Stormwalker - Jenseits der Nacht - Allyson James - E-Book

Stormwalker - Jenseits der Nacht E-Book

Allyson James

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Beschreibung

Als Stormwalker gebietet Janet Begay über die Elemente. Doch diese Fähigkeit ist Segen und Fluch zugleich. Nur ihr Ex-Geliebter Mick kann die Wogen des Sturms in ihrem Inneren besänftigen. Als die Tochter des Polizeichefs des Städtchens Magellan vermisst wird, nimmt Janet ihre Spur auf. Doch über Magellan zieht weitaus größeres Unheil herauf: Janets Mutter will ein unglaublich mächtiges magisches Tor öffnen, und Janet ist die Einzige, die sie daran hindern kann.

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ALLYSON JAMES

STORMWALKER

JENSEITS DER NACHT

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Katrin Kremmler

1

Es war schon dunkel geworden, als ich aus den Bergen nach Osten auf die Wüste und die Kleinstadt Magellan zufuhr. Das Gelände fiel steil ab. Ich ließ das kühle, pinienbewachsene Hochland hinter mir zurück, und die Hitze kam wieder. Tief im Süden blitzte es heftig, der aufziehende Sturm schickte mir ein Prickeln durch den Körper wie die Berührung eines Geliebten.

Bis ich Winslow erreicht hatte und von Ampel zu Ampel glitt, waren die Sterne hinter dichten Wolken verschwunden, aber immer noch regnete es nicht. Ich nahm die Straße unter der Eisenbahnbrücke hindurch, gerade als ein Güterzug darüber hinwegdonnerte, und fuhr dann nach Süden auf die Wüste zu. Meine Harley knatterte durch die Stille.

Der erste Blitz entzündete die Wolken mit seinen grellweißen Lichtfingern, und ich leckte seine Überreste auf wie eine ausgehungerte Katze. Ich bin ein Stormwalker. So nennt das Volk meines Vaters diejenigen, die wie ich die Fähigkeit besitzen, die Energie der Stürme anzuziehen und für sich nutzbar zu machen. An einem ruhigen Tag bekomme ich höchstens ein paar einfache Zauber hin, aber sobald ein Gewitter in der Nähe ist, kann ich den Wind, die Blitze und den Regen lenken und zum Tanzen bringen. Darin bin ich richtig gut. Tödlich.

Gewittermagie macht mich verrückt und beschert mir immer einen schlimmeren Kater als eine dreitägige Sauftour, aber wenn die Stürme zu lange auf sich warten lassen, hat das die gleichen Auswirkungen.

Ich hatte keinen Sturm mehr gehabt, seit ich vor zwei Wochen nach Magellan gezogen war, um im Fall des Verschwindens von Amy McGuire, der Tochter des Polizeichefs, zu ermitteln. Ich lechzte nach meiner nächsten Dosis.

Ich nahm die Abzweigung nach Magellan. Die verschwommenen Lichter der Kleinstadt lockten mich aus zwanzig Meilen Entfernung, und etwas weiter nördlich glitzerten die helleren Lichter der Kreisstadt Flat Mesa. Vor mir schaukelten die roten Rücklichter eines Transporters auf und ab, als die Straße durch mehrere Trockentäler führte. Das linke Rücklicht war beschädigt, was dem Pritschenwagen ein asymmetrisches Aussehen gab. Außer uns war niemand auf der Straße.

Ein plötzlicher Windstoß hätte mich fast von meiner Maschine gerissen und brachte aus der dunklen Wüste eine Stimme mit.

Janet.

Ich vollführte eine schlitternde Vollbremsung, mein Herz raste, und ich nahm den Helm ab. Wind umtoste mich. Dicke Wolken rasten auf mich zu.

Tochter. Es war eine Frauenstimme. Das Flüstern war leise, fast liebevoll.

Ach, der Teufel sollte sie holen!

Der andere Grund, warum ich nach Magellan gekommen war, war meine Mutter. Ich wollte ihr entgegentreten und ihrem Treiben ein Ende setzen, wie ich es schon vor Jahren hätte tun sollen. Aber damals war ich noch zu jung und zu verängstigt gewesen. Als ich gebeten wurde, Ermittlungen zu Amys Verschwinden anzustellen, bot sich mir eine Gelegenheit zurückzukommen, und dieses Mal würde ich es mit meiner Mutter aufnehmen. Sobald ich nur herausgefunden hatte, wie.

Sechs Jahre waren vergangen, seit ich sie zum letzten Mal gesehen hatte, ausgerechnet in einem Diner in Holbrook, wo sie mir eine Höllenangst eingejagt hatte. Hinter den schwer gesicherten Mauern meines Hotels konnte ich mir leicht einreden, dass ich das Zeug dazu hatte, ihr entgegenzutreten, aber nicht hier draußen in der offenen Wüste mit den Wirbeln, die mich riefen. Hier in der Dunkelheit, allein unter diesem weiten Himmel, musste ich zugeben, dass sie mir immer noch eine Höllenangst einjagte.

Komm zu mir.

»Einen Dreck werd ich.« Als ich meine Mutter getroffen hatte, hatte sie ihr Bestes gegeben, mich zu ihrer willigen Sklavin zu machen, aber ich hatte nun mal dieses Problem mit dem freien Willen – mir lag etwas daran.

Janet.

»Dieses Mal nicht!«, schrie ich.

Das Flüstern erstarb mit dem Wind, und ein greller Blitz zuckte. Die elektrische Spannung schickte mir Funken durch die Finger und schwirrte über meinen Helm.

Die Gewittermagie war Erdmagie, die ich von meiner Großmutter geerbt hatte, einer kleinen Navajo-Frau, die viel stärker war, als sie aussah. Meine Mutter kam aus der Unteren Welt, dem Reich, aus dem die Skinwalker stammen, und auch sie hatte mir magische Kräfte vererbt.

Meine Mutter mochte Erdmagie nicht sonderlich. Für meine Geburt war sie zwar unumgänglich gewesen, aber sie machte mich auch stark genug, meiner Mom Widerstand zu leisten.

