Sternenspiel - Sergej Lukianenko - E-Book

Sternenspiel E-Book

Sergej Lukianenko

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Beschreibung

Intergalaktische Fernfahrer

Nachdem man auf der Erde das Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit entdeckt hat, bricht die Menschheit ins All auf – und trifft auf das sogenannte „Konklave“, eine interstellare Organisation, in der etliche außerirdische Spezies versammelt sind. Diese Organisation wurde geschaffen, um den Völkern der Galaxis ihre jeweilige Rolle zuzuweisen.

Dies sind die Abenteuer des Kosmonauten Pjotr Chrumow, der eines Tages in seinem Raumschiff einen blinden Passagier entdeckt, einen Vertreter einer kleinwüchsigen Reptilienrasse, die sich gegen das „Konklave“ verschworen hat. Zunächst glaubt Pjotr, die Angelegenheit still und leise bereinigen zu können. Er ahnt nicht, dass sich sein Leben – und das aller Menschen – für immer verändern wird …

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Seitenzahl: 647

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Inhaltsverzeichnis
 
DER AUTOR
Prolog
 
Erster Teil Der Zähler
Eins
 
Copyright
DAS BUCH
Die Zukunft: Die Menschheit reist mit Überlichtgeschwindigkeit ins All. Auf ihren Flügen begegnet sie dem »Konklave«, einer interstellaren Organisation verschiedener außerirdischer Spezies. Diese Organisation wird von den »starken Rassen« geleitet, die den anderen, unterlegenen Bewohnern der Milchstraße ihre jeweilige Rolle zuweisen. Allein die Menschen sind jedoch in der Lage, den Sprung durch Raum und Zeit in Überlichtgeschwindigkeit zu verkraften, und so wird ihnen die Funktion interstellarer Transportleute zugeteilt. Pjotr Chrumow ist ein solcher Raumpilot und Fuhrmann, der eines Tages in seinem Schiff einen blinden Passagier entdeckt: Ein kleines, reptilienartiges Wesen fordert ihn auf, Kontakt zur Erde herzustellen, genauer gesagt zu Pjotrs Großvater. Zunächst glaubt Pjotr, die Angelegenheit still und leise bereinigen zu können, doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Für den Raumfahrer beginnt ein Abenteuer, das ihn in die Weiten des Alls und an die Grenzen seiner eigenen Identität hinausträgt. Denn die Existenz unserer Zivilisation steht auf dem Spiel … Mit »Sternenspiel« erscheint ein neues phantastisches Meisterwerk von Sergej Lukianenko, dem Kultautor von »Wächter der Nacht« und »Spektrum«.
 
»Sergej Lukianenko ist der meistgelesene russische Autor der Gegenwart.«
Stern
»Düster und kraftvoll - der Russe Sergej Lukianenko ist der neue Star der phantastischen Literatur!« Frankfurter Rundschau
DER AUTOR
Sergej Lukianenko, 1968 in Kasachstan geboren, studierte in Alma-Ata Medizin, war als Psychiater tätig und lebt nun als freier Schriftsteller in Moskau. Mit seiner »Wächter«-Serie - »Wächter der Nacht«, »Wächter des Tages«, »Wächter des Zwielichts« und »Wächter der Ewigkeit« - wurde er zum erfolgreichsten russischen Fantasy- und Science-Fiction-Autor der Gegenwart. Als Drehbuchautor war er außerdem an den Verfilmungen von »Wächter der Nacht« und »Wächter des Tages« beteiligt. Zuletzt sind im Wilhelm Heyne Verlag die Romane »Weltengänger« und »Weltenträumer« erschienen.
Titel der russischen Originalausgabe: ЗВ’ЗДЬI -XOЛOДНЬI’ ИГРYШKИ Deutsche Übersetzung von Christiane Pöhlmann
 
