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Das Raumschiff STELLARIS lädt ein zu einer besonderen Reise in das Perryversum Die STELLARIS ist ein besonderes Raumschiff: Seit vielen Jahren reist sie durch das Universum der PERRY RHODAN-Serie, bemannt von einer wechselnden Besatzung, unter wechselnder Leitung und mit wechselnden Zielen. Die Abenteuer, die ihre Besatzung und Passagiere erleben, sind Thema zahlreicher Geschichten ... Unterschiedliche Autoren verfassten die Kurzgeschichten rings um das Raumschiff STELLARIS. Sie werden seit Jahren regelmäßig im Mittelteil der PERRY RHODAN-Hefte veröffentlicht - hier präsentieren wir die Folgen 11 bis 20 in einer Sammlung. Mit dabei sind Kurzgeschichten von Gerry Haynaly, Roman Schleifer, Wim Vandemaan, Frank Borsch, Dennis Mathiak und Gerhard Huber. Zu lesen gibt es humoristische Geschichten, Krimis und phantasievolle Reisen durch die unbekannten Gebiete der heimatlichen Milchstraße Das Stellaris Paket 2 umfasst folgende Geschichten: Folge 11: "Heißhunger" von Gerry Haynaly Folge 12: "Eine Frage des Glücks" von Roman Schleifer Folge 13: "Eine Maschine für den Fall der Fälle" von Wim Vandemaan Folge 14: "Lebe wohl" von Frank Borsch Folge 15: "Stunde der Entscheidung" von Roman Schleifer Folge 16: "Die goldenen Kartaunen" von Wim Vandemaan Folge 17: "Verladen" von Roman Schleifer Folge 18: "Die Suche nach dem Glück" von Dennis Mathiak Folge 19: "Teufeleien" von Gerry Haynaly Folge 20: "Bruchschokolade" von Gerhard Huber
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Seitenzahl: 262
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Das Raumschiff STELLARIS lädt ein zu einer besonderen Reise in das Perryversum
Die STELLARIS ist ein besonderes Raumschiff: Seit vielen Jahren reist sie durch das Universum der PERRY RHODAN-Serie, bemannt von einer wechselnden Besatzung, unter wechselnder Leitung und mit wechselnden Zielen. Die Abenteuer, die ihre Besatzung und Passagiere erleben, sind Thema zahlreicher Geschichten ...
Unterschiedliche Autoren verfassten die Kurzgeschichten rings um das Raumschiff STELLARIS. Sie werden seit Jahren regelmäßig im Mittelteil der PERRY RHODAN-Hefte veröffentlicht – hier präsentieren wir die Folgen 11 bis 20 in einer Sammlung.
Folge 11: »Heißhunger« von Gerry Haynaly
Illustration: »Kapitän Silberling«; Henrik Fetz von der Alligator Farm,
Willkommen an Bord der
Liebe Leserinnen und Leser,
die STELLARIS ist ein Frachter der Minerva-Klasse, eines von vielen Millionen Raumschiffen, die zwischen den Welten der Milchstraße verkehren.
Mit ihrem Rumpfdurchmesser von 200 Metern und einem Volumen von annähernd fünf Millionen Kubikmetern ist die STELLARIS eine Welt für sich. Sie befördert Passagiere ebenso wie Handelsgüter.
Etwas mehr als 200 Besatzungsmitglieder bevölkern derzeit die STELLARIS, um in drei Schichten die Funktionalität des Schiffs jederzeit und unter allen Umständen zu gewährleisten. Denn wenn der Schiffsbetrieb meist auch Routine ist, weiß jeder Raumfahrer, dass Raumfahrt niemals so ganz zur Routine wird.
Denn dazu ist das Weltall ein zu wunderbarer Ort.
Alle acht Wochen wollen wir etwas von den Flügen der STELLARIS, aus dem Leben ihrer Besatzung und ihrer Reisegäste erzählen.
Geschrieben werden die Geschichten sowohl von Autoren aus dem PERRY RHODAN-Team als auch von Gastautoren.
Die heutige STELLARIS-Geschichte stammt von Gerry Haynaly.
Gerry Haynaly wohnt in der Nähe von Graz und unterrichtet Netzwerktechnik und Multimedia-Design.
Er ist Mitbegründer des PRC Sirius, aus dem der heutige Perry Rhodan Stammtisch Graz hervorgegangen ist (http://prsg.de.vu/).
Beim William-Voltz-Wettbewerb 2006 belegte er den dritten Platz – Startschuss für eine Reihe neuer Science-Fiction-Kurzgeschichten.
STELLARIS empfindet er »als Spielwiese, in der ich meine eigenen Vorstellungen vom Alltag in der Zukunft realisieren kann. Was unternimmt eine Raumschiffsbesatzung, wenn sie nicht im harten Bordalltag gefangen ist? Womit vertreiben sich die einfachen Leute, nicht der Resident oder die Zellaktivatorträger, sondern die gewöhnlichen Sterblichen, ihre Zeit?«
Sehen wir uns eine dieser Zeitvertreibungs-Unternehmungen einmal an …
Folge 11
Heißhunger
von Gerry Haynaly
Ein Ruck ging durch die Schiffszelle der STELLARIS und versetzte den 200-Meter-Frachter in ein sanftes Schwingen. Mit einem tiefen Wummern liefen die Andruckabsorber hoch, um den Koloss zu stabilisieren. Sebastien Vigeland, Ertruser und Chefkoch der STELLARIS, knöpfte seine Jacke zu. Seinem Landgang stand nichts mehr im Wege.