Mit zitternden Händen setzte ich den Helm auf und fuhr wieder los. Ein Regenvorhang fegte über mich hinweg; die plötzliche Kühle war mir willkommen. Ich holte den Pick-up wieder ein. Wer immer darin saß, fuhr langsam, und ich erkannte, dass das Zusammentreffen nur wenige Minuten gedauert haben konnte.

Ich wechselte auf die andere Spur, um den Pritschenwagen zu überholen. Wieder flammte Wetterleuchten über den Himmel, von den Mesas bis in den Süden. Es breitete sich in alle Richtungen aus und tauchte die Wolken in kaltes weißes Licht. In diesem Licht sah ich, wie plötzlich eine riesige Gestalt am Straßenrand auftauchte und auf mich zustürzte.

Ich bremste abrupt, riss meine Maschine zur Seite und versuchte verzweifelt, den Zusammenstoß zu vermeiden. Ein schrecklicher Gestank erfüllte die Luft, als die Gestalt mein Vorderrad verfehlte und mit einem gewaltigen Rums mit dem Pick-up zusammenprallte.

Auf dem regennassen Asphalt rutschte mir mein Hinterrad weg. Gleichzeitig wurde der Transporter fast wie in Zeitlupe in die Luft geschleudert, überschlug sich zweimal und landete krachend mit der Fahrerkabine auf dem Asphalt. So schlitterte er kreischend noch ein paar Meter weiter, Funken sprühten in die Nacht, dann blieb er still wie ein totes Tier liegen.

Meine Maschine rutschte weiter. Ich verfehlte den Pick-up nur knapp, wurde von meiner Harley geschleudert und landete, den Kopf voran, im Graben, der sich schnell mit Regenwasser füllte.

Ich lag mit gesprungenem Visier reglos im Matsch, meine Maschine mit verbogenem Vorderrad daneben, und meine Beine fühlten sich genauso verdreht an.

Im Pick-up rührte sich nichts. Es war stockdunkel hier draußen, sodass ich nicht einmal seine Farbe erkennen konnte. Aber immer noch konnte ich den Skinwalker riechen, der in der Dunkelheit auf uns lauerte. Meine Mutter konnte diese Kreaturen kontrollieren, die sich von der Energie der Wirbel nährten, und hatte mir diesen geschickt, um mir eine Lektion zu erteilen. Nicht, um mich zu töten – ich wusste, dass sie das nicht wollte –, aber um meinen Gehorsam zu erzwingen. Tot hatte sie keine Verwendung mehr für mich.

Mühsam kämpfte ich mich aus dem Helm. Meine Handschuhe waren zerrissen und meine Hände rutschig vom Blut. Unter Schmerzen streckte ich mich und kam dann langsam auf die Beine. Mein Atem ging mühsam, jeder Atemzug schmerzte.

Ich hörte, wie der Skinwalker zurückkam. Die Legenden meines Volkes besagten, dass Skinwalker Menschen waren, die mit schwarzer Magie experimentierten und sich in die Häute toter Tiere hüllten, um die Eigenschaften dieser Tiere anzunehmen. Was die Tiere anging, die normalerweise zu Tode gefoltert wurden, stimmte das auch; aber die Skinwalker waren keine Menschen. Sie waren Überbleibsel aus der vorigen Welt, der Unteren Welt, in der meine Mutter eine Göttin war. Skinwalker waren böse wie Dämonen und hätten es nie mit dem Rest der Menschheit in diese Welt schaffen dürfen. Aber sie hatten sich mit ihren Klauen herausgekämpft und sich über Generationen fortgepflanzt.

Das Ding griff mich an. Es war riesig, etwa zweieinhalb Meter groß und, soweit ich sehen konnte, in die Haut eines toten Bären gehüllt. Es war blitzschnell und stank schlimmer als die schlimmste Leichenhalle. Es hob mich hoch und warf mich mit voller Wucht auf den Asphalt. Ich schlug und trat um mich, richtete aber in etwa so viel aus wie gegen eine Wand. Der Skinwalker hielt seine widerliche Fratze nah an mein Gesicht, bleckte die Lippen und fletschte die gelben Zähne.

Ich schrie. Nicht, dass mir das etwas genützt hätte. Hier draußen wohnte niemand, und wer auch immer in diesem Pick-up saß, stieg nicht aus.

Der Sturm antwortete mir. Donner grollte in der Ferne, und ich griff verzweifelt nach dem Blitz. Ich konnte Gewitter nicht auslösen oder bewegen, sondern nutzte, was die Natur mir gab, und wenn der Sturm nahe genug war …

Ein Blitz zuckte aus der schwarzen Wolke direkt in meine ausgestreckten Hände. Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus. Er war nicht sehr stark, der Sturm noch zu weit entfernt, aber besser als nichts. Ich sammelte so viel von der Energie des Blitzes, wie ich nur konnte, und schleuderte sie auf den Skinwalker. Er grunzte unter dem Aufprall und tänzelte etwa einen Meter zurück, doch das war auch schon alles. Hastig stand ich auf.

Skinwalker sind verdammt schwer zu töten. Dieser watschelte schon wieder auf mich zu. Ich griff nach dem Wind, hob die Hände und richtete ihn auf die ekelhafte Kreatur. Der Skinwalker taumelte. Ich schlug ihn mehrmals mit der Kraft des Windes und verpasste ihm auch noch eine Dosis elektrische Funken.

Wieder kam der Skinwalker auf mich zu. Ich glaubte wirklich nicht, dass meine Mutter mich töten wollte, aber ob das Ding das auch wusste?

Die Kreatur war wieder auf der Straße angelangt. Statt mich zu schlagen, drehte sie sich um und trat gegen meine Harley.

»Nein!«, schrie ich. Diese Maschine war mein Baby. Das alte Mädchen und ich hatten zusammen eine Menge Meilen auf dem Buckel. Sie war das Symbol meiner Freiheit, meiner Unabhängigkeit, für mich selbst. Ich packte eine Handvoll Blitze und schleuderte sie auf den Skinwalker. Elektrische Spannung tanzte um ihn, aber immer noch starb er nicht.

