Stones - C. A. Mayer - E-Book

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C. A. Mayer

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Beschreibung

Vor drei Jahren verschwand der damals achtjährige Dennis Obmann aus einem Waisenhaus an der Küste. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Jetzt taucht seine DNA bei einem Verbrechen in Süddeutschland auf: Ein einflussreicher Anwalt wurde im nächtlichen Schwarzwald aus seinem Fahrzeug gelockt. Er starb unter Steinwürfen. Der junge Kieler Hauptkommissar Frank Bonner reist nach Freiburg, um die Spur des vermissten Jungen aufzunehmen. Für Bonner zählt nur das Gesetz. Doch dieses Mal muss er den Dienstweg verlassen, um in eine Welt vorzudringen, in der mächtige Menschen nach eigenen Gesetzen leben. Sogar erstaunlich lange. Eine beklemmende Verschwörungstheorie bildet die Kulisse dieses fiktiven Thrillers.

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Wer nicht sicher ist, ob ihm ein langes Leben geschenkt wird, sollte sich eines stehlen.

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

ERSTES KAPITEL

ZWEITES KAPITEL

DRITTES KAPITEL

VIERTES KAPITEL

FÜNFTES KAPITEL

ERSTES KAPITEL

STEINE

Seine Finger trommelten auf das Lenkrad. Das massive Stahltor glitt gemächlich beiseite und gab den Blick auf ein kurzes Stück der Straße frei. Die verlor sich schon bald in der Finsternis des nächtlichen Schwarzwalds. Endlich war der Weg frei und Paul Bernauer konnte weiterfahren. Der Anwalt kannte die kurvenreiche Strecke sehr gut und drosselte die Geschwindigkeit nur wenig, weil sein Telefon summte. Er nahm das Gespräch an.

»Sie haben versucht, mich zu erreichen?«, fragte der Anrufer.

Bernauer erkannte die Stimme des Bankiers. Seine Mundwinkel zuckten.

»Schön, dass Sie zurückrufen, Brauer. Ich bin auf dem Weg zu Ihnen.«

»Um diese Zeit?«

»Die Kinder sind getürmt.«

»Was?« Die Stimme des Bankiers klang ungewöhnlich spitz. Er fing sich sofort wieder. »Wie ist das möglich?«

»Sagen Sie es mir, Brauer.«

»Ich verstehe nicht ... Wieso ich?«

»Das klären wir unter vier Augen. Wir müssen die Blagen finden. So schnell wie möglich. Das übernehmen Sie.«

»Ich glaube nicht, dass das in meinen Geschäftsbereich fällt, Doktor Bernauer.«

»Ich schon.« Er rieb sich die feuchte Stirn. »Blut ist dicker als Wein. Aber wir sind kein Familienunternehmen.«

»Was wollen Sie damit sagen, Bernauer?«

»Sie sind doch ein kluger Kopf, Brauer. Bei Ihrer Nichte habe ich da so meine Zweifel. Deshalb schaffen Sie mir das Problem vom Hals, bevor Blut fließt. Für den Wein sorge ich dann schon. Versprochen.«

»Für so etwas gibt es Spezialisten.«

»Gerne. Dann wird aber Blut fließen. Womöglich sogar Ihres, Brauer. Finden Sie die Kinder, bevor uns alles um die Ohren fliegt.«

Er konnte Brauer schlucken hören. »Wie stellen Sie sich das vor? Die Kinder können überall sein.«

»Eben. Lassen Sie sich etwas einfallen, Brauer. Das ist Ihr Schwarzwald ... Moment. Da liegt etwas auf der Straße. Wir sehen uns gleich.«

Bernauer beendete das Gespräch und bremste. Sein Wagen kam ein gutes Stück vor den Ästen zum Stehen, die kreuz und quer über der Fahrbahn lagen.

Er stieg aus. Schwarze Nacht, wohin er blickte. Nur das Licht der Scheinwerfer zeichnete harte Schatten von Blättern und Zweigen auf den Asphalt. Sie waren nicht zu groß oder zu schwer, um sie aus dem Weg zu schaffen. Einfach darüber hinwegzufahren, hielt er nicht für ratsam. Weit und breit gab es niemanden, der ihm helfen konnte, wenn er lieben blieb. Es half nichts. Er musste die Straße freiräumen. Die Zeit drängte.

Paul Bernauer war bis auf wenige Schritte an das Hindernis heran, als etwas vor seinem Gesicht durch das Scheinwerferlicht sauste. Gleich darauf hörte er ein Geräusch aus dem Wald zu seiner Rechten.

»Ist da jemand?«

Er blinzelte in die Dunkelheit und lauschte. Keine Antwort. Nur weg hier. Er bückte sich und griff einem Ast. Ein harter Schlag gegen die Schulter ließ ihn zusammenfahren. Etwas polterte über den Asphalt. Bernauer fasste sich an den schmerzenden Oberarm. Sein Blick folgte dem faustgroßen Wackerstein, der in das Gestrüpp rumpelte. Er zog den Kopf ein und blickte nach links.

»Hallo? Was soll das?«

Er wich zwei Schritte zurück. Der nächste Stein traf ihn mit Wucht an der Schläfe. Durch das Dröhnen in seinen Ohren vernahm er einen spitzen Schrei.

Bernauer schüttelte Schreck und Benommenheit ab. Er taumelte zum Wagen. Sein Herz raste. Peng. Ein Stein prallte gegen die Karosserie. Bernauer duckte sich und riss die Arme über seinen Kopf. Blind stolperte er gegen die Fahrertür. Die fiel ins Schloss. Panisch tastete er nach dem Türgriff. Er zog rasch die Hand zurück, als die Seitenscheibe barst. Aus dem Nichts kamen weitere Steine. Sie trafen Bernauer, schlugen gegen den Wagen.

»Aufhören. Bitte.«

Seine Stimme klang dünn. Sein Flehen blieb unerhört.

Stein um Stein sauste heran, zerfetzte seine Nerven und jagte Schmerzen in den Körper. Wimmernd kauerte Bernauer am Boden. Er wollte leben. Noch lange. Ein Krampf lähmte ihn. Er hörte das Telefon im Auto, kam aber nicht mehr hoch. Nach Luft ringend stemmte er sich gegen die Dunkelheit. Die drückte ihn so bleischwer auf den Asphalt, dass es sich anfühlte, als würde sein Herz zerquetscht.

KIEL

Hauptkommissar Frank Bonner saß noch beim Frühstück, als sein Telefon summte. Obwohl er den Anruf erwartet hatte, zögerte er einen Moment, bevor er das Gespräch annahm.

»Guten Morgen, Frank. Habe ich Sie aus dem Bett geworfen?«, fragte die Büroleiterin seines Chefs.

Bonner ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Er war fest davon ausgegangen, dass sein Vorgesetzter ihn persönlich anrufen würde.

»Da müssen Sie früher aufstehen, Beate. Ich war schon joggen.«

»Sie können gleich wieder los traben, Frank. Der Chef will Sie sprechen. So schnell wie möglich.«

Er lächelte zufrieden. Also doch.