Die Displays im großen Aufenthaltsraum nahe der unteren Polschleuse schalteten auf die Beobachtungskameras. Für die Wartenden entstand der Eindruck, direkt an der Außenwand des Schiffes zu sitzen. Hinter dem Raumhafen erstreckte sich eine Stadt bis zum Horizont, wo eine Bergkette im Dämmerlicht des frühen Abends mit einem graublauen Himmel verschwamm.
»Wir sind soeben in Simmellang gelandet«, erklang die Stimme der Bordpositronik. »Bitte bleibt zur eigenen Sicherheit noch so lange auf euren Plätzen, bis die Fesselfelder der Landeplattform die STELLARIS festhalten und die Andruckabsorber abschalten.«
Simmellang war die Hauptstadt von Yorname, einer unbedeutenden Siedlerwelt. Mit einer Entfernung von 1246 Lichtjahren zu Terra gehörte der Planet zum Kerngebiet der LFT. Der Mutant Trim Marath stammte von hier, ansonsten war Yorname in der Liga nur für Kartoffeln und daraus hergestellte Produkte bekannt. Damit hing auch der Auftrag der STELLARIS zusammen. Sie sollte im Gegenzug für ein großes primäres Steckmodul voller landwirtschaftlicher Geräte und HI-optimierter Schutzschirmprojektoren zwei Module mit Pommes frites für die Intercosmic Fruit Company und Wodka für Lepso bunkern. Außerdem musste einer der beiden Hawks ausgetauscht werden, dessen Hyperkristalle ausgebrannt waren. Wenn alles gut ging, konnte die STELLARIS morgen Mittag weiterfliegen, Zeit genug für ein kulinarisches Abenteuer.
Man schrieb den 18. Dezember. Die Wetterkontrolle von Yorname hatte für Simmellang und Umgebung Schneefall und Temperaturen um minus drei Grad angekündigt.
Das Brummen der Aggregate wurde leiser und erstarb schließlich ganz. Die Sicherheitsgurte aus Formenergie lösten sich auf. Die Wartenden erhoben sich von ihren Sitzen.
»Ich wünsche euch einen angenehmen Aufenthalt auf Yorname«, säuselte die Positronik. Die Sensorfelder neben dem Zugang zum zentralen Antigravschacht wechselten von Rot auf Grün. Ein großer Pfeil zeigte die Fahrtrichtung Abwärts an.
»Wohin gehen wir jetzt?« Curt McBain, Feuerleitoffizier und Sebastiens bester Freund, schnalzte mit der Zunge. »Ich bin hungrig.«
Sebastien fragte sich nicht zum ersten Mal, wo der Zwerg diese Mengen Essen hinfraß. Der Terraner mit dem südländischen Aussehen reichte ihm mit seinen 1,80 Metern gerade bis zur Brust.
»Wenn du ein Geheimnis behalten kannst, verrate ich es dir.« Sebastien wusste, dass der andere geschwätzig wie ein Matten-Willy war, doch es kümmerte ihn nicht.
»Ich schweige wie ein Grab.«
Sebastien musste lachen. Plappernde Gräber sahen bestimmt komisch aus.
»Siehst du den Berg dort drüben?« Sebastien zeigte auf die höchste Erhebung hinter der Stadt. »Dort wollen wir hin.«
Curt blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Bist du sicher?«
»Vertrau mir, schließlich bin ich der Koch.« Er zwirbelte seinen sandfarbenen Schnauzer zwischen Daumen und Zeigefinger. »Außerdem kenne ich den Besitzer des Restaurants. Der kann verdammt gut kochen und kriegt sicher auch dich satt.«
»Klingt interessant.«
Einer nach dem anderen verließ den Warteraum. Endlich kam Sebastien an die Reihe. Er vertraute sich dem Antigravfeld an und schwebte auf den Landeplatz hinunter.
Von hier aus konnte man die Dimensionen der STELLARIS erahnen. Zwölf Landestützen, jede mit einem Durchmesser von zehn Metern, trugen den rotmetallisch schimmernden Schiffskörper aus Ynkelonium-Terkonitstahl, der von unten wie eine technische Version eines griechischen Tempels wirkte. Zwischen den wuchtigen Säulen flogen Antigravplattformen herein, nahmen Neuankömmlinge auf und verschwanden in Richtung Raumhafenkommandantur.
Als Erstes fiel ihm der Geruch auf. Gegen die sterile Sauberkeit des Schiffes mutete die Luft des Planeten wie ein olfaktorischer Orkan an: wie Fichtennadelschaumbad vermischt mit Schmieröl und gekrönt von einem Schuss Thymian. Sebastien winkte Hell Marköm zu, einem der Lagerarbeiter, der an einer mobilen Steuerpositronik hantierte.
»Wieder mal auf der Jagd nach außerirdischen Köstlichkeiten?«, fragte Hell mit einem spöttischen Grinsen.
»Na klar.« Sebastien seufzte. »Aber du Banause verstehst von einem guten Essen so viel wie ein Blues.«
»Ich esse eben lieber Schweinebraten als getrüffelten Tofu.« Hell schüttelte sich. »Außerdem dachte ich immer, dass Ertruser auf Rinderbraten stehen.«
»Siehst du, so kann man sich täuschen. Zwei Millionen Kilojoule sind auch für unsereinen zu viel. Rinderviertelchen sind genauso ein Klischee wie die Sichelkammfrisur.«
»Aber musst du dir deshalb gleich die Haare abrasieren?« Hell bog sich vor Lachen.
»Sieht immerhin besser aus als dein Vokuhila«, grinste Sebastien und strich sich über die Glatze.
