Strandversprechen - Svenja Lassen - E-Book

Strandversprechen E-Book

Svenja Lassen

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Meer stillt jede Sehnsucht ... auch die nach der Liebe

Eine Hochzeit steht ins Haus! Und zwar die von Mias bester Freundin Hanna. Eine Woche soll an der Ostsee gefeiert werden – eigentlich ein Grund zur Freude, doch Mia weiß: für sie kann das nur in einer Katastrophe enden. Zu den Gästen zählt auch ihr Ex-Freund Julius samt seiner neuen Freundin. Auf diese Begegnung könnte sie wirklich verzichten! Und dann drückt Hanna ihr für die lange Autofahrt an die Ostsee auch noch ihren Bruder Jonas aufs Auge. Ausgerechnet Jonas, mit dem Mia eine peinliche Vorgeschichte verbindet. Aber was tut man nicht alles für die beste Freundin? Und Mia muss zugeben, dass Jonas immer noch verdammt gut aussieht ...

Träumen, lachen, lieben, einfach wohlfühlen! In ihrem heiteren Liebesroman »Strandversprechen« entführt Bestsellerautorin Svenja Lassen an die Flensburger Förde ins malerische Glücksburg.

Entdecken Sie auch die anderen Romane der romantischen Küstenliebe-Reihe: »Muschelträume«, »Sonnenküsse« und »Seesterntage«.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 387

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Eine Hochzeit steht ins Haus! Und zwar die von Mias bester Freundin Hanna. Eine Woche soll an der Ostsee gefeiert werden – eigentlich ein Grund zur Freude, doch Mia weiß: Für sie kann das nur in einer Katastrophe enden. Zu den Gästen zählt auch ihr Ex-Freund Julius samt seiner neuen Freundin. Auf diese Begegnung könnte sie wirklich verzichten! Und dann drückt Hanna ihr für die lange Autofahrt an die Ostsee auch noch ihren Bruder Jonas aufs Auge. Ausgerechnet Jonas, mit dem Mia eine peinliche Vorgeschichte verbindet. Aber was tut man nicht alles für die beste Freundin? Und Mia muss zugeben, dass Jonas immer noch verdammt gut aussieht …

Autorin

Svenja Lassen lebt mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn im schönen Schleswig-Holstein, dem Land zwischen Nord- und Ostsee. Am glücklichsten ist sie mit einer Brise Seeluft im Haar und Strandsand unter den Füßen. Ihre Leidenschaft für Bücher entdeckte sie bereits als Kind, seit 2016 kam aber auch die Liebe für das Schreiben eigener Geschichten hinzu. Inzwischen begeistert sie mit ihren romantischen und humorvollen Wohlfühlromanen zahlreiche Leserinnen und Leser und stürmt mit ihren Büchern die Bestsellerlisten.

Weitere Informationen unter: www.svenjalassen.de

Von Svenja Lassen bei Blanvalet

Meer Momente wie dieser

Meer Liebe im Herzen

Muschelträume (Küstenliebe 1)

Sonnenküsse (Küstenliebe 2)

Seesterntage (Küstenliebe 3)

Strandversprechen (Küstenliebe 4)

Svenja Lassen

Strandversprechen

Roman

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen. 

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © 2024 by Svenja Lassen

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Gaeb.

