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»Wenn du deine Stimme verlierst, bleiben nur deine Taten, um für die zu kämpfen, die du liebst.« Das Leben der zwanzigjährigen Serena wird auf den Kopf gestellt, als ihre Mutter ihr eröffnet, sie müsse einen fremden Mann heiraten. Geschockt lässt sie ihr Elternhaus zurück, um am Meer Zuflucht zu finden. Als eine wunderschöne Frau aus den Fluten steigt und ihr einen Handel vorschlägt, zögert sie nicht und willigt ein. Ihr Wunsch nach Freiheit wird erfüllt und kurze Zeit später erwacht Serena im Körper einer Meerjungfrau unter dem Meeresspiegel. Während der jüngste Prinz des Unterwasserreiches sie in seine Welt entführt, muss sie feststellen, dass Aramis ihre Gefühle mehr durcheinander bringt, als sie vermutet hat. Der Machtkampf, der in diesem Reich seit Langem zwischen Meermenschen und Sirenen herrscht, fordert allerdings bald Opfer und Serena gerät zwischen die Fronten. Fortan muss sie nicht nur um ihre Liebe kämpfen, sondern auch um ihr Leben. Und das einzig durch Taten, denn Serenas Herzenswunsch hatte einen hohen Preis: ihre Stimme.
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Seitenzahl: 380
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Stella Maris
K. K. Summer
Jessica Strang
Stapenhorststraße 15
33615 Bielefeld
www.tagtraeumer-verlag.de
E-Mail: [email protected]
Buchsatz: Laura Nickel
Lektorat/ Korrektorat: Pia Euteneuer
Umschlaggestaltung: Anna Hein
www.fuchsias-weltenecho.de
Bildmaterial: © Shutterstock.com
© Canstockphoto.de
Illustrationen: © Maja Köllinger und Jasmin Volkmer
ISBN: 978-3-946843-50-4
Alle Rechte vorbehalten
© Tagträumer Verlag 2019
Für Jessi.
Weil du an mich und meine Geschichten glaubst
und uns ein Zuhause gibst.
Weil du nicht nur eine wundervolle Verlegerin bist,
sondern einfach ein wundervoller Mensch.
Und, zu guter Letzt, weil du etwas Glitzerndes wolltest.
Prolog
Schwarze Wellen schlugen über mir zusammen. Die tosende See forderte ihren Tribut – nicht mehr ruhig und beschaulich, sondern wild und ungezähmt.
Alles, was ich gewollt hatte, war ein einfaches Leben. Das hätte ich an der Seite eines Edelmannes haben können. Wäre ich Mutters Wünschen gefolgt, würde es mir an nichts mangeln. Das stimmte nicht. Niemals hätte ich ihn kennengelernt, wenn ich eine folgsame Tochter gewesen wäre. Er hätte mir gefehlt … Augen, braun wie Schokolade …
Ich bekam keine Luft mehr, während das Salzwasser sich seinen Weg in meine Lunge suchte, jeglichen Sauerstoff daraus verbannte und lediglich ein Brennen in der Brust hinterließ. Hustend nahm ich einen weiteren Atemzug und noch einen.
Vergebens.
Mit jedem Versuch drohte die Lunge mehr zu zerreißen und mein Körper wurde bleischwer – wurde von einer unsichtbaren Macht nach unten gezogen. Ich besaß nicht länger die Kraft, dagegen anzukämpfen, wollte nur, dass die Schmerzen vergingen. Und trotz, dass mir die Stimmbänder den Dienst versagten, schrie ich seinen Namen hinaus. In der Hoffnung, er würde mich hören. In der törichten, dummen Hoffnung, er würde mich retten. Als sich die Schwärze am Rand meines Blickfeldes ausbreitete, war dieser Gedanke alles, was mir blieb.
Er wird … mich retten …
Kapitel 1
Serena
»Serena! Kind, wo steckst du wieder?«
Das klang nach Mutters Stimme. Ich konnte mir ihr Gesicht nur zu deutlich vorstellen. Und die Rede, die sie halten würde, konnte ich bereits auswendig aufsagen.
»Was tust du da? Es ziemt sich für eine elegante junge Dame nicht, barfuß durchs Wasser zu laufen. Sieh dir den Saum deines Kleides an! Dreckig und vollgesogen mit Meerwasser.«
Geflissentlich ignorierte ich sie.
Das Meeresrauschen beruhigte mich mehr als irgendetwas sonst auf dieser Welt. Hier durfte ich den Gedanken freien Lauf lassen und nur ich selbst sein. Keine steifen Teepartys, bei denen die eitlen Damen der gehobenen Gesellschaft beisammen saßen und sich über den neusten Klatsch und Tratsch unterhielten. Keine blasierten Männer, die dachten, sie wären der Dreh- und Angelpunkt unserer Welt und Frauen wünschten sich lediglich, unter die Haube zu kommen. Doch sie lagen falsch.
Mit meinen zwanzig Jahren hätte ich längst den Bund der Ehe schließen sollen. Allerdings hatte ich nicht vor, mich in einen goldenen Käfig stecken zu lassen, dafür liebte ich die Freiheit viel zu sehr. Den Wind zu spüren, der an meinem Haar zerrte, als wollte er mich auffordern mit ihm zu spielen. Die Möwen, welche über uns kreisten, in der Hoffnung, dass ich ein paar Brotkrumen bei mir trug.
Und dann dieser Geruch. Nie im Leben wollte ich den salzigen, frischen Duft des Meeres und das Rauschen der Wellen missen.
Meine Mutter, Elsa, sah das anders. Für sie bedeutete jeder Tag, an dem ich wieder keinen Ehegatten fand, ein Tag der Trauer. Hoffentlich würde sie die Suche irgendwann aufgeben.
»Mutter, was regt Ihr Euch so auf? Ist es nun verboten, am Strand einen Spaziergang zu machen?«, fragte ich so unschuldig wie möglich.
»Ich erwarte ein anständiges Benehmen von dir. Allein und dann ohne Schuhe und Mantel! Was sollen bloß die Leute von dir denken? Reicht es nicht, dass unsere Bekanntschaften dich als Wildfang bezeichnen? Ach, würdest du nur endlich einen Mann finden. Dein Vater und ich könnten um so vieles ruhiger schlafen.« Ein trauriger Seufzer entfuhr Mutter.