»Komm endlich, wir müssen jetzt los«, sagte Curt. »Die letzte Antigravplattform wartet nur mehr auf uns.«
*
Scheinwerfer beleuchteten die STELLARIS von allen Seiten. Ihr grelles Licht überstrahlte die grünen Feldlinien des Fesselfeldes. Die riesigen Schlünde der Protonenstrahltriebwerke glühten in einem tiefen Weinrot, das langsam schwächer wurde. Eine torusförmige Wartungseinheit, halb so groß wie der Frachter, verharrte auf der Höhe der Triebwerke reglos in der Luft. Mächtige Energiefinger griffen nach dem Segment des Ringwulstes, das für den Tausch des Lineartriebwerks entfernt werden musste.
Auf dem Landefeld, etwas näher am Tower, parkte einsam eine schwarze Springerwalze. Was verschlug die Konkurrenz nach Yorname? Die galaktischen Händler schienen gute Geschäfte zu machen: Gleich aus mehreren geöffneten Luken der 600 Meter langen Merz-Walze schwebten Container zu Boden, wo eine Kolonne von Tiefladern wartete. Aus einer Hangarschleuse unter der Kommandokuppel glitt ein 4-Mann-Beiboot. Es beschleunigte in Richtung auf die Schwebeplattform mit den Leuten der STELLARIS. Durch die Glassitscheiben konnte Sebastien drei Springer und einen Roboter erkennen, dann schoss das Schiff auch schon an ihnen vorbei.
*
Der Pilot bremste die Plattform vor dem flachen Empfangsgebäude ab. Er verringerte die Flughöhe, flog durch das weit geöffnete Schott in die Ankunftshalle und landete neben dem Springerschiff.
Die Halle wirkte leer, die meisten Schalter waren geschlossen. Unter einem spacejetgroßen Hologramm der Milchstraße, in dem alle wichtigen Fernverbindungen eingezeichnet waren, schwebten die Gepäckstücke der Neuankömmlinge vorbei.
Aus einer Menschentraube drangen Wortfetzen zu Sebastien, die wütend klangen. In der Mitte der Menge stand ein Springer. Den Rangabzeichen und der Länge seines roten Bartes nach, der in zwei Zöpfen bis zum Gürtel reichte, war er der Kapitän des Schiffes. Neben ihm gestikulierte ein Yornamer wild mit seinen behaarten Händen.
Neugierig trat Sebastien näher. Hoyt Rachholz, Supervisor stand auf dem Namensschild.
»Nein, du kannst keinen Kampfroboter mit nach Simmellang nehmen.« Der Yornamer stemmte die Hände in die Seite.
»Warum nicht?« Das Gesicht des Springerpatriarchen lief vor Zornesröte an. »Er ist mein persönlicher Assistent.«
»Artikel 1322, Absatz 12b, LFT-Verwaltung: Das Mitführen von autonomen Kampfeinheiten in Wohngebiete ist untersagt.« Hoyt blickte zum Stein des Anstoßes, einem Kampfroboter modernster arkonidischer Bauart, der zwischen den beiden anderen Springern stand. Die Waffenarme waren zwar ausgeschaltet, kamen Sebastien aber trotzdem bedrohlich vor. Das schien nun auch der Supervisor zu begreifen. Hoyt tippte wie zufällig auf seinen Armbandkommunikator, worauf sich eine verborgene Tür in der Hallenwand öffnete. Zwei TARA-Kampfkolosse schwebten heraus. Sie drängten sich zwischen Hoyt und die Springer.
»Ich muss dich bitten, deinen Roboter abzuschalten«, sagte Hoyt in einem Tonfall, der keine Zweifel aufkommen ließ. »Du kannst ihn bei deiner Rückkehr wieder in Empfang nehmen.«
»Ich werde mich über dich beschweren«, polterte der Springer. »Beim Raumhafenkommandanten oder bei eurem Wirtschaftsminister Homer G. Adams persönlich. Das wirst du noch bereuen!«
»Du wirst es bereuen, wenn du nicht unverzüglich deine Maschine desaktivierst.«
Die TARAS rückten näher zu dem Springer, der einem Herzinfarkt nahe war.
»Verdammt!«, murmelte der Springerkapitän in seinen Rauschebart. Er fingerte einen Impulsgeber aus einer Tasche seiner Kombination. Die Waffenarme seines Roboters senkten sich, das Leuchten hinter den Sehschlitzen und dem Sensor in der Stirnmitte verschwand.
»Danke für deine Kooperation. Darf ich dich nun um deine ID-Karte bitten? Hier hindurch.« Sebastien fand es geschickt, wie Hoyt den Springer beruhigte. Es kam ihm beinahe wie im Stern von Nettoruna um vier Uhr morgens vor, wenn ein Betrunkener partout nicht nach Hause gehen wollte.
Der Supervisor steckte die Karte des Patriarchen in das Erfassungsterminal des Torbogenscanners. Terahertzwellen tasteten den Springer ab und verglichen seine Individualschwingungen mit den auf der Karte gespeicherten Daten.
»Patriarch Taketz, willkommen auf Yorname«, summte es aus dem Terminal. Hoyt gab dem Springer die ID-Karte zurück. Für einen Moment kreuzten sich ihre Blicke: der des Springers aus zusammengekniffenen Augen unter roten Brauen, die wie ein Haufen Mikadostäbe wirkten, und der des Yornamers mit seinen wasserblauen Augen. Wenn Blicke töten könnten, hätte Hoyt auf der Stelle tot umfallen müssen. So aber beachtete er den Anführer der Mehandor nicht weiter, sondern nahm die ID-Karte des zweiten in Empfang.
Die Schaulustigen lösten ihren Kreis um die Kontrahenten auf. Sebastien fand sich mit Curt am Ende der Warteschlange. Es dauerte keine fünf Minuten, bis sie die Kontrollen passieren konnten.
