Sternentiger 1 - Horst Hoffmann - E-Book

Sternentiger 1 E-Book

Horst Hoffmann

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Beschreibung

"Findet die Erdheimat und nehmt bittere Rache!" Im Frühjahr 1945, kurz vor Kriegsende, entdeckt das Geheime Wissenschaftskommando des Reichs das Geheimnis der Zeitreise und bringt von einem Vorstoß in die Zukunft die Unterlagen zum Bau eines Raumschiffs sowie von Klonfabriken mit. Der Führer lässt in aller Eile den Fluchtkreuzer WELTRAUMSTURM bauen und begibt sich mit seinen letzten Getreuen auf den "vorläufigen taktischen Rückzug", wobei sie Klondoubles von sich zurücklassen, um die anrückenden Feinde zu täuschen. Nach 65 Jahren Tiefschlaf landen sie auf dem erdähnlichen Planeten Neu-Germanien, wobei leider alle kosmischen Daten der Erdheimat verloren gehen. Erst fünf Jahre später, genau auf den 125. Geburtstag des Führers am 20. April 2014, wird eine TV-Sendung von der Erde empfangen, offenbar eine Übertragung aus einer Irrenanstalt mitten im australischen Dschungel. Der Führer erleidet einen so heftigen Tobsuchtsanfall, dass er sich davon nicht mehr erholt. Auf seinem Sterbelager beauftragt er seinen Zögling und Vertrauten, Generaloberst Julius Strammer, die Erdheimat wiederzufinden, vom vermutlichen bolschewistischen Joch zu befreien und das Reich neu zu errichten. Am 2. August.2014 bricht Strammer mit dem mächtigen Raumschiff STERNENTIGER auf, um die Erdheimat im Sternengewimmel der Galaxis zu finden und den Auftrag des Führers auszuführen. Es ist der Beginn einer langen, unglaublichen Suche voller Überraschungen, seltsamer Aliens, kurioser Abenteuer und heldenhafter Kämpfe gegen einen übermächtig erscheinenden Feind, die Interstellare Solidarität, der inzwischen die halbe Galaxis beherrschenden bolschewistischen Kriegsgewinner. Die neue, große Weltraumsatire des PERRY RHODAN-Autors Horst Hoffmann!

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STERNENTIGER

Band 1

PROJEKTHEIMATSTURM

von

IMPRESSUM

STERNENTIGER

Herausgeber: ROMANTRUHE-Buchversand.

Cover: Romantruhe.

Satz und Konvertierung:

ROMANTRUHE-BUCHVERSAND.

© 2014 Romantruhe.

Alle Rechte vorbehalten.

Die Personen und Begebenheiten der

Romanhandlung sind frei erfunden;

Ähnlichkeiten mit lebenden oder

verstorbenen Personen sowie mit tatsächlichen

Ereignissen sind unbeabsichtigt.

Abdruck, auch auszugsweise,

Vervielfältigung und Reproduktion sowie

Speichern auf digitalen Medien zum

Zwecke der Veräußerung sind untersagt.

Internet: www.romantruhe.de

Kontakt:[email protected]

Produced in Germany.

Neu-Germanien, den 20. April 2014

Manches Mal, wenn ihn in grimmiger Wehmut die Frage übermannte, was nun aus seinem Reich geworden wäre, hätten ihn nicht die Verräter so schmählich hintergangen, dann übermannte ihn gleichfalls eine seltsame, bittere Traurigkeit.

Hatten jetzt die Bolschewisten das Reich an sich gerissen? Die räudigen Enkel des Hundesohns Stalin? Oder machte sich Churchills elende Brut auf Deutschlands Straßen und Plätzen breit? Wurde am Rhein wieder Französisch gesprochen?

Manches Mal, wenn ihn jene Trübsal überkam, ergriff ihn aber auch eine merkwürdige innere Freude und Gelassenheit, ja fast bereits eine innere Form der Beschwingtheit. Dann machte er sich den Scherz sich vorzustellen, wie er wohl in ihren Köpfen spuken musste, den elenden Schädeln der Feinde und den ungebrochenen Häuptern derjenigen, die aus seiner einst so stolzen, tapferen Jugend hervorgegangen waren.

