Star Wars™ Die Hohe Republik - Das Auge der Finsternis - George Mann - E-Book

Star Wars™ Die Hohe Republik - Das Auge der Finsternis E-Book

George Mann

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Beschreibung

Eine geteilte Galaxis, eine Jedi-Meisterin gefangen im Feindesland – und ein verzweifelter Rettungsplan … Der Beginn der dritten Phase der Hohen Republik.

Die Galaxis ist geteilt. Die schrecklichen Nihil haben eine undurchdringliche Barriere errichtet, hinter der sie rauben, plündern und verwüsten. Nicht einmal gemeinsam vermögen es die Jedi und die Streitkräfte der Republik, die Grenze zu durchbrechen. Gleichzeitig ist Jedi-Meisterin Avar Kriss im Gebiet der Nihil gefangen und gibt ihr Bestes, um die Opfer der Nihil zu schützen. Doch auf beiden Seiten der Grenze breitet sich die Verzweiflung aus, und wenn die Hoffnung stirbt, vergeht auch die letzte Möglichkeit, die Galaxis wieder zu vereinen.


»Das Auge der Finsternis« ist der Beginn der dritten Phase der Hohen Republik und schließt inhaltlich an die erste Phase an.

Die erste Phase der Hohen Republik:
1. Das Licht der Jedi
2. Im Zeichen des Sturms
3. Der gefallene Stern
4. Orkanläuferin

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Buch

Die Galaxis ist geteilt. Die schrecklichen Nihil haben eine undurchdringliche Barriere errichtet, hinter der sie rauben, plündern und verwüsten. Nicht einmal gemeinsam vermögen es die Jedi und die Streitkräfte der Republik, die Grenze zu durchbrechen. Gleichzeitig ist Jedi-Meisterin Avar Kriss im Gebiet der Nihil gefangen und gibt ihr Bestes, um die Opfer der Nihil zu schützen. Doch auf beiden Seiten der Grenze breitet sich die Verzweiflung aus, und wenn die Hoffnung stirbt, vergeht auch die letzte Möglichkeit, die Galaxis wieder zu vereinen.

»Das Auge der Finsternis« ist der Beginn der dritten Phase der Hohen Republik und schließt inhaltlich direkt an die erste Phase an.

Die erste Phase der Hohen Republik:

1. Das Licht der Jedi

2. Im Zeichen des Sturms

3. Der gefallene Stern

4. Orkanläuferin

George Mann

Die Hohe Republik

Das Auge der Finsternis

Deutsch von Andreas Kasprzak

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »The Eye of Darkness (The High Republic 8)« bei Random House Worlds, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2023 by Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated.

All rights reserved.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Alexander Groß

Covergestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft nach einer Originalvorlage © & TM 2023 LUCASFILMLTD

Covermotiv: Grant Griffin

HK · Herstellung: fe

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-31490-3V001

www.blanvalet.de

Für Mike und die Architekten

(ihr hättet wirklich eine Band mit dem Namen gründen sollen)

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis …

Es ist eine Zeit des Aufruhrs. Ein Jahr ist vergangen, seit der gewissenlose Marchion Ro und seine Nihil-Plünderer die STARLIGHT-STATION zerstörten.

Die Nihil haben am Äußeren Rand ein Sperrgebiet errichtet, die sogenannte OKKLUSIONSZONE. Hunderte Welten sind hinter ihrem Sturmwall isoliert. Jegliche Kommunikation wird blockiert, und Schiffe, die in die Zone eindringen, fallen den Nihil oder der Leere zum Opfer.

Die Republik ist machtlos gegen diese finstere Bedrohung, und unter den tapferen und weisen JEDI-RITTERN geht die Furcht vor Ros sagenumwobenen NAMENLOSEN Kreaturen um, die sich als überaus real und ungemein tödlich erwiesen haben …

Prolog

Hetzal, innerhalb der Okklusionszone

Wie alle lebenden Wesen hatte sich auch Jedi-Großmeister Pra-Tre Veter schon gefürchtet.

Es war schließlich ein natürlicher, biologischer Impuls – eine Reaktion auf äußere Eindrücke, die das Verhalten von Wesen und Tieren überall in der Galaxis beeinflussten. Furcht war ein Schutzmechanismus, ein Alarmsystem, das einen warnte, wenn man in Gefahr schwebte, ein Impuls, der einen drängte: Flieh! Bring dich in Sicherheit vor den Raubtieren, die dir schaden wollen!

Aber Furcht war auch ein Werkzeug. Eine Waffe, die von den Fehlgeleiteten eingesetzt wurde, um Kontrolle auszuüben, mal subtil und präzise, mal mit der brutalen Wucht eines Hammerschlags. Furcht konnte selbst die stärkste Person überwältigen, ganze Kulturen in eine Zukunft aus Leid und Unterwürfigkeit führen.

Furcht konnte Sterne in die Knie zwingen.

Doch es war die Waffe der Feigen. Man konnte sie überwinden. Man konnte sie besiegen. Man konnte die Furcht in Stärke verwandeln.

Als Padawan und als Jedi-Ritter hatte Veter gelernt, seine Emotionen zu kontrollieren, sie zurückzuhalten, sie zu analysieren und zu nutzen. Es war nicht so, als würde er Furcht nicht länger empfinden oder begreifen, aber er erkannte in ihr nun das, was sie wirklich war, und er wusste, wie man ihr trotzte. Für ihn, ebenso wie für die meisten Jedi, war Furcht einfach nur Information – das Aufleuchten einer Warnlampe –, die es ihm erlaubte, eine Gefahr zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Als Großmeister des Jedi-Rates ließ er nicht länger zu, dass Furcht seine Gedanken trübte. Jede Entscheidung, die er traf, war rational und wohlüberlegt.

Auf diese Weise hatte Veter – wie so viele Jedi vor ihm – gelernt, der Gefahr direkt zu begegnen; mehr noch, sich ihr in den Weg zu stellen, um andere zu schützen. Ruhig, logisch und voller Gewissheit.

Das machte seine aktuelle Lage nur umso alarmierender.

Es war nicht die undurchdringliche, pechschwarze Dunkelheit, die ihm Angst machte. Ebenso wenig waren es die Wände und die kalten Gitterstangen seiner Zelle. Und er hatte auch keine Angst vor den Nihil, vor Marchion Ro und seinen Lakaien oder davor, zu sterben und eins mit der Macht zu werden.

Doch dieses Ding, diese Kreatur, die dort draußen lauerte, irgendwo in der Düsternis jenseits seiner Zelle … das war eine andere Sache. Dieses Wesen schien allein erschaffen, um zu zerstören, was Veter war, um ihn auszuhöhlen. Um Furcht zu verbreiten – eine Furcht, die man nicht abschütteln konnte, die einem die Eingeweide zu einem kalten Knoten zusammenzog. Eigentlich sollten die Namenlosen Sagengestalten sein, Schreckgespenster aus Gruselgeschichten für Jünglinge. Doch Veter hatte – wie schon zahlreiche unglückselige Jedi – auf schmerzhafte Weise lernen müssen, dass diese Monster sehr, sehr real waren.

Wenn er die Ohren anstrengte, konnte er das Ding hören, wie es irgendwo in der Finsternis auf und ab ging; ein angekettetes Raubtier, das nur auf den Moment wartete, an dem es wieder frei wäre und von Neuem zuschlagen könnte. Eine ausgehungerte Bestie, die spüren konnte, dass ihre Beute ganz nahe war.

Veter öffnete die Augen – nicht, dass es etwas zu sehen gab. Die Dunkelheit war undurchdringlich, nirgends war auch nur ein Schimmer Helligkeit. Allein seine Erinnerungen spendeten ihm Trost. Er wusste nicht, wie lange er schon hier eingesperrt war, so dicht neben diesem namenlosen Ding. Tage, Wochen, Monate? Jegliches Zeitgefühl war ihm verloren gegangen. Doch er war noch immer ein Jedi, und daran klammerte er sich fest. Der Gedanke an seine Ordensbrüder und -schwestern stärkte seinen Geist, und er zehrte von der Hoffnung, die die Jedi symbolisiert hatten, nicht nur für ihn, sondern in der gesamten Galaxis. Eine Hoffnung, die wieder erstrahlen würde, da war er ganz sicher.

Er hatte Angst. Aber dies war nicht das erste Mal. Er würde einen Weg finden, um sie zu überwinden, so wie er es immer tat.

Veter hob die Hand, um seinen Nasenrücken zu massieren, dann fluchte er im Stillen, als Schmerzen durch seinen Unterarm zuckten. Von seiner linken Hand war lediglich ein vertrockneter Stumpf übrig, und Spuren des bizarren Versteinerungsprozesses zogen sich über den Rest seines Arms wie giftverfärbte Adern, die sein braunschwarzes Fleisch verunstalteten. Diese Adern breiteten sich noch immer weiter aus, wenn inzwischen auch langsamer. Dennoch verschlangen sie mit jeder Stunde ein kleines Stück mehr von ihm. Er hatte auch andere Wunden erlitten: Die Nihil hatten sich einen Spaß daraus gemacht, die Hörner abzuschneiden, die seinen Kopf krönten. Sie wollten ihn erniedrigen, ihm seine Würde als Tarnab nehmen. Aber er war in erster Linie ein Jedi und dann erst ein Tarnab. Stolz war ihm fremd. Er konnte mit diesen Narben leben, sie änderten nichts daran, wer er war. Diese seltsame Versteinerung hingegen? Das war etwas anderes – ein langsamer, schleichender Tod, vorangetrieben durch die Nähe der Kreatur.