Redaktion: Gisela Klemt

Umschlaggestaltung und -motive: www.buerosued.de

Karte: www.buerosued.de

WR · Herstellung: lor

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-30015-9V002

www.blanvalet.de

Kapitel 1

Mein Blick glitt vom Computerbildschirm zu dem Stiftebecher auf meinem Schreibtisch, an dem die Einladungskarte für die Hochzeit lehnte. Hanna und Christian stand in geschwungener Schrift auf der Vorderseite, eine filigrane Ranke schlang sich um die Namen. In zwei Wochen wollten die beiden an der Ostsee Ja sagen – und ich freute mich riesig für meine Freundin. Die Einladungskarte hatte ich für sie designt, Hanna hatte sie dann noch mit einem Inlett versehen, auf dem alle wichtigen Infos standen, und jede Karte mit einer naturfarbenen Schleife verschlossen. Es hatte mir Spaß gemacht, von Göttingen aus etwas beisteuern zu können, und ich war in einen kleinen Kreativrausch verfallen und hatte quasi ein komplettes Branding für die Hochzeit erstellt. Alles passte zusammen: Einladungs-, Menü- und Danksagungskarten. Letztere warteten nur noch auf die Hochzeitsfotos der beiden, ehe ich sie finalisieren würde. Außerdem hatte ich ein Gästebuch gestaltet und wollte im selben Look später ein Fotobuch für die beiden kreieren. Eine Website mit Infos für die Gäste gab es ebenfalls. Über diese Seite hatte man auch zu- und absagen können und würde dort später die Möglichkeit haben, Fotos hoch- und runterzuladen. Von der Erstellung einer Website hatte ich keine Ahnung, das hatte Hanna übernommen und sich das Ganze extra dafür angeeignet, ich hatte lediglich die Grafiken beigesteuert. Ich mochte das Design, alles vermittelte klar die Botschaft, dass es hierbei um den schönsten Tag im Leben meiner Freundin ging. Dennoch breitete sich jedes Mal, wenn ich an die Hochzeit dachte, in meinem Bauch ein mulmiges Gefühl aus. Seit der Trennung von Julius vor einem Dreivierteljahr würde es das erste Mal sein, dass ich ihn wiedersah – abgesehen von meinem armseligen Stalking seines Instagram-Profils. Ein Foto von ihm und einer hübschen Frau mit honigblonden Haaren hatte er vor einigen Wochen hochgeladen, sie war höchstens Mitte zwanzig. Ich stellte mich lieber schon mal darauf ein, dass es sich um seine neue Freundin handelte. Hanna hatte mir erst kürzlich erzählt, dass er mit Begleitung kam. Beim Betrachten des Fotos hatte ich mich mit meinen einunddreißig Jahren alt gefühlt, und ausgetauscht – gegen eine bessere Version. In meinen mittelblonden Haaren fanden sich nämlich schon erste graue, die aber zwischen den helleren Strähnen vom Friseur zum Glück nicht auffielen.

Verärgert, dass ich nach all den Monaten überhaupt noch über Julius nachdachte, wischte ich die Gedanken fort, schob entschlossen meinen Drehstuhl zurück und erhob mich.

Das Büro teilte ich mir mit Frank. Sein Schreibtisch stand ein paar Meter von meinem entfernt vor dem Fenster, abgetrennt durch einen aufgestellten Sichtschutz und eine große Grünpflanze, die er mitgebracht hatte, als er den Posten von Herrn Albicher, den vorherigen Leiter der Marketingabteilung, übernahm. Auch wenn die Grünpflanze, neben dem Sichtschutz, das meiste Tageslicht davon abhielt, bis zu mir vorzudringen, war sie doch das Einzige, was ich an Frank leiden konnte.

»Mia, hast du alle Unterlagen für die Präsentation zusammengestellt, und hat die Agentur die fehlenden Grafiken geschickt?«, bremste er mich nun prompt aus, und ich plumpste zurück auf das Sitzpolster. Er musste gestern an Himmelfahrt etwas zu lange in der Sonne gesessen haben, auf der Nase und den Wangen hatte er einen fiesen Sonnenbrand, der seine prägnante Nase noch ein wenig mehr betonte.

»Ich schicke dir alles in fünf Minuten.« Die neueste Waschmaschinen-Linie der Tellerrock GmbH sollte in zwei Monaten gelauncht werden, und wir in der Marketingabteilung waren für die Koordination des neuen Auftrittes zuständig. Ein bisschen wehmütig ging ich die Unterlagen und die Grafiken für das Meeting durch. Leider war ich mittlerweile mehr mit der Planung und Koordinierung beschäftigt und hatte nur noch selten Gelegenheit, selbst kreativ zu gestalten. Ich schaute über den Bildschirmrand zu Frank, der hundertprozentig am Montag bei dem Meeting die Lorbeeren für meine Arbeit einstreichen würde. Hoffentlich pellte sich seine Nase dann schon!