Denn vergessen würde sein Volk ihn niemals, und viele große dichterische Köpfe würden ihre dieselben zusammenstecken und flüstern und tuscheln und sich im Geheimen auszudenken versuchen, wie es denn wäre, wenn sich ihm nicht das feige Schwert der Verräter in den Rücken gebohrt hätte. Wenn das Reich am Ende…

Egal!

Ja, er lebte noch!

Und ja, er lebte total und unerschütterlich und stand immer noch in der vordersten Front der nie in ihren wahrhaften Festen zerschmetterten Bewegung. Sollten sie sich nur sicher glauben in ihren Bunkern und Geschützständen! Sollten sie nur glauben, dass sie …

Dass sie?

Egal!

Diese elende Vergesslichkeit! Es wurde von Tag zu Tag schlimmer und war höchste Zeit, dass endlich etwas geschah, denn sonst würde er …würde er …

Würde er?

Er nickte entschlossen und suchte in den Taschen der Uniform nach dem kleinen Döschen mit den Pillen gegen diese elende Vergesslichkeit. In welche davon hatte er sie nur gesteckt?

Das erste Kapitel:

NUN DENN!

Nun denn also.

Sie haben es nicht anders gewollt!

Hier stand er nun und ließ seine Blicke schweifen über das weite Land, über dem noch die Nebel des frühen Tages dräuten. Ließ sie prüfend mustern, was seine Truppen bereits geschaffen hatten seit jenem Tag, als …

Er kniff beide Augen zusammen und überlegte, was er hatte sagen wollen. Seit jenem Tag, als …

Egal!

Es konnte nichts Wichtiges gewesen sein. Nichts Kriegswichtiges und überhaupt. Nicht wichtig genug, von untergeordneter Bedeutung.

Abermals hielt er Ausschau, während hinter seinem Hochstand am Waldessaum die Blätter der Bäume im Morgenwind rauschten. Die Blätter der richtigen Bäume, der Eichen und Buchen und jene der einheimischen Gewächse, sowie die jener anderen Bäume, die es nur vorgaben, Bäume zu sein.

Wieder schweifte sein Blick prüfend und schätzend von dem Blitzdonnergebirge im weiten Osten über das endlose Salzwassermeer im Süden bis schließlich hin zu den weiten Feldern des Wandernden Landes im tückischen Westen. Dort, wo sich am Horizont die Türme und Rampen, Hallen und Trainingsanlagen des PROJEKTS HEIMATSTURM aus den Nebeln erstreckten wie der zum Himmel gerichtete Zackenkamm eines mächtigen Drachens, dies alles umgebend die mächtige Gestalt des so gut wie fertiggestellten STERNENTIGERS!

Er hustete und hielt sich die rechte Hand vor den Mund. Dann, als die Schwäche vorüber war, führte er sie zum Herzen, das immer noch tapfer und unerschütterlich schlug, den endlosen Marschkolonnen gleich, die sich Stunde um Stunde aus den Klonfabriken ergossen, um mit Spaten, Äxten, Hacken, Seilen aus reinstem Stahl und starkem Strahlengeschütz aus einer armseligen Wüste eine uneinnehmbare Festung zu machen.

Er blinzelte.

Blinzelte nochmals.

Blinzelte ein weiteres Mal.

Hier stand er nun also, fest im Schritt und fest im Willen. Den weiten Mantel aus ledernen Häuten der hier anzutreffenden Panzerreptilien eng um sich geschlungen, das Haupt stolz in den heute einmal nicht so abscheulich schmerzenden Nacken gelegt und die Lippen fest geschlossen.

