Steine der Macht - Band 2
Die Zeitkorridore im Untersberg
Stan Wolf
Erschienen im novum pro Verlag
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und -auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2010 novum publishing gmbh
ISBN Printausgabe: 978-3-99003-510-8
ISBN e-book: 978-3-99003-778-2
Lektorat: Sarah Schroepf
Gedruckt in der Europäischen Union auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem -Papier.
www.novumpro.com
AUSTRIA · GERMANY · HUNGARY · SPAIN · SWITZERLAND
Gedicht
Macht hat viele Gesichter
Das Streben nach Macht ist uns eigen
Die stärkste Macht
liegt im Verborgenen
Vergangenheit Gegenwart Zukunft
Alles existiert gleichzeitig
www.stan-wolf.at
Vorwort
Vieles ist zu unfassbar, als dass man es einfach niederschreiben könnte.
Vielleicht sollte es auch verborgen bleiben, denn der menschliche Verstand nimmt nur jene Dinge zur Kenntnis, welche ihm geläufig sind.
Deshalb schreibe ich dieses Buch als Roman.
Es bleibt dem einzelnen Leser überlassen zu beurteilen, was er als Tatsache anerkennen möchte.
Danksagungen
Mein Dank gebührt in erster Linie Linda, welche mich mit großer Geduld und Ausdauer bei meinen Fahrten und Abenteuern begleitete.
Dank auch an Werner, den Polizisten, der unter großem, persönlichem Einsatz mitgeholfen hat, Tatsachen und mehr ans Tageslicht zu bringen.
Meinem alten Lionsfreund, dem Museumsdirektor Kurt, welcher mir mit seinem enormen Fachwissen bei meinen archäologischen Entdeckungen immer mit Rat und Tat zur Seite stand.
Roland, der Apotheker und Rosenkreuzer, wies mir den Weg zum Eingang.
Der Baron weckte durch seine Erzählungen meinen Forscherdrang.
Franz, der General Manager vom Sheraton Soma Bay in Ägypten, half mir immer wieder mit guten Ratschlägen aus.
Einleitung
Was bisher geschah
Als vor über zwanzig Jahren deutsche Bergwanderer auf dem Untersberg verschwanden und sich nach zwei Monaten von einem Frachtschiff im Indischen Ozean aus wieder meldeten, weckte dies Wolfs Interesse an dem ihm bis dahin nur als Sage bekannten Zeitphänomen am Salzburger Untersberg. Zudem hatte Wolf selbst diese Leute einige Jahre vor ihrem Verschwinden auf einer Schutzhütte auf dem Untersberg getroffen. Er hatte dann in den darauffolgenden Jahren ein sehr mysteriöses Erlebnis, als er mit seiner Tochter Sabine die vermutete Zeitanomalie am Berg erforschen wollte.
Doch wieder vergingen etliche Jahre, bis er auf seinen oftmaligen Reisen in entlegene Gebiete der Fels- und Sandwüsten in Ägypten mit seiner Begleiterin, der Lehrerin Linda, auf ähnliche, rätselhafte Erscheinungen stieß, welche offenkundig mit runden, schwarzen Steinen in der Größe und Form einer Orange zu tun hatten. Immer intensiver wurde seine Suche, bis er durch Zufall in der unterirdischen Kammer der Cheopspyramide einen solchen schwarzen Stein fand. Bei seinen weiteren Recherchen stieß er auf eine wenig bekannte Sage, der zufolge von einem Tempelritter im elften Jahrhundert ein ebensolcher Stein aus Mesopotamien zum Untersberg gebracht wurde.
Diesen Stein, welcher der Überlieferung nach von dem Templer in einer Höhle im Berg versteckt worden war, ließ bereits Hitler, der ja bekanntlich eine Vorliebe für den Untersberg hatte, suchen. Hitler hatte angeblich Hinweise, wonach dieser Stein der Schlüssel zu großer Macht sein sollte. Wolf dehnte seine Nachforschungen in der Folge auch auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden aus und machte dort mithilfe zweier deutscher Polizisten eine erstaunliche Entdeckung, welche ihm aber beinahe zum Verhängnis wurde.
Noch einmal konzentrierte Wolf seine Suche auf den Untersberg und es gelang ihm, ein brisantes Geheimnis zu lüften. Er entdeckte einen verborgenen Eingang in den Berg. Ein General der Waffen-SS, der diese Zeitanomalie schon 1943 gefunden hatte, ließ sich im letzten Kriegsjahr, dort im Felsen, eine komfortable Station als Unterkunft errichten, in welcher er durch die Zeitverlangsamung im Berg, innerhalb nur weniger Monate, über siebzig Jahre verbringen konnte. Wolf und Linda kamen in der Folge mit diesen Leuten aus der Vergangenheit in Kontakt und erfuhren von ihnen Dinge, welche in keinem Geschichtsbuch zu finden sind.
Der General zeigte den beiden ein Golddepot in den Bergen und ersuchte Wolf, der ja auch Hobbypilot ist, um einen Flug nach Fuerteventura, um für ihn aus den Lavahöhlen unter der Villa Winter zwei Bleizylinder zu bringen. Wolf und Linda wollten das Geheimnis der Zeitverschiebung ergründen und willigten ein. Der lange Flug mit der einmotorigen Cessna und die anschließenden Erlebnisse auf der Kanareninsel gestalteten sich für die zwei ext-rem abenteuerlich. Es gelang den beiden aber schließlich tatsächlich, die Bleizylinder zu bergen und dem General zu überbringen …
Kapitel 1 – Untersberg 20 n. Chr.