Die Passage aus »Winternacht« von Boris Pasternak (Seite 413, »Kein Ende kannte die Kerze …«) ist übersetzt von Richard Pietraß und zitiert nach: Boris Pasternak, Gedichte und Poeme, Berlin: Aufbau (1996). Die Übersetzung der Gedichte von Jacques Prévert aus dem Französischen besorgten Michael Koseler und Christiane Pöhlmann.
Prolog
Das Meer trug nichts nach. Gleich dem Himmel glaubte es an die Freiheit, gleich dem Himmel duldete es keine Einschränkung. Ich stand im feuchten Sand, die Wellen umspülten meine Füße, und nichts war leichter, als zu glauben, der fremde Stern am Himmel sei meine Sonne, das salzige Wasser die alte Wiege der Menschheit.
Wenn nicht die Uferlinie allzu gleichmäßig gewesen wäre, gerade wie der Horizont - und ebenso unecht. Sollte ich an diesem Ufer entlangwandern, würde sich nie etwas ändern: Rechter Hand zögen sich die niedrigen, gleichsam zurechtgestutzten Haine hin, linker Hand würden die Wellen branden. Nur der Sand unter meinen Füßen würde die Farbe wechseln, von Gelb zu Weiß, von Weiß zu Rosa, von Rosa zu Schwarz und zurück. Denn für das Auge unmerklich, beschrieb der Strand einen Bogen nach rechts, Schnee würde ihn bedecken, dann wieder der Sand sich dahinziehen, und irgendwann, nach sehr langer Zeit, würde ich an diesen Punkt zurückgelangen, an dem die Wellen noch immer das Ufer liebkosen würden …
Ein Mensch ist schon mehr als genug, um die Welt zu ändern. Ich machte einen Schritt, und das Wasser schoss zischend in meine Fußstapfen. Die Welt war schon zu klein, um sie in Ruhe zu lassen. Und Gleichmut taugt ja auch nicht für die Lebenden. Allein das Meer und der Himmel kennen die Ruhe.
Ich hob die rechte Hand, betrachtete sie - und meine Finger verlängerten sich. Mein Blick formte sie, verwandelte das Menschenfleisch in scharfe, gekrümmte Krallen.
Allerdings: Hatte ich eigentlich noch das Recht, mich als Menschen zu bezeichnen?
Erster Teil Der Zähler
Eins
»Nimmst du einen Brief für mich mit?«, fragte Elsa. »Wir sitzen hier bestimmt noch zwei Wochen fest, da macht sich mein Mann sonst Sorgen.«
»Ich an seiner Stelle würde diese Beschäftigung auch nach dem Brief fortsetzen«, frotzelte ich.
Elsa lächelte nur und hielt mir über den Tisch den Umschlag hin. Ihre Kollegen saßen fünf Meter weiter, tranken dunkles Bier und beobachteten uns grinsend. Kein Wunder! Neben Elsa wirkte ich ziemlich farblos. Eine schöne Deutsche, das ist ja ohnehin eine Seltenheit, jedenfalls meiner Meinung nach. Und Elsa Schröder war nicht nur schön, sie trug auch noch ihre prachtvolle Uniform der Lufthansa, in der sie wie eine moderne Walküre aussah. All diese funkelnden Kinkerlitzchen an ihrer Jacke, die lange Reihe silberner Sterne über der linken Brusttasche, das Schiffchen, das ihr wundersamerweise nicht vom Blondhaar rutschte, die beeindruckende Pistole in dem versiegelten Holster …
»Er wird damit auch weitermachen«, erwiderte Elsa in ernstem Ton. Um ihren Humor war es wesentlich trauriger bestellt als um ihr Russisch. »Was ist nun, nimmst du den Brief mit?«
»Klar.« Ich nahm ihr den Umschlag ab und wollte ihn mir in die Innentasche stecken, doch das Ding zeigte sich widerspenstig. Seufzend beugte sich Elsa über den Tisch zu mir vor, öffnete meine Jacke und verstaute den Brief in der Tasche, in der bereits die Flugroute und die Kerosinbons Platz gefunden hatten.
Wieso kannte sie die Uniform der Transaero eigentlich besser als ich selbst?
»Danke, Peter«, sagte Elsa mit tiefer, weicher Stimme. Anscheinend brachte sie ihre Zuneigung zum Ausdruck, indem sie meinen Namen deutsch entstellte. »Bist ein guter Junge.«
Vor Ärger verschluckte ich mich sogar.
»Sag mal, könntest du vielleicht einen Abstecher in Frankfurt machen und den Brief selbst abgeben?«, fuhr Elsa fort. »Warst du schon mal in Frankfurt? Mein Mann würde sich freuen, dich kennenzulernen.«
Damit wären wir mitten im üblichen Spielchen: Reich jemandem den kleinen Finger …
»Wir haben einen engen Terminplan, ich bin insgesamt nur drei Tage auf der Erde«, brummte ich.
»Dann eben beim nächsten Mal«, gab Elsa ohne weiteres auf. »Tschüs, Peter …«
Sie stand auf.
»Wohin fliegt ihr eigentlich?«, erkundigte ich mich noch im letzten Moment.
»Nach Jamaija.« Elsa seufzte. »Wir haben eine Lieferung aufgebrummt gekriegt.«
»Vögel?«
»Wellensittiche und Spatzen.« Die Co-Pilotin der Lufthansa verzog das Gesicht. Ich verstand sie bestens. Tausend lärmende, scheißende und durch die Enge und die ungewohnten Umstände durchgeknallte Vögel irgendwo hinzubefördern war kein Zuckerschlecken.
Elsa kehrte zu ihren Kollegen zurück, ließ mich allein mit meinem unausgetrunkenen Bier. Noch gestern hätte ich mich mit einem einzigen Bierchen nicht zufriedengegeben. Aber heute musste ich fliegen, so dass genau genommen schon dieses eine verboten war.
Verstohlen schaute ich mich in der Bar um. Sie war gut besucht, die Leute saßen dicht in Gruppen zusammen. Den größten und lautesten Pulk bildeten die Amerikaner von Delta und United Airlines, nicht ganz so zahlreich waren die Japaner von JAL und die Engländer von British Airways vertreten. Selbst Australier von Qantas und Spanier von Iberia entdeckte ich. Nur von unseren Leuten ließ sich niemand blicken. In puncto Freizeitgestaltung brauchten wir noch Nachhilfe, ganz gewaltig sogar. Seufzend erhob ich mich. Ich ging zum Tresen und langte nach dem Telefon. Der Barkeeper, ein kräftiger Kerl, reichte es mir mit einem freundlichen Lächeln.
»Ah!«, rief er aus. »Young russian pilot!«
Er erinnerte sich noch von meinem gestrigen Besuch her an mich. Barkeeper lieben Russen. Sie verdienen gut an uns - selbst dann, wenn wir allein kommen.
»Ja, ja, der pilot …«, bestätigte ich zerstreut. Ich nahm das Telefon und wählte die Nummer des Kontrollzentrums. Es dauerte, bis jemand ranging. »Flug 36-18, Transaero. Gibt es ein Startfenster für mich?«
Ehrlich gestanden hoffte ich darauf, dass es mit dem Flug heute nicht klappen würde. Dann könnte ich weiter hier rumsitzen, ein gepflegtes Bierchen trinken und mich in dem gemütlichen Hotelzimmer ausschlafen. Wir kamen nur selten auf diesen Planeten, das Zimmer war in letzter Minute reserviert worden - weshalb ich angenehmerweise eine Luxussuite erhalten hatte.
»Flug 36-18 …« Am anderen Ende der Leitung hämmerte die Frau auf ihren Computer ein. »Ja, wir haben noch ein Fenster. Um 17.06 Uhr. Bestätigen Sie den Start?«
Ich schaute auf die Uhr. Noch nicht mal drei.
»Ja.«
»Zur Gesundheitskontrolle begeben Sie sich in Zimmer 12, anschließend gehen Sie ins Kontrollzentrum«, informierte mich die Frau freundlich.
