das Impulstriebwerk wieder ansprang. Er musste hier eigentlich nicht groß mitmischen. Testflüge waren die Spezialität von Nummer Eins und Spocks Fähigkeiten waren jedweder Aufklärungsmission gewachsen. Dessen ungeachtet gehörten jegliche Erstkontakte, selbst wenn sie durch Zufall zustande kamen, zum Aufgabengebiet eines Captains, also hatte er sich diesmal einen Platz in der ersten Reihe gesichert. Sicherheitschefin La’an Noonien-Singh, die für die Dauer dieses Einsatzes im Kommandosessel auf der Enterprise saß, hatte sich natürlich pflichtschuldig dagegen ausgesprochen, er hatte jedoch gar nicht die Absicht, einen Fuß auf den Planeten zu setzen, der nun mit jeder Sekunde größer wurde.

Die Welt war klein genug, um über einen von Eisen ummantelten Kern und ein schützendes Magnetfeld zu verfügen, bot aber gleichzeitig eine große Vielfalt unterschiedlicher Landschaften und weiter Meere. Die rückläufige Rotation bedeutete, dass die Sonne im Westen aufging, und die kurzen Tage sorgten für zusätzliche Ströme atmosphärischer und ozeanischer Zirkulation. Die Nähe des Bullseye-Nebel zu umkämpften Weltraumregionen hatte dafür gesorgt, dass der Planet unerforscht geblieben war, doch der Klingonische Krieg war nun vorbei. Wenn die Braidwood nicht vorbeigekommen wäre, hätte es schon bald jemand anderes getan.

»Kurze Jahre, zwanzigstündige Tage und eine erhebliche Achsenneigung«, führte sein Erster Offizier gerade aus. »Aber viel Vegetation. Die Natur strengt sich mächtig an, weil sie es muss.«

»Hübscher Planet«, sagte Uhura. »Verdient allerdings einen besseren Namen als eine Reihe von Buchstaben und Zahlen.«

»Sie sind die Sprachexpertin«, erwiderte Chin-Riley und passte die Kontrollen an. »Und wenn Sie schon dabei sind, lassen Sie sich doch gleich auch was Besseres für die Eratosthenes einfallen.«

Spock ergriff das Wort, ohne aufzublicken. »Eratosthenes war der erste Mensch, der den Erdumfang und die Neigung der Erdachse berechnet hat. Er benötigte dafür keinerlei Technologie, sondern lediglich Säulen und ihre Schatten.«

»Das weiß ich doch, Mister Spock. Aber im Ernst, der Name ist ein Zungenbrecher. Wenigstens passt er gerade noch so auf die Seite des Shu…«

Das Licht in der Kabine ging aus.

Pike schaute auf. »Hat jemand die Romantik-Taste gedrückt?«

»Ganz und gar nicht«, entgegnete Chin-Riley. »Die Flugkonsole ist ausgefallen. Triebwerke sind offline.«

»Meine Konsole ist nicht funktionsfähig«, sagte Spock.

»Meine ebenso«, fügte Uhura hinzu.

In der Absicht, die Energiesysteme achtern zu überprüfen, stand Pike auf – und musste sofort beide Hände ausstrecken, um nicht gegen die Decke zu knallen. »So viel zu Wandpaneelen mit eingebauter Schwerkrafterzeugung.« Er lauschte angestrengt, während er schwebte. Die Lebenserhaltungssysteme waren ebenfalls ausgefallen.

Der Captain war gerade dabei, sich in den verdunkelten hinteren Teil des Raums vorzuarbeiten, als das Schiff schwankte und er zurück auf das Deck stürzte. Das Impulstriebwerk erwachte rumpelnd zum Leben, während Beleuchtung und Belüftung wieder ansprangen.

Pike rappelte sich auf. »Apropos Bock: Manchmal bockt auch das beste Pferd.«

»Ich fürchte, wir haben nur ein halbes Pferd«, merkte Chin-Riley an, in deren Stimme Sorge mitschwang. »Fehlermeldungen für mehrere Systeme. Die Kommunikation ist ausgefallen.«

Pike rollte mit den Augen. Er holte seinen persönlichen Kommunikator heraus – und stellte überrascht fest, dass dieser auch nicht funktionierte.

Spock ging es mit seinem ebenso. »Seltsam.«

Uhura strahlte. »Meiner funktioniert.«

»Deshalb sind Sie für die Kommunikation zuständig«, sagte Pike und nahm ihr das Gerät ab. Er ließ ein Lächeln aufblitzen, um die Kadettin zu beruhigen. »Pike an Enterprise.«

»Enterprise hier«, antwortete eine gebieterisch klingende Frauenstimme. »Wir hatten Sie nicht auf diesem Kanal erwartet, Captain. Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass Sie nicht auf den Planeten hinunterfliegen würden.«

»Nur die Ruhe, La’an. Ich war ein braver kleiner Captain. Aber wir haben ein Problem.«

Pike blickte seinen Ersten Offizier an. Fragt sich nur, wie groß, überlegte er insgeheim.

Wie als Antwort darauf wurde es in der Kabine erneut dunkel. Diesmal hielt Pike sich an dem Sessel neben sich fest. »Déjà-vu.« Er wandte sich an Spock. »Elektromagnetische Impulse?«

»Wir haben keine Veränderung der Sonnenaktivität festgestellt.« Da es nichts gab, was er an seiner Konsole tun konnte, verließ Spock seinen Sitz und machte sich schwebend auf den Weg nach achtern. Eine Minute später berichtete er, dass kein einziges elektrisches Gerät funktionierte. »Nach neuer Bewertung der Lage, Captain, könnte an Ihrer Theorie etwas dran …«

Ein weiterer Ruck. Spock stürzte auf das Deck.

»Bisschen launisch die Kleine …«, ächzte Pike.

Sein Erster Offizier erhob die Stimme, um Pikes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Weitere Fehler in mehreren Systemen. Sie starten entweder neu oder sind ausgefallen.«

»Wir bewegen uns immer noch.«

»Das ist die bereits aufgebaute Beschleunigung. Wir waren noch nicht in der Umlaufbahn.«

Una starrte den Planeten an, der vor ihnen immer heller wurde. »Die Leitsysteme haben nicht genug Zeit für eine Neuausrichtung.«

Manuelles Fliegen war nichts Neues für sie, das wusste Pike. Allerdings war das nur möglich, wenn man ein gewisses Maß an Kontrolle über die Antriebssysteme hatte. »Kursumkehr, sobald das System es zulässt.« Kurz darauf stellte er fest, dass der Kommunikator, den er von Uhura bekommen hatte, nach wie vor funktionierte. Also beschloss er, auf Nummer sicher zu gehen. »La’an, wir haben hier technische Probleme. Holen Sie uns ab.«

»Verstanden.«

»Kopf hoch, Leute. Hilfe ist unterwegs.« Pike sagte das mehr zu Uhura als zu den anderen. Es war noch gar nicht lange her, da hatte er für die neuen Kadetten noch den großen Bruder gespielt; inzwischen aber war er eher so etwas wie der Vater der Kompanie. Es war wichtig, ihr zu zeigen, dass diese Situation hier nichts Besonderes war und es keinen Grund zur Aufregung gab.

Als die Energie wieder ansprang, erwachte auch Uhuras Kommunikator zum Leben. Pike sprach hinein. »Ich will ja nicht drängeln, La’an, aber hier drin wird’s ein bisschen stickig.«

»Hier ist Lieutenant Hemmer«, erklang die strenge männliche Stimme des Chefingenieurs der Enterprise.

»Hallo, Hemmer. Ich fürchte, wir werden Professor Galadjian berichten müssen, dass wir sein schickes neues Spielzeug kaputt gemacht haben.«

»Wenn es nur das wäre, Captain. Soweit ich das beurteilen kann, hat jemand die Naturgesetze kaputt gemacht!«

Pike und seine Gefährten sahen sich verdutzt an. »Würden Sie das bitte wiederholen, Hemmer?«

»Sobald die Enterprise sich Ihrer Position genähert hatte, haben sich viele der Schiffssysteme abgeschaltet und dann begonnen, neu hochzufahren, genau wie bei Ihnen. Und nicht nur das Flugsystem ist betroffen. Alles, was über einen Transtator verfügt, ist ausgefallen. Der elektrische Fluss scheint beeinträchtigt zu sein.«

»Ein elektromagnetischer Angriff?«, fragte Nummer Eins.