Innerlich verdrehte ich die Augen. Äußerlich setzte ich einen neutralen Gesichtsausdruck auf. »Wollt Ihr dieses Thema schon wieder ansprechen? So langsam geht mir das auf die Nerven. Muss ich unbedingt heiraten? Viele Eurer Freundinnen sind ebenso alleinstehend – wieso darf ich das nicht sein?«
Entrüstet blickte sie mich an. »Hüte deine Zunge! Redet man so mit seiner Mutter? Ich habe dich zu Respekt, Anstand und Zurückhaltung erzogen und nicht zu dieser … dieser vorlauten und respektlosen Person. Es ist eindeutig Miss Notherm. Sie hat einen schlechten Einfluss, das wusste ich von Anfang an, aber wollte dein Vater auf mich hören? Du wirst sie nicht mehr sehen.«
Schlagartig wich mir das Blut aus dem Gesicht. »Das ist nicht Euer Ernst! Melissa ist eine meiner engsten Freundinnen! Was soll das dumme Gerede mit dem schlechten Einfluss? Ist es wirklich so verwerflich, dass sie ihre Träume verfolgt, auch wenn es vielleicht nicht die ihrer Eltern sind?«
Ein hochmütiger Ausdruck breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Willst du mir sagen, dass du nichts von den … nächtlichen Aktivitäten deiner Freundin weißt? Das ist lächerlich. Dass du dich mit so einer Person abgibst …«
In unseren Kreisen kursierten Gerüchte, dass sie des Nachts wohlhabende Männer in ihr Schlafzimmer mitnahm und diese sich dann wieder aus ihrem Gemach schlichen. Davon wollte ich nichts wissen. Mehrmals hatte ich Melissa darauf angesprochen, jedes Mal mit dem gleichen Ergebnis: einem Streit. So lange, bis sie mit der Wahrheit herausgerückt war. Es handelte sich hierbei keinesfalls um mehrere Männer, die sie besuchten, o nein. Lediglich einer, dem schon seit einiger Zeit ihr Herz gehörte – Melissas Eltern war das allerdings egal. Sie zogen es vor, den Gerüchten, die grassierten, zu glauben. Auch wenn mir unverständlich war, wieso. Vor allem, weil das negative Auswirkungen auf ihre Familie hatte.
Auch sie stammte aus einer Familie der höheren Kreise, denn ihr Vater hatte ein eigenes Eisenbahnunternehmen und ein stattliches Einkommen pro Jahr. Sie wohnten außerhalb der Stadt in einer Landvilla, die ich seit unserer Kindheit unzählige Male besucht hatte.
»Ich fasse es nicht, dass du damit anfängst. Und außerdem …«
Mutter unterbrach mich mit einer Handbewegung. »Es ist nicht die Zeit, darüber zu sprechen. Du wirst diese impertinente Person nicht wiedersehen. Schluss mit der Widerrede.«
Sie packte meinen Arm und zerrte mich vom Strand weg. Selbst wenn sie nicht sonderlich kräftig aussah, hatte sie einen durchaus festen Griff.
Ein letztes Mal wandte ich den Blick dem Meer zu – meiner zweiten Heimat. Wer wusste schon, wann ich wieder die Möglichkeit bekommen würde, unbemerkt hierher zu kommen? In dem Moment, da ich Mutters Aufforderung Folge leisten wollte, fiel mir etwas auf der Meeresoberfläche auf. Was war das dort hinten bei dem Felsen? Ein Mann im Meer?
Nein, das ist unmöglich, die Strömung ist zu stark, jeder normale Mensch würde ertrinken.
Ich blinzelte schnell, um eine Täuschung der Augen auszuschließen, und tatsächlich: Es war nichts mehr zu sehen. Nur das Meer, das sich dunkel vor mir ausbreitete.
Verliere ich den Verstand? Haben die Leute mit ihren Vorurteilen doch recht?, schoss es mir durch den Kopf, während ich mich von Mutter weg vom Meer und in Richtung Stadt führen ließ.
Ich hatte nicht erwartet, dass sie sonderlich begeistert von diesem Ausflug sein würde, schließlich war es zu meinem wöchentlichen Ritual geworden, mich heimlich an den Strand zu schleichen, und ihr war es inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen, zu versuchen, mich mit allen Mitteln davon abzuhalten. Entweder bekam ich unzählige Aufgaben, die ich vor dem Abend erledigen musste, oder meine Lehrer kündigten sich ohne Vorwarnung zu Zusatzstunden an. Dennoch schaffte ich es immer wieder ihr zu entwischen, trotz ihrer Adleraugen. Ich brauchte diese Zeit, die ich nur für mich allein hatte. Die Stunden die ich am Meer verbrachte halfen mir, mein eintöniges und einengendes Leben zu ertragen. Normalerweise schickte Mutter einen Bediensteten und es wunderte mich, dass sie selbst heute den ganzen Weg von Shurlake bis zum Meer auf sich genommen hatte.
Unsere Stadt war die Hauptstadt einer kleinen Insel in der Irischen See, welche zwischen allen Teilen des vereinten Königreiches lag. Auch wenn hier viele wohlhabende Familien lebten, wurde sie in keinen Geschichtsbüchern erwähnt, da nie etwas Außergewöhnliches geschah.
Das Einzige, wofür diese Insel bekannt war, war unsere Liebe zum Meer und den Mythen, welche dieses beherbergte.
Jedes Jahr fuhren unzählige Männer zur See und hofften die geheime Unterwasserstadt Stella Maris zu finden. Diese Obsession mit Stella Maris war wohl der Grund dafür, dass ich das Meer so sehr liebte.
Von klein auf war ich in dem Glauben erzogen worden, dass unter der Wasseroberfläche eine verborgene Welt lag, die nur darauf wartete, entdeckt zu werden.
Mein Glaube an diese Geschichten war vielleicht nicht so fanatisch wie der anderer Inselbewohner, doch die Geschichten von Meermännern, schön wie der Morgen, und von Sirenen, welche die Menschen mit ihrem Gesang und ihrer übernatürlichen Schönheit verzauberten, hatten mich seit der Kindheit in ihren Bann gezogen. Angeblich streiften Meerjungfrauen auf der Suche nach ihrem Geliebten durch die Meere und verführten ab und an einen Menschenmann. Vermutlich waren die Geschichten nicht mehr als das: Geschichten, die Kinder faszinieren und dem Alltag etwas Magisches verleihen sollten. Auch mich hatte man als Kind damit eingefangen und seitdem hatten sie mich nicht mehr losgelassen. Wann immer es mir möglich gewesen war, hatte ich den Strand besucht.
Aber trotz, dass ich es so sehr liebte, war ich dem Meer und seinen Geheimnissen nie näher gewesen als heute: die nackten Füße in den Wellen und die Nase im Wind. Auch, wenn es bei Weitem nicht das erste Mal war, dass ich meine Zehen in das kühle Nass tauchte, war es mir bisher nicht möglich gewesen, vollends unter die Wellen zu tauchen. Wie auch, wenn ich vermutlich untergehen würde wie ein Stein. Schließlich musste eine Tochter aus gutem Hause nicht lernen, wie man schwamm. Das ziemte sich einfach nicht.
Ich seufzte. Als Tochter einer reichen Familie hatte ich gewisse gesellschaftliche Verpflichtungen, denen ich nachzukommen hatte, und es gehörte sich nicht, an den Strand zu gehen.
Sollen die Leute doch reden. Ich fühle mich sehr wohl in meiner Haut. Es ist vielleicht nicht konventionell oder schickt sich nicht, doch ich bin lieber ein Wildfang anstatt eines kleinenPüppchens.
Doch mit wem sollte ich darüber reden? Außer mit Melissa.
Schon im Kindesalter waren wir an den Strand geflohen und hatten Muscheln und allerlei Kleinod aus dem Meer gesammelt.
Immerzu träumten wir, eines Tages von einem starken Seemann auf seinem Schiff mitgenommen zu werden und auf der großen weiten See Abenteuer zu erleben.
Wir hatten uns vorgestellt, wie wir um die Welt segelten, fremde Kulturen und Menschen kennenlernten. Mit Treibholz vom Strand übten wir uns im Schwertkampf.
Dieser Spaß hatte bald ein Ende, weil unsere Eltern Wind davon bekamen.
