Star Trek - Titan 2: Der rote König - Andy Mangels - E-Book

Star Trek - Titan 2: Der rote König E-Book

Andy Mangels

4,4

Beschreibung

Während sie das Verschwinden einer geheimen romulanischen Flotte untersucht, wird die U.S.S. Titan unerwartet über 200.000 Lichtjahre in die Kleine Magellanische Wolke versetzt. Die Wolke, eine der Satellitengalaxien der Milchstraße, beherbergt auch die Neyel, ein seit langem von der terrestrischen Menschheit getrennter Seitenzweig, mit dem die Sternenflotte seit über achtzig Jahren keinen Kontakt mehr hatte. In der Nähe rettet Rikers zweifelhafte Verbündete Donatra, Commander des romulanischen Warbirds Valdore, einen jungen Neyel, den Überlebenden einer mysteriösen kosmischen Turbulenz, die ab und an das Gefüge des Raumes aufzulösen und neu zusammenzufügen scheint ... Die Erfüllung einer apokalyptischen Vision, die bereits Millionen von Leben gefordert hat. Das Wissenschaftsteam der Titan findet schnell Beweise, dass die Verwüstungen des Neyel-Gebietes das Werk einer gewaltigen und mächtigen Intelligenz ist: Sie sind die Bewegungen eines schlafenden Bewusstseins, das die Existenz der Kleinen Magellanischen Wolke - und allen Lebens darin - über die Zeit hinweg überhaupt erst aufrechterhält. Und sollte es erwachen, wären die Konsequenzen unvorstellbar. Während Riker seine Möglichkeiten abwägt, kämpft seine neue Besatzung mit den wissenschaftlichen und philosophischen Folgerungen ihrer Entdeckung ... und der junge Neyel in ihrer Mitte knüpft eine Verbindung zum Captain und beschwört damit Geister der Vergangenheit, die Riker noch nicht losgelassen hat.

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STAR TREK

TITAN™

DER ROTE KÖNIG

ANDY MANGELS UND MICHAEL A. MARTIN

BASED UPON STAR TREK ANDSTAR TREK: THE NEXT GENERATION®CREATED BY GENE RODDENBERRY

Ins Deutsche übertragen vonStephanie Pannen

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – TITAN: DER ROTE KÖNIG wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg. Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Stephanie Pannen; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Gisela Schell; redaktionelle Mitarbeit: Julian Wangler; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Cliff Nielsen.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – TITAN: THE RED KING

German translation copyright © 2009, 2011 by Amigo Grafik GbR.

Original English language edition copyright © 2005 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

© 2009 Paramount Pictures Corporation. All Rights Reserved.© 2009 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. CBS and the CBS EYE logo are trademarks of CBS Broadcasting Inc. All Rights Reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-941248-02-1 (März 2009) · E-Book ISBN 978-3-942649-94-0 (November 2011)

WWW.CROSS-CULT.DE

Während ich an diesem Buch gearbeitet habe,hatte ich die Gelegenheit, für meine Gemeindeehrenamtlich im Bereich des Spendensammelnsund in einer Leitungstätigkeit zu arbeiten.Viele Leute haben mich gewaltig unterstützt,und ich widme dieses Buch Marc Hoffman,Steve Suss, Jerry Dahlke, Rick Watkins und Les Lewis.Gentlemen und Freunde,mögen eure Schiffe immer auf demrichtigen Kurs segeln.– A.M.

Das hier ist für: meine Frau Jenny,deren Geduld während der Arbeit an diesem Bandhier besondere Anerkennung verdient;und die Weltraumvisionäre der NASA,das Jet Propulsion Laboratoryund die Europäische Weltraumbehörde,die genau in diesem Jahr die Huygens-Sondeerfolgreich auf dem Saturnmond Titan gelandet hatund der Menschheit dadurch den ersten flüchtigen Blickauf die Oberfläche des Namensvetters unserestitelgebenden Raumschiffes ermöglicht hat.– M.A.M.

DANKSAGUNGEN

Die Autoren schulden den folgenden Personen riesigen Dank: John Logan, Rick Berman und Brent Spiner, deren Zusammenarbeit an der Story und dem Drehbuch von STAR TREK – NEMESIS nicht nur Will Riker seinen verdienten vierten Pin und das Kommando über die Titan gab, sondern uns auch erlaubte, die bisher nicht erzählte Geschichte der Flitterwochen von Riker und Troi für Keith R. A. DeCandidos kürzlich veröffentlichter Anthologie »Tales from the Captain’s Table« niederzuschreiben; Jeff Mariotte, dessen Roman »Deny Thy Father« ein wichtiges Kapitel in Rikers Familiengeschichte erzählt hat; John Vornholt, Dayton Ward & Kevin Dilmore, Robert Greenberger, David Mack und Keith R.A. DeCandido, den Autoren der »A Time To«-Romanreihe, deren gemeinsames Werk die Jungfernfahrt der Titan so geschickt vorbereitet hat; Titan-Mitautor Christopher L. Bennet für entscheidende Erkenntnisse und SF-mäßige Inspiration; Diane Duane, deren Roman »Der verwundete Himmel« das Konzept des De-Sitter-Raums vor mehr als zwei Jahrzehnten im (literarischen) Star Trek-Universum einführte; Jeri Taylor, deren Romane »Mosaik« und »Schicksalspfade« wertvolle Einblicke in Tuvoks Vergangenheit geliefert haben; Chris Cooper, der die STAR TREK – STAR FLEET ACADEMY-Reihe schrieb (Marvel Comics, 1996–1998), die die frühe Karriere von Lieutenant Pava Ek’Noor (sh’) Aqabaa aufzeichnete; der legendären TOS-Drehbuchautorin Dorothy Fontana, die in der TOS-Episode »Im Namen des jungen Tiru« ein Freudenbündel namens L. J. Akaar auf die Welt brachte; dem unnachahmliche Bandleader Dominic James »Nick« La Rocca (1889–1961), dessen Original Dixieland Jass (Jazz) Band viel getan hat, um Captain Rikers Lieblingsinstrument bekannt zu machen und als Namensgeber für eines der Titan-Shuttles diente; den vielen Fans, die uns gesagt haben, wie viel Spaß sie beim Lesen von »Eine neue Ära« hatten, während der Nachfolgeband, den Sie gerade in Händen halten, noch größtenteils unvollendet war; und Marco Palmieri, der daran geglaubt hat, dass wir dazu fähig sind, Captain William T. Rikers erstes dauerhaftes Kommando vom Stapel laufen zu lassen, der jedes Manuskript, das er berührt, immer unermesslich verbessert und niemals daran scheitert, uns wie Genies aussehen zu lassen.