Es war eines der »Experimente«, die die Nihil in diesem behelfsmäßigen Labor durchführten. Geleitet wurde es von einem verblendeten, hammerköpfigen Ithorianer, der ununterbrochen in seiner Muttersprache vor sich hin murmelte und jedes Detail beschrieb, während er die Kreatur, die auf der anderen Seite des Raumes mit einer Schockkette an die Wand gebunden war, näher und näher an Veter heranließ. Oder zumindest vermutete Veter, dass es so war. Bislang hatte er die Bestie nicht mal gesehen; ihre schiere Gegenwart verzerrte seine Sicht, trieb einen glühenden Keil aus Schmerz in seinen Schädel und flutete seinen Geist mit einem Grauen, das jegliche Vernunft hinfortwischte. Die Kreatur nährte sich von ihm, saugte langsam, Stück für Stück, die lebende Macht aus seinem Körper.

Es hatte einen Punkt gegeben, da hatte Veter die Kontrolle verloren. Einen Punkt, an dem die Furcht ihn überwältigt, sein gesunder Verstand Reißaus genommen hatte. Er konnte sich nicht genau daran erinnern, was danach geschehen war, aber er wusste, dass man ihn fortgeschleift hatte, bevor die Kreatur noch mehr von ihm verschlingen konnte. Er hatte ihr Heulen gehört, als sie sich gegen ihren unter Strom stehenden Kragen stemmte, um an ihn heranzukommen. In ihrem Hunger und ihrer Verzweiflung hatte sie sich beinahe die eigenen Knochen gebrochen. Dann war Veter in seine Zelle zurückgestoßen worden, und er war in tiefer, gequälter Bewusstlosigkeit versunken.

Als er wieder erwachte, hatte er selbst kaum glauben können, dass er noch lebte. Seine Kehle war rau vom Schreien gewesen, und dort, wo sich seine linke Hand befunden hatte, prangte nun ein versteinerter Stumpf.

Veter wusste nicht, wie viel Zeit seit jenem Moment vergangen war. Vielleicht waren es nur Stunden gewesen, vielleicht aber auch Tage. In jedem Fall war er seitdem allein hier, mit nichts weiter als einer Schale abgestandenen Wassers in der Ecke seiner Zelle. Was immer der Ithorianer ihm angetan hatte – Veter hatte zahlreiche Injektionsspuren an seinem anderen Arm entdeckt, was darauf hindeutete, dass während seiner Ohnmacht weitere Experimente an ihm durchgeführt worden waren –, es schien den Versteinerungsprozess verlangsamt zu haben.

Aber nur, um mir einen langsameren, qualvolleren Tod zu bescheren.

Typisch für die Nihil.

Veter spürte eine Bewegung in der Dunkelheit.

Das Klacken eines mechanischen Schlosses, gefolgt von quietschenden Türangeln und einem plötzlichen Aufblitzen von Licht, so grell, dass ihm schwindlig wurde. Es fühlte sich an, als würde die Realität plötzlich auf ihn einstürmen und ein Loch in seinen Geist brennen. Hastig hob er seine verbliebene Hand vor die zusammengekniffenen Augen, um sie vor dem Licht abzuschirmen.

Wie ironisch, dachte er.

Hieß es nicht immer, für das Licht und das Leben?

Schritte näherten sich ihm – das Klacken schwerer Stiefel. Sie verharrten dicht vor den Gitterstäben seiner Zelle, und kurz glaubte Veter, ein verächtliches Schnauben zu hören.

Als er die Lider wieder öffnete, stellte er fest, dass das Licht gar nicht so grell und durchdringend war, wie er zunächst gedacht hatte. Seine Augen waren einfach so sehr an die Dunkelheit gewöhnt, dass selbst das kleinste Schimmern blendend und schmerzhaft wirkte.

Was er vor sich sah, war das gelbe Leuchten eines gestohlenen Lichtschwerts, umschlungen von der Faust eines Diebes. Verärgerung ballte sich in ihm zusammen – ein kurzes Aufflackern seiner alten Energie.

Wie kann er es wagen? Wie kann er es wagen, unsere eigenen Waffen, unsere eigenen Symbole gegen uns einzusetzen?

Wie konnten wir nur so tief fallen?

So, wie die Starlight-Station auf Eiram hinabstürzte, so stürzte auch der Orden. Doch er würde sich wieder erheben. Er würde einmal mehr im Licht wandeln.

»Dein Wille ist wieder stärker geworden.« Die Stimme war kalt, emotionslos. »Ich sehe es in deinen Augen. Das verdient Respekt.« Die Gestalt trat im schimmernden Glühen des Lichtschwerts näher. »Aber die Hoffnung, an die du dich klammerst, der Gedanke, dass die Jedi sich wieder erheben und alles, was ich getan habe, ungeschehen machen … das ist ein Wunschtraum. Und ich werde ihn ebenso zermalmen, wie ich alles zermalmt habe, woran du und deinesgleichen glaubt. Du wirst noch auf den Knien vor mir betteln.« Das Wesen hielt inne, dann senkte es die Stimme und fügte hinzu: »Aber heute muss es noch nicht so weit sein.«

Veter hob den Kopf und fixierte diese Gestalt – dieses Monster – mit trotzigem Blick.

Marchion Ro, das Auge der Nihil. Der Mittelpunkt des Sturms. Der Architekt hinter all dem Leid, all dem Schmerz, all dem Chaos.

Wie prächtig er aussah in seinem blutroten Umhang, dessen pelzbesetzter Kragen seine breiten Schultern betonte. Und auf seinem Kopf der Helm, dessen seltsames, brodelndes, rotes Zyklopenauge auf die Stelle herabstarrte, wo Veter auf dem Boden kauerte wie ein Bittsteller vor seinem Herrn.

Genau so, wie Marchion Ro es wollte.

Doch Veter hatte nicht vor, ihm diese Genugtuung zu gönnen. Also kämpfte er sich auf die Beine hoch und versuchte, sich die Anstrengung und die Schwäche in seinen Knochen nicht anmerken zu lassen. Man hatte ihn hungern lassen, ihn gefoltert und diesem Ding ausgesetzt, aber er war noch immer ein Jedi, noch immer ein Mitglied des Hohen Rates.

Nachdem er sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte, machte er einen mühsamen Schritt auf die Gitterstäbe zu, näher an seinen Geiselnehmer heran. Abgesehen von seinen rasselnden Atemzügen war nur das Summen des Lichtschwerts zu hören. Veter wusste: Nicht mehr lange, und er würde eins mit der Macht sein.

Herausfordernd blickte er in das starre rote Auge in der Mitte von Ros Helm.

Wenn er die Macht einsetzen und sich sein Lichtschwert zurückholen könnte …

Veter versuchte es. Er spürte ein schwaches, farbloses Echo dessen, was die Macht normalerweise war. Die Nähe der Kreatur störte die Verbindung, als würde sie irgendwie die lebendige Energie aus seinem Inneren heraussaugen.

Der Jedi-Meister hatte die Macht stets als etwas Solides wahrgenommen – etwas Handfestes, Nachgiebiges, so wie Lehm. Etwas, das er in seinem Geist formen konnte, um sich dadurch auszudrücken. Doch jetzt war die Macht nur ein schwaches Rinnsal, das zwischen seinen Fingern hindurchsickerte. Der Hunger der Kreatur nagte an ihm, lenkte ihn ab, brachte seine Konzentration ins Wanken. Es war wie eine heiße Nadel, die wieder und immer wieder in seinen Hinterkopf stach und ihm keinerlei inneren Frieden gönnte. Er war einfach nicht in der Lage, seine innere Mitte zu finden. Doch wie hatte Meister Yoda ihn einst gelehrt, als er noch ein Jüngling gewesen war? Entweder man tat etwas, oder man tat es nicht. Es gab kein Versuchen, ganz gleich, in was für einer Situation man sich wiederfand, ganz gleich, welche Schmerzen man litt.

Veter griff nach dem Lichtschwert und zog es zu sich heran. Der Griff bewegte sich unmerklich in Ros Hand, ein leichtes Rucken, wie bei der Nadel eines Kompasses, doch die Anstrengung war zu groß, und der Jedi musste seinen mentalen Griff um die Waffe wieder lösen, während er nach hinten wankte.

Mit einer ruckartigen Bewegung seines Daumens deaktivierte Marchion Ro die Klinge, sodass sie beide wieder in die tiefe Dunkelheit des Raumes gehüllt wurden. Anschließend drehte sich das Auge der Nihil ohne ein weiteres Wort um und marschierte davon.

1. Kapitel

Coruscant

Hoch über den gewaltigen Türmen von Coruscant wanderten die Sterne über das Firmament, wie sie es immer schon getan hatten: Stecknadelköpfe aus Licht, die ferne Sonnen, ferne Welten, ferne Völker repräsentierten und in den schillernden Lichtern der Stadt ein künstliches Spiegelbild fanden.

Es hätte wunderschön sein sollen.

Doch in Elzar Manns Augen sahen die Sterne … falsch aus. Ganz gleich, wie angestrengt oder wie lange er auch von seinem Aussichtspunkt auf dem großen Balkon vor dem Büro des Kanzlers nach oben starrte, der Himmel wirkte verzerrt, aus dem Gleichgewicht. Als würde ein Knick durch die gesamte Galaxis verlaufen. Als wäre alles, was er für unumstößlich gehalten hatte – jeder fixe Punkt in diesem chaotischen Universum –, plötzlich unter ihm weggezogen worden. Und er kämpfte immer noch um sein Gleichgewicht.

Dieses Gefühl begleitete ihn seit dem Fall der Starlight-Station. Seit …

Seit Stellan.