»Was macht ihr Kinder da? Legt sofort die Stöcke weg! Himmelherrgott, ihr seid Mädchen und dazu bestimmt, einen Herrn von gutem Stand zu heiraten. Ihr solltet nicht solchen Spinnereien hinterherjagen.«
Ich hörte Mutters Stimme laut und deutlich in der Erinnerung.
Diese Zeit war lange vorüber und viele Dinge hatten sich geändert.
Melissa befand sich ebenso im heiratsfähigen Alter und hatte eine Vielzahl von Bewerbern vorzuweisen. Ihr hatte es nur Mister Bedham angetan, ein schmucker junger Mann, welcher der Erbe eines Bankiers sein würde, sobald sein Vater das Zeitliche segnete. Er hatte braunes, schulterlanges Haar, stahlgraue Augen und Grübchen, die das Herz der meisten Frauen zum Schmelzen brachten.
Melissas Eltern waren sich nicht sicher, ob ein Bankier die richtige Wahl für ihre Tochter darstellte. Zwar stammte er aus gutem Hause und war hervorragend erzogen, allerdings wollten sie sich alle Chancen offenlassen, sollte ein Lord daherkommen und ihr den Hof machen.
Melissa trieb dies in den Wahnsinn.
»Ich kann es nicht erwarten, mit ihm verheiratet zu sein und eine Familie zu gründen. Inzwischen bin ich achtzehn und ich will meinen Eltern nicht noch länger auf der Tasche liegen als ohnehin schon«, erzählte sie mir stets.
Bisher hatte ich sie davon abgehalten, mit Mister Bedham durchzubrennen, doch wer wusste, wie lange noch.
Jäh wurde ich in die Gegenwart gerissen, da Mutter urplötzlich stehenblieb und ich direkt in sie hineinlief.
Sie zerrte mich in eine Kutsche, welche am Wegesrand bereitstand.
Kaum dass ich auf dem weichen Polster platzgenommen hatte, fuhr das Gefährt schon an. Ich konnte nicht fassen, dass Mutter so grob wurde, immerhin war sie eine Lady.
Auf einmal verstand ich, warum sie „die Vogellady“ genannt wurde, denn ihrem messerscharfen Blick und wachen Verstand entging nichts.
Was sollte das ganze Theater? Es war schließlich nicht mein erster Ausflug ans Meer. Bevor Mutter erneut das Wort an mich richtete, strich sie eine silberne Strähne zurück und steckte sie geschickt in das sonst schwarze Haar. Schließlich sollte niemand wissen, dass sie, trotz ihres gepflegten Aussehens, nicht mehr die Jüngste war.
»Serena, du weißt, dass dein Vater und ich enttäuscht von deinem Verhalten sind. Schon immer warst du dickköpfig und halsstarrig, nicht die wohlerzogene junge Dame, die du sein könntest. Stets habe ich die Schuld bei den Ammen und Erzieherinnen gesucht, doch ich denke, mich trifft ebenso ein Teil der Schuld. Ich habe dich wohl nicht genug in die Gesellschaft eingeführt, sonst würdest du dich nicht so benehmen.«
Entgeistert starrte ich sie an. »Mich nicht oft genug mitgenommen? Ich bin jeden Tag bei einem arrangierten Tee gewesen oder zur Nähstunde bei einer Eurer Freundinnen oder auf einem Spaziergang mit einem Herren. Was soll ich noch tun? Habt Ihr Euch überlegt, was Ihr da sagt? Und Bälle und Tanzveranstaltungen habe ich oft genug besucht, obwohl ich keinerlei Interesse daran hatte. Euch zuliebe«, sprudelte es aus mir heraus.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, alles wie eine Lady stumm zu ertragen, aber ich musste meiner Wut Gehör verschaffen. Mutter schien entsetzt über diesen Ausbruch. Zwar war ich nie die Tochter gewesen, die sie sich gewünscht hatte, dennoch hatte ich ihrer Meinung nach eine gute Erziehung genossen. Nicht, dass es mich je davon abgehalten hatte, meine Meinung zu sagen.
»Solche Worte möchte ich nie wieder hören, junge Dame. Haben wir uns da verstanden? Ich habe dich anscheinend mehr verwahrlosen lassen, als ich es mir eingestehen wollte. Nur deshalb bist du nicht verheiratet und ich sehe ein, dass nun Taten sprechen müssen. In den nächsten Tagen wirst du das Haus nicht mehr verlassen! Mache dir stattdessen über deine Taten Gedanken und versuche dich wie eine ordentliche Frau deines Alters zu benehmen. Wir können froh sein, wenn Vater nichts von dem Ausflug erfährt, sonst wäre er fuchsteufelswild. Bald wird er aus England zurück sein und ich erwarte, dass du bis dahin gelernt hast, dich zu benehmen.«
Sie atmete tief durch und mir schwante Übles.
»Außerdem schrieb er mir in dem Brief, der vor zwei Tagen bei mir eintraf, dass er einen geeigneten Kandidaten für dich gefunden habe. Einer seiner Geschäftspartner. Er ist Mitte dreißig und ein wahrer englischer Lord, der im Dienste der Krone steht.«
Das ist nicht ihr Ernst! Mich an einen fremden Mann zu verschachern, der fast doppelt so alt ist wie ich! Das … das ist unerhört!
Ich hatte immer vermutet, dass meine Eltern mich irgendwann zu einer Heirat zwingen würden. Doch ich hatte mich an die Hoffnung geklammert, ein kleines Wörtchen mitreden zu dürfen.
»Mir ist klar, dass du darüber nicht erfreut bist, aber ich erwarte von dir, dich unseren Entscheidungen zu beugen und es wie eine Lady zu ertragen.« Wieder seufzte sie schwer und blickte aus dem Kutschenfenster. »In den nächsten drei Tagen sollte dein Vater mit diesem Lord Ragby bei uns eintreffen. Du wirst ihn kennenlernen und mit ihm vermählt werden. Nun schau mich nicht so an, Kind. Ich weiß, es ist nicht leicht, doch wir alle haben dieses Los zu tragen, wir sind Frauen. Und bei einem Lord wirst du ein gutes Leben haben. Es wird dir an nichts fehlen.«
Sie versuchte, meine Hände in ihre zu schließen, aber ich entzog sie ihr.
Ich wollte kein Mitleid von ihr. Sie würde es keine Sekunde lang bedauern, ihre missratene Tochter unter der Haube zu wissen. So schwiegen wir den Rest der Reise und jede von uns hing ihren eigenen Gedanken nach.
An unserem Anwesen angekommen, stiegen wir aus der Kutsche und gingen ins Haus. Es war ein recht ansehnliches Anwesen, doch in den Augen meiner Mutter sollte es durchaus größer sein.
Sie wurde nicht müde die Geschichte zu erzählen, dass dieses Haus vor über hundert Jahren von ihrem Urahnen erbaut worden war, als unsere Familie noch aus Handwerkern und Schatzsuchern bestanden hatte.
Durch diese Bauwerke kam die Seite meiner Mutter zu viel Geld. Vaters Vorfahren waren an den verborgenen Schätzen des Meeres interessiert gewesen. Durch einen glücklichen Zufall hatten sie einen Schatz gefunden und schon folgte die Berühmtheit.
