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Es wird düster, furchteinflößend und gruselig in der Galaxis! Das kreative Erfolgsduo, Autor George Mann und der für seinen grandiosüppigen Illustrationsstil bekannten Grant Griffin, erschuf bereits den Bestseller Myths & Fables. Waren dies noch Geschichten, die dem jungen Geschwisterpaar Luke und Leia zum Einschlafen erzählt wurden, sind die Dunklen Legenden nun jene Geschichten, die sie nachts nicht hätten schlafen lassen! Lest diese einzigartige Sammlung aus der Welt der Star Wars-Spuk- und Geistergeschichten … wenn ihr euch traut!
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Seitenzahl: 178
AUSSERDEM VON PANINI ERHÄLTLICH:
Star Wars: The Clone Wars – Geschichten von Licht und Dunkelheit
Verschiedene Autoren – ISBN 978-3-8332-4014-0
Star Wars: Dunkle Legenden
George Mann – ISBN 978-3-8332-4015-7
Solo – A Star Wars Story
Joe Schreiber – ISBN 978-3-8332-3700-3
Rogue One – A Star Wars Story
Matt Forbeck – ISBN 978-3-8332-3449-1
Star Wars: Der Funke des Widerstands
Justina Ireland – ISBN 978-3-8332-3825-3
Star Wars: Die dunkle Bedrohung
Patricia C. Wrede – ISBN 978-3-8332-2450-8
Star Wars: Angriff der Klonkrieger
Patricia C. Wrede – ISBN 978-3-8332-2694-6
Star Wars: Die Rache der Sith
Patricia C. Wrede – ISBN 978-3-8332-2865-0
Star Wars: Eine neue Hoffnung – Drei gegen das Imperium
Alexandra Bracken – ISBN 978-3-8332-3023-3
Star Wars: Das Imperium schlägt zurück – Du willst also ein Jedi werden?
Adam Gidwitz – ISBN 978-3-8332-3024-0
Star Wars: Die Rückkehr der Jedi-Ritter – Hüte dich vor der Dunklen Seite der Macht
Tom Angleberger – ISBN 978-3-8332-3025-7
Star Wars: Vor dem Erwachen
Greg Rucka – ISBN 978-3-8332-3258-9
Star Wars: Das Erwachen der Macht
Michael Kogge – ISBN 978-3-8332-3026-4
Star Wars: Das Erwachen der Macht – Reys und Finns Story
Elizabeth Schaefer, Jessy J. Holland – ISBN 978-3-8332-3522-1
Star Wars: Die letzten Jedi
Michael Kogge – ISBN 978-3-8332-3629-7
Nähere Infos und weitere Bände unter:
www.paninibooks.de
DUNKLE LEGENDEN
Von George Mann
Mit Illustrationen von Grant Griffin
Ins Deutsche übertragen vonAndreas Kasprzak & Tobias Toneguzzo
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Titel der Amerikanischen Originalausgabe: „Star Wars: Dark Legends“ published by Disney, Lucasfilm Press, an imprint of Buena Vista Books, Inc., August 2020.
© & TM 2021 LUCASFILM LTD.
Deutsche Ausgabe 2021 by Panini Verlags GmbH, Schlossstr. 76,
70 176 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.
Geschäftsführer: Hermann Paul
Head of Editorial: Jo Löffler
Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: [email protected])
Presse & PR: Steffen Volkmer
Übersetzung: Andreas Kasprzak
Lektorat: Marc Winter
Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart
Satz: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-7367-9888-5
YDSWSS002E
Gedruckte Ausgabe:
1. Auflage, Mai 2021, ISBN 978-3-8332-4015-7
Findet uns im Netz:
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PaniniComicsDE
Für Stephen Paul Mann. Du bist mein Vater. G. M.
Ich widme dieses Buch meiner Schwester Nicole, meiner Nichte Leah’Claire und meinem Neffen Conway. Die Macht ist stark in ihnen. G. G.