Hemmer hörte sie. »Habe ich in Betracht gezogen. Was ich …«

Der Kommunikator verstummte. Pike rief sofort: »Hemmer, noch da?«

Er schaltete das Gerät ein paarmal ein und aus, um sicherzustellen, dass es noch funktionierte. Das tat es … zumindest bis die wenigen noch aktiven Konsolen des Shuttles wieder dunkel wurden. Hemmer, so hoffte Pike, würde sich in einer solchen Situation besser zurechtfinden können: Der blinde Angehörige der Aenar, einer andorianischen Unterspezies, visualisierte Gegenstände mithilfe einer telepathischen Gabe, die nur wenige Außenstehende verstanden.

Sobald die Energie ein weiteres Mal zurückkehrte, ertönte die Stimme des Chefingenieurs. Hemmer klang leiser, aber erregter.

»Das Auftreten dieser Ausfälle geht mit einer beträchtlichen Zunahme des elektrischen Widerstands einher, wodurch jegliche elektrische Aktivität verzögert wird. Die Länge der Zeitfenster, in denen unsere Systeme funktionsfähig sind, nimmt logarithmisch ab, je mehr wir uns dem Planeten nähern.«

»Aber wir sind noch näher dran als Sie«, sagte Pike. »Und das mit jeder Sekunde mehr.«

»Wir gehen davon aus, dass Sie in vier Minuten keine funktionierenden elektrischen Geräte mehr haben werden.«

Uhuras Augen weiteten sich – und sie fasste sich an die Stirn. »Lebewesen sind auch voller elektrischer Ströme! Könnte es uns schaden?«

»Ich kann das, was Chief Hemmer beschrieben hat, nicht weiter ausführen«, sagte Spock. »Doch was magnetische Impulse angeht, hat sich das Gehirn wesentlich weniger anfällig für elektrostatische Schäden gezeigt als elektronische Komponenten.«

»Wie anfällig sind Gehirne bei einem unkontrollierten Shuttleabsturz?«, fragte Nummer Eins mit eisigem Unterton. Die Eratosthenes ließ keine Kursänderung zu.

»Auch bei uns bestehen Risiken«, sagte Hemmer. »Doktor M’Benga stimmt mit Spocks biologischer Einschätzung überein, aber er befürchtet, dass diese wiederholten Ausfälle seinen Patienten schaden könnten, wenn wir uns weiterhin in dieser Region aufhalten.«

Da er keine Ahnung hatte, ob sich jemand auf der Krankenstation in kritischem Zustand befand, blickte Pike zu seinem Ersten Offizier hinüber. Sie nickte ihm kurz zu. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie mehr wusste als er. »Verstanden«, sagte er schließlich. »Wie ich Sie kenne, Hemmer, haben Sie einen Plan.«

»Wenn die physikalischen Grundgesetze der Bewegung nicht auch noch rebellieren, werden wir auf dem Weg aus dieser Region hinaus an Ihrer Position vorbeikommen. Wir bewegen uns beide zu schnell in unterschiedliche Richtungen, um einen Schiffskontakt herstellen zu können, allerdings sollten wir in der Lage sein, es mit dem Transporter zu versuchen.«

»Der Transporter!«, wiederholte Uhura laut, bevor sie Pike zuflüsterte: »Ist das eine gute Idee?«

Das Shuttle erreichte die ersten Ausläufer der Atmosphäre, was das Schiff erzittern ließ. Pike hielt sich Uhuras Kommunikator vor die Lippen. »Hemmer, wir sind hier an einem Ort, an dem den Naturgesetzen nicht zu trauen ist, und auf der Enterprise versagen zufällig verschiedene Dinge. Sind Sie sicher, dass der Transporter die richtige Wahl ist?«

»Er ist die einzige Wahl«, stellte der Chefingenieur fest. »Wenn es ein Problem gibt, kann ich das System so einstellen, dass es Sie auf die Planetenoberfläche schickt und nicht zurück an Ihre gegenwärtige Position. Eine passende Analogie dafür wäre …«

»Man verschickt einen Brief mit falschem Absender drauf?«

»Ich wollte sagen: ›Irgendwas, das ich mir jetzt ausdenken müsste, wofür mir aber gerade die Zeit fehlt.‹«

Spock klang ernst. »Der Plan des Lieutenants hieße, dass er uns auf einer Welt absetzen würde, über die wir so gut wie nichts wissen.«

»Wir rasen ungebremst auf die Oberfläche zu«, presste Chin-Riley hervor und kämpfte mit den Kontrollen. »Hemmers Plan klingt für mich besser als nichts.«

Das hier könnte sonst ein krachender Schuss in den Ofen werden, dachte Pike. »Tun Sie es, Hemmer! Und egal, was passiert, bringen Sie die Enterprise hier weg, bis Sie wissen, was los ist.« Er starrte auf die rasch näher kommende Welt. »Sie haben mein volles Vertrauen.«

»Natürlich habe ich das«, sagte Hemmer. Er machte eine kurze Pause. »Wenn Sie dennoch unverzüglich Ihre Umweltanzüge anlegen wollen, würde ich es Ihnen nicht übel nehmen.«

KAPITEL 2

DIE SCHÄFERIN

»Nun komm schon, Gesell – zeig mir dein Fell. Nun komm schon, Gesell – zeig mir dein Fell …«

Es war ein eigentümlicher Singsang und Lila Talley wusste, dass ihre Beute kein Wort davon verstehen würde. Aber es war Teil des Mantras, das ihr Großvater beim Aufspüren verloren gegangener Schafe stets geträllert hatte, und ab und an fruchtete es sogar.

Heute allerdings nicht. Bei dem Ausreißer handelte es sich um eines von mehreren Mutterschafen, die am Vortag nach einem plötzlichen Wolkenbruch in alle vier Himmelsrichtungen davongejagt waren. Lila kannte das, sie war an einem Ort aufgewachsen, wo Gewitter stundenlang wüten konnten. Hier in dieser Gegend neigte der Himmel hingegen dazu, mit einer Million winziger Blitze von einem Moment auf den anderen all seine Kraft zu entladen. Das Ganze war immer ein kurzes, prächtiges Spektakel, doch es trieb die Schafe ein ums andere Mal fast in den Irrsinn.

Die Frau mit den rostbraunen Haaren lenkte ihren Hengst durch ein Gebüsch. Buckshot, ein schwarzer Appaloosa mit weißen Flecken, war ein pflegeleichtes Tier und besaß den stolzen Gang seiner Rasse – und obwohl er ihr erst seit dem letzten Winter gehörte, bildeten sie bereits eine Einheit.

Anders verhielt es sich mit ihrem zweiten Partner. Rufus tauchte aus einem Gebüsch auf und ließ sich vor dem Pferd auf den Boden plumpsen. Sie brachte ihr Reittier zum Stehen und starrte den Hund an. »Mehr hast du nicht zu sagen?«

Rufus wimmerte kurz und wälzte sich betont mitleiderregend im Staub.

»Du bist echt keine Hilfe.« Lila rückte ihren Hut zurecht und setzte Buckshot wieder in Bewegung, was die träge Fellnase zwang, rasch auf die Beine zu rollen, um den Hufen des Pferdes zu entgehen. Zu Hause hätte sie die freie Wahl zwischen diversen Hüte- und Spürhunden gehabt; in dieser Gegend hatten die Züchter mit dem wenigen, was sie zur Verfügung hatten, ihr Bestes gegeben. Rufus war dieses Beste, eine genaue Bezeichnung dafür drängte sich aber nicht auf.

Allen Widrigkeiten zum Trotz war das Leben hier die Entbehrungen wert. Als sie ein breites Tal erreichte, spürte Lila pures Glück in sich aufsteigen. Die Landschaft, die sich vor ihr erstreckte, erstrahlte in Grün- und Goldtönen und sah aus wie ein Gemälde. Ein Bauernhaus mit Scheune und mehreren Nebengebäuden stand auf einer Lichtung, während sich das hölzerne Rad einer Mühle durch das sprudelnde Wasser eines Baches drehte. Das Haus der Magees gehörte nicht zu den hübschesten Gebäuden; vieles daran war baufällig. Doch Panoramen wie dieses verschlugen ihr immer wieder den Atem.

Ich kann immer noch kaum glauben, dass es diesen Ort gibt.