Deshalb war Vater überall dort unterwegs, wo jemand behauptete, mehr über die Geheimnisse des Meeres zu wissen. Allerdings hatte er mich stets mit den Worten »Das ist nichts für Frauen« abgewimmelt und nicht weitergesprochen, selbst wenn ich mir genau das gewünscht hätte.
Ohne auf Mutter zu achten, begab ich mich in mein Zimmer, setzte den Hut ab und öffnete mir das Haar. In diesem Moment fiel mir erst auf, wie lang es geworden war. Die schwarzblauen Wellen reichten mir inzwischen bis zur Brust, obwohl Mutter mir schon öfter nahegelegt hatte, es kürzen zu lassen. Sofort ließ das Ziehen der Kopfhaut nach und ich entspannte mich.
Nun muss ich nur dieses Kleid loswerden, dann kann ich mich mit einem Buch auf den Fenstersims zurückziehen.
Ich rief augenblicklich nach Josefine. Das Hausmädchen war eine etwas rundliche Frau mit rosigen Wangen und sonnigem Gemüt. Sie besaß dänische Wurzeln und ich fand es spannend, mehr über ein Land zu erfahren, das ich niemals besucht hatte. Einer der Gründe, wieso ich sie so gerne um mich hatte. Außerdem war sie mir mit der Zeit eine gute Freundin geworden, fast ebenso gut wie Melissa.
»Was bedrückt Euch, Miss Serena? Schon lange habe ich Euch nicht so melancholisch gesehen.«
Vor ihr kann ich nichts verbergen.
Mit einem Seufzer begann ich ihr von den Geschehnissen zu berichten.
»Und in ein paar Tagen wird dieser Lord Ragby mit Vater eintreffen. Ich werde ihn kennenlernen und ihn dann zu gegebener Zeit heiraten. Sie überlassen mich dem Höchstbietenden, Josefine! Nicht einmal ein Mitspracherecht bekomme ich.«
Tränen bahnten sich einen Weg über mein Gesicht und Schluchzer ließen die Worte unverständlich werden. Es war mir unangenehm, einen solchen Gefühlsausbruch vor anderen Menschen zu haben, doch Josefine würde es nicht gegen mich verwenden.
»So beruhigt Euch, Miss Serena. Der Lord Ragby ist bestimmt ein ehrenhafter Mann, der Euch gut behandeln wird. Vielleicht werdet Ihr ihn eines Tages sogar lieben lernen. Glaubt mir, vielen Damen geht es so, dass sie erst mit der Zeit die Qualitäten ihres Gatten sehen.«
Sie strich mir über den Rücken. Dadurch ging es mir tatsächlich etwas besser.
Immerhin tröstet sie mich, obwohl sie mich nicht versteht. Sie hat einen Mann geheiratet, den sie liebt und den sie sich ausgesucht hat. Außerdem wäre es für sie nichts Schlechtes, wenn ein Lord um ihre Hand angehalten hätte.
»Danke, dass du mir eine Freundin und Vertraute bist, Josefine. Was soll ich in England ohne dich tun? Ich bin nie in England gewesen und dann ganz allein …«
Bei diesem Gedanken bildete sich wieder ein Kloß im Hals und mir traten erneut die Tränen in die Augen.
»Es wäre am besten, Ihr würdet Euch ausruhen, Miss Serena. Legt Euch schlafen, heute Abend sieht die Welt anders aus.« Sie hat recht, ich könnte etwas Ruhe vertragen. Mutter würde es nicht gutheißen, sollte ich mit verquollenen und roten Augen zum Abendessen erscheinen.
Josefine reichte mir ein Nachtkleid und ich schlüpfte hinein. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie die Schnürung des Kleides gelöst hatte, sodass ich freier atmete.
Ich legte mich ins Bett und Josefine zog eine leichte Baumwolldecke über mich, die mir zeitgleich Schutz und Wärme bot.
»Schlaft gut, Miss Serena«, sagte sie und schloss hinter sich die Tür.
»Danke …«, murmelte ich. Sobald mein Kopf das Kissen berührt hatte, war ich hinübergeglitten ins Reich der Träume.
Kapitel 2
Aramis
Eine ganze Weile hatte ich mich im seichteren Gewässer hinter einem Felsenriff versteckt gehalten und beobachtete den Strand.
Die Wesen, die dort auf zwei Beinen durch die Gegend liefen, übten eine Faszination auf mich aus und hinter dem Felsen konnte ich sie ungestört ansehen.
Die junge Frau, die barfuß im flachen Meerwasser stand, hatte ich schon mehr als einmal bemerkt und sie zog meinen Blick jedes Mal wie magisch an.
Von ihrem Körper erkannte man nicht sonderlich viel. Mehrere Lagen purpurnen Stoffs bedeckten ihre Brust, schmiegten sich an ihre Taille und flossen in schimmernden Kaskaden bis hinunter zu den Knöcheln. Die Arme waren versteckt und ihre Hände schimmerten so hell wie das Perlmutt einer Perle.
Die Haare glänzten in der leichten Nachmittagssonne mehr blau als schwarz und waren zu einem Nest gebunden, nur ein paar vorwitzige Strähnen entwischtem diesem nach hinten gezogenen Gebilde und umrahmten das schmale Gesicht.
Sie ist wirklich wunderschön.
Wieso blickt sie so traurig drein?
In mir regte sich ein seltsames Gefühl. Am liebsten hätte ich sie in die Arme geschlossen und den melancholischen Ausdruck vertrieben.
Ich schüttelte den Kopf. Wieso empfand ich so? Noch dazu für ein Wesen, das so anders war als alles, was ich kannte? Und trotzdem rührte sich etwas in mir – etwas Unbekanntes.
Die junge Frau wandte mir gerade den Rücken zu, als eine weitere Menschenfrau auf sie zukam. Ihrem Alter nach zu urteilen vermutlich die Mutter. Diese schien allerdings bei Weitem nicht so liebenswürdig wie die Schönheit.
Was sie wohl bereden?
Es sah nach einem Streit aus, denn die Mundwinkel beider Frauen zogen sich nach unten und die Wortfetzen, die der Wind zu mir herübertrug, zeugten von keiner freundlichen Unterhaltung.
Nach einem kurzen Streit zerrte die Ältere ihre Tochter am Arm hinter sich her.
Diese drehte sich ein letztes Mal zum Meer um und bei ihrem wehmütigen Gesichtsausdruck wurde mir das Herz schwer.
Plötzlich weiteten sich ihre Augen überrascht. Mit einem kräftigen Flossenschlag tauchte ich unter und das Herz pochte mir wie wild in der Brust. Hatte sie mich entdeckt? Eigentlich war ich viel zu schnell, sodass Menschen mich niemals sahen. Und trotzdem … in der einen Sekunde, da sich unsere Blicke getroffen hatten, hatte ich einen Moment geglaubt, etwas zu spüren, das ich zuvor noch nie so erlebt hatte.
Die Aufmerksamkeit der Meermädchen in Stella Maris, meiner Heimatstadt, war mir schon immer zuteilgeworden. Zwar stand ich als jüngster von vier Brüdern am Ende der Thronfolge und würde vermutlich niemals König werden, trotzdem war ich als Prinz natürlich eine gute Partie. Irgendwann musste ich mir eine Frau nehmen, schließlich war ich schon zwanzig und unverheiratet.