INHALT
Einleitung
Das Waisenhaus
Ein echtes Schnäppchen
Der Vorgänger
Blutmond
Der dunkle Spiegel
Der goldene Käfig
Ein Leben ohne Tod
Der Schlaf der Ewigkeit
Bakurat
Bittere Ernte
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis …
EINLEITUNG
Willkommen, mutiger Leser, zu diesem wahren Schatz an Geschichten rund um alles, was düster und grausam ist! Durch diese magst du großes Wissen erlangen. Doch bevor du umblätterst, nimm dir die Zeit, um kurz innezuhalten und deine Entscheidung noch einmal zu überdenken – denn gerade hältst du das gefährlichste Buch in Händen, das die Galaxis je gesehen hat!
In diesem Werk sind Geschichten versammelt, die dich bis ins Mark erschüttern werden – Furcht einflößende Erzählungen von Gefahr und Täuschung, von finsteren Lords und bösen Geistern, von Verrat und Verderbnis. Einmal gelesen, werden sie von diesen Seiten in den Äther entfliehen, um sich niemals wieder bändigen zu lassen – denn die Worte, aus denen sie sich zusammenfügen, sind wie die Kräfte der Sith: aberwitzige Visionen, die sich in den Furchen und Nischen deines Verstandes festsetzen, um dir auf ewig im Gedächtnis zu bleiben. Tatsächlich ist dieses Buch randvoll mit Geheimnissen, die besser niemals gelüftet werden sollten.
Und noch eines ist auf schreckliche Weise gewiss: Die Galaxis ist voll von Schrecken und Entsetzen. Das Grauen dräut in den Schatten, lauert auf der Schwelle, späht durch den Spalt jeder nicht gänzlich verschlossenen Tür. Die dunkle Seite ist allgegenwärtig und wartet nur darauf, die Arglosen in Versuchung zu führen, die Gutherzigen in Monster zu verwandeln und den strahlenden Funken der Fantasie zu etwas wahrhaft Furchterregendem zu deformieren.
Ja, die Wege der dunklen Seite sind fürwahr trügerisch. Doch unbekannt sind sie nicht – jedenfalls nicht, wenn man weiß, wo man danach suchen muss. Oder sollte es besser heißen: wenn man weiß, wo man lieber nicht danach suchen sollte?
Aber wenn es schon sein muss, atme tief durch, zwing deine zittrige Hand zur Ruhe und wappne dich für das, was dich erwartet. Und wage es ja nicht, hinterher zu behaupten, man hätte dich nicht gewarnt!
Also, ein letztes Mal: Bist du wirklich sicher, dass du weiterlesen willst?
DAS WAISENHAUS
Auf dem Planeten Gaaten, gebettet inmitten der dämmrigen Türme einer einstmals prächtigen Stadt, finden sich die Ruinen eines Waisenhauses, in das man vor langer, langer Zeit Kinder schickte, die in den Nachwehen der Klonkriege ihre Eltern verloren hatten. Dort nahm man sich ihrer an, während sie darauf warteten, in Pflegefamilien anderswo im Sektor ein neues Zuhause zu finden.
Doch in diesem Waisenhaus lag etwas im Argen. Unter den Kindern machten Geschichten über einen finsteren Schrecken die Runde, der des Nachts durch die Flure schlich: ein großer, dürrer Mann mit spitzen Zähnen und glühenden Augen, der dem Waisenhaus bisweilen einen Besuch abstattete, um Kinder zu stehlen, sie aus ihren Betten zu schleifen und aus dem Fenster zu zerren, ihre Schreie unterdrückt und ungehört. Kein Kind, das sich diese grässliche Kreatur holte, ward jemals wieder gesehen.
