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Abtrünnige Raumschiffe der Föderation lassen Chaos und Zerstörung über den Alpha-Quadranten hereinbrechen. Captain Jean-Luc Picard und die Besatzung der U.S.S. Enterprise sind schockiert, als sie erfahren, dass niemand Geringeres, als Picards ehemaliger Schützling und Freund – Admiral William T. Riker – dahintersteckt. Dieser befindet sich im Rahmen eines Sonderauftrags an Bord der U.S.S. Aventine. Das Schiff ist um einiges schneller als die Enterprise … und Riker kann gegenüber seinem ehemaligen Mentor nicht zurückstecken. Es ist eine Schlacht taktischer Genies und ein Rennen gegen die Zeit, während Picard verzweifelt nach Antworten sucht, bevor die Großmächte des Quadranten mit aller Gewalt zum Gegenschlag gegen die Föderation ausholen …
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Seitenzahl: 456
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JAGD
JOHN JACKSON MILLER
Based onStar TrekandStar Trek: The Next Generationcreated by Gene Roddenberry
Ins Deutsche übertragen vonBernd Perplies
Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – THE NEXT GENERATION: JAGD wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg. Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Bernd Perpliesr; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Kerstin Feuersänger und Gisela Schell; Cover Artwork: Mark Rademaker, Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik;
Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.
Titel der Originalausgabe: STAR TREK – THE NEXT GENERATION: TAKEDOWN
German translation copyright © 2017 by Amigo Grafik GbR.
Original English language edition copyright © 2015 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
TM & © 2017 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All Rights Reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
Print ISBN 978-3-95981-178-1 (März 2017) · E-Book ISBN 978-3-95981-269-6 (März 2017)
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Gewidmet Maggie Thompson,Mentorin und Freundin,und dem Gedenken an Don.
KAPITEL 1
KAPITEL 2
PHASE EINS: ZUSAMMENBRUCH
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
PHASE ZWEI: MACHTPROBE
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
PHASE DREI: ABSCHALTUNG
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
KAPITEL 41
KAPITEL 42
KAPITEL 43
KAPITEL 44
KAPITEL 45
KAPITEL 46
KAPITEL 47
KAPITEL 48
LETZTE PHASE ABRIEGELUNG
KAPITEL 49
KAPITEL 50
KAPITEL 51
DANKSAGUNGEN
Die Hauptereignisse dieses Romans tragen sich Ende November 2385 zu, nachdem Kellessar zh’Tarash von Andor den Eid als Präsidentin der Föderation geschworen hat (STAR TREK – THE FALL»Königreiche des Friedens«). Zeitgleich besucht das zivile Forschungsschiff Athene Donald die Raumstation Deep Space 9 und das Volk der Himmelsweite trifft dort ein (STAR TREK – DEEP SPACE NINE»Misstrauen«).
»Zu viel Wissen erzeugt nur Kummer.«–Lorenzo de’ Medici
Ein Job, der die Hölle war, hatte nur ein Gutes: Man konnte nachts gut schlafen, denn die Albträume ereigneten sich alle bereits am Tag.
William Riker hatte nie ein Problem damit gehabt, gut zu schlafen. An diesem Morgen allerdings fiel es ihm schwer, aufzustehen – und er war kaum überrascht, sich vollständig angekleidet vorzufinden. Als überarbeiteter Ensign hatte er viele Male in Uniform genächtigt, als Admiral jedoch noch nie. Trotzdem wunderte er sich nicht darüber: Die letzten Tage waren verdammt anstrengend gewesen. Er konnte froh sein, dass er es überhaupt bis ins Bett geschafft hatte. An der Wand des Turbolifts einzuschlafen, hätte allerdings nicht so gut ausgesehen, ganz gleich welchen Rang man bekleidete.
Er hatte es sich aber auch verdient, müde zu sein. Gerade erst lag eine furchtbare Mission hinter ihm, die ihm alles abverlangt hatte – und mehr. Doch er wollte nicht darüber nachdenken. Davon bekam er nur Kopfschmerzen. Es spielte ohnehin keine Rolle mehr. Die beste Methode, einem miesen Tag zu entkommen, war, in den nächsten zu starten.
Oder es zumindest zu versuchen.
Rikers Muskeln protestierten, als er sich im Bett aufsetzte, und er kippte beinahe wieder nach hinten um. Die nächste Herausforderung bestand darin, aufzustehen, und auch das dauerte spürbar länger als gewöhnlich.
Endlich kam er auf die Beine. Müde sah er sich in dem VIP-Quartier an Bord des Raumschiffs Titan um. Einen Moment lang fragte er sich verwirrt, wo seine Frau war – bis ihm wieder einfiel, dass sein Schiff auf dem Weg nach Betazed gewesen war, zu ihrer Heimatwelt. Das war eines der letzten Dinge gewesen, die er vor dem Einschlafen mitbekommen hatte: Deanna hatte die Hoffnung geäußert, ihre Tochter, sofern sie Zeit dafür hatten, zu einem Besuch in die Hauptstadt von Betazed mitzunehmen.
Zeit. Er blickte auf die Uhr, während er zum Spiegel trottete. Sechzehn Stunden hatte er geschlafen. Riker schüttelte den Kopf. Er hatte Glück, dass er keinerlei Dienst zu verrichten hatte. Andererseits war Verschlafen der Albtraum eines Ensigns. Admirals hatten weitaus größere Probleme. Mittlerweile hatte er diesen Rang lang genug inne, um das gelernt zu haben. Sein Körper sprach davon Bände. Das Gesicht, das ihm im Spiegel entgegenblickte, sah furchtbar aus. Sein dunkles und langsam ergrauendes Haar stand nach dem Schlaf in alle Richtungen ab und frische Bartstoppeln zierten seine Wangen.
»Das muss ja eine schöne Party gewesen sein«, murmelte er zu sich selbst. Natürlich war sein Zustand etwas völlig anderem geschuldet, aber das spielte keine Rolle. Im Raumdock ging es darum, die Fassade aufzupolieren, und das galt für Personen genauso wie für Schiffe. Er begann, sich herzurichten, um halbwegs präsentabel auszusehen.
Kurze Zeit später stand Riker im Turbolift. Es gelang ihm, nicht erneut einzunicken – aber er hätte ohnehin nicht viel Zeit zum Schlafen gehabt. Die Türen waren kaum halb aufgeglitten, als bereits eine vulkanische Stimme in zackigem Tonfall »Admiral auf der Brücke!« erklärte.
»Sie würden einen formidablen Wecker abgeben, Tuvok.« Riker blickte zur taktischen Station hinüber, doch der dunkelhäutige Vulkanier antwortete nicht auf den Scherz. Tuvok bedachte ihn bloß mit einem knappen Nicken, dann wandte er sich wieder seiner Konsole zu.
Mit erhobenem Kopf trat Riker auf die Brücke. Auf dem vorderen Sichtschirm zeigte sich, dass die Titan in der Tat im Orbit von Betazed schwebte. Sie parkte neben einer großen, pilzförmigen Raumstation. Das Schiff war hierher bestellt worden, damit verschiedene fehlerhafte Bestandteile von Subsystemen ersetzt werden konnten. Mehr darüber zu wissen, war nicht Rikers Aufgabe. Die Verantwortung lag bei der Frau, die ihn vom Kommandosessel aus anblickte.
»Guten Morgen, Admiral«, begrüßte ihn Christine Vale. »Wie geht es Ihnen?«
»Einfach fantastisch. Und damit meine ich: Wie einem alten Mülltransporter, der schon bessere Tage gesehen hat.« Er kratzte sich am Bart.
»Verständlich, wenn man bedenkt, was Sie …« Offensichtlich kam Vale zu dem Schluss, dass sie besser nicht weitersprechen sollte, denn sie ließ den Satz einfach in der Luft hängen und deutete stattdessen in Richtung des Sichtschirms. »Ich fürchte, Sie haben Counselor Troi um ein paar Minuten verpasst. Sie sagte, sie wolle Sie schlafen lassen.«
»Sie ist immer so fürsorglich.«
Riker schritt an dem Kommandosessel vorbei und betrachtete die Szenerie auf dem Hauptschirm genauer. Er hatte von Betazed-Station 4 bislang weder gehört noch hatte er sie je besucht. Die Tore des Raumdocks standen weit offen, bereit, das Schiff der Luna-Klasse an Bord zu nehmen. Kurz hinter der Station konnte er ein Shuttle ausmachen, das dem blaugrünen Planeten unter ihnen entgegenstrebte.