Die drei Soldaten waren schon eine geraume Zeit in dem engen, finsteren Gang unterwegs. Er führte sie direkt durch das Massiv des Untersberges. In diesem mächtigen Gebirgsstock, einem sagenumwobenen, dreiecksförmigen Berg im süddeutschen Raum, hatten sie bereits seit über zwei Monaten ihre Unterkunft. Im letzten Jahr war dort eine geheime Station mit einem für viele Monate ausreichenden Vorrat an Lebensmitteln errichtet worden. Nun sollten die drei eine Depesche zum Führerhauptquartier auf den Obersalzberg bringen.
Es hieß zwar, dass der Obersalzberg Ende April bombardiert worden wäre, und wenn das stimmte, würde sich jetzt kaum jemand noch dort oben aufhalten. Wem sollte dann die Depesche übergeben werden? Darüber nachzudenken war aber nicht ihre Aufgabe. Sie hatten einen Befehl und den galt es auszuführen. Es war feucht in der Höhle. An manchen Stellen tropfte es von den Wänden und am Boden bildeten sich kleine Lachen. Das Wasser spritzte beim Hindurchgehen manchmal bis zu ihren Knien hinauf. Der Gang war sehr lang und sie wussten nicht, wie weit es noch bis zum Ausgang war. Ihr Ziel war jedenfalls der Obersalzberg. Sturmbannführer Hübner, der das Kommando hatte, blieb stehen und prüfte, ob seine Maschinenpistole noch gesichert war. Er war zuvor mit seiner MP an einem Felsvorsprung hängen geblieben. Es war alles in Ordnung, der Sicherungshebel war noch in der richtigen Stellung. Scharführer Bauer, welcher als Erster ging, unterbrach die schon fast monotone Stille in dem finsteren Gang: „Herr Sturmbannführer, da vorne sieht man Licht, ich glaube, dass wir bald den Ausgang erreicht haben werden.“
Nach einer halben Minute krochen die drei Soldaten durch eine halb verschüttete Öffnung ins Freie. Ein bitterkalter Wind blies ihnen Schneeflocken ins Gesicht. Nur noch wenige Schritte, und sie erreichten ein kleines Felsplateau unweit eines vereisten Wasserfalles, an einer unwegsamen, steilen Flanke des Berges.
Hübner nahm seinen Kompass heraus, er kniff seine Augen zusammen und schaute abwechselnd auf das Instru-ment und wieder auf die Umgebung.
„Der Obersalzberg sollte dort drüben auf der anderen Talseite liegen.“ Er deutete mit der Hand nach rechts oben. Man konnte dort aber kaum etwas erkennen, denn der leichte Schneefall verhinderte die Sicht auf die Berge ringsum.
„Wir müssen uns beeilen, es dürfte hier draußen schon später Nachmittag sein. Sehen wir also zu, dass wir auf die Straße hinunterkommen. Wir werden dort einen Wagen anhalten, der soll uns dann zum Führersperrgebiet hinaufbringen.“
Ihr Einsatzbefehl war von Obergruppenführer Dr. Kammler unterzeichnet und sollte ihnen als Passierschein dienen.
Die im Tal verlaufende, gut ausgebaute Straße, welche von Salzburg nach Berchtesgaden führte, müsste eigentlich in höchstens einer Stunde zu erreichen sein.
„Ich sehe hier weit und breit keine Häuser und auch nicht die Spur eines Weges“, gab Bauer zu bedenken.
„Das wird am Schneefall liegen, so wie es aussieht, dürfte es hier in der letzten Zeit sehr viel geschneit haben“, antwortete der Sturmbannführer. Er war bereits bis über die Knie im lockeren Pulverschnee eingesunken.
Der Abstieg vom Berg gestaltete sich nicht allzu schwierig, sie rutschten mehr, als dass sie gingen. Hübner dachte bereits an den Rückweg, denn bergauf würde es bei dieser Schneelage mit Sicherheit eine Tortur werden. Als sie endlich den Talgrund erreicht hatten, war von Häusern, und vor allem von der Straße, welche sich unmittelbar neben dem kleinen Fluss dahinziehen sollte, keine Spur zu sehen. Ja es schien so, als hätte es hier niemals etwas anderes als diese Wildnis gegeben. Hatten die Alliierten dieses Gebiet so gründlich bombardiert, dass rein gar nichts mehr übrig geblieben war? Und nun war alles tief verschneit. Nicht die Spur einer Zivilisation war zu entdecken.
Oder war das das Werk einer sogenannten Atombombe, welche ja bereits existieren sollte? Aber das konnte doch alles nicht geschehen sein. Der Obersalzberg wurde doch erst vor einem Monat bombardiert und sie sollten ja um sechs Jahre früher aus dem Gang herauskommen.
Das Rattern einer Maschinenpistole schreckte Hübner jäh aus seinen Gedanken. Untersturmführer Müller, der Jüngste des Kommandos, hatte geschossen. Ein großes, braunes Etwas war direkt vor ihm, hinter einem verschneiten Gebüsch, aufgesprungen.
„Ich konnte nicht wissen, was es war“, stammelte Müller, dem die Angst noch ins Gesicht geschrieben stand.
Die drei Soldaten standen um den toten Hirsch herum.
„Solch ein Schaufelgeweih habe ich noch nie gesehen“, sagte Hübner, „das sieht wie bei einem Damhirsch aus, und so etwas hier in den Alpen. Solche Tiere gab es in dieser Gegend vor vielen Hundert Jahren. Wir werden jetzt dem Fluss folgen, irgendwo müssen wir ja auf die Straße stoßen.“
Hier unten im Tal war der kleine Trupp zwar weniger dem eisigen Wind ausgesetzt, dafür wurde die Sicht wegen des einsetzenden Schneefalls rapide schlechter. Sie stapften mühsam flussaufwärts und mussten sich dabei zwischen hohen, verschneiten Gebüschen hindurchkämpfen. Schnee rieselte ihnen ins Genick. Der kleine Fluss auf der linken Seite war teilweise dick zugefroren. Sie wollten aber, um kein unnötiges Risiko einzugehen, trotzdem eine der wenigen Brücken suchen, um dort sicherer ans andere Ufer zu gelangen.