Er gewahrte etwas, das es wagte, seine Betrachtungen zu stören, und wurde folgerichtig ebenso jäh aus denselben gerissen. Eine Zornesfalte grub sich in seine vom endlosen Kampf durchfurchte Stirn und seine Hand lag bereits auf dem stahlseidenen Gurt mit der Strahlenpistole, als er in den auf dem Weg am Waldessaum nahenden Gestalten eine Staffel Jungklone erkannte, die von ihrem Scharführer just entlang dieses Weges gescheucht wurden, wohl um ihm eine Freude zu bereiten. Eine Freude zu seinem Ehrentage.

Er verkniff sich ein bitteres Zucken der Schultern, denn wer sollte es ihnen gesagt haben, dass er an just diesem Tage, bevor die Fanfaren zur großen Feier im Leni-Riefenstahl-Amphitheater erklangen, die Einsamkeit des Waldes und der allmächtigen Schöpfung vorgezogen hatte, die Stille der Besinnung statt des dummen Geschwätzes der Adjutanten, Berater, Offiziere und vor allem von G. Dieser ganzen Günstlinge und Speichellecker.

Der Scharführer sah wie durch einen dummen Zufall zu ihm empor und ließ seine Truppe mit einem scharfen Kommando Haltung annehmen. Sie streckten den rechten Arm aus zum Gruße, den er mit gebührendem zeitlichen Abstand wohlwollend erwiderte, wobei sich seine Züge ungewollter als gewollt verzogen, denn die fatale Wirkung der Gicht in seinem Leib machte auch und trotz der Beteuerungen und Schwüre seiner medizinischen Berater vor diesem Tage nicht Halt.

Er schüttelte voller Unwillen sein Haupt. So heftig, dass die Schirmmütze ihm noch um eine Spur tiefer ins Gesicht rückte, was wenigstens für einen Moment seine ohnehin halb zugekniffenen Augen vor dem Lichte dieser Welt schützte. Dem Lichte der viel zu grellen Sonne Neu-Germaniens.

»Mein … Führer?«, gewahrte er die plärrende Stimme des Scharführers. Was wollte dieser junge Rotzlöffel von einem Klon ihm damit sagen? Er wusste, dass er sein Führer war und dass …

Dass …?

Egal!

Er nahm den Gruß ab und bedeutete mit einer ungeduldigen Bewegung der rechten Hand, dass der Trupp seinen Marsch nun fortsetzen solle. Und noch etwas nahm er – nämlich sich selbst vor, G. zur Rede zu stellen, denn wer sonst als dieses Plappermaul sollte seinen Aufenthaltsort verraten haben, wohl an eine willige Sekretärin oder eine seiner anderen Gespielinnen! So ging das nicht weiter! Ja, was wäre das denn für eine Welt, in welcher der Führer des neu-germanischen Reichs sich nicht einmal die Zeit und die Muße nehmen durfte, um an einem Tage wie diesem einige Stunden mit sich selbst zu verbringen? Hier in der Einsamkeit des Waldessaums zu sinnieren und Bilanz zu ziehen?

Er zuckte unmerklich zusammen, als er eines heftigen Niesens gewahr wurde. Drehte sich unwillig um und wünschte einem der Eichenbäume gute Genesung. Der Eichenbaum nieste noch einmal, dann noch ein weiteres Mal, um sich anschließend zu schnäuzen und sofort wieder Haltung anzunehmen.

»Die Strahlenpistole, Sie Idiot!«

Der Eichenbaum zog die Waffe, die allzu lässig an seinem Gurte gebaumelt hatte, flugs in die borkige Rinde aus strapazierfähigstem Tarngummi zurück.

Er verschloss für einen Moment seine Augen und tat einen langen und tiefen Atemzug. Die milde, würzige Luft tat gut. Dennoch machte der Vorfall ihm klar, dass noch viel Arbeit vonnöten sein würde, bis das Reich wieder gefestigt genug war, um …

Um?