Das ist eins von unseren, dachte er. Doch bevor er danach fragen konnte, erklang aus der Konsole des Kommunikationsoffiziers ein Zirpen. »Das Shuttle Armstrong ruft uns.«
Riker warf Vale einen Blick über die Schulter zu und sah sie lächeln. »Jemand möchte uns Hallo sagen«, meldete die rothaarige Frau. »Auf den Schirm.«
Als er sich wieder nach vorne umdrehte, erblickte er das riesige Bild seiner kleinen, dunkelhaarigen Tochter. Sie winkte ihm zu. »Grußfrequenzen geöffnet, Daddy.«
»Hallo, Natasha.« Riker hob die Hand zu einem kurzen Winken und lächelte matt. »Fliegst du das Shuttle allein?«
»Sie wollte es unbedingt.« Deanna Troi erschien hinter dem Kind. »Sie kommt nach ihrem Vater.«
Riker nickte. Die Brücke der Titan war eigentlich kein Ort für ein Familiengespräch, und aus den Augenwinkeln sah er mehrere Mitglieder der Mannschaft sich abwenden, um ihre amüsierten Gesichter zu verbergen. Einige Sekunden verstrichen, ohne dass jemand von ihnen etwas sagte. Deanna wusste, dass es ihm nicht recht gewesen wäre, wenn sie ihn nach seinem Befinden gefragt hätte – zumindest nicht hier. Sie dagegen sah ausgeruht aus – und so wunderschön wie an dem Tag, als er ihr das erste Mal begegnet war. »Warum nehmt ihr ein Shuttle?«
»Admiral, wir haben die Transporter abgeschaltet«, warf Vale ein. »Wir bekommen doch neue, verbesserte Ausrüstung im Raumdock.«
»Natasha war der Meinung, es würde Spaß machen, den kurzen Weg zu fliegen«, sagte Deanna. »Sie schaut so gerne die Wolken an, während wir …«
Bevor Deanna den Satz beenden konnte, gellte ein Alarm an Bord der Titan – und Riker vernahm ein leiseres Echo aus der Kabine der Armstrong, wo ebenfalls der Alarm losging. »Warnung«, verkündete die Computerstimme der Titan. »Ein schwerer Plasmasturm nähert sich.«
»Hier?« Vale wirkte erschrocken. »Wir haben nichts dergleichen erwartet.«
»Ursprung unbekannt. Gefahr für alle Raumschiffe im Orbit.«
»Wie bald?«
Tuvok hatte die Antwort parat: »Vier Komma sieben Sekunden!«
»Schilde hoch!«
Riker blickte zu Deanna, die noch immer auf dem Bildschirm zu sehen war. »Deanna, Schilde, sofort!«
Er hielt sich an der Reling im hinteren Teil der Brücke fest. Keinen Augenblick zu früh. Im nächsten Moment kippte die Welt zur Seite weg. Die Titan schüttelte sich, scheinbar schwer getroffen von einer Welle aus Plasma, die von Betazeds Sonne ausgestoßen worden war. Trotzdem nahm Riker den Blick nicht vom Hauptbildschirm. Erhellt vom unheiligen Feuer des Infernos außerhalb des Shuttles, klammerte sich Deanna verzweifelt an Natasha. Das Tosen des Ansturms übertönte beinahe das Schreien des Kindes.
Verständnislos sah Riker sich um. Wie so viele Bevölkerungszentren wurde auch das Betazed-System von Satelliten überwacht, die Informationen schneller als das Licht, via Subraum, weiterleiteten. Selbst vor einem unvorhergesehenen Plasmasturm hätten sie gewarnt werden müssen, bevor der Tsunami aus Feuer und Strahlung über sie kam. Und doch war er hier und schüttelte die Titan wie einen Baum in einem Hurrikan.
Und der Armstrong erging es noch viel schlechter. »Counselor!«, schrie Vale, die sich an den Armlehnen ihres Stuhls festklammerte. »Wie ist Ihr Zustand?«
»Nicht gut!« Blitzlichter zuckten über ihr schreckensbleiches Gesicht, während Deanna mit einer Hand fieberhaft an den Kontrollen arbeitete und mit der anderen Natasha festhielt. »Die Schilde versagen. Wir verlieren strukturelle Integrität!«
»Beamen Sie sie raus!«, brüllte Riker, ohne daran zu denken, wer hier das Kommando hatte.
»Der Maschinenraum meldet, dass sie drei Minuten brauchen, um die Transporter wieder hochzufahren«, antwortete Vale. »Steuermann, bringen Sie die Titan zwischen den Sonnenwind und die Armstrong.«
»Das wird einen Augenblick dauern, Captain«, ertönte eine Stimme von vorne. »Wir steuern nach wie vor das Raumdock an.«
Verdammte Reparaturmission! Das Schiff drehte sich in den Sturm und Riker taumelte auf eine Konsole zu, deren Offizier zu Boden gestürzt war. Die Titan bebte und zitterte, während sie gegen die wütende Flut kämpfte. Riker fing sich und überprüfte die relativen Positionen der beiden Schiffe, wobei er sich bemühte, nicht auf Natashas Weinen zu achten, das zwar nur im Hintergrund erklang, aber dennoch nicht zu überhören war. »Irgendwelche Vorschläge?«
»Ich habe einen, Admiral«, sagte Tuvok, dessen Finger über die Kontrollen huschten. »Vielleicht gelingt es mir, die Schilde der Titan auszudehnen, sodass sie das Shuttle mit einschließen.«
»Auf diese Entfernung?«
»Die Schilde auf der Seite der Titan, die dem Shuttle zugewandt ist, müssten in ein hyperbolisches Paraboloid umgeformt werden, um ihre Reichweite und Effizienz zu maximieren.«
»Tun Sie es!«, befahl Vale.
»Die nötige Raumgeometrie ist komplex«, erwiderte Tuvok, der bereits mit Berechnungen beschäftigt gewesen zu sein schien, noch während er versucht hatte, sich Gehör zu verschaffen. »Und die Titan befindet sich in Bewegung, was zu weiteren Komplikationen …«
Von oben erklang ein ohrenbetäubendes Krachen – gefolgt von fallenden Metallträgern, als die Stützstreben in einem Teil der sturmgeschwächten Decke nachgaben. Einer der Träger schwang wie eine Keule nach unten, erwischte Tuvok von hinten und schleuderte ihn gegen seine Konsole. Blutend sackte er in sich zusammen.
»Tuvok!« Ohne auf seine eigene Sicherheit zu achten, warf sich Riker in das Chaos kollabierter Streben. Tuvok war noch am Leben, aber ohne Bewusstsein.
»Die Hülle der Armstrong versagt!«, rief Vale ihm zu.
Riker trat über den gefallenen Vulkanier hinweg, um dessen Konsole zu erreichen. Er hoffte wider alle Hoffnung, dass er nur einen Knopf drücken musste, um Tuvoks Kunstgriff zu aktivieren. Doch das Glück war ihm nicht hold. »Er hat die Berechnungen nicht beendet!«
»Will, tu irgendwas!« Es war Deanna. Er blickte wieder zu dem großen Hauptschirm und spürte, wie ihn Panik überkam. Seine Frau und sein Kind befanden sich in tödlicher Gefahr. Er hatte keinerlei Möglichkeit, ihnen zu helfen – es sei denn, er vollendete eine mathematische Gleichung, die zu verstehen die meisten Leute ein ganzes Leben gekostet hätte. Dennoch wandte er sich erneut der Konsole zu und starrte auf das Durcheinander an Zahlen und Variablen, die die Schilde kontrollierten. Es musste doch etwas geben, das er tun konnte – irgendetwas.
Eine weitere Erschütterung traf das Schiff. Er vernahm Vales Stimme: »Beenden Sie die Sequenz, Admiral!«
»Tu es, Will!«, schrie Deanna.
Riker konzentrierte sich auf die Zahlen auf dem Display – und auf einmal sah er alles mit großer Klarheit.
»Das werde ich nicht«, sagte er und wandte sich der Brückenbesatzung zu. »Es ist nicht nötig.«
Vale wirkte entgeistert. »Was meinen Sie damit?«
Die Titan erbebte erneut – aber diesmal berührte es Riker kaum. »Ich meine damit, dass es gar keinen Plasmasturm gibt.«
Zu seiner Rechten vernahm er einen flehenden Ruf. »Daddy!«
»Das reicht.« Mit ernster Miene blickte er das furchtsame Paar auf dem Schirm an. »Wer immer Sie sind, Sie können damit aufhören.«
Die Brücke bebte erneut und dann noch einmal. Danach wurde alles ruhig. »Wie Sie wünschen«, sagte die raue Stimme eines Mannes hinter ihm. Und es wurde dunkel.
Als die Lichter wieder angingen, stand Riker allein in einem leeren, schwarzen Raum. Ein Gitternetz glühender Linien zog sich über Wände, Boden und Decke, wo soeben noch die Brücke der Titan gewesen war.