Wenn Samen in der schwarzen Erde zu solch wunderschönen Rosen werden können, was könnte dann nicht alles aus dem Herzen der Menschen auf seiner langen Reise zu den Sternen werden?

– G. K. CHESTERTON (1874–1936)

Jetzt, wo wir so viele Geheimnisse durchdringen, glauben wir nicht mehr an das Unbekannte. Dennoch ist es da und leckt sich in aller Ruhe die Lippen.

– H. L. MENCKEN (1880–1956)

»Er träumt jetzt«, sagte Dideldei. »Und was glaubst du wohl, wovon er träumt?«

Alice sagte: »Niemand kann das erraten.«

»Nun, von dir!«, rief Dideldei und klatschte triumphierend in die Hände. »Wenn er aufhören würde, von dir zu träumen, was glaubst du, wo du dann wärst?«

»Da wo ich jetzt bin, natürlich!«, sagte Alice.

»Oho, nein«, sagte Dideldei verächtlich. »Gar nirgends wärst du! Du bist nur eine seiner Traumgestalten.«

»Wenn dieser König da aufwachte«, fügte Dideldum hinzu, »dann würdest du einfach ausgehen, bums, wie eine Kerze.«

»Oh, durchaus nicht!«, rief Alice entrüstet. »Und außerdem, wenn ich nur eine Traumgestalt bin, was sind dann Sie, möchte ich gern wissen?«

– LEWIS CARROLL, AKA CHARLES LUTWIDGE DODGSON

(1832–1898), Alice im Spiegelland

KAPITEL 1

DIE KLEINE MAGELLANSCHE WOLKE, 7. JANUAR 2380

[GREGORIANISCHER KALENDER DER ALTEN AERDE]

»Seht!«, sagte Frane mit einem ehrfürchtigen Zittern in seiner Stimme. Oder ist es ein ängstliches?, fragte er sich in einem verborgenen Winkel seiner Seele.

Aber der Ausblick, der sich den Suchenden der Buße bot, brachte Frane an einen Ort jenseits der Angst. Es war der schönste und schrecklichste Anblick, den er je gesehen hatte. Strahlende Energieranken erstreckten sich über Millionen von Klomtern wegloser Leere auf das ramponierte Transportschiff zu, wie die prüfenden Finger einer großen, zupackenden Hand.

Frane hörte, wie Nozomi nach Luft schnappte, während sie sich hinter ihm duckte, als ob sie befürchtete, dass das Bild direkt durch den Sichtschirm des beengten Schiffes nach ihr greifen würde.

»Habt Vertrauen!«, sagte Frane. Als ein Neyel, der den eroberungsfreudigen Traditionen seines Volkes abgeschworen hatte, um unter den Sklaven und Ausgestoßenen der Gesellschaft zu leben, wusste er nur allzu gut, dass Glaube oftmals das einzige war, was ihn aufrecht erhielt. Um Nozomi zu beruhigen, ergriff er ihre Hand, selbst als sich ihr gespaltener Schwanz um seinen wand. Er löste sich sanft von der weiblichen Neyel, nachdem er bemerkt hatte, dass einer ihrer Füße sein Bein so fest umklammerte, dass das graue Fleisch unter seinem weiten Pilgergewand weiß wurde.

»Ich bleibe hier an der Station«, sagte Lofi, die weibliche Sturr, die sowohl das Steuer als auch die Sensorstation bediente. Weil sie einer Rasse vielteiliger Koloniewesen angehörte – und zwar einer der ersten einheimischen Völker, die von den Ur-Neyel erobert worden waren, nachdem diese vor Jahrhunderten in M’jellanschem Raum angekommen waren – konnte Lofi mehrere Segmente ihres gerundeten Oberkörpers kurz abtrennen, um verschiedene Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. Während Frane Lofi beobachtete, überlegte er, wie sich die frühesten, eroberungsfreudigen Generationen der Neyel-Vorfahren, die ältesten Oh-Neyel, diese Fähigkeit der Sturr zu Nutze gemacht hatten, um sich in der gesamten M’jellan-Region auszubreiten und auf dem Rücken der zahlreichen geknechteten Sklavenrassen die Neyel-Hegemonie zu errichten.

Wird mein Volk jemals für die Schande dieser sündigen Tage büßen?, fragte sich Frane. Doch er befürchtete, dass er die Wahrheit bereits kannte.

Darum bemüht, diese düsteren Gedanken zu verjagen, wandte Frane seinen Blick wieder zurück auf die große, funkelnde Energieexplosion, die den Sichtschirm vor ihm ausfüllte. Er sah, dass der Anblick alle anderen in dem engen, schwach beleuchteten Kontrollraum ebenfalls in ihren Bann zog.

»Können wir nicht noch ein wenig näher heran?«, fragte g’Ishea und drückte sich an Fasaryl, ihren Gefährten. Als Angehörige einer einheimischen Spezies, die umgesiedelt – und dann größtenteils abgeschlachtet – worden war, um der strahlenden Neyel-Metropole Mechulak City und weiteren Ausbreitungen der Neyel-Kernwelt Platz zu machen, konnten sich g’Ishea und Fasaryl an keine Zeit erinnern, in der sich ihr Volk frei bewegen durfte. Frane konnte nur mutmaßen, wie es sich anfühlen mochte, als Zwangsarbeiter in einer Welt leben zu müssen, die einst ein idyllisches Paradies gewesen war und nun endlos unter der Neyel-Peitsche und dem lidlosen Auge des Heiligen Vangar, der Steinernen Himmelswelt, die ihren Planeten seit der Zeit der Ersten Eroberung umkreist hatte, schuften zu müssen. Wie wäre das wohl, fragte er sich, über mehrere Generationen hinweg auf diese Art zu leben, ohne jede Hoffnung auf Freiheit?