»Sebastien Vigeland, willkommen auf Yorname«, klang es monoton aus dem Terminal.
*
Der Reader des Gleitertaxis musste erkannt haben, dass weder Curt noch Sebastien jemals Yorname einen Besuch abgestattet hatten, denn das Navigationssystem blendete unablässig Fotos von Gebäuden ein. Ein safrangelbes Fadenkreuz auf der Seitenscheibe markierte den Standort der Sehenswürdigkeit. Die Anzeige wechselte und zeigte einen nichtssagenden aschgrauen Kuppelbau.
»Das Parlament von Simmellang«, schnarrte der Automat.
Vor ihnen ragte das Grün der Bergkette in den Himmel. Die Generatoren des Gleiters heulten auf, als das Fluggerät sich anstellte, Höhe zu gewinnen. Urwaldriesen glitten unter ihnen hinweg.
Das Display wechselte abermals. Endlich zeigte es ihr Ziel an. Wie ein Adlernest hing das Chez Léon an der Abbruchkante knapp unter dem Gipfel. Auf der Terrasse wehte die LFT-Flagge im Wind. Der Gleiter flog eine weite Kurve zur Rückseite des Gebäudes, wo er sanft landete.
»Ihr habt euer Ziel erreicht«, sagte das Navigationssystem überflüssigerweise.
*
Das war also das Reich von Léon La-Fa-Tim. Sie hatten sich recht bald nach dem Schulabschluss aus den Augen verloren, denn die Absolventen der Gastgewerbeschule auf der Stromburg waren in der gesamten zivilisierten Galaxis gefragt. Na ja, mit Ausnahme der Eastside, dachte Sebastien. Aber kann man ein Volk zivilisiert nennen, das Muurt-Würmer und Krötenschleimsoße als Delikatessen ansieht?
Léon, der früher Johann geheißen und der sich den französischen Künstlernamen erst im Laufe seiner Karriere zugelegt hatte, war von den Galactic Cruise Lines angeworben worden, während Sebastien das Angebot eines arkonidischen Restaurants in Atlan Village angenommen hatte. Die Eigentümer des Stern von Nettoruna benötigten einen guten Koch, und dass Sebastien als Ertruser gleichzeitig als Rausschmeißer fungieren konnte, hatte ihm den Job eingebracht. Wie hätte er damals ahnen können, dass im Hinterzimmer illegale Drogen wie Eyemalin gehandelt wurden und – was für seine Reputation schlimmer wog – Tu-Ra-Cel-Agenten ein und aus gingen. Wie gut, dass Kapitän Silberling dem keine Bedeutung beimaß …
Die Eingangstür fuhr mit einem leisen Zischen zur Seite und gab den Blick auf den Empfang frei. Sebastien wandte Kopf und Schultern zur Seite, um seinen Körper in dieser verbogenen Haltung durch die Tür zu fädeln. Yornamische Normtüren waren augenscheinlich nicht für Ertruser gebaut. Eine zierliche Terranerin nickte ihm freundlich zu.
»Einen Tisch für zwei Personen?«, fragte sie.
»Ja, bitte.«
»Ihr seid das erste Mal hier?« Die Empfangsdame zwinkerte Sebastien zu. »Dann empfehle ich euch einen Tisch am Panoramafenster. Wenn ihr mir bitte folgen wollt.«
Wieder zwinkerte sie ihm zu und ging voraus. Sie schwang so aufreizend ihre Hüften, dass Sebastien vor lauter Schauen über den Teppich stolperte. Als hätte sie es geahnt, drehte sie sich um und fing ihn im letzten Moment auf.
»D-danke«, stotterte Sebastien. Ihre Haut fühlte sich zart an. Und erst ihr Parfüm! Nur eines fragte er sich: Wie hatte sie so schnell reagieren können?
»Bitte«, sagte sie und drehte sich um. Sebastien blickte ihr verstört nach, wie sie den Empfangsbereich verließ.
»Schau nicht so schmachtend.« Curt schüttelte den Kopf. »Sie ist eine Redox!«
Eine Redox … Ein Haushaltsroboter der Klasse 3CII mit humanidentischer Körperform und autonomen Verhaltensweisen wie Waschen, Schminken, Powackeln. Und er war auf sie hereingefallen!
»Ich doch nicht.« Sebastien bemühte sich, ein gleichmütiges Gesicht zu zeigen. Aufreizend war ihre Brustpartie, doch nüchtern betrachtet musste dahinter ihre Positronik sitzen. Er gab sich einen Ruck und folgte ihr ins Gastzimmer.
Sebastien bewunderte Léons Geschmack. Die Sitzgruppen aus weißem Strukturplast waren in appetitanregendes orangefarbenes Licht getaucht. Dazwischen wuchsen exotische Pflanzen wie venusische Schlingpalmen und Knollenblütler von Links-Aubertan. Ein Reinigungsroboter der Schildkrötenserie wuselte zwischen den Sesseln durch. Die linke Seite des Gastraumes nahm die Theke ein. Dahinter brieten auf einem offenen Feuer handtellergroße Fleischstücke – ertrusische Handteller, wohlgemerkt. Über dem Kamin hing eine altertümliche Schrotflinte, wie man sie zur Entenjagd verwendete.
Die Redox winkte von einem der Tische am Panoramafenster, das die gesamte Breite des Raumes einnahm. Verlegen trat er näher. Die meisten Tische an der Fensterfront waren besetzt. Eine Gruppe Frauen, die ihre Einkäufe auf der Bank drapiert hatten, vier Yornamer, die Karten spielten, und – die drei Springer! Na super. Nur ein viel zu großer Tisch neben den Springern war noch frei.