In Momenten wie diesen bedauerte ich, meinen Ex Mick verlassen zu haben, den Mann mit der wilden Feuermagie. Ich hatte ihn mal einen Skinwalker verbrennen sehen, ohne auch nur ins Schwitzen zu kommen. Mick hatte mich verrückt gemacht mit seiner Mischung aus Böse-Jungen-Charme, Fürsorglichkeit und ausweichendem Verhalten, doch die Zeit mit ihm war trotzdem die beste meines Lebens gewesen.

Bevor wir uns getrennt hatten, hatte Mick mir sechs magische Kugeln gegeben, ein Lichtzauber, der in kleine Silberkugeln eingeschlossen war. Ich hatte gerade eine in der Tasche, eine der beiden, die mir noch geblieben waren. Wenn die Kugeln aktiviert wurden, strahlten sie ein weißes Licht aus, das jeden Schatten vertrieb – zumindest vorübergehend. Sie entwickelten nur Licht und keine Hitze, aber in Notfällen waren sie nützlich gegen die lichtscheuen Kreaturen – Skinwalker, Dämonen und Nightwalker.

Die elektrische Spannung ebbte ab, der Sturm legte sich wieder. Der Skinwalker kam auf mich zu, Mordlust in den roten Augen.

Definitiv ein Notfall, entschied ich. Ich griff in die Tasche und zog den Lichtzauber heraus, etwa so groß wie die Kugel eines Kugellagers. Es war nicht viel Magie nötig, um ihn zu aktivieren, was bedeutete, dass ich ihn auch dann einsetzen konnte, wenn gerade kein praktischer Sturm zur Hand war.

Der Skinwalker überragte mich und hob die riesigen Fäuste, um mich zu zerquetschen. Ich hob den Lichtzauber, aber bevor ich ihn aktivieren konnte, stieß der Skinwalker plötzlich einen Schmerzensschrei aus. Ein blauer Strahlenkranz flackerte um ihn auf, den nicht ich geschaffen hatte. Der Skinwalker versuchte, sich herauszukämpfen, während ich mit ausgestreckter Handfläche dabeistand und verblüfft zuschaute.

Dann rannte der Skinwalker, immer noch von diesem blauen Schein umgeben, in die Dunkelheit davon außer Sichtweite. Ich atmete erleichtert auf und steckte den Lichtzauber wieder ein.

Der Gestank ließ nach, ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Kreatur tatsächlich fort war. Hatte Mom etwa ihr Haustier zurückgepfiffen? Oder hatte ein anderes Wesen eingegriffen? Ich wusste es nicht, und im Augenblick war es mir auch egal.

Ich hinkte auf den Pick-up zu. Der nächste Blitz enthüllte einen staubigen roten Pritschenwagen, der mir bekannt vorkam, und das Herz rutschte mir in die Hose, als ich den Schriftzug auf der Fahrertür las, der wie das ganze Auto auf dem Kopf stand:

Fremont Hansen, Installation und Reparaturen

»Scheiße«, flüsterte ich. Fremont war der Klempner, der mir bei der Renovierung des verfallenen Hotels half, das ich am Stadtrand von Magellan gekauft hatte. Er war ein netter Kerl mit beginnender Stirnglatze und unschuldigen braunen Augen, der behauptete, selbst ein paar magische Fähigkeiten zu besitzen. »Ich kann alles reparieren«, hatte er geprahlt und mit den Fingern gewackelt.

Ich schloss die blutige Hand um mein Handy, aber es war bei dem Sturz zerbrochen. Plastikscherben klebten an meinen Fingern, und der Akku baumelte an nutzlosen Kabeln.

Ich warf das Handy weg und kauerte mich neben der Fahrerseite auf die Straße. Das Fenster war innen blutverschmiert, und ein Kopf presste sich dagegen.

»Fremont.« Ich rüttelte an der Tür, aber sie rührte sich nicht. Mühsam hinkte ich um den Pritschenwagen herum auf die andere Seite, mein Bein tat höllisch weh. Die Beifahrertür war nicht verriegelt. Ich sah keine Glasscherben glänzen, also musste das Fenster schon vor dem Unfall offen gewesen sein. Der Mann lag kopfüber in der Dunkelheit, den Hals in einem unnatürlichen Winkel verrenkt.

Ich tastete in den Trümmern im Wagen herum und fand kein Handy. Die Karosserie war so gequetscht, dass sich das Handschuhfach nicht mehr öffnen ließ. Ich zog mich wieder zurück und rümpfte die Nase. Es roch nach Tod.

Wieder erhellte ein Blitz den Himmel, allerdings weiter im Osten. Der Sturm zog weiter. Der Blitz erlosch. Dafür glommen rote und blaue Lichter auf, die vom Heulen einer Sirene begleitet wurden. Ich setzte mich erschöpft auf den Boden, den Rücken an den Pick-up gelehnt, als ein Wagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf mich zugerast kam.

Ein Geländewagen mit dem Schriftzug Hopi County Sheriff’s Department blieb anderthalb Meter vor mir stehen, die Reifen rutschten etwas auf der regennassen Straße. Die Tür sprang auf, und Stiefelsohlen knallten auf den Asphalt. Die Stiefel waren auf Hochglanz poliert. Eigentlich seltsam für einen Mann, der den ganzen Tag in der staubigen Wüste unterwegs ist, dachte ich. Über den Stiefelschäften erblickte ich eine Khakihose mit scharfer Bügelfalte.

Nash Jones, der Sheriff des winzigen Hopi County, ging neben mir in die Hocke und sah mich im Licht seiner Scheinwerfer an. Benebelt hörte ich, wie ein weiterer Wagen neben uns anhielt und ein zweites Stiefelpaar auf Schmutz und Asphalt knirschte.

»Janet Begay.« Nashs Stimme war ausdruckslos und hart, die eisgrauen Augen unbewegt. Er war nicht gut auf mich zu sprechen. Als ich frisch in Magellan angekommen war, hatte ich versucht, mit ihm über Amy McGuire zu reden, und er hatte mich abgeschmettert, noch bevor ich über die Begrüßung hinausgekommen war. Amy McGuire war seine Verlobte gewesen. Jones hatte mich schon gehasst, bevor er mich getroffen hatte.