Ich legte auf und starrte den Mann hinterm Tresen finster an.
»Away?«, fragte er fröhlich.
Genau, away...
Ich nickte ihm noch zu, bevor ich zur Tür ging. Da mir eine ganze Traube von Menschen entgegenkam, Chinesen oder Filipinos vielleicht, musste ich mich gegen die Wand pressen. Ich nutzte den kurzen Stau, um den Deutschen zuzuwinken, doch sie bemerkten es nicht.
Es würde heute hoch hergehen im Alten Donald Duck …
Nach dem Halbdunkel der Bar mit ihren getönten Scheiben und den vorgezogenen Gardinen blendete mich das Licht jetzt natürlich. Ich kniff die Augen zusammen, holte die Sonnenbrille raus und setzte sie auf. Erst dann sah ich mich um.
Sirius-A und Sirius-B brannten den Himmel aus, dass er weiß strahlte. Über mir nichts als Licht. Keine einzige Wolke. Logisch …
Der Erdsektor nahm den Rand des Kosmodroms ein. Einen beachtlichen Teil davon, aber eben doch nur den Rand. Drei Kilometer von der Siedlung entfernt verliefen die Landestreifen, zwei zartfliederfarbene Bahnen, die weder aus Beton noch aus Stein oder Kunststoff bestanden. Man hatte bereits mehrfach versucht, dieses fliederfarbene Material zu analysieren, war bisher allerdings jedes Mal gescheitert. Vor einem Jahr hatte sich eine englische Fähre bei der Landung überschlagen, als sie mit einem Titankratzer eine Probe vom Landestreifen nehmen wollte. Weiter hinten landete gerade ein Shuttle, der Farbe nach ein amerikanisches. In diesem Sektor kontrollierten sie und die Franzosen praktisch allein den Handel. Transaero und Aeroflot mussten sich mit weniger gastfreundlichen Gegenden abfinden.
Zwischen der Siedlung und dem Landeplatz standen Fähren, die auf den Start warteten. Ich hielt nach meinem Vogel Ausschau. Er wurde gerade zur Startrampe gebracht. Eine zwanzig Meter lange Röhre, über und über mit Antennen bestückt, und eine Kugel an der Basis, mehr war für den Start nicht vorgesehen. Aber wie heißt es bei unserer Linie: »Auf der Erde musst du starten, bei den Fremden musst du landen …«
Es warteten etwa fünfzig Fähren. Hyxi-43, der achte Planet von Sirius-A, war ein stark frequentierter Ort. Und der einzige in diesem System, auf dem Menschen lebten.
Ich begab mich zum Hotel, den Kopf in die Schultern gezogen, damit mir die Sonne nicht in den Nacken knallte. Kaum jemand versteht, warum wir Piloten bei unserem Gehalt ungern weiter südlich als im Baltikum Urlaub machen.
Diese Leute sollten mal auf Sirius brutzeln - danach konnte ihnen Hawaii gestohlen bleiben.
Das Hotel unterstand theoretisch der UNO, genau wie der Zentralposten des Erdsektors im Raumhafen. Tatsächlich verwaltete es jedoch das Hilton. Ich zeigte den Marinesoldaten am Eingang im Vorbeigehen meine Papiere, eine unsinnige Regel, eingeführt bei Errichtung des Sektors und bis heute gültig. Doch wem lauerten diese muskulösen Kerle mit der M-16 auf dem Rücken eigentlich auf? Menschen war der Zutritt zum Hotel ohne jede Einschränkung erlaubt, Aliens erkannte man auch, ohne dass sie mit ihren Papieren wedelten.
Einer der Marinesoldaten reagierte überhaupt nicht auf mich, der andere lächelte freundlich. Wir hatten uns gestern Abend in der Bar unterhalten. Die Marines schützte ein verspiegeltes Plastikdach gegen das Licht, hinter jedem der beiden lief außerdem ein Ventilator. Sie litten weniger unter der Hitze als vielmehr unter Langeweile. Was hatten sie schon groß an Abwechslung? Sie konnten die Starts und Landungen beobachten, ein paar Bekannte angrinsen und mit den wenigen Frauen flirten …
Im Hotelzimmer nahm ich eine kalte Dusche, ohne dabei auf das rationierte Wasser zu achten. Heute Abend würde ich ohnehin keins mehr brauchen. Das Abtrocknen schenkte ich mir, die leicht surrende Klimaanlage hatte die Hitze sowieso nicht vertreiben können. Ich baute mich vorm Spiegel auf und musterte mein Gesicht.
Klar, als cooler Pilot ging ich nur auf der Erde durch - wenn ich durch die Straßen eines Provinznests spazierte. Denn schon in Moskau schenkte man uns Kosmonauten kaum noch Aufmerksamkeit. Bist ein guter Junge … Als mir Elsas Worte wieder einfielen, stürmte ich wütend rüber ins Wohnzimmer. Wenn wenigstens mein Bart dichter wäre! Aber nein, ich war ein gutmütiger, fünfundzwanzigjähriger Milchbubi mit strohblondem Wuschelkopf und vollen Wangen! Jeder Pilot las mir meine Biographie auf den ersten Blick ab: Luftwaffe, selbständige Flüge, die sich an einer Hand abzählen ließen, Astrokurse im Schnelldurchgang und ein altes Shuttle, für das ein erfahrener Mann zu schade war.
Geschenkt.
Im Großen und Ganzen fielen die Unterschiede zwischen uns Piloten kaum ins Gewicht.
Ich zog mich an und packte meine paar Habseligkeiten in einen Aktenkoffer. Nachdem ich das Zimmer verlassen und die Tür hinter mir zugezogen hatte, händigte ich dem Zimmermädchen der Etage die Schlüssel aus und wartete, bis sie meinen Auszug im Computer eingegeben hatte.
Die Frau war überarbeitet und müde. Alle Weltraumbahnhöfe litten unter Personalmangel. Jeder Arbeitsplatz kostete Unsummen! Steuern für die veratmete Luft, Steuern für die Schuldentilgung des Grundstücks, Steuern für Veränderung der Planetenmasse … Den Außerirdischen mangelte es in dieser Beziehung nicht an Phantasie. Und das waren ja noch nicht mal die direkten Ausgaben. Von mir aus hätten sie ruhig ein paar von diesen absolut überflüssigen Marinesoldaten entlassen können, statt den Leuten aus dem Kontrollzentrum und dem Dienstpersonal immer noch mehr aufzubürden.
»Wünsche guten Flug«, sagte die Frau mit polnischem Akzent. »Kommen Sie wieder?«
»Glaub schon.«
»Wünsch gute Erholung, Panie.« Die Frau seufzte. »Ach ja … mein Urlaub … oi-oi … muss noch ein halbes Jahr warten.«
Ich schüttelte mitfühlend den Kopf.
»Sie kennen Boris Kossuch? Von Aeroflot?«
»Nein«, antwortete ich. Mit unseren Hauptkonkurrenten hatten wir nicht häufig zu tun. Und zwar nicht, weil unsere Linie eine solche Politik ausgab, sondern einfach, weil unsere Flüge sich selten überschnitten.
»Ein lustiger Mann«, erklärte die Frau. Sie seufzte erneut. »Ich habe gedacht, alle russischen Piloten sind lustig …«
Mit einem dummen Lächeln ging ich weiter zum Fahrstuhl. Was hatte sie wohl damit sagen wollen? Man konnte ja glauben, ich sei ein alter Trauerkloß!
Da mir noch Zeit blieb, schaute ich auf einen Sprung in der Bar im Erdgeschoss vorbei, um einen starken »intergalaktischen Kaffee« zu trinken, mit Zimt und Ingwer. Nichts vertreibt die Bierfahne besser. In diese Bar kamen niemals Piloten. Irgendwie hatte es sich so ergeben, dass wir das Donald mit Beschlag belegt hatten, die Hotelbar jedoch fest in der Hand der Soldaten vom Bodenpersonal war. Anständigen Kaffee machten sie aber.