»Setzt euch zu uns!« Taketz warf drei Würfel in die Höhe und fing sie behände auf. »Bei unserer Dreier-Olympiade sind noch Plätze frei.«
Regel Nummer eins im Stern von Nettoruna: Ignoriere Betrunkene.
Doch der Springer gab nicht so leicht auf. »Hey, Ertruser, ich rede mit dir! Oder besitzt du keinen Mumm?«
»Nein danke«, sagte Sebastien. »Wir wollen uns ausruhen und nicht ausnehmen lassen.«
»Du Feigling!« Der Springerpatriarch bleckte angriffslustig die Zähne.
Regel Nummer zwei: Bei Beschimpfungen nachfragen.
»Warum glaubst du, dass ich ein Feigling bin?« Sebastien war etwas lauter geworden.
»Weil du dich nicht traust, gegen mich anzutreten.«
Regel Nummer drei: Irgendwann reicht es.
»Ich sagte dir doch, dass ich nicht zocken will.« Sebastien baute sich vor dem Springer auf und knallte die Faust auf den Tisch.
Taketz zog den Kopf ein. »Terranerabkömmling«, fluchte er leise. Die restlichen Beschimpfungen überhörte Sebastien einfach.
Curt und Sebastien setzten sich so, dass sie über die Terrasse auf das Häusermeer von Simmellang blicken konnten. Es dunkelte bereits und in der Stadt gingen die ersten Lichter an. In der Ferne dominierten die beiden angestrahlten Schiffe, die noch immer entladen wurden, den Raumhafen.
Curt lehnte sich zurück, und das Struktoplast passte sich seiner Körperform an. Sebastien wollte sich auch zurücklehnen, doch das Material gab nicht nach. Schmerzhaft erkannte er, dass es nicht für Ertruser gebaut war.
»Was darf ich euch bringen?«, flötete die Redox.
»Einen Solar-Flip-Fruchtcocktail.« Sie konnten ja nicht schon am frühen Abend mit Alkohol anfangen. »Oder noch besser: einen arkonidischen Quercus-Tee.« Nicht alles Arkonidische war automatisch schlecht.
»Für mich auch.« Curt blickte amüsiert von Sebastien zur Redox.
»Könntest du Léon ausrichten, dass Sebastien Vigeland da ist?«
»Er weiß es schon«, antwortete die Kellnerin. »Er lässt dir ausrichten, dass er gleich bei dir sein wird.« Sie drehte sich um und stöckelte in Richtung Theke davon.
An der Wand hing ein Zwei-Meter-Trivideo, in dem das Fußballmatch zweier lokaler Vereine übertragen wurde. Die Kartenspieler blickten kurz hoch, wenn die Lautstärke anstieg, nur um sich mit einem Seufzer wieder den eigenen Gegnern zuzuwenden, wenn die Fans im Stadion zu pfeifen begannen. Es musste ein miserables Match sein.
Ein einziges Mal konzentrierten sich die Spieler länger auf den Bildschirm. In der Werbepause schwoll die Lautstärke der Musik an, Riesenlettern zeigten das Logo Taquor4U, und das glatt rasierte Gesicht eines Mannes pries Traktoren und positronische Vollernter an. War das nicht einer der Männer am Tisch? Seine Kameraden klatschten Beifall, als der Werbespot beendet war.
Ein Raunen ging durch den Gastraum. Sebastien blickte sich um. Die Springer deuteten aufgeregt zum Raumhafen, wo ein Lichtfinger in den Himmel stach und drei Raumschiffe aus der Dunkelheit riss, die soeben durch die Wolken brachen. Hätten nicht die radialen Streifen auf ihrer Oberfläche geleuchtet, das schwarze Material der Schiffshülle hätte sie ausreichend getarnt. So aber kannte jeder die Herkunft der kleinen Flotte. TRAITOR!
»Was wollen die hier?«, fragte Sebastien leise.
»Präsenz zeigen«, antwortet eine sonore Stimme.
Sebastien drehte sich um. Er erkannte den Sprecher sofort: Léon La-Fa-Tim.
»Grüß dich.« Sebastien musterte seinen alten Schulkameraden. Die Küchenschürze spannte über dem Bauch, die braunen Haare quollen unter der Kochmütze hervor. »Komm, setz dich. Dir scheint es ja blendend zu gehen.«
»Danke, ich kann nicht klagen.« Léon wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Wie lange ist das jetzt her, cher ami?«
»Lass mich nachrechnen, Kochakademie '07, also sind das mittlerweile siebenunddreißig Jährchen«, antwortete Sebastien. »Aber im Ernst, was machen die Traitanks hier?«
Léon räusperte sich.
»Seit der Verkündung ihrer verdammten Direktive kommen sie alle paar Wochen. Sie kontrollieren die Fracht der Handelsraumer genauso wie die Lagerbestände des Simmellanger Kontors.« Ein winziges Objekt schwebte im Licht des Suchscheinwerfers zur Landebahn hinunter. »Du wirst sehen, wenn die Dunkelkapsel des Inspekteurs gelandet ist, fliegen die Traitanks ab«, prophezeite Léon. Und wirklich, bald darauf verschwanden die Boten der Chaotarchen in den Wolken. Der Lichtstrahl am Raumhafen erlosch. Simmellang lag wieder im Dunkel dieser mondlosen Nacht. Vor dem Panoramafenster rieselten erste Schneeflocken zu Boden.
Die Redox brachte die Getränke. Rote Schlieren durchzogen die gelbe Flüssigkeit. Wie schwerelos stiegen sie einen Zentimeter aus dem Glas und regneten herab. Nach wenigen Sekunden endete das Schauspiel.