»Kein Problem, Beate. Ich weiß schon Bescheid.«

»Was wissen Sie?«

»Pölke hatte einen Herzinfarkt.«

»Ja. Und?«

Bonner runzelte die Stirn. »Ich gehe davon aus, dass ich die Leitung der Mordkommission übernehmen soll. Habe ich recht?«

»Ich bin Sekretärin, Frank, kein Hellseher. Wann können Sie hier sein?«

»Halbe Stunde. Wie geht es Pölke?«

»Nicht gut. Beeilen Sie sich bitte, Frank. Es scheint sehr wichtig zu sein.«

Er beendete das Gespräch und starrte nachdenklich in seinen Kaffee. Pölke ging es nicht gut. Es würde eine Weile dauern, bis der Leiter des Morddezernats wieder dienstfähig war. Wenn er überhaupt noch einmal auf die Beine kam. Wer, wenn nicht er, sollte Pölke vertreten? Bonner fiel niemand ein. Dass er zu jung für diesen Posten war, sollte jetzt keine Rolle mehr spielen. Leichte Zweifel blieben dennoch.

Bonner erhob sich. Er räumte eilig den Frühstückstisch ab und zog sein Jackett über. Routiniert richtete er Krawatte und Manschetten, nahm seine Aktentasche und machte sich auf den Weg.

Nur wenige Kollegen waren um diese Zeit schon im Gebäude der Kieler Polizeidirektion unterwegs. Bonner fuhr hinauf in den zweiten Stock. Beate Stahlmann winkte ihn sofort durch in das Büro seines Vorgesetzten.

Volker Stein erwartete ihn bereits. Der bullige Kriminalrat sah müde aus. Das wunderte Bonner nicht. Pölkes plötzlicher Ausfall bescherte der Kieler Kripo einige Probleme. Stein wies auf einen der beiden Stühle vor seinem Schreibtisch und wartete, bis Bonner Platz genommen hatte.

»Konten Sie schon einen Blick in die Zeitung werfen, Bonner?«

Die Frage irritierte ihn. Pölkes Infarkt war zweifellos ein herber Schlag für die Kripo. Ganz sicher auch eine menschliche Tragödie. Er konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass Pölkes Herzinfarkt ein Thema für die Kieler Nachrichten war.

»Nur online«, sagte er und fügte hinzu: »Flüchtig.«

»Sagt Ihnen der Name Paul Bernauer etwas?«

»Bernauer, Bernauer.« Bonner versuchte, einen Zusammenhang zu erahnen, während er gleichzeitig in seinem umfangreichen Wissensschatz kramte. Dann machte es klick. »Meinen Sie diesen Anwalt? Kommt der nicht aus Frankfurt?«

»Aus Stuttgart. Genau den meine ich. Doktor Paul Bernauer. Der Anwalt der Reichen und Schönen.« Stein öffnete eine dünne Mappe. »Bernauer wurde in einen Hinterhalt gelockt und mit Steinwürfen getötet. Mitten in der Nacht. Im Schwarzwald. Im tiefsten Schwarzwald.«

Bonner stand komplett auf dem Schlauch. Der Schwarzwald war ihm mindestens so fremd wie der Anwalt. Er schaute seinen Chef hilfesuchend an.

»Erinnern Sie sich noch an den Fall Dennis Obmann?«, fragte Stein.

Jetzt verlor Bonner völlig den Faden. Er musste sich kurz sortieren. An den vermissten Jungen konnte er sich gut erinnern. Es war einer der ersten Fälle gewesen, mit denen er in Kiel zu tun gehabt hatte.

Allerdings nur am Rande. Die Ermittlungen hatte Pölke geleitet.

»Gibt es eine neue Spur im Fall Obmann?« »Allerdings. Die DNA von Dennis Obmann wurde auf einigen der Steine festgestellt, mit denen dieser Anwalt im Schwarzwald beworfen wurde.«

Bonner fiel die Kinnlade herab. Er fing sich wieder und schüttelte energisch den Kopf.

»Das ist unmöglich, Chef. Ich bin mir absolut sicher, dass dem Jungen damals keine DNA zugeordnet werden konnte.«

Bonners Erinnerungsvermögen funktionierte in diesem Punkt tadellos. Dennis Obmann war in seiner ersten Nacht aus einem Kieler Kinderheim verschwunden. Mitsamt seinen persönlichen Sachen. Dort lebten zu jener Zeit rund zwanzig Kinder. Es war nicht gelungen, die DNA des Jungen eindeutig festzustellen.

»Das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass Pölke die Ermittlungen einstellte. Etwas zu schnell vielleicht. Das soll aber keine Kritik sein. Sie kennen Pölke besser als ich. Er ist zuweilen etwas eigensinnig.«

Kriminalrat Stein nickte bedächtig.

»Pölke wird seine Gründe gehabt haben. Jetzt gibt es aber einen eindeutigen Treffer in der Datenbank des BKA, Bonner. Demzufolge ist Dennis Obmann einer der Steinewerfer im Schwarzwald. Kein Zweifel.«

Bonner blieb skeptisch.

»Dann müsste Dennis Obmann nach seinem Verschwinden irgendwo aktenkundig geworden sein. Wäre das der Fall gewesen, wüssten wir das.« Er rechnete kurz nach. »Und selbst wenn, Chef. Der Fall liegt jetzt zwei Jahre zurück ...«

»Drei Jahre.«

»Gut, drei Jahre.« Bonner ließ sich nicht beirren. »Dennis Obmann wäre heute elf Jahre alt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Elfjähriger ein Attentat auf einen prominenten Anwalt verübt. Mitten in der Nacht. Irgendwo im Schwarzwald. Das passt doch alles hinten und vorne nicht zusammen. Nicht einmal mit einem zuverlässigen DNA-Treffer.«

Kriminalrat Stein ließ sich in die Rückenlehne fallen und faltete die Hände hinter seinem Kopf.

»Ich habe keine Ahnung, wie die DNA des Jungen an den Tatort in Süddeutschland kommen könnte. Vielmehr interessiert mich im Moment, wieso die DNA des Jungen im Zentralregister zu finden ist. Haben Sie eine Idee?«

Bonner zuckte unsicher mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Das konnte er sich beim besten Willen nicht erklären.

»Dann finden Sie es heraus, Bonner.«

»Ich? Und was ist mit Pölke? So weit ich informiert bin, könnte er für Monate ausfallen.« Bonner straffte sich. »Ich bin fest davon ausgegangen, dass Sie mir Pölkes Vertretung übertragen werden.«

Stein winkte müde ab.

»Dafür sind sie noch zu jung, Bonner. Das hatten wir doch schon. Eine Kollegin aus Hamburg wird die Mordkommission leiten. Zunächst vertretungsweise. Später sehen wir weiter.«

Bonner sank in sich zusammen. Er war sprachlos. Den Kriminalrat juckte das nicht. Er schob die Akte über den Tisch: »Stellen Sie fest, wie die DNA in das Zentralregister gekommen ist, Bonner. Das ist jetzt wichtiger.«

»Wieso?«

»Weil ich es sage, Bonner.« Stein tippte sich an die Nase. »An der Sache ist etwas faul. Das kann ich förmlich riechen. Für jemanden wie Sie sollte das ein Klacks sein. Nun gucken Sie nicht so, Bonner. Ihre Zeit mag noch nicht gekommen sein, aber sie läuft bereits.«

Stein tippte auf seine Armbanduhr.