Dies wurde von einem Thronfolger des Königreichs Aquaris erwartet. Sonderlich große Lust hatte ich darauf nicht.
Die Oberflächlichkeit und immer gleichen geistlosen Gespräche stießen mich ab.
Die meisten Meermädchen warenhübsch anzusehen mit ihren Haaren in verschiedensten Blau-, Grün- oder Rottönen und die Flossen glitzerten in allen erdenklichen Farben.
Sie schienen einzig und allein auf die Position der Prinzessin von Aquaris aus.
Ich seufzte.
So würde das niemals etwas werden, trotzdem bestand Vater darauf, dass ich bald eine auswählte.
»Oh, verdammter Heilbutt! Das Fest!«
Schnell tauchte ich tiefer und schwamm in Richtung Osten davon, weg von der Küste und weg von den Menschen – Stella Maris entgegen.
Zwischen dem Festland und unserem Reich Aquaris lagen einige Seemeilen, um zu verhindern, dass die Menschen uns fanden. Zwar war die Stadt auf dem Meeresgrund errichtet worden, doch Späher berichteten immer wieder, dass man sich an Land von einer versunkenen Stadt erzählte, welche wohl alle Arten von Gold, Silber und anderen Juwelen beherbergen sollte.
Es war der größte Traum vieler Menschen, einen solchen Schatz zu finden und damit unermessliche Reichtümer zu erlangen.
Ich schnaubte ob dieser seltsamen Kreaturen.
Auch, wenn das Meer einige Seemeilen außerhalb der Stadttore nicht so bunt war wie innerhalb, liebte ich die Ruhe, die mich hier draußen überkam. Endlich war ich mit meinen Gedanken allein und konnte den kleinen Fischschwärmen dabei zusehen, wie sie nach Nahrung suchten. Einige von ihnen trauten sich in meine Nähe und manchmal verfingen sie sich in meinen Haaren und ich musste sie daraus befreien.
Manchmal wünschte ich mir ein ebenso einfaches Leben – fernab von all dem Trubel, der immerzu um die königliche Familie herum herrschte. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass es durchaus Dinge gab, für die es sich lohnte. Die weichen Muschelbetten, das leckere Essen und die Wettrennen mit den Seepferden. Stella Maris war der Mittelpunkt unseres Königreiches und obwohl ich ab und an nur zu gerne verschwinden würde, wollte ich es insgeheim nicht missen – schließlich war es mein Zuhause.
Bei der Erinnerung daran wurde mir warm ums Herz und ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, während ich mich mit starken, schnellen Flossenschlägen Stella Maris näherte.
Gleich sollten die Türme des Palastes in Sicht kommen. Ich atmete erleichtert aus.
Vielleicht würde Vater keinen Wutanfall bekommen, wenn ich ein paar Minuten zu spät zum Fest kam.
»Mein Prinz«, grüßten mich die beiden Wachen, die vor den Stadttoren Wache hielten. Jeder von ihnen saß auf einem grell-orangenen Seepferd, das übermütig auf und ab schwamm. Vermutlich langweilten sich nicht nur die Männer, sondern auch die Tiere, wenn nichts geschah. Allerdings war das natürlich der optimale Zustand – einen Angriff hieß sicher niemand gut.
»Ich grüße euch. Ist alles in Ordnung? Gibt es irgendwelche Auffälligkeiten?« Es war eine Routinefrage, doch ich wollte auf Nummer sicher gehen.
Die rechte Wache, ein hagerer Meermann mit leicht ergrautem Ansatz, schüttelte den Kopf. »Nein, Eure Hoheit. Alles ist ruhig und auch von den Sirenen haben wir heute Abend noch nichts gehört. Wie Ihr sicher wisst, ist es ihnen erlaubt, die Festivitäten zu besuchen, doch mehr als eine Handvoll konnten wir nicht ausfindig machen.«
Ich nickte, während mein Blick zum Palast glitt, der bereits hell erleuchtet über der Stadt thronte.
Ein vorsichtiges Stupsen an meiner Flosse lenkte meine Aufmerksamkeit nach unten. Einer der beiden Oktopusse, die als Wachtiere fungierten, hatte begonnen, mit meiner Flosse zu spielen. Die Saugnäpfe kitzelten auf meinen Schuppen und ich versuchte, allerdings ohne nennenswerten Erfolg, seinen kitzelnden Freundschaftsbekundungen zu entkommen.
»Lässt du das wohl sein«, schimpfte der linke Soldat. »Entschuldigt bitte, Newo ist heute besonders aufgeregt, nachdem er das hier gefunden hat.« Er hielt mir einen silberglänzenden Gegenstand entgegen, der am unteren Ende rund zulief und am oberen Ende drei Zinken hatte – beinahe wie ein Dreizack, doch um einiges kleiner.
»Was ist das?«, wollte ich wissen. Keiner der beiden hatte eine Antwort darauf parat.
»Das gilt es noch herauszufinden. Prinz Damaris vermutet, dass es eine Miniaturwaffe für die kleinen Menschen ist, aber es sieht so harmlos aus, findet Ihr nicht? Der Aufklärungstrupp sollte jeden Moment zurückkehren, vielleicht wissen wir dann mehr. Vielleicht wärt Ihr so freundlich, dies dem König auszurichten, wenn Ihr ihn seht?«
Ich nickte, da die beiden sonst keine Pause machen konnten, bis sie die Nachricht überbracht hatten. Und zu sagen, dass es schier unmöglich war, selbst ein kurzes Gespräch mit meinem Vater zu führen, wäre wohl eine Untertreibung.
»Das werde ich tun. Ich verabschiede mich nun von euch – ich wünsche euch einen angenehmen Abend!«
Die Wachen verbeugten sich simultan. »Wir wünschen Euch viel Spaß auf der Feier anlässlich Eures Geburtstages, Eure Hoheit.«
Noch bevor der Satz vollends ihre Münder verlassen hatte, war ich schon aufgebrochen und schwamm auf den Palast zu.
»Wo steckt er schon wieder? Seinen eigenen Geburtstag wird er wohl nicht vergessen haben.«
Die Stimme meines Vaters hallte mir bereits entgegen, während ich durch die muschelverzierten Torbögen des Palastes schwamm.
Na das kann ja heiter werden. Wie es scheint, stört es ihn, wenn ich nur ein kleines bisschen zu spät komme.
Eigentlich war es mir egal. Schließlich dauerten die Feste, die zu unseren Ehren gefeiert wurden, mehrere Tage. Nicht, dass ich auch nur einen der Gäste vermissen würde, wenn ich fortblieb.
Noch immer ging mir die schwarzhaarige Menschenfrau nicht aus dem Kopf.
Die Stimme meines Vaters riss mich wieder aus den Gedanken.
»Was denkt sich der Junge eigentlich? Wann wird er lernen Verantwortung zu übernehmen?«, donnerte er.
Endlich kam ich vor den Flügeltüren des Thronsaales an. Eine Standpauke würde sich nicht vermeiden lassen, obwohl heute mein Geburtstag war. Ich seufzte tief und öffnete die Türen. Sobald ich den Saal betrat, richteten sich alle Augen auf mich. Der gesamte Hofstaat, meine Brüder und viele der Adeligen schienen anwesend zu sein.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich nicht einmal umgezogen hatte.