»Was darf ich euch zu essen bringen?«, fragte die Kellnerin. Sie deutete auf die Tischplatte, die auf transparent schaltete. Verschiedenste Gerichte und Beilagenvariationen schienen unter der Platte zu schweben. Sebastien blickte zur Seite, wo Curt saß. Für ihn zeigte der Tisch ganz andere Speisen an.
»ID-Select. Auf der Karte werden deine Vorlieben gespeichert.« Die Redox schien seine Gedanken zu lesen. »Du brauchst dafür gar nichts zu tun. Jedes Mal, wenn du in einem Restaurant mit deiner ID-Karte bezahlst, wird das aufgezeichnet. Es ist der neueste Service der Kartenfirmen, garantiert kostenlos. Und wenn dir ein angebotenes Essen nicht geschmeckt hat, erhältst du es gratis.«
Sie hätte auch im Trivid Werbung machen können. Sebastien wusste nun, wie Léon von seiner Ankunft erfahren hatte. Spätestens beim Empfang waren ihre ID-Karten gescannt worden.
»Ich hätte gerne das Steak vom Holzkohlengrill mit Bratkartoffeln und einer Portion Chili«, sagte er.
»Entsprechend unseren Verbrauchergesetzen muss ich dich darauf hinweisen, dass dies nur die Illusion eines Holzkohlenfeuers ist«, sagte die Kellnerin. »In Wirklichkeit sind es breit gefächerte Thermostrahlen und eine positronikgesteuerte Infrarotkamera. Den Rest der Show erzeugt ein Projektor.«
»Ich nehme es trotzdem.«
»Für mich bitte die doppelte Portion.« Curt bewies wieder einmal, dass er einer der Nutznießer des Haluter-Menüs auf der STELLARIS war. Sebastien hatte es vor Jahren erfunden, weil er es satt hatte, dass Leute wie Curt oder Primo Janitor so oft um Nachschlag kamen.
»Das ist bereits die doppelte Portion«, erwiderte die Redox ungerührt.
»Oh«, ächzte Curt. »In Ordnung.«
*
Über Sebastiens Rücken wehte ein kalter Hauch. Hoyt, der Supervisor des Raumhafens, stand in der Tür und sah sich suchend um. Unzählige Schneeflocken zerschmolzen auf seiner Jacke und hinterließen kleine Tropfen. Draußen schneite es inzwischen wie verrückt.
»Wenn das so weitergeht, muss ich noch den Schutzschirmgenerator einschalten.« Léon schüttelte sich. »Hallo, Hoyt, komm rüber. Wie geht's dir? Schon Feierabend?«
Der Angesprochene zögerte kurz, kam dann aber doch näher.
»Hi, Hoyt.« Eine Yornamerin mit blond gefärbten Haaren und Pferdegesicht winkte dem Supervisor zu. »Bist du gegen eine Wand gelaufen?« Die anderen Frauen lachten.
Er fuhr mit der Hand über den weißen Sprühverband am Kinn. »Äh …« Wieder zögerte er. »Nein, ich habe mich beim Rasieren geschnitten.«
Rasieren? Sebastien wunderte sich. Vor einer Stunde am Raumhafen hatte er noch nicht ausgesehen, als würde er eine Rasur benötigen.
»Was tust du mit den komischen Vögeln?« Die Blonde deutete auf einen Käfig in Hoyts Hand.
Hoyt sah in die Runde, als würde er etwas suchen. »Wieso komisch? Das sind doch nur Seeschwalben. Ihre Ausscheidungen ergeben einen hervorragenden Blumendünger.«
»Gekacke!«, wieherte die Blonde. Ihre Freundinnen stimmten in das Lachen ein, das erst erstarb, als Hoyt sie mit einem bösen Blick strafte. Er setzte sich zu Léon. Den Käfig mit den Schwalben stellte er neben sich auf die Bank.
»Was darf ich dir bringen?«, fragte die Kellnerin.
»Ich … Ach egal, bring mir das Gleiche wie denen.«
»Zu essen?«
»Ja, auch das.«
Die Kellnerin schien zufrieden zu sein und tänzelte zur Theke. Dafür baute sich eine andere Gestalt vor dem Supervisor auf: Taketz. Der Springerpatriarch beugte sich über den Yornamer, der ängstlich zurückwich. Auf Hoyts Stirn bildeten sich Schweißperlen.
»Du verfluchter Hund!«, schrie der Springer. Seine Rechte schnellte nach vorn, doch bevor die Faust Hoyt traf, schien er es sich anders zu überlegen. Er stoppte mitten in der Bewegung, öffnete die Faust und klopfte dem Yornamer lediglich auf die Schulter. »Es gibt nicht viele Galaktiker, die sich mit Taketz anlegen. Du bist mutig, Yornamer.«
»Ich heiße Hoyt.« Der Yornamer hatte sich wieder gefasst. »Setz dich zu uns, mein Freund.«
Taketz ließ sich nicht zweimal bitten, holte aber vorher noch das Glas von seinem Tisch. Das Getränk war trüb und schäumte stark, wahrscheinlich vergorene Früchte oder Lukasbier von Lepso. Die beiden anderen Springer flüsterten Taketz etwas zu, doch der wiegelte mit einer Handbewegung ab.
»Du gestattest?«, fragte der Supervisor den Springer, der erst nicht verstand, worum es ging. Der Neue schnappte den Krug von Taketz, der die Augenbrauen hob und seinem Bier nachblickte, wie es im Mund des anderen verschwand.