Bonner erhob sich. Er nahm die Akte und verließ mit hängenden Schultern das Büro seines Chefs.

Stein schaute Bonner nachdenklich hinterher. Noch bevor sich die Tür hinter dem jungen Hauptkommissar geschlossen hatte, läutete das Telefon.

»Das BKA. Kriminalrätin Steuber«, sagte Steins Büroleiterin. Sie durfte den Anruf sofort durchstellen.

»Und?«, fragte eine sonore Frauenstimme.

Stein seufzte schwer. »Du nervst, Elke. Ich habe Bonner eben erst auf die Sache angesetzt.«

»Dieses Bürschchen?«

»Bonner hat mein volles Vertrauen. Habe ich deins?«

»Ich zieh dich gleich durchs Telefon, Steini. Du rufst mich sofort an, wenn dein Musterschüler etwas herausfindet. Versprochen?«

Stein nickte stumm. Er fuhr sich durch die Haare und stöhnte leise vor sich hin. Nicht leise genug.

»Steini? Kriegst du schon wieder die Krise?«

»Nein. Ich hoffe nur, dass du auf dem Holzweg bist.«

»Träum weiter, Hase. Der Anwalt, diese Kids und alles nur einen Steinwurf von einem Objekt der Nova entfernt. Das ist kein Holzweg. Das ist ein dreispuriger Highway.«

»Zur Hölle.«

»Jetzt mach dir nicht gleich in deine schicken Boxershorts, Steini. Oder bist du auf Feinripp umgestiegen?«

»Du bist unmöglich, Elke.«

»Los. Sag.« Elke Steuber bekam sich nicht mehr ein. »Dein Bubi trägt bestimmt auch Feinripp. Nur gebügelt, versteht sich.«

»Elke? Lass es bitte sein. Du riskierst gerade eine Anzeige wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.«

Elke Steuber lachte so laut, dass Stein den Hörer vom Ohr nehmen musste.

»Vergiss es, Hase. Kein Schwein wird dir glauben. Du warst schließlich in der Klapse. Sehen wir uns in Offenburg, Jack the Fine Ripper? Auf dem Kongress?«

Volker Stein schloss kurz die Augen. Er kannte seine Kollegin. Viel zu lange schon und viel zu gut.

»Ja. Ich freue mich darauf, Elke. Trotz allem.«

»Ich auch, Steini. Bring nur ordentlich Beschwerdeformulare mit. Wir ziehen das volle Programm durch. Deiner Frauenbeauftragten muss die Brille beschlagen, wenn sie liest, was ich alles mit dir angestellt habe.«

Stein hatte Mühe, ernst zu bleiben. »Du bist irre, Elke. Pass auf, dass Sie dich nicht einsperren.«

»Ach, Hase, die können uns doch alle mal. Beim Schach kann und darf die Dame alles. So sind die Regeln. In diesem Spiel bin ich nicht nur die Dame, ich mache auch die Regeln. Wirst du deinen Bubi nach Freiburg schicken?«

»Jetzt warte doch erst einmal ab, was Bonner herausfindet. Außerdem müssen die Freiburger um Amtshilfe aus Kiel bitten. Sonst wird das eh nichts.«

»Darauf kannst du lange warten, Steini. Bernauers Tod ist ein gefundenes Fressen für die Medien. Den Fall wollen die Baden-Württemberger für sich ganz alleine haben. Wenn Bonner etwas herausfinden soll, muss er für das BKA in Freiburg aktiv werden. Lass mich mal machen, Hase, ich regele das schon.«

»Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass wir vielleicht abgehört werden könnten?«

»Werden wir nicht, Steini.«

»Sicher?«

»Das sehe ich. Mach dir also nicht ins Hemd. Lass uns lieber noch ein bisschen Schweinkram reden. Ich freue mich schon so auf Offenburg.«

***

Bonner hatte keine Wahl. Die Akte von Dennis Obmann unter dem Arm kehrte er niedergeschlagen an seinen Schreibtisch zurück. Er war stinksauer. Und enttäuscht. Von Stein. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, seine Versetzung zu beantragen. Er fuhr schon viel zu lange im Fahrwasser des Kriminalrats. Es war an der Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen. Bonner nahm sich fest vor, noch einmal darüber nachzudenken. Zunächst musste er dieses vertrackte Rätsel um die DNA von Dennis Obmann lösen. Je schneller, desto besser.

Der Erste, der seine schlechte Laune zu hören bekam, war ein Operator des Zentralregisters beim Bundeskriminalamt. Es brauchte keine zehn Minuten, dann war Bonner schlauer. Die DNA von Dennis Obmann war erst ein Jahr zuvor in die Datenbank aufgenommen worden. Ein Vermerk informierte darüber, dass die Analysedaten ohne eine Fallnummer gemeldet worden waren. Diese war später von einem Sachbearbeiter anhand des Namens Dennis Obmann ermittelt und unbürokratisch nachgetragen worden. Vermutlich deshalb bemühte sich der Operator nun so sehr darum, die Herkunft der Daten zu ermitteln. Er fand schnell heraus, dass die Analyse aus der Gerichtsmedizin in Hannover stammte.

Ausgerechnet Hannover. Die Stadt, in der Bonner aufgewachsen war und in der sein Vater als Richter am Oberlandesgericht für Schlagzeilen gesorgt hatte. Seine Laune wurde nicht besser. Im Gegenteil. Wenigstens wusste er, an wen er sich zu wenden hatte. Nach drei Anrufen hatte er die verantwortliche Mitarbeiterin in der Leitung.

Sobald Bonner den Namen Dennis Obmann nannte, war Cornelia Riegel klar, was die Stunde geschlagen hatte. Das konnte er hören.

»Das war ein Versehen«, räumte die Laborantin ein. Sie übernahm die volle Verantwortung und war sehr kooperativ. So richtig schlau wurde Bonner aber nicht aus dem, was Cornelia Riegel so erzählte.

Er hakte nach: »Wieso hatten Sie überhaupt DNA-Material von Dennis Obmann?«

»Das Material war hier untersucht und eingelagert worden. Vor ungefähr vier Jahren. Allerdings wurde die Probe nie offiziell registriert.«

Bonner wurde hellhörig.

»Das müssen Sie mir jetzt genauer erklären.«

Cornelia Riegel tat ihr Bestes. Neben dem Erbmaterial, das für Ermittlungen eine Rolle spielte, gab es auch einen Bestand an weiteren Proben. Die dienten zu Forschungszwecken oder wurden für die Ausbildung verwendet. Dazu gehörte auch die DNA des vermissten Jungen.

»Können Sie mir erklären, wie die DNA von Dennis Obmann zu Ihnen gelangt ist?«

»Da muss ich leider passen. Ich sollte die Probe anhand der internen Materialnummer für Herrn Doktor Armert bereitstellen. Das ist an sich nicht ungewöhnlich. Mein Chef lehrt in Göttingen. Er hatte die Probe als Vorlesungsmaterial gekennzeichnet.«

Das klang vielleicht plausibel, beantwortete Bonners Frage aber nicht. Ihm erschien Cornelia Riegel zudem recht nervös. Sein Ton wurde schärfer. Das blieb nicht ohne Wirkung.