Die Kinder tauschten diese Gerüchte im Flüsterton, furchtsam geraunt unter Bettdecken oder hinter vorgehaltener Hand, wenn die Lichter längst aus waren. Natürlich taten die Bediensteten des Waisenhauses diese Geschichten als bloßes Geschwätz ab. Denn obgleich es stimmte, dass im Laufe der Jahre tatsächlich einige Kinder aus dem Heim verschwunden waren – vermutlich allesamt Ausreißer, unzufrieden mit ihrem Schicksal und geplagt vom schmerzlichen Verlust ihrer Eltern –, hielten die Oberen das Ganze für eine Ausgeburt der überbordenden Fantasie ihrer jungen, gepeinigten Schutzbefohlenen, für einen Ausdruck ihrer Furcht und ihrer Seelenpein. Gleichwohl änderte dies nichts daran, dass die Geschichten weiter Gehör fanden, ohne dass die Waisenhausmitarbeiter auch nur das Geringste dagegen tun konnten.
So trug es sich zu, dass alle Kinder, die in das Waisenhaus kamen, von diesem Monstrum erfuhren und fortan in der Angst lebten, selbst sein nächstes bedauernswertes Opfer zu werden. Alle Kinder – bis auf eins.
Elish galt seit jeher als bemerkenswertes Mädchen, schon seit ihrer Schulzeit auf Malloran, wo sie ihre Lehrer mit starkem Selbstvertrauen und einem natürlichen Hang zur Wissenschaft in Erstaunen versetzt hatte. Sie war von sanftem Gemüt, stets darauf bedacht, andere vor sich selbst zu stellen, was ihr bei Gleichaltrigen und Jüngeren gleichermaßen einige Beliebtheit eingebracht hatte. Genau wie ihre Mutter, die als Palastwache auf Malloran gedient hatte, empfand auch Elish eine tiefe Verbundenheit zu dem Universum, das sie umgab, und zu allen lebenden Dingen, die sich darin tummelten. Diese Verbundenheit schenkte ihr ein wundervolles Gefühl inneren Friedens, und obwohl sie – wie die anderen Kinder – in ihrem Leben schreckliche Gräuel gesehen hatte, weigerte sie sich, an dieses finstere Phantom zu glauben, vor dem sich die anderen im Waisenhaus so fürchteten. Soweit es Elish betraf, verkörperten nicht Monster das Böse, sondern allzu reale Personen. Sie wusste, dass all das Grauen, das die Galaxis in jüngster Zeit heimgesucht hatte, auf Geheiß intelligenter, empfindungsfähiger Individuen verübt worden war, nicht von irgendwelchen Kreaturen der Nacht.
So begab es sich, dass Elish, nachdem sie von einem der großen Transportschiffe des Imperiums zum Waisenhaus gebracht worden war, für die anderen Kinder rasch zu etwas wie ihrem Fels in der Brandung wurde. Sie half ihnen, ihre Ängste beiseitezuschieben und in den Schlafsälen und Klassenzimmern des maroden alten Gebäudes ungeachtet all dessen, was sie verloren hatten, Ruhe und Frieden zu suchen.
So ging es viele Monate und zur großen Freude des Waisenhauspersonals begann das Gerede über das Phantom schließlich zu verebben. Ja, die Kinder wirkten insgesamt viel fröhlicher, und als in dieser Saison die Versorgungsschiffe kamen, fanden einige der Waisen ein neues Zuhause bei Adoptiveltern, die es kaum erwarten konnten, sie mit Liebe und Zuneigung zu überhäufen.
Es war nicht ungewöhnlich, dass Elish nachts von Schreien geweckt wurde, denn stets wurden einige Kinder im Schlafsaal von Albträumen aus ihrem Schlummer gerissen, sodass sie sich ruckartig in ihren Betten aufsetzten, die Gesichter glänzend von kaltem Schweiß. Und da sich die Betreuer der Nachtschicht kein einziges Mal blicken ließen, um die armen Kinder zu trösten, schlüpfte Elish aus dem Bett und ergriff ihre Hände. Meist genügten beruhigende Worte und bloße Anteilnahme, um alle nächtlichen Schrecken zu vertreiben und dafür zu sorgen, dass sie sich schließlich wieder ohne Furcht zur Ruhe legten.