Jetzt noch der Arzt.
Die Verwaltungsgebäude lagen ganz in der Nähe. Überhaupt war in den Raumhäfen auf anderen Planeten immer alles konzentriert beieinander. Trotzdem geriet ich ins Schwitzen, während ich über den Betonweg zu den piekfeinen zweistöckigen Häusern stapfte. Ich schlüpfte gleich ins erste, waren die Bauten untereinander doch mit Gängen aus Spiegelglas verbunden, so dass ich mich nicht mehr als nötig zu quälen brauchte. Der Wachtposten nickte mir mitfühlend zu. »Heiß draußen?«
»Und wie«, antwortete ich.
Damit endete unser karges Gespräch wie von selbst. Ich ging durch die Korridore zum Krankenhaus.
Die Tür zu Zimmer 12 stand offen, Stimmen klangen zu mir herüber, auch ein Lachen. Sofort wurde mir leichter zumute: Die Leute unterhielten sich auf Russisch. Ich klopfte gegen den Türpfosten und steckte den Kopf ins Zimmer.
»Ah!« Der Arzt, ein nicht sehr großer, kräftiger Mann in grünem Chirurgenkittel, erhob sich hinter seinem Tisch. »Von der Transaero?«
»Genau.«
»Worauf wartest du noch? Immer rein!« Er klopfte mir zur Begrüßung auf den Rücken. »Kostja!«, stellte er sich vor. »Einfach Kostja.«
Er war um die dreißig, vielleicht etwas älter. Seine Vitalität und die rötlichen Wangen ließen keinen genaueren Schluss zu.
»Petja«, brummte ich.
Die beiden Krankenschwestern, die höchst sittsam auf einer Bank vorm Fenster saßen, brachen in Gelächter aus.
»Einen Monat lang habe ich jetzt keinen Russen zu Gesicht bekommen!«, gestand der Arzt. »Wann fliegst du?«
»In zwei Stunden.«
»Hast du Beschwerden?« Der Arzt versuchte hartnäckig, eine offizielle Miene aufzusetzen. »Ach, was rede ich denn … Setz dich!«
»Es ist alles in Ordnung.« Als ich nach meiner Flugkarte kramte, hätte ich beinahe Elsas Brief mit herausgerissen. Die Karte hielt ich dem Arzt hin.
»Woher bist du?«
»Aus Moskau.«
»Hmm … weit weg. Ich bin aus Abakan. Also, raus mit der Sprache, wie viel hast du heute getrunken?«
Anscheinend musste ich Farbe bekennen. »Ein halbes Bier.«
Der Arzt drohte mir mit dem Finger und langte nach dem Alkoholdetektor auf dem Tisch.
»Wenn du mehr als zwei Gläser getrunken hättest, würde ich dich heute nirgendwo hinlassen! Atme aus!«
Gehorsam pustete ich in das Röhrchen.
»Noch mal«, verlangte der Arzt mit einem Blick auf die Skala.
Ich atmete tief aus, wie ein Sprinter nach dem Rennen.
»Sag mal, war dein Bier ein Kefir?«, wollte der Arzt wissen. »Tüchtig! Normalerweise unternehmen unsere Jungs doch alles, um das allgemeine Vorurteil zu bestätigen: Russen besaufen sich vor jedem Start!«
»Gestern … da habe ich auch etwas übertrieben«, gab ich zu.
»Wie viel?«
»Drei Gläser.«
Die Krankenschwestern und der Arzt sagten kein Wort. Nach einer Weile steckte der Arzt sein Instrument in die Tasche. »Ein interessanter Fall«, bemerkte er nachdenklich. »Wo sind deine Papiere?«
Er drückte einen Stempel auf die Karte, unterschrieb und fuhr mit dem Codierungsring über den Streifen des Magnetindikators. »Bist du schon lange dabei?«, erkundigte er sich.
»Seit zwei Jahren.«
Die eine der beiden Krankenschwestern kicherte ungläubig, die andere schenkte mir ein Lächeln. Was für eine angenehme Frau …
»Schau ruhig öfter mal bei uns rein«, forderte der Arzt mich auf. »Ich schreibe gerade meine Dissertation, zum Thema ›Der Einfluss extremer extraterrestrischer Bedingungen auf die Verhaltensimperative‹. Dafür brauche ich markante Beispielfälle.«
»Kommt drauf an, was meine Linie entscheidet. Allerdings mag ich diesen Planeten nicht besonders«, gab ich zu. »Es ist zu heiß. Und die Bevölkerung ist ziemlich … verschlossen.«
»Dass die nicht zu Scherzen aufgelegt sind, ist doch kein Wunder! In einer Woche beginnt für sie die Jahreszeit der kollektiven Euthanasie«, brummte der Arzt. »Die Larven sind inzwischen herangereift, jetzt muss freier Raum her. Gut, lassen wir das … Petja. Guten Flug.«
»Danke.« Ich zog mich rasch Richtung Tür zurück.
»Hast du wenigstens ein paar Souvenirs gekauft?«, fragte der Arzt.
»Klar«, antwortete ich, indem ich gegen die Tasche meiner Jacke klopfte. Die beiden Krankenschwestern kicherten verlegen.
»Komm wirklich mal wieder vorbei, Petja«, wiederholte der Arzt nach einer kurzen Schweigepause.
»Mach ich, Kostja.« Damit verließ ich den Raum.
Das war’s. Das größte Problem war gelöst, die Erlaubnis hatte ich.
Ich ging rüber zum Gebäude des Kontrollzentrums. Dort wimmelte es von Marinesoldaten, weshalb ich meine Papiere herausholen und sie in der Hand behalten musste. Ich suchte ewig nach einem freien Schalter. Schließlich fand ich einen mürrischen Typ, der meine Daten in den Computer eingab und die letzten Punkte der Erlaubnis abzeichnete. Mein Schiff wurde inzwischen durchgesehen und aufgetankt. Ich händigte dem Typen hinterm Schalter Gutscheine über zweieinhalb Tonnen Kerosin aus und bestätigte, keinerlei Mängel zu beanstanden.
Damit dürfte nun wirklich alles geregelt sein.
Bis zum Start blieben mir noch anderthalb Stunden. Ich hätte zwar um einen Elektrocar bitten können, zog es aber vor, zu Fuß zum Schiff zu gehen. Wer weiß, wann es mich das nächste Mal nach Hyxi verschlug.
Diesmal hatte mich eine einfache und problemlose Fracht hierhergebracht. Bilder. Kleine Dinger, wie sie jeder kennt, fünfzehn mal zehn Zentimeter, in einem Holzrahmen und unter Glas. Jedes zeigte einen Ausschnitt vom Meer mit Bäumen am Ufer, dem Mond am Himmel und einem silbrigen Streifen auf dem Wasser. Die Maler gaben sich alle Mühe, die größtmögliche Abwechslung in sie hineinzubringen, weshalb manchmal ein paar Segel aufblitzten, Vögel am Himmel flogen oder sich Wolken vor den Mond schoben. Dergleichen könnten sie sich getrost sparen, denn der Blick der Hyxoiden ist unserem weit überlegen. Ihnen genügt jene Individualität, die das Bild durch ein aus dem Pinsel herausragendes Haar oder einen Fingerabdruck in der Tempera erhält, vollauf.
Auf dem Rückweg sollte ich sogar eine noch ödere Fracht aufnehmen, nämlich Kortrisonplatten. Anscheinend galten sie bei den Hyxoiden ebenfalls als Ziergegenstand. Auf der Erde stellte man aus ebendiesen Platten jedoch die besten Schusswesten oder Schutzhüllen für neue Schiffstypen her. Die Hyxoiden protestierten nicht gegen diese Verwendung, obwohl sie sich durchaus auf das Gesetz zur Unsachgemäßen Anwendung hätten berufen können. Vermutlich unterstellten sie den Menschen das Bedürfnis, ihre Schiffe so schön wie möglich zu gestalten.