Frane warf Lofi einen fragenden Blick zu – oder, genauer gesagt, auf den kugelförmigen, ledernen Teil von Lofi, an dem ihr primärer Sensorcluster befestigt war.

»Ich würde empfehlen, dass wir uns nicht weiter nähern«, antworte Lofi. Durch den Vocoder, der ihre ursprünglichen gutturalen Äußerungen in für Neyel verständliche Sprache umwandelte, drang ein ängstlicher Unterton. »Dieses Phänomen erzeugt Raumanomalien wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Ich kann nicht garantieren, dass dieses Schiff in einem Stück bleibt, wenn ich uns näher heranfliege.«

»Wie enttäuschend!«, sagte Frane, obwohl er sich nicht ganz sicher war, ob er es ernst meinte.

»Ich bin mehr als zufrieden, wenn wir Abstand halten«, sagte Nozomi mit zittriger Stimme. Ihr Schwanz wand sich wieder nervös um Franes Taille. Er schob ihren Greifschwanz mit seinem eigenen beiseite.

Frane drehte sich ihr zu, bereit, einen bissigen Kommentar über ihre lästige, fast schon theatralische Zurschaustellung von Mutlosigkeit abzugeben. Warum konnte sie ihre Ängste nicht für sich behalten, so wie er das tat?

»Warum ist es aufgetaucht?«, fragte Fasaryl und zeigte mit der beweglichen Partie einer seiner Vorderhufe auf die Energieranken, die auf dem Schirm zu sehen waren.

»Du weißt warum, mein Geliebter«, sagte g’Ishea und säuberte dabei ihre Wamme mit ihrer breiten, rauen Zunge. »Weil der Schläfer nun endlich erwacht.« Obwohl g’Isheas leise Stimme ruhig klang, bewies Frane das gurgelnde Geräusch, das aus ihren Verdauungsorganen drang, das Gegenteil.

»Das behaupten zumindest alle ständig«, sagte Fasaryl, der mit der naheliegenden Antwort offensichtlich unzufrieden war.

Seit das rätselhafte energetische Phänomen vor einigen Wochen plötzlich nur wenige Pars’x von der Kernwelt entfernt aufgetaucht war, hatte die Neyel-Intelligenzia, genau wie der Klerus, sowohl dem kulturellen Rand wie der politischen Mitte, zahllose Theorien angeboten, um es zu erklären. Für einige war es ein seltener Fall von räumlichem Gleiten zwischen angrenzenden Subraumregionen. Für andere war es nicht mehr als ein weiterer Schritt im Kreislauf des kosmischen Todes und der Wiedergeburt, einer Phase, die Milliarden von Jahren dauern würde, bevor das Universum sie hinter sich gebracht hätte. Und für manche war es nicht mehr als eine örtlich begrenzte Naturkatastrophe, von seltener Schönheit und glücklicherweise noch seltenerer Gewaltigkeit.

Frane wusste, dass einige die riesige Energieexplosion als Anlass zu vorsichtiger Freude sahen, da es keine einzige von Neyel besiedelte Welt zerstört hatte.

Bis jetzt, dachte er.

Oder war – wie die mit einer etwas weltlicheren Einstellung behaupteten – die ausgedehnte, farbenprächtige Energieblüte nicht mehr als eine temporäre Öffnung einer der lange unbeachtet gebliebenen Raumspalten, durch die vor über zehn Generationen die teuflischen Tholianer gekommen waren, um ihre grausamen Angriffe durchzuführen?

Frane war sich sicher, dass er die wahre Antwort auf das Mysterium kannte. Die wahre Natur der Erscheinung auf dem Schirm. Und er wusste, dass die anderen Suchenden der Buße, die Einheimischen, die mit ihm zum Rand dieser großartigen, wilden Offenbarung gereist waren, seine Überzeugung im Grunde teilten, trotz all ihrer momentanen Ängste und Zweifel. Schließlich hatten ihre eigenen Völker die Geschichten zusammengetragen, die seit ungezählten planetarischen Zyklen wieder und wieder erzählt werden.

Bei diesem Ausbruch unvorstellbarer Kräfte handelte es sich um nichts geringeres als den Schläfer der M’jellan-Legenden, der endlich aus Seinem äonenlangen Schlummer erwachte. Und Frane durfte es miterleben.

Vielleicht sind wir nicht nur gekommen, um Zeugen des Erwachens zu sein, dachte er sich, schier überwältigt von der Reinheit und Kühnheit seines Vorhabens, jetzt wo er endlich geradewegs in den Schlund der Unendlichkeit blicken durfte. Vielleicht sind wir hier, um es herbeizuführen.

Damit die Neyel – Franes eigenes Volk – endlich für all die Freveltaten büßen würden, die sie an nahezu jeder anderen Spezies verübt hatten, auf die sie in M’jellanschem Raum gestoßen waren – zumindest bis Aidan Burgess den langen Weg von der Alten Aerde gekommen war, um den Neyel dabei zu helfen, ihre grausamen Fehler einzusehen.

Die Suchenden der Buße verehrten Föderationsbotschafterin Burgess und es war ihre Pflicht, das zu vollenden, was sie begonnen hatte: dem gesamten Geschlecht der Neyel die Lektionen des Friedens zu lehren, die die längst verstorbene, zur Märtyrerin gewordene Diplomatin, bekannt gemacht hatte. Selbst wenn das Ziel dieser Lektionen – Sühne – das Leben all derer forderte, die an den Neyel-Eroberungen teilgenommen hatten. Selbst wenn ihre Erben, die dieses Unrecht immer noch – wissentlich oder unwissentlich – aufrechterhielten, zusammen mit den Einheimischen, die zu willensschwach gewesen waren, um wenigstens zu versuchen, gegen ihre Eroberer Widerstand zu leisten, leiden mussten.