Auf jeden Fall musste sein Personenschutz verbessert werden. Das bedeutete, Verbesserung der entsprechenden Klonproduktion um mindestens 300 Prozent und eine konsequente, bis an die Grenzen des Machbaren und darüber hinaus gehende Auslese, bis eine Schutzstaffel auch wieder den Namen einer Schutzstaffel tragen durfte.

Schon wieder erklang das Niesen.

»Gesundheit, Sie Idiot!«, herrschte er über die Schulter.

»D…danke, mein Führer!«

Er nickte befriedigt. Solange sie wenigstens nicht vergaßen, wem ihr Gehorsam und ihre Treue einzig gebührten! Wer sie in die große Schlacht um die Heimat führen und am Ende den Fuß auf die zerschmetterten Häupter der Feinde, Verräter und deren Brut setzen würde!

Wieder suchte sein Blick die Türme, Hallen und Rampen des Projekts. Fast wollte es scheinen, als trüge der Wind die Donnerschläge der automatischen Maschinenhämmer zu ihm herüber, mit denen die Kolonnen der fleißigen Klone und Eingeborenen dabei waren, aus den üppigen Ressourcen dieses Planeten ein wahrhaftig gigantisches Raumschiff zu schmieden, das sich in wenigen Monaten schon in den viel zu grellen Himmel erheben und …

Doch was war das? In das bewusste ferne Hämmern hinein gesellte sich ein anderer Laut. Er sah auf zum Himmel, schützte wieder die Augen vor der viel zu grellen Sonne, und wahrhaftig schälten sich die Konturen eines Flugzeuges aus dem hellen Lichte. Und noch während das Flugzeug eine mächtige Kehre über dem Waldessaum drehte, löste sich ein weiterer dunkler Schemen aus ihm und schwebte, dabei rasch an Größe gewinnend, geradewegs auf den Weg hinab, und zwar zielgenau vor dem Hochstand.

»Heß!«, murmelte es von seinen Lippen. »Guter alter, treuer Heß!«

Ihn zu klonen, war eine der größten Herausforderungen an die Wissenschaftler gewesen, jenes Konglomerats aus ebenso genialen wie wirren Köpfen und Namen, die niemals in einem Geschichtsbuch in irgendeinem Land der Erdheimat auftauchen würden. So geheim waren sie bis zum bitteren Ende gewesen, dass selbst ihre Frauen sich …

Egal!

Heß, der gute alte, treue Heß, war lange bevor an die Genwaffe überhaupt zu denken, lange bevor der Zeitapparat gebaut worden war, in die Hände des Feindes gefallen und stand somit nicht zur Mustererfassung zur Verfügung. Eine andere Fügung aber war es gewesen, dass seine Großtante väterlicherseits, in 18.Generation arischen Blutes, in ihrem kleinen Kistchen eine Locke bewahrt hatte, die sie dem jungen Knaben Rudolf mit eigener Hand vom Kopfe schnitt, wohl bereits ahnend, dass aus ihm, vom Schicksal erwählt, dereinst der Stellvertreter ihres Führers werden sollte.

Er riss sich zusammen, schon hatte der Fallschirm den Boden berührt und ein Mann wühlte sich flugs daraus hervor. Heß!, dachte er jedoch wieder. Was mochte aus ihm geworden sein, dem echten Heß? Dieser elende Narr Churchill hätte ihn nur empfangen und den handverfassten Brief lesen und entziffern müssen, den er ihm, zusammen mit der Haselnusstorte, von seinem Führer brachte – und schon hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen. Schon hätte …

Egal!, dachte er, jedoch mit einem seltsamen Beigefühl.

Heß, der treue alte, tapfere Heß streifte die Gurte und Bänder des Fallschirms ab und nahm vor dem Hochstand Haltung an. »Mein Führer!«

Er nickte und gestattete sich ein mildes Lächeln, doch so, wie er Heß’ Blick deutete, diese alte, nie erloschene Flamme in ihm, hatte er seine Mission mit Erfolg bewältigt. Die Zeit der Muße und stillen Einkehr fernab allen Trubels um seinen 125. Geburtstag war für immer und ewig vorüber. An einem Tage wie diesem war kein Zögern und Zaudern die Parole. An einem Tage wie diesem galt es, den Blick erneut in die Zukunft zu werfen und allen Worten, Gedanken und Sehnsüchten endlich Taten folgen zu lassen!