Er schaltete eine dünne Taschenlampe ein und richtete den Lichtstrahl auf meine Augen. »Sind Sie okay?«

»Ich lebe noch«, krächzte ich.

»Sie haben ihn mit ihrem Motorrad gerammt.« In seiner Stimme lag keinerlei Sympathie. »Der Aufprall hat den Pritschenwagen umgeworfen. Habe ich recht?«

»Etwas ist mit ihm zusammengeprallt. Ich war’s nicht.«

Er glaubte mir nicht. »Können Sie aufstehen? Brauchen Sie einen Krankenwagen?«

»Ich komme schon klar.«

Auch das glaubte Nash mir nicht. Auf sein Zeichen kam eine Frau in einem schwarzen Overall herüber und half mir aufzustehen. Nash verließ mich, während die Frau mich unterhakte, in den Notarztwagen brachte und mir das Blut von den Händen wusch. Sie untersuchte mich, maß meinen Blutdruck, tastete meine Arme und Beine nach Knochenbrüchen ab und fragte mich, ob ich ins Krankenhaus wollte. Ich verneinte, bat sie aber, mich in die Stadt mitzunehmen, da das Vorderrad meines Motorrads verbogen war. Sie war einverstanden, sagte jedoch, dass der Sheriff dafür grünes Licht geben musste.

Ich fühlte mich innerlich ganz leer. Fremont lag tot in diesem Kleinlaster. Tot, weil ein Skinwalker, den meine Mutter eigentlich mir geschickt hatte, mich verfehlt hatte und mit ihm kollidiert war.

Nash Jones und seine Deputies inspizierten den Unfallort und begannen, die Leiche aus dem Pritschenwagen herauszuschneiden. Ich saß da und kämpfte gegen die Übelkeit an. Der Sturm legte sich, und ich war erschöpft und fühlte mich elend, wie üblich in solchen Momenten. Jetzt brauchte ich unbedingt einen Kaffee. Oder einen steifen Drink. Ich trank nur mäßig, weil ich nicht viel vertrug, aber heute Nacht würde ich eine Ausnahme machen.

Nash kam zu mir zurück und winkte mich mit einer knappen Geste zu sich. »Begay. Mitkommen.«

Dass er nicht handgreiflich wurde, verdankte ich wahrscheinlich nur der Sanitäterin, die sich beschweren würde. Bei meiner Ankunft in Magellan hatte Nash Jones klargestellt, dass meine Anwesenheit und die Tatsache, dass Chief McGuire mich hergebeten hatte, ihm absolut zuwider waren. Nash war wegen Amys Verschwinden nie offiziell angeklagt, aber als Verdächtiger verhört worden, und in der Stadt war man sich einig, dass der Tatverdacht nicht unbegründet war. Was Chief McGuire mir über Sheriff Jones erzählt hatte, war … interessant.

Nash fasste mich nicht an, doch er ließ mich vor sich her zu seinem Geländewagen humpeln und öffnete die hintere Tür. »Rein mit Ihnen.«

»Warum? Die nette Dame mit der Blutdruckmanschette fährt mich nach Hause.«

»Ich bringe Sie auf die Wache. Wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und rücksichtslosen Fahrverhaltens mit potenzieller Todesfolge.«

»Sie machen wohl Witze?«

»Ist nicht meine Art.« Jones funkelte mich wütend an. Seine grauen Augen konnten sich mit der Intensität einer Supernova auf einen richten. Er hatte schwarzes Haar, das er seit seinem Armeedienst im Irak im Bürstenschnitt trug, und ein kantiges, gut aussehendes Gesicht. Ich hatte beobachtet, wie Frauen in Magellan und Flat Mesa sich nach ihm umdrehten, wenn er vorbeiging. Sein gutes Aussehen wurde nur etwas beeinträchtigt von einer Narbe auf der Oberlippe.

»Da draußen ist was«, sagte ich. »Es ist mit Fremonts Laster zusammengestoßen, mit solcher Wucht, dass er sich überschlagen hat. Dann ist es weggerannt, aber der Sturm legt sich, und das Ding kann jederzeit zurückkommen. So ein Skinwalker ist verdammt stark. Wenn er will, kann er diesen Geländewagen zerfetzen wie eine Papiertüte.«

Statt einer Antwort starrte Nash mich nur ausdruckslos an. Nash Jones war ein Ungläubiger, einer der Leute, die nicht daran glaubten, dass Magellan nahe an einem mystischen Zusammenfluss von energetischen Wirbeln stand, wo das Übernatürliche normal war. Er war hier aufgewachsen, verachtete aber diejenigen, die von den Touristen lebten, die auf der Suche nach paranormalen Phänomenen scharenweise nach Hopi County kamen.

»Einsteigen, bevor ich nachhelfe.«

»Waren Sie in der Armee auch so, wenn jemand Sie vor einer Gefahr gewarnt hat?«

»Das waren Männer mit militärischer Ausbildung, und Sie sind ein Navajo-Mädchen von einer Schaffarm. Einsteigen, verdammt!«

»Es hat Fremont umgebracht, einfach so.« Ich war kurz davor, hysterisch in Tränen auszubrechen. Ich hatte den klatschsüchtigen, schrulligen Fremont gemocht.

»Es ist nicht Fremont.«

Ich sah ihn schockiert an. »Was?«

»Es ist sein Azubi. Charlie Jones.«

Ich hatte Charlie gesehen, als er Fremont bei den Installationsarbeiten in meinem Hotel geholfen hatte, ein stiller, eigenbrötlerischer, etwas gammliger Junge, noch keine zwanzig. Ich hatte von ihm nur gewusst, dass er Charlie hieß, mehr nicht.

»Jones?«, wiederholte ich.