Elzar schloss die Augen und ließ den Wind über sein ungekämmtes Haar streichen. Könnte die kühle Brise ihn doch nur von seinen Erinnerungen befreien, sie zu den geschäftigen Luftstraßen hochtragen und dann zwischen den Wolkenkratzern und Kuppeln hinfortwehen, auf dass sie nie wieder zurückkehrten. Während der vergangenen Monate waren einige graue Strähnen an seinen Schläfen erschienen, und er hatte abgenommen. Er war noch immer sehnig und kräftig – schließlich trainierte er fast jeden Tag bis spätabends mit dem Lichtschwert –, aber er war sichtlich dünner geworden. Anfangs hatte er versucht, sich einzureden, dass es nur ein Resultat der unermüdlichen Arbeit war, denn die Jedi suchten mit Feuereifer nach einer Lösung für das Nihil-Problem. Doch er wusste, dass er die Dinge zu nahe an sich heranließ. Sie nagten an ihm, fraßen ihn auf.

Wäre Stellan noch hier gewesen, hätte sein alter Freund vermutlich gelacht, ihn mit dem Ellbogen angestoßen und gesagt, dass er sich nicht an Dingen festklammern sollte, die er ohnehin nicht mehr ändern konnte. Dass er sich stattdessen auf das Hier und Jetzt konzentrieren und tun sollte, was getan werden musste. Dass die Macht seine Hand lenkte, so wie sie es schon immer getan hatte.

Doch Stellan war nicht mehr hier. Er war eins mit der Macht, seit einem Jahr nun schon, und Elzar wusste, dass er Frieden gefunden hatte. Dennoch hatte er eine klaffende Lücke hinterlassen, nicht nur in den Herzen der Jedi, sondern auch in der Führungsriege des Ordens. Und diese Lücke spürte man besonders deutlich, weil die Nihil gewonnen hatten. Sie hatten die Starlight-Station zerstört, danach Dutzende Welten für sich beansprucht und einen ganzen Sektor des Äußeren Randes vom Rest der Galaxis abgeschnitten. Dieser Bereich, die Nihil-Okklusionszone, war von einer unsichtbaren Barriere umgeben, an der sich die Republik und die Jedi bislang die Zähne ausgebissen hatten – dem Sturmwall.

Dabei handelte es sich um ein weitverzweigtes Netzwerk, das den Hyperraumverkehr störte und jedes Schiff brutal in den Normalraum zurückriss. Die meisten wurden dabei zerstört, der Rest verschwand spurlos in der Weite des Alls. Da der Kommverkehr ebenfalls beeinträchtigt wurde, konnte man nur spekulieren, was wirklich mit diesen Überlebenden geschah, aber viele vermuteten, dass sie auf der anderen Seite des Sturmwalls von Nihil-Patrouillen in sogenannte Todeszonen getrieben und ausgelöscht wurden. In jedem Fall war noch kein einziges Schiff wieder aufgetaucht.

Den Sturmwall mit Sublichtantrieben zu durchqueren, war leider keine Option. Das Geflecht aus Relaisstationen und Bojen – die »Sturmsaat«, die den Sturmwall aufrechterhielt – war nämlich so gewaltig, dass man hundert Jahre unterwegs wäre, ehe man sein Ziel erreichte … sofern man nicht vorher durch Nihil-Patrouillen oder Schwärme von Demontagedroiden vernichtet wurde, welche mit der automatisierten Sturmwall-Technologie verbunden waren. So konnten sie den Sturmwall selbst mühelos durchqueren und zuschlagen, ehe ihr Ziel auch nur begriff, wie ihm geschah.

Auf gewisse Weise war es brillant, und bislang hatten weder die Jedi noch die Republik einen Weg gefunden, in die Okklusionszone einzudringen. Droidengesteuerte Schiffe. Elektromagnetische Impulse. Hackerangriffe. Dauerhafter Beschuss der gut abgeschirmten Sturmsaat. Nichts hatte Wirkung gezeigt. Es war ein absolutes Desaster.

Mithilfe des Sturmwalls hatten die Nihil ihr eigenes Reich erschaffen und es bislang erfolgreich gegen die Republik behauptet. Und dank der Namenlosen – oder »Machtfresser«, wie sie auch genannt wurden – hatten sie eine Waffe entfesselt, der nicht einmal der Orden etwas entgegenzusetzen vermochte. Eine Waffe, die auf die Essenz dessen abzielte, was einen Jedi überhaupt ausmachte. Eine Waffe, die nur zu diesem einen Zweck erschaffen worden war: Jedi zu vernichten.

Elzar atmete tief aus.

Alles wäre so viel einfacher, wenn er zumindest Avar an seiner Seite hätte. Doch sie war irgendwo tief in der Okklusionszone und damit letztlich ebenso unerreichbar wie Stellan.

Auf Eiram hatten sie gemeinsam mit angesehen, wie die letzten Überreste der Starlight in den kalten, schäumenden Wogen versanken und mit ihr all die Hoffnungen und Träume der Republik. Die Raumstation war ein Symbol von Stärke und Einheit gewesen, ein Licht in der Dunkelheit, ein Sinnbild der Hoffnung. Bis die Nihil unter dem Kommando von Marchion Ro daraus ein Symbol des Verlusts und des Versagens gemacht hatten.

Avar hatte in jenem Moment seine Hand genommen, um ihm Kraft zu schenken, und Elzar hatte Trost aus ihrer Berührung gezogen – aus diesem wortlosen Zeichen, dass sie immer noch einander hatten, egal, was auch geschah. Selbst wenn die Galaxis vor ihren Augen im Chaos versank. Doch nun verfluchte er sich, denn er war so mit seinem eigenen Schock und seiner Trauer und der Scham über seine Taten beschäftigt gewesen, dass er gar nicht gefragt hatte, wie Avar sich fühlte. Er hatte ihr keinen Trost gespendet, und seitdem hatte sie ihr Schmerz, ebendieses Gefühl des Verlusts und des Versagens, von ihm weggetrieben.

Oder … vielleicht war er auch selbst der Grund dafür. Diese Möglichkeit quälte ihn, erfüllte ihn mit Verunsicherung und Scham. Er hatte endlich den Mut aufgebracht, um ihr die Wahrheit über die letzten Momente auf der Starlight-Station zu erzählen. Darüber, dass er gehandelt hatte, ohne nachzudenken. Darüber, dass die Nihil Chancey Yarrow unter seiner Klinge gefallen war, obwohl sie versucht hatte, sie alle zu retten. Natürlich hatte Elzar das damals nicht gewusst; er war davon ausgegangen, dass sie nur eine weitere Saboteurin war, die die Bemühungen der Jedi untergraben wollte. Doch das Resultat war dasselbe: Er hatte die letzte Hoffnung für die Starlight zerstört und mit ihr das Leben einer Person, die ihnen helfen wollte.

Somit war alles, was danach geschehen war, ebenfalls seine Schuld, jedenfalls indirekt. Er musste Wiedergutmachung leisten, musste versuchen, zumindest einen Teil des Guten zu verkörpern, das Stellan der Galaxis geschenkt hatte. Die Worte waren nur so aus ihm herausgesprudelt, als er Avar alles erzählt hatte an jenem Tag an der Küste von Eiram.

Natürlich hatte sie all die richtigen Dinge gesagt – all die Plattitüden und Aufmunterungen – und immer wieder die Prinzipien der Macht zitiert, um ihn daran zu erinnern, dass alles aus einem Grund geschah, dass er sich keine Vorwürfe machen sollte. Die Schuld lag einzig und allein bei den Nihil. Ja, sie hatte ihm all das Verständnis und den Trost geschenkt, die er sich hatte erhoffen können.

Und dennoch … Elzar konnte nicht anders, als sich zu fragen, ob sie deswegen gegangen war. Avar war zu einer Mission aufgebrochen, um mehr über die Nihil und ihre Pläne im Anschluss an ihren großen Triumph herauszufinden – Pläne, von denen damals niemand etwas ahnen konnte.

Nun war sie ebenfalls verschollen, gefangen hinter dem Sturmwall, tief im Territorium der Nihil. Er wusste nicht mal, ob sie überhaupt noch am Leben war.

Nein, Elzar. Das hättest du gespürt. Sie ist noch immer da draußen.

Ganz sicher.

Und er würde sie zurückbringen. Avar … und die anderen, die ihr Schicksal teilten. Er würde einen Weg finden. Dann würden sie die Bedrohung durch die Nihil beenden, der Sturmwall würde fallen, und einmal mehr würde Frieden in der Galaxis Einzug halten.

Alles andere war schlichtweg inakzeptabel. Stellan hätte das genauso gesehen. Es machte keinen Unterschied, dass sie bereits alles versucht hatten, was ihnen eingefallen war – oder dass die Nihil ihnen jedes Mal einen Schritt voraus gewesen waren.

Elzar würde einen Weg finden.

Er musste ganz einfach.

Nur so konnte er die Dinge wieder in Ordnung bringen.

Die Balkontüren hinter ihm glitten auf, und ein vertrauter Droide rollte herbei, sein vage humanoider Oberkörper so gedreht, dass sein emotionsloses, kupfernes Gesicht Elzar direkt anstarrte. Die Einheit – JJ-5145 – war ein Geschenk von Stellan gewesen und stellte nunmehr die letzte Verbindung zu seinem alten Freund dar.

»Die Oberste Kanzlerin Soh sollte jeden Moment so weit sein, Meister Elzar«, verkündete der Droide. Seine zwitschernde, elektronische Stimme zerrte nach der friedlichen Stille an Elzars Nerven. Doch so nervenzerrend sie auch sein mochte, er zog sie doch immer noch seinen düsteren Gedanken vor.

»Danke, Vierfünf. Ich komme gleich.«

Der Droide musterte ihn noch einen Moment länger. »Ihr Zögern lässt auf Verunsicherung schließen. Falls Sie Ihre Bedenken mit mir teilen, kann ich Ihnen helfen, Ihre Gedanken zu ordnen und Ihre Aufgaben zu priorisieren.«

»Es geht mir gut, Vierfünf.«

»Hm«, lautete die Antwort die Maschine, dann drehte sie sich um und rollte durch die Schiebetür zurück nach drinnen.