„Wenn es so weiterschneit, werden wir dann den Weg zurück zur Höhle überhaupt noch finden? Wir haben keine anderen Anhaltspunkte als unsere Spuren.“ Hübner bemerkte, dass Müller bereits unruhig wurde. Auch ihn überkam jetzt ein merkwürdiges Gefühl. Was war hier geschehen, die Topografie stimmte zwar, nirgendwo jedoch waren Anzeichen einer Zivilisation. Doch schon im nächsten Moment deutete Untersturmführer Müller mit einem argwöhnischen Blick auf einen Baumstamm, dessen Rinde seltsame Kerben aufwies. Das waren eindeutig Zeichen, ähnlich den germanischen Runen, mit einer Axt frisch in die Rinde einer mächtigen Tanne geschlagen. Also musste es zumindest irgendwo Menschen in der Nähe geben. Langsam spürten die Männer, wie die Kälte durch ihre inzwischen nass gewordenen Uniformhosen kroch.
Sturmbannführer Hübner überlegte schon, ob es nicht besser wäre, den Auftrag abzubrechen und wieder, den eigenen Spuren folgend, zurück zur Höhle zu gehen. Da brach plötzlich ein Haufen Wilder, mit Fellen bekleidet und mit Speeren bewaffnet, laut schreiend durch das Dick-icht am Ufer des Flusses.
Hübner brachte mit einem schnellen Griff seine Maschinenpistole in Anschlag, was aber auf die herbeistürmende Horde überhaupt keinen Eindruck zu machen schien. Auch Müller und Bauer entsicherten ihre Waffen.
„Feuer!“, schrie der Sturmbannführer und mit einer Garbe aus seiner MP streckte er zwei der Angreifer nieder. Seine Kameraden feuerten ebenfalls fast gleichzeitig und abermals fielen einige der Wilden schreiend in den Schnee. Die anderen hielten kurz inne und stürmten dann erneut gegen die drei Soldaten vor. Hübner wechselte das erste Magazin seiner MP, um mit den nächsten zweiunddreißig Patronen wieder etliche dieser unerschrockenen Wesen aus einer längst vergangenen Zeit niederzustrecken. Sie kamen nun von beiden Seiten und es schien, als tauchten jetzt immer mehr von ihnen wie aus dem Nichts zwischen den Bäumen auf. Die drei Soldaten feuerten, was sie konnten. Als Scharführer Bauer das vorletzte seiner sechs Magazine wechseln wollte, wurde er von einem Wurfspeer direkt in die Brust getroffen. Ohne einen Schrei sank Bauer tödlich verletzt zu Boden. Er blieb stumm auf dem Rücken liegen, die Augen starr zum Himmel gerichtet. Helles Blut quoll aus seinem Mund. Ein Jubelschrei unter den Wilden, die mittlerweile über ihre toten Krieger hinweg immer näher zu den zwei verbliebenen SS-Soldaten herankamen. Noch einmal ratterte die Maschinenpistole von Sturmbannführer Hübner und wieder fielen einige dieser mordwütigen Gesellen den Neun-Millimeter-Geschossen zum Opfer.
„Schau, dass du zurück zur Höhle kommst, ich halte dir eine Weile die Biester vom Leibe“, rief Hübner Untersturmführer Müller zu. Als er dann sah, dass Müller sich zu seinem leblosen Kameraden hinunterbeugte, ein volles Magazin für seine Waffe an sich nahm und weiterschoss, herrschte er ihn in rauem Befehlston an: „Dreh dich um und lauf, was du kannst, das ist deine einzige Chance! Wenn du nicht schnell zur Höhle zurückkommst, ist es aus mit dir“, Im selben Moment bohrte sich unmittelbar neben Untersturmführer Müller ein Speer, mit knirschendem Geräusch, in den gefrorenen Boden. Panik erfasste den jungen Mann, er wusste nun, dass hier ein Kampf aussichtslos war. Es waren einfach zu viele Gegner, und die hatten offenbar keine Angst vor dem Tod.
Müller lief jetzt, wie es Hübner befohlen hatte, so schnell er konnte, zurück. Er rannte um sein Leben. Im Laufen hörte er noch das Bellen der Feuerstöße und die gellenden Schreie der tödlich Getroffenen. Er wusste, dass sich der Sturmbannführer höchstens noch einige Minuten gegen die todesverachtende Übermacht der Angreifer halten können würde.
Doch diese Zeit sollte ihm genug Vorsprung verschaffen, um die rettende Höhle zu erreichen. Der von den Sträuchern herabfallende Schnee rieselte über sein Gesicht. Müller spürte keine Kälte mehr. Dann sah er auch schon die Spuren im Schnee, die ihm den Weg zum Plateau wiesen. Er war froh, dass er den Weg noch erkennen konnte, hatte doch mittlerweile wieder starker Schneefall eingesetzt. Während er sich mühsam im tiefen Schnee den steilen Hang zum Untersberg hinaufarbeitete, legte er den Sicherungshebel seiner Waffe um. Sollte er verfolgt werden und schießen müssen, so konnte er dies rascher tun.