Ein Mädchen mit sandfarbenen Haaren stand vor der großen Scheune. Es bemerkte sie und winkte Lila euphorisch herbei. Jennie Magee war noch drei, vier Jahre davon entfernt, als Erwachsene zu gelten, und obwohl Lila seit ihrer Ankunft in dieser Region nicht viel mit Kindern zu tun hatte, kannte sie Joe, den Vater des Mädchens: ein Witwer mit leichtem Hang zum Unruhestiften. Lila konnte sich vorstellen, dass es schwierig sein musste, mit ihm zusammenzuleben.

Lila und Rufus kamen vor dem Mädchen zum Stehen. Das grinste und packte den Griff des Scheunentors. »Bin gleich zurück, Miss Talley.« Jennie verschwand in dem Gebäude. Sekunden später bugsierte sie ein Schaf ins Freie. »Gehört das zufällig Ihnen?«

Lila lächelte. »Wo war die Streunerin denn?«

»Hinten in Mamas Kräutergarten.«

»Hat sich also ein Festmahl gegönnt. Ich bin beeindruckt.« Lila stieg ab und musterte das Tier kurz.

»Hat sie euch viel weggefressen?«

»Nein. Ich meine, ich weiß es nicht genau.« Jennie deutete auf das Grundstück und schnitt eine Grimasse. »Wir kümmern uns nicht mehr viel um den Kräutergarten.«

Rufus trottete auf das Mädchen zu und wollte ein bisschen Aufmerksamkeit ergattern.

»Du und deine Kameraden mal wieder. Ihr habt mich zwei Stunden gekostet«, schimpfte Lila das Mutterschaf halb im Spaß aus. Ein Blöken ertönte als Antwort.

Jennie kraulte den Bauch des dankbaren Hundes und sah auf. »Ihre Herde ist doch so groß. Da versteh ich ehrlich gesagt nicht, warum Sie sich auf die Suche nach Ausreißern machen. Früher oder später hätte irgendwas hier draußen sie einfach aufgefressen.«

»Genau das befürchte ich ja«, erklärte Lila und ging zurück zu Buckshot. »Sobald die Raubtiere, die wir hier haben, erst mal auf den Geschmack von Schaffleisch gekommen sind, finden sie sehr schnell heraus, wo sie noch mehr von dem guten Zeug finden. Und dann sind wir gezwungen, die hier zu benutzen.« Sie tätschelte das Holster mit ihrem Gewehr, das sicher hinter dem breiten Blatt des Steigbügelriemens am Sattel verstaut war.

Jennie richtete sich auf und machte einen Schritt auf die Waffe zu. »Darf ich mal sehen?«

Lila nahm das Gewehr heraus und drückte es ihr in die Hand. »Ich bin sicher, ihr habt auch eins.«

»Unseres ist alt.«

»Ist nichts einzuwenden gegen alte Sachen, wenn man sie gut in Schuss hält.«

Jennies Prüfung der Waffe endete mit einem enttäuschten Blick. »Ist die gleiche Bauart wie unseres.«

»Es tut, was es soll. Man muss das Rad nicht neu erfinden.« Lila gestikulierte in Richtung des Waldes am Rande der Farm. »Wie dem auch sei. Das Letzte, was wir gebrauchen können, ist ein Haufen wilder Tiere, die zum Abendessen vorbeikommen. Munition ist kostbar.«

»Schätze, Sie haben recht.« Jennie wollte das Gewehr wieder ins Holster stecken.

Lila hielt sie auf. »Mit der rechten Seite nach oben, sonst verhunzt die Reibung die Visiereinstellung.«

Sie trat neben Jennie und zeigte dem Mädchen, wie man die lederne Gewehrtasche richtig verschloss.

»Man will schließlich nicht jedes Mal die Waffe verlieren, wenn man über etwas springt.«

»Pa trägt unseres immer bei sich – und wir reiten nirgendwo hin, bloß in die Stadt.«

»Tja, man weiß ja nie. Vielleicht fangt ihr ja auch mit dem Schafhandel an.«

Jennie schloss das Scheunentor ohne sonderlich viel Elan. »Wird Ihnen das mit den Tieren nicht langweilig?«

Lila lächelte. »Niemals. Es gibt viel zu lernen – sogar von Schafen.« Sie nickte in Richtung des verirrten Mutterschafs. »Man muss immer Ruhe bewahren. Ihnen ihren Freiraum lassen. Sie langsam antreiben – und man darf nicht zulassen, dass sich Gruppen abspalten. Jeder Tag bietet eine wertvolle Erkenntnis.«

»Na, wenn Sie das sagen.«

Lila schwang sich wieder auf ihr Pferd. Selbst aufgeweckte Jugendliche wie Jennie schätzten nie das, was sie hatten, doch das verging meistens irgendwann. Die Kleine würde die Dinge eines Tages mit Sicherheit ähnlich sehen – ihr Vater mochte da allerdings anders gestrickt sein. Während Lila das Mutterschaf vorwärtstrieb, reckte sie den Hals und schaute sich um.

»Wo genau steckt dein Vater eigentlich?«

»Bei der Teergrube.« Jennie deutete nach Norden. »Er baut Teer ab, um die Zisterne auszukleiden.«

»Hm.« Lila blickte zur Mühle hinüber. »Euer Wasserrad läuft schnell.«

»Das Wasser fließt schnell.«

»Ich meinte, es ist im Leerlauf. Die Gänge sind offenbar nicht eingelegt. Bisschen seltsam für die Erntezeit, findest du nicht?«

»Hier ist immer Erntezeit«, sagte Jennie. Sie seufzte. »Na jedenfalls, wie ich schon sagte, er ist nicht da. Er kommt später wieder.«

Lila hatte den Eindruck, dass Joe Magee seine Tochter nicht das erste Mal allein zurückgelassen hatte. Sie musterte Jennie. »Na gut. Aber halt dich ran, hörst du? Tatkraft ist bei Tage Pflicht … du kennst unsere Redensart ja.«

Jennie kannte sie sogar auswendig: »Tatkraft ist bei Tage Pflicht, ehe Nacht die Tugend bricht.«

»Stimmt. Es ist schon Nachmittag und wir sind nicht dafür gemacht, nachts zu arbeiten. Du willst doch nicht, dass das Leid über dich kommt.«

Bevor sie noch mehr sagen konnte, ertönte in der Ferne ein Schuss. Lilas Hand tastete nach ihrem Gewehr. Als ein weiterer Schuss die Stille zerriss, hatte sie es bereits in der Hand. Jennie blickte nach Norden. »Das ist nur Pa. Wahrscheinlich soll ich ihm mehr Eimer bringen.« Sie ging hinüber zu einem Stapel mit mehreren Holzeimern.

»Haben Sie Lust, etwas Teer zu schleppen?«

Lila schüttelte den Kopf. »Er sollte nicht so viel Munition verschwenden. Also, ich habe eine Herde, um die ich mich kümmern muss. Viel Spaß, Kleine.« Sie pfiff Rufus zu und setzte ihr tierisches Gefolge in Gang.

Dann und wann ritt sie in die entfernteren Winkel des Bezirks, um mit der religiösen Gemeinde Kontakt zu halten, doch mitunter war es gar nicht so übel, auch mal abseits ihres Amtes unter die Leute zu kommen. Die Mitglieder bäuerlicher Gemeinschaften schätzten ihre Freiheit und Abgeschiedenheit, steckten jedoch ständig und nur allzu gerne die Nase in anderer Leute Angelegenheiten. Lila sah darin etwas Tröstliches. Nachbarn kümmerten sich umeinander.

Zäune würden hier überhaupt nicht zum Leben gehören, wären da nicht die Tiere. Die Leute markierten ihre Grundstücksgrenzen nicht – sie kannten deren Verlauf einfach. Diebstahl war bloß etwas für jene, die nichts hatten, und das nur an Orten, wo man hungrig zu Bett ging. Hier war so etwas nicht nötig. Und ihr Gewehr hätte sie ebenfalls nicht gebraucht, wären da nicht die wilden Tiere. Es gab nie einen Streit, der nicht mit einem Handschlag und einem guten Schluck Birkenbier beigelegt werden konnte.

Für Lila war das alles eine Frage der Einstellung. Wenn man erkannte, dass die besten Dinge im Leben direkt vor einem lagen, war es unwahrscheinlich, dass man sich wegen irgendetwas an die Gurgel …

Bumm!