»Mein Führer!«, sagte der gute alte, treue Heß hinauf zu seinem ersten Kameraden aus der Anfangszeit der Bewegung. »Mein Führer, ich melde: Mittel zur Regulierung der Darmflora soeben eingetroffen und zur sofortigen Anwendung zur Verfügung!«

»Danke, Heß!«, sagte er und entließ eine letzte Wolke heißer Darmluft in den jungen Tag, der mit so heftigem Unwohlsein und bösen Blähungen begonnen hatte, so heftig und schlimm, dass sie ihm den Gedanken nahe gelegt hatten, die Zeit bis zur Rettung in der freien Luft unter der viel zu grellen Sonne Neu-Germaniens in Stille, Muße und Betrachtung zu verbringen.

Nun aber konnte der Tag beginnen – jener Tag genau 125 Jahre nach seiner Geburt und genau fünf Jahre nach der Wiedergeburt hier auf jener neuen, noch wilden und ungezähmten Welt weit draußen im Weltall, die …

»Mein Führer?«, fragte Heß und traf Anstalten, sich ihm zu nähern, um ihm beim Steigen die Leiter hinab zu helfen. »Ist Ihnen wieder nicht gut? Soll ich …?«

»Es ist nichts, Heß!«, verkündete er mit vielleicht noch etwas zu heiserer Stimme. Er schluckte und stieg auch die letzten drei Sprossen hinab, bis sein Fuß endlich wieder den Boden berührte. In alter Entschlossenheit trat er Heß gegenüber, streckte die rechte Hand aus und zuckte geringfügig zusammen, als Heß seine Rechte ebenfalls weit von sich streckte – wie er wohl dachte zum Gruße!

»Das Mittel, Heß!«, sagte der Führer in scharfem Ton. »Das Mittel, Sie Dummkopf!«

Heß, der gute alte, treue Heß nahm für einen kurzen Moment rote Farbe an, dann holte er das kleine Röhrchen aus der rechten unteren Tasche seiner Uniformjacke und legte es in die immer noch erwartungsvoll vorgestreckte Hand.

»Nun denn, Heß!«, sagte der Führer, und noch einmal in grimmigem Ton: »Nun denn!«

*

Fast (plus/minus sieben Sekunden) zur gleichen Zeit ereignete sich auf einem fast (plus/minus siebenkommafünf) 251 Lichtjahre entfernten Planeten namens Ignasuur etwas, das nur scheinbar nichts mit dem zu tun hatte, was hier gerade unterbrochen wurde. Die verheerende Wahrheit ist … aber wir wollen den Dingen nicht vorgreifen.

Prinzsultan Igge Salaam drehte, wand und rieb sich in der ihm viel zu groß gewordenen, länglichen Wanne aus purem Kupfer, das vor lauter Patina bereits nicht nur grün anzulaufen begonnen hatte – nein, es kratzte und scheuerte an allen Enden. Die vor gar nicht so langer Zeit noch straffe und blütenfrisch weiße Haut war spröde geworden, runzlig und wund. An einigen Stellen, vor allem des Rückens, hatten sich dunkle Hämatome gebildet und waren die ersten Hautäderchen geplatzt.

Die Zeit, als sich der Prinzsultan vor lauter Hunger, Durst und Leere mindestens drei Mal täglich übergeben musste, war auch schon lange vorbei. Es war nichts mehr da zum Übergeben. Sein noch an seinem 217. Geburtstag praller und runder Körper von 2,53 Metern längstem Durchmesser war auf weniger als die Hälfte seines Volumens geschrumpft und bot einen jämmerlichen, traurigen, ja erschütternden Anblick.