Plötzlich wurde es still unten am Fluss, das Rattern der Maschinenpistole hatte aufgehört. Müller wusste nun, dass der Sturmbannführer nicht mehr am Leben war. Einzig ein fernes Siegesgeheul war vom Talgrund zu hören. Er konnte es sich ausmalen, dass die Wilden jetzt wahrscheinlich auf ihn Jagd machen würden. In Todesangst kletterte er den steilen Hang im Schnee hinauf. Immer wieder rutschte er ab. Er hielt sich an allem fest, was ihm irgendwie Halt bot. Als er zurückblickte, konnte er fünfzig Meter unter ihm bereits eine der Fellgestalten ausmachen. Seinen Speer nach oben schleudern konnte der Wilde nicht. Zu weit war Müller noch von ihm entfernt. Der Untersturmführer überlegte, ob er schießen sollte, verwarf aber den Gedanken sogleich wieder. Seine Maschinenpistole war zwar eine wirksame Waffe, aber die Distanz für einen Einzelschuss war einfach zu groß. Und mit einem oder zwei Feuerstößen würde er sicher die Hälfte des Magazininhaltes verbrauchen. Er wollte in jedem Fall Munition sparen; denn bis zum Höhleneingang war es mindestens noch eine halbe Stunde. Seine Hände bluteten, sie waren aufgerissen von den scharfen, eisverkrusteten Felsen und das taube Gefühl in den nasskalten Füßen nahm er gar nicht mehr wahr. Wie weit war der Wilde mittlerweile näher gekommen? Um nachzusehen, musste sich Müller jedes Mal umdrehen, und das kostete ihn wertvolle Zeit. Panik überfiel ihn. Er blieb halb am Hang gelehnt stehen, nahm das vorletzte Magazin seiner MP aus der Tasche und steckte es an die Waffe. Jetzt musste er nur noch abwarten. Zur Sicherheit klappte er noch die Schulterstütze seiner Maschinenpistole aus. Die Treffsicherheit sollte damit größer sein. Das Warten zehrte an seinen Nerven. Würde er dadurch nicht seinen wertvollen Vorsprung vergeuden? Seine Arme zitterten. War es die Kälte oder war es die Angst? Der Fellbekleidete mit seinem Speer kroch unaufhaltsam wie ein Roboter nach oben. Der Untersturmführer konnte nun schon das grimmige, bärtige Antlitz seines Verfolgers erkennen. In einem Anflug von Todesangst hob er seine Maschinenpistole hoch. Den zitternden Finger am Abzug, die Waffe fest an seine Schulter gepresst. Dieses Mal musste er treffen. Er wartete, bis der Verfolger auf zehn Meter an ihn herangekommen war, dann sah er allerdings auch noch einige andere nachkommen. Der Wilde hob bereits den Speer zum Wurf. Müller drückte den Abzug durch. Ein Feuerstoß – und der Angreifer fiel mit einem gurgelnden Laut nach hinten. Der Speer entglitt seiner Hand, sein Körper rutschte den steilen, eisigen Hang hinunter. Ein zweites und noch ein drittes Mal ratterte die MP. Gleich vier Fellgestalten sanken leblos in den Schnee. Das vorletzte Magazin mit seinen zweiunddreißig Schüssen war jetzt auch leer. doch wenigstens hatte es dem Gejagten nun einen großen Vorsprung verschafft. Das letzte Magazin aufstecken und weiterlaufen. Sein Atem ging stoßweise, seine Lungen brannten wie Feuer. Müller konnte über sich schon den gefrorenen Wasserfall und das daneben liegende Felsplateau erkennen. Mit letzter Kraft erreichte er den niedrigen Höhleneingang und ließ sich von dem davor liegenden Schuttkegel in das Innere des Berges hinunterfallen. Hier drinnen in der Höhle war es merklich wärmer. Er raffte sich auf, nahm seine Taschenlampe he-raus und hastete weiter. Vermutlich würden ihm die furchtlosen Wilden auch bis ins Innere des Berges folgen.
Der Gang machte nun eine leichte Biegung und er konnte den Lichtschein vom Höhleneingang nicht mehr sehen. Da hörte er von ferne ein Platschen in den Wasserlachen am Boden. Das mussten die Fellschuhe der Wilden sein. Die Geräusche kamen rasch näher.
Jetzt konnte er bereits die Stimmen seiner Verfolger wahrnehmen. Stehen bleiben, die Maschinenpistole in Anschlag bringen und schießen? Er konnte die Wilden nicht sehen, er müsste einfach, ohne zu zielen, in die Finsternis feuern. Was aber, wenn er nicht gleich traf? Durch einen Schuss allein würden sich die Angreifer nicht aufhalten lassen. Er entschied sich instinktiv fürs Weiterlaufen. Just in diesem Moment sah er für einen Sekundenbruchteil im Lichtkegel seiner Taschenlampe einen Speer an seinem Kopf vorbeifliegen. Müller hörte den Aufschlag am Boden viele Meter vor ihm. Blitzartig drehte er sich um, die Maschinenpistole fest umklammert, und feuerte sekundenlang in die absolute Dunkelheit, bis auch das letzte Magazin seiner Waffe leer war. Das Pfeifen der von den Felswänden abprallenden Geschosse, gefolgt von den gurgelnden Schreien der Getroffenen und dem schweren Aufklatschen der Körper auf dem nassen Boden, gaben Müller Gewissheit, dass er sein Ziel nicht verfehlt hatte. Er konnte jetzt wohl gefahrlos weiterlaufen. Nach endlosen Minuten tauchte die rettende Türe zur Station im schwachen Licht seiner Lampe auf. Doch schon wieder hörte er etwas hinter sich. Diesmal waren es langsamere, humpelnde Schritte. Einer der Wilden, der von den Kugeln vermutlich nur verletzt worden war, folgte ihm. Untersturmführer Müller drehte sich nicht mehr um. Munition zum Schießen besaß er ohnehin keine mehr. Er hastete, so schnell er konnte, zur Türe und öffnete sie mit einem schnellen Ruck. Das warme Licht der Lampen in der Station strahlte für ihn etwas von Geborgenheit aus. Im selben Moment war aber auch schon der verletzte Keltenkrieger hinter ihm. Dieser hielt zwar keinen Speer mehr in der Hand, stürzte sich aber dennoch auf Müller, riss ihn zu Boden und packte ihn mit beiden Händen am Hals. Im Fallen spürte der Untersturmführer die rauen Pranken des Wilden, welche wie ein Schraubstock seine Kehle zudrückten. Dann verlor er das Bewusstsein.