»Ist es wahr, Frane?«, fragte Fasaryl. »Ist es wahr, dass jede Welt in der M’jellan-Wolke verschwinden wird, wenn der Schläfer endlich ganz erwacht ist?«

Frane nickte. »So sagen es die Legenden der His’lant. Und die der Sturr. Und die Sagen deiner Urahnen von Oghen ebenso.«

»Die Geschichtenerzähler der His’lant erzählen, dass der Schläfer alle Welten in der Wolke erträumt«, sagte Nozomi. »Und wenn der Schläfer erwacht …«

»Endet der Traum«, beendete Frane ihren Satz. Zusammen mit jeder bösen Tat, die unser Volk an diesen Welten begangen hat.

Fasaryl zuckte mit seinen breiten, schwerfälligen Schultern. »So heißt es jedenfalls in den Geschichten. Wir werden es nicht wissen, bis und sofern es geschieht.«

»Wir wissen bereits, dass der Schläfer sich regt«, sagte g’Ishea und nickte in Richtung des farbenprächtigen Energiewirbels, der nur wenige Hundert Klomter vor ihnen lag. »Und diese Regung hat bereits mindestens eine ganze Welt ausgelöscht. Nachdem Newaerth verschwunden ist, muss ich nicht weiter überzeugt werden.«

Frane nickte ernst. Die Wahrheit hinter g’Isheas Worten war nicht zu leugnen. Newaerth gab es nicht mehr. Es war mit seinem gesamten Planetensystem nur wenige Tage nach dem Auftauchen der farbenprächtigen Raumanomalie untergegangen – eine wunderschöne blaue Welt, nur ein Jahrhundert nach der Ankunft der Ur-Neyel in der kleineren M’jellan-Wolke besiedelt, ausgelöscht durch die Bewegungen des Schläfers.

»Vielleicht wird der Schläfer uns verschonen, wenn wir die Versöhnungsrituale durchführen«, sagte Nozomi mit leiser, verängstigter Stimme.

Anders als Nozomi machte sich Frane keinerlei ernsthafte Hoffnung darauf, verschont zu werden, egal was für ein göttlicher Zorn über die gesamte Region hinwegfegen würde. Auch hielt er sich solcher Gnaden nicht für besonders würdig. Aber er war bereit und gewillt, das meditative Ritual durchzuführen, wenn auch nur im Interesse seiner Begleiter, deren Glaube in die Wirksamkeit der antiken einheimischen Rituale seinen eigenen deutlich überstieg. Warum sollten schließlich seine Mitreisenden dem Tod entgegentreten, wenn es doch seine Vorfahren und nicht ihre gewesen waren, die den Zorn des Kosmos auf sich gezogen hatten?

Während sie immer noch die Schiffsinstrumente im Blick behielt, trennte Lofi eines ihrer schuppigen, regenbogenfarbenen Oberkörpersegmente ab. Ihre, an mehreren Stellen miteinander verbundenen, Arme und Sensorcluster machten sich sofort daran, die für das Ritual benötigten Materialien auf dem Deck vor dem Sichtschirm zu arrangieren. Sie flitzte mit entschlossener Geschicklichkeit hin und her, bedeckte etwa einen Quadratmetrik mit einer präzisen Anordnung verschiedenfarbiger Erde von der Heimatwelt der Sturr und vermischte sie mit mehreren Tropfen ihrer eigenen klebrigen Körperflüssigkeiten, die sie aus Drüsen unter den Armen ihres unabhängig agierenden Körpersegments entnommen hatte.

Frane senkte seinen Kopf und verschloss seine Augenklappen vor dem irgendwie verstörenden Ritual. Fasaryl begann, ein leises blökendes Geräusch zu machen. Sein Lied jagte Frane einen Schauer über die Wirbelsäule. Er wusste, dass die archaischen Worte, die Fasaryl sang, viel älter waren als die ältesten Vorfahren der Neyel von der Alten Aerde.

Nach nur ein paar Dutzend Herzschlägen war Fasaryl am Ende seines Ritualgesangs, als erwartete er etwas Bedeutsames. Frane öffnete seine Augenklappen einen Spalt und warf einen Blick nach oben. Dort sah er, dass die Energieranken immer noch auf dem Schirm zu sehen waren. Das Bild war unverändert. Der Oghen wiederholte seine Worte und als Lofi mit einstimmte, bildete ihre künstliche Stimme einen seltsam blechernen Gegenpunkt zu Fasaryls schwermütigem, tiefem Singsang.

Das Bild auf dem Schirm fuhr hartnäckig mit seiner langsamen und statischen Pirouette fort. Was habe ich denn erwartet?, dachte Frane und schmunzelte in sich hinein. Hätte der Schläfer uns antworten sollen? Habe ich wirklich erwartet, dass er genau in diesem Moment wach wird und verspricht, uns vor der Zerstörung zu retten, die uns bevorsteht?

Es würde keine gedruckten Einladungen geben, um die Apokalypse von einem sicheren kosmischen Balkon aus zu verfolgen. Wenn der Schläfer endlich erwachte, wenn seine geheimnisvollen Träume nicht mehr da waren, um die bloße Existenz des M’jellan-Raums aufrechtzuerhalten, würde Frane verlöschen, zusammen mit allem anderen, was sich innerhalb der nächsten Hundert Pars’x befand – genau wie es die Physikpriester der His’lant vorhergesagt hatten.

In diesem Moment ging ein Alarm los und riss Frane aus seiner melancholischen Träumerei. Das Geräusch ließ Nozomi hochfahren und ihre Hände und Füße fanden instinktiv Halt an einem der an der Decke angebrachten Stege des Kontrollraums.