Mein Vogel war einer der ältesten, noch mit einer Keramikverschalung. Es war eine bereits vor fünfzig Jahren entwickelte Spiral, zwanzig Tonnen schwer und mit recht kleinem Frachtraum. Selbst wenn das Schiff inzwischen modernisiert worden war, hatte es sich äußerlich kaum verändert. Den »Latschen« - da konnte man einfach nichts machen, bei der Form würde die Spiral im Volksmund immer so heißen - schickte man inzwischen mit einer alten, wenn auch ebenfalls überholten Proton ins All. Keine sehr angenehme Vorstellung. Aber wie heißt es doch? »Bei den Fremden startet man gern, auf der Erde landet man lieber.«
Am Durchlass zum Flugfeld zeigte ich meine Papiere ein letztes Mal vor, danach steckte ich sie in die Tasche. Geschafft. Höchste Zeit, dass ich wieder nach Hause kam...
Ich ging um die anderen Schiffe herum zur Startrampe. Die Spiral war bereits in Position gebracht worden, das Personal wuselte aber immer noch um meinen Vogel herum. Ich legte einen Zahn zu. Ein paar Außerirdische unter die Lupe zu nehmen, das fand ich immer interessant.
Es handelte sich um eine gemischte Mannschaft. Zwei gigantische, an die drei Meter große Hyxoide. So eine Art graue Gottesanbeterinnen. Angeblich sind sie trotz ihres robusten Äußeren extrem zerbrechlich. Ich selbst hatte einmal beobachtet, wie ein Hyxoid ausgerutscht und gefallen war und sich eine seiner Stützpfoten gebrochen hatte. Insofern wunderte ich mich nicht, dass sie den gebotenen Abstand zum Schiff hielten. Dieses hatten drei seltsame Wesen bewegt, Gestalten, die wie Schildkröten aussahen, allerdings ohne Panzer, sondern mit faltiger Haut. Ab und an schlängelte sich aus diesen Falten ein langer, dünner Fühler heraus und schob das Schiff sanft ein, zwei Meter weiter.
Einer der Hyxoiden kam mir entgegen. Sein Maul - das Wort »Mund« wollte mir einfach nicht über die Lippen! - öffnete sich weit. »Pilot?«, krächzte der Hyxoid.
Ich nickte und kämpfte gegen den Wunsch an, ihm meine Papiere zu zeigen. Typisch Russe - denn die Hyxoiden interessierten sich überhaupt nicht für Papiere.
Der Hyxoid wich etwas zurück. Ich wartete, bis die »Schildkröten« von der Spiral weggekrochen waren, bevor ich auf die Luke zutrat. Zum Glück hatten die »Schildkröten« auch eine Einstiegsleiter herangeschafft. Ich hantierte an dem eingelassenen Griff und öffnete die Luke. Aus den Augenwinkeln schielte ich zu den mich beobachtenden Hyxoiden hinüber und kletterte ins Schiff.
Je weniger du mit Außerirdischen sprichst, desto weniger Schaden kannst du anrichten. Ansonsten platzt du womöglich mit einer Bemerkung heraus, die völlig harmlos klingt - mit der du aber eine diplomatische Krise auslöst. Wenn du den Hyxoiden in dieser Jahreszeit zum Beispiel Gesundheit und ein langes Leben wünschen würdest, hieße das, sie kolossal zu verhöhnen.
Im Schiff war alles bestens. Und vor allem war es kühl. Eben doch eine erstklassige Wärmedämmung! Es roch nach Leder und Plastik. Und ganz leicht nach Elektrizität. Nicht nach Ozon, sondern nach einem spezifischen Geruch, der von den vielen Elektrogeräten herrührte. Außerdem hing noch ein zarter Hauch von Gewürzen in der Luft, die ich vor zwei Monaten geladen hatte und von denen einige Packungen bei der Landung geplatzt waren und ihren Inhalt im Frachtraum verteilt hatten.
Die Schleuse war winzig. Ein kleines Steuerpult für die Türen, ein Schrank mit dem Raumanzug, den ich seit einem halben Jahr nicht mehr angehabt hatte. Eine Tür führte zum Cockpit, eine in den Frachtraum. Ich aktivierte die Hermetisierung, und während in der Wand die Servomotoren summend die Luke zuzogen und das Schiff hermetisch abschlossen, überprüfte ich die Fracht.
Kortrison ist sehr leicht. Die Platten entsprachen von der Größe haargenau den Bildern, die ich auf dem Herflug geladen hatte, und waren in durchsichtiges Material eingepackt und an den Wänden verzurrt. Auf jeder war akkurat die Masse und das Gewichtszentrum ausgewiesen. Mit Hilfe der Standardtabelle kontrollierte ich, ob das Schiff ausbalanciert war.
Tadellos, da gab’s nichts zu beanstanden. Die pedantischen Hyxoiden, die Individualität nur in der Kunst schätzten, hatten sicherlich zum Beladen einen Zähler hinzugezogen.
Ich verriegelte den Frachtraum, pumpte die Luft ab und begab mich ins Cockpit. Auf dem hufeisenförmigen Pult glommen gelbe Stand-by-Lampen. Nachdem ich den Zentralrechner hochgefahren hatte, schaltete ich auf Empfang und leitete die Systemtests ein. Ich setzte mich und legte die Gurte an.
Rechts von mir hätte sich eigentlich der Sitz für den zweiten Piloten befinden müssen. Stattdessen stand da der Jumper, ein einen Meter hoher Zylinder aus Aluminium. Ich klopfte gegen seine kühle Seitenfläche.
Natürlich ist es dumm, zweihundert Kilogramm Leitungen und Mikrochips wie ein Lebewesen zu behandeln. Da könnte ich ja noch eher meinen Computer begrüßen. Aber jeder hat halt seine eigenen Macken.
»Kontrollzentrum an Flug 36-18, Transaero«, drang eine Stimme aus dem Lautsprecher. »Bist du startklar?«
»Flug 36-18 an Kontrollzentrum, ich bin fast startklar.«
»Die Startrampe gibt dir einen Countdown von zehn Minuten. Plus drei Minuten, um eine Entscheidung zu treffen.«
»Verstanden. Warte auf Bestätigung.«
Ich beobachtete, wie der Rechner den Test der eigenen Verbindungen, Programme, des Reservecomputers und der Systeme des Schiffs beendete. Nach zwei Minuten und vierzig Sekunden schaltete ich wieder auf Empfang. »Flug 36-18 an Kontrollzentrum Hyxi«, meldete ich mich. »Ich bin startklar.«
»Einen guten Start, Pilot.«
Was hatte Gagarin damals gesagt? Los geht’s!
Auf dem Monitor blinkte einsam die Silhouette eines Schiffs, die meine Lage im Raum markierte. Das Shuttle verlor das Gleichgewicht, schaukelte und reckte die Nase in den weißen Himmel.
Ich startete.
Ohne die geringste Beschleunigung. Noch immer spürte ich nur die »0,8 g«, die auf Hyxi herrschten. Die isolierte Gravitationsschwankung mit meinem Vogel mitten drin stieß vor in den Kosmos.
Das erinnerte überhaupt nicht an einen Start. Eher war es, als würde der Planet unter mir weggerissen, als kröche er unter dem Schiff weg, verlöre seine Fläche und verwandle sich in eine Kugel.
»Flug 36-18«, erklang die Stimme des Operators. »Du fliegst bereits.«
»Das merke ich.«
»Einen langen Jump!«
»Vielen Dank, Hyxi.«
Ein zarter Schleier hüllte das Shuttle ein. Also gab es doch Wolken auf Hyxi, nur dass man sie vom Boden aus nicht sah. Dann folgte wieder der klare Himmel, jetzt bereits hellblau, eine Parodie auf den Himmel unserer Erde. Die vordere Spitze des Schiffs bebte und neigte sich zur Seite. Ich wurde entgegen der Drehung des Planeten davongetragen, hinaus in den Orbit. Die Startrampe konnte das Schiff so lange kontrollieren, wie es sich noch in Sichtweite befand. Das genügte völlig, um auf Kreisbahngeschwindigkeit zu beschleunigen.