»Können Sie sich vorstellen, was vor einem Jahr bei uns los war? Wegen Corona ging es drunter und drüber. Wir sind ohnehin schon unterbesetzt und dann war dauernd jemand in Quarantäne.«

»Das heißt?«

»Ich wollte sicher sein, dass ich die richtige Probe bereitstelle. Intern war sie erfasst worden und anhand der Nummer konnte ich auf den entsprechenden Datensatz zugreifen.«

Sie konnte nicht mehr genau nachvollziehen, wie es passiert war. Vermutlich hatte sie einfach vergessen, die Datei zu schließen. Jedenfalls war der Datensatz noch am selben Tag routinemäßig an das Zentralregister weitergeleitet worden. Von einer Aushilfe.

»Das wäre meine Aufgabe gewesen«, gestand Cornelia Riegel. »Aber es waren nun einmal außergewöhnliche Umstände und ich war für jede Hilfe dankbar. Ich hätte den Fehler melden müssen.«

»Haben Sie Ihren Chef informiert?«

»Doktor Armert? Nein. Es war Corona. Wir hatten wirklich genug andere Sorgen. Außerdem war die Probe nicht Teil einer polizeilichen Ermittlung. Ich wollte meinen Chef damit nicht belasten. Ich bin fest davon ausgegangen, dass sich der zuständige Sachbearbeiter melden würde. Schließlich fehlte ein Aktenzeichen. Ohne ein solches konnte die DNA überhaupt keinem Fall zugeordnet werden.«

Dafür hatte Bonner sogar Verständnis. Es wunderte ihn jedoch, dass sich Cornelia Riegel sofort an den Namen Dennis Obmann erinnert hatte. Auch das konnte sie erklären. Sie hatte sich den Namen des Jungen und die Nummer der Probe notiert. So hatte sie die Daten im Falle einer Nachfrage des Zentralregisters schnell zur Hand. Der Zettel klebte seitdem an ihrem Monitor.

»Können Sie mir erklären, wie Ihr Labor an DNA-Material von Dennis Obmann gelangen konnte?«

»Das sollten Sie besser Herrn Doktor Armert fragen.«

»Später. Jetzt frage ich Sie. Was genau sollte mit der Probe geschehen?«

»Ich bin mir nicht ganz sicher. Wenn ich mich nicht irre, sollte die Probe vernichtet werden.«

»Ist Doktor Armert im Haus?«

»Ja. Soll ich Sie durchstellen?«

»Nein, besser nicht.«

Bonner ließ sich die direkte Durchwahlnummer geben und ermahnte Cornelia Riegel dringend, ihren Vorgesetzten nicht vorzuwarnen.

Er fluchte leise vor sich hin, während er seine Notizen vervollständigte und dann wieder zum Hörer griff.

Kurz darauf hatte er den Gerichtsmediziner in der Leitung. Als er Dr. Armert über den Grund seines Anrufes informierte, fürchtete Bonner schon, Ohrenzeuge eines weiteren Herzinfarktes zu werden. Es bedurfte beruhigender und mahnender Worte bis der Mediziner in der Lage war, Bonners Fragen zu beantworten. Armert war sich seines Dilemmas völlig bewusst und er redete nicht lange herum.

»Ich wollte einem Bekannten einen Gefallen tun«, räumte Armert unter Qualen ein. »Es ging um die Klärung einer Vaterschaft. Ich darf darüber eigentlich keine Auskunft geben. Ich bin Mediziner. Ärztliche Schweigepflicht. Sie verstehen das sicher.«

»Das verstehe ich natürlich, Doktor Armert. Ich möchte sie gewiss nicht noch mehr erschrecken. Aber so, wie die Dinge im Moment liegen, muss ich sie schnellstmöglich zur Vernehmung in Kiel vorführen lassen. Das verstehen Sie doch sicher.«

Bonner hörte ein Röcheln in der Leitung. Sein Lächeln kehrte zurück. Etwas grimmiger als für ihn üblich, aber immerhin ein Lächeln.

»Wir können das auch ganz unbürokratisch regeln, Doktor Armert. Wer hat den Vaterschaftstest veranlasst?«

»Ich ... Es war ein Freundschaftsdienst. Ich habe mein Ehrenwort gegeben.«

»Ich ermittele in einem Mordfall, Armert. Sie waren im Begriff Beweismaterial zu beseitigen.«

Einen Moment war es still in der Leitung.

»Es war Pölke. Hauptkommissar Pölke.«

Bonner schloss kurz die Augen. Am meisten überraschte es ihn, dass er nicht überrascht war. Wie von unsichtbarer Hand geschoben, fügten sich Puzzleteile vor seinem geistigen Auge zu einem Bild. Deshalb hatte sich Pölke also persönlich um den Fall Obmann bemüht. Deshalb hatte er ihn wohl auch so schnell zu den Akten gelegt. Wenigstens das passte zusammen.

»Wir haben beide keinen guten Tag heute, Doktor Armert. Meine Kollegen werden sich in Kürze bei Ihnen melden.«

Bonner wählte eine Telefonnummer nach der anderen. Mit jedem Anruf wurde das grausige Bild noch ein bisschen grausiger. Sein letzter Anruf galt dem Kriminalrat. Er hatte kaum aufgelegt, da erschien Stein auch schon in Bonners Büro.

»Was haben Sie für mich, Bonner?«

»Das wollen Sie nicht hören, Chef. Ehrlich.«

Bonner hielt seine Notizen in die Höhe.

Stein las den dick umrandeten Namen. Er ahnte Schlimmes. »Pölke?«

»Und Carmen Obmann.«

Offensichtlich hatte Hauptkommissar Pölke über längere Zeit ein Verhältnis mit der Mutter von Dennis Obmann unterhalten. Die Prostituierte war wegen Drogendelikten vorbestraft. Pölke hatte sie als persönliche Informantin geführt. Vor vier Jahren war Carmen Obmann an einer Überdosis gestorben. Das Sorgerecht für den unehelichen Sohn war ihr da längst entzogen worden.

»Etwa zum Zeitpunkt des Todes von Carmen Obmann hat sich Pölke die Vaterschaft für ihren Sohn Dennis bestätigen lassen. Inoffiziell.«

»Scheiße«, murmelte Stein. »Sind Sie ganz sicher, Bonner?«

»Ziemlich sicher. Leider. Ist Pölke schon wieder vernehmungsfähig?«

Stein schüttelte den Kopf. Dem Kriminalrat war deutlich anzusehen, wie sehr ihm Bonners Erkenntnisse auf den Magen schlugen.

»Brechen Sie ab, Bonner. Sie haben Ihren Job erledigt. Gute Arbeit. Wirklich.«

Bonners schaute empört auf.