»Mein Cousin vierten Grades.«

»Oh, Nash, das tut mir leid! Das tut mir so leid!«

Nash packte mich unter dem Ellbogen und warf mich praktisch auf den Rücksitz. »Sitzen bleiben.«

Er knallte die Tür zu, drückte auf die Fernbedienung, und die Schlösser schnappten zu. Wie ich vermutet hatte, ließen sich im Wagen eines Sheriffs die Fenster auf der Rückbank vom Gefangenen nicht öffnen, und ein schwarzes Gitter trennte Vorder- und Rücksitz, ein weiteres Rücksitz und Kofferraum. Ich konnte wohl noch dankbar sein, dass Nash mir keine Handschellen angelegt hatte.

Ich rutschte tiefer in den Sitz, aber ich wusste, dass ich mich nicht verstecken konnte. Wenn der Skinwalker mich wieder suchen kam, würde er mich finden. Doch ich spürte seine Präsenz nicht in der Nähe. Vielleicht hielten das Blaulicht und die Aktivität ihn fern. Skinwalker mochten kein Licht, keinen Lärm und keine Menschenansammlungen. Aber deshalb konnte er trotzdem wieder aus der Wüste hervorstürzen und angreifen, sobald Nash mit mir davonfuhr.

Ich sorgte mich auch um meine Maschine. Würde Nash sie einfach am Straßenrand liegen lassen wie ein kaputtes Spielzeug? Ihm war auch zuzutrauen, dass er sie beschlagnahmen und abschleppen ließ, wenn er Lust dazu hatte.

Ich nannte nur wenige Besitztümer mein Eigen, weil ich mich ohne sie freier fühlte, aber diese Harley war mir wichtig. Ich war mit ihr quer durchs ganze Land gefahren und runter nach Mexiko. Zuerst allein, dann mit Mick, und als ich ihn vor fünf Jahren endlich verlassen hatte, wieder allein.

Die Harley war mein Fluchtmittel. Egal, welche Wurzeln ich irgendwo schlug oder in welche Schwierigkeiten ich mich brachte, ich konnte jederzeit ein paar Klamotten in die Satteltaschen schmeißen, mich auf meine Maschine schwingen und in der Nacht verschwinden.

Ich sah mein armes Bike im Flackern der Polizeischeinwerfer, das Vorderrad verbogen, der Lenker ragte verloren auf. Es ist bloß eine Maschine, nur ein Stück Metall, sagte ich mir, aber es fühlte sich an, als sähe ich den verrenkten Körper meines eigenen Kindes auf der Straße liegen.

Als Nash endlich die Fahrertür öffnete, roch ich den Skinwalker nicht mehr in der nächtlichen Brise. Ich atmete tief ein und genoss den prickelnden Ozongeruch des Gewitters. Ich spielte mit dem Gedanken, den Blitz zu packen und Nash einen elektrischen Schlag zu verpassen, aber dann wäre ich auch nicht besser als der Skinwalker. Anderen Schmerzen zufügen, weil es Spaß machte … Ich schauderte.

»Bin ich verhaftet?«, fragte ich.

Nash knallte die Tür zu und schnallte sich an. »Zum Verhör geladen.«

»Und meine Maschine?«

»Die wird von den Deputies als Beweisstück beschlagnahmt.«

»Verdammt, Jones. Ich habe diesen Laster nicht gerammt.«

»Die Leier können Sie sich sparen.« Er legte den Hebel der Automatikschaltung um und fuhr an dem umgekippten Pritschenwagen vorbei, gerade als die Deputies meine Harley aufhoben und achtlos auf die Ladefläche ihres Dienstfahrzeugs warfen.

Nash schaltete kein Blaulicht ein, aber er trat das Gaspedal durch und raste über den Highway. Nach zehn Meilen traf die Straße auf einen anderen schmalen Highway; nach Norden ging es nach Flat Mesa, nach Süden nach Magellan. Hier an der Kreuzung stand mein Hotel, ein dunkles, verlassenes Viereck gegen den schwarzen Himmel. Die Crossroads Bar, die sich mit dem Hotel den Parkplatz teilte, war erleuchtet. In der Bar wimmelte es von Menschen.

Ich warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Hotel, stellte mir mein Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses vor, wo mein Bett und mein Badezimmer auf mich warteten, auch wenn das Wasser noch nicht angeschlossen war. Dieses Hotel war meine Zuflucht, meine Trutzburg sozusagen.

Nash bog links ab, fuhr, ohne anzuhalten, am Hotel vorbei und dann nach Norden nach Flat Mesa.

2

»Ich dachte, Sie haben mich nur zum Verhör hergebracht.«

Nash Jones hatte mich immer noch fest am Arm gepackt, als er vor einer Zelle im Hopi County Sheriff’s Department stehen blieb. Er hatte zuvor einem Deputy die Anweisung gegeben, mich ins Röhrchen pusten zu lassen, und irritiert gewirkt, dass ich nicht betrunken war. Daraufhin war ich von besagtem Deputy abgetastet worden, und Nash hatte zugesehen. Sie hatten mir alle persönlichen Gegenstände abgenommen, dann hatte Nash mich davongezerrt, um mich einzusperren.

Das Gefängnis hatte vier Zellen, alle leer bis auf die erste, in der ein Betrunkener auf dem Boden lag. Nash hatte mich zum Ende des Zellenblocks gebracht und öffnete nun die letzte Gittertür. Darin befanden sich eine Pritsche mit einer dünnen Matratze und eine Toilette. Reizend. Nash stieß mich hinein und schloss das Gitter hinter mir.

»Sie haben die Leibesvisitation vergessen«, sagte ich.

Nash starrte mich kalt an. »Treiben Sie’s nicht auf die Spitze!«

»Darf ich keinen Anwalt anrufen?«

»Morgen. Heute Nacht kühlen Sie sich ab, und morgen erzählen Sie mir alles über den Unfall, der zu Charlie Jones’ Tod führte.«

»Kann ich Ihnen sofort sagen.«

»Morgen«, wiederholte er, und es klang endgültig.

Bastard. Er könnte mich jetzt befragen, aber dann könnte ich ihn womöglich von meiner Unschuld überzeugen, und er müsste mich gehen lassen. Es schien ihm einen Kick zu geben, mich über Nacht in einer Zelle schmoren zu lassen.