Riker drehte sich um und erblickte den Eingangsbogen eines Holodecks. Ein hagerer, weißhaariger Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war, lehnte sich dagegen. »Wie sind Sie dahintergekommen, dass es sich um eine holografische Simulation handelte?«, fragte er langsam.
Der Admiral verschränkte die Arme vor der Brust. »Christine Vale mag ein Spaßvogel sein – aber sie hat zu viel Gespür für die Etikette, um mich dazu zu zwingen, einen persönlichen Anruf vor ihrer Besatzung entgegenzunehmen. Sie haben das so eingerichtet, damit ich sehen konnte, dass meine Familie in dem Shuttle sitzt.«
Der Neuankömmling nickte. Der klein gewachsene, spitzohrige Mann sah aus, als sei er uralt. Sein Gesicht war fahl und ausgemergelt. Er stützte sich beim Gehen auf einen silbernen Stock, als er auf Riker zukam. »Das kann nicht Ihr einziger Hinweis gewesen sein«, sagte er, »nicht wenn so viel auf dem Spiel stand.«
»Deanna und Vale wissen beide, wie es um meine Mathematikkenntnisse bestellt ist. Ich bin kein Tuvok.«
Eine weiße Augenbraue hob sich. »Kaum ein hieb- und stichfester Beweis für eine Täuschung.«
»Sie haben außerdem die Anzahl der Rangabzeichen auf Vales Uniform falsch wiedergegeben. Sie ist noch immer ein Commander, obwohl sie die Titan führt, während ich für die Föderation unterwegs bin.«
Schwarze Augen blickten aufmerksam zu Riker hoch. Dann glitt der Anflug eines Lächelns über die Züge des Mannes. »Immer sind es die falschen Ränge. Ich vergesse jedes Mal wieder, wie genau die Leute hinschauen. Aber Sie haben wirklich darauf geachtet?«
Riker blickte auf den Mann hinunter, als er an ihm vorbeihumpelte. »Ich habe so etwas schon einmal erlebt. Ich wache in etwas auf, das ich für mein Quartier an Bord des Schiffes halte – und dann ist alles, was folgt, bloß eine Lüge.«
Er mochte Schwierigkeiten gehabt haben, sich an die letzten paar Tage zu erinnern, aber diese Erfahrung war ihm noch lebhaft im Gedächtnis: Vor Jahren hatte ein Angehöriger einer fremden Spezies, die über enorme Macht verfügte, versucht, ihm einzureden, dass er der Captain der Enterprise sei. »Also warum ersparen Sie uns beiden nicht den ganzen Unsinn und sagen mir endlich, wer Sie sind?«
»Mich interessiert mehr, wer Sie sind.«
»Riker, William T., Admiral, Sternenflotte …«
»… auf spezieller Mission als diplomatischer Botschafter für die Vereinigte Föderation der Planeten«, beendete der alte Mann seine Worte.
»Wenn Sie es ohnehin wissen, warum fragen Sie dann?« Riker musterte den anderen. »Vergessen Sie es. Und Sie sind?«
»Simus.«
»Sie sind Vulkanier.«
»Ich könnte ein Romulaner sein«, sagte der alte Mann. »Aber natürlich fehlt mir die charakteristische Stirnfurche über dem Nasenrücken.« Er strich sich mit vielsagendem Blick über seine runzlige Stirn.
»Nicht alle Romulaner haben sie.«
»Sie lieben wirklich Details. Also, ja, ich könnte ein Romulaner sein.«
»Wenn Sie überhaupt existieren.«
Simus schien ein wenig beleidigt zu sein. »Ich bin kein Trugbild.«
»Beweisen Sie es – lassen Sie uns beide nach draußen gehen.« Schon beim Aufwachen war Riker erschöpft gewesen – und dieses Spielchen ermüdete ihn mehr und mehr. Er wandte sich dem Eingangsbogen zu. Die Türen schlossen sich, bevor er sie erreichte. Er versuchte es mit einem Sprachbefehl, aber nichts passierte.
Simus schüttelte den Kopf. »Ich würde Sie gerne noch hierbehalten. Nur für eine Weile.«
Da es keine andere Möglichkeit zu geben schien, die Türen zu öffnen, drehte sich Riker wieder zu ihm um. »Das sieht mir nicht nach dem Holodeck der Titan aus«, sagte er und nahm Größe und Form des Raums genau in Augenschein. »Sie haben mich vom Schiff weggebeamt, während ich geschlafen habe.« Wer auch immer das durchgezogen hatte, wusste, was er tat. Kurz bevor er sich zur Ruhe begeben hatte, war die Titan auf Warp gegangen. Hatte sie Betazed erreicht oder war sie irgendwo auf dem Weg aus dem Warp gefallen?
Er hatte keine Ahnung – und der alte Mann wollte nicht reden. Das Einzige, was Riker wusste, war, dass er keine weiteren Kopfschmerzen brauchen konnte. »Ich wüsste es wirklich zu schätzen, wenn Sie mir sagen, was hier vor sich geht.«
Simus wog seine Worte sorgsam ab. »Die Leute, die ich repräsentiere, haben Sie hierher gebracht, zu mir.«
Die ausweichende Antwort ließ Riker grinsen. So würden die Dinge mit Simus also laufen, wer auch immer er war. »Nun, Sie haben einen Sternenflottenadmiral gefangen genommen. Das wird vermutlich irgendwo Konsequenzen haben.«
»Die Leute, die ich repräsentiere …«
»Die schon wieder.« Riker rollte mit den Augen.
»… glauben, dass es wichtig ist, zu beobachten, wie Sie auf gewisse Stimuli reagieren.«
»Indem sie scheinbar meine Frau und mein Kind in Gefahr bringen? Wer auch immer die sind, sie haben einen ziemlich miesen Geschmack.«
»Nichtsdestotrotz«, sagte Simus, »ist es von höchster Wichtigkeit, dass wir Sie besser verstehen.«
»Was brauchen Sie denn noch?« Riker schloss mit einer Geste den großen Raum ein, der bis eben dazu gedient hatte, das Innere der Titan zu simulieren. »Sie konnten all das hier nachstellen. Außerdem müssen Sie im Besitz meiner Dienstakte sein. Welcher Teil von William T. Riker ist Ihnen denn überhaupt noch unbekannt?«
Simus legte beide Hände auf den Chromknauf seines Gehstocks und wiegte einen Moment lang seinen Kopf hin und her. Offenbar dachte er über etwas nach. Schließlich nickte er. »Also gut. Es gibt da noch eine Sache, über die ich gerne mehr wüsste.« Er streifte einen seiner Jackenärmel zurück und enthüllte so eine Kontrolleinheit an seinem Handgelenk, auf der er einige Tasten drückte. »Sehen Sie hin.«
»Noch eine Simulation?«
Simus antwortete nicht. Er entfernte sich von Riker – und während er dies tat, veränderte sich die Szenerie um sie. Erneut standen sie auf der Brücke eines Föderationsraumschiffs, aber nicht der Titan. Riker war der Ansicht, dass das Schiff der Saber-Klasse angehörte. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um ein Schiff des Ingenieurkorps der Sternenflotte. Mehrere Besatzungsmitglieder arbeiteten an ihren Stationen, ohne Simus oder ihm Beachtung zu schenken. Riker kannte niemanden der Anwesenden.
Er wollte gerade etwas sagen, als sich hinter ihm die Turbolifttüren öffneten. Eine untersetzte Tellaritin in der Uniform eines Sternenflottencaptains und mit einem Padd in der Hand trat ein. Sie ging auf Riker zu – und dann durch ihn hindurch –, umrundete die Reihe der Kommandostühle und nahm auf dem mittleren Sessel Platz.
»Offensichtlich bin ich kein Teil dieses Stücks«, bemerkte Riker.
Simus stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock und blickte gedankenvoll zu Boden. »Erkennen Sie den Captain nicht?«
»Sollte ich?«
»Mhm.«
Die Kommandantin des Schiffs las etwas von ihrem Padd ab und wandte sich dann im Plauderton an ihre Besatzung. »Die neuen Upgrades funktionieren besser als erhofft. Navigator, steuern Sie die Laplace in Richtung der neuen Transmittereinheiten. Wir wollen mal einen Blick darauf werfen.«
»Aye, Captain Kwelm.«
Riker spürte Bewegung – oder vielmehr die Simulation von Bewegung –, und als er über die Schulter blickte, sah er, wie sich der Weltraum auf dem Sichtschirm veränderte. Eine riesige Struktur, die abwechselnd aus grauen Hexagonen und dreieckigen Elementen dazwischen bestand, erstreckte sich vor ihnen in die Leere.