Seit Herr Albicher gekündigt hatte, nervte mich meine Arbeit oft noch mehr als zuvor. Herr Albicher hatte meine Vorschläge und Arbeitsweise stets zu schätzen gewusst, Frank hingegen redete alles ständig klein, erklärte mir die Welt in bester Mansplaining-Manier, nur um kurz danach meinen Vorschlag mit seinen Worten zu präsentieren. Genervt stieß ich einen Schwall Luft durch die Nase aus.

Aber jetzt würde ich erst mal in Urlaub fahren. Ich hatte nämlich beschlossen, ein paar Tage früher an die Ostsee zu reisen, um mich ein wenig zu akklimatisieren, bevor ich meinem Ex-Freund gegenübertreten musste. Hanna und Chris hatten die Gäste für eine Woche in ein kleines Resort in Glücksburg an der Flensburger Förde eingeladen. Sie selbst lebten in der Hafenstadt Flensburg. Die meisten der Gäste trafen zum nächsten Wochenende ein, einige sogar erst kurz vor der Hochzeit, je nachdem, wie es ihnen die Zeit erlaubte. Die kommenden Tage sollte ich also ganz ungestört das Meer genießen und etwas Zeit mit meiner Freundin und ihren Eltern verbringen können, die am Dienstag anreisen würden. Ich freute mich darauf, Theodor und Renate Jahn wiederzusehen. Obwohl wir nicht weit auseinanderwohnten, sahen wir uns nur noch selten, seit Hanna damals zum Studieren nach Flensburg gegangen war.

Nachdem ich Frank alle Unterlagen per Mail zugesendet hatte, schob ich erneut meinen Stuhl zurück und lief durch den Flur in das Büro meiner Freundin Franzi, die den Social-Media-Kanal der Firma betreute. Sie telefonierte, lächelte mir aber zu und deutete auf den Platz vor ihrem Schreibtisch. Doch ich blieb stehen und betrachtete die Fotos, die bei ihr an der Wand hingen. Franzi war eine Weltenbummlerin. Mit ihrer Kamera fing sie stets die Erlebnisse auf ihren Reisen ein und teilte sie auf ihrem Instagram-Account und einem Blog mit der Welt. Sie träumte davon, irgendwann von dem Reiseblog leben zu können. Ich blickte auf eine Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Marktes in Thailand. Eine einheimische Frau mit tiefen Falten im Gesicht lächelte zahnlos in die Kamera, doch ihre Augen leuchteten voller Lebensfreude.

Als ich hörte, wie Franzi sich von ihrem Gesprächspartner verabschiedete, drehte ich mich zu ihr um.

»Du hast doch gesagt, ich habe zwei Möglichkeiten, wie ich diese Hochzeit und das Treffen mit Julius angehen kann«, begann ich ohne Umschweife.

Franzi musterte mich. »Und du hast dich für die Variante ›Ich falle so wenig wie möglich auf‹ entschieden.«

»Ich habe es mir anders überlegt«, platzte es aus mir heraus, ehe ich einen Rückzieher machen konnte. »Und deswegen brauche ich ein neues Kleid!«

Franzis Gesicht erhellte sich um mehrere Nuancen.

»Du willst diesem Schlappschwanz Julius zeigen, wie blöd er war, dich aufzugeben?«

Ich nickte.

»Gib mir zehn Minuten! Ich habe eh schon wieder viel zu viele Überstunden angehäuft. Dann nutzen wir heute doch mal unser Gleitzeitmodell.« Sie zwinkerte mir zu. »Wir treffen uns vor dem Fahrstuhl.«

Nach einem erneuten Nicken marschierte ich wieder zurück in mein Büro, als sei ich auf einer wichtigen Mission. Aber das war ich auch. Ich würde diese Hochzeit zum Anlass nehmen, jedem zu beweisen, dass ich über Julius hinweg war – allen voran mir selbst! Ich hatte es gar nicht nötig, diesem Blödmann noch länger hinterherzutrauern.