Ein durchdringender Knall, lauter als alles, was Lila je bei einem Sturm gehört hatte. Das in Panik geratene Mutterschaf schoss schon wieder davon und Rufus flitzte hinterher. Lila nahm die Zügel kürzer, um Buckshot zu beruhigen. Was war das?

Ihr Blick wanderte zuerst gen Norden, dieser Krach war allerdings wesentlich lauter gewesen als Joe Magees Gewehrschüsse. Sie schaute zum Himmel empor. Alles ruhig, keinerlei Anzeichen eines Unwetters. Dort oben zeigten sich nur die malerisch verstreuten silbernen Schlieren der nachmittäglichen Aurora – und dann plötzlich ein Ding.

In dieser Gegend tauchten ständig irgendwelche Objekte in der Luft auf, doch dieses stand hoch am Himmel und pflügte mit rasender Geschwindigkeit durch die Zirruswolken. Zudem glänzte es. Lila hatte es gerade erst bemerkt, als ein zweiter Knall über das Ackerland schallte. Das Geräusch stammte von einem Punkt ein gutes Stück hinter dem Objekt, und während ihre Augen noch versuchten, die Stelle zu fixieren, war das merkwürdige Etwas bereits hinter dem nordöstlichen Horizont verschwunden.

Sie blieb mehrere Augenblicke lang im Sattel sitzen und wartete ab, ob es zurückkehrte oder ob ein weiterer Knall ertönte. Sekunden vergingen. Eine halbe Minute. Da war nichts außer der Aurora und dem Herbstwind, der durch einen nahen Baumbestand blies. Irgendwo im Dickicht erklang das aufgeregte Bellen von Rufus.

Lila zuckte mit den Schultern. Sie musste ein Schaf finden – schon wieder. »Nun komm schon, Gesell – zeig mir dein Fell.«

KAPITEL 3

DER GÄRTNER

»Harjon, leben wir in einer perfekten Gesellschaft?«

Als Antwort auf seine Frage schlug Drayko Stille entgegen. Er blickte vom Arbeitstisch auf, den er zum Umtopfen der Pflanzen benutzte, und schob seine Brille wieder nach oben. Sein neuer Knappe, kaum mehr als ein Jugendlicher, stand in der Tür zum Arboretum und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, wobei er um ein Haar das Tablett voller Flaschen fallen ließ, das er trug.

»Es tut mir leid«, krächzte sein im Stimmbruch befindliches Organ. »Was wollten Sie von mir wissen?«

»Ob wir in einer perfekten Gesellschaft leben.« Draykos eigene Stimme war vom Alter rau geworden. Mit seiner Schaufel in der Hand beschrieb er einen weiten Bogen. »Du. Ich. Alle denkenden Lebewesen auf dieser Welt.«

Harjon schien darüber nachzudenken. »Wenn wir Vollkommenheit an Wohlstand, Gesundheit und gegenseitigem Wohlwollen messen, dann ja: Wir leben in einer perfekten Gesellschaft.«

»Hmm. Eine wohlüberlegte Antwort. Wann hast du sie auswendig gelernt?«

»Ich habe nicht …«

»Heraus damit. Wann?«

Ertappt sprach Harjon leiser und selbst seine vielen Sommersprossen konnten nicht verbergen, dass ihm die Schamröte ins Gesicht stieg. »Als man mir gesagt hat, dass ich in Ihren Dienst gestellt werde, Sir.«

»Ah, da hast du ja schon die Antwort auf die Frage.« Drayko stellte die Pflanze ab, die er gerade eingetopft hatte, und ging auf Harjon zu. »Der springende Punkt ist, dass wir hier tatsächlich in einer perfekten Gesellschaft gelebt haben – jedenfalls bis du mir zugeteilt wurdest. Seitdem kommt der Tee zu spät, Dünger wird auf dem Boden verschüttet und Pflanzen, die noch nie eine einzige Blattlaus hatten, werden nun von ihnen heimgesucht.« Er nahm eine der Flaschen von Harjons Tablett. »Das alles hast du in neun Tagen vollbracht.«

»Acht, Sir.«

»Ruhe.« Drayko befestigte eine Sprühdüse an dem Behälter und ging zu den Stauden hinüber. Harjon folgte ihm auf Schritt und Tritt.

Eine weitere Vegetationsperiode neigte sich dem Ende zu und Drayko hatte noch viel zu erledigen. Natürlich besaß er die Mittel, um das Gewächshaus zu beheizen; das von ihm so hingebungsvoll kultivierte Grün war zu wertvoll, um es nicht zu schützen. Aber er wollte, dass alles perfekt war, bevor er weitere Pflanzen von draußen hereinholte. So viele Faktoren spielten bei seiner Arbeit eine Rolle. Kein Assistent hatte das je zur Gänze begriffen und Harjon hatte ihm bis dato keinen Anlass gegeben, etwas anderes zu erwarten.

Dennoch war es sein Los im Leben, die Hoffnung nicht aufzugeben.

»Jede dieser Arten stammt von einem anderen Ort«, erklärte Drayko, während er sprühte. »Und doch sind sie alle hier und gedeihen nebeneinander. Wässert man sie zu stark oder lässt sie zu stark wuchern, könnte man eine oder sogar alle verlieren.«

»Ja, Sir. Es gibt Regeln.«

»Die ich nicht aufgestellt habe, Junge. Ich halte sie nur ein.«

Eine Menschenfrau hatte ihm einmal gesagt, »Drayko« klinge wie der Name einer großen Schlange in der alten Kultur ihres Volkes – und auch wie der Name eines berüchtigten strengen Gesetzgebers. Es war typisch für die Menschen, die seltsamsten Verbindungen herzustellen. Drayko hatte ihr entgegnet, dass er keineswegs streng sei, außer wenn es um Unkraut ging. Die Schlangen-Interpretation gefiel ihm jedoch, besonders nachdem die Frau ihm von einer weiteren Legende einer anderen Kultur berichtet hatte – von einer großen Schlange, die die Welt umkreiste. So betrachtete Drayko auch seine Heimat Epheska. Er umfing den Planeten in einer liebevollen Umarmung und schützte die meisten seiner Länder sowie einige seiner Meere. Wenn er je losließe, würde alles auseinanderfallen. Und das war keine Legende.

Er holte die Schere heraus und fing an, die besonders langen Dornen zu kürzen, als eine Frau in einem lavendelfarbenen Mantel das Arboretum betrat. Sie war noch älter als Drayko und fungierte als seine Verbindung zur Welt außerhalb des Tals – und sie hatte nie auch nur den geringsten Respekt gezeigt, wenn es um seine Privatsphäre beim Gärtnern ging. »Für den heutigen Tag habe ich alle Termine hinter mich gebracht, Zoryana. Was gibt es also schon wieder?«

»Dein Sohn hat sich immer noch nicht gemeldet.«

»Ich dachte, deine Aufgabe wäre es, mir Neuigkeiten zu überbringen.« Er blickte zu ihr hinüber und sah mehrere Pergamentrollen in ihren Händen. »Ich verstehe. Die bringst du auch.«

»Es war ein ereignisreicher Tag. In der Nähe von Jevarsk wurden wilde Pferde gesichtet.«

»Was ich ebenfalls schon wusste.«

»Siehst du, wie er mit mir spricht?« Zoryana rollte theatralisch mit den Augen, offenbar in Richtung Harjon, ehe sie weitersprach. »Die Aufseherin von Jevarsk ersucht dich um deinen Rat. Sie ist besorgt, dass ihr Volk die Pferde als lästig empfinden wird.«

»Sie werden sie wohl eher als absolut erschreckend empfinden.« Drayko lachte auf. »Ihre Leute sind kaum mehr als einen Meter groß.«

Da er ein Thema hörte, das er verstand, meldete sich Harjon zu Wort. »Meine Schwester sagt, dass es inzwischen überall Wildpferde gibt.«

»Da versteckt sich also der Grips in eurer Familie«, brummte Drayko. »Ein Glück, dass sich Zweibeiner nicht so schnell vermehren, was? Nun, trotzdem ist es übertrieben, die Pferde als eine Art Landplage zu bezeichnen, wenn man bedenkt …«