»Die Corvus-Signalstation«, sagte Simus. »Ein Tiefraumtransmitter, der dem Zweck dient, Zivilisationen zu kontaktieren, die sich außerhalb der Reichweite von Raumschiffen befinden.«
»Ich kenne das Programm«, erwiderte Riker. Er runzelte die Stirn, als er versuchte, sich an die Einzelheiten zu erinnern. »Die Station befindet sich am Rand des Föderationsraums.«
»Wenn man den Horizont erweitern will, sollte man an den eigenen Grenzen beginnen«, gab Simus zurück.
Riker betrachtete die Station. Er wusste, dass sie unweit der Grenze einiger Mitglieder des Typhon-Paktes lag. Als Zweckallianz zwischen den Romulanern, den Gorn, den Tzenkethi, den Breen und einigen anderen, der Föderation feindlich gesinnten Mächten gegründet, hatte der Typhon-Pakt der Föderation und ihren Verbündeten das Leben in letzter Zeit immer wieder schwer gemacht. Misstrauisch wandte sich Riker erneut an Simus. »Diese Leute, die Sie repräsentieren – gehören die zufällig dem Typhon-Pakt an? Ist das Ihr großes Geheimnis?«
»Sie sollten wirklich einfach zusehen – und zuhören.« Simus schaute sich um. »Abgesehen davon scheint niemand an Bord dieses Schiffs in Sorge zu sein, oder? Die Signalstation ist ein Ziel von geringem Wert für den Pakt.«
Sagen wir besser: von praktisch überhaupt keinem Wert, ging es Riker durch den Kopf. Er richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf den Captain und fragte sich, warum er dazu aufgefordert worden war, sich das hier anzuschauen. Irgendetwas an ihr kam ihm vertraut vor, aber seine Erinnerungen waren schrecklich lückenhaft – vor allem, was die letzten paar Tage anging …
»Annäherungsalarm!«, entfuhr es dem Steuermann. »Ein Schiff nähert sich. Es kommt aus dem Warp. Volle Impulsgeschwindigkeit.«
Riker blickte zum Captain zurück. Die Tellaritin wirkte eindeutig überrascht. »Identifizieren.«
»Vesta-Klasse. Registriernummer NCC-82602«, sagte der Steuermann. Riker flüsterte den Namen, während der Mann ihn aussprach: »Die Aventine.«
Er drehte sich zum Sichtschirm zurück und erblickte das Schiff. Noch befand es sich in einiger Entfernung zur Corvus-Signalstation, aber es kam rasch näher. Die Aventine war ein Experimentalschiff in jeder Hinsicht. Zahlreiche bahnbrechende Technologien waren in ihr verbaut. Dank ihres revolutionären Slipstream-Antriebs gehörte sie zu den schnellsten Schiffen, die es gab, jedem gewöhnlichen, warpfähigen Gefährt weit überlegen. Und selbst bei Impulsgeschwindigkeit war sie so wendig wie ein Schiff von halber Größe.
»Wir werden gerufen, Captain Kwelm.«
»Auf den Schirm.«
Eine dunkelhaarige Frau in der Uniform des Captains erschien auf dem Brückenmonitor. Streifen brauner Flecken wiesen sie als Trill aus. Sie kam mit einer Warnung auf den Lippen. »Hier spricht Captain Ezri Dax vom Föderationsraumschiff Aventine. Alles Personal an Bord der Signalstation muss umgehend evakuiert werden!«
Riker blickte zur Seite, um Kwelms Reaktion zu beobachten. Die Tellaritin wirkte, als habe ihr gerade jemand einen Faustschlag ins Gesicht versetzt. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie. »Captain Dax, es wurden uns keinerlei Probleme an Bord der …«
In Dax’ durchdringend blaue Augen trat ein flehender Ausdruck. »Tun Sie es einfach!« Die Trill sprach weiter, aber die Besatzung der Laplace hörte nur noch ein Kreischen von Statik.
Kwelm warf ihrem Ersten Offizier einen Seitenblick zu. Der Bajoraner zuckte mit den Schultern. »In Ermangelung weiterer Informationen sollten wir ihrer Aufforderung wohl besser Folge leisten«, meinte er.
Stirnrunzelnd wandte sich der Captain dem Kontrollfeld in der Armlehne des Sessels zu. Kwelm aktivierte die Sprechverbindung. »An alles Personal an Bord der Signalstation, hier spricht Captain Kwelm. Beenden Sie Ihre Wartungsarbeiten, sammeln Sie Ihr Werkzeug ein und begeben Sie sich unverzüglich zu den Shuttle-Hangars.«
Auf dem Brückenmonitor nahm Dax’ Gesicht einen verzweifelten Ausdruck an. Sie war nicht zu hören, als sie Kwelm etwas zurief, aber Riker konnte sich ihre Worte gut vorstellen: Evakuieren Sie sofort die Signalstation.
Riker sah, wie Kwelm aufstand und die Hände hob. Viele Tellariten neigten dazu, zum falschen Zeitpunkt mit Diskussionen anzufangen. Kwelm bildete da keine Ausnahme. »Captain Dax, unsere Leute befinden sich mitten in komplexen Wartungsoperationen an kritischen Systemkomponenten. Sie können nicht einfach alles stehen und liegen lassen, ohne den Grund zu kennen, weshalb …«
»Tun Sie, was Captain Dax sagt!«
Rikers Augen weiteten sich, als er den Klang der neuen Stimme vernahm, die klar und frei von jeder Statik zu hören war. Ungläubig starrte er auf den großen Sichtschirm. Dort, wo eben noch Dax zu sehen gewesen war, befand sich nun … er selbst?
»Laplace, hier spricht Admiral Riker an Bord der Aventine!«, fuhr das vertraute Gesicht auf dem Hauptmonitor fort. Der Raum hinter ihm sah anders aus als der, von dem Dax aus sich gemeldet hatte, aber es handelte sich ohne jeden Zweifel um eine Schiff-zu-Schiff-Übertragung. »Es geht um die Sicherheit der Föderation. Alles Personal an Bord der Corvus-Signalstation muss umgehend zurück zur Laplace gebeamt werden.«
Riker sah, wie Kwelms Augen sich auf der simulierten Brücke weiteten. »So… sofort, Sir.« Sie fiel zurück in ihren Sessel, wie ein gemaßregeltes Schulkind. Gleich darauf berührte sie einen Knopf auf der Armlehne. »Tun Sie es!«
Voller Verwirrung blickte Riker sich selbst ins Gesicht. Wie ein Geist näherte er sich dem großen Bildschirm, gefesselt von dem, was er dort sah. Sein eigenes, riesig aufragendes Antlitz im Rücken, drehte er sich um und studierte die Brücke der Laplace. Als er sie aus diesem Blickwinkel wahrnahm, nickte er leicht.
Der Nebel begann sich zu lichten. Zu seiner Rechten gewahrte er Simus, der ihn aufmerksam beobachtete.
»Wir haben alle, außer dem Team, das für die Upgrades verantwortlich ist«, drang eine Stimme über das Komm-System. Es war der Transporterchief der Laplace. »Sie befinden sich mitten im Arbeitsprozess, Captain. Sie wollen ihre Daten nicht verlieren.«
»Zum Teufel mit den Daten«, fauchte Riker an Bord der Aventine. »Wir haben Ihnen bereits gesagt, dass keine Zeit für Erklärungen ist. Die Bedrohung ist bereits da!«
Kwelm wedelte mit den Armen. »Aber wir verstehen das alles nicht! Wenn Sie doch nur …«
Auf dem Schirm zogen sich die Augenbrauen des Admirals zu einem entschlossenen V zusammen. »Zu spät. Wir haben Sie gewarnt.«
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als Riker vom Bildschirm verschwand. Er wurde durch den Anblick der Aventine ersetzt, die mittlerweile nur noch ein paar Kilometer entfernt war. Phaserfeuer schoss der Corvus-Signalstation entgegen. Die erste Salve traf eine der großen Transmitteranordnungen und zerschmetterte sie.
»Upgrade-Team, lassen Sie alles fallen!«, schrie Kwelm. »Sofort rausbeamen!«
Riker wusste nicht mehr, wohin er auf der simulierten Brücke der Laplace schauen sollte. Hinter ihm wurden Kwelm und ihre Leute von Panik erfasst. Hektisch versuchten sie, ihre Kameraden zurückzuholen. Auf dem Brückenmonitor gab die Aventine unterdessen einen Schuss nach dem anderen auf die Trägerstruktur der Signalstation ab. Die Station war gewaltig, aber bereits aus zweien der sechseckigen Energiespeicher, die die Station versorgten, schlugen Flammen.
Und etwas abseits stand Simus, die Hände um den Knauf seines Gehstocks gelegt, und wiegte sich leicht vor und zurück, während er das Geschehen beobachtete. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war für Riker nicht zu deuten.
»Wir haben alle«, rief jemand dem Captain inmitten des Durcheinanders zu.