»Flug 36-18, die Kontrolle des Raumhafens hat die Information für deinen Korridor durchgegeben …« Der Mann stockte.
»Was ist, Hyxi?«
»Da fliegt ein Raumkreuzer der Alari auf deiner Gleitbahn.«
»Spinnt ihr?«, brüllte ich, während ich auf das Radar linste.
»Das geht nicht auf unser Konto, Transaero. Das musst du uns glauben.« Der Mann stand ebenfalls am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Nur konnte er seine Gefühle besser beherrschen. Was verständlich war - schließlich befand er sich unten, am Boden von Hyxi.
»Kommt es zu einer Kursüberschneidung?«
Alles ging viel zu schnell, als dass ich in Panik geraten konnte.
»Eventuell …«
»Wie viel Zeit bleibt noch?«
»Plus zweihundert Sekunden bis zum Eintritt in den Orbit. Transaero, wir haben bereits offiziell Protest eingelegt …«
Ich drückte auf den Knopf, mit dem ich den Lautsprecher abschaltete. Sollte die Gesellschaft doch später entscheiden, ob sie die Flugkontrolle von Hyxi vor ein interplanetares Gericht stellte. Ich musste jetzt meinen Hintern retten.
Das Jumper-Pult war mit einer transparenten Plastikscheibe abgedeckt. Ich klappte sie hoch und setzte den Generator in Betrieb.
Diese Arschgeigen! Diese verdammten Arschgeigen - denen ich nicht mal etwas vorwerfen konnte. Bis zum Jump hatte ich noch zwei Minuten. Aus Sicht der Außerirdischen reichte das vollauf, um dem Raumkreuzer auszuweichen.
Notjump!, gab ich ein. Ausgangspunkt: Hyxi. Zielpunkt: Erde. Selbstbestimmung des Zwischenpunkts. Toleranz …
Einen Moment stockte ich, während ich überschlug, was ich mir da maximal leisten konnte. Null Komma null drei Prozent … Enter.
Entweder blieb ich unter den drei Hundertsteln, oder mir würde ein lustiges kosmisches Bockspringen bevorstehen.
Die Startrampe steuerte mich immer noch und gab mir die letzten Prozente orbitaler Geschwindigkeit. Hyxi dehnte sich zu einem gelb-weißen Hügel aus. Um mich herum gab es nichts als Dunkelheit und Sterne.
Der Sitz sackte unter mir weg, mein »Gravitationsindikator« - ein mit einer Angelschnur befestigtes Mäuslein aus weichem synthetischen Fell - schwebte durch die Luft. Die Rampe hatte sich abgeschaltet, und die Schwerelosigkeit nahm das Schiff in die zärtlichste Umarmung der Welt. Das war’s. Ich befand mich im freien Flug. Und - was am wichtigsten war - außerhalb der Atmosphäre. Jetzt konnte ich den Jumper einschalten, ohne mir darüber Sorgen zu machen, dass ein Teil des Planeten zusammen mit meinem Schiff auf Reisen ging. Abermals blickte ich auf das Radar.
Ein winziger Punkt leuchtete am äußersten Bildschirmrand. Ein großer Raumkreuzer. Ein sehr großer. Die kleinen, possierlichen Alari liebten gigantische Schiffe …
»Komm schon!«, beschwor ich meinen Rechner. Die Meldung »Berechne Jump« auf dem Monitor flößte mir kein sonderliches Vertrauen ein. Manchmal dauerte eine solche Berechnung bis zu einer halben Stunde.
Der Punkt kam näher. Ich schätzte die Richtung ab, riss den Kopf herum und schaute nach vorn, in Flugrichtung. In dem Moment erspähte ich den fernen Schimmer über dem gebogenen Horizont.
Meine Fähre würde kaum so unglücklich fliegen, dass sie den Kreuzer frontal rammte. Aber das war auch gar nicht nötig. Näherte ich mich ihm bis auf acht Kilometer, würde mich der Energieschild des Kreuzers einfach zermalmen. Vielleicht würde ich auch bloß in den Bereich des gekrümmten Raums abdriften und die nächste Viertelstunde im Kielwasser des Kreuzers festhängen. In dem Fall würde das Shuttle bersten wie ein morsches Boot unter den Peitschenschlägen eines Tsunamis.
»Komm schon, du Miststück!«, schrie ich den Jumper an. Er schien mich irgendwie zu verstehen.
Berechnung beendet.
Ich guckte mir die Kursdiagramme gar nicht erst an. Den Blick fest auf den Raumkreuzer gerichtet, diese inzwischen mit bloßem Auge erkennbare Scheibe, entfernte ich die Verriegelung und drückte den Starter. Der Jumper fuhr sich leise surrend hoch.
Der alarische Kreuzer war wunderschön. Die Scheibe hatte einen Durchmesser von achthundert Metern und war mit Türmen bestückt, deren Funktion sich mir nicht erschloss. Vielleicht handelte es sich um Waffenstationen, vielleicht auch um Wohneinheiten. Welcher Mensch konnte sich schon damit brüsten, je auf einem Kreuzer der Alari gewesen zu sein? Falls mich mein Gedächtnis nicht im Stich ließ, war die Scheibe fünfzig Meter dick und wies an der Unterseite drei Gitter von Gravitationstriebwerken auf. Jetzt mussten sie mit einem fliederfarbenen Licht blinken, denn der Raum, welcher die Gigawatt Energie nicht ertrug, die in den Kosmos strömten, riss auf. Möge Gott verhüten, dass ich dieses Licht je sah!
Die Alari galten nicht als sonderlich kriegerische Rasse. Dennoch waren ihre Kreuzer hervorragend ausgestattet. Ich erinnerte mich an einen Dokumentarfilm, der uns während der Ausbildung gezeigt wurde: Zwei alarische Kreuzer, die einen Planeten in Staub verwandelten. Ein graziöser Tanz in den Umlaufbahnen, zarte Strahlen, die Streifen auf die Planetenoberfläche warfen, und matt orangefarbene Feuerwellen, die über die Kontinente wogten. Als die Alari irgendwann die Triebwerke des Schiffs dem Planeten zudrehten, hatte eine fliederfarbene Flamme den Bildschirm eingenommen. Danach gab es nur noch Staub und Asteroidenschwärme, in die sich der Planet verwandelt hatte. Steinbrocken, die an den Kraftschilden der Kreuzer verbrannten. Ein Inferno, geschaffen binnen weniger Minuten.
Wir wussten nicht mal, um welchen Planeten es sich handelte. Ob er bewohnt war oder nicht. Die Alari hatten uns die Aufzeichnung einfach so zur Verfügung gestellt, zur Kenntnisnahme.
Und wir hatten sie zur Kenntnis genommen.
Sahen sie mich jetzt, die Alari? Bestimmt. Ich schaute auf die Maus, die über dem Pult tanzte. Sie könnte als leicht verkleinerte Kopie eines Alari durchgehen. Wie komisch der Kosmos war - er hatte uns gelehrt, vor Mäusen Angst zu haben. Vor zwanzig Kilo schweren bepelzten Nagern, deren Kreuzer Planeten zerlegen.
Was ging ihnen durch den Kopf, wenn sie eine dieser Nussschalen von uns Menschen erblickten? Wenn ihnen diese Schiffe mit ihren Flüssigkeitsraketentriebwerken entgegenkamen? Erwarteten sie dann ein Feuerwerk? Jetzt leiteten sie jedenfalls kein Manöver ein. Seit ein paar Monaten schon krochen sie auf Hyxi zu, brachen sie sich stur durch den Raum. Nun träumten sie bloß noch davon, endlich festen Boden unter die Füße zu bekommen.