Ich erklärte Frank beim Herunterfahren meines Rechners kurzerhand, dass ich früher Feierabend machte, und wünschte ihm viel Erfolg für die Präsentation. Frank saß mit gerunzelter Stirn vor dem Bildschirm und versuchte, die Grafiken in seine Power-Point-Präsentation einzufügen. Kurz war ich versucht, ihm Hilfe anzubieten, denn es sah nicht aus, als wüsste er, was er da tat. Ich entschied mich aber dagegen. Vielleicht lernte er auf diese Art, meine Arbeit zu schätzen. Kurz schaute er hoch, schien aber zu verdutzt über meinen überstürzten Aufbruch, um etwas einzuwenden. Er nickte nur und murmelte: »Schönen Urlaub.«

Ich brachte meine Kaffeetasse in die Teeküche, und als ich beim Fahrstuhl ankam, wartete Franzi bereits dort.

»Wohin gehen wir?«, fragte sie.

»Das überlasse ich ganz dir.«

Die Türen öffneten sich, und wir traten ein.

»Wieso hast du dich umentschieden?«, wollte Franzi wissen.

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich finde, das bin ich mir selbst schuldig.«

»Gute Einstellung«, lobte meine Freundin. »Du weißt ja, er kann nicht der richtige Mann für dich gewesen sein, sonst hätte er dich nicht verlassen, nicht wegen …«

»Franzi«, unterbrach ich sie. »Bitte, darüber möchte ich jetzt nicht reden, okay? Konzentrieren wir uns auf die positiven Dinge.«

»Ich hoffe einfach, dass du bei dieser Hochzeit feststellst, dass er dir mittlerweile getrost am Allerwertesten vorbeigehen kann.« Danach fuhr sie sich mit Daumen und Zeigefinger über die Lippen, als Zeichen dafür, dass sie versiegelt waren.

Lachend verdrehte ich die Augen.

Mit meinem schwarzen Mini fuhren wir in die Innenstadt von Göttingen, wo Franzi zielstrebig einen Laden mit Braut- und Abendmode ansteuerte. Alles wirkte elegant und durchgestylt, selbst der Türgriff war vergoldet. Ich schaute mich ehrfürchtig in dem Meer aus Brautkleidern um.

»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, raunte ich Franzi leise zu.

»Kann ich Ihnen helfen?«, erklang eine Stimme, bevor meine Freundin mir antworten und wir den Rückzug antreten konnten.

»Wir brauchen ein Kleid für eine Hochzeit.«

»Braut oder Gast?«

»Gast.«

Die Verkäuferin war mit einer beigen High-Waist-Hose samt breitem Gürtel und einem kastig geschnittenen Blazer so trendy gekleidet, dass ich mir in meiner Skinny Jeans und der lockeren weißen Baumwollbluse vorkam wie der lebende Beweis, dass Millennials nicht mehr wussten, was gerade in war. Ihre Augen waren von langen schwarzen Wimpern umrahmt, die sicherlich nicht echt waren. Gedanklich setzte ich auf meine Einkaufsliste das Wimpernserum, das ich mir schon lange hatte kaufen wollen, um zumindest etwas mehr aus meinen herauszuholen.

Die Frau lotste uns an den weißen Roben vorbei. Im hinteren Teil des Ladens wurde es bunt. Wahrscheinlich war die Abendmode hierherverbannt worden, damit sie das einheitliche Bild der Brautkleider im vorderen Teil nicht störte.

Eigentlich hatte ich bereits ein Kleid für die Hochzeit – ein dunkelblaues Etuikleid, das ich, kombiniert mit einem Blazer, auch zu Businessmeetings anzog. Immerhin sollte Hanna an ihrem großen Tag im Fokus stehen, und ein Etuikleid ging immer, oder? Mir kamen plötzlich Zweifel an meinem Plan. Was hatte mich vorhin im Büro nur geritten?