»Ich kann das Sternenflottenhauptquartier nicht erreichen«, meldete jemand anderes. »Es scheint ein Problem mit dem Subraumkommunikationsnetzwerk zu geben.«
Überfordert wandte Kwelm sich dem großen Bildschirm zu. Sie berührte eine Kontrolle in der Armlehne. »Admiral Riker! Sie müssen aufhören. Sie zerstören unser Lebenswerk! Bitte, sagen Sie uns doch einfach …«
Riker hatte genug gesehen und gehört. Er wandte sich Simus zu. »Halten Sie die Simulation an.«
Simus legte eine Hand an sein spitz zulaufendes Ohr. »Was soll ich anhalten?«
»Halten Sie die Aufzeichnung an!« Riker warf ihm einen bösen Blick zu.
Simus vollführte eine Geste – und das Chaos stoppte sofort. Doch anders als die Brücke der Titan zuvor, blieb die der Laplace an Ort und Stelle. Ihre Ingenieure und ihr Captain standen wie vor Schreck erstarrt im Raum. Ausdruckslos betrachtete Riker sie. Dann hob er den Kopf und blickte auf die brennende Signalstation auf dem Bildschirm.
Schließlich ergriff er das Wort. »Das hier ist keine weitere Simulation. Das hier ist wirklich geschehen.«
Simus humpelte auf Riker zu. »Ja, das ist richtig. Es handelt sich hierbei um den Logbucheintrag eines Schiffs, der etwa zwei Wochen alt ist.«
Riker spürte, wie ihn einmal mehr Erschöpfung überkam. Er blickte zu Boden. »Warum zeigen Sie mir das?«
»Die Leute, die ich repräsentiere, waren gespannt darauf, Ihre Reaktion zu sehen.«
»Was soll ich dazu sagen?« Riker sah auf. Schrecken erfüllte ihn bei seinen eigenen Worten. »Ich war an Bord der Aventine. Und wir haben die Corvus-Signalstation angegriffen. Und das ist noch nicht alles …«
»Eine Falschmeldung, die drei Tage lang geglaubt wird, kann für die Regierung von großem Nutzen sein.«
– Caterina de’ Medici
Es enttäuschte Will Riker, dass trotz aller Fortschritte, die auf dem Feld der Biologie gemacht wurden, bis heute niemand eine Pille erfunden hatte, die körperliche Ertüchtigung unnötig machte. Da musste doch irgendetwas möglich sein, dachte er, während er sich auf der Rudermaschine abmühte. Vielleicht ließen sich die Folgen einer Joggingrunde in ein Hypospray packen. Oder vielleicht konnten ein paar in den Blutstrom injizierte Naniten das Kajakfahren für einen übernehmen. Dass sie noch nichts dergleichen erfunden hatten, war ein echtes Versagen der Medizinischen Abteilung der Sternenflotte.
Früher hatten Riker die Trainingseinheiten nicht gestört. Sie hatten einfach zu den Pflichten des Diensts gehört, und zugleich waren sie eine Gelegenheit gewesen, der Routine an Bord zu entkommen. Und Holodecks, wie das auf der Titan, waren hervorragend darin, interessante Programme anzubieten, die körperliche Ertüchtigung als sportliche oder andere Aktivitäten tarnten.
Doch das war vor seiner Zeit als Admiral gewesen. Heute erregte die Notwendigkeit, zu trainieren, vor allem seinen Unwillen. Es gab so viele Angelegenheiten, die seiner Aufmerksamkeit bedurften, dass er sich von Trainingseinheiten nur sehr ungern Zeit rauben ließ.
Er suchte dafür nach wie vor das Holodeck der Titan auf. Wenn er die Ausrüstung in sein Büro gestellt hätte, wäre sie dort garantiert bloß verstaubt. Aber er machte sich nicht mehr die Mühe, holografische Berge zum Klettern oder Flüsse zum Schwimmen zu erzeugen. Jetzt ging es ihm nur noch darum, das Ganze möglichst rasch hinter sich zu bringen. Manchmal fragte er sich tatsächlich, warum er sich überhaupt die Mühe machte. Schließlich war doch gerade einer der Vorteile, einen hohen Rang zu bekleiden, der, nicht mehr herumrennen und sich mit irgendwelchen Feinden prügeln zu müssen.
Andererseits wusste er auch, dass diplomatischer Dienst nichts war, was einem lebenslänglich aufgebürdet wurde. Es war durchaus denkbar, dass er sich erneut an der Front wiederfand. Der größte Intellekt des Universums taugte nichts, wenn er nicht imstande war, mit der Welt um ihn herum zu interagieren. Training war die Miete, die der Körper dafür nahm, dem Geist einen Platz zu bieten. Und Riker würde sie bezahlen.
Abgesehen davon gab es noch den zweiten Grund, weswegen er sich in Form hielt. Er – oder vielmehr sie – stand in der offenen Tür des Holodecks und sah ihm dabei zu, wie er schwitzte.
»Du wirkst müde«, stellte Deanna Troi fest, als er mit dem Rudern aufhörte.
»Danke.« Er schälte sich aus der Maschine. »Übung beenden«, befahl er und das Gerät verschwand.
Nur ein Handtuch blieb im Raum zurück, das neben ihm auf einer kleinen Bank lag. Deanna spazierte herüber und hob es auf. Während Riker sich auf die Bank sinken ließ, legte sie es ihrem Ehemann über das verschwitzte Haar. »Wir haben den Paulson-Nebel beinahe erreicht«, sagte sie, während sie ihm den Kopf abrieb.
»Oh, welch frohe Kunde.«
»Es ist eine diplomatische Mission. Soll ich dich begleiten?«
Unter dem Handtuch verzog Riker das Gesicht. »Ich kann dich nicht immer mitschleppen, wenn mich die Föderation losschickt, um irgendwo tagelang an einem Verhandlungstisch zu hocken. Das könnte man mir als eheliche Gewalt von besonderer Härte auslegen.«
»Es macht mir nichts aus«, erwiderte sie.
»Dann hätten sie besser dich zum Admiral befördert.« Riker stand auf und wischte sich mit dem Handtuch den Schweiß vom Gesicht.
Nachdenklich blickte ihn Troi an. »Du bereust die Beförderung immer noch.«
Riker holte tief Luft. »Nein, das ist es nicht.« Er klammerte sich keineswegs so verzweifelt an den Stuhl des Captains wie andere; sein Mentor, Jean-Luc Picard, würde die Brücke der Enterprise nur mit den Füßen voran verlassen. Und um eine Degradierung zu bitten, fühlte sich für Riker einfach falsch an. Außerdem war die Sternenflotte sehr zuvorkommend gewesen. Admiral Akaar hatte seinen Wunsch verstanden, unterwegs zu sein, und er trug dafür Sorge, dass die Missionen der Föderation Riker erlaubten, zu reisen und aktiv ins Geschehen einzugreifen.
Doch nicht jedes Geschehen war gleich interessant, ganz zu schweigen von den zahllosen Berichten, die man von ihm erwartete. Es schien manchmal, als wolle jeder, der in der Föderation ein hohes Amt bekleidete, über jeden Unsinn persönlich unterrichtet werden.
Er schenkte seiner Frau ein müdes Lächeln. »Ich könnte nur langsam wirklich mal eine echte Auszeit gebrauchen, das ist alles.«
»Wie wäre es mit einer schönen Dusche?«
Er umschlang sie mit seinen Armen. »Das wäre in der Tat entspannend.«
Leise lachend entzog sie sich ihm. »Denk dran, dass du in einer halben Stunde eine Missionsbesprechung hast.«
Rikers Schultern sackten hinab. »Oh, stimmt.«
Resigniert trottete er hinter ihr her aus dem Raum. Dabei dachte er, dass es zur Abwechslung wirklich schön wäre, wenn ihn die Leute einfach mal etwas vergessen lassen würden.
Die Vereinigte Föderation der Planeten und die anderen Mitglieder des Khitomer-Abkommens befanden sich nicht im Krieg mit dem Typhon-Pakt. So zumindest hieß es offiziell, und im Grunde stimmte das auch – überwiegend. In der Praxis sah das Ganze allerdings noch etwas anders aus.
Der Typhon-Pakt war ein loser Zusammenschluss von Kräften, die sich als Gegengewicht zur Föderation und ihren Verbündeten des Khitomer-Abkommens sahen, darunter der Ferengi-Allianz, dem Klingonischen Reich und der Cardassianischen Union. Zu den Paktmitgliedern gehörten sowohl die Romulaner und die Gorn, deren feindselige Politik immerhin vorhersehbar war, als auch die Tzenkethi, Tholianer, Kinshaya und Breen, deren eigentliche Ziele häufig ziemlich nebulös waren. Es sah nicht so aus, als drohe ein größerer Krieg, aber das hielt einzelne Paktmitglieder nicht davon ab, immer wieder für Krisen zu sorgen, von denen jede einzelne imstande war, sich zu einem Flächenbrand auszuweiten. Rikers Hauptaufgabe hatte bis jetzt darin gelegen, genau das zu verhindern.