»Frane!«, rief Lofi. In ihrer normalerweise gleichmäßigen synthetischen Stimme lag eine ungewöhnliche Dringlichkeit. »Ich erfasse mehrere Schiffe, die sich der Energiewolke mit hoher Geschwindigkeit nähern. Sie kommen direkt auf uns zu.«

Ein eiskalter Knoten böser Vorahnung bildete sich in Franes Magen. »Was für Schiffe?«

»Neyel-Militär, zylindrische Formation. Sie wollen, dass wir uns zurückhalten und darauf vorbereiten, an Bord ihres Flaggschiffs teleportiert zu werden.« Lofi richtete einen ihrer Augenstiele direkt auf ihn. »Sie haben ausdrücklich nach dir gefragt, Frane.«

Der Knoten in Franes Bauch zog sich plötzlich zusammen wie die Schlinge eines alten Sklavenfängers. Ihm fiel nur ein einziger Militäroffizier ein, der nach seinem Namen fragen würde.

»Bringt den männlichen Neyel-Gefangenen unverzüglich zu mir«, befahl Drech’tor Gherran. Seine Augen blieben weiterhin auf die seltsame Erscheinung gerichtet, die den zentralen Schirm des Hauptkontrollraums einnahm. Dann nahm er den Blick von der glitzernden Wolke und sah auf das Armband aus exotischen Muscheln, Steinen und Stoffen, das sein Handgelenk schmückte.

»Und die Frau?«, erwiderte Harn, sein stets tüchtiger Steuerläufer und Subalternoffizier. Wenn Harn bemerkt haben sollte, wie abgelenkt sich Gherran im Moment fühlte, so ließ er es sich nicht anmerken.

»Lasst sie in Haft mit den Einheimischen«, sagte Gherran und streichelte dabei sanft mit der pikförmigen Spitze seines Schwanzes über das Armband.

Harn reagierte etwas skeptisch auf Gherrans Befehl, ging aber gehorsam zur Kommunikationkonsole am anderen Ende des Kontrollraums und begann, seine Anweisungen auszuführen. Steif und effizient wie immer.

Einen Augenblick später traten zwei schwarz-uniformierte Neyel Sicherheitsoffiziere aus dem Liftschacht, zwischen ihnen eine dünne, in ein Pilgergewand gehüllte Gestalt, deren Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Die Wachen sahen verwirrt aus, offensichtlich aufgrund des Befehls, den Gefangenen in den empfindlichen Kontrollraum des Schiffes zu bringen.

Der Gefangene wirkte viel zu ruhig für jemanden in seiner angreifbaren Position. Aber das war für Gherran keine Überraschung.

»Löst seine Handfesseln!«, sagte Gherran. »Und dann lasst uns allein!«

»Sir?«, sagte der ältere Sicherheitsoffizier. Dabei öffneten und schlossen sich vor Verwunderung seine Augenklappen schnell hintereinander.

»Macht schon!«

Die Wachen beeilten sich, dem Befehl nachzukommen und verließen den Raum nur Sekunden später. Die wenigen technischen Offiziere, die anwesend waren, beobachteten unauffällig, wie der Gefangene einen Schritt auf Gherran zutrat und dabei seine gerade befreiten Handgelenke rieb.

»Werden Sie mich gleich hier verhören, Drech’tor Gherran, vor all diesen Leuten?«, fragte der Gefangene in einem, wie dem Drech’tor schien, spöttischen Tonfall. Er machte eine Geste zu Harn und dem Rest der Kontrollraumbesatzung. Jeder von ihnen sah sofort in eine andere Richtung und beschäftigte sich verdächtig genau mit seinen verschiedenen Konsolen.

Gherran zeigte auf eine Luke zwischen dem Aufzugsschacht und dem Steuer. »In meine Vorbereitungskammer. Sofort.«

Der Gefangene zuckte mit den Schultern und tat wie ihm geheißen. Nachdem sich die Luke geschlossen hatte und sie ungestört waren, drehte sich der Gefangene zu ihm um. Seine harte, graue Haut um seinen Mund umspielte ein Lächeln. »Hallo Vater«, sagte er mit unerträglicher Ironie in der Stimme.

»Was hast du hier draußen zu suchen, Frane?«, fragte Gherran und bemühte sich, seinem Sohn gegenüber die Wut, die er fühlte, nicht zu zeigen. Er glaubte keinen Moment daran, dass es ihm gelang.

»Vielleicht sollte ich dir die gleiche Frage stellen, Vater.«

Gherran seufzte und schüttelte den Kopf. »Du weißt genauso gut wie ich, dass die Hegemonie-Flotte es Eindringlingen nicht erlauben kann, sich der … Erscheinung zu nähern.«

»Aber warum, Vater? Hast du Angst, dass wir den Schläfer noch mehr aufwecken?«

Gherran schnaubte und hinter ihm zuckte sein Schwanz unfreiwillig hin und her. »Blödsinn! Es gibt keinen Schläfer, Frane. Nur lächerliche Geschichten der Einheimischen, am Leben erhalten von den fantasieanfälligen Abkömmlingen der Sklaven. Und ermöglicht durch leichtgläubiges, sentimentales Neyel-Pack wie dich.«

»Wie kannst du dir so sicher sein, dass die Träume des Schläfers nicht wirklich das Einzige sind, das den M’jellan-Raum zusammenhält? Hast du eine bessere Erklärung für das, was Newaerth passiert ist?«

Gherran entschied, dass er diesen Köder nicht schlucken würde. »Warum ziehst du mit diesen stinkenden Rindern und den übrigen Kaffern herum, Frane?«

Endlich schien Frane seine Fassung zu verlieren. Das befriedigte Gherran ungemein. »Wir Neyel sind hier die Fremden. Und diese ‚Kaffer‘ sind meine Freunde.«

»Dann war deine Wahl sehr schlecht«, sagte Gherran mit einem geduldigen Seufzen. Er war sicherlich nicht stolz auf die Exzesse der frühesten Generationen von Neyel. Ihre Tradition, die einheimischen Spezies rabiat zu behandeln, war eine Angewohnheit, die sich während der Jahre entwickelte, die unmittelbar auf ihre unbeabsichtigte Verbannung von der Alten Aerde folgten, als ihr tägliches Überleben äußerst unsicher gewesen war. Sie hatte sich erst in den Tagen von Botschafterin Burgess, vor über achtzig Oghenzyklen, gemildert.