Niemand wusste, wo ich war, weder Fremont noch Chief McGuire oder mein Freund Jamison Kee, dessentwegen ich überhaupt nach Magellan gekommen war. Jamison hatte mich Chief McGuire als Ermittlerin in übernatürlichen Angelegenheiten empfohlen, als McGuire dazu übergegangen war, seine Tochter mit unkonventionellen Mitteln zu suchen. McGuire würde sicher zu Ohren kommen, dass man mich verhaftet hatte, aber vermutlich nicht vor morgen früh. Ich rechnete nicht damit, dass Nash ihn anrief, denn der Unfall hatte sich auf Kreisebene ereignet, Nashs Zuständigkeitsbereich. In der kurzen Zeit, die ich in Magellan war, hatte ich schon mitbekommen, dass Nash Jones seine Zuständigkeiten sehr ernst nahm.

Ich fühlte mich schrecklich wegen seines Cousins Charlie. Bei meinen Leuten konnten Cousins und Cousinen einander so nahestehen wie Brüder und Schwestern, und der Verlust eines Angehörigen erschütterte die ganze Familie. Für Nash war ich die Schuldige, und es war ja wirklich so, dass Charlie noch leben würde, wenn ich nicht da draußen gewesen wäre.

Nash ging fort; seine Schritte hallten laut in der Stille. Ich legte mich auf die Matratze, winkelte die Knie an und stellte die Füße flach auf das Bett. Mein Bein fühlte sich besser an, also war es nicht verstaucht oder gebrochen, nur gezerrt. Meine gemurmelten Heilzauber halfen ein wenig, aber ich hatte nicht mehr genug magische Kräfte übrig, um den Schmerz ganz zum Verschwinden zu bringen.

Nash hatte mir alles abgenommen: die Chaps, die ich immer über den Jeans trug, Portemonnaie und Schlüssel und den Lichtzauber. Ich machte mir keine Sorgen, dass Nash ihn aktivieren könnte, denn das vermochten nur Leute mit magischen Kräften, und den Göttern sei Dank hatte Nash keine magische Aura. Der Lichtzauber war bei ihm in Sicherheit, aber ob ich ihn je zurückbekommen würde, stand in den Sternen.

Ich schloss die Augen.

Ich musste auf der Stelle eingeschlafen sein, denn plötzlich schwebte ich über der Wüste und sah alles aus der Vogelperspektive. Unter mir glitzerten die Lichter von Flat Mesa, größer als der Lichtschein, der Magellan war. Zwischen den beiden Ortschaften befanden sich das dunkle Crossroads Hotel und die Bar, voller Licht und Lärm. Östlich davon, hinter dem leeren Gleisbett, das das Land wie eine Arterie durchschnitt, lag die dunkle Wüste.

Nur dass sie nicht völlig dunkel war. Unnatürlich weiße Nebelschwaden wirbelten in ihr herum. Die Luft war schwer und warm und roch nach Regen, aber der Wind aus den abziehenden Wolken war eiskalt.

Die weißen Nebelschwaden markierten die Wirbel. Das sind Orte, an denen sich mystische Energie sammelt, wo sich die magischen Kräfte von Erde, Luft, Feuer und Wasser bündeln und an einem Ort konzentrieren. Manche behaupten, dass sie sich besser, lebendiger fühlen, wenn sie sich in einen solchen Wirbel stellen. Hexen suchen sie auf, um die Wirksamkeit ihrer Zaubersprüche zu erhöhen, und Mystiker nehmen die Energie der Wirbel gern in sich auf, um ihre eigene zu steigern. Manche New Ager glauben sogar, dass dort kosmische Energien aufsteigen, die Außerirdische benutzen, um Landeplätze zu orten, aber das ist Quatsch.

Nur wenige Leute wissen, was die Wirbel wirklich sind. Ich weiß es. Sie sind Durchgänge. Versiegelte Durchgänge, doch nichtsdestotrotz Öffnungen in die Untere Welt.

Die Untere Welt ist die Welt unter unserer, aus der vor Äonen die Menschen hervorgekommen sind. Darunter hatte es eine weitere Welt gegeben, darunter wieder eine und so weiter. Manche Geschichtenerzähler sagen, dass die Welt, in der wir heute leben, die letzte und beste dieser vielen Welten ist; manche denken, dass es noch eine weitere, bessere, jenseits dieser Welt gibt, die wir erreichen werden, sobald wir herausgefunden haben, wie wir dort hinkommen.

Der Weg von der Unteren Welt in diese wurde von Göttern gebahnt, die sich durch die Wirbel drückten und die Menschen mitbrachten, um sie zu bevölkern. Diese Götter hatten die Öffnungen hinter sich verschlossen, aber vorher war es einigen der grausameren Wesen gelungen, mit heraufzukommen. Diejenigen, denen das nicht gelungen war – zu ihnen gehört meine Mutter –, waren sehr, sehr wütend.

Jetzt sind die Wirbel versiegelt, aber Skinwalker und andere Dämonen sammeln sich um sie, weil sie sich dort an den winzigen Ablagerungen der Magie nähren können, die aus der Unteren Welt heraufsickern. Durch diese Magie können Götter und Göttinnen wie meine Mutter die Skinwalker kontrollieren.

Ich konnte sie jetzt da draußen spüren, wie sie versuchte, durch die wirbelnden Nebel nach mir zu greifen und mich zu verführen.

Janet.

»Lass mich in Ruhe!«, schrie ich.

Komm zu mir.

»Nein!«

Ein langes, bösartiges Knurren erfüllte die Luft, und ich war schlagartig hellwach. In meiner Zelle herrschte ein überwältigender Gestank, und etwas schlug mit voller Kraft gegen das Dach.

Ich war von der Pritsche und am Gitter, bevor der zweite Schlag ertönte, und schrie aus vollem Hals. Das Gebäude bebte. Donner grollte, wieder raste ein Sturm durch die schmalen Canyons auf die Stadt zu, die sich unter dem Nachthimmel vor ihm duckte.