Kapitel 2 – Fuerteventura Herbst 1944
Die tief liegenden Wolken über dem Nordatlantik hüllten den viermotorigen Fernaufklärer vollkommen ein. Das dumpfe Brummen der Motoren war irgendwie beruhigend. Flugzeugführer Leutnant Wagner ließ seinen Blick über die vielen Bordinstrumente gleiten. Es war alles im grünen Bereich. Sie hatten starken Nordwestwind aus 280 Grad. Der müsste sie diesmal rascher als sonst ans Ziel bringen. Sie flogen in einer Höhe von knapp zehntausend Fuß. Ihre Geschwindigkeit über Grund betrug mit diesem Rückenwind gut vierhundert Stundenkilometer. Wagner blickte auf seine Armbanduhr. Noch fünf Stunden Flugzeit, dann sollten sie die Kanareninsel Fuerteventura erreichen. Sie waren im Morgengrauen vom Flugplatz Hörsching in der Nähe von Linz, bei strömendem Regen gestartet. Ihr Flug führte sie nördlich von Straßburg über Frankreich und kurz vor dem Erreichen der Pyrenäen hinaus auf den Atlantik. Sie nahmen jetzt Direktkurs auf die Vulkaninsel. Vor Feindberührung brauchten sie in diesem dichten Wolkenband keine Angst zu haben. Außerdem waren hier in der Biskaya höchstens ein paar U-Boot-Jagdflugzeuge unterwegs, und die mussten ja mit Sicht auf das Wasser fliegen. Wenn also wirklich Feindflugzeuge in der Nähe waren, dann nur tief unter ihnen. Auch die Navigation stellte kein Problem dar. An der spanischen und portugiesischen Küste gab es genügend Funkfeuer zur Orientierung.
Dieses Mal hatten sie kaum Beladung an Bord. Vier Wissenschaftler vom SS-Sonderstab 9, welcher direkt -General Kammler unterstand, und einige Kisten, deren Inhalt geheim gehalten wurde. Auf alle Fälle musste es sich um eine sehr wichtige Angelegenheit handeln, dachte Wagner. Sonst hätte man die vier ja auch mit einem Frachtschiff nach Fuerteventura bringen können. Ein hoher General der Waffen-SS hatte den Befehl erteilt.
Manchmal lichteten sich die Wolken unter ihnen und gaben für kurze Zeit den Blick auf den stürmischen Atlantik frei. Schaumkronen und raue See erschwerten den kleinen Fischkuttern ihre Arbeit oder machten sie überhaupt unmöglich. Aus diesem Grund war auch kaum ein Schiff weit und breit zu sehen. Umso besser, dachte Leutnant Wagner, der sich bereits die kleine Landepiste im Süden Fuerteventuras in Gedanken vorstellte. Eine Schotterbahn, nur eintausend Meter lang und vierzig Meter breit. Die Flügelspannweite seiner JU 290 betrug immerhin zweiundvierzig Meter. Er musste bloß mit dem Fahrwerk im ersten Drittel der Piste halbwegs in der Mitte aufsetzen, alles andere wäre dann schon fast erledigt. Wenn der starke Nordwind so blieb, und der war um diese Jahreszeit fast garantiert, würde das mithelfen, das große, über vierzig Tonnen schwere Flugzeug auf der doch relativ kurzen Lande-bahn sicher zum Stehen zu bringen.
Im hinteren Teil der Maschine unterhielten sich drei der Wissenschaftler, so gut es eben bei der Lautstärke der Motoren überhaupt möglich war. Der vierte hatte es sich auf einer der Doppelsitzbänke bequem gemacht und schien zu schlafen.
Die drei sprachen über die bevorstehenden Versuche in den Laboratorien auf der Kanareninsel. Professor Körner, ein Hochfrequenztechniker aus Hamburg, welcher schon geraume Zeit in der Rüstungsforschung arbeitete, berichtete von einem neuartigen Gerät, welches mittels elektromag-netischer Impulse in der Lage war, das Zündsystem eines Benzinmotors auf große Entfernung außer Kraft zu setzen.
„Zuerst konnten wir das im Labor nur auf sehr kurze Distanzen erreichen, bis uns vor einigen Wochen der Durchbruch gelang. Wir verwendeten dabei zur Frequenzstabilisierung Quarzkristalle. Damit war es möglich, auf Hunderte Meter Entfernung einen gezielten, elektromagnetischen Strahl zu erzeugen, der jede Zündanlage in seinem Bereich ausschalten würde.“
Dr. Koch, ein Spezialist für Funkfernsteuerungen, welcher ebenfalls in der Hochfrequenztechnologie bewandert war, sah den Professor interessiert an: „Und wann, glauben Sie, wird Ihr Gerät praktisch eingesetzt werden können?“ Der Professor schaute nachdenklich und erwiderte: „Den ersten Test haben wir bereits hinter uns, es stellt tatsächlich Motoren über große Distanzen ab, aber …“, Körner schien zu überlegen.