Vielleicht hätte ich das tun sollen, denn es war mir unangenehm, wenn alle mich derart mit Blicken maßen.
»Aramis. Da bist du ja. Wir haben auf dich gewartet. Schön, dass du dich dazu herablässt, auf der Feier anlässlich deines Geburtstages zu erscheinen.«
Der Vorwurf schwang deutlich in Vaters Stimme mit und in seinem Gesicht spiegelten sich Enttäuschung und Wut.
»Es tut mir leid. Ich habe die Zeit vergessen«, antwortete ich fest. »Außerdem habe ich eine Nachricht von den Wachen vor dem Tor für dich. Sie sagen, dass nichts Auffälliges vorgefallen ist, und der Aufklärungstrupp sollte auch sogleich eintreffen.«
Ich darf mir nicht anmerken lassen, dass ich erneut die Menschen beobachtet habe. Schon zweimal nicht, dass ich eine von ihnen äußerst anziehend finde.
Zwar gab es keine Feindschaft zwischen den Menschen und den Meermenschen, doch alle Informationen, die wir über die Menschen gesammelt hatten, deuteten darauf hin, dass sie nur zu gerne Krieg führten und anderen Wesen feindlich gegenüber standen. Deshalb hatte mein Vater befohlen, den Kontakt mit ihnen zu meiden.
»Kannst du mir erklären, wie man seinen eigenen Geburtstag vergisst? Was ist wichtiger als deine höfischen Verpflichtungen? Wie oft habe ich dir eingebläut, dass du dich wie ein Prinz und nicht wie ein dahergeschwommener Hering verhalten sollst! Bei Nayla, du wirst eines Tages vielleicht König von Aquaris sein – darauf solltest du dich langsam vorbereiten!« Seine Stimme donnerte durch den Saal, sodass sich einige der Gäste duckten. Eigentlich war er ein gerechter und ausgeglichener Herrscher und das ganze Volk liebte ihn. Allerdings wurde er ungemütlich, sollte man seine Befehle und Anordnungen missachten.
Vor allem wenn man sein Sohn ist und sich nicht an die Spielregeln des Hofes hält und lieber auf Erkundungstouren geht, anstatt sich mit höfischer Etikette und der Brautschau zu befassen, dachte ich.
»Wie kann ich das den Eltern und Töchtern erzählen, die aus dem ganzen Reich hierherkommen, um dich kennenzulernen?«
Er hat immer noch nicht genug geschrien.
Doch statt weitere Provokationen folgen zu lassen, beugte ich den Kopf und murmelte: »Entschuldigung, Majestät.«
Er setzte sich zurück auf seinen Thron aus Muscheln und seufzte. »Was soll nur mal aus dir werden …« Dann erhob er die Stimme. »Mein Sohn, Aramis, ist endlich auf der Feier anlässlich seines Geburtstages eingetroffen. Lasset das Fest beginnen und feiert und tanzt, solange ihr wollt! Heute Abend soll jeder auf seine Kosten kommen.«
Sofort sammelten sich die Musiker auf einem Podest, hoch über den anderen Gästen, und stimmte ein schnelleres Stück an. Das Orchester bestand aus Meermännern, Fischen und Krabben. Ich verließ die Tanzfläche, denn ich würde ohnehin rasch von einer Meermenschentraube umgeben sein. Eigentlich wollte ich nur Anemonentorte essen und meine Ruhe haben.
Und tatsächlich: Gerade hatte ich mir ein großes Stück meiner liebsten Torte abgeschnitten und ein Glas Muschelwein eingeschenkt, da hörte ich ein zartes Stimmchen hinter mir: »Prinz Aramis, würdet Ihr mir eine Minute Eurer Zeit schenken?«
Ich drehte mich um. Die Stimme gehörte einer Sirene, das stand außer Frage. Die Sirene blickte mich aus dunklen Augen mit dichten Wimpern an.
Sie versucht, mich zu ihren Gunsten zu beeinflussen, das werde ich allerdings nicht mit mir machen lassen!
Allein durch die Stimmlage beeinflussten sie Emotionen, was viele von ihnen als Sängerinnen nutzten. Wenn sie bei Feiern aufgetreten waren, war das Publikum begeistert gewesen. Allerdings waren diese seit einigen Jahren verboten und die Sirenen lediglich zu offiziellen Anlässen im Palast geduldet. Als Zeichen der Freundschaft, sozusagen.
Diese Methoden waren mir schon immer zuwider gewesen. Ich hielt nicht besonders viel von Manipulation, sondern von Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. »Verzeiht, ich kenne Euch nicht, Miss …?«
»Miranda, Eure Hoheit. Ich komme aus Teyloa. Dort bin ich als Magierin der Sirenen bekannt.«
Miranda verbeugte sich, wobei sie sich so tief vornüberbeugte, dass ich gut in ihren üppigen Ausschnitt sehen konnte.
Demonstrativ wandte ich den Blick ab. »Schön, Euch kennenzulernen. Von Eurer Stadt habe ich bereits gehört. Wurden dort nicht vor Kurzem erst einige Sirenen festgenommen, die schwarze Magie praktizierten, um damit die Menschen anzugreifen?«, stichelte ich.
Ihre Aura ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen.
Sobald ich die Festnahmen in ihrer Stadt erwähnte, verzog sich ihr Mund zu einem Strich und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Allerdings fing sie sich schnell wieder.
»Ja, Eure Hoheit haben recht, dass viele meiner Brüder und Schwestern den Menschen gegenüber nicht sonderlich aufgeschlossen sind. Ich habe mich dem Frieden zwischen unseren beiden Reichen verschrieben. Wir müssen schließlich zusammenarbeiten, um in Zukunft weiter zu bestehen.«
Sie klimperte mit den Wimpern und schenkte mir ein aufreizendes Lächeln.
Ich musste mich anstrengen, höflich zu bleiben.
»Es tut mir leid, liebste Miranda, aber dort hinten verlangt jemand nach mir. Zu gerne hätte ich unser Gespräch fortgesetzt, Ihr versteht das sicher. Bitte entschuldigt mich.« Selbst in meinen Ohren klang die Entschuldigung lahm. Allerdings legte ich keinen Wert auf ihre Gesellschaft oder auf die Gesellschaft von sonst irgendjemandem in diesem Raum.
Kaum hatte ich die Tanzfläche erreicht, spürte ich eine schwere Hand auf der Schulter.
»Wohin willst du so eilig, kleiner Bruder?«
»Damaris«, stöhnte ich.
Natürlich musste sich mein ältester Bruder einmischen. Er hatte nie verstanden, wieso ich meinen Pflichten nicht gebührend nachkam.
»Wer war die Kleine gerade eben und wieso hast du sie stehen lassen? Sie schaut dir noch immer hinterher, als hättest du ihr eine Schuppe ausgerissen.«
Damaris ist vielleicht ein begnadeter Kämpfer und beliebt bei den Frauen, doch für Taktisches oder Dinge, die etwas mehr Fingerspitzengefühl erfordern, ist er genauso geeignet wie eine Seegurke.
»Nun, diese ›Kleine‹, wie du sie nennst, ist eine Sirene aus eben jener Stadt, in der so viele Sirenen der schwarzen Magie angeklagt und festgenommen wurden. Ich denke, sie wollte ihre Stellung bei der Krone verbessern. Ich glaube kaum, dass man ihr vertrauen sollte«, gab ich kühl zurück.