Doch eines Nachts, nicht lange nach ihrer Ankunft, gab es großen Tumult, und überall rings um Elish war das reinste Tohuwabohu. Als sie aus dem Bett sprang, herrschte im Schlafsaal großes Durcheinander, und die Kinder raunten einander zu, dass das Monster ihnen in den frühen Morgenstunden einen Besuch abgestattet hatte, um einen kleinen Jungen namens Samil zu verschleppen.
Tatsächlich fand sich nirgends eine Spur von Samil, und so angestrengt sie auch nach ihm suchten, gelang es weder dem Personal noch den Kindern, ihn irgendwo zu entdecken. Auch gab es nicht den leisteten Hinweis darauf, dass sich ein Fremder Zutritt zum Waisenhaus verschafft hatte – keinen, vielleicht mit Ausnahme dieses einen Fensters, das in der Brise gleichmütig gegen den Rahmen schlug, weil der Riegel nicht vorgelegt war.
Nachdem die Betreuer das Fenster geschlossen hatten, begannen sie, die Kinder wieder ins Bett zu bringen. Zumindest in diesem Moment fanden sie mitfühlende Worte für ihre Schützlinge und taten ihr Bestes, um deren bitterliches Weinen zu beenden. Morgen früh werde Samil schon wieder auftauchen, sagten sie – jedenfalls, sofern er nicht beschlossen hatte, mitten in der Nacht fortzulaufen, um sich fortan allein in der Welt zu behaupten.
Elish indes stellte fest, dass Samils wenige Habseligkeiten noch da waren, unter seinem Bett verstreut – und sie wusste genau, dass er seine Spielzeughelden niemals einfach zurückgelassen hätte. Er liebte diese kleinen handgeschnitzten Figuren viel zu sehr, um sich freiwillig von ihnen zu trennen.
Und so lag Elish weiter wach, während die anderen Kinder nach und nach wieder in den Armen des Schlafs versanken, und schickte ihre Sinne auf Wanderschaft, denn Samils Verbindung zum Universum war ihrer eigenen nicht unähnlich. Nicht zuletzt das unterschied die beiden von all den anderen Kindern – von allen, mit Ausnahme eines jungen Kessurianermädchens namens Gee’far, das Elishs ungewöhnliche Sicht der Dinge ebenfalls zu teilen schien.
Doch so oder so, ungeachtet aller Bemühungen konnte Elish weder im Waisenhaus selbst noch auf dem Gelände des Heims die geringste Spur von Samil ausmachen. Voller Unbehagen lag sie den Rest der Nacht über wach, überzeugt davon, dass man den Jungen auch am nächsten Tag nicht finden würde.
Am Morgen brach eine kleine Gruppe von Betreuern auf ins Dorf, in der Hoffnung, Samil in der Siedlung anzutreffen, die sich ganz in der Nähe befand. Noch immer waren sie zuversichtlich, dass sie ihn früher oder später in irgendeiner Scheune finden würden, unterkühlt, verlegen und erpicht darauf, für ein warmes Bad und ein bequemes Bett wieder mit ins Waisenhaus zu kommen.
Aber so, wie Elish es nicht anders erwartet hatte, kehrte die Gruppe einige Stunden später erschöpft und hungrig zurück und verkündete niedergeschlagen, dass es auch im Ort und auf den umliegenden Straßen und Wegen nicht die geringste Spur des Jungen gab. Niemand hatte ihn gesehen. Er war einfach verschwunden und sie konnten nicht das Mindeste daran ändern.