»Wir können die Sache doch nicht einfach zu den Akten legen.«

»Natürlich nicht, Bonner. Sie sollten mich besser kennen.« Stein hockte sich auf die Schreibtischkante. »Sobald sich Pölke erholt haben sollte, werde ich ein Verfahren gegen ihn einleiten. Bis dahin übernehmen die Kollegen von der Dienstaufsicht die weiteren Ermittlungen. Diskret natürlich. Auf keinen Fall darf etwas davon an die Öffentlichkeit gelangen. Die Presse schlachtet uns.«

Das fürchtete Bonner auch.

Stein blätterte durch die Gesprächsnotizen und wechselte auf den Stuhl neben Bonners Schreibtisch.

»Jetzt wissen wir wenigstens, dass es sich tatsächlich um die DNA von Dennis Obmann handelt. Aber was hat der Junge verdammt noch mal mit diesem Anwalt zu schaffen?«

»Das ist Sache der Freiburger Kripo, Chef. Wir sollten den Kollegen allerdings unsere bisherigen Erkenntnisse mitteilen.« Er wies auf die brisanten Telefonprotokolle, die der Kriminalrat in Händen hielt.

Das kam für Stein nicht infrage. Bis zu einer Anklage waren die Ermittlungen gegen Pölke eine interne Angelegenheit der Kieler Kripo. Er seufzte schwer.

»Das Beste wird sein, wenn Sie persönlich in den Schwarzwald reisen.«

»Ich?«

Bonner war sich nicht sicher, ob er seinen Chef richtig verstanden hatte. Damit er in Freiburg ermitteln konnte, mussten die Kollegen vor Ort ihn offiziell anfordern. Das hielt Bonner derzeit für sehr unwahrscheinlich.

Kriminalrat Stein teilte die Bedenken seines Hauptkommissars. An seinen Plänen änderte das nichts.

»In Kiel verschwindet ein Kind spurlos. Drei Jahre später taucht es bei einem Tötungsdelikt im Schwarzwald auf. Wenn Sie mich fragen, ist das ein Fall für das BKA.«

»BKA?« Bonner verzog das Gesicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein übergeordnetes Interesse das Bundeskriminalamt veranlassen könnte, im Fall Dennis Obmann eigene Ermittlungen anzustellen.

Stein rang sich ein Lächeln ab, obwohl ihm ganz sicher nicht danach zumute war.

»Das BKA könnte aber vor Ort ermitteln, ohne um Erlaubnis bitten zu müssen. Natürlich in enger Kooperation mit der zuständigen Kripo vor Ort. Das versteht sich von selbst.«

»Dazu müssten Sie aber erst einmal jemanden beim BKA finden, der bereit wäre, sich des Falls Obmann anzunehmen.«

»Das wäre eine Möglichkeit. Die andere wäre, dass ich jemanden an das BKA abstelle, der bereits mit dem Fall vertraut ist. Waren Sie schon mal im Schwarzwald?«

»Ich? Wie stellen Sie sich das vor, Chef? Ich kann doch nicht einfach nach Freiburg fahren und behaupten, ich käme vom BKA.«

»Was sind Sie nur für ein Paragrafenreiter, Bonner? Wenn Sie wirklich mal eine Mordkommission leiten wollen, müssen Sie endlich lernen, in größeren Zusammenhängen zu denken. Es reicht nicht, Spielräume zu nutzen, Bonner. Hin und wieder muss man sich Spielräume schaffen. Verstehen Sie?«

Bonner glaubte, nicht recht zu hören. Das sagte ausgerechnet Volker Stein? Sein großer Mentor? Sein leuchtendes Vorbild? Er verschränkte die Arme vor seiner Brust.

»Vielleicht verstehe ich das besser, nachdem ich Erfahrung als Leiter einer Mordkommission sammeln konnte.«

Stein beugte sich vor und sah Bonner direkt in die Augen. »Vergessen Sie doch mal die Mordkommission, Bonner. Dafür sind Sie mir viel zu schade. Sie haben das Zeug für ganz andere Aufgaben. Beweisen Sie mir, dass ich mich nicht in Ihnen täusche, Bonner.«

»Worüber reden wir eigentlich? Ich kann Ihnen gerade nicht folgen, Chef. Geht es noch um Dennis Obmann?«

»Es geht auch um Dennis Obmann, Bonner.« Der Kriminalrat langte zu Bonners Schreibtisch, schnappte sich die Akte des vermissten Jungen und blätterte darin. »Das Kinderheim, aus dem Dennis Obmann damals verschwand, wird von einem gemeinnützigen Verein unterstützt. Er nennt sich FEY Germany. Schon mal gehört?«

»Den Namen kenne ich nur aus der Akte.«

»Der Verein FEY Germany ist bundesweit tätig. Eingetragen ist er im Vereinsregister Stuttgart. Er wurde schon mehrfach für sein soziales Engagement ausgezeichnet und seine Spendengalas sind legendär. Neben dem Kieler Kinderheim betreibt und unterstützt FEY Germany weitere ähnliche Einrichtungen im gesamten Bundesgebiet.«

»Ich verstehe den Zusammenhang noch nicht.«

»Dann sollten Sie einen Blick auf die Mitgliederliste des Vereins werfen. Da finden Sie nur Schöne und Reiche, Bonner. Klingelt da etwas bei Ihnen?«

»Bernauer? Der Anwalt?«

»Na, bitte. Geht doch. Sie sind ein talentierter Ermittler, Bonner. Nehmen Sie die einzelnen Fäden und häkeln Sie mir daraus ein schönes Netz. Ich bin sehr gespannt darauf, was sich alles darin verfangen wird.«

»Gerne, Chef. Leider bin ich bei der Kripo Kiel und nicht beim Bundeskriminalamt.«

»Sie sind vielleicht nicht beim BKA, Bonner, aber Sie können für das BKA ermitteln.«

»Hä?«

»Jetzt gucken Sie nicht so untalentiert. Als BKA-Ermittler müssen Sie überzeugend auftreten. Sonst wird das nix.«

»Wie soll das genau funktionieren?«

»Das überlassen Sie mal mir, Bonner. Sie packen ein paar von ihren schicken Anzügen ein und fahren in den Schwarzwald.«

»Die Freiburger werden sich freuen.«

»Das soll uns nicht jucken, Bonner. Offiziell halten Sie sich aus dem Fall Bernauer raus. Sie interessiert nur der Fall Dennis Obmann. Das sollte Ihnen den nötigen Spielraum verschaffen. Sobald entsprechende Erkenntnisse das erforderlich machen sollten, müssen Sie sich eben irgendwie mit der Kripo vor Ort arrangieren, Bonner. Sie machen das schon.«

»Wer ist für mich beim BKA zuständig?«

»Ich. Wenn Sie was vom BKA wollen, rufen Sie mich an. Sie unterstützen das BKA als fallkundiger Vertreter der Kieler Kripo im Zuge der Amtshilfe. Eine entsprechende Verfügung habe ich bereits veranlasst.«

Bonner runzelte die Stirn.

»Das haben Sie veranlasst, bevor Sie wussten, was ich über Pölke herausfinden würde?«

Stein tippte sich an die Nase und grinste schief.

Bonner ließ sich davon nicht beeindrucken. Er kannte die Dienstvorschriften und zählte alle relevanten bürokratischen Hürden auf, die seiner Abkommandierung im Weg standen.