»Hoyt, bist du …« Taketz verstummte, als ihn der Blick des anderen traf. »Natürlich gebe ich dir mein Bier gerne, Hoyt. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
»Nein. Ich will mit den anderen Gästen reden, also halt die Klappe!«
Sebastien musterte den Supervisor, der mit seinen überdimensionalen Augen jeden in der Runde anblickte. Eine Welle der Freundschaft und Sympathie durchflutete Sebastien.
»Ihr seid von der STELLARIS, nicht wahr?«, fragte Hoyt.
Sebastien nickte.
»Ihr kommt viel herum in der Galaxis?«
»Kann man so sagen.«
»Wart ihr in letzter Zeit auch im Solsystem?« Seine samtige Stimme unterstützte den Blick aus den wässrigen Augen, die tief wie Antigravschächte wirkten.
»Vor einem Monat.«
»Dann wart ihr dort, als die Kolonne vergeblich versucht hat, den Schirm um das System zu knacken? Man hört hier so einige Gerüchte.«
»Zumindest dieses Gerücht kann ich bestätigen.« Sebastien erinnerte sich an ihre Parkposition im Orbit von Terra, als die Schlacht um das Solsystem tobte. Noch heute war er froh, dass der TERRANOVA-Schirm nur eine düsterrote Färbung angenommen hatte.
»Wie hat der Schutzschirm dem Beschuss standhalten können?«, fragte Hoyt.
»Das würde mich auch brennend interessieren«, warf Taketz ein.
»Sagte ich nicht, du sollst still sein?« Hoyt bedachte den Springer mit einem vernichtenden Blick, sodass dieser zusammenzuckte. Dann verzog Hoyt seinen Mund zu einem Lächeln und wandte sich an Sebastien. »Also, schieß los!«
»Bis zum zweiten November haben Projektorschiffe mit Hypertronzapfern den Schirm aufgebaut«, antwortete Sebastien. Curt rutschte auf seinem Sitz hin und her, als wollte er auch etwas sagen.
»War das nicht der Tag, an dem 242 Traitanks angegriffen haben?« Hoyt war erstaunlich gut informiert.
»Ja«, brach es aus Curt heraus. »Sie hätten den Schirm mit ihren Potenzialwerfern geknackt, wenn ihn nicht der Nukleus mental aufgeladen hätte.«
»Der Nukleus?«, echote Hoyt.
»Der Nukleus der Monochrom-Mutanten«, erwiderte Curt. »35.000 Mutanten und 800.000 Charandiden aus Andromeda. Ein Geistwesen, das mit seiner Energie den Schirm verstärkt«, presste Curt hervor. Er war sichtlich froh, dass er etwas für Hoyt tun konnte.
»Noch einen Quercus-Tee?«, mischte sich die Kellnerin ein. Wie aus dem Nichts war sie vor Sebastien aufgetaucht.
»Wie kommst du darauf?«, fragte er.
»Der Chip«, antwortete sie, als sei damit alles gesagt.
»Welcher Chip?«
»Na, der Chip im Boden deines Glases. Er funkt an die Theke, wenn es leer ist.« Sie zwinkerte ihm zu, und Sebastien kam sich wieder reichlich blöd vor.
»Ja, meinetwegen«, antwortete er müde.
»Gibt es außer diesem Nukleus noch weitere Monochrom-Mutanten?«, wollte Hoyt wissen.
»3500 haben überlebt«, antwortete Sebastien. »Aber sie haben ihre Mutantenfähigkeiten verloren.«
»Zwei gibt es noch.« Léon hustete. »Startac Schroeder und Trim Marath, der Sohn vom alten Netah dort drüben.«
»Ich verstehe.« Hoyt drehte sich zu den Kartenspielern um. »Netah, wie geht es deinem Sohn?«
Der Angesprochene, ein Vertretertyp im blauen Businessanzug, blickte traurig von den Karten auf. »Ich habe keine Ahnung. Er arbeitet in einer Sondereinheit der LFT und rettet die Menschheit. Das letzte Mal habe ich von ihm gehört, als er mir via Trivid mitgeteilt hat, dass ich einen Enkel habe.«
Die Kellnerin brachte das Essen. Die Teller waren groß, aber das 36-Unzen-Steak hatte mitsamt den Beilagen kaum Platz darauf. Ein verführerischer Duft von gebratenem Fleisch lag in der Luft.
»Darf ich?« Léon nahm der Redox das Rastermesser aus der Hand. »Ist aus Solingen«, verkündete er voll Stolz. Auf Knopfdruck zerteilte der Laser die Steaks in gleichmäßige Würfel. Der Fleischsaft hatte keine Millisekunde Zeit zum Ausrinnen, alles blieb saftig.
»Reden wir nach dem Essen weiter«, sagte Sebastien. Er spießte ein Stück Fleisch und eine Habanero-Chili auf die Gabel und schob sie genüsslich in den Mund. Hoyt, Curt und Léon machten es ihm nach. Der würzige Geschmack des Steaks vermischte sich elegant mit der Schärfe der Chili, deren Hitze wie ein Feuerwerk auf der Zunge explodierte.
»Aaah!« Ein Gebrüll aus Hoyts Kehle riss Sebastien aus seiner Verzückung. Der Supervisor schrie so laut, dass die Gläser im Schrank hinter der Theke klirrten. So scharf waren die Chili auch wieder nicht, oder doch?
Die Konturen des Yornamers schienen zu vibrieren. Hoyts Körper flackerte wie zwei fast identische Standbilder, die abwechselnd angezeigt wurden. Das Gesicht zerfloss zu einer milchigen Masse, ehe die Umrisse wieder Festigkeit annahmen. Blutrote Augen stierten ins Leere. Der Mund stand weit offen, als ob das Wesen keine Luft bekam. Der Schrei erstickte mit einem Gurgeln.