Am nächsten Tag kamen die Gerüchte über den dunklen Schrecken wieder auf. Im Flüsterton tuschelten die Kinder von dem Kratzen, das sie in jener Nacht am Fenster gehört hatten, vom zischenden Atem der Kreatur, als sie zwischen ihren Betten entlanghuschte, und von der Eiseskälte, die jeden Schritt des Monsters begleitete. Obwohl das Personal sein Möglichstes tat, um die Kinder zu beruhigen, raunten sie einander furchtsam neue Gruselgeschichten zu, voller Panik, was geschehen würde, wenn der dunkle Schrecken wiederkäme, um sich die nächsten Waisen zu holen.
In den folgenden paar Wochen freundete Elish sich mit Gee’far an. Die Kessurianerin war zwar fast zwei Jahre jünger als sie, doch genau wie Elish legte sie eine Selbstsicherheit und Zuversicht an den Tag, die ihr Alter Lügen strafte. Sie unternahmen gemeinsam lange Spaziergänge auf dem Gelände, erkundeten die Ruinen ringsum, lasen dieselben Bücher, um sich anschließend darüber auszutauschen, erzählten einander Geschichten aus den Klonkriegen und von all den schrecklichen Dingen, die sie gesehen hatten, und sie lernten zusammen unter der Aufsicht der gestrengen alten Dame, die die Schule des Waisenhauses leitete. Sie tauschten mit anderen ihre Betten, um einander näher zu sein, und jede Nacht, wenn Gee’far einschlief, blieb Elish so lange wach, wie sie konnte, um über ihre Freundin zu wachen und das Fenster des Schlafsaals im Auge zu behalten, für den Fall, dass sich das Monster zeigte. Denn nach Samils überraschendem Verschwinden hatte Elish trotz allem angefangen, sich zu fragen, ob womöglich doch etwas an den schauerlichen Berichten über das Phantom mit den gelben Augen dran war.
Einige Zeit verging und schließlich kehrte im Waisenhaus wieder halbwegs so etwas wie Normalität ein. Nicht mehr lange, und die Transportschiffe würden eintreffen, mit den Vorräten für die nächste Saison und einem Schwung neuer Waisen, während eine Handvoll aus ihrer Mitte fortging, um weit entfernt, auf anderen Welten, ein neues Zuhause zu finden. Alle möglichen Vorbereitungen mussten getroffen werden und im Waisenhaus herrschte rege Geschäftigkeit.
Doch obwohl Elish noch hin und wieder an den bedauernswerten Samil dachte, hatte sie nach all der Zeit erneut begonnen, Zweifel an den Geschichten über das Phantom zu hegen. Vielleicht war Samil ja wirklich weggelaufen – schließlich wusste jeder, dass er im Waisenhaus nicht sonderlich glücklich gewesen war – und hatte sich einfach gut vor den Suchtrupps versteckt. Vielleicht war er ja immer noch irgendwo da draußen. Vielleicht hatte er sich in den Ruinen der alten Stadt verkrochen, um dort sein Leben zu leben, wie es ihm gefiel. Das änderte allerdings nichts an dem Zweifel, der nach wie vor an Elish nagte. Denn wenn er wirklich da draußen war, hätte sie dann nicht seine Präsenz gespürt, so wie bei Gee’far, wenn sie tagsüber nicht zusammen waren?
Viele Wochen über hatte sie bei dem jüngeren Mädchen Nachtwache gehalten. Doch nach einer gewissen Zeit forderte das ständige Wachsein ganz zwangsläufig seinen Tribut. Mittlerweile war Elish zermürbt und müde. So kam es, dass sie fühlte, wie ihr die Augen zufielen, nachdem Gee’far sich an diesem Tag schlafen gelegt hatte. Sie konnte einfach nicht mehr länger wach bleiben, um auf ihre Freundin aufzupassen …
Gleichwohl dauerte es nicht lange, bis Elish plötzlich aus ihrem unfreiwilligen Schlummer aufschreckte. Im Saal war alles still, abgesehen vom leisen Gemurmel und Geschnarche der schlafenden Kinder um sie herum. Ein fast unmerklicher Windhauch streifte ihre Wange, und sie streckte sich und rollte sich auf die Seite, um zum Fenster hinüberzuschauen. Der Vorhang bauschte sich sanft in der Brise, schimmernd im Mondlicht. Sie erstarrte. Das Fenster stand offen!