Elzar grinste. JJ-5145 schien ihn besser zu verstehen als er sich selbst – nicht, dass es ihn überraschte. Stellan hatte ihm den Droiden mehr oder weniger als Scherz geschenkt, aber auch, um ihn daran zu erinnern, dass es in Ordnung war, um Hilfe zu bitten – sich auf andere zu stützen, wenn die Last zu schwer wurde. Und nun hatte JJ-5145 ihn noch einmal an diese Lektion erinnert. Eine subtile Aufforderung, im Hier und Jetzt zu leben und sich auf die Aufgaben vor ihm zu konzentrieren.

Elzar strich die Vorderseite seiner Tempelrobe glatt und folgte dann dem eigenwilligen Droiden.

2. Kapitel

Der äussere Rand

Die Tractate glitt durch den Hyperraum wie ein winziges Staubkorn, das vom Rachen der Galaxis selbst verschlungen worden war, unbedeutend und allein.

Niemand konnte den Pacifier-Kreuzer der Republik sehen, niemand wusste, wo er war, und so bahnte er sich langsam einen Weg durch den Äußeren Rand, an der Grenze der sogenannten Okklusionszone entlang, die den Herrschaftsbereich der Nihil markierte. Alle Kommkanäle waren offen, und die Scanner suchten die Planetensysteme nach Anzeichen von Hilferufen ab.

Jedi-Ritter Bell Zettifar stand auf der Brücke am Bug des Schiffes und starrte in den blauen Wirbel des Hyperraums hinaus. Auf vielen der Welten, die an ihnen vorbeirasten, wimmelte es von Leben, eine Kakofonie aus Stimmen, jedes Wesen ein schillernder Lichtpunkt in der lebendigen Macht. Bell konnte sie spüren, ebenso die helle Flamme ihrer Ängste und Hoffnungen.

Für das Licht und das Leben.

Das war stets das Mantra der Jedi gewesen. Und ganz gleich, was auch geschehen war, Bell hielt weiterhin an diesen Worten fest.

Für jedes lebende Wesen.

Für den Frieden.

Darum war er hier. Um diese Grundpfeiler der Republik aufrechtzuerhalten. Die schrecklichen Verluste, die sie erlitten hatten, all der Schmerz und die Trauer … das durfte nicht umsonst gewesen sein.

Bell tätschelte den Kopf der Aschehündin, die neben ihm saß, und das Tier gab ein leises Brummen von sich, wobei Dampf von seiner Nase aufstieg.

»Ich weiß, Funke. Es ist zu ruhig, nicht wahr?«

Funke stupste sanft sein Bein an; offenbar war ihr seine Unruhe nicht entgangen.

Bell ließ den Kopf kreisen, um seine verspannten Schultern zu lockern. Er hatte versucht zu meditieren, seine wachsende Nervosität in den Griff zu bekommen, aber er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Zu aufwühlend war der Gedanke an den bevorstehenden Jahrestag der Starlight-Katastrophe und an all die Wesen – viele von ihnen gute Freunde –, die nun hinter den feindlichen Linien gefangen waren.

Wesen wie Avar Kriss, Porter Engle, Pra-Tre Veter und so viele andere. Bell wusste nicht einmal, ob sie überhaupt noch am Leben waren. Die Vorstellung erfüllte ihn mit etwas, das Zorn gefährlich nahe kam, vor allem, weil er dabei gewesen war, als die Nihil Veter vor zwei Monaten bei einem ihrer Überfälle entführt hatten. Der Jedi-Großmeister – der obendrein ein Mitglied des Hohen Rates war! – hatte sich freiwillig gemeldet, die Plünderer fernzuhalten, während Bell und Burryaga eine Siedlung evakuierten, aber irgendwie hatten die Nihil es geschafft, ihn zu überwältigen und hinter ihren Sturmwall zu verschleppen.

Seitdem hatte niemand mehr von Veter gehört. Und die Nihil-Überfälle setzten sich unvermindert fort.

Zumindest hatte Bell das Gefühl, dass er hier draußen, am Rand der Okklusionszone, etwas bewirken konnte. Er konnte kämpfen. Er konnte Widerstand leisten.

Während Elzar Mann und die anderen Jedi nach einer Möglichkeit suchten, den Sturmwall zu durchdringen, hatte Bell darum gebeten, die Unschuldigen zu verteidigen, die sich nun in unmittelbarer Nachbarschaft dieses militarisierten Bereichs wiederfanden. Die meisten jener Welten waren isoliert, abgeschnitten von früheren Handelsrouten und leichte Opfer für die willkürlichen Angriffe der Nihil. Deren Schiffe konnten den Sturmwall dank ihrer Pfadantriebe nämlich noch immer auf geheimen Hyperraumrouten passieren. Was einst ein relativ sicherer Sektor gewesen war, hatte sich somit nun für ganze Kulturen – ganze Zivilisationen – in eine Gefahrenzone verwandelt.

Der Jedi-Rat hatte Bell den nötigen Freiraum gewährt, um seine selbst erwählte Mission zu erfüllen – sie hatten für ihn sogar eine Ausnahme bei den Hüterprotokollen gemacht, die eine Woche nach der Zerstörung der Starlight in Kraft getreten waren, denn sie wussten: Sollte es Bell und seinem kleinen Team gelingen, ein Angriffsschiff der Nihil aufzubringen, könnten sie vielleicht auch den Pfadantrieb bergen, der es dem Feind ermöglichte, sicher durch den Sturmwall zu fliegen. Dann hätten die Jedi endlich eine Möglichkeit, in die Okklusionszone vorzudringen.

Für Bell war dies ein wichtiger, aber letztlich zweitrangiger Aspekt seiner Mission. Sein Hauptziel war ein anderes: Er wollte Leben retten. Während die Jedi nach einer Möglichkeit suchten, um die Nihil aufzuhalten, musste sich jemand auf das konzentrieren, was schon immer ihre oberste Pflicht gewesen war, nämlich den Notleidenden zu helfen und die Schutzlosen zu verteidigen. Die Nihil zogen bei jedem Überfall eine Spur aus Blut und Verzweiflung hinter sich her; es war die Aufgabe der Jedi, sie aufzuhalten – ganz gleich, wie groß das Risiko auch sein mochte.

Und es war riskant. Verdammt riskant sogar. Wie Bell nur zu gut wusste.

Ihre Geheimwaffe gab dem Orden noch immer Rätsel auf, selbst jetzt, mehr als ein Jahr, nachdem er erstmals mit den Kreaturen in Berührung gekommen war. Niemand wusste, wie sie die Verbindung der Jedi mit der Macht störten oder sich von ihnen nährten. Trotzdem konnten sie es sich nicht leisten, zu zögern. Die Nihil hatten so viel Leid angerichtet, so viele Leben ausgelöscht. Sie mussten bekämpft werden. Also kämpfte Bell, allen Gefahren zum Trotz.

Bilder seines einstigen Meisters, Loden Greatstorm, blitzten vor seinem geistigen Auge auf: der entsetzte, verzerrte Ausdruck auf seinem zu Asche vertrockneten Gesicht; das graue Fleisch, das nur noch eine leere Hülle gewesen war. Das Gefühl des Verlustes war noch immer genauso stechend und schmerzhaft wie damals. Seitdem waren noch viele weitere demselben Schicksal anheimgefallen: Orla Jareni. Nib Assek. Freunde. Lehrer. Jeder von ihnen hatte eine Leere in Bell hinterlassen, die sich einfach nicht füllen ließ.

Die Nihil mussten aufgehalten werden.

Darum hatten Bell und andere wie Mirro Lox oder Amadeo Azzazzo beschlossen, weiter gegen die Überfälle der Piraten vorzugehen, während der Rest der Jedi nach einem Weg durch den Sturmwall und einem Schutz gegen die Namenlosen suchte.

In diesem Krieg – denn genau das war es – zählte jedes einzelne Leben. Jeder Tod war inakzeptabel, eine Niederlage. Genau das bedeutete Für das Licht und das Leben schließlich, oder?

Die Gesprächsthemen der Mannschaft (welche sich größtenteils aus Soldaten der Republikanischen Verteidigungskoalition RVK zusammensetzte) hatten sich während der vergangenen Tage zwangsläufig dem bevorstehenden Jahrestag der Starlight-Katastrophe zugewandt, und auch wenn sie aus Rücksicht nur im Flüsterton darüber sprachen, wenn ihre Jedi-Passagiere in Hörweite waren, hatte es Bell doch in wehmütige Stimmung versetzt.

Als die Starlight im Meer versunken war, hatte er einen Moment lang geglaubt, alles verloren zu haben. Aber nur einen Moment. Denn ganz gleich, wie groß die Verluste auch sein mochten, der Jedi-Orden war nicht zerstört. Und solange er existierte, würden die Überlebenden am Äußeren Rand ebenso wie die anderen Jedi auf Coruscant weiter für das Licht kämpfen. Sie konnten noch immer ein Leuchtfeuer der Hoffnung in der Dunkelheit sein.

Bell hatte nie die Hoffnung aufgegeben. Er hatte nie …

»Rwwwaaarrwooo.«

Mit einem Grinsen drehte er sich zu seinem Freund, Burryaga, herum. Der Wookiee musterte ihn mit fragendem Blick, seinen Kopf leicht zur Seite geneigt, sodass die Zöpfe, die er unter dem Gesicht in sein Fell geflochten hatte, auf seine Schulter herabhingen.

»Arroorrooo«, erwiderte Bell grollend. Er hatte den Großteil des vergangenen Jahres damit verbracht, Shyriiwook zu lernen, aber sein Hals tat noch immer weh, wenn er versuchte, bestimmte Worte und Redewendungen zu formen.