»Was zum Teufel ist los mit Ihnen?« Nash Jones blieb vor meiner Zelle stehen, das Gesicht vor Wut gerötet.

»Bei uns hat eben der Blitz eingeschlagen«, sagte sein Deputy hinter ihm zu mir. »Aber keine Sorge, das Gebäude ist aus massivem Stein.« Er schnüffelte. »Was stinkt hier so?«

»Das war kein Blitzschlag«, erklärte ich. »Wir werden angegriffen.«

Nash machte ein finsteres Gesicht. »Nicht schon wieder diese Skinwalker-Story.«

»Hey, die gibt es wirklich«, sagte der Deputy. »Zumindest hier in der Gegend.«

»Jetzt fangen Sie nicht auch noch damit an, Lopez!«

»Hören Sie mir gut zu«, sagte ich. »Er wird dieses Gebäude niederreißen, um mich zu kriegen, und es wird ihm egal sein, wen er dabei noch tötet. Sind da weitere Räume hinter mir?«

Lopez nickte und ignorierte Nashs wütenden Blick. »Der alte Zellenblock. Unbenutzt. Abgesperrt.«

»Schließen Sie ihn auf. Machen Sie dort Licht, dass es taghell ist. Skinwalker mögen kein Licht. Beeilen Sie sich, oder er reißt uns die Bude ab.«

Lopez wirkte beunruhigt, aber Nashs Gesicht war hart wie Granit. »Hat Ihnen schon mal wer gesagt, dass Sie ein Fall für die Klapse sind, Begay?«

»Klar, passiert mir ständig. Heißt aber nicht, dass ich mich irre.«

Etwas schlug dröhnend neben mir gegen die Außenwand, und Nash sah unwillkürlich hin. Ich roch den Skinwalker, ich spürte seine rasende Wut. Nash gab vor, nichts zu riechen und zu spüren. Vielleicht konnte er als Ungläubiger es tatsächlich nicht wahrnehmen.

»Lopez, Zellenblock überprüfen!«, befahl er.

Der Deputy wirkte besorgt, aber er reckte die Schultern. »Jawohl, Sir.«

»Gehen Sie da nicht allein rein!«, warnte ich ihn.

Nash warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Lopez ist ein großer Junge. Er hat keine Angst im Dunkeln, und ich genauso wenig.«

»Sollten Sie aber«, meinte ich.

Nash ging davon. Lopez sah mich noch einmal ängstlich an und folgte ihm dann. Ich hörte, wie Nash dem Mann draußen im Büro sagte, dass sie in den alten Zellenblock müssten.

Während sie redeten und sich offenbar alle Zeit der Welt ließen, ging ich unruhig auf und ab. Der Gestank ließ nicht nach. Nach einer Weile kam Nash zu meiner Zelle zurück, dieses Mal ohne Lopez. Ich hielt die Gitterstangen gepackt, die Handflächen schmutzig von abblätterndem Rost.

»Wir konnten ihn nicht öffnen«, sagte Nash. »Die Tür ist zugerostet.«

»Dann verlegen Sie mich woandershin, irgendwohin, wo es hell ist.«

»Sie sind betrunken.«

»Bin ich nicht, Sie haben mich doch getestet. Ich bin weder besoffen noch high, und ich mache keine Witze.« Ich gab auf und lehnte meine Stirn gegen das Gitter. »Ist egal. Dann kriegt er mich eben.«

»Hören Sie endlich mit diesem verdammten Skinwalker-Quatsch auf!«

»Sie glauben so gar nicht an die Legenden ihrer eigenen Region?«

»Nein«, antwortete Nash heftig.

»Diskutiere nie mit Ungläubigen!«, hatte mein Freund Jamison, ein Navajo-Schamane, Künstler und Gestaltwandler, mir bei meiner Ankunft in Magellan gesagt. Seinem ironischen Grinsen nach zu urteilen, sprach er aus Erfahrung.

»Na gut«, sagte ich zu Nash. »Dann gehen Sie.«

Ich schloss die Augen. Wenn Nash nichts gegen den Skinwalker unternahm, würde er mich kriegen. Ich zapfte nicht gern die volle Energie eines Gewitters an, weil ich hinterher meistens tagelang krank im Bett lag. Da draußen bei dem Autowrack hatte ich nur wenig Sturmenergie aufgenommen, und der Sturm war auch noch nicht auf seinem Höhepunkt gewesen.

Die Blitze, die ich gerade draußen spüren konnte, waren tödlich. Wolken aus dem Westen waren mit anderen aus dem Süden kollidiert und schwollen über dem Wüstenplateau zu einer mächtigen Gewitterwand an. Diesen Sturm anzuzapfen, würde absolut berauschend sein, und ich würde voll wilder, feuriger Freude mit ihm tanzen. Ich würde den Preis dafür zahlen, aber zuerst würde ich pure Lust erleben.

»Keinen Lärm mehr«, sagte Nash gerade.

»Ihnen auch schöne Träume.«

Nash ging ohne ein weiteres Wort davon. Er erreichte das Ende des Zellenblocks, trat hinaus und schlug das Gitter hinter sich zu. Der Betrunkene in der ersten Zelle, der leise von sich hin gewimmert hatte, beruhigte sich allmählich, und dann wurde alles still.

Ich legte mich auf die Matratze zurück und verschränkte die Hände locker über der Brust, mein T-Shirt war schon schweißgetränkt. Der Gestank des Skinwalkers erfüllte die Zelle und brachte mich zum Würgen.

Ich versuchte, den Geruch zu ignorieren, schloss die Augen und griff nach dem Sturm.

Ein heftiger Energiestoß strömte durch meine Finger, als ich die Moleküle von Wasser und Wind in mir sammelte. Der Sturm war aufregend und tödlich und schwer zu kontrollieren.

Ich öffnete die Arme und hieß ihn willkommen. Zwischen meinen Beinen und in meinem Bauch begann es zu pulsieren wie der beste Sex der Welt. Ich bäumte mich auf, das Gefühl wurde immer stärker, bis mir ein Stöhnen entfuhr. Ich wurde zum Sturm, lenkte ihn, und Energie schoss knisternd durch meine Fingerspitzen.