Elish setzte sich auf und atmete tief ein. Sie drehte sich zu Gee’far um – und musste zu ihrem Entsetzen erkennen, dass es schon zu spät war.
Die vornübergebeugte Gestalt des Phantoms ragte über ihrer schlafenden Freundin auf. Der Kerl war ganz in Schwarz gekleidet und auf einer Platte auf seinem Rücken war eine merkwürdige Metallscheibe befestigt. Seine Augen glommen hellgelb, und es schien, als würden blutige Tränen seine hageren, blassen Wangen hinablaufen. Sein Kopf war kahl und grau, mit sonderbaren roten Malen, die auf seinem Schädel Muster bildeten. Sein Leib war groß und dürr. Seine knorrigen Arme endeten in langen, schmalen Fingern. Und als er sich tiefer hinabbeugte, um Gee’far zu packen und in die Höhe zu heben, während er ihre Gegenwehr erstickte, indem er ihr die Hand fest auf den Mund presste, sah er Elish geradewegs an und grinste böse, um seine tödlichen spitzen Zähne aufblitzen zu lassen.
Und dann war er fort, mit so flinken Bewegungen, dass Elish kaum ihren Augen traute. Es war, als würde er mit den Schatten verschmelzen, um mit mühelosen Sätzen über die Betten der Kinder hinwegzuspringen, bis er unmittelbar vor dem offenen Fenster stand, mit einem Fuß auf dem Sims. Elish – die wie angewurzelt dahockte, außerstande, sich zu rühren oder auch nur den leisesten Laut von sich zu geben – kämpfte verzweifelt gegen die seltsamen Kräfte an, die sie fesselten, stemmte sich mit ihrem Verstand dagegen, mit ihren Gefühlen. Einen flüchtigen Moment lang schien es, als würden ihre unsichtbaren Fesseln nachgeben, als könne sie sich befreien und irgendetwas unternehmen, um ihrer Freundin zu helfen …
In diesem Moment verharrte der dunkle Schrecken im geöffneten Fenster und schaute, grässlich erhellt vom Mondschein, zu ihr zurück, um für eine Sekunde anerkennend den Kopf zur Seite zu neigen, bevor er mit seiner Beute in die eiskalte Nacht hinaussprang.
Schlagartig spürte Elish, wie sie die Kontrolle über ihre Sinne zurückerlangte, und schrie. Die Lichter flammten auf und das Personal kam angelaufen, aber natürlich gab es nichts, was sie hätten tun können. Beim Fenster oder in den Ruinen darunter fand sich keine Spur des Phantoms, und alles, was Elish blieb, war, auf Gee’fars leeres Bett zu starren und zu weinen.
Die Betreuer des Waisenhauses wussten, was für ein mitfühlendes, vernünftiges Kind Elish war, und so taten sie ihre Worte über den Mann mit den gelben Augen und dem bösen Grinsen nicht einfach als Unfug ab. Stattdessen verstärkten sie ihre nächtlichen Rundgänge durch den Schlafsaal und versahen das Fenster mit einem neuen Schloss. Doch das alles änderte nichts an der Tatsache, dass sie furchtbar wenig machen konnten. Alle Suchaktionen verliefen ergebnislos, genau wie bei Samils Verschwinden. Gee’far war fort, und Elish konnte ihre Präsenz nicht mehr länger auf Gaaten wahrnehmen.
Trotzdem ging das Leben im Waisenhaus weiter, auch wenn sich die Kinder meist in mürrisches Schweigen hüllten, und ohne Elishs tröstliche Worte und Gesten griff einmal mehr die Furcht um sich, dass das böse Phantom zurückkommen würde.