»Was hast du mit meinen Freunden vor, Vater?«

Gherran schenkte seinem Sohn ein, wie er hoffte, gütiges Lächeln. »Wenn unsere Patrouille beendet ist, werden sie den zivilen Autoritäten auf Oghen übergeben. Das Raumschiff, in dem wir euch aufgegriffen haben, wurde als gestohlen gemeldet. Wenn deine Freunde mit dem Diebstahl zu tun haben, werden sie dementsprechend bestraft.«

Jetzt sah Frane wirklich verzweifelt aus; Piraterie wurde schließlich auf die strengstmögliche Art bestraft. »Lass sie gehen. Ich trage die Schuld. Ich habe das Schiff gestohlen.«

»Das werden wir zu gegebener Zeit noch sehen, mein Sohn«, sagte Gherran. Wieder verirrte sich sein Blick auf das Armband an seinem linken Handgelenk. Das Armband befand sich seit acht Generation in der Familie; Gro Vil’ja hatte es von Föderationsbotschafterin Burgess selbst überreicht bekommen. Jedes der kleinen Steinchen, Muscheln, Knochen, Perlen und Stoffe, die in den metallenen Rahmen des Armbands gearbeitet waren, repräsentierte eine Geschichte, die von jeder nachfolgenden Generationen hinzugefügt worden war. Das Armband selbst war eine lückenlose Darstellung ihrer Familie, die bis zu dem weit entfernten Großen Windrad der Milchstraße reichte, und der unerreichbaren Alten Aerde selbst.

Gherran bemerkte, dass auch sein Sohn das Armband betrachtete. »Ich muss eine große Enttäuschung für dich sein, Vater«, sagte Frane leise. »Wem wirst du das Geschichtenband anvertrauen, um es in künftige Generationen zu tragen?«

Gherran spürte, wie in ihm rechtschaffener Zorn aufstieg. »Ich dachte, dass dein bizarrer Todeskult nicht an künftige Generationen glaubt.«

Frane zuckte mit den Schultern. »Sieh über die Hülle dieses Schiffes hinaus! Ob es eine Zukunft geben wird oder nicht, scheint im Moment nicht in unserer Macht zu liegen.« Er sah bedeutsam auf das Armband. »Vielleicht solltest du unser Familienerbstück irgendwo hinschicken, wo es sicherer ist als hier.«

Gherran erhob sein Handgelenk und schwang das Armband, als ob es eine Waffe wäre. »Mach dich nicht über unsere Traditionen lustig, Frane. Jemand aus unserer Linie muss das Armband irgendwann zurück zur Alten Aerde bringen, so wie Gro Vil’ja und Burgess selbst es beabsichtigt hatten. Du weißt das genauso gut wie du über die albernen Gebote deines schlafenden Kaffer-Gottes Bescheid weißt.«

»Vermutlich haben wir beide immer an die Mythen unserer eigenen Wahl geglaubt, Vater«, sagte Frane lächelnd. »Mutter hat immer gesagt, dass wir uns in dieser Hinsicht sehr ähnlich sind.«

Gherran biss die Zähne aufeinander. Er wusste, dass der Tod von Franes Mutter Lijean sie beide gleichermaßen getroffen hatte. Obwohl seit ihrem Selbstmord mehr als fünf Jahre vergangen waren, blieb Lijeans Abwesenheit für beide eine offene Wunde und ein Grund für gegenseitige Schuldzuweisungen. Selbst jetzt blieb ihr Tod eine Waffe, die beide immer noch von Zeit zu Zeit gegeneinander einsetzten.

»Wie kannst du es wagen … «

Das Schiff ruckte heftig; die plötzliche Bewegung wurde unterstrichen von dem schrillen Ruf einer Alarmsirene. Harns durchdringende, aber dennoch beherrschte Stimme schallte über die schiffsinterne Verbindung. »Taktischer Alarm. Drech’tor Gherran in den Kontrollraum!«

Nie zuvor hatte Frane seinen Vater sich so schnell bewegen sehen. Gherran benutzte seinen Schwanz und alle vier seiner Hände, um über seinen Schreibtisch zu springen und durch die Luke zurück in den Kontrollraum zu stürmen. Frane, der nicht so kräftig wie sein Vater war – ihm fehlte Gherrans umfassendes militärisches Training –, folgte ihm langsamer, obwohl er sich so schnell bewegte, wie er konnte.

Frane konnte sehen, dass ihn sein Vater scheinbar vollkommen vergessen hatte, als er die Mitglieder seiner Besatzung befragte, von denen jeder konzentriert an einer Konsole arbeitete. Kein Wunder, dass er mich ignoriert, dachte Frane. Die Pflicht kam immer vor der Familie, selbst wenn es sich nicht um Notfälle handelte. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob sich Mutter aus schierer Vernachlässigung und Einsamkeit das Leben genommen hatte.

Unter Franes nackten Füßen schwankte das große, zylinderförmige Schiff erneut und zwang ihn in Richtung des breiten Sichtschirms, der den vorderen Teil des Kontrollraums dominierte.

Die Energieblüte … veränderte sich.

»Bericht!«, rief Gherran seiner Mannschaft zu, während der Raum erneut erzitterte.

»Wir sind starken gravimetrischen Wellen ausgesetzt, Drech’tor«, sagte der junge männliche Offizier, der vor einer ihm nahe liegenden Konsole saß. Die Spitze seines Schwanzes unterstützte seine Hände, während er hastig Befehle eingab. »Sie kommen tief aus dem Inneren der Erscheinung.«

»Status des Schiffs?«, wollte Gherran wissen.

»Unsere Schutzschirme sind beeinträchtigt und lassen nach, Drech’tor.«

Die Ranken aus verschiedenfarbiger Energie, die auf dem Schirm zu sehen waren, wurden lebhafter und verdrehten sich miteinander. Nun ähnelten sie den knorrigen einheimischen Büschen auf der Kernwelt von Oghen.

Frane gestattete sich ein fatalistisches Lächeln. Vielleicht erwacht der Schläfer nun endlich.