Burryaga lachte schallend. »Warraa Roowarr.«

Bell zog die Schultern hoch und ließ die freundschaftliche Hänselei mit einem Lächeln über sich ergehen. »He, immerhin hab ich es versucht.« Er strich über die Vorderseite seiner Robe. »Und ja, der Jahrestag hat mich nachdenklich gemacht.«

Burrys Miene wurde schlagartig wieder ernst, und er senkte den Blick, während er sich den Nacken rieb. Funke stapfte hinüber und strich tröstend an seinem Bein entlang. Als dabei dünner Rauch vom Fell des Wookiee aufstieg, beugte Burryaga sich vor, um die Stelle abzuklopfen.

»Tut mir leid«, sagte Bell. »Ich weiß, es ist immer noch schwer, daran zu denken.« Sein Atem stockte unvermittelt, und er drehte sich weg. Der Gedanke, dass sein Freund an jenem Tag um ein Haar ebenfalls ein Opfer der Nihil geworden wäre, setzte ihm immer noch zu.

Burryaga war verschwunden, als er während der letzten Minuten vor dem Absturz der Starlight gegen einen Rathtar gekämpft hatte, und er war nicht wieder aufgetaucht, nachdem die Raumstation im wogenden Ozean von Eiram versunken war. Man hatte ihn für tot gehalten, ebenso wie Meister Stellan, Maru und all die anderen, die ihr Leben gegeben hatten, um die Zerstörung der Starlight zu verhindern oder bei ihrem verzweifelten Evakuierungsversuch zu helfen.

Doch Bell hatte sich geweigert, das zu akzeptieren. Er war sicher gewesen, dass Burry allen Widrigkeiten zum Trotz einen Weg gefunden hatte, sich in Sicherheit zu bringen. Und seine Vermutung war richtig gewesen. Nach langer Suche hatte er den Wookiee nämlich tief unter den Wellen von Eiram gefunden, gestrandet in einem Höhlensystem. Einen ganzen Monat hatte er dort unten durchgehalten, und obwohl der Sauerstoff in der Höhle bereits fast aufgebraucht gewesen war und er nicht wusste, ob die Jedi überhaupt noch nach ihm suchten, hatte er sich an seinem Leben festgeklammert.

Burrys Rückkehr nach Coruscant war ein bitter nötiges Erfolgserlebnis für den Orden gewesen, etwas, das die brüchige Moral der Jedi wieder aufrichtete. Dennoch fragte sich Bell in seinen dunkelsten Momenten, was wohl geschehen wäre, wenn er auf die anderen gehört hätte. Was, wenn er nach der Katastrophe in den Tempel zurückgekehrt wäre und akzeptiert hätte, dass Burryaga tot war, eines von Dutzenden Opfern, die in der schwarzen Tiefe des Ozeans ihr Grab gefunden hatten?

Aber die Macht hatte ihm zugeflüstert, dass Burry noch lebte, und ihre Stimme war lauter gewesen als die Zweifel des Ordens. Natürlich konnte er verstehen, dass der Hohe Rat schwierige Entscheidungen treffen musste, dass der Kampf gegen die Nihil wichtiger war als die Suche nach einem einzelnen Vermissten. Trotzdem hatte er eine wichtige Lektion gelernt: Ganz gleich, was die anderen um ihn herum sagten, im Zweifelsfall würde er immer auf seine eigenen Instinkte hören. Genau deswegen war er nun auch hier. Weil er spürte, dass er hier sein sollte.

Seine Freundschaft mit dem Wookiee war in den Monaten seit seiner Rettung stärker geworden als je zuvor. Man hatte sie sogar gemeinsam zu Rittern geschlagen und ihnen die Padawan-Zöpfe abgeschnitten, um sie zu vollwertigen Jedi zu machen. Angesichts ihres Einsatzes während der Starlight-Katastrophe hatte der Hohe Rat beschlossen, dass sie keine Prüfungen mehr ablegen mussten, um sich als würdig zu erweisen.

Seitdem hatten die beiden gemeinsam mehrere Missionen an der neuen Grenze der Republik absolviert – dem Rand der Okklusionszone. Auf dem Mond von Saltear hatten sie Seite an Seite gekämpft, um eine Siedlung gegen plündernde Nihil zu verteidigen. Bei jenem Zwischenfall waren sie auch zum ersten Mal dem Nihil-Angriffsschiff Cacophony unter dem Kommando der gefährlichen, weißhaarigen Melis Shryke begegnet – ebenjener Nihil-Kriegsfürstin, die auch für die Entführung von Großmeister Veter verantwortlich zeichnete.

Als Bell dem Rat diese Mission vorgeschlagen hatte, war Burry an seiner Seite gewesen, standhaft und unerschütterlich. Er glaubte von ganzem Herzen an Bells Plan und teilte seinen Wunsch, jene zu schützen, die sich nicht selbst verteidigen konnten. Und deshalb waren sie nun hier, auf der Brücke eines Republikschiffes, wo sie mit einer kleinen Mannschaft aus RVK-Soldaten versuchten, die nächsten Angriffsziele der Nihil zu ermitteln.

Die Überfälle schienen sich hauptsächlich gegen Siedlungen knapp außerhalb der Okklusionszone zu richten, vorzugsweise solche, die zu schwach oder zu verängstigt waren, um Gegenwehr zu leisten. Soweit es Bell anging, war es das Beuteschema von Feiglingen.

Sie hatten versucht, die Routen der Nihil aufzudecken, aber jegliche Signale, einschließlich denen von Peilsendern, brachen ab, sobald die Piraten sich in ihre Okklusionszone zurückzogen; in dem Moment, in dem sie in den Sturmwall eindrangen, war es, als würden sie sich in Luft auflösen. Folglich konnte niemand voraussagen, wo sie als Nächstes auftauchen würden. Alles, was ihnen blieb, war, sich in der Nähe der verwundbaren Systeme bereitzuhalten und auf den nächsten Notruf zu warten.

Bell hasste es zu warten. Vor allem, wenn Leben auf dem Spiel standen.

Er blickte sich auf der spartanischen Brücke der Tractate um. »Irgendwelche Neuigkeiten von Meister Elzar?«, fragte er.

Der Wookiee schüttelte den Kopf.

Dass sie einfach keine Fortschritte machten, nagte an Bells Nerven. Mit den gebündelten Kräften von Republik und Jedi sollte es doch eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, bis sie einen Weg durch den Sturmwall fanden. Aber die Nihil hatten die Technologie der Republik auf meisterhafte Weise gegen ihre Schöpfer gewendet, und ihre Versuche, die Barriere mit Gewalt zu durchdringen, hatten sie bereits mehrere Schiffe – und Mannschaften – gekostet. Ein paar waren als verformte Wracks wieder aus dem Hyperraum aufgetaucht, der Rest blieb spurlos verschwunden. Niemand hatte je wieder von ihnen gehört, und man ging davon aus, dass auch sie zerstört worden waren.

Trotz alledem gab es Gerüchte darüber, dass die Republik Friedensverhandlungen mit den Nihil führen wollte.

Grundsätzlich begrüßte Bell jede Lösung, die auf Gewalt verzichtete, aber um die Wahrheit zu sagen, glaubte er keine Sekunde, dass die Nihil Frieden wollten.

Sie hatten alle die Ansprache gehört, die Marchion Ro nach dem Untergang der Starlight gehalten hatte. Seinen Spott. Seine Arroganz. Bell hatte zu dem Team gehört, das die Übertragung auf Coruscant analysiert hatte, um mögliche Hinweise zu finden. Er hatte sie immer und immer wieder gehört, bis sich ihm die Worte des Evereni unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt hatten.

In diesem Teil der Galaxis gibt es keine Hoffnung. Es gibt nur Verzweiflung.

Natürlich war das eine Lüge. Eine schändliche, schreckliche Lüge.

Trotzdem musste Bell sich fragen, wie viele Wesen innerhalb der Okklusionszone inzwischen wohl daran glaubten, vor allem, nachdem sie ein ganzes Jahr lang unter der Schreckensherrschaft der Nihil gelebt hatten.

Burryaga riss ihn mit einem tiefen, besorgten Brummen aus seinen Gedanken.

»Ja, ich weiß. Du hast recht. Ich sollte mir ein wenig Zeit nehmen und meditieren. Aber was, wenn …«

Eine schrille Sirene hallte durch das Schiff. Der Alarm ertönte so plötzlich, dass Funke erschrocken bellte.

»Aber was, wenn etwas passiert?«, beendete Bell seinen Satz mit einem Seitenblick in Burrys Richtung. Anschließend ging er zum Captain der Tractate, Amaryl Pel, die dem Piloten gerade befahl, das Schiff aus dem Hyperraum zu bringen.

»Ein weiterer Überfall?«, fragte Bell.

Die Frau blickte kurz auf und zuckte dann mit den Schultern. »Ein unbekanntes Notsignal. Sein Ursprung liegt auf dem Planeten Ribento.«

»Aber sind es die Nihil?«, hakte Bell nach.

»Macht das denn einen Unterschied?«, entgegnete Pel, wobei es ihr nur teilweise gelang, ihre Irritation zu verbergen. »Da draußen sind Leute, die unsere Hilfe brauchen.«

Bell nickte. »Natürlich.« Er warf Burry einen Blick zu. »Bist du bereit?«

»Wrraaw.«

»Ja, das dachte ich mir schon«, sagte Bell.

3. Kapitel

Coruscant

Die Oberste Kanzlerin Lina Soh saß mit gebeugten Schultern hinter ihrem Schreibtisch, den Kopf über ihren Datenblock gesenkt. Eingerahmt wurde sie von ihren Targonen, Matari und Voru, zwei Großkatzen mit weichem, daunenartigem Fell, vier Augen und vorstehenden, hauergleichen Fängen. Sie waren gleichzeitig Linas Haustiere und ihre Beschützer, und sie wichen der Kanzlerin nur selten von der Seite. Als Elzar den Raum betrat, hoben sie beide die Köpfe. Vermutlich schätzten sie ab, ob der Jedi eine Bedrohung darstellte – oder sie fragten sich, wie er wohl schmecken würde. Er war sich da nicht ganz sicher.