»Das ist das Schöne an unserer Bürokratie, Bonner. Keine Sau blickt da noch durch. Ich nehme das auf meine Kappe. Machen Sie sich bloß keine Sorgen.«

»Ich mache mir aber Sorgen. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen das auf die Füße fallen könnte, Chef?«

»Sie müssen noch viel lernen, Bonner.«

FREIBURG

Frank Bonner wollte den Freiburger Kollegen nicht zu nah auf die Pelle rücken. Deshalb hatte er in diesem beschaulichen Landhotel Quartier bezogen. Es lag etwa auf halber Strecke zwischen dem Tatort und der Metropole des Breisgaus. Er trat auf den kleinen Balkon vor seinem Hotelzimmer. Die Aussicht war an diesem trüben Morgen nicht gerade ermunternd. Berge verstellten den Blick auf den Horizont. Dichter Wald, wohin er auch blickte. Das wirkte beklemmend.

Die lange Fahrt und eine unruhige Nacht steckten ihm in den Knochen. Er hatte schlecht geschlafen. Ein lautes Geräusch hatte ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Es hatte eine Weile gedauert, bis er die Ursache gefunden hatte. Sein Handy war von der Ablage am Kopfteil hinter das Bett gefallen. Ohne die Weckfunktion war er aufgeschmissen. Hundemüde hatte er sich aufgerappelt und das schwere Bett beiseite gewuchtet. Dahinter hatte er nicht nur sein Handy gefunden, sondern auch einen knappen Damenslip. Der klemmte zwischen Wand und Bett. Wer weiß, wie lange schon?

Bonner kehrte in sein Zimmer zurück. Der Blick fiel auf den fremden Schlüpfer, der neben dem Bett am Boden lag. Auch das noch. Den konnte er unmöglich im Mülleimer entsorgen. Was würde der Zimmerservice denken? Sein Blick wanderte zum Badezimmer. Dass dieses kleine Stück Stoff eine Verstopfung verursachen konnte, war zwar unwahrscheinlich, aber nicht völlig auszuschließen. Wenn man in einem solchen Fall die Spur bis zu ihm zurückverfolgte, konnte es sehr peinlich werden. Mit spitzen Fingern untersuchte Bonner den Slip auf mögliche Tragespuren. Er konnte keine entdecken. So faltete er den Stoff sorgfältig zusammen und ließ ihn in einer nicht genutzten Innentasche seines Anzugs verschwinden. Auf dem Weg nach Freiburg fand sich bestimmt eine Gelegenheit, den Fund diskret zu entsorgen. Nach dem Frühstück.

Bei Kaffee und frischen Brötchen nahm er sich noch einmal die Akte des vermissten Jungen vor.

In die Stadt brauchte er weniger als eine viertel Stunde. Zur Frühbesprechung erschien er sehr früh im Präsidium. Ein Beamter brachte ihn in einen großen Besprechungsraum. Von der Freiburger Kripo war noch niemand zu sehen. Bonner nutzte die Gelegenheit, um das Material zu studieren, das die Kollegen übersichtlich auf einer der Wandtafeln im Konferenzraum angeordnet hatten. Auf einem Kartenausschnitt markierte ein runder Aufkleber den Tatort zwischen Freiburg und Offenburg. Im tiefsten Schwarzwald.

Das Foto des getöteten Anwalts kannte er aus den Medien. Auch das Bild von Dennis Obmann stach ihm sofort ins Auge. Es stammte aus seiner Kieler Akte. Links neben dem Bild von Dennis Obmann klebte das Foto eines weiteren Jungen, etwa im selben Alter. Rechts neben Dennis Obmann hatten die Kollegen einen Kreis gezeichnet und ein Fragezeichen hinein gemalt. Während Bonner die Landkarte mit fallbezogenen Markierungen studierte, wurde er plötzlich angesprochen.

»Sie sind sicher der Kollege vom BKA.«

Bonner bemerkte die Frau erst, als die neben ihm stand. Er stellte sich vor und musterte die junge Kollegin.

»Sind Sie mit dem Fall Bernauer vertraut?«

»Ja, ein wenig zumindest. Mein Name ist Stephanie Weiker. Bis zum Beginn des Wintersemesters bin ich als Hospitantin hier.«

Stephanie war zwar noch recht jung, für eine Hospitantin aber fast schon ein wenig zu alt.

»Quereinsteigerin?«

»Eher Umsteigerin. Ich komme von der Schutzpolizei und werde hier offiziell als Kriminalassistentin geführt. Man könnte auch Praktikantin sagen. Ich soll Sie übrigens unterstützen, Herr Bonner.«

»Sie sollen mir bestimmt auf die Finger schauen.«

»Natürlich.« Stephanie lachte. »Aber wir sollten besser so tun, als sei ich Ihre Schnittstelle zur örtlichen Kripo.«

»Das klingt tatsächlich besser. Sie wissen, warum ich hier bin?«

Stephanie tippte auf das Bild von Dennis Obmann.

»Seinetwegen?«

»Er ist vor drei Jahren aus einem Kinderheim bei Kiel verschwunden. Spurlos. Bis heute, zumindest. Wer ist der Junge auf dem anderen Foto?«

»Sein Name ist Julius Kern. Zwölf Jahre alt und ebenfalls ein Ausreißer. Er ist vor vier Jahren von einer Pflegefamilie in Sachsen getürmt. Auch seine DNA wurde am Tatort gefunden.« Stephanie Weiker schaute sich das Bild von Dennis Obmann an. »Drei Jahre sind eine lange Zeit für jemanden in seinem Alter. Haben Sie eine Idee, wo der Junge gesteckt haben könnte? Warum ist er jetzt hier wieder aufgetaucht? Unter diesen Umständen?«

»Das will ich herausfinden, Frau Weiker. Der Anschlag auf den Anwalt interessiert mich nur am Rande.« Er wies auf den Kreis neben den Fotos der Jungen. »Was hat es mit dem Fragezeichen auf sich? Gehen Sie von drei mutmaßlichen Tätern aus?«

»Genau. Es gibt eine dritte DNA-Spur, die wir niemandem zuordnen können. Wir fanden sie aber nur auf den Steinen und nicht auf den Ästen.«

»Das müssen Sie mir näher erklären«, bat Bonner.

Stephanie kam Bonners Bitte gerne nach.

Auf der Straße, auf der Paul Bernauer so spät in der Tatnacht unterwegs gewesen war, herrschte schon tagsüber nur wenig Verkehr. In der Tatnacht war die Fahrbahn mit losen Ästen blockiert worden. Der Anwalt hatte seinen Wagen vermutlich verlassen, um den Weg frei zu räumen. Bernauer wurde dann mit etwa faustgroßen Steinen beworfen und mehrfach getroffen.

»Auf den Ästen, die die Fahrbahn blockierten, fand sich die DNA von Obmann und Kern. Auf den Steinen die DNA von allen drei Tatbeteiligten«, sagte Stephanie.

Bonner rieb sich das Kinn.