Ja.

Die warme Luft aus der Wüste stieg spiralförmig auf und traf auf die eiskalte Luft der Gewitterfront. Heißer und kalter Wind fanden sich in einem Wirbel zusammen, Donner grollte. In meiner fensterlosen Zelle konnte ich die Blitze nicht sehen, aber ich wusste, dass sie durch das trockene Grasland um Flat Mesa und das Bezirksgefängnis heranrasten. Abrupt öffnete ich die Hände und ließ den Sturm seine ganze Wut entfesseln.

Hagel prasselte auf das Dach. Pfeifende, heulende Winde zerrten am Gebäude, und im Haus begannen die Lichter zu flackern. Mein Körper zuckte, meine Hüften bebten, als der Sturm in mich eindrang. Wilde Ekstase überflutete mich. Aber auch die Gefahr war noch da, und das erregte mich sogar noch mehr.

»Komm schon!«, flüsterte ich schweißüberströmt.

Ich wünschte, Mick wäre da und gäbe mir seine Feuermagie als Verstärkung. Er würde mit einer Riesenerektion neben mir liegen, ohne sich über seine Reaktion auf mich und meine Magie zu schämen. Verdammt, ich wollte ihn hierhaben. Er fehlte mir.

Ich hob die Hände und griff nach dem Blitz. Weißes Licht drang aus meinen Handflächen und meinem Mund, Energie traf auf Energie, und ich zog den Sturm auf das Gebäude herab.

Eine Explosion zerriss mir fast die Trommelfelle, dann wurde das Gefängnis in abrupte Dunkelheit getaucht. Ich hörte, wie Lopez im äußeren Raum einen panischen Schrei ausstieß. Neben mir bebte die Wand, Steine brachen heraus und fielen auf den Parkplatz vor dem Haus.

Noch mal.

Ein Blitz schoss durch den dunklen Korridor zu meiner Zelle, und ich lächelte ihm zu.

Ich hörte Fauchen und Kreischen und dann Geschrei, als der Skinwalker vom Sturm getroffen wurde. Der Gestank wurde unerträglich, und der Skinwalker begann im doppelten Tempo auf die Wand einzuschlagen.

Das Gebäude zitterte und bebte. In der Außenwand meiner Zelle öffnete sich ein Loch, aufgesprengt von meiner Sturmenergie und dem Skinwalker auf der anderen Seite. Sein Gestank rollte in Schwaden herein, und dann sah ich ihn. Es war derselbe, der mich in der Wüste angegriffen hatte, zweieinhalb Meter groß und tobend vor Wut.

Er kam mich holen, und ich stand auf und ging ihm entgegen. Meine magische Kraft umgab mich wie ein Schild. Der Sturm, den ich auf der Autobahn gehandhabt hatte, war schwach und meilenweit entfernt gewesen; dieser hier befand sich genau über mir. Jetzt sah der Skinwalker sich einem Stormwalker auf dem Höhepunkt seiner Kräfte gegenüber. Ich lachte und gab ihm Saures.

Der Skinwalker schrie, als der Blitz in seinen Körper einschlug. Er zuckte, und dann rissen ihn die gegensätzlichen magischen Kräfte von mir und meiner Mutter, die in ihm kollidierten, auseinander. Sein heißes Blut spritzte über mich, sein Geschrei erstarb zu einem Gurgeln, und dann sackte er langsam zu einem stinkenden Fleischhaufen zusammen.

Ich verpasste ihm einen letzten Blitzschlag, und der Skinwalker ging in Flammen auf. Er versuchte noch, sie mit seinen Klauen auszuschlagen, und dann sank er auf dem nassen Asphalt des Parkplatzes zu einem Aschenhaufen zusammen. Regen und Wind zerstreuten ihn, und der Gestank verschwand und hinterließ nur noch den sauberen Geruch von Staub und Schlamm, Regen und Ozon.

Ich atmete auf. Meine Arme schmerzten, mein Magen krampfte sich zusammen, und ich hätte mich fast übergeben. Der Sturm löste sich wieder von mir, und die Wolken zogen weiter nach Norden, um bitter benötigten Regen über der Wüste auszuschütten.

Ich hörte Nashs Stimme und Schritte näher kommen, offenbar dachte er, das Gebäude sei wieder vom Blitz getroffen worden, und kam, um nach mir zu sehen. Er fand mich in der Raummitte auf dem Boden zusammengekauert. Ich hatte gar nicht erst versucht, durch das Loch in die Freiheit zu kriechen und zu fliehen. Die Sturmmagie, obwohl sie schon wieder abflaute, hatte mich immer noch in ihrem Griff, und ich fühlte mich elend und geschwächt. Außerdem dachte ich, wenn ich Nash durchging, würde er mich einfach auf der Flucht erschießen.

Er riss lautstark die Zellentür auf, zerrte mich auf die Füße, schleifte mich praktisch zur Nachbarzelle und stieß mich hinein. Ich fiel auf die Pritsche, zu erschöpft, um ihn zu beschimpfen. Ich wischte mir die Tränen ab und fand Blut auf meinen Fingerspitzen.

3

»Janet Begay.«

Nash Jones las aus einer Aktenmappe vor, die er auf dem Tisch aufgeschlagen hatte. Ich saß ihm gegenüber, die Ellenbogen auf die verschrammte Tischplatte gestützt, den Kopf in den Händen. Ich hatte die Augen geschlossen, konnte aber das Tageslicht nicht ganz ausschließen, das mir durch ein kleines Fenster unter der Decke wie ein Dolch mitten ins Hirn fuhr.

Ich hatte den Rest der Nacht über der Toilette in meiner Zelle verbracht und mir die Gedärme aus dem Leib gekotzt. Jetzt dröhnte mir der Schädel, und meine Augen waren trocken. Der Besoffene hatte viel besser ausgesehen, als ich mich fühlte, als der diensthabende Deputy gekommen war, um mich zu einem Verhörraum zu bringen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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