Die Kanzlerin hatte die Stirn nachdenklich gefurcht, und Elzar kam nicht umhin, zu bemerken, dass auch die Falten um ihre Augen tiefer geworden waren – nicht durch natürliches Altern, sondern durch den gnadenlosen Stress ihres Amtes. Diese Frau trug das Gewicht der gesamten Republik auf ihren Schultern, war mit den größten Krisen und Tragödien konfrontiert worden, die diese Galaxis seit langer Zeit erlebt hatte, war während der Welle des Nihil-Terrors selbst verletzt worden, und doch hatte sie es geschafft, in ihren Entscheidungen besonnen und konzentriert zu bleiben.

Aber selbst sie hatte ihre Grenzen. Ihr Sohn Kitrep Soh galt ebenfalls als vermisst – er und sein Freund Jom Lariin gehörten zu denen, die hinter dem Sturmwall verschwunden waren –, und die Kanzlerin wurde immer verzweifelter in ihrem Wunsch, ihn zurückzuholen. Die beiden jungen Männer waren gerade auf einer Reise durch den Äußeren Rand gewesen, um einige Sehenswürdigkeiten zu besuchen, als die Nihil vor einem Jahr ihre Barriere errichtet hatten, und wie bei den meisten anderen hatte seitdem niemand mehr von ihnen gehört.

Als Elzar sich dem Schreibtisch näherte, blickte die Kanzlerin schließlich auf, und ihr Mundwinkel zuckte, als sie ihm zur Begrüßung zulächelte. »Meister Mann. Elzar.«

»Geht Ihr noch einmal Eure Ansprache durch?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wäre es doch nur so.« Sie legte den Datenblock vor sich auf den Tisch. »Agrarberichte. Da sich Hetzal noch immer in der Okklusionszone der Nihil befindet, müssen wir die Ernten anderer Welten umleiten, damit die Systeme am Rand der Zone weiterhin zu essen und zu trinken haben. Das sorgt am gesamten Mittleren Rand für eine Getreideknappheit.«

Neben ihr schnaubte Matari leise, als würde er ihre schwelende Frustration spüren. Soh senkte die Hand und kraulte beruhigend die Mähne des Tieres.

»Sie wissen, ich halte nichts von Plattitüden, Kanzlerin. Aber es ist wirklich beeindruckend, wie Sie diese Situation meistern. Es ist eine undankbare Aufgabe, und Sie erfüllen sie vorbildlich.«

Sie zog die Augenbraue hoch. »Schön, dass es zumindest einer so sieht. Aber erzählt das mal dem Senat.«

»Der Senat ist ebenso verunsichert wie alle anderen auch. Bis wir die Bedrohung durch die Nihil neutralisiert haben …«

»Das versuchen wir jetzt schon seit einem Jahr. Ein Jahr, Elzar. Vielleicht ist es Zeit, dass wir uns der Wahrheit stellen. Die Nihil werden nirgendwo hingehen.«

»Nein. Das können wir nicht erlauben. Nicht nach dem, was sie getan haben. Denken Sie nur an all die Wesen, die hinter dem Sturmwall festsitzen, auf Delemede, auf Galtea, auf Pantora. All diese Welten, die unter dem Joch der Nihil leiden. Wir können das nicht einfach akzeptieren und es als neue Normalität hinnehmen.«

»Daran müsst Ihr mich nicht erinnern«, entgegnete sie, und Elzar tadelte sich im Stillen für seinen unsensiblen Tonfall. »Ich kann an nichts anderes denken. Ich weiß ja nicht mal, ob Kip überhaupt noch am Leben ist. Und es frisst mich bei lebendigem Leib auf, jeden Tag ein wenig mehr. Niemand kann sich vorstellen, wie es mir geht.«

»Verzeihen Sie bitte«, sagte Elzar leise. »Aber wir müssen weitermachen. Wir müssen einen Weg finden, in die Okklusionszone zu gelangen und die Nihil aufzuhalten. Die Bedrohung, die sie für die Galaxis darstellen … und für die Jedi …«

Die Kanzlerin nickte resigniert. »Ich weiß. Es ist nur … einige Mitglieder des Senats drängen mittlerweile auf Friedensverhandlungen. Sie hoffen, dass wir die Handelsrouten wieder öffnen können, wenn wir die Autonomie des ›Nihil-Raumes‹ anerkennen. Und mit jedem Tag werden diese Stimmen lauter.«

»Aber sie irren sich«, erwiderte Elzar.

»Tun sie das?« Soh zog die Schultern hoch. »Ich bin mir inzwischen selbst nicht mehr sicher. Was, wenn das die einzige Möglichkeit ist, um die Vermissten zurückzuholen? Eine Art Vertrag, ein Zugeständnis an die Nihil? Vielleicht könnten wir danach einen Gefangenenaustausch aushandeln.«

Allein die Vorstellung widerte Elzar an, und er schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn wir jetzt kapitulieren, können wir ebenso gut alles aufgeben. Alle, die ihr Leben gaben, alles, was wir verloren haben – es wäre umsonst gewesen. Den Nihil kann man nicht trauen, nicht heute und nicht morgen. Wer sagt denn, dass die aktuellen Überfälle nicht Teil eines neuen, perfiden Plans sind?«

»Das wäre natürlich möglich«, räumte die Kanzlerin ein.

Einen Moment lang herrschte Stille.

»Ich vermisse sie ebenfalls«, murmelte Soh dann, wobei sie das Gewicht verlagerte und ihre Beinprothese ausstreckte – das Resultat der Verletzungen, die sie während der Republik-Schau auf Valo erlitten hatte … und eine Erinnerung daran, dass die Kanzlerin nur zu gut wusste, wie viel sie verloren hatten.

Elzars Mund fühlte sich mit einem Mal trocken an, und er schluckte. »Avar und Stellan würden dasselbe sagen, wenn sie jetzt hier wären.«

»Ich weiß.«

»Und Avar kämpft sicher noch immer. Sie ist irgendwo in der Okklusionszone und tut alles in ihrer Macht Stehende, um den Sturmwall von innen zu zerstören.«

Soh nickte. »Ihr habt recht. Wir werden einen Weg finden. Ihr werdet einen Weg finden.« Sie benetzte ihre Lippen. »Aber uns läuft die Zeit davon. Ich kann den Senat nicht ewig in Schach halten. Und ich kann auch nicht ewig warten. Ich muss wissen, ob es ihm gut geht, Elzar. Das müsst Ihr doch verstehen.«

Er nickte. »Er weiß, dass Sie nichts unversucht lassen werden, um ihn zu retten. Das wissen sie alle. Sie wissen, dass die Republik sie nicht aufgegeben hat.«

Soh lächelte angespannt. »Ja, natürlich. Und wer weiß, vielleicht ist eine unserer Übertragungen ja durchgekommen. Das würde ihnen sicher neue Hoffnung schenken, nicht wahr?«

»Ich hoffe es ebenfalls«, erwiderte Elzar. Obwohl die Nihil alle Übertragungen in die Okklusionszone – und aus der Okklusionszone heraus – blockierten, ließ Elzar seit Monaten auf einem breiten Spektrum von Kanälen und Frequenzen eine Reihe von Nachrichten senden. Einige dieser Kanäle waren obskur, andere so alt, dass sie die Jedi-Archive durchforstet hatten, um sie zu finden. Aber falls irgendjemand eine Nachricht aufschnappte, könnte sie jedem Wesen in der Okklusionszone als Erinnerung dienen, dass die Jedi an seiner Seite standen, ganz gleich, was auch geschah. Dass es noch immer Hoffnung gab. Dass die Republik und der Orden gemeinsam einen Weg finden würden, um sie nach Hause zu holen oder sie von der Unterdrückung durch die Nihil zu befreien.

Elzar hoffte inständig, dass diese Nachrichten nicht einfach nur in der Leere dort draußen verhallten.

Er rieb sich grüblerisch das Kinn und stellte verblüfft fest, dass kurze, spitze Stoppeln seine Handfläche kratzten. War es wirklich so lange her, seit er sich das letzte Mal rasiert hatte?

»Es steht Euch«, kommentierte die Kanzlerin mit einem Schmunzeln.

Elzar schüttelte den Kopf. »Oh nein. Ich will mir nicht …«

Kanzlerin Sohs Lächeln wuchs in die Breite.

Ich will mir nicht einen Bart wachsen lassen, so wie Stellan, beendete er den Satz im Stillen, dann wandte er den Blick ab und atmete tief ein.

»Verzeiht, Elzar. Ich wollte Euch nicht in Verlegenheit bringen.« Ein Anflug von Bedauern mischte sich in Sohs Lächeln, und ihre Stimme wurde leiser. »Wir spüren alle den Druck. Vor allem heute.« Sie ließ die Worte einen Moment in der Luft hängen, ehe sie fortfuhr: »Wie geht es Euch? Und seid bitte ehrlich.«

Elzar begegnete ihrem Blick. Es war wirklich erstaunlich, dass eine Person, die eine so schwere Bürde trug, trotz allem noch Zeit hatte, an andere zu denken, insbesondere an einem Tag wie diesem.

»Ich hoffe nur, die Nihil versuchen nicht, an diesem Jahrestag ein Exempel zu statuieren«, murmelte er.

»Sie haben sich während des letzten Monats ziemlich ruhig verhalten«, sagte Soh.

»Ihre Beutezüge am Rand der Okklusionszone haben sie trotzdem fortgesetzt«, konterte Elzar.