Damaris lachte. »Sei nicht immer so verbohrt und hab ein bisschen Spaß, das würde dir guttun! Außerdem hättest du dann endlich eine Braut an deiner Seite und müsstest nicht Vaters ewige Verkupplungsversuche ertragen.«
Ich rollte mit den Augen.
»Dass du mir etwas von Ehe und Verantwortung erzählen möchtest, ist ja wohl ein schlechter Scherz.Du, der für nichts und niemanden Verantwortung übernimmt, nicht einmal für dich selbst. Also lass mich in Ruhe.«
»Oho, du kannst ja anders«, höhnte er.
»Ich muss mir das nicht länger anhören, ich verschwinde«, murmelte ich. Zügig schwamm ich durch eine der Türen, die hinaus in den Palastgarten führten. Als ich das Ende des Gartens erreicht hatte, machte ich nicht halt, sondern schwamm weiter in die dunkel werdende See hinaus.
Kapitel 3
Serena
Als ich erwachte, legte sich die Dunkelheit über die Welt und Regen prasselte gegen die Fenster. Ich konnte den Traum, den ich gehabt hatte, nicht abschütteln. Wie so oft war ich am Strand gewesen. Plötzlich hatte mich eine riesige Welle erfasst und hinaus ins offene Meer gezogen. Gegen diese Strömung war ich machtlos. Da mich die Wellen immer weiter hinunter drückten, bekam ich keine Luft. Das Letzte, an das ich mich erinnerte, waren ein Paar schokoladenbraune Iriden, die mich besorgt musterten.
Was dieser seltsame Traum wohl zu bedeuten hat?, fragte ich mich, während ich die Beine über den Bettrand schwang und den Körper streckte. Kaum eine Sekunde später klopfte es an Tür.
»Ja?«
»Oh, Miss Serena, Ihr seid ja auf! Ich wollte Euch gerade wecken. Eure Frau Mutter lässt ausrichten, dass Ihr in zehn Minuten fertig sein sollt für das Abendessen. Außerdem sagte sie, dass sie eine Überraschung habe, die Euch erheitern würde.«
Jetzt wurde ich hellhörig. »Was für eine Überraschung?«
Josefine lachte. »Neugierig, wie eh und je. Kommt und lasst mich helfen Euch anzuziehen, dann wissen wir es bald beide.«
Also lief ich zu ihr und stellte mich vor den Ganzkörperspiegel. Um es Josefine leichter zu machen, hob ich die Arme in die Luft, sodass sie mir das Kleid nur überziehen musste. Ich fühlte mich sofort schwerer, da die ganzen Stoffbahnen um einiges mehr wogen als ein Schlafgewand.
»Haltet bitte still, ich muss das Kleid schnüren. Bei Eurem Gezappel wird das schlecht gehen.«
»Entschuldige«, murmelte ich und blieb regungslos vor dem Spiegel stehen.
»Einatmen, Miss, das wisst Ihr.«
Ich seufzte. »Wie ich Korsetts hasse. Wie soll man sich darin frei bewegen? Ich bekomme ja kaum genug Luft zum Atmen.«
Es war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass ich mich mit Mutter oder Josefine darüber stritt, ob das Korsett wirklich angelegt werden musste.
»Es ist nun einmal die neuste Mode und außerdem macht es Eure Taille schlank und betont Eure Brüste. Die Herren mögen es. Wie heißt es? Wer schön sein will, muss leiden?« Wie immer gab Josefine mir die gleiche Antwort, die mir jedoch nicht gefiel.
Ein paar Minuten später stand ich, fertig eingeschnürt, in meiner Kammer und zog die passenden Schuhe an.
»Nun fehlt nur die Frisur, Miss.«
Ungeduldig winkte ich ab. Wie schlimm konnten meine Haare schon aussehen?
»Miss Serena, ich muss protestieren, was ist, wenn unangemeldeter Besuch vorbeischaut? Oder …«
»Wann ist bei uns jemals ein unangemeldeter Gast erschienen? Selbst wenn, es ist ja nicht so, als ob ein junger Mann vorbeikommen würde, um mir den Hof zu machen.«
Es sollte ein Scherz sein, doch Josefine blickte betreten zu Boden und knetete den Saum ihrer weißen Schürze.
Bestürzt sah ich sie an. »Nein! Das darf nicht wahr sein. Das ist die Überraschung, welche mich aufmuntern soll?«
»Ich habe eigentlich versprochen Euch nichts zu verraten, doch Ihr habt es erraten: Es ist Lord Ragby. Euer Vater und er sind einige Tage früher zurück und sie werden mit Euch und der gnädigen Frau speisen. Deshalb … bitte, lasst mich Euch das Haar hochstecken.«
Noch immer war es mir unbegreiflich. Wie konnte Mutter nur denken, dass ich mich auf diesen Kerl freute? Josefine trug allerdings keine Schuld und so ergab ich mich dem Schicksal.
»Fein. Aber nichts zu Aufwendiges. Der Lord soll nicht glauben, dass ich mich extra für ihn herausputze.«
»Ja, Miss Serena.«
Zehn Minuten später machte ich mich auf den Weg in unseren Speisesaal, welcher sich im Erdgeschoss befand. Als ich vor den Flügeltüren stand, hörte ich, dass sich drinnen mehrere Leute angeregt unterhielten.
Wahrscheinlich über die bevorstehende Hochzeit. Es gibt bestimmt einiges zu besprechen und alle sind ganz aus dem Häuschen, dass es nun eine Heirat geben wird. Anscheinend hat ja niemand mehr daran geglaubt.
Der Saaldiener öffnete mir eine der Türen und kündigte mich mit seiner nasalen Stimme an: »Miss Serena Hawethorne.« Alle Köpfe drehten sich zu mir um und ich wurde augenblicklich rot wie eine Tomate.
Zum einen beäugte Mutter mich kritisch und suchte nach einem Fehler. Offensichtlich war mein Auftritt jedoch nicht vollkommen misslungen. Dann sah ich zu Vater, der mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht auf mich zukam.
»Tochter.«
Er schloss mich in seine Arme und sofort fühlte ich mich geborgen.
»Guten Tag, Vater. Es ist wirklich schön, Euch gesund wiederzusehen.«
Ich lächelte ihn ehrlich an. Er befand sich vielleicht nicht oft auf unserem Anwesen und als Tochter wurde mir nie seine komplette Aufmerksamkeit zuteil, doch wenn er Zeit für mich gehabt hatte, waren es die schönsten Stunden meiner Kindheit gewesen. Immerzu hatte er mir vorgelesen, meist Märchen mit Meerjungfrauen oder andere Sagen. Zu meinen liebsten gehörte „Die kleine Meerjungfrau“ von Hans Christian Andersen. Josefine besaß eine Ausgabe der Geschichten, allerdings nur in ihrer Muttersprache, dänisch. Als sie mitbekommen hatte, dass meinem Vater die Geschichten ausgingen, hatte sie sich die Mühe gemacht, mir „Die kleine Meerjungfrau“ ins Englische zu übersetzen, und ich hatte sie dafür umso mehr geliebt.