»Lasst mich in Ruhe!«, röchelte Igge Salaam auf das wiederholte Klopfen an der Tür. »Lasst mich einfach in Ruhe, ja?« Allein der Gedanke daran, dass ihn einer seiner Untergebenen in einem solchen Zustand sah, löste sofort wieder Würgen und trockenen Übergabereiz aus, wo nichts mehr zu übergeben war. Sein Schlund war wund und brannte wie Feuer. Seine Kopfzellen fühlten sich an wie ausgedörrte Ausschlagpickel, um vom Rest gar nicht zu reden. »Ich will niemanden sehen!«

»Auch nicht das Orakel?« Das Orakel! Ja, jetzt fiel es ihm ein, dass er nach ihm hatte schicken lassen. Manchmal war das so, dass ihm die Dinge wieder einfielen, einfach so oder wie von einer geheimnisvollen Macht gerufen und gelenkt, an die der Prinzsultan tief und fest glaubte, seitdem er … aber das war eines jener Dinge, die sich jedem Versuch der Erinnerung standhaft entzogen.

»Bitte!«, krähte Salaam. »Komm herein, aber nur du allein, Orakel!«

Die ebenfalls kupferne Tür des Bades öffnete sich laut knirschend, auch vor ihren Scharnieren machte der Edelrost nicht Halt. Salaam war so geblendet von der plötzlichen Lichtfülle, dass er meinte, es müsse ihm alle Sehzellen vom Leibe brennen, doch dann schloss sich die Tür wieder und vor ihm erhob sich die ebenfalls reichliche schlaff und faltig gewordene Gestalt des Orakels. Seine noch auf der Geburtstagsfeier strahlend hellblaue Haut war grau und allerhöchstens noch ein wenig mehr lila geworden.

»Nun?«, quälte sich Igge Salaam die Frage aus dem entzündeten Schlund. »Was hast du gesehen, Orakel? Hast du überhaupt etwas gesehen?«

Die trockene Gestalt des Orakels beulte sich verlegen aus, kippte um ein Haar zur Seite, gab eine Staubwolke von sich und schaffte es aus eigener Kraft, sich wieder aufzurichten.

»Ja«, sagte das Orakel. »Ja, Herr, ich hatte eine neue Vision.«

»Dann sprich!«, krähte der Prinzsultan und scheuerte sich mit dem Rücken an der trockenen, spröden Wanne. Wo die Haut aufplatzte, juckte es mörderisch und das zwanghafte Verlangen nach Scheuern war stärker als jeder Schmerz. »Was hast du gesehen, Orakel?«

Das Orakel bewegte sich nicht, hockte nur stumm vor seiner Wanne und sah ihn an. So genau wusste man das bei ihm nie, einige Leute behaupteten sogar, das Orakel sei seit seiner Geburt blind wie ein Maulfisch, aber allein der Verdacht, von ihm angestarrt zu werden, machte es dem Prinzsultan nicht eben leichter.

Er bedeutete dem Orakel, sich über den Rand der Wanne zu ihm zu beugen, dann flüsterte er ihm etwas in die Ohrzellen. Das Orakel wurde von einem Zittern und Zucken durchbeutelt, dann nahm es laut knirschend wieder seine vorherige Haltung an.

»Ich hatte eine Vision«, fuhr es dort fort, wo es zuletzt aufgehört hatte. »Ich hatte die Vision, dass unser Leid bald zu Ende sein wird.«

»Wann bald? Wie bald? Wodurch bald?«, krächzte Salaam, doch das Orakel sah ihn nur an. Ob blind oder nicht, es sah ihn an. Der Prinzsultan seufzte rasselnd und bedeutete dem Orakel, sich zu ihm über den Rand der Wanne zu beugen, flüsterte ihm etwas ins Ohr und wartete, bis das Orakel wieder in Haltung war.