Er unterbrach sich, wie er es oft tat, wenn eine Idee sich seiner Gedanken bemächtigte. Er hatte die Lösung in Sekundenschnelle parat. »Sag der dortigen Aufseherin, sie soll eine kontrollierte Brandrodung am Veros Hang vorbereiten. Dann gibt es für die Pferde nichts mehr zu fressen – und der Winter naht, also werden sie sich dieser Gegend nicht weiter nähern. Das verschafft uns Zeit für eine umfassendere Lösung.«

Zoryana machte sich eine Notiz. »Und was soll ich den Jevarskanern sagen, was sie mit den Pferden machen sollen, die bereits dort sind?«

»Sag ihnen, sie sollen nicht zu dicht hinter ihnen gehen. Und was immer sie auch tun, sie sollen nicht nach oben schauen.«

So ging es immer weiter, was seine kostbare Zeit allein, die er sich normalerweise nach der Arbeit gönnte, langsam auffraß. Weitere alltägliche Nachrichten, in denen er um Ratschläge zu allen möglichen Themen gebeten wurde, von Rohstoffen über Infrastruktur bis hin zur Forstwirtschaft. In fast allen Fällen wussten die Fragesteller bereits, was das Richtige war. Sie wollten bloß, dass Drayko ihre Entscheidungen absegnete. Er tat dies schnell und ohne den Blick von seinen Pflanzen abzuwenden. Nur ein Bericht über eine der seltenen Meinungsverschiedenheiten, in diesem Fall zwischen zwei Siedlungen, ließ ihn ein paar Sekunden lang innehalten. Länger brauchte er nicht, um eine Lösung zu finden, mit der beide Parteien zufrieden sein würden und die gleichzeitig mit den Überzeugungen übereinstimmte, die alle teilten.

Harjon hörte aufmerksam zu – und das so vertieft, dass er nicht an der richtigen Stelle stand, als Drayko sich umdrehte, um seine Sprühflasche auf dem Tablett abzustellen. Sie zerschellte auf dem Boden.

»Na wunderbar«, stöhnte der ältere Mann, während sein Helfer sich beeilte, die Scherben einzusammeln. Drayko funkelte Zoryana an. »Wenn du nicht willst, dass der arme Harjon zu dem Schluss kommt, dass unsere perfekte Gesellschaft in Wirklichkeit eine zutiefst langweilige ist, bitte ich dich, alle weiteren Angelegenheiten bis morgen aufzuschieben. Genug ist genug.«

Zoryana blickte mit geübter Geduld auf den verunsicherten Jüngling herab. »Kind, es muss eine Enttäuschung für dich gewesen sein zu erfahren, dass der große Drayko in Wirklichkeit ein alter …«

Draußen ertönte eine Glocke. Drayko und Zoryana sahen sich an. »Erwartest du jemanden?«, fragte er.

»Nein.« Sie raschelte mit ihren Papieren. Die Glocke läutete erneut.

Ein zweimaliges Läuten war definitiv ungewöhnlich. Drayko schritt an Harjon vorbei und lief mit Zoryana im Schlepptau zum Ausgang.

Als er seine Terrasse betrat, war diese in herbstliches Licht getaucht. Er ging zur Balustrade und spähte zum Innenhof hinab. Die Glocke befand sich dort unten, vor einem Tempel aus großen Marmorblöcken. Ein Kurier verließ gerade das Gebäude und stieg eine lange Treppe zu Drayko hinauf. Ein zweiter Sendbote folgte wenige Schritte hinter ihm.

Die atemlosen Männer erreichten den Treppenabsatz im Abstand von zehn Sekunden.

Beide trugen Pergamentrollen für Zoryana bei sich. Sie studierte sie eingehend und zeigte sie anschließend Drayko. »Lichtblitze. Aus Hohlagad und aus der Cherra-Bucht.«

Solche Alarmsignale ohne jeglichen Kontext wurden gegeben, wenn eine Partei keine Zeit hatte, um Genaueres mitzuteilen. Ein Lichtblitz aus Hohlagad konnte einen Tornado bedeuten. Einer aus der Cherra-Bucht stand vielleicht für einen Tsunami. Es gab allerdings keinen Grund, warum er Warnsignale aus beiden Orten erhalten sollte, und das in so rascher Folge. Was könnten sie gemeinsam haben?

Die Antwort dämmerte ihm kurz darauf.

»Die beiden Orte liegen auf einer Linie. Und diese führt hierher.«

Drayko nahm die Zettel in die Hand und eilte zu der nach Südwesten ausgerichteten Veranda. Er starrte nach oben – und seine Augen weiteten sich erstaunt, als ein glühendes Objekt einige Kilometer südlich knapp unter den Wolken entlangzog. Ein schwarzer Kondensstreifen durchschnitt den Nachmittagshimmel und Donner hallte durch das Tal. Sein Echo war noch nicht verklungen, als der Feuerball hinter den Bergen im Osten verschwand.

Zoryana schwieg. Harjon hatte die Augen weit aufgerissen. Er hielt sich die Hände vor den Mund und presste ängstlich hervor: »Was war das?«

»Etwas, das wir finden müssen«, erklärte Drayko, während er weiterhin den Himmel studierte. Dann zog er seine Schürze aus und warf sie dem Jüngling zu. Sein Arbeitstag hatte gerade erst begonnen.

KAPITEL 4

DIE ABGESTÜRZTEN

Spock erwachte und stellte fest, dass er im Begriff war zu ertrinken.

Wenn er genau sein wollte – wie es für ihn üblich war –, so hätte er präzisiert, dass er gerade dabei war zu ersticken, da keine Flüssigkeit von außen in seinen Raumanzug eingedrungen war. Vielmehr war er ein gutes Stück weit unter einer flüssigen Oberfläche zu sich gekommen und hatte nur die Luft zur Verfügung, die sich in seinem Helm befunden hatte, als er ihn aufgesetzt hatte. Das Zirkulationssystem hatte beim Anlegen nicht funktioniert und war immer noch außer Betrieb. Dass der Transporterstrahl ihn nicht auf die Enterprise gebracht hatte, lag auf der Hand.

Er vermutete, dass er auf dem Planeten abgesetzt worden war, auf den sie zugerast waren, doch der offizielle Katalogname der Welt wollte ihm in diesem Augenblick nicht einfallen. Der Schmerz, den er spürte, deutete darauf hin, dass er sich zuerst hoch über der Oberfläche materialisiert hatte und beim Aufprall ohnmächtig geworden war. Obwohl er keine Erinnerung an diesen Moment besaß, vermutete er, dass es nicht lange her war, schließlich hatte er noch Luft zum Atmen und hatte den Grund offenbar bisher nicht erreicht. Wie schnell er sank, ließ Rückschlüsse über die Dichte des Mediums zu und schloss mehrere Substanzen aus, die er ohnehin nicht auf dem Planeten vermutete.

Weitergehende Theorien konnte er nicht aufstellen, was in Anbetracht seiner Lage aber durchaus verständlich war, wie er fand.

Er musste etwas unternehmen, doch jede Option barg Risiken. Die neuen Umweltanzüge der Sternenflotte waren zwar leicht, zum Schwimmen jedoch keinesfalls geeignet. Gleichzeitig erkannte Spock keinen Sinn darin, ihn abzunehmen. Er hatte ihn bis jetzt vor dem hier unten herrschenden Druck geschützt; ohne ihn würde es seinem Körper vielleicht nicht so gut ergehen. Ein weiteres Problem war die Flüssigkeit selbst. Er hatte zwar Wasser auf FGC-7781 b entdeckt – jetzt erinnerte sich wieder an den Namen –, allerdings konnte es sich bei dieser Substanz durchaus um etwas weit weniger Angenehmes handeln.

Als das letzte Licht um ihn herum erstarb, beschloss er, dass er keine andere Möglichkeit hatte, als das Risiko einzugehen. Der Notauslöser zum Öffnen des Brustpanzers wurde manuell aktiviert und noch blieb ihm genug Zeit, ihn zu betätigen. Er tastete gerade nach der Verriegelung, als der Fisch auftauchte.