»Können Kinder in dem Alter mit solcher Kraft werfen, dass ein Mensch dadurch zu Tode kommt?«

»Anscheinend. Mir sind keine Hinweise auf andere Verletzungen bekannt. Bis zum abschließenden Ergebnis der Obduktion gehen wir davon aus, dass der Anwalt durch die Steinwürfe zu Tode gekommen ist.«

Bonners Blick wanderte zu dem Kartenausschnitt. Er konnte rund um die Tatortmarkierung keine Ortschaft erkennen. Die Straße war nachträglich mit Bleistift eingezeichnet worden. Sie endete mitten im grünen Nichts.

»Ich war nicht bei den Pfadfindern, Frau Weiker. Wenn ich diese Karte aber richtig deute, gibt es rund um den Tatort nichts außer Wald.«

Stephanie machte ihn mit den Örtlichkeiten vertraut.

»Die nächstgelegene Ortschaft ist Streibing. Etwa sechs Kilometer Luftlinie vom Tatort entfernt. Bei dem Streckenabschnitt, auf dem Bernauer zu Tode kam, handelt es sich um die Privatstraße einer Hotelanlage. Ungefähr hier.« Sie tippte auf eine Stelle im Grünen.

»War Bernauer ein Gast dieses Hotels?«

»Davon dürfen wir ausgehen.«

Bonner betrachtete den Zeitstrahl: »Trotz des abgelegenen Tatorts wurde Bernauers Leiche erstaunlich schnell entdeckt. Wer hat die Polizei informiert?«

»Sein Auto. Ein Stein hat die Seitenscheibe beschädigt. Das Fahrzeug hat Alarm ausgelöst und einen automatischen Notruf abgesetzt. Als Bernauer nicht auf den Kontrollanruf reagierte, wurden seine Koordinaten von der privaten Servicezentrale an die nächste Polizeistation gemeldet. Eine Streifenwagenbesatzung war kurz darauf an Ort und Stelle.«

»Das war Glück. Für uns jedenfalls. Bernauer hätte vermutlich bis zum nächsten Tag dort liegen können. Wissen Sie, warum er auf dem Schloss war?«

»Schloss Graiss ist eine Mischung aus Tagungszentrum, Kurklinik und Luxushotel. Absolute Oberklasse. Mit Normalsterblichen wollen die nichts zu tun haben. Dahinter steht ein Investor aus den Vereinigten Staaten. Die haben sich den Umbau des Hotels viel Geld kosten lassen und bei der Gelegenheit auch gleich für eine vernünftige Verkehrsanbindung gesorgt.«

»War Bernauer wegen des Hotels in dieser Gegend?«

»Etwas anderes gibt es in der unmittelbaren Umgebung nicht. Hier und da vielleicht eine Jagdhütte. Mehr nicht.«

»Was sagt man seitens des Hotels zu der Geschichte?«

Stephanie zuckte mit den Schultern.

»Nicht viel. Wie gesagt: Schloss Graiss ist ein Tagungszentrum der Luxusklasse. Laut Hoteldirektion hat Bernauer an seinem Todestag einen Vortrag gehalten. Allerdings ist der Umgang mit dem Schloss nicht so ganz einfach, Herr Bonner …« Stephanie machte eine kurze Pause. Da Bonner nicht so viel älter war als sie selbst, hoffte sie anscheinend, er würde ihr das Du anbieten.

Das tat er aber nicht. Bonner interessierte sich vielmehr für den schwierigen Umgang mit dem Schlosshotel.

»Das ist alles sehr komisch, Herr Hauptkommissar. Bechtle kann Ihnen das viel besser erklären als ich. Hauptkommissar Klaus Bechtle leitet die Ermittlungen. Sie werden ihn gleich kennenlernen. Wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen nach der Besprechung den Tatort zeigen ... Herr Hauptkommissar.«

»Ja, sehr gerne, Frau Weiker. Mir soll übrigens ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt werden. Samt ortskundigem Fahrer. An wen muss ich mich da wenden?«

»An mich«, sagte Stephanie. »Ich bin quasi Ihr Dienstwagen. Sie können übrigens ruhig Stephanie zu mir sagen. Ah, es geht los.«

Sie nahm Bonner mit zum Besprechungstisch und machte ihn mit den Kolleginnen und Kollegen bekannt, die nach und nach dazukamen. Bonner konnte sich all die Namen kaum merken.

Dann marschierte ein bulliger Mann strammen Schrittes an den Kopf des Tisches. Er war um die Vierzig, trug Hemd und Pullover und klatschte laut in die Hände.

»Das ist Bechtle«, zischelte Stephanie Weiker, während sie sich setzten.

Das hatte sich Bonner schon gedacht.

»Guten Morgen zusammen«, grüßte der Freiburger Hauptkommissar in die Runde. Bechtles Blick fiel auf Bonner. »Wie ich sehe, ist der Kollege vom BKA auch schon da. Herzlich willkommen in Freiburg, Hauptkommissar Bonner. Ich denke, wir reden später noch mal kurz miteinander. Zuvor möchte ich Sie alle zusammen auf den neuesten Stand bringen.« Er schaute in die Runde und hielt eine Mappe in die Höhe. »Der Bericht der Gerichtsmedizin.«

Bei der Obduktion von Bernauers Leiche war Herzversagen als Todesursache festgestellt worden.

»Wir ermitteln also nicht mehr in einem Mordfall«, sagte Bechtle. »Es geht jetzt um schwere Körperverletzung mit Todesfolge. Das bedeutet, dass der Fall wieder ausschließlich bei uns liegt. Das LKA hat zwar seine Unterstützung zugesagt, wird sich aus den Ermittlungen aber weitestgehend heraushalten.« Bechtle sah zu Bonner hinüber. »Für Sie dürfte das ohne Bedeutung sein. Sie sind wegen dieses Jungen hier. Dennis Obmann. Habe ich das richtig verstanden?«

Bonner nickte artig.

»Gut. Stephanie? Für Sie ändert sich nichts. Sie werden den Kollegen während seines Aufenthaltes nach besten Kräften unterstützen.« Er schaute wieder in die Runde. »Alle anderen machen erst einmal so weiter wie bisher. Fahring und Stöchle konzentrieren sich auf das familiäre Umfeld von Bernauer, Kohlmann und Rein-hard nehmen mit der Kanzlei in Stuttgart Kontakt auf. Vielleicht finden sich innerhalb der Mandantschaft von Bernauer brauchbare Hinweise auf ein mögliches Motiv.« Er sah Bonner wieder an: »Sorry, Herr Kollege, wir sind noch ganz am Anfang.«

Bechtle verteilte weitere Aufgaben an die Anwesenden und fasste in groben Zügen noch einmal die Ergebnisse der Spurensicherung zusammen. Da diese jedoch keine neuen Erkenntnisse lieferten, war die Besprechung schnell beendet. Die Kollegen kehrten an ihre Schreibtische zurück.