»Ich hatte eine Vision«, sagte das Orakel. »Ich sah unsere Welt wieder blühen und deinen Palast gerettet. Ich sah wieder fließende Bäche, wo jetzt das Land unter den sengenden Strahlen der furchtbaren Sonne dörrt und alles Leben verliert. Ich sah unser Volk wieder in alter Pralle und Fülle. Ich sah, wie die Leere wich und …«

»Was, Orakel?«, krähte Salaam. »Was noch? Du hast ein Wunder gesehen, die Rettung, doch wie und warum und wodurch? Du meinst, es kommen … vielleicht … wieder …?«

Er stöhnte qualvoll, merkte, wie ihm dabei die Sinne fast schwanden, und bedeutete dem Orakel mit letzter Kraft, sich über den Rand der Wanne zu ihm herüberzubeugen, flüsterte ihm etwas in die Ohrzellen und wartete röchelnd und sich am Rost der Wanne scheuernd, bis das Orakel wieder bereit war. Vielleicht war es etwas zu heftig gewesen, was er ihm gerade geflüstert hatte, doch das Orakel vertrug eigentlich eine Menge.

»Ich hatte eine Vision«, fuhr also das Orakel fort. »Ich sah ein Schiff, ein riesiges Raumschiff kommen, ein Schiff bis zum Platzen voll mit Nahrung und Wasser, viel, viel Wasser. Ein Schiff auf der Suche nach etwas, vermutlich einem Planeten, von dem seine Besatzung ganz bestimmte Vorstellungen hat, Herr.«

»Vorstellungen?«, krähte der Prinzsultan. »Welche Vorstellungen?«

Er wusste, dass es ihn umbringen konnte, aber er schaffte noch einen Seufzer und konnte dem Orakel bedeuten, sich über den Rand seiner Wanne zu ihm zu beugen. Brachte es sogar noch fertig, dem Orakel etwas in die Ohrzellen zu flüstern, woraufhin dieses sich für einen Moment gelblich färbte, dann aber nochmals seine gewohnte Haltung annahm.

»Ich hatte eine Vision«, fuhr es ein letztes Mal fort. »Ich sah dieses gewaltige Schiff auf seiner Suche nach vermutlich einem bestimmten Planeten, aber dieser Planet und auch die anderen sind nicht so wie der unsere und auch die Sonne jenes Planeten ist nicht so ein sengendes Ungeheuer wie die unsere. Ich sah, wie die Fremden mit ihrem großen Schiff kommen und enttäuscht wieder verschwinden wollen. Aber ich sah auch …«

Jetzt war es am Orakel, sich ohne besondere Aufforderung über den Rand der Wanne zu seinem Herrn zu beugen und ihm etwas in die mittlerweile hart verkrusteten Ohrzellen zu flüstern.

Der Prinzsultan saß für fast eine Zeiteinheit im Schorf seiner aufgescheuerten Haut und starrte sein Orakel an. Nur das. Nicht mehr. Aber das war, angesichts aller Umstände, schon sensationell viel.

»So machen wir es«, brachte Igge Salaam trocken hervor, ehe er von Neuem ins Koma fiel. »So und nicht anders, Orakel, und wenn es das Letzte ist, was wir tun. Wenn wir uns alle zusammen …«, er rang nach Luft. »Sie werden nicht wieder abfliegen, Orakel. Sie werden die Sonne und den Planeten sehen, die sie finden und sehen wollen. Und dann … werden sie … werden wir sie … einen nach dem anderen …«

Das Orakel wartete noch zweieinhalb Zeiteinheiten, bis es sicher sein konnte, dass sein Herr sicher im Koma lag, dann zog es sich schwappend, schwankend und knirschend aus dem Allerheiligsten zurück.

Ja, es sah gut aus. Bald würde das Schiff mit den Fremden an Bord kommen und …

Das Orakel gluckste bei dem Gedanken daran still in sich hinein, bevor es zu überlegen begann, ob sein Herr das, was er ihm zuletzt in die Ohrzellen geflüstert hatte, tatsächlich so gemeint hatte.

*

Generaloberst Julius Eberhard Konradin Strammer (Freunde durften ihn Julius nennen, sehr gute