Natürlich wusste er, dass es kein Fisch war, sondern eine andere unterseeische Lebensform. So viel ließ sich aufgrund der leuchtenden Kapseln auf beiden Seiten des meterbreiten Mauls erkennen. Dass Spock sich in akuter Gefahr befand, wurde offensichtlich, als das Wesen in seine Richtung schoss. Er drehte seinen Körper und spürte den Aufprall, als die massige Kreatur ihn zur Seite stieß. Er selbst, das begriff Spock einen Herzschlag später, war nicht das Ziel des Angriffs, sondern ein Objekt, das sich unter und hinter ihm befand. Die Bestie schnappte danach und wurde gefangen, als sich eine Gitterfalle um ihren Leib schloss. Ein Mechanismus sorgte dafür, dass sie umgehend anfing, mitsamt der Beute zur Oberfläche aufzusteigen.

Spock erkannte seine Chance – die vermutlich seine einzige sein würde. Er holte tief Luft und nahm seinen Helm ab. Dann betätigte er den Riegel, mit dem sein Brustpanzer und der Rucksack mit dem kaputten Sauerstoffsystem gelöst wurden, und streifte beides ab. Während sie in die Tiefe sanken, schwamm er mit heftigen Stößen, um die aufsteigende Falle auf ihrem Weg nach oben einzuholen. Er hakte seine Finger zwischen die Lamellen am Boden der Falle. Sein zusätzliches Gewicht bremste den Aufstieg ab.

Er war drauf und dran, der Verbindungsleine bis zur Wasseroberfläche zu folgen, als die Vorrichtung wieder zu steigen begann. Die Strecke nach oben war kürzer, als er befürchtet hatte, und er durchbrach die Oberfläche eine Sekunde nach der Falle. Spock atmete tief ein und kam zu dem Schluss, dass er in Anbetracht aller Gefahren, die ihm gedroht hatten, eine recht passable Leistung erbracht hatte. Schließlich hatten sowohl ein aggressiver Säuregehalt der Flüssigkeit als auch eine durch zu schnelles Auftauchen ausgelöste Stickstoffnarkose in dieser Situation im Bereich des Möglichen gelegen – alles Dinge, an die ein guter Wissenschaftsoffizier denken würde.

Aber er erinnerte sich auch daran, dass es immer unerwartete Variablen gab – eine Tatsache, die sich einen Moment später bestätigte, als ihn ein stumpfer Gegenstand am Hinterkopf traf und bewusstlos werden ließ.

Una Chin-Riley wachte auf und erkannte, dass sie an einem Baum hing.

Genauer gesagt hing sie in einem Baum – und das wortwörtlich. Die Rucksackvorrichtung ihres Raumanzugs hatte sich im Stamm eines gewaltigen Mammutbaums materialisiert. Ihr Körper befand sich glücklicherweise außerhalb davon, doch die sonderbare Fusion von Baum und Rucksack hatte irgendwie gehalten, sodass sie Dutzende Meter über dem Boden baumelte.

Wenn es überhaupt einen Boden gab. Sie konnte ihren Kopf kaum bewegen und vor ihr sah sie nichts als dichten Wald.

Ihr Dilemma sollte eigentlich gar nicht möglich sein. Phasendiskriminatoren hatten seit den Anfängen der Transporter-Ära große Entwicklungssprünge hingelegt. Wenn der gewählte Zielort durch feste Materie blockiert wurde, lenkten die Schiffssysteme den ringförmigen Eindämmungsstrahl entweder in einen für die Materialisierung sicheren Bereich um oder brachen den Transport ganz ab. Hemmer hatte allerdings etwas Besonderes versucht. Er hatte einen Ort-zu-Ort-Transport improvisiert, einen Vorgang, den die Sternenflotte nur selten durchführte, selbst unter perfekten Bedingungen und mit voll funktionsfähiger Ausrüstung. Beides war hier nicht gegeben und die sonst in einem solchen Fall üblichen Alternativen standen nicht zur Verfügung. Die Systeme der Enterprise waren derzeit nicht in der Lage, Personal im Transporterraum zu rematerialisieren, und sie in einem abstürzenden Shuttle zu belassen, hatte offenkundig nicht zur Diskussion gestanden.

Irgendwas war also schiefgelaufen. Das stellte an und für sich keine Katastrophe dar – zumindest noch nicht. Soweit der Commander das beurteilen konnte, hatte die plötzliche Synthese der verschiedenen Materialien keine Explosion ausgelöst; Chin-Riley vermutete, es könnte etwas mit den Quantenphasen zu tun haben oder vielleicht mit den besonderen physikalischen Gegebenheiten an diesem Ort. Sie hätte gerne herausgefunden, wie das Ergebnis der Verschmelzung aussah, wenn sie bloß den Kopf hätte drehen können. Fraglos verdiente dieses Erlebnis eine wissenschaftliche Abhandlung.

Schade, dass ich nicht in der Lage bin, sie zu schreiben. So muss es sich anfühlen, wenn ein Mantel am Ständer hängt.

Zum Glück hatte Spock die atmosphärischen Verhältnisse des Planeten bestimmt, bevor alles drunter und drüber gegangen war. Sie nahm ihren Helm ab und atmete zaghaft ein. Ihre Vorsicht erwies sich als unnötig. Die frische Brise war angenehm, vor allem nach der Zeit an Bord eines Shuttles ohne Luftzirkulation, und der Geruch des Waldes weckte ihre Lebensgeister.

Ihr war klar, was sie tun musste, um sich zu befreien, doch das tröstete sie wenig. Der Rucksack war mit dem Brustpanzer ihres Raumanzugs verbunden, dessen Entriegelung sie problemlos erreichen konnte. Sich einfach fallen zu lassen war eine Option. Dann würde sie allerdings in die Tiefe stürzen – es sei denn, es gelang ihr, ihren Körper blitzschnell zu drehen und sich am Baum festzuhalten. Ein Stück unterhalb und leicht rechts von sich konnte sie einen großen Ast ausmachen, war sich allerdings nicht sicher, ob sie es schaffen würde, ihn zu packen. Sie hatte nur diesen einen Versuch.

Chin-Riley musste sich entscheiden. Das Tageslicht verblasste bereits und sie hatte die Aufmerksamkeit einiger neugieriger Wesen der fliegenden Art erregt. Der gelb gefiederte Vogel, der vor ihr schwebte, erinnerte sie an einen Kolibri, wenn es diese Spezies in der XXL-Papageien-Version gäbe. Sie wusste nicht, wie die Fressgewohnheiten dieses Dings aussahen, und sie hatte auch keine große Lust, es herauszufinden. »Husch! Weg! Kusch!«

Der Vogel kam postwendend näher heran. Sie warf den Helm nach ihm, verfehlte ihn und verursachte ein lautes Scheppern, als die Kopfbedeckung durch die Äste nach unten purzelte. Zehn Sekunden vergingen, bis der Helm auf dem Boden aufschlug. Chin-Riley lächelte den Vogel sanft an.

»Wir sind hier ganz schön hoch, was?«

Ihr Besucher kam wieder ein gutes Stück näher geflattert, sodass sie instinktiv ihr Gesicht mit den gepanzerten Händen schützte. Doch es war kein Angriff, wie sie schnell feststellte. Das Tier landete vielmehr auf ihrer Schulter und begann, an ihren Haaren zu zupfen. Der Erste Offizier der Enterprise wedelte mit der Hand, um es zu vertreiben.

Schließlich musste sie einsehen, dass ihre Bemühungen vergeblich bleiben würden, und ließ die Arme baumeln. Der Vogel hielt inne und krächzte sie mit interessiertem Blick an.

»Ja, ja, kra-kra«, knurrte sie.

Wie peinlich. Gut, dass das keiner sieht.

Nyota Uhura kam zu sich und merkte, dass sie im Begriff war zu schmelzen. Und dabei schrie.

In Sachen Schutzkleidung waren die neuen Umweltanzüge der Sternenflotte das Beste, was es derzeit gab. Die Offiziere brauchten Schutz vor den üblichen extremen Bedingungen im Weltraum, aber auch vor diversen exotischen Partikeln und biologischen Gefahren. Die Arbeit der Raumanzugdesigner hörte nie auf, in der Regel machten sie allerdings einen guten Job. Dieser Umstand hatte Uhura am Leben gehalten, während sie eine unbestimmte Zeit lang auf dem Rücken neben einem aktiven Lavastrom gelegen hatte.