Bechtle nahm Bonner beiseite. »Waren Sie schon mal im Schwarzwald, Herr Kollege?«

»Mein erstes Mal«, gestand Bonner. »Ich werde mich ganz sicher nicht in Ihre Arbeit einmischen, Herr Hauptkommissar. Mir fiel allerdings auf, dass sich keiner Ihrer Beamten um dieses Schloss kümmert, auf dessen Straße Bernauer zu Tode gekommen ist.«

»Schau mal einer an. Da passt ja jemand richtig gut auf«, erwiderte Bechtle. »Wir gehen nicht davon aus, dass das Hotel Schloss Graiss eine zentrale Rolle spielen könnte. Wenn Sie mich fragen, haben wir es hier mit einem Kinderstreich zu tun, der gründlich schief gelaufen ist. Außer dem Umstand, dass Bernauer von dem Hotel gekommen sein muss, gibt es keine Verbindungen zu der Tat dieser drei Jungen. Die suchen wir jetzt natürlich.«

»Wie muss ich mir das vorstellen? Wird der Wald durchkämmt?«

»Sie waren wirklich noch nie im Schwarzwald, Bonner.« Bechtle amüsierte sich. »Schauen Sie sich die Gegend erst einmal an. Dann verstehen Sie schon, was ich damit meine. Derzeit halten die regulären Streifen Ausschau nach drei umherstreunenden Heranwachsenden. Zudem kontrollieren wir Scheunen und Jagdhütten. Viel mehr können wir im Augenblick nicht tun. Aber vielleicht hat das BKA eine bessere Idee.«

»Ich denke, ich werde mich erst einmal am Tatort umschauen. Frau Weiker ist so freundlich, mich dorthin zu fahren. Bei der Gelegenheit kann ich mir dann auch mal das Schloss ansehen.«

»Das werden Sie nicht tun«, entschied Bechtle.

Bonner stutzte.

»Das ist ein wenig heikel«, versuchte Bechtle, dem Kollegen die besonderen Umstände klarzumachen. »Schloss Graiss gehört der Nova International. Das ist ein weltweit tätiger Finanzdienstleister mit Sitz in den USA. Die Nova hat sehr viel Geld in die Region gepumpt. Das Hotel ist auch nicht einfach nur ein Hotel, Bonner. Das ist ein abgeschirmtes Resort für Superreiche. Wir beide könnten uns von unserem Gehalt dort nicht einmal eine Tasse Kaffee leisten, wenn wir zusammenlegen. Über welchen Einfluss die Nova verfügt, sehen Sie daran, dass die amerikanische Botschaft einen konsularischen Status für das Schlossgelände beantragt hat. Dem wurde teilweise sogar stattgegeben. Damit ist das Schloss quasi amerikanisches Hoheitsgebiet.«

»So etwas geht?«

»Sie können das mit den amerikanischen Militäreinrichtungen vergleichen«, fuhr Bechtle fort. »Nur, dass Schloss Graiss eben zivilen Charakter hat, und deshalb wie ein Konsulat zu behandeln ist.«

»So etwas habe ich ja noch nie gehört.«

»Willkommen im Schwarzwald«, merkte Stephanie amüsiert an.

Bechtle strafte die Assistentin mit einem strengen Blick und wandte sich wieder an den Kollegen vom BKA. »Wenn Sie etwas vom Schloss wollen, dann läuft das nur über mich, Bonner. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

»Absolut.«

»Prima. Dann freue ich mich auf eine gute Zusammenarbeit, Herr Kollege. Wenn Sie irgendwas brauchen, sagen Sie es mir. Stephanie kümmert sich dann darum.«

DER TATORT

Stephanie lenkte den Mercedes der Freiburger Kripo über eine nagelneue und sehr gut ausgebaute Straße. Die kurvenreiche Strecke ging fast nur bergauf. Mal steiler. Mal weniger steil. Links und rechts sah Bonner nichts als dichten Wald.

»Ich glaube, hier könnte ich nicht leben«, murmelte Bonner mit Blick aus dem Seitenfenster.

»Man gewöhnt sich dran«, antwortete Stephanie. »Mögen Sie keinen Wald?«

»Schon. Ich bin jedoch die Weite des Nordens gewohnt.«

»Ach, das ist doch langweilig. Da sieht man ja angeblich am Mittwoch schon, wer am Sonntag zu Besuch kommt. Ich finde die Berge viel spannender. Der Schwarzwald überrascht selbst mich immer wieder aufs Neue. Man weiß nie, was einen hinter der nächsten Kurve erwartet.«

»Schon deshalb würde ich nicht so schnell fahren, wenn ich am Steuer säße.«

»Nervös? Keine Sorge. Ich kenne mich hier aus. Auf der Strecke ist nie viel Verkehr. Wer nicht zum Schloss will, hat hier nichts verloren. Verdammt ...«

Stephanie trat so heftig auf die Bremse, dass Bonner in den Gurt geworfen wurde. Mit offenem Mund starrte er dem Rennrad hinterher, das wie aus dem Nichts gefährlich nahe an ihnen vorbeisauste.

»Scheiß Radfahrer.« Auch Stephanie musste sich von dem Schreck erst einmal erholen. »Mit diesen Irren muss man im Schwarzwald überall rechnen. Hier besonders. Ideale Trainingsstrecke.«

Bonner atmete tief durch. Er rutschte in seinem Sitz herum, als Stephanie wieder fröhlich durch die Kurzen zog. Endlich fuhr sie rechts an den Straßenrand und schaltete die Warnblinklichter ein.

»So, wir sind da, Herr Kollege. Hier hat der Anschlag auf Bernauer stattgefunden.«

Sie stiegen aus und Bonner schaute sich um. Er sah nur Bäume. Links und rechts der Fahrbahn gab es einen knietiefen Graben. Direkt dahinter auf beiden Seiten dichter Wald. Bonner fröstelte. Er ging ein paar Schritte auf die Fahrbahn. Kreidespuren auf dem Asphalt zeigten, wo Bernauer gelegen hatte. Vier Winkelstriche markierten die Position seines Fahrzeugs. Rundherum waren Ziffern und Kreuze auf die Straße gemalt. An diesen Stellen hatten die Spurensicherer vermutlich Steine gefunden.

Stephanie wies in den Wald gegenüber.

»Von dort haben sie die Äste auf die Straße geschleift. Das muss schlimmer ausgesehen haben, als es war. Bernauer hätte womöglich einfach durchbrettern können. Ist jetzt alles in der KTU; auch die Steine, die links und rechts neben der Fahrbahn lagen. Die Jungs haben richtige Depots als Vorrat angelegt. So wie wir früher, bei unseren Schneeballschlachten. Aber nur rechts, von uns aus gesehen. Hier ...«

Stephanie zückte ihr Handy. Sie zeigte Bonner Aufnahmen, der verbliebenen Steinhaufen.

»Die haben sich gut vorbereitet. Nach Zufall, oder einem spontanen Streich, sieht das jedenfalls nicht aus.« Bonner schaute sich um. »Aber wieso ausgerechnet hier? Mitten in der Nacht? Woher wussten die Kinder, wann Bernauer hier entlangkommen würde?«

Stephanie zuckte mit den Schultern.

»Solche Fragen fallen wohl eher in den Zuständigkeitsbereich des BKA.«

Ohne Rücksicht auf seine unpassende Kleidung stieg Bonner in den rechten Straßengraben. In Halbschuhen und Anzug stapfte er ein paar Schritte entlang des Tatorts auf und ab. Dann wechselte er auf die andere Seite.