»Ja, aber es gibt keine Informationen, die auf einen groß angelegten Angriff hindeuten«, beharrte sie. »Natürlich ist die Verteidigungskoalition der Republik trotzdem in voller Alarmbereitschaft. Wir haben alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen und in der Nähe verwundbarer Ziele entlang der Okklusionszone Flotten stationiert.« Sie richtete sich in ihrem Sessel auf, und ihre Körpersprache wandelte sich schlagartig von der Privatperson Lina Soh zur förmlichen Kanzlerin der Republik. Elzar ließ sich trotzdem nicht überzeugen, als sie fortfuhr: »Wir erwarten keine Schwierigkeiten.«

»Ich hoffe, Sie haben recht«, sagte er.

Die Kanzlerin blinzelte und erhob sich, und die beiden Targone an ihrer Seite richteten sich ebenfalls auf. »Also schön. Es ist Zeit für meine Ansprache.«

4. Kapitel

Ribento-System

Die Tractate fiel aus dem Hyperraum zurück, und sofort heulten laute, aufdringliche Annäherungsalarme los. Warnlampen blinkten in hartem Rot, während die Mannschaft durcheinanderrufend um die Aufmerksamkeit ihres Captains wetteiferte.

»Drei Nihil-Schiffe!«

»Sie bombardieren den Planeten aus dem Orbit!«

»Sie haben uns gesehen!«

Bell schloss die Augen und nahm einen langsamen, tiefen Atemzug, um seinen Geist zu klären. Konzentrier dich …

Seine Lider klappten auf.

»Festhalten«, sagte er. Seine Stimme war ruhig und gleichmäßig, trotzdem schnitt sie wie ein Messer durch die Kakofonie der Alarme und Rufe. Die Offiziere klammerten sich an ihren Sesseln und Konsolen fest, und das keinen Moment zu früh. Die Tractate bäumte sich auf, als Laserfeuer über ihre linke Flanke leckte. Neue Alarme mischten sich in das Chaos, Funken regneten von der Decke herab, und Funke stieß ein warnendes Bellen aus.

»Arrwoo«, brummte Burry.

»Ja«, sagte Bell. »Vier Nihil-Schiffe.«

»Schadensbericht!«, rief Captain Pel.

»Die Luftschleuse auf der Steuerbordseite ist leckgeschlagen, aber davon abgesehen hat die Hülle gehalten.«

»Wenden«, befahl Pel. »Und Hintis soll uns Verstärkung schicken. Sofort!«

»Jawohl, Captain.«

Der hammerförmige Bug der Tractate neigte sich zur Seite, und während das Schiff nach rechts herumschwang, bekamen Bell und die anderen einen ersten Eindruck von dem Sonnensystem, in dem sie gerade gelandet waren. Die glühenden Binärsterne und die Planeten, die um sie herumtanzten – neben Ribento waren da noch seinen beiden bewohnbaren Monde Morlas und Tho –, boten einen prächtigen Anblick, aber gegenwärtig wurde das Bild durch die Trümmer zerstörter Raumstationen und Orbitalplattformen beeinträchtigt. Und durch die Gegenwart mehrerer Nihil-Schiffe.

Drei von ihnen waren klein und aus verschiedensten Komponenten zusammengesetzt – das meiste davon geplünderte Teile von den Wracks ihrer Opfer. Aber es war der vierte Angreifer, der Bell sofort ins Auge stach.

Die Cacophony. Das Sturmschiff von Melis Shryke, der Kriegsfürstin, die Großmeister Veter unter ihrer Nase entführt hatte und seitdem am Rand der Okklusionszone Angst und Schrecken verbreitete.

»Endlich«, hauchte Bell. Seine Brust zog sich zusammen. Dies war ihre Chance, ein Versäumnis wiedergutzumachen und Shryke das Handwerk zu legen. Die Chance, auf die er so lange gewartet hatte.

»Lassen Sie die Skywings starten«, sagte Pel.

Quarik leitete den Befehl weiter.

Sekunden später schossen acht kleine, pfeilförmige Raumjäger der Republik aus dem Hangar der Tractate, aufgeteilt in zwei Staffeln.

Die Cacophony verharrte im Orbit von Ribento und ließ weiter Tod und Zerstörung auf eine brennende Siedlung hinabregnen; vermutlich war diese Stadt der Ursprung des Hilferufs, den die Tractate aufgefangen hatte. Doch die anderen, kleineren Nihil-Schiffe wendeten in Richtung der Neuankömmlinge, und eines von ihnen – ein großer Raumjäger mit einem aufgemalten hellblauen Auge auf der Seite – verschwand mit einem Flackern im Hyperraum.

»Visieren Sie Punkt Sieben-Neun-Mal-Drei-Zwo-Fünf an«, sagte Bell.

»Aber da ist nichts«, entgegnete Pel.

»Vertrauen Sie mir.« Bell ließ sich ganz von seinen Instinkten leiten. Seine Sinne hatten sich weit über die Grenzen des Schiffes ausgeweitet, und da war ein unverkennbares Zittern in der Macht.

»Ziel erfasst«, rief der Kanonier, ein hochgewachsener, dünner Kel Dor namens Pha Rool. Seine Stimme wurde durch das Atemgerät gedämpft, das alle Kel Dor in sauerstoffreichen Umgebungen tragen mussten.

»Feuer!«, donnerte Pel.

Die Rakete – eine von sechs im Arsenal der Tractate – surrte aus dem Abwurfrohr und zog einen glühenden Schweif durch die Leere zwischen den Sternen.

Mehrere Sekunden verstrichen, und Pel drehte sich wieder zu Bell herum, ihre Brauen vor Frustration zusammengezogen. Die beiden anderen kleinen Nihil-Schiffe näherten sich weiter ihrer Position.

»Warten Sie.« Bell hob die Hand, um Pel zur Geduld zu ermahnen. »Gleich …«

Und dann fiel der Nihil-Jäger wieder aus seinem Hyperraumpfad zurück … direkt in der Flugbahn der heranrasenden Rakete. Es gab nichts, was der Pilot noch tun konnte. Die Rakete bohrte sich in die Ablativplatten an der Seite des Bugs, und das gesamte Schiff zerplatzte in einem brodelnden Feuerball, aus dem Trümmer ins Vakuum geschleudert wurden.

Bell schnitt eine Grimasse, als er spürte, wie mehrere Lichtpunkte in der Macht erloschen.

Die Mannschaft ringsum brach hingegen in lauten Jubel aus, und Pel bedachte den jungen Jedi mit einem Blick, in dem sich Respekt und Skepsis vermischten.

»Die anderen Angreifer eröffnen das Feuer!«

»Ausweichmanöver!«

Die Tractate kippte über die Backbordseite nach unten, als die hinteren Schubdüsen gezündet wurden. So streifte die Kanonensalve des zweiten Nihil-Jägers lediglich die linke Bugflosse, während die Brücke, wo Bell und die anderen standen, verschont blieb.

Vier der Skywings setzten sich hinter den Angreifer und eröffneten das Feuer. Die zweite Staffel hielt unterdessen in einem weiten Bogen auf den verbliebenen Nihil-Jäger zu.

»Wir müssen die Cacophony erreichen«, sagte Bell. »Die Skywings werden auch allein mit den Jagdmaschinen fertig.«

Burry nickte, wobei seine geflochtenen Zöpfe hin und her schaukelten. In grollendem Shyriiwook schlug er vor, dass sie mit ihren Vektor-Jägern starten sollten.

»Ja.« Bell drehte sich zu Pel um. »Können Sie uns näher heranbringen?«

»Natürlich. Quarik, nehmen Sie Kurs auf das Sturmschiff.«

Die Tractate pflügte vorwärts und wurde zunehmend schneller, als die Sublichtantriebe ihre ganze Leistung entfalteten.

Ehe die anderen Schiffe am Rand der Aussichtsfenster verschwanden, konnte Bell noch sehen, dass vier Skywings einen der Nihil-Jäger in die Zange genommen hatten. Ihre Kanonen blitzten …

Und der Piratenjäger verwandelte sich in eine Miniatursonne.

Auf der anderen Seite des Schlachtfeldes rasten die übrigen Skywings der letzten Nihil-Maschine nach. Nicht mehr lange, dann würde auch von diesem Feind nur noch Sternenstaub übrig sein.

Eine Woge neuer Hoffnung erfasste Bell.

Diesmal werden wir es schaffen.

Direkt vor ihnen drehte die Cacophony sich langsam in Richtung der Tractate herum. Das Sturmschiff hatte das Bombardement von Ribento eingestellt und stieg nun aus dem Gravitationsfeld des Planeten empor.

Bell stupste Burryaga mit dem Ellbogen an. »Ich hoffe, du bist bereit für einen Kampf.«

Der Wookiee warf den Kopf in den Nacken und stieß ein trotziges Brüllen aus.

»Kanonen vorbereiten«, befahl Pel, die sich auf ihrem Kommandosessel nach vorn gebeugt hatte. »Knallen Sie ihnen eine Salve vor den Bug, sobald wir in Reichweite sind. Und halten Sie die Raketen feuerbereit. Aber nicht vergessen: Wir wollen sie kampfunfähig machen, nicht zerstören. Wir brauchen diesen Pfadantrieb.«

»Jawohl, Captain«, bestätigte die Mannschaft unisono.

Die Tractate raste weiter auf das Sturmschiff der Nihil zu.