Elish indes wusste, dass ohne jeden Zweifel sie sein nächstes Opfer war, wenn er wirklich wiederkam, denn der dunkle Schrecken hatte die sonderbare Verbindung gespürt, die sie zur Galaxis hegte, hatte gespürt, wie sie sich gegen seine grässliche, erstickende Kontrolle zur Wehr setzte, und sie war überzeugt davon, dass es das war, wonach es ihn gelüstete. Schließlich hatten Samil und Gee’far ihr tiefes Verständnis für alles, was um sie herum geschah, mit Elish geteilt. Wenn nicht das der Grund dafür war, dass das Phantom sie geholt hatte, welcher dann?
Ihr war klar, dass sie irgendetwas unternehmen musste. Von diesem Tage an schlich sie sich jeden Morgen, bevor die anderen Kinder aufstanden, aus dem Schlafsaal, durch die leeren Flure des Waisenhauses, in denen ihre Schritte von den Wänden widerhallten, und hinaus in die Ruinen eines Tempels, ganz in der Nähe der Stelle, wo sie und Gee’far früher gespielt hatten. Dort erklomm sie dann die schartigen Überbleibsel des Tempelturms und suchte sich einen Platz nahe der Spitze. Sie streckte ihre Sinne in das weite Netz der Energie aus, das überall um sie herum vibrierte, und bat um Hilfe von jedem, der ihr Flehen vielleicht hörte.
So ging es viele Tage lang, und im selben Maße, wie Elish immer verzweifelter und niedergeschlagener wurde, wuchs auch ihre Angst vor der Rückkehr des gelbäugigen Phantoms. Doch schließlich wurde ihr Hilferuf erhört!
An jenem Tag kam jemand von den Sternen herab und landete in einem farbenfrohen Schiff in den Ruinen – eine dunkelhäutige Frau mit Namen Kira Vantala, die den Griff einer fremdartigen Waffe am Gürtel trug und mit einer natürlichen Autorität sprach, die sogar dem Waisenhauspersonal Respekt einflößte. Ohne etwas auf die Bedenken der Betreuer zu geben, suchte sie Elish inmitten der anderen Kinder auf und bat sie, ihr zu berichten, was in der Nacht geschehen war, in der Gee’far verschleppt wurde.
Elish erzählte ihr alles, was sie wusste, sorgsam darauf bedacht, nicht das kleinste Detail zu vergessen, und als die Frau ihren Worten lauschte, legte sie vor Sorge die Stirn in Falten, denn wie sie sagte, wusste sie genau, worauf die böse Kreatur es abgesehen hatte und woher sie kam. Und sie war entschlossen, dem Treiben des Phantoms unverzüglich ein Ende zu bereiten.
Als Elish der Frau von ihren eigenen Ängsten berichtete, selbst geholt zu werden – da sie instinktiv spürte, dass sie Kira Vantala vertrauen konnte –, entgegnete die Frau, dass sie selbst eine Überlebende war, genau wie Elish, und dass zwar allgemein die Ansicht herrschte, der Krieg sei vorüber, es jedoch wichtiger denn je wäre, für das zu kämpfen, woran sie glaubten, und die Unschuldigen vor allem Schaden zu bewahren, ganz gleich, wie beängstigend das auch sein mochte.
So kam es, dass Kira Vantala die nächste Woche über auf der Lauer lag und die Kinder ruhiger schliefen als je zuvor, sicher in der Obhut ihrer neuen Beschützerin. Das heißt, alle, abgesehen von Elish, die genau wusste, dass sie das nächste Opfer des dunklen Schreckens sein würde und in sich die Kraft finden musste, tapfer zu sein und Kira dabei zu helfen, diesen grässlichen Feind zu bezwingen. Denn alles, woran sie denken konnte, war, das Phantom daran zu hindern, noch mehr Kinder zu verschleppen und so in gewisser Weise für das Wiedergutmachung zu leisten, was in jener Nacht passiert war, in der Gee’far verschwand und es ihr unmöglich gewesen war, der einzigen echten Freundin zu helfen, die sie je hatte.