Er wusste, wenn das der Fall wäre, würden sich seine eigenen belanglosen Familienstreitereien sowie das Leiden jeder einzelnen Spezies, die die Neyel in den vergangenen Jahrhunderten unterworfen hatten, schon bald als nichtig erweisen.

Ist heute der Tag, an dem endlich alles vorbei ist, wie es die Propheten der antiken M’jellan-Völker vorhergesagt haben?

»Rufen Sie die Flotte, Subaltern!«, sagte Gherran. »Wir ziehen uns in sicherere Distanz zurück. Ich will eine weitere Millionen Klomter zwischen uns und die Erscheinung gebracht haben.«

Aber bevor der Subalternoffizier diesen Befehl ausführen konnte, bemerkte Frane etwas anderes auf dem Schirm. Mehrere dunkle Gebilde schossen auf sie zu.

Allerdings schienen sie, anders als die Flotte seines Vaters, aus dem Inneren der aufgewühlten Energieblüte zu kommen,

»Drech’tor!«, rief ein anderer Junior-Offizier, eine junge Frau. »Eine Reihe von Schiffen nähert sich unserer Position – und ihr Ausgangspunkt ist das Energiephänomen selbst.«

Sie schüttelte ungläubig den Kopf.

Gherran stand vor dem Schirm. Obwohl sein Gesicht eine düstere, graue Maske war, konnte er die Überraschung nicht aus seiner Stimme heraushalten. »Das ist nicht möglich!«

Frane war gleichermaßen überrascht. Er beobachtete die herannahenden Schiffe und nahm an, dass sich sein Vater gerade an alte Geschichten von den Tholianischen Teufeln erinnerte, die vor Jahrzehnten Jagd auf Neyel-Schiffe gemacht hatten. Das war, bevor Botschafterin Burgess ein Friedensabkommen zwischen ihnen aushandeln konnte und beide Seiten zugestimmt hatten, die Raumspalten, die ihre beiden entfernten Reiche verbunden hatten, nicht mehr zu nutzen.

»Wie viele Schiffe nähern sich uns?«, wollte der Drech’tor wissen.

»Mehrere Dutzend, Drech’tor«, antwortete der Subalternoffizier. »Und ich habe Hinweise auf ausgerichtete Energiewaffen gefunden.«

Ein raubvogelhaftes Lächeln durchbrach Gherrans militärische Unnahbarkeit. Er warf Frane einen kurzen Blick zu. »Also keine schlafenden Götter, was? Wir haben es hier mit einer neuen Welle von Eindringlingen zu tun, den Teufeln von einst.« Zu seinem Subaltern bellte er: »Stufe eins, Taktischer Alarm. Kontaktiert sie, während wir uns zurückziehen. Und ladet alle Waffenbatterien auf. Bereitschaft, auf mein Kommando zu feuern.«

»Keine Antwort, Drech’tor«, sagte wenige Augenblicke später ein anderer Junior-Offizier. Ihr Tonfall war streng und geschäftsmäßig.

Als die fremdartigen Schiffe auf dem Schirm rasch wuchsen, wurde Franes erster Eindruck noch verstärkt. Mit ihren glatten, geflügelten Konturen und den schillernden grau-grünen Hüllen ähnelten sie wirklich nichts so sehr wie einem Schwarm von Raubvögeln auf der Jagd. Und sie stürzten sich auf Gherrans Schiffe, flogen in einer keilförmigen Formation, die einen gnadenlosen Sinn für Zielstrebigkeit verriet. Frane konnte nicht anders als ihre Anmut und Koordination zu bewundern, während sie sich wie ein einziges Schiff bewegten, als ob sie von einem fest entschlossenen Verstand geführt würden.

»Sie ähneln keinem der Teufel, die ich je gesehen habe«, sagte Frane zu niemand bestimmtem und bekam auch keine Antwort. Weder er noch sein Vater waren während der Teufelskriege, die Burgess beendete, schon geboren, aber sie hatten beide Bilder aus dieser Zeit gesehen.

Jede der vorderen Waffenöffnungen der fremden Schiffe strahlte nun ein bedrohliches grünes Leuchten aus. Als die Eindringlinge näher kamen, konnte Frane mehrere kleine, aber flinke Neyel-Zerstörer sehen, die sich ihnen auf einem elegant gekrümmten Abfangkurs näherten. Auf Gherrans Befehl hin gaben die vorderen Waffenrohre der Neyel-Schiffe eine tödliche Salve aus hellroten Partikelstrahlen und gepanzerten Geschossen ab.

Dieser erste Angriff der Neyel schien auf seine Ziele wenig Wirkung zu zeigen, deren eigene glühende Waffenrohre antworteten mit unglaublich starken Strahlen gebündelter Energie. Die Bewaffnung der fremden Schiffe funkelte so hell wie das Herz eines Sterns und zwang Frane trotz des Lichtfilterungssystems des Schirms wegzusehen.

Ein kurzer Blick auf den Schirm bestätigte das Schlimmste: Die Angreifer rissen Gherrans Schiffe in Stücke, als ob sie schutzlos wären. Nur Momente später flammten drei der Zerstörer in nahezu runden, glutroten Explosionen auf; Schiff und Besatzung wurden in einer sofortigen Vermischung von molekularem Feuer und hartem Vakuum verdampft.

Während Gherran der Mannschaft seines Kontrollraums seine knappen, zielgerichteten Befehle zurief, machte das vorderste Schiff der Fremden seine Waffen für eine zweite Salve bereit. Es zog an ihrer Formation vorbei, ohne auch nur einen Moment innezuhalten, als ob ihr Widerstand es nicht wert war, die wertvolle Zeit des Angreifers zu verschwenden. Ein lauter Knall erschütterte den Kontrollraum. Es klang, als ob ihr Schiff gerade mit einem Asteroiden zusammengestoßen wäre. Das Deck schlingerte um etwa fünfundvierzig Grad, bevor die Trägheitskompensatoren es mehr oder weniger wieder ausgleichen konnten. Frane hielt sich instinktiv an einer nahe stehenden Reling fest, die in dem plötzlich verfinsterten Raum schimmerte. Sein Schwanz wickelte sich als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme fest um einen der Relingspfosten.