»Macht’s gut, Mäuse«, sagte ich, während ich den Knopf für den Jump drückte.
Der Jumper fiepte leise, als die Kondensatoren die angesammelte Energie auf die Antenne jagten. Anscheinend sollte ich das Glück haben, das Nichts zu sehen.
Der Raum um das Schiff öffnete sich und nahm meinen Vogel in sein Inneres auf.
Der Jump.
Schon richtig, wir waren die rückständigste Rasse in dieser Welt. Die primitivste.
Ein Jump. Das hieß gut zwölf Lichtjahre überwinden, die Strecke war konstant, blieb immer gleich, unabhängig davon, wie der Jumper konstruiert war oder welche Masse das Schiff hatte. Hier kam etwas zum Tragen, das in der Natur des Raumes selbst verankert und unveränderlich wie die Gravitationskonstante oder die Zahl Pi war. Deshalb sprang ich nicht Richtung Erde, denn die lag zu dicht an Sirius. Mein Shuttle driftete seitlich weg, verschwand in eine Gegend des Weltalls, von der aus die Entfernung zur Erde eben »gut zwölf Lichtjahre« betrug.
Der Jump.
Keine Zeit, keine Wahrnehmung. Nur Freude brachte er. Euphorie in Reinform. Funkelnde Dunkelheit, absolute Sicherheit und Ruhe. Sex, Drogen und Alkohol können abstinken im Vergleich zum Jump. Total.
Nur schade, dass ich nicht vor Glück stöhnen konnte.
Beim Jump existiert nämlich keine Zeit. Wir bewegen uns außerhalb des gewohnten Raums, und kein Chronometer ist in der Lage, jenen Zeitausschnitt einzufangen, in dem das Schiff die »gut zwölf Lichtjahre« zurücklegt. Subjektiv betrachtet dauert der Jump endlos.
Eine süße Ewigkeit lang …
Und genau das ist es, was uns wieder und wieder ins All treibt. Nicht Geld und Orden locken uns, die von den Fluglinien und Regierungen großzügig verteilt werden. Nicht die Exotik fremder Welten - denn die existiert im Grunde für uns gar nicht, da niemand den Raumhafen verlassen darf.
Nein, uns lockt die süße Ewigkeit des Jumps. Jene Euphorie, mit der sich kein terrestrisches Vergnügen vergleichen lässt.
Das Nichts wich der Dunkelheit, die Glückseligkeit dem Schmerz. Keinem konkreten Schmerz, denn der Jump hat keinerlei schädliche Folgen. Doch im Vergleich zur abgeklungenen Euphorie bedeutet jeder Zustand Schmerz.
Ich lag im Sitz, von Gurten gegen das weiche Polster gepresst. Die Schwerelosigkeit kam mir wie Beschleunigung vor. Bleiplatten gleich lastete meine Kleidung auf meiner Haut. Meine Lider waren rau wie Schmirgelpapier und schnitten mir bei jedem Blinzeln in die Augen.
Macht nichts. Halb so wild - denn es würde noch einen Jump geben …
Stöhnend öffnete ich die Augen. Im Schiff herrschte völlige Dunkelheit. Nur durch die Frontfenster schienen die Sterne herein. Hier sind sie blendend hell und nadelspitz. Doch heller wird es davon nicht.
Der Jumper knisterte leise und kühlte ab. In meinen Ohren rauschte es, winselte ein feiner Ton. Ansonsten war es totenstill. Dem Schiff war jede Energie entzogen, wie immer nach einem Jump. Mit zitternden Fingern knöpfte ich meine Tasche auf, holte das Leuchtröhrchen heraus und knickte es. Die Flüssigkeit im Innern schäumte auf und erstrahlte in kaltem blauen Licht. Die erloschenen Bildschirme an den Pulten und das Panzerglas glänzten.
»K-knapp«, kommentierte ich das Geschehen für mich selbst. »Na, Petja, was meinst du? War das knapp?«
Immer noch summte es in meinen Ohren. Ich löste die Gurte, hängte sie über den Sitz, klammerte mich an den Armstützen fest und behielt das über dem Pult schwebende Leuchtröhrchen im Auge. Es verging eine Minute, dann eine weitere, bis schließlich am Pult die ersten Lämpchen zart aufleuchteten. Die Akkumulatoren überwanden allmählich den Schock des Jumps. Das System der Havarieventilation, das auf simpelsten Elektroschaltkreisen beruhte, schaltete sich ein. Um zu funktionieren, brauchte es lediglich Spannung. Schließlich meldete sich auch der Rechner zurück, ein paar Zeilen flackerten auf, bis er plötzlich wieder verstummte. In den Speichern gab es keine Informationen. Alle Datenträger, die während des Jumps unter Spannung gestanden hatten, waren komplett gelöscht worden. Eine kleine Unannehmlichkeit für den Piloten - und ein enormes Glück für die Menschheit.
Aus dem Container unter der rechten Armstütze holte ich die erste CD und schob sie ins Laufwerk des Pults. Gut, fangen wir wieder bei null an … Die Scheibe rotierte, der Rechner verleibte sich gierig das Betriebssystem, die Lebenserhaltungsprogramme und die Testprogramme ein. Na, mach schon, Kumpel, sieh zu, dass du wieder auf Touren kommst! Ich stieß mich vom Pult ab, glitt über den Sitz und schnappte mir im Flug das Leuchtröhrchen. Ich musste das Schiff inspizieren. Dabei hätte ich viel lieber zum Fenster rausgeguckt. Und zwar sofort, solange sich die Beleuchtung noch nicht wieder zugeschaltet hatte, solange der Computer die Hauptsysteme des Schiffs nicht wieder aktiviert und das zarte Surren der Ventilation dem üblichen Dröhnen den Vortritt gelassen hatte.
Nach wie vor hallte dieses Geräusch in meinen Ohren …
Ich hing vorm Fenster auf der rechten Seite und spähte in den Kosmos. Da war er, Sirius, einer der Heimatsterne der Hyxoiden. Ein grellweißer Stern. Wenn ich den Kopf so weit wie möglich herumdrehte, sah ich einen kleinen, von der Nase des Schiffs fast verdeckten Stern: die Sonne.
Der Rechner fiepte leise, nachdem er die erste Disc eingelesen hatte. Ich stieß mich von der Wand ab, segelte zum Pult, wechselte die CD und starrte auf den Monitor. Alles in Ordnung, die Hauptverbindungen standen bereits wieder, jetzt liefen die Systemtests. Woher kam dann nur dieses seltsame Gefühl, etwas stimme nicht? Was ließ meine inneren Alarmglocken schrillen? Was?
Die Beleuchtung schaltete sich wieder an, die kleine Kabine erstrahlte im Licht. Das Shuttle musste von außen ziemlich komisch aussehen, dieser strahlende Punkt inmitten der endlosen Leere. Wenn ich wollte, könnte ich den Raumanzug anziehen und nach draußen gehen, zum Beispiel unter dem Vorwand, die Fracht zu kontrollieren, und dann ein paar Photos schießen. Aber meine Nerven waren nicht stark genug, um außerhalb der Kabine rumzuschweben, Auge in Auge mit den Sternen und der Leere.
Mir war sowieso schon ziemlich mulmig zumute. Woran lag das bloß?
Ich drehte den Kopf, schaute auf die Bildschirme der sich wieder einschaltenden Pulte sowie auf die Havariemelder und versuchte durch das Fiepen in meinen Ohren hindurch wenigstens ein einziges Alarmsignal wahrzunehmen.
Verdammt!
Es rauschte gar nicht in meinen Ohren! Das Geräusch kam aus dem kleinen Schrank mit den Werkzeugen und den Lebensmitteln.
Na, super!