Es gab keine Möglichkeit, die Typhon-Streitkräfte in ihrem Aktionismus zu zügeln – und im Grunde auch keine, die auf seiner eigenen Seite von unüberlegten Handlungen abzuhalten. Gerade jüngst waren Riker und die Titan in eine Reihe von Auseinandersetzungen mit den Breen verwickelt worden. Die Breen hatten versucht, neutrale Systeme ohne das Einverständnis ihrer Einwohner unter ihre Kontrolle zu bringen. Über Garadius IV war es zu Schusswechseln gekommen, und die Titan hatte mehrere Breen-Schiffe beschädigt, sodass diese gezwungen gewesen waren, sich aus dem System zurückzuziehen.
Doch diese Episode hatte sich nicht zu einem größeren Konflikt entwickelt. Die Breen hatten auf eigene Faust gehandelt, und ihre angeblichen Verbündeten waren nicht scharf darauf gewesen, sich wegen eines gescheiterten Vorstoßes in einen interstellaren Krieg hineinziehen zu lassen.
Da nicht davon auszugehen war, dass die Entscheidungsträger der Galaxis und die Offiziere an der Front in absehbarer Zeit zu friedlicheren Naturen wurden, war Riker so gut wie überzeugt, dass über kurz oder lang eine Art unausgesprochene Vereinbarung nötig werden würde, wie mit territorialen Ambitionen umzugehen war. Die Föderation war kein Freund der Idee, den Weltraum in exklusive Expansionszonen aufzuteilen. Lokale Spezies verdienten die Chance, ihr Schicksal für sich selbst zu entscheiden. Die Oberste Direktive besagte, dass Selbstbestimmung ein unveräußerliches Grundrecht war. Im Prinzip stimmte Riker damit überein, allerdings hatten die letzten Jahrhunderte gezeigt, dass die Realität anders funktionierte. Indem sie sich beispielsweise mit den Klingonen und den Romulanern auf Neutrale Zonen geeinigt hatte, war von der Föderation implizit die Entscheidung getroffen worden, einige von jenen Völkern auszuschließen, die sich dem Sternenbund vielleicht gerne angeschlossen hätten. Und der einzige Grund dafür war der, dass sich ihre Planeten am falschen Ort befanden.
Es war keine perfekte Galaxis – und solange dies der Fall war, mussten Leute wie Riker sich an Tische setzen und reden. Und reden. Und reden. Und nun, da ihn die Föderation zu einem Treffen schickte, das sich als die exzessivste Diskussionsrunde überhaupt erweisen mochte, was tat er da? Er hielt eine Missionsbesprechung ab.
»Vier Commander und ein Admiral«, sagte Riker, als er den Besprechungsraum betrat und die Offiziere der Titan bereits dort sitzen sah. »Klingt, als sollte es ein Pokerblatt sein.«
Tuvok sagte nichts, aber von Christine Vale, Troi und dem Chefingenieur der Titan, Xin Ra-Havreii, erntete er für seine Worte ein leises Lachen. Das Übergewicht hoher Ränge unter dem Führungsstab der Titan belustigte Riker schon seit langer Zeit. Im Moment hatten sie alles bis auf einen Captain. »Lieutenant Commander Keru lässt sich entschuldigen«, teilte Vale ihm mit, als er seinen Platz am anderen Ende des Tisches einnahm. »Sein Sicherheitsteam muss sich Gefahrenprofile anschauen.«
»Ich befürchte, damit verschwenden wir nur seine Zeit«, erwiderte Riker, »andererseits sitzen wir alle im selben Boot, nicht wahr.« Er legte sein Padd auf den Tisch. »Sie haben alle die Einzelheiten der Mission erhalten?«
Vale nickte. »Jemand auf der Seite des Typhon-Paktes hat um ein Treffen gebeten – an dem je ein Repräsentant von acht Mächten teilnehmen soll.« Sie blickte Riker an. »Einer, und bloß einer – ganz gleich, wie lange es dauert.«
Er nickte. »Keine Rast für die Erschöpften.«
»Es wirkt ein bisschen seltsam, eine Friedenskonferenz einzuberufen, obwohl kein Krieg herrscht«, sagte Vale.
Tuvok legte die Finger zusammen. »Es existieren viele Konfliktpunkte, die zu besprechen eine Diskussion wert wäre. Die Frage lautet, über welchen wünschen sie zu sprechen?«
Riker verdrehte die Augen. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Die Einladung war kurz, sehr konkret – und wurde von der Station weitergeleitet, zu der wir uns auf dem Weg befinden. Unsere Analysten sind der Ansicht, dass höchstwahrscheinlich die Romulaner dahinterstecken. Und unsere Khitomer-Partner haben die gleichen Einladungen erhalten.«
Troi las die Namen vor. »Das Romulanische Sternenimperium, die Tzenkethi-Koalition, die Gorn-Hegemonie, die Tholianische Versammlung, das Klingonische Reich, die Cardassianische Union, die Ferengi-Allianz und die Vereinigte Föderation der Planeten.« Vier von jeder Seite. »Und es gibt keinen Hinweis auf den Anlass?«
»Nach allem, was wir wissen, könnten sie eine Gruppentherapie abhalten wollen.« Riker schenkte ihr ein schiefes Grinsen. »Vielleicht hätten wir doch dich schicken sollen.«
Der Counselor lächelte schmal. »Ich habe eine sehr geringe Frustrationsschwelle, wenn es um hoffnungslose Fälle geht.«
Riker holte tief Luft. Trois Einschätzung, was die Erfolgsaussichten anging, traf höchstwahrscheinlich zu, aber andererseits sollte er die Mission nicht auf die leichte Schulter nehmen. »Die Föderation wird einen möglichen Olivenzweig nicht ignorieren – vor allem, wenn die Gorn mit im Spiel sind.«
Vale nickte. »Denken Sie, es existiert nach wie vor die Möglichkeit, die Gorn aus dem Typhon-Pakt zu locken?«
»Niemand bei denen möchte ein Juniorpartner von irgendjemandem sein«, antwortete Riker. »Das ist die Schwäche des ganzen Konzepts. Die Gorn glauben fest daran, dass sie in der Hackordnung ganz unten stehen – und die Tholianer haben wegen der ganzen Andor-Affäre immer noch kräftig Ärger am Hals. Vielleicht hilft es, ein wenig Zeit mit ihnen zu verbringen, um das Eis etwas weiter aufzubrechen. Wer weiß?« Er blickte zu dem weißhaarigen Ingenieur hinüber. »Haben Sie sich diesen Treffpunkt angeschaut?«
»Das habe ich«, gab Ra-Havreii zurück. »Wir haben Sensoraufzeichnungen eines Sternenflottenschiffs erhalten, das dort vorbeigeflogen ist.« Er berührte ein Kontrollfeld und ein holografisches Bild erschien in der Luft über dem Tisch. »Wie wurde die Station auf der Einladung genannt? Die Ferne Botschaft.«
Die Raumstation hatte die Form eines großen Fasses. An einem Ende befand sich ein achteckiges Endstück, das acht Andockarme aufwies. Das andere Ende lief in etwas aus, das wie eine riesige Deflektorschüssel aussah. »Wem gehört diese Station?«, wollte Riker wissen.
»Darauf habe ich leider keine Antwort, Admiral«, gab Ra-Havreii zurück. »Oder sagen wir es so: Ich hätte schon eine, aber sie wäre ziemlich kompliziert.«
Riker verdrehte die Augen. Der efrosianische Chefingenieur der Titan war nicht nur ausgesprochen aufbrausend, er neigte auch zur weitschweifigen Rede. Immerhin war ihm Letzteres mittlerweile selbst aufgefallen. »Fassen Sie es bitte in zwei Sätzen zusammen.«
Ra-Havreii kratzte sich an seinem langen Bart. »Es scheint, als wäre jemand auf einen Schrottplatz gegangen und hätte aus den Altteilen eine Station gebaut. Aus jedermanns Altteilen.«
»Einen Schrottplatz?« Mit zusammengekniffenen Augen musterte Riker die Ferne Botschaft. »Das Ding macht auf mich den Eindruck, brandneu zu sein.«
»Und das ist es möglicherweise auch. Die verschiedenen Andockbereiche entsprechen exakt den Spezifikationen, die von den verschiedenen teilnehmenden Mächten verwendet werden.« Der Ingenieur ging die Bilder durch. Riker erkannte sowohl eine Andockeinrichtung in Sternenflottenbauweise – wenngleich ein paar Jahre alt – als auch traktorstrahlunterstützte Dockkrägen, wie sie unter anderem von klingonischen, cardassianischen und romulanischen Einrichtungen verwendet wurden.