»Wir beschäftigen sie, bis Ihr gestartet seid«, wandte Pel sich an die beiden Jedi. Ein harter Ausdruck lag in ihren Augen. »Aber vergesst nicht, dass Verstärkung bereits auf dem Weg ist. Es gibt keinen Grund, unnötige Risiken einzugehen. Ich weiß, Ihr seid Jedi, aber Ihr seid auch Teil meiner Crew.«

Bell nickte. Pel war auch dabei gewesen, als die Nihil Pra-Tre Veter entführt hatten, und sie wollte offensichtlich nicht, dass noch mehr Jedi unter ihrer Aufsicht in Gefangenschaft gerieten. »Ich werde mich auf ihre Sublichtantriebe konzentrieren. Burry übernimmt ihre Waffensysteme. Wenn wir sie hier festnageln können, bis die Verstärkung eintrifft, haben wir vielleicht eine Chance.«

Der Wookiee nickte zustimmend und wollte bereits in Richtung des Hangars losmarschieren, wo ihre Vektor-Jäger warteten.

Da rief Quarik plötzlich: »Einen Moment!«

Bell wirbelte herum. »Was ist?«

»Sie haben das Gravitationsfeld verlassen und fahren ihren Hyperantrieb hoch.«

Bell erstarrte, als die Cacophony vor den Aussichtsfenstern kurz flackerte und dann wie ein Geist im Nichts verschwand.

»Sie haben ihren Pfadantrieb benutzt«, brummte Pha Rool.

»Aber sind sie geflohen?«, fragte Pel.

Bell musste gegen eine Woge der Frustration ankämpfen.

Sie waren so dicht dran gewesen. Schon wieder.

Ein weiterer Fehlschlag.

»Sieht ganz so aus«, meldete Quarik. »Ich kann ihre Signatur nicht mehr erfassen.«

Pel stieß einen gedämpften Fluch aus. »Also gut, rufen Sie die Skywings zurück, sobald sie …« Der Rest des Satzes ging in ohrenbetäubendem Donnern unter, als Kanonenfeuer auf die Oberseite der Tractate einhämmerte. Das Schiff erbebte, weitere Alarme plärrten los, und blinkende Warnmeldungen färbten sämtliche Bildschirme auf der Brücke rot.

»Bericht!«

»Es ist die Cacophony! Sie ist direkt über uns von ihrem Hyperraumpfad aufgetaucht.« Pha Rool musste schreien, um den Lärm zu übertönen.

»Und sie haben weitere Jäger abgesetzt«, sagte Quarik mit angespannter Stimme. »Sie kommen direkt auf uns zu.«

5. Kapitel

Ribento-System

Allmählich konnte Melis Shryke verstehen, warum Marchion Ro und der Rest der Nihil einen so tiefen Hass gegen die Jedi hegten.

Sie hatte sich ihnen erst vor sechs Monaten angeschlossen, nachdem die sogenannte Schutzministerin der Nihil – eine tollkühne Mirialanerin in schwarzer Rüstung, die alle nur Generalin Viess nannten – in der Stadt Jodzia auf Shrykes Heimatplanet Bantoo aufgetaucht war und ein Schutzgeld verlangt hatte. Der Bürgermeister hatte sich geweigert und behauptet, dass Bantoo sich gegen seinen Willen im Inneren des Sturmwalls wiederfand und die Autorität der Nihil nicht akzeptierte. Da hatten die Nihil wie ein zerstörerischer Sturm in der Stadt gewütet und ganze Bezirke in Schutt und Asche gelegt, während ihre grässliche »Musik« durch die Straßen hallte. Shryke hatte von ihrem Balkon aus beobachtet, wie sie brutal jeden abschlachteten, der sich ihnen in den Weg stellte.

Eigentlich hätte sie angewidert sein sollen. Sie hätte die Hauswachen zusammentrommeln und versuchen sollen, die Bürger zu beschützen. Sie hätte tun sollen, was man von ihrer Familie erwartete, nämlich der Katastrophe entschlossen und hoch erhobenen Hauptes zu begegnen. Wie hatte ihr Vater doch immer gesagt? Es gab nur eine Macht, der sich die Bewohner von Jodzia beugen mussten, und das war die Shryke-Familie.

Doch Melis Shryke hatte nicht gekämpft.

Stattdessen war sie einfach auf dem Balkon geblieben und hatte beobachtet, wie die Nihil durch die Stadt tobten und eine Spur aus verwüsteten Häusern und blutigen Leichen hinter sich zurückließen.

Der Anblick hatte sie fasziniert. Mehr noch, sie hatte ihn genossen. Da war eine Ehrlichkeit in der Brutalität der Nihil – sie ließen sich nicht von den Konventionen der Gesellschaft kontrollieren, gaben einen feuchten Dreck auf die frustrierenden Rituale und Regeln, an die Shryke als Tochter eines großen Hauses gebunden war. Regeln, die ihr Leben in ein Gefängnis verwandelt hatten. Nein, die Nihil setzten sich über alles hinweg, und sie genossen es in vollen Zügen. Sie kannten nur einen Kodex: ihren Impulsen und niederen Instinkten nachzugeben, ohne Zögern, ohne Zweifel, ohne Schuldgefühle. Sie nahmen sich, was sie wollten, und sagten, was sie dachten. Und sie hatten ein beeindruckendes, verheerendes Talent für Gewalt.

Shryke hatte ihr ganzes Leben als Erbin einer reichen Dynastie verbracht, war von Kindesbeinen an herausgeputzt und zur Schau gestellt worden, hatte nie sagen, tun oder sein dürfen, was sie wollte. Und der Anblick der plündernden Nihil war für sie absolut berauschend gewesen. In ihren Augen genossen die Piraten eine Freiheit, die sie sich selbst nie auch nur hätte träumen lassen. Und Generalin Viess war endlich jemand, zu dem sie aufblicken konnte, ein Wesen, das sein Leben genauso lebte, wie Shryke es sich schon immer gewünscht hatte.

Also hatte sie sich zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte, von ihren eigenen Impulsen leiten lassen.

Zunächst hatte sie beschlossen, dass sie etwas Passenderes zum Anziehen brauchte. Etwas, das Viess in ihrem imposanten Körperpanzer beeindrucken würde.

Also hatte sie ihre eigene zeremonielle Rüstung übergestreift, die sie eigentlich nur bei den prahlerischen Paraden trug, welche ihre Familie einmal pro Jahreszeit in der Stadt veranstaltete. Sie hasste den Pomp und die Selbstherrlichkeit dieser Anlässe, doch die Rüstung selbst hatte sie immer geliebt – das Gewicht der Panzerplatten, die schwer, aber nicht zu schwer auf ihre Schultern und ihren Rücken drückten; den Kontrast des glänzenden Kobaltblaus zu ihrem weißen, geflochtenen Haar. Wenn sie die Rüstung trug, fühlte sie sich mächtig, so als könnte sie alles tun und alles sein, was sie wollte.

Sobald sie entsprechend gekleidet war, hatte sie den verzierten Blaster ihres Vaters aus der Schublade seines Schreibtisches genommen und den elenden Mistkerl in seinem Schlafzimmer erschossen, wo er gerade seine Wertgegenstände zusammenpackte. Sie empfand keinerlei Bedauern über den Tod des Mannes; er war nie ein vorbildlicher Vater gewesen, und außerdem gab sie ihm noch immer die Schuld am Tod ihrer Mutter. Tatsächlich empfand sie sogar ein Gefühl enormer Befriedigung, als sie den Abzug drückte und zusah, wie schockierte Erkenntnis in seinen Augen aufflackerte, nur um gleich wieder zu erlöschen.

Anschließend richtete Shryke den Blaster auch gegen den obersten Berater ihres Vaters – aber erst, nachdem sie ihn überzeugt hatte, den Schutzraum zu öffnen, in dem sich der Feigling verkrochen hatte (sie hatte zwei seiner Lakaien erschießen müssen, um ihm klarzumachen, dass sie es ernst meinte). Dann stopfte sie sämtliche Taschen mit Credits voll und marschierte furchtlos aus dem Palast, hinaus in die verwüsteten Straßen der Stadt.

Eingehüllt in schwarzen Rauch und die Schreie ihrer brennenden Untertanen, ging sie geradewegs auf Generalin Viess zu und ließ die Credits vor ihren Füßen auf den Boden fallen.

»Hier ist euer Schutzgeld. Aber ich will mit euch gehen.«

Viess hatte amüsiert gelächelt, ihre Haltung gleichgültig, während sie Shrykes glänzende Rüstung musterte … und dann hatte sie unmerklich genickt.

Nun, ein halbes Jahr später, hatte Shryke ihr eigenes Schiff, ihre eigene Mannschaft, und sie führte ihre eigenen Raubzüge an den äußeren Rändern des Nihil-Territoriums durch. Indem sie allen, die auch nur daran dachten, sich gegen das neue Regime aufzulehnen, schiere Todesangst einflößte, leistete sie ihren Beitrag zu Marchion Ros großem Plan – dem Plan, Chaos und Anarchie und echte Freiheit in die Galaxis zu bringen. Und ganz nebenbei jede Menge Credits einzuheimsen.

Zum ersten Mal in ihrem Leben genoss sie, was sie tat.

Doch nun wollten die Jedi ihr den Spaß verderben. Am liebsten hätte Shryke sie alle umgebracht, damit sie ihr nicht länger im Weg standen. Das war die Lektion, die sie bei den Nihil gelernt hatte. Die einzige Lektion, die wirklich etwas wert war.

Bedauerlicherweise war die Auslöschung der Jedi nicht Teil ihrer Mission. Zumindest noch nicht. Viess hatte befohlen, sie lebendig gefangen zu nehmen und zur Basis der Nihil auf Hetzal zu bringen, wo sie als Futter für die schauerlichen Kreaturen dienten, die Ro dort eingesperrt hielt – sofern er sie nicht an einer Schockleine den anderen vorführte, so wie den Tarnab, den Shryke vor ein paar Monaten überwältigt hatte.

Ja, das war eine würdige Herausforderung gewesen. Erst hatte sie das Schiff des Jedi lahmgelegt und dann durch ein Energiefeld sein Lichtschwert sabotiert. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war unbezahlbar gewesen.