„Was heißt hier aber! Wenn es funktioniert, dann muss es auch eingesetzt werden“, meldete sich Dipl. Ing. Langer zu Wort. „Nun ja, es gibt hier noch eine zusätzliche Komponente, mit welcher wir nicht gerechnet haben.“
„Und das wäre? Spannen Sie uns nicht auf die Folter, nun erzählen Sie schon“, neugierig beugte sich Dr. Koch zum Professor. Körner schien einen Moment zu überlegen. „Da wir alle derselben Geheimhaltungsstufe unterliegen, kann ich Ihnen die Geschichte ja erzählen.“ Er rückte etwas näher zu den beiden anderen, damit sie ihn im lauten Flugzeug auch verstehen konnten.
„Wir wurden vor zwei Monaten nach Sasso Marconi, einem kleinen Dorf direkt neben der italienischen Stadt Bologna, beordert. Es war wie ein Omen, dass gerade dieser Ort ausgewählt wurde. Guglielmo Marconi, der Erfinder der drahtlosen Telegrafie, begann hier bereits im Jahr 1895 mit Laborexperimenten auf dem väterlichen Landgut, der Villa Griffone. 1896 gelang ihm dort erstmals eine drahtlose Funkübertragung.
Als wir in Sasso Marconi ankamen, sahen wir, dass in diesem Landgut von Marconi eine Einheit der 16. Panzerdivision unserer Wehrmacht stationiert war. Im Mausoleum des Erfinders, direkt am Hang unter dem großen Haus, hatten die Panzersoldaten Quartier bezogen. Sie schliefen direkt neben dem massiven Steinsarkophag von Marconi. Ich habe dort mit einem der Panzerfahrer gesprochen. Karl aus Bad Ischl, er war erst neunzehn Jahre alt. Ihm machte es nichts aus, in der Gruft zu übernachten, es war komfortabler als im Zelt. Er wollte sich als Freiwilliger für unser Experiment melden, der Hauptmann hatte jedoch bereits fünf andere Panzerbesatzungen dafür ausgewählt. Es war ein Glück für Karl, wie sich später herausstellen sollte.
Das neuartige Gerät zum Abstellen von Motoren mittels einer Störstrahlung sollte dort erprobt werden. Weiß der Himmel, weshalb wir dafür extra nach Italien fahren mussten. Vermutlich wegen der Geheimhaltung. Die Apparatur war in einem LKW untergebracht. Wir fuhren mit unserem Wagen auf einen Hügel neben dem Ort und ließen auf dem darunter liegenden Feld von der Wehrmacht fünf Hetzer-Panzer in einer Entfernung von einem Kilometer auffahren. Diese sechzehn Tonnen schweren stählernen Kolosse, mit ihren Sechs-Zylinder-Benzinmotoren und je vier Mann Besatzung, sollten auf Funkbefehl in unsere Richtung vorrollen. Als die 160 PS starken Panzer bis auf dreihundert Meter herangefahren waren, schalteten wir unser Gerät ein. Alles funktionierte wie erwartet, die Fahrzeuge blieben wie auf Kommando sofort stehen. Es war irgendwie gespenstisch, der Lärm der heranfahrenden Panzer hatte praktisch auf Knopfdruck aufgehört. Unsere Apparatur wurde wieder deaktiviert und den Fahrern wurde über Funk mitgeteilt, dass sie die Motoren wieder starten sollten. Doch nichts geschah. Es schien, als ob der Funkverkehr nun ebenfalls blockiert war. Ein Melder wurde hi-nuntergeschickt und musste feststellen, dass alle Soldaten in den Panzern tot waren. Es war ein Schock für uns. Im Labor hatten wir die Geräte nur an kleinen Motoren getestet. Jetzt wurde klar, dass die ausgesandten Strahlen für die Männer tödlich gewesen sein mussten. Wir ließen die Leichen der Panzerbesatzungen sofort wegbringen und untersuchen. Das Ergebnis war verblüffend. Die Männer waren alle einem Herzstillstand zum Opfer gefallen. Aber weshalb? In unserem Labor war ja auch niemand zu Schaden gekommen. Sollten die Strahlen doch auch gefährlich für Menschen sein? Außerdem würde so ein Panzer einen Faradayschen Käfig darstellen, in welchem eine elektromag-netische Strahlung keinen Schaden anrichten dürfte. Sie waren zwar mit offener Turmluke gefahren, selbst da aber dürfte nicht einmal ein Blitzschlag eine Gefährdung bedeuten. Um herauszufinden, was die Ursache dafür war, dazu hatten wir keine Gelegenheit mehr. Unsere Geräte wurden zur Weiterentwicklung zu einer anderen Forschungsstelle der SS gebracht.“
Der Flugzeugführer, Leutnant Wagner, hatte soeben die letzte Funkpeilung durchgeführt. Es mussten noch an die einhundert Meilen sein, bis sie die Südspitze von Fuerteventura erreichen würden. Die ursprüngliche Flughöhe wollte er sicherheitshalber noch beibehalten, er konnte ja nicht wissen, was sich da unter der Wolkendecke befand. Für seinen Flug galt höchste Geheimhaltungsstufe, deshalb durfte er kein Risiko eingehen. Er schickte den Copiloten nach hinten, um den vier Wissenschaftlern die bevorstehende Landung anzukündigen. Eine Viertelstunde später leitete Wagner den Sinkflug ein. Beim Eintauchen in die Wolkenschicht hatte er, trotz seiner großen Flugerfahrung, doch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Wenn sie der Wind auf den letzten zweihundert Meilen vom Kurs abgebracht hatte und die Wolken auf den Bergen in der Mitte der Insel auflagen, bestand die Möglichkeit, dass sie dort zerschellten. Wie erwartet verlief aber alles problemlos. Sie kamen fünfhundert Meter über dem Meer aus den Wolken heraus. Die Schaumkronen auf den Wellen verrieten einen starken Nordwind. Nach weiteren zehn Minuten kam -Fuerteventura in Sicht. Der Leutnant steuerte das große Flugzeug nach Westen bis ans Ende der Insel. Der Landeplatz hob sich gut von der hellgrauen Schotterwüste ab. Ein paar weiß gestrichene, betongefüllte Benzinfässer markierten die Eckpunkte der Landebahn. Wagner flog ganz tief über das Flugfeld, er wollte sich so vom guten Zustand der Piste überzeugen und zudem seine bevorstehende Landung anzeigen. Eine vorherige Funkmeldung wäre wegen der Ortungsmöglichkeit ein zu großes Risiko gewesen. Er bekam ein Leuchtzeichen vom Platz, welches ihm ein gefahrloses Landen bestätigte. Zwei moderne -Arado-Jagdflugzeuge standen etwas abseits der Piste unter Tarnnetzen. Sie waren zur Sicherheit auf Fuerteventura stationiert. Sollte ein alliierter Fernaufklärer zufällig den Stützpunkt entdecken, so würde er von den beiden Jägern abgeschossen werden, noch bevor er eine Meldung absetzen konnte. Wagner zog noch eine kilometerweite Linkskurve über den Atlantik. Dann ließ er die Landeklappen und das Fahrwerk ausfahren. Die Nase des Flugzeugs neigte sich etwas nach unten. Es war ein beeindruckender Anblick, als die mächtige JU 290 mit Mindestgeschwindigkeit in einer Höhe von nur wenigen Metern über dem Meer auf das Rollfeld zukam.