»Wie nett von denen.« Vale stützte ihr Kinn auf eine Faust, als sie die Anzeige studierte. »Wer auch immer das Ding gebaut hat, er hat sich eine Menge Mühe gegeben, einladend zu wirken.«
Ra-Havreii schüttelte den Kopf. »Nicht ganz. Unsere Scouts haben festgestellt, dass ein Transporterinhibitorfeld in Kraft ist. Ich nehme an, dass die spezialisierten Andockbereiche bloß dazu dienen, die Ankommenden zu den Gästequartieren zu führen, die explizit für sie vorbereitet wurden.«
Riker runzelte die Stirn. »Der Typhon-Pakt ist nicht gerade für seine Gastfreundschaft berühmt.« Er ließ sich die Worte kurz durch den Kopf gehen. »Nun ja, zumindest die meisten Paktmitglieder nicht. Die Romulaner würden in der Tat tun, was nötig ist, um Eindruck zu schinden, so trügerisch der normalerweise auch ist.«
Troi blickte ihren Ehemann besorgt an. »Die ganze Einrichtung könnte eine Falle sein. Auf Garadius haben die Breen versucht, dich zu kidnappen – und das nur aus dem einen Grund, einen Sternenflottenadmiral in die Finger zu bekommen.«
Tuvok schien ihre Sorge zu teilen. »Die Breen zählen nicht zu den Eingeladenen.«
»Ich bin bereit für ein paar faule Tricks«, sagte Riker. »Und so wie ich das sehe, werden auch die Klingonen, die Cardassianer und die Ferengi auf der Hut sein. Mal ganz ungeachtet der Transporterinhibitoren, hat mir Christine verraten, dass Ranul Keru bereits an sechzehn verschiedenen Möglichkeiten arbeitet, mich im Fall von Schwierigkeiten aus der Station rauszuholen. Und was die Abwesenheit der Breen angeht: Wozu wäre ein Breen schon gut an einem Ort, an dem man sich hinsetzen und stundenlang miteinander reden soll?«
Dafür erntete er weiteres Lachen. Die Breen kommunizierten in absichtlich unübersetzbaren Quäktönen und waren selten an Verhandlungstischen zu sehen.
»Ich erkenne sowohl Gefahren als auch eine Chance«, meinte Tuvok. »Es ist in jedem Fall richtig, teilzunehmen.«
»Der Föderationsrat ist der gleichen Meinung«, sagte Riker. »Und wenn nichts dabei herauskommt, brechen wir wieder zu der regulär angesetzten Forschungsmission auf. Es geht zum Genovous-Pulsar, wenn ich mich nicht irre.« Er klopfte auf die Tischplatte. »Das wäre alles. Wegtreten.«
Sie standen auf. Troi blickte ihn an. »Du solltest wirklich noch etwas ausruhen, bevor du dich auf den Weg machst.«
Er nickte. »Und vielleicht sollte ich etwas essen. Ich habe keine Ahnung, was dort drüben auf dem Buffet liegt …«
Ein hoher Signalton erklang. »Admiral, wir haben den Nebel erreicht. Die Station erscheint auf unseren Scannern. Es sind bereits andere Schiffe eingetroffen.«
Vales Augen verengten sich. Sie sprach in die Luft. »Zugehörigkeit?«
»Klingonen, Ferengi, Cardassianer und Tzenkethi. Jeweils ein Schiff«, berichtete Ensign Lavena. »Sie schicken Shuttles aus, um an der Station anzudocken. Wir haben kein Gorn-Schiff geortet, aber ein Shuttle ist hier.«
»Die Romulaner und die Tholianer sind noch nicht eingetroffen«, stellte Tuvok fest.
»Wie immer zu spät.« Riker grinste schwach. »Nun, bislang spielen alle nach den Regeln.« Er warf seiner Frau einen Blick zu, der ihr, wie er wusste, nur zu bekannt war: Wird schon schiefgehen.
Gekleidet in seine feinste Senatorenrobe betrat Bretorius erhobenen Hauptes die Brücke des Diplomatenschiffs. Es handelte sich um einen engen Raum, der nur schwach erhellt war. Die Blicke der Besatzung lagen auf ihrer Arbeit, nicht auf ihm. Genauso sollte es sein. Gewissenhaftigkeit war wichtiger als Speichelleckerei.
Doch nun, so dachte der Romulaner mit dem zurückweichenden Haaransatz, während er sich dem Sitz neben seiner jungen und bildhübschen Assistentin näherte, war es an der Zeit, dass sich der wichtigste Mann an Bord – er – zu Wort meldete. Als Kadett der imperialen Flotte hatte ihn das immer freudig erregt: Man fühlte sich wertgeschätzt, als sei man Teil von etwas Besonderem, wenn die Mächtigen zu einem sprachen.
Er trat in den Befehlsbereich, drehte sich um und sah die anderen Anwesenden an. Mit erhobenen Händen begann er zu sprechen: »Mannschaft der R.I.S. Accipiter. Sie nehmen gerade an einer Mission von historischer Bedeutung teil. Endlich haben die Khitomer-Mächte unsere Überlegenheit eingesehen. Nun bitten sie den Typhon-Pakt um Frieden. Und so bin ich, Senator Bretorius, auserwählt worden, um an dieser wichtigen Konferenz teilzunehmen. Zugegeben, die Differenzen zwischen unseren Völkern sind enorm und die Gefahr, dass es zu keiner Übereinkunft kommen wird, ist groß …«
»Das alles ist komplette Zeitverschwendung – nur deswegen wurde er ausgewählt«, murmelte seine dunkelhaarige Assistentin.
»Nerla«, tadelte er sie leise und blickte sich nervös um. »Nicht so laut.«
Nerla grummelte etwas Unverständliches. Der Senator fuhr fort. »Die Botschaften, die wir und unsere Verbündeten von den Mächten der Gegenseite erhalten haben, erreichten uns völlig überraschend. Wir müssen daher auf der Hut sein. Es könnte Täuschung im Spiel sein.« Mit ernster Miene legte er die Hand auf seine Brust. »Und da nur ein Repräsentant von jeder Macht zugelassen ist, war der Praetor der Ansicht, dass ich am ehesten imstande sei, eine List zu durchschauen.«
»Oder derjenige, den man am wenigsten vermisst, wenn der ganze Versammlungsort in die Luft fliegt«, fügte Nerla hinzu.
Bretorius drehte sich zu seiner dunkeläugigen Assistentin um. »Ich bin ein Senator des Romulanischen Sternenimperiums«, zischte er sie wütend an, »und ich verdiene Respekt.«
»Und meine Familie kratzt die Schlacke von Molluskensammlerdrohnen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen«, erwiderte Nerla und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Trotzdem weiß ich besser als du, wie man deinen Job macht!«
Ein Schulterblick überzeugte Bretorius davon, dass ohnehin niemand aus der Brückenbesatzung ihm wirklich zuhörte. Also gab er es auf und ließ sich neben Nerla sinken. »Nerla, das ist eine große Sache – ich muss einen guten Eindruck hinterlassen«, beschwor er sie mit gesenkter Stimme. »Ich weiß, dass es ein paar Probleme gab, aber ich versichere dir, dass die Dinge besser laufen werden …«
»Das hast du mir schon an der Beraldak-Bucht erzählt, als du mir den Job angeboten hast – damals, als ich noch als Kellnerin deinen Tisch bedient habe. Und wenn ich das mal so sagen darf: Bis jetzt war es nicht gerade ein Urlaub am Meer!« Die junge Frau verschränkte die Arme vor der Brust und blickte missmutig ins Leere. »Und hier sitze ich nun. Ich dachte, das große Leben wartet auf mich, wenn ich zu deiner Assistentin werde. Gipfeltreffen der Mächtigen, Glamour, Luxus. Doch von all den Politikern, die dort Urlaub gemacht haben, musste ich mir ausgerechnet den einen Senator aussuchen, der praktisch nicht einmal zu einem Mittagsessen im Senat eingeladen wird!«
Abwehrend hob Bretorius eine Hand. »Ich sagte dir doch, dass ich vor ein paar Jahren ein paar Probleme mit dem Küchenpersonal hatte. Aber das ist alles vergessen. Ich muss lediglich ein paar Schmiergelder in die richtigen Taschen fließen lassen, um meine Essensprivilegien zurückzuerhalten, und wir können …«
»Und noch so ein Versprechen. Was ist mit dem Haus, das du mir in Aussicht gestellt hast? Das unten am Strand?«
»Das Ferienhaus? Der Bruder meiner Frau lebt dort. Nur für eine Weile.«
»Eine Weile, die niemals endet. Und was ist mit diesen Luxusappartements, die wir eigentlich gegenüber der Hauptstadt haben sollten? Werden die immer noch von deinen Schwägerinnen für ihre Feiern in Beschlag genommen?« Sie stach ihm einen Finger entgegen. »Ich sage dir mal was, Senator, wenn du mir gegenüber noch ein einziges falsches Versprechen machst, wird nicht einmal der Tal Shiar imstande sein, dich vor meinem Zorn zu verstecken.«
Bei der Erwähnung des gefürchteten romulanischen Geheimdiensts wandte Bretorius sich von ihr ab und dem Fenster zu. Gedankenvoll legte er die Hände zusammen. Nerla hatte recht, wie immer. Sowohl was seine Aussichten betraf als auch diese Mission. Das Sternenimperium hätte irgendjemanden zu dieser sogenannten Versammlung der Acht entsenden können. Doch sie hatten Bretorius genau deswegen geschickt, weil er eben kein Jemand war.