Das Schiff schwankte noch einmal und als in der Nähe eine Konsole explodierte, klang es wie eine große Duraniumglocke. Die Explosion versengte Franes Haare und instinktiv schlossen sich seine Augenklappen. Die beißende Hitze brannte, selbst durch seine gehärtete Neyel-Haut.

Als er seine Augen wieder öffnete, sah er Wolken aus beißendem Kühlmittel, das durch ein Leck in die rauchige Luft zischte. Währenddessen waren verschiedene Besatzungsmitglieder damit beschäftigt, kleinere Feuer in und um den Kontrollraum zu löschen und gleichzeitig die Defensiv- und Offensivsysteme des Schiffes zu bedienen. Auf dem Schirm erlagen zwei weitere Neyel-Schiffe ihren beträchtlichen Kampfwunden und brachen auseinander.

Hustend und mit brennenden Augen bemerkte Frane zwei Körper neben den Trümmern der explodierten Konsole liegen. Beide waren offensichtlich tot.

Eine der beiden Leichen war sein Vater.

Frane, der nicht wusste, was er sonst tun sollte, kniete sich neben Gherran und befühlte seine Halsschlagader. Sein Vater, der Mann, der ihn gezeugt und ihn dann zusammen mit seiner Mutter für seine endlosen Pflichten gegenüber einer korrupten und aggressiven Hegemonie verstoßen hatte, lag nun leblos auf dem rußgeschwärzten Boden. Er ergriff Gherrans regungslose, graue Hand.

Und bemerkte das Armband.

Ohne zu wissen, was er da tat, nahm Frane das Armband an sich und ließ es in eine Tasche seines Gewandes gleiten. Er war schließlich der Sohn seines Vaters. Und das bedeutete, dass er der nächste Besitzer des Armbands war, ob zukünftige Generationen vom Schicksal geplant waren oder nicht. Wenn der Schläfer erwacht und uns alle auslöscht, wird das hier ohnehin irrelevant sein, dachte er. Er war sich nicht sicher, ob das Ansichnehmen des Armbandes nun Glauben oder dessen Zurückweisung bedeutete. Aber vielleicht spielte das ja auch keine Rolle.

Frane bemerkte erst in diesem Moment, dass der Subalternoffizier seines Vaters – Harn, so hieß er doch? – ihn anschrie, seine Worte kaum hörbar über dem Geheule der Sirenen, dem Schlagen seines eigenen Herzens und einem unwirklichen und verwirrenden Gefühl von Zeitverzerrung.

»… hat gesagt, dass wir alle an Bord zu den Rettungskapseln bringen sollen. Sofort!«, brüllte Harn, der offenbar verärgert darüber war, dass er sich wiederholen musste. »Wir werden gleich unsere Ceeteematerie ausstoßen. Unser Efte’el-Antrieb wird innerhalb von Minnuts hochgehen.«

Eine von Franes Händen war immer noch in der Tasche seines Gewands, wo er mit zittrigen Fingern an den Perlen und Steinchen des Armbands nestelte. Er konnte den Schirm sehen, der die hinteren Sektionen der davonfliegenden Raumschiffe der Eindringlinge zeigte. Sie bewegten sich in den Raum jenseits des Schläfers, offenbar vollkommen desinteressiert an all dem Tod, den sie so beiläufig verursacht hatten. Als die seltsamen Schiffe wie ein Rudel Raubtiere mit gestilltem Appetit in der Entfernung verschwanden, blieb ihre Formation so vollkommen wie in dem Moment, in dem sie das erste Mal aufgetaucht waren. Frane musste dabei an Begegnungen mit tödlichen, unerbittlichen Naturkräften denken sowie den Schläfer selbst – Begegnungen, die man offenbar überleben konnte, wenigstens manchmal.

Aber er wusste, dass er allenfalls einen vorübergehenden Aufschub erhalten hatte.

»Ihr müsst meine Freunde evakuieren!«, rief Frane dem Offizier zu und schob damit seine Vorfreude auf das Ende der Welt für einen Moment beiseite.

KAPITEL 2

U.S.S. TITAN, STERNZEIT 57024,0

»Jeder Irrtum ist ausgeschlossen, Captain«, rief Lieutenant Melora Pazlar mit einem ungläubigen Kopfschütteln. Ihr feines, blassblondes Haar schwebte wie eine Flachwasser-Oskoide von Betazed hin und her, während sie frei inmitten einer holographischen Simulation der Kleinen Magellanschen Wolke schwebte und damit auf die Mikrogravitation aufmerksam machte, die innerhalb des ausgedehnten Labors der Stellarkartographie vorherrschte. Es war eine Umgebung, an die Pazlar – die einzige Elaysianerin der bunt gemischten, 350-Mann starken Besatzung der Titan – hervorragend angepasst war und auf die sie immer dann bestand, wenn sie sich im Labor befand, was den Großteil der Zeit ausmachte.

Sein Kontrollpadd fest an sich gedrückt, schwebte William Riker ebenfalls in Schwerelosigkeit ein paar Meter von den schonenden ein Sechstel G entfernt, die auf der zentralen Aussichtsplattform des Labors herrschten. Er genoss das seltene Gefühl der Freiheit, unbeschränkt inmitten dieser Simulationen der Sterne umherzufliegen, die sich außerhalb von Hülle befanden. Das war ein Gefühl jenseits seiner alltäglichen Erfahrung, und er fand es berauschend. Er bemerkte, dass Pazlar nur eine Standarduniform trug, ohne ihren Anti-grav-Exo-Anzug, der es ihr erlaubte, in der an Bord üblichen Ein-G-Umgebung zu arbeiten. Dann fiel ihm ein, dass sich der Lieutenant, deren Spezies sich komplett an Mikrogravitation angepasst hatte, durch die Schwerelosigkeit befreiter fühlen musste, als er sich jemals vorstellen konnte: »Normale« Ein-G-Umgebung verursachte bei Elaysianern unerträgliche Schmerzen und machte Antigravitationstechnologie unter solchen Bedingungen für sie unentbehrlich.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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