Leutnant Wagner setzte das große Flugzeug sanft auf den ersten einhundert Metern der Bahn auf. Die JU 290 zog eine riesige Staubwolke hinter sich her. Kurz vor dem Ende der Landebahn kam der Flieger sicher zum Stillstand. Die beiden Piloten nahmen ihre Kopfhörer ab.
Ein Opel-Blitz-Lastwagen der Wehrmacht und ein -VW-Kübelwagen rollten auf das Flugzeug zu. Als Erstes wurden die Holzkisten mit der geheimnisvollen Fracht auf den LKW geladen.
Die vier Wissenschaftler saßen bereits in dem offenen Kübelwagen, der sich auf der holprigen Schotterstraße unmittelbar neben der Landebahn dahinquälte, als das Aufheulen der vier Motoren der JU 290 zu hören war. Das bereits wieder aufgetankte Flugzeug stand schon startbereit am Ende der Rollbahn. Kapitän Wagner schob die Gashebel nach vor und ließ die Bremsen los. In einer Staubwolke brauste der stählerne Koloss an den Wissenschaftlern vorbei. Der Kübelwagen wurde vom Luftsog des großen Fliegers heftig durchgeschüttelt. Die JU 290 hob unter ohrenbetäubendem Donnern ab und war bereits wenige Augenblicke danach in den dichten Wolken über dem Atlantik verschwunden.
Die Wissenschaftler im Kübelwagen und der LKW waren unterwegs zum Chalet Cofete. Der Weg führte über endlose Kurven und Schleifen durch eine trostlose Geröllwüste, nur etwas weiter rechts unten konnte man einen Teil des Meers ausmachen. Der kleine Lastwagen folgte dem Kübelwagen in kurzem Abstand. Nach einer halben Stunde erreichten sie eine Abzweigung, welcher sie in Richtung der Berge folgten. Die Schotterstraße führte in vielen Kehren auf eine Anhöhe hinauf. Am Scheitelpunkt hielt ein Posten die beiden Fahrzeuge an. Nach einer kurzen Überprüfung durften sie weiterfahren. Jetzt lag das Meer auf der linken Seite. Es war ein grandioser Anblick für die Wissenschaftler. Der aufgepeitschte Atlantik trieb lange Wellen an die endlosen Sandstrände am Fuße einer imposanten Gebirgskette.
„Sehen Sie sich das an!“, meinte Dr. Koch zum Professor, „Hier sieht es aus wie auf der Insel von Robinson -Crusoe, da lässt es sich leben.“
„Warten wir es erst einmal ab, wie es uns in den Labors gehen wird. Die sollen ja unterirdisch in einer Lavahöhle untergebracht sein, da werden wir nicht viel von dieser eindrucksvollen Landschaft zu sehen bekommen. Hoffentlich ist es da unten nicht recht heiß. Hier auf den Kanarischen Inseln soll es ja noch aktive Vulkane geben.“
Dr. Koch entgegnete ihm: „Keine Sorge, die heißen Vulkane sind nur auf den Inseln La Palma, Teneriffa und Lanzarote, hier in Fuerteventura ist alles schon längst erkaltet.“
Wieder mussten sie an dem engen Weg bei einem Wachposten anhalten. Hier dauerte die Kontrolle nicht mehr so lange. Von ferne konnten sie jetzt schon das große weiße Landhaus mit dem runden Turm am Berghang sehen. Der letzte Teil der Fahrt war dann nur noch im Schritttempo zu bewältigen. Der steile Weg zum Haus hinauf war schwer zu befahren.
Am Rundbogentor des Chalets angekommen, stand dort wieder ein Wachposten, der jedoch sogleich salutierte, als der Wagen anhielt. Die vier betraten den Innenhof des imposanten Gebäudes. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Ausgang auf eine schöne Terrasse, wohin sie der Soldat sogleich geleitete. Ein Offizier in Uniform und ein Zivilist saßen dort an einem großen Tisch, sie blickten auf, als sie die vier kommen sahen.
„Professor, schön, Sie hier bei uns begrüßen zu dürfen“, wandte sich der Uniformierte an Körner. „Wir haben gerade von Ihnen gesprochen.“ „Ganz meinerseits, Herr Sturmbannführer“, antwortete Professor Körner und stellte die drei anderen vor. „Das ist übrigens Gustav Winter, der Erbauer des Chalets Cofete, wie dieser Landsitz hier genannt wird“, er deutete mit einer Handbewegung auf den Zigarre rauchenden Mann in Zivilkleidung neben ihm.