Ein guter Politiker wusste immer, woher der Wind wehte. Ein hervorragender Politiker machte das Wetter selbst. Bretorius steckte seit Jahren in einer Flaute fest, und er war schon völlig außer Atem von dem ständigen Versuch, etwas zu bewirken – zumindest etwas Positives.
Andere Senatoren bezahlten Biografen, damit diese lautstarke Lobeshymnen über ihre Karriere verfassten. Bretorius hatte bis jetzt drei angeheuert. Jeder von ihnen hatte nach ein paar Monaten das Handtuch geworfen und behauptet, er könne einfach nichts tun, um das Leben des ehemaligen Warbird-Kommandanten irgendwie attraktiv aussehen zu lassen. Bei zweien von ihnen hegte Bretorius den Verdacht, dass sie schon früher verschwunden wären, wenn sie nicht eine Affäre mit seiner Frau gehabt hätten.
Die ersten Kapitel waren nie das Problem. Er entstammte einer Linie ehrenvoller Krieger, von denen einige im Senat gedient hatten. Es verstand sich von selbst, zu erwarten, dass auch Bretorius es zu etwas bringen würde. Seine Mutter hatte ihn in eine arrangierte Ehe und in die imperiale Flotte getrieben. Sie war davon ausgegangen, dass ein Mann mit seinem Familiennamen selbst dann imstande sein sollte, voranzukommen, wenn er nur mit mittelmäßigem Talent gesegnet war.
Unglücklicherweise war selbst die Mittelmäßigkeit eine Messlatte, die sich für Bretorius als zu hoch erwiesen hatte. Er war auf die altmodische Art in der Flotte aufgestiegen: indem er einfach so lange dabeigeblieben war, bis sie ihm entweder ein Kommando geben oder ihn ausmustern mussten. Er hatte den Befehl über ein Schiff erhalten, dem es auf wundersame Weise gelungen war, jede wichtige Schlacht zu verpassen, in die das Romulanische Sternenimperium während seiner Zeit als Captain verwickelt worden war. Die entscheidende Schlacht des Dominion-Krieges war ohne Bretorius’ Schiff geschlagen worden, weil seine gesamte Mannschaft aufgrund einer Lebensmittelvergiftung ausgefallen war, die sie sich während einer fatalen Feier am Abend vorher zugezogen hatte. Und während der Zeit, in der sich Shinzon um Verbündete innerhalb der imperialen Flotte bemüht hatte, die ihm bei seinem späteren Coup helfen sollten, war Bretorius nicht ein einziges Mal kontaktiert worden. Es war nicht so, dass er scharf darauf gewesen wäre, die Regierung zu stürzen. Aber er hätte es nett gefunden, wenn er wenigstens gefragt worden wäre. Was bitte musste man mitbringen, um in eine geheime Verbindung aufgenommen zu werden?
Immer war er zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen – aber er hatte das Reich nie so viel gekostet, dass es jemanden gekümmert hätte. Und so hatte sich Bretorius irgendwie durchgemogelt. Er war ein Mann, der einen berühmten Namen trug, ein Platzhalter für eine Familie, deren Ruhm einst größer gewesen war. Seine Ernennung zum Senator vor sechs Jahren verdankte er allein einem faulen Kompromiss: rivalisierende Fraktionen, die sich darum bemüht hatten, den romulanischen Senat wieder einzusetzen, hatten sich in eine Sackgasse manövriert und einen Kandidaten benötigt, gegen den niemand etwas einzuwenden hatte.
Damals hatte er gedacht, dass sich ihm hier eine Gelegenheit öffnen und Vertreter aus allen Lagern sich um seine Gunst bemühen würden. Doch erneut war er von seinen Instinkten betrogen worden. Wann immer Bretorius auch nur einen halben Schritt in Richtung einer Fraktion machte – und wenn es sich nur um eine simple Abstimmung handelte –, verlor er umgehend seinen Posten in dem Ausschuss, für den er zu diesem Zeitpunkt tätig gewesen war. Er war einfach nicht dazu bestimmt, irgendeine Bedeutung im politischen Geschehen zu haben. Es fiel einem schon schwer, vom Stuhl des Praetors oder auch nur eines Prokonsuls zu träumen, wenn man Juniorsenator im Komitee für die Verwaltung öffentlicher Bauprojekte war.
Selbst seine Hoffnungen auf materiellen Reichtum hatten sich nicht bewahrheitet. Andere Offizielle machten mit Bestechungen den großen Reibach. Bretorius war allerdings noch nie gut darin gewesen, Schmiergelder einzufordern. Am Ende war es irgendwie immer er, der zahlte. Und obwohl er explizit dazu gedrängt worden war, des Geldes wegen zu heiraten, musste er schon bald feststellen, dass der Reichtum seiner Frau noch weniger existent war als sein eigener. Statt ihm allerdings den Gefallen zu tun und sich von ihm scheiden zu lassen, hatte sie ihn stattdessen wieder und wieder erniedrigt, indem sie mit jedem Künstler oder Musiker ins Bett stieg, der gerade angesagt war. Bretorius argwöhnte, dass er so ungefähr die Hälfte aller unfertigen Skulpturen finanziert hatte, die in der Hauptstadt Ki Baratan herumstanden.
Und über die Sippe seiner Frau, die ihm ebenfalls auf der Tasche lag, wollte er gar nicht erst nachdenken.
Er blickte wieder zu Nerla. Sie war halb so alt wie er und hatte doppelt so viel Verstand wie jeder Einzelne in der Familie seiner Frau. Sie wäre eine starke Ehefrau und eine verschlagene Partnerin auf dem politischen Parkett. Das war einer der Gründe, warum er ihr einen Job angeboten hatte. Doch sie zeigte schon seit längerer Zeit kein Interesse mehr an ihm, weder als Mentor noch als sonst etwas. Und jetzt stützte sie sich auf ihre Armlehne und schien gelangweilt die kaputten Signallämpchen auf den Kontrollkonsolen des heruntergekommenen Schiffs der Lenora-Klasse zu zählen. Er bekam Magenschmerzen und es fiel ihm schwer, irgendetwas zu sagen. Er musste etwas unternehmen, um seinen Stand zu verbessern – sowohl in der Politik als auch bei Nerla.
Warum nur brachte sie ihm solche offene Verachtung entgegen? Warum gerade jetzt?
Obwohl sie ihn nicht ansah, schien sie seinen Blick zu spüren. »Was?«, fragte sie verärgert.
»Du weißt irgendetwas, oder?« Er schaute sich im Raum um und versicherte sich, dass niemand zuhörte. »Die Prokonsuln wollen mich ersetzen lassen, sobald ich zurückkehre.«
»Und wie immer bist du der Letzte, der es mitbekommt«, antwortete Nerla. »Dein Sitz ist für alle Fraktionen wertvoll. Nur nicht, solange du ihn besetzt. Nicht mehr.«
Bretorius schüttelte den Kopf. »Ich muss etwas tun. Irgendetwas, um ihnen meinen Wert zu beweisen.«
Ungläubig sah Nerla ihn an. »Bret – du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du das kannst.« Sie begann, seine Schwächen an ihren Fingern abzuzählen. »Du bist der am wenigsten durchsetzungsfähige, fantasieloseste und am leichtesten durchschaubare Romulaner, der je den Fuß in die Senatskammer gesetzt hat. Die erwarten doch nicht von dir, dass du mit einer bedingungslosen Kapitulation der Föderation zurückkehrst, mit Klingonen, die dein Gepäck tragen. Sie haben dich für eine Woche auf eine sinnlose Mission geschickt, damit sie den Namen an deiner Bürotür ändern können.«
Bretorius machte ein finsteres Gesicht. »Es ist noch immer Zeit. Ich kann das verhindern.«
Sie starrte ihn an. »Ach ja? Dann beweise es mir.« Mit diesen Worten wandte sie sich von ihm ab.