»Serena, darf ich dir jemanden vorstellen? Einen hochgeschätzten Kollegen von mir und noch dazu ein Lord seiner Majestät, der Queen von England. Robin Herman Ragby.«
Der Mann, welcher zur Rechten meiner Mutter gesessen hatte, erhob sich und kam auf uns zu.
Immerhin sieht er nicht ganz so alt aus, wie ich befürchtet hatte. Er hat keine unansehnliche Statur, sondern scheint recht muskulös, schoss es mir durch den Kopf.
Seine Haare waren von einem fahlen Blond und zu einem straffen Zopf nach hinten gebunden. Sein Gesicht war eher grob geschnitten und kantig und er blickte mich aus Habichtaugen an.
»Mylady Hawethorne.« Er verneigte sich vor mir, nahm meine Hand und hauchte einen Kuss darauf. »Darf ich Euch zum Essen begleiten?«
Da ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich. Er legte meine Hand auf seinen Arm und geleitete mich zu einem Platz ihm gegenüber. Ich dankte ihm und beobachtete, wie er sich auf der anderen Seite niederließ.
Er ist gar nicht so unangenehm, wie ich ihn mir ausgemalt hatte. Vielleicht ist das alles nur Schau. Allerdings sollte ich wenigstens so tun, als würde ich ihm eine Chance geben. Immerhin hat er einen weiten Weg hinter sich.
Mutter blickte mich flehentlich an. Fürchtete sie, dass ich ihn sofort vergraulen würde?
»Lord Ragby, hattet Ihr eine angenehme Reise von England auf unsere schöne Insel?«, fragte ich mit einem gewinnenden Lächeln.
Ich hatte nicht vor, ihn zu umgarnen, doch ich wollte den Schein vor meinen Eltern wahren.
»Sie war äußerst angenehm. Tatsächlich ist Euer Vater ein Genie auf dem Gebiet der Sagen und Märchen von Stella Maris und ebenso mit vielen anderen Geschichten über das Meervolk kennt er sich bestens aus. So wurde es uns keinesfalls langweilig und er hat mir versprochen, mir ein paar seiner Schätze zu zeigen.«
Plötzlich lachte er auf. »Was plaudere ich über die Arbeit, ich bin mir sicher, dass es die Damen langweilt, zu hören, was wir Herren den ganzen Tag lang zu tun haben.«
Damit wandte er sich Mutter und belangloseren Themen wie unserer Dienerschaft und den gesellschaftlichen Ereignissen dieser Insel zu.
Zu schade, ich hätte mich für seine Arbeit interessiert. Er legt wohl keinen besonderen Wert darauf, dass seine Frau seine Neigungen teilt.
»Unsere Tochter wird eines Tages eine hervorragende Hausherrin abgeben. Sie ist blitzgescheit, jedermann mag sie und außerdem näht sie ausgezeichnet. An Sticken und Malen hat sie große Freude. Auch das Klavier spielt sie passabel«, fuhr Mutter im Plauderton fort.
Ich durchschaute sie sogleich: Sie wollte mich ihm um jeden Preis schmackhaft machen. Leider entsprachen ihre Versprechen nicht der Wahrheit. Das Klavier beherrschte ich in der Tat sehr gut und an Verstand mangelte es mir nicht, aber sonstige häusliche Qualitäten konnte ich nicht vorweisen. Meine Stickkünste waren kaum vorhanden und beim Nähen kamen lediglich krumme Stiche und schlecht verwahrte Fäden heraus.
»Miss Serena, Ihr seid ja ein wahres Talent, wenn ich Eurer Mutter glauben darf.«
Zu gerne hätte ich ihm erzählt, dass es alles Humbug war, traute mich in der Gegenwart meiner Eltern allerdings nicht. So lächelte ich und nickte. Er muss denken, dass ich den Verstand einer Fliege besitze, seufzte ich innerlich.
»Das Essen ist wirklich ganz vorzüglich, Lady Hawethorne. Schon lange habe ich keinen so guten Fisch mehr gegessen. Ein Lob an Euren Küchenchef.«
Mutter lief bei diesem Kompliment ein bisschen rot an, gerade als wäre sie diejenige, die Lord Ragby heiraten wollte.
»Ein Lob an unsere Bediensteten ist ein Lob für mich. Ich danke Euch, Lord Ragby.«
»Bitte, nennt mich Robin.«
Nun kicherte Mutter tatsächlich.
»Sehr gerne! Dann nennt mich Elsa und meine Tochter Serena. Wir fühlen uns geehrt.«
»Nicht doch, meine Liebe. Wir sind ja schließlich bald eine Familie, da sind solche Formalitäten nicht weiter notwendig.« Er zwinkerte mir zu, als wären wir geheime Verbündete.
Mutter klatschte vor Freude in die Hände. »Ist das Euer Ernst?«
Vater räusperte sich.
»Wollt Ihr also um die Hand von Serena anhalten?«
In mir breitete sich Entsetzen aus. Er wollte wohl nicht nach den paar Stunden, die wir bisher zusammen verbracht hatten, einen Antrag machen?
In meinem Kopf drehte sich alles. Unfähig, nur ein Wort zu sagen, starrte ich meine Eltern unentwegt an, die wiederum Lord Rag… Robin verzückt anblickten.
»Ja«, entgegnete er schlicht auf die Frage meines Vaters und wandte sich mir zu. »Mir ist bewusst, dass ich es geschickter hätte angehen können, doch ich konnte nicht anders, wo mich Eure Eltern so herzlich bei Euch empfingen. Ihr scheint mir die Art von Frau zu sein, die mir auf dem Anwesen in England fehlt, da ist es mir unmöglich, länger an mich zu halten. Eure Schönheit und die vielen Qualitäten, welche mir Eure Mutter so nahegebracht hat, haben in mir den Wunsch bestärkt, Euch so schnell wie möglich zu ehelichen. Mit Euer Eltern Einverständnis natürlich.«
Bei diesen Worten stand er auf, umrundete den Tisch und kniete sich neben mir auf den Boden. Ich war zu perplex, um irgendetwas herauszubekommen. Da nahm er meine Hand, führte sie zum Mund und hauchte einen Kuss darauf.
Mit gelblich-grünen Augen blickte er mich an, und beinahe könnte man glauben, ich würde die Entscheidung fällen und nicht meine Eltern. Ich spürte ihre beiden Blicke auf mir – sie würden kein Nein gelten lassen.
Nun ist es so weit. Auf diesen Moment haben sie lange genug gewartet. Jetzt liegt es an mir, meine Verpflichtungen zu erfüllen, dachte ich. Und eigentlich ist Robin gar nicht so übel. Zumindest wenn der erste Eindruck nicht trügt. Vermutlich könnte ich es schlechter treffen. Immerhin ist er ein Lord und wird dafür sorgen, dass ich ein gutes und angenehmes Leben habe. Wäre es wirklich so schlimm, einmal auf meine Eltern zu hören?
Diese Gedanken erschreckten mich selbst – immerhin hatte ich mich immerzu dagegen gewehrt. Aber vielleicht, nur vielleicht, wäre es wirklich nur halb so übel.
»Lord Ragby. Robin. Gerne nehme ich Euren Antrag an, solange meine Eltern gewogen sind dem nachzugeben, werde ich mich ihrem Urteil beugen.«