„Ich schlage vor, wir werden Sie jetzt erst einmal mit unserer ausgezeichneten spanischen Küche bekannt machen. Nach diesem anstrengenden Flug werden Sie sicher Hunger haben.“
Nach dem Essen wurden die vier in ihr Quartier geleitet. Dazu mussten sie durch den Keller des Hauses gehen und über eine riesige, eiserne Wendeltreppe tief in eine Lavahöhle hinuntersteigen. Die Gänge waren zwar nur dem Zweck entsprechend ausgebaut und spartanisch einfach. Die Beleuchtung war jedoch sehr gut. In einigen Teilen waren Schienen für Bergwerksloren zu sehen. Als sie schließlich in einer Art Halle mit vielen Türen angekommen waren, sahen sie auch schon die Holzkisten, welche sich im Flugzeug befunden hatten. Sie waren offensichtlich durch einen anderen Eingang hierhergebracht und vor einem großen, doppelflügeligen Tor abgestellt worden.
„Hinter dieser Türe befindet sich unser Labor, Ihr -neuer Arbeitsplatz für die nächsten Wochen. Gleich daneben sind Ihre Unterkünfte“, erklärte ihnen ihr Begleiter.
Die Wissenschaftler setzten sich noch eine Weile in Professor Körners geräumigem Wohnraum zusammen, um über die bevorstehenden Versuche zu sprechen.
„Wozu brauchen wir dieses Mal eigentlich eine so -große Menge Uranoxid?“, meinte Dr. Koch. Der Professor antwortete: „Wir werden versuchen, die Stromausbeute der Uranbatterien zu erhöhen. Vor einigen Monaten hatten wir schon herausgefunden, dass das Uran nicht nur mittels Zentrifugen angereichert werden kann. Ich möchte es Ihnen kurz vereinfacht erklären. Mittels schwingender -Quarze versetzten wir das Uran in Resonanz, auf diese Weise wurde es zur rascheren Abgabe von Neutronen angeregt. Durch diese höhere, kontrollierte Energieabgabe konnte Strom gewonnen werden, und das für sehr lange Zeit. Die ersten Uranbatterien waren auf diese Weise konstru-iert worden. Die dafür benötigten Kristalle erhielten wir aus einer Mine im brasilianischen Urwald. Es laufen aber bereits Versuche, mit speziell behandelten, weißen Quarzkristallen denselben Effekt zu erzielen. Inzwischen wurde sogar an einem Uranantrieb für Flugobjekte gearbeitet, der sozusagen mit einigen Kilogramm Uranerz den Flieger fast unbegrenzte Zeit in der Luft halten konnte. Dies würde uns einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Alliierten in Bezug auf die Luftüberlegenheit bringen.“ Gespannt hörten ihm die anderen zu.
Am nächsten Tag sollten sie noch ins fünfzig Kilometer entfernte Fischerdorf Ajuy, zur Baustelle für den U-Boot-Bunker gebracht werden.
Früh am Morgen des folgenden Tages wurden sie vom Sturmbannführer in ihren Quartieren abgeholt und über den zweiten, den unteren Ausgang des Stollensystems zu einem schon bereitstehenden VW-Kübelwagen gebracht. Das grelle Sonnenlicht blendete sie anfangs, doch bei diesem klaren Wetter konnten sie nun das Chalet Cofete mit seinem imposanten Turm aus einiger Entfernung sehen. Die Lavahöhlen unter der unscheinbaren Landschaft mussten gigantisch sein. Diesmal verlief die Fahrt auf der schmalen Schotterstraße über den Bergrücken rascher als am Vortag. Nach einer knappen halben Stunde Fahrtzeit erreichten sie den kleinen Hafen Morro Jable mit seinen wenigen Häusern. Sie konnten im Vorüberfahren sehen, wie ein Frachtschiff, voll mit Baumaterialien und Maschinen, entladen wurde. Weiter ging die Fahrt durch große Sanddünen, welche den Fahrweg teilweise zugeweht hatten. Dann erreichten sie den Zaun. Eine kilometerlange Stacheldrahtabsperrung der gesamten Halbinsel Jandia, welche den östlichen Teil von Fuerteventura darstellte. Dieses Gebiet wurde durch Posten schwer bewacht und alle spanischen Arbeiter, welche zum Bau der Anlagen in Morro Jable herangezogen wurden, mussten jeden Abend wieder zurück hinter den Zaun gebracht werden.
Nun fuhren sie zwischen uralten Vulkanbergen weiter bis Ajuy, einem kleinen Fischerdorf an der wilden Westküste von Fuerteventura. Dort, wo es aufgrund der starken Brandung kaum jemand vermuten würde, wollte man einen U-Boot-Bunker tief in die Felsen hineinbauen. Der Beton dazu sollte aus dem gerade für diesen Zweck errichteten Zementwerk in Morro Jable geliefert werden.
„Ich muss schon sagen, das ist alles hervorragend organisiert“, war Körner beeindruckt, als er die Baustelle für die Bunker an der wilden Atlantikküste sah.
„Deutsche Gründlichkeit eben“, meinte Dr. Koch in seinem nicht zu verkennenden Berliner Dialekt.
Am folgenden Tag begannen die Wissenschaftler ihre Arbeit an dem geheimen Projekt in den Lavahöhlen der unterirdischen Forschungsstätte unter dem Chalet Cofete.
Als am Abend des dritten Tages plötzlich eine Alarm-sirene zu hören war, wollte Professor Körner nachsehen und lief nach draußen in den Gang.