Sie schrie auf, weil sie sich nicht bewegen konnte. Ihr Körper ruhte mehrere Zentimeter tief in geschwärztem Basalt, und obwohl sie annahm, dass das Material des Anzugs nicht Feuer fangen konnte, stand die Frage nach der Schmelzresistenz auf einem anderen Blatt. Sie hatte keine Ahnung, wie sie an diesen Ort gelangt war; sie erinnerte sich an nichts, nachdem sie ihren Helm an Bord der Eratosthenes aufgesetzt hatte. Nun war sie von Hitze umgeben, die sie allmählich sogar durch den Anzug hindurch spürte. Die Kühlsysteme waren ausgefallen, nur der passive Schutz war geblieben. Und der begann zu schwinden.

Also kämpfte sie. Das glühende Gestein war weniger zähflüssig als Treibsand, aber sie hatte nichts, woran sie sich festhalten konnte. Aus einem Impuls heraus erinnerte sie sich an die Brandschutzübungen in ihrer Kindheit. Sie musste nicht erst innehalten und sich fallen lassen, schließlich lag sie bereits am Boden; jetzt machte sie eine Rolle durch die Lava. Einen kurzen Moment lang mit dem Gesicht nach unten in dem Zeug zu stecken war nicht lustig, doch wenigstens war diese Seite der Panzerung der Hitze noch nicht so stark ausgesetzt gewesen. Wieder und wieder rollte sie sich zur Seite, in der Hoffnung, dass sie festen Grund fand und sie sich mit dem Versuch nicht in eine noch schlimmere Lage manövrierte.

Als sie von allen Seiten mit der glühenden Schlacke bedeckt war, bremste sie ab und überlegte – denn nun hatte sie endlich eine Richtung ausgemacht: Es ging abwärts. Der Strom war schließlich ein Strom, der langsam einen Abhang hinunterfloss. Doch Eile war geboten. Die ganze Zeit über stieg die Temperatur und ihre Atemzüge und Herzfrequenz wurden schneller. Schreien war Zeitverschwendung. Ihr blieb nur noch, sich selbst anzuspornen.

Los, Nyota, los!

Uhura setzte ihren Körper ein weiteres Mal in Bewegung. Diesmal wurde sie von nichts aufgehalten. Sie prallte auf festen Fels und kullerte ungehindert weiter. Eine schmerzhafte Erfahrung, aber es fühlte sich wunderbar an. Sie rollte noch ein Stück, um etwas Abstand zwischen sich und den Strom zu bringen.

Schließlich hielt sie auf Händen und Knien am Rande eines Lochs im Boden an, wo Rauch und Dampf austraten. Sie keuchte vor Anstrengung. Die möglichen Gefahren, die das Einatmen der Luft mit sich brachte, verblassten angesichts der Notwendigkeit, den Helm und den Anzug abzunehmen – sie wollte nämlich weder in der heißen Basaltmasse gebacken werden, noch an Ort und Stelle erstarren, wenn das zähe Zeug aushärtete. Uhura trug nach wie vor ihre Enterprise-Uniform – es war keine Zeit gewesen, sich im Shuttle umzuziehen. Sie handelte schnell, achtete jedoch genau darauf, das geschmolzene Gestein nicht zu berühren. Schließlich lag der Anzug in einem dampfenden Haufen zu ihren Füßen.

Sie nahm sich einen Augenblick Zeit, sich umzusehen. In Uhuras Heimatland gab es mehrere Vulkane. Der gewaltige Mount Kenya war schon lange erloschen, während der Emuruangogolak am Großen Afrikanischen Grabenbruch in jüngster Zeit aktiv gewesen war. Doch nichts, was sie in ihrem Leben bisher gesehen hatte, kam diesem Ort gleich. Die Höllenlandschaft, die sie umgab, nahm kein Ende und die schwüle Luft stank beißend nach Schwefel.

Sie musste hier weg! Zuerst kniete sie nieder, um die Überbleibsel ihres Anzugs zu durchforsten und nachzusehen, ob irgendetwas davon noch zu retten war. Vielversprechend sah es nicht aus, aber einen Versuch war es wert. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, waren die Flammen, die plötzlich aus einer Felsspalte in der Nähe schossen.

Uhura wich von dem kaputten Anzug zurück, strauchelte und landete auf ihrem Hinterteil. Sie wollte gerade aufstehen und wegrennen, als die Flammen Ableger ausbildeten, die rasch zu Boden sanken. Sie schossen in fast schon zielstrebiger Manier über den versengten Boden – wie Schlangen auf der Suche nach Beute. Und sie fanden welche: die Ausrüstung, die Uhura abgelegt hatte. Die junge Frau wich einige Meter zurück, als weitere feurige Ranken aus der Tiefe emporleckten, um sich über den zerstörten Raumanzug herzumachen. Er leuchtete kurzzeitig weiß auf, ehe er in sich zusammenfiel und verglühte.

Das hätte ich sein können, schoss es ihr durch den Kopf. Da sie wusste, dass ihr dieses Schicksal nach wie vor blühen konnte, rappelte sie sich auf. Die Flammen vor ihr fauchten und sie schrie erschrocken auf. Dann waberten die Erscheinungen einfach gen Himmel und waren bald darauf nicht mehr von den hellen Schlieren der Aurora zu unterscheiden.

Uhura hatte keine Ahnung, was sie gerade gesehen hatte, und beschloss im selben Moment, dass sie es auch gar nicht wissen wollte. Sie wählte eine zufällige Richtung und rannte los.

Captain Pike war noch nicht aufgewacht.

Und als er es tat, bedauerte er es sofort.

KAPITEL 5

DIE MÜHLE

»Feuer!«

Christopher Pike erwachte, als das Wort erklang, und versuchte aufzustehen. Stattdessen verhedderte er sich in einem Wirrwarr aus Laken, stürzte und schlug auf dem Boden auf.

Ein Stöhnen entfuhr ihm. Obwohl er die Augen fest geschlossen hatte, sah er schwirrende Lichter. Er lag mit der Wange auf etwas, das sich wie ein Holzboden anfühlte. Blinzelnd hob er die Lider und schaute sich um. Das half nicht viel: Der Raum war unbeleuchtet und von tanzenden Schatten erfüllt. Während er versuchte, sich aufzusetzen, wurde ihm klar, dass er sich in einem unbekannten Schlafzimmer befand. Er war nicht auf der Enterprise.

Jeder Knochen tat ihm weh. Er erinnerte sich nicht daran, zu viel getrunken zu haben oder an irgendetwas anderes, das ihn in diesen Zustand hätte versetzen können. Als Teenager war er bei einem Höhleneinsturz fast von Felsen zermalmt worden; das hier fühlte sich auf ungute Weise ähnlich an.

Als er sich aus der Bettdecke befreite, in der er sich verheddert hatte, stellte er fest, dass er fremde Kleidung trug. Durchaus bequem, aber nicht seine eigene. Er setzte sich auf und erkannte, dass die Schatten von orangefarbenem Licht verursacht wurden, das vor einem Fenster flackerte. Seit dem Aufwachen marterte ein lästiges Pochen sein Trommelfell, doch nun hörte er etwas anderes. Den Schrei eines Mädchens – und auch Tiergeräusche. Ein Pferd wieherte. Brennt da eine Scheune?

»Das nenn ich mal schlecht geträumt«, murmelte er, während er sich probeweise hochstemmte, um auf die Beine zu kommen. Der Versuch mündete in ein Straucheln und nur ein Vorhang, den er im Fallen greifen konnte, verhinderte Schlimmeres. Pike lehnte seinen Kopf an die Glasscheibe und starrte hinaus, um sich zu orientieren. Es war Nacht, das helle Flackern draußen beleuchtete jedoch die Umgebung. Als er die Augen zusammenkniff, erkannte er einige Meter entfernt ein großes Mühlhaus, dessen Dach in Flammen stand. Ob er nun träumte oder nicht, er beschloss, dass er sich das ansehen musste.

Er stolperte durch den kleinen quadratischen Raum und fand eine Tür. Der Knauf ließ sich nicht drehen und beim Versuch, mit Gewalt dagegen zu drücken, gaben seine wackeligen Knie beinahe nach. Er wankte zurück zum Fenster, atmete tief durch und schob es nach oben. Ein prüfender Blick verriet ihm, dass er sich im Erdgeschoss über einem kurzen Abhang befand, also kletterte er schön vorsichtig nach draußen.