Sebastien reagierte als Erster. »Ein Koda Ariel!«
Der Kalbaron hatte ihnen suggeriert, ihr bester Freund zu sein. Deshalb hatten alle bereitwillig Auskunft gegeben. Der Gestaltwandler hatte Hoyt kopiert. Dabei war ihm offenbar ein kleiner Kopierfehler am Kinn unterlaufen, den er mit dem Pflaster verdeckt hatte.
Sebastien sprang auf und riss die Schrotflinte vom Kamin. Links entsichern, rechts abdrücken! Der Hahn klickte und – nichts! Die Waffe war nicht geladen. Verdammt! Wie viel hätte er jetzt für den Kampfroboter der Springer gegeben!
In seiner Verzweiflung drehte er die Flinte um und packte sie am Lauf. Der Außerirdische starrte ihn mit weit aufgerissenen Vogelaugen an, die Hände – waren das weiße Federn? – zur Abwehr erhoben. Zu spät! Der massive Schaft des Schrotgewehrs sauste auf die Hirnschale des Kalbaron. Holz splitterte. Aus einer Platzwunde am Kopf sickerte farbloses Blut. Sebastien warf die nutzlos gewordene Flinte weg. Mit den Armen holte er weit aus und schlug mit beiden Fäusten gleichzeitig auf den Kopf des Suggestors, dessen Schädelknochen der rohen Gewalt eines Ertrusers nichts entgegenzusetzen hatten. Es krachte hässlich, als die Fäuste einschlugen. Der Koda Ariel sackte zusammen. Sebastien schlug erneut zu. Diesmal traf er den Koda Ariel seitlich, sodass dieser vom Sessel kippte. Die Halt suchenden Hände der Hoyt-Kopie griffen ins Leere, er stürzte immer weiter, bis er auf dem Boden aufschlug. Der Kopf fiel zur Seite.
Sebastien musste nicht länger in diese magischen Augen blicken.
In der einsetzenden Stille hörte er ein Geräusch, das wie ein unterdrücktes Stöhnen klang. Es kam aus dem Käfig, der auf der Bank stand. Auf dem Boden des Käfigs lagen keine Seeschwalben, sondern drei eulenartige Wesen in der Größe von Perlhühnern. Das musste die Sippe des Kalbaron sein! Zwei davon waren bereits tot, wie Sebastien mit Kennerblick erkannte. Das dritte zuckte noch ein letztes Mal. Dann war es still.
Kein Koda Ariel hatte die Attacke überlebt. Ob daran der Schock über den Tod ihres Anführers schuld war oder die Kralle des Laboraten, die für den Gehorsam der TRAITOR-Völker sorgte, war jetzt zweitrangig. Viel wichtiger war, welchen Schritt sie als nächsten tun mussten. Das Raumschiff, das die Koda Ariel abgesetzt hatte, konnte jederzeit zurückkommen. Jemand würde nachsehen, was aus den Spionen geworden war. Bis dahin mussten sie verschwunden sein.
»Was ist hier los?«, fragte Curt müde. Der Suggestionsbann der Koda Ariel zerbröckelte langsam.
»Alles schon vorbei«, antwortete Sebastien.
Auch die Yornamer und Springer regten sich. Innerhalb von Sekunden redeten alle wild durcheinander.
»Sind sie tot?«
»Was machen wir jetzt?«
»Jetzt stehen wir auf der Fahndungsliste von TRAITOR.«
»Verdammte Chaotarchen.«
Sebastien rief über sein Multicom die STELLARIS. Über dem Armband entstand das Hologramm von Lewis Silberling.
»Kapitän, es gibt ein Problem«, sagte Sebastien. »Wir haben eine Familie Koda Ariel ins Jenseits befördert.«
»Das ist in der Tat ein Problem.« Silberling blickte ihn fest an. »Ich schicke euch eine Space-Jet. In der Zwischenzeit werden wir hier besprechen, wie wir weiter vorgehen.«
*
»Habt ihr mitbekommen, wo der Alte in der Eile ein Tatort-Reinigungsteam hergenommen hat?«, fragte Curt.
Die anderen schüttelten den Kopf. Sie saßen in der Kantine der STELLARIS bei einem Rentierbraten an Calvados-Creme. Das Fleisch zerging auf der Zunge. Léon hatte das Menü aus seinen von Yorname mitgenommenen Vorräten gezaubert.
»Ich trinke auf unseren Sieg!« Sebastien erhob sein Glas.
»Und ich darauf, dass mir die Behandlung mit dem Psychostrahler erspart geblieben ist!« Léon trank einen Schluck.
»Ich kann aber auch die Kartenspieler verstehen. Das Löschen ihrer Erinnerungen war der Preis dafür, dass sie auf Yorname bleiben durften.« Sebastien blickte zu den Küchenrobotern hinter der Essensausgabe, die so gar nicht wie die Redox im Chez Léon aussahen. »Es ist ihr Zuhause.«
»Schon klar, aber ich wäre nicht um viel Geld dortgeblieben. Stell dir vor, ein Kommando der Kolonne hätte nach den Koda Ariel gesucht. Ich hätte nicht einmal gewusst, warum sie mich umbringen.«
»Da verpflichtest du dich lieber für ein Jahr auf der STELLARIS?«, fragte Sebastien.
»Sicherheitshalber. Schließlich hast du den Koda Ariel in meinem Restaurant gekillt. Schade darum.« Waren das Tränen in seinen Augenwinkeln? Léon zuckte mit den Schultern, wie um eine schwere Last abzuwerfen. »Ich bin froh, dass Kapitän Silberling einverstanden war.«