Ich knöpfte das Holster auf und holte die Pistole heraus. Ich entriegelte die Sperrvorrichtung, und der Kondensator aus der Patrone schoss ins Bodenstück. Die »Laserpeitschen« der russischen Fluggesellschaften verfügten über einen gewaltigen Vorteil: man konnte sie auch in der Kabine eines Raumschiffs abfeuern. Der Strahl war zu schwach, um das Gehäuse zu verbrennen. Diese Waffe war insofern mit der Spiral verwandt, als sie ebenfalls noch für das Mondprogramm entwickelt worden war.
Nur dass wir immer noch nicht auf dem Mond gelandet waren.
Stattdessen waren wir zu den Sternen geflogen. Zu diesen unwirtlichen Funken am Himmel, die uns nicht gehörten.
Und nie gehören würden.
Auf keinen Fall durfte ich jetzt Zweifel aufkommen lassen. Wenn ich auch nur eine Minute über mein Tun nachdenken würde, verließe mich der Mut, den Schrank zu öffnen. Ein durchgedrehter Hyxoid … Nein, ein Hyxoid würde nicht in diesen kleinen Schrank passen … Aber wer auch immer da drin stecken mochte - von mir aus sogar eine alarische Maus ohne Panzeranzug -, so oder so würde dieses Wesen den Verstand verloren haben - und bliebe damit ein gefährlicher Feind.
Ich stieß mich mit den Beinen vom Pult ab und schwebte zum Schrank. Nachdem ich die Waffe entsichert hatte - die Pistole schimmerte jetzt im grünen Licht -, riss ich die Tür auf.
Im unteren Fach zitterte zwischen den durch Gurte festgeklemmten Beuteln mit meiner Kleidung eine leise wimmernde, geschuppte graue Kugel.
Ein Zähler!
Ich flog ein kleines Stück vom Schrank weg, behielt die winselnde Kugel dabei aber fest im Blick.
Na prima …
Was hast du denn hier verloren, Reptiloid? Sicher, für dich war es kein Problem, die Codeschlösser zu knacken. Was sind schon eine Million Kombinationsmöglichkeiten für ein Wesen, das weitaus schneller rechnet als jeder Computer der Erde und das in der Lage ist, sich direkt an die elektrischen Schaltkreise anzuschließen? Aber warum um alles in der Welt hast du dich dem Wahnsinn in die Arme geworfen?
Denn nur für uns, für die Menschen, bedeutet der Jump eine süße Ewigkeit.
Aber kein einziger Außerirdischer ist in der Lage, den Sprung durch das Innere des Raums zu verkraften, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Das wurde bereits vor zwanzig Jahren festgestellt, als eine Patrouille der Hyxoiden ein amerikanisches Schiff beim Sirius festhielt und damit den lang ersehnten Kontakt herstellte.
Genau das hatte die Menschheit gerettet.
Wir besetzten jene seltsame Nische, die in der galaktischen Hierarchie der Rassen noch frei war. Wir stellten die Teeklipper des Weltalls … Für Aliens dauerte der Weg von Stern zu Stern Monate. Für uns Stunden oder Minuten. Natürlich reißt sich niemand um die Rolle des Fuhrmanns …
Immerhin garantiert sie unsere Freiheit.
Der Reptiloid stöhnte immer noch und zitterte in seiner Embryonalstellung. Was er wohl gerade durchmachte? Ich hatte keinen blassen Schimmer. Was wussten wir schon über die Psyche der Nicht-Menschen - ganz zu schweigen vom Wahnsinn der Nicht-Menschen? Mich beruhigte allerdings, dass die Zähler zu den schwächsten und hilflosesten Wesen im Kosmos gehören.
Ich streckte die Hand aus und berührte die weichen, fast samtartigen Schuppen. Der Reptiloid zuckte unter meiner Hand zusammen, machte sich flach und streckte die kleinen Pfote aus.
»Du Blödian, du bist echt bescheuert …«, murmelte ich.
Der Zähler vibrierte leicht und rollte herum. Er ähnelte einer großen Wassereidechse … nein, eher einem Gürteltier. Ein warmblütiges, angeblich eierlegendes Wesen … Viel wussten wir nicht über unsere himmlischen Nachbarn.
»Verrat mir mal, was ich jetzt mit dir machen soll«, sagte ich. Hinter mir fiepte der Rechner und verlangte nach einer neuen CD. Er würde sich gedulden müssen. Mit den lebenswichtigen Informationen hatte ich ihn bereits gefüttert.
Endlich reckte der Reptiloid seinen kurzen Hals und hob den kleinen, dreieckigen Kopf, den er bisher auf dem Bauch gebettet hatte. Er blinzelte und hob die graue Nickhaut.
Die Augen des Zählers waren von zartem Blau und geschlitzt.
»Dir kann das völlig egal sein«, brachte ich heraus, wobei ich versuchte, woanders hinzusehen. »Aber mir droht ein Prozess. Wegen Entführung eines Aliens. Wer wird mir denn glauben, dass du selbst ins Schiff gekrochen bist?«
Der schmale Mund des Reptiloiden öffnete sich und entblößte gleichmäßige Kauplatten.
»Ni-ni-ni…«, zischelte der Zähler.
Ein Krampf packte mich. Ich zuckte und schlingerte, bremste erst an der Decke ab, hing über dem Schrank und richtete die Pistole auf den Reptiloiden.
»Nicht tö-ten …« Das Wesen, das hätte wahnsinnig sein müssen, klammerte sich mit den Pfoten an dem Beutel mit meiner Paradeuniform fest. Knisternd zerriss das Polyäthylen. »Mensch, nicht mich tö-ten, es ist für uns bei-de wich-tig.«
Was kosteten den Reptiloiden diese Worte, bei seiner winzigen Lunge und den nicht entwickelten Stimmbändern? Sie kommunizierten normalerweise ausschließlich mit Elektroimpulsen, diese Zähler. Diese lebenden Computer des Alls. Auch sie waren Diener, genau wie wir.
Nur dienten sie schon länger.
»Ich bit-te dich, Mensch …«
Für ihn stellten diese Worte einen Schrei dar. Einen gequälten Aufschrei, ausgestoßen in einem ihm völlig fremden Kommunikationssystem. Verfügte er über ein Gehör, um meine Antwort zu verstehen?
Und was konnte ich ihm überhaupt antworten?
Was uns James McNamara, der Captain der Explorer beim Einführungsvortrag für die Astrokurse erzählt hatte? Jener Mann, der den ersten Kontakt hergestellt hatte …? Wie er uns etwas erzählt hatte, das alle bereits wussten? Nämlich dass die Hyxoiden nach dem Jump den Verstand verlieren und die Alari ins Koma fallen … Dann hatte er jedoch noch etwas hinzugefügt, das er niemals in der Öffentlichkeit gesagt hätte: »Wir haben befürchtet, diese Reaktionen würden den Tod der Menschheit bedeuten. Vielmehr hat sich jedoch herausgestellt, dass genau darin ihre Rettung lag. An dem Tag, an dem die Außerirdischen es gelernt haben, den Jump zu ertragen, verliert die Erde ihre Unabhängigkeit.«
Nun war es da, dieses Ende der Unabhängigkeit. Vor mir kauerte ein Zähler - der nach dem Jump nicht verrückt geworden war.
»Ich bin ein Freund …«, zischelte der Reptiloid. »Ich bin ein Freund. Ich bin ein Freund …«
Verlagsgruppe Random House
 
 
 
 
Redaktion: Erik Simon Lektorat: Sascha Mamczak Deutsche Erstausgabe 2/09
Copyright © 2007 by S. W. Lukianenko Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH
 
eISBN : 978-3-641-02493-2
 
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