Dieses Mal fiel Pike tatsächlich. Es gelang ihm, sich abzurollen, um weitere Schmerzen zu vermeiden. Als er schließlich zurückblickte, sah er, dass er tatsächlich aus einem Bauernhaus gekommen war; der Teil stimmte, aber das Fenster befand sich deutlich höher über dem Boden, als er gedacht hatte. Egal: Die Mühle war das Wichtigste, ebenso wie die Teenagerin, die an das Tor des Gebäudes hämmerte.

Pike stand auf und schwankte auf sie zu. Sie schien überrascht, ihn zu sehen. »Was machen Sie denn hier?«, fragte sie.

»Ich weiß es nicht«, antwortete er ehrlich. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wer sie war – klar war nur, dass sie seine Sprache sprach, mit einem Akzent, der ihm vage bekannt vorkam.

Der Kopf des Mädchens zuckte panisch hin und her. »Mein Vater ist da drin!«

Pike blickte auf. Das Dach stand in Flammen und Rauch stieg aus einem hohen Fenster. Er versuchte vergeblich, die große Tür aufzustoßen – und fragte sich, ob das, was ihn verletzt und seinen Verstand benebelt hatte, ihn vielleicht auch körperlich geschwächt hatte.

Das Mädchen beantwortete die Frage. »Pa hat sie von innen verriegelt!«

Immer noch leicht benommen, fragte sich Pike, warum jemand so etwas wohl tun würde – aber dies war eindeutig nicht der Zeitpunkt, um sich danach zu erkundigen. Er schaute nach links und rechts. »Gibt es einen anderen Weg da rein?«

»Den anderen Weg hab ich schon versucht.«

Pike drehte sich um – und lauschte. Er machte die Quelle des Wieherns aus, das er vorhin gehört hatte: zwei Mustangs, die vor einem Wagen standen. Sie waren nicht geflohen, wollten allerdings ganz offensichtlich nichts mit dem Feuer zu tun haben. Er blickte zu dem Mädchen. »Sind die noch eingespannt?«

»Ja. Ich war gerade auf dem Heimweg, als ich das Feuer bemerkt habe.«

»Komm mit!« Das Leben kehrte in seine Beine zurück und er führte das Mädchen so schnell er konnte zum Wagen. Gemeinsam lösten sie das Geschirr der Pferde und führten die Tiere zur Tür. Die cleveren Rösser wollten nicht mitkommen, geschweige denn einem Fremden gehorchen, aber sie kannten das Mädchen, und diesem war klar, was Pike vorhatte. Er schlang eine Kette um den metallenen Türgriff und befestigte sie am Selett der Pferde. Er wandte sich dem Mädchen zu, das mit den Tieren vor ihm stand. »Los!«

Die Vierbeiner ließen sich nicht zweimal bitten, sondern waren gerne bereit, rasch Abstand zwischen sich und die Mühle zu bringen – und auch wenn die Tür Widerstand leistete, der Rahmen tat es nicht. Das Holz zersplitterte, die Tür brach auf und entließ einen Rauchschwall in die Nacht. Pike bedeckte sein Gesicht mit seinem Arm und hustete.

Pikes Helferin erreichte den offenen Durchgang vor ihm, sie war außer Atem, hatte ihre Panik jedoch offensichtlich im Griff. Pike setzte sich in Gang, um die Pferde von der schweren Tür zu erlösen, die sie hinter sich herzogen, und das Mädchen beeilte sich, ihm zu helfen.

»Wie heißt du?«, fragte er.

»Jennie.«

»Geh und hol Hilfe, Jennie!« Pike griff nach einer Decke, die er hinten im Wagen gesehen hatte. »Ich hol deinen Vater da raus!«

Pike rannte los und hielt nur kurz inne, um nach Osten zu schauen, wo ein schwarzer Umriss hoch am Nachthimmel schwebte. Er bewegte sich, aber der Captain hatte keine Zeit, groß darüber nachzudenken. Er musste einen Zahn zulegen, denn das Feuer tobte immer heftiger. Pike fand eine gefüllte Regentonne an der Seite der Mühle und tauchte die Decke ins Wasser.

Mit dem durchnässten Tuch, das ihn bedeckte, kehrte er zum Eingang der brennenden Mühle zurück – nur um zu sehen, wie Jennie vor ihm hineinrannte.

Wenn das hier ein Albtraum ist, dann ist es einer, in dem keiner meine Befehle befolgt!

Pike wickelte sich in die triefend nasse Decke und betrat die Scheune. Er erwartete ein Inferno! Stattdessen sorgte die Glut auf dem Erdboden für den ganzen Rauch – und tauchte einen Teil der unteren Ebene in ein rötliches Licht. Das Mahlwerk fand er unversehrt vor. Beim Obergeschoss sah das schon anders aus. Eine Leiter führte durch ein Loch in der Decke zu den oberen Stockwerken ebenso wie eine große Öffnung, durch die man Getreidesäcke an einem Flaschenzug nach oben ziehen konnte. Die Öffnungen waren vom Licht des Feuers oben hell erleuchtet und Pike konnte erkennen, dass die verkohlten Holzstücke am Boden von dort oben stammten.

Als er begriff, dass Jennie die Leiter hinaufgeklettert sein musste, rief Pike nach ihr.

Er erhielt keine Antwort, hörte aber Wortfetzen von einem Streitgespräch dort oben. Ihm fiel keine gute Lösung ein, wie er die Leiter erklimmen konnte, während er so eingewickelt war, also warf er sich die Decke lose über die Schultern und fing an zu klettern. Falls dabei irgendwas auf ihn herabfiel, spürte er es nicht. Kein Wunder, denn jeder Muskel in seinem Körper brannte bereits wie Feuer.

Er fand Jennie im ersten Stock, der teilweise in Flammen stand. Die brenzlige Lage, in der sie sich befand, schien sie kaltzulassen. Pike folgte ihrem Blick, der nach oben gerichtet war. Der Boden des obersten Stockwerks bildete eine Plattform, deren Breite ein Drittel des Mühlengebäude ausmachte, und Pike bemerkte dort eine Gestalt, die einen dunklen Gegenstand mit ihrem Körper abschirmte, während die Flammen um sie herum tobten.

Jennie hielt sich den Hut vor den Mund, um sich vor dem Qualm zu schützen, und rief: »Pa, komm sofort da runter!«

Von oben schrie ihr Vater zurück: »Verschwinde von hier, Jennie!«

Pike überraschte Jennie, indem er ihren Arm packte. »Du musst hier weg. Er hat recht.«

»Pa ist betrunken«, erwiderte sie und machte keine Anstalten zu gehen.

Pike zog fester an ihr. »Mach schon! Wir werden alle verbrennen!«

»Nein, werden wir nicht.« Jennie schüttelte den Kopf. »Aber der Boden könnte nachgeben und wir könnten alle stürzen, wenn er nicht runterkommt!«

Pike blinzelte nach oben. »Wie heißt er?«

»Joe Magee.«

Der Captain bildete mit den Händen einen Trichter. »Joe!«

Ein bärtiges Gesicht spähte über die Kante zu ihm herab. »Sie!«

Gott, schon wieder dieser Ton! Hab ich irgendwas verpasst?

»Mister Magee, Sie müssen runterkommen!«

»Ich bleibe hier! Verschwinden Sie – und schaffen Sie sie raus!«

Pike konnte dieser Antwort nur zum Teil zustimmen. »Geh runter«, sagte er zu Jennie. »Ich werde tun, was ich kann.«

»Sie?« Sie starrte ihn ungläubig an. »Sie waren heute Nachmittag noch halb tot!«

Dass sie damit recht hatte, spürte Pike mit jeder Faser seines Körpers, aber er durfte diesen Streit nicht verlieren. Glücklicherweise – oder auch nicht – unterstrich ein einstürzender Holzbalken, der bis eben die Decke gestützt hatte, seinen Standpunkt. »Hier«, sagte er und legte ihr die Decke über die Schultern, ob sie es wollte oder nicht. »Hol Hilfe. Und einen Arzt, nur für alle Fälle.«

Das Mädchen nahm die Decke mit ruhigem Blick entgegen und wandte sich ein letztes Mal mit mahnendem Unterton an ihn. »Sie verstehen nicht. Er wird nicht verbrennen. Und Sie auch nicht. Sie müssen ihn nur dazu bringen herunterzukommen.«

Pike fragte sich, ob der Kleinen was auf den Kopf gefallen war – sie redete Unfug. Egal. »Geh!«

Er begleitete sie zur Leiter und wartete, bis sie außer Sichtweite war.