»Wir ziehen das jetzt durch«, bestimmte Franzi, die offenbar meine Gedanken lesen konnte.

»Was schwebt Ihnen denn vor?« Die Verkäuferin lächelte Franzi an, mich beachtete sie gar nicht. Monique stand auf einem Namensschild, das kurz oberhalb der Blazertasche pinnte.

»Meine Freundin Mia sucht das Kleid, nicht ich.« Franzi schob mich ein Stück nach vorn.

»Oh, ach so?« Ihr Blick wanderte zu mir, und sie musterte mich von oben bis unten. Ich versuchte, es nicht unangemessen zu finden, wahrscheinlich konnte sie mit einem Scan meine Größe ermitteln, ohne auch nur das Maßband zu zücken.

»Genau«, bestätigte ich. »Und es ist für eine Hochzeit an der Ostsee.«

»Gibt es ein Motto?«

»Ein Motto?«, fragte ich leicht irritiert. Schließlich war es eine Hochzeit und kein runder Geburtstag, bei dem sich alle im Stil der 1990er kleiden sollten.

»Ja, ein Motto, wie Black Tie, White Tie, Cocktail?«, bot sie mir eine Auswahl an, die mich noch mehr verwirrte, weil mir völlig neu war, dass Hochzeiten unter solchen Mottos stehen konnten. Mit Vintage und Boho hätte ich noch etwas anfangen können.

»Nein, nicht, dass ich wüsste.« Ihre forsche Art verunsicherte mich, obwohl ich sicherlich informiert gewesen wäre, wenn Hanna so ein Motto festgelegt hätte. »Die freie Trauung findet direkt am Strand statt, und das Restaurant für die Feier liegt nur wenige Meter davon entfernt. Die Dekoration wird eher natürlich, elegant und zurückhaltend sein«, fasste ich schließlich den Stil der Hochzeit zusammen.

»Also etwas luftig Leichtes?«

Endlich sagte sie etwas, das ich verstand. »Das klingt gut.«

»Und sexy«, mischte sich Franzi von der Seite ein.

»Aber noch angemessen für eine Hochzeit!«, setzte ich hinzu.

Die Verkäuferin schaute von mir zu Franzi und zurück. »Haben Sie Farbwünsche?«

»Dunkelblau steht mir gut.«

»Dann kannst du auch gleich in deinem Etuikleid gehen und dir die 300 Euro für das Kleid sparen.«

Dreihundert Euro kosteten die Kleider hier? Ich schluckte.

»Es muss auffälliger sein, rot vielleicht?«, überlegte Franzi laut.

»Auf keinen Fall rot, das wirkt zu verzweifelt«, brummte ich und merkte, wie meine Wangen sich schon mal auf die Farbe einstellten. Monique bedachte mich einige Sekunden mit einem unergründlichen Blick.

»Rot könnte Ihren Teint aber zum Strahlen bringen.« Sie lief zu der roten Kleiderreihe, ohne meine Antwort abzuwarten, und griff zu einem weit ausgeschnittenen rubinroten Kleid mit Spagettiträgern.

»Es hat zu dem tollen Ausschnitt noch einen Beinschlitz, das ist gerade absolut angesagt. Selbst bei Brautkleidern.«

»Das ist auf jeden Fall sexy«, sagte Franzi begeistert.

Ich hingegen lachte nervös auf.

»Ach komm, schlüpfe zumindest mal hinein!« Franzi sah mich aufmunternd an.

»Na schön«, seufzte ich. Schließlich wollte ich auffallen.

»Sie können in diese Kabine gehen, und wenn Sie Hilfe beim Anziehen brauchen, sagen Sie Bescheid.« Monique hängte das Kleid an einen Haken in der Umkleide, und ich trat hinein. Hinter mir wurde der Vorhang zugezogen. Nachdem ich meine Hose und die Bluse ausgezogen und über den Hocker in der Ecke gelegt hatte, musterte ich den roten Stoff. Konnte ein Kleid mir wirklich dabei helfen, diese Hochzeit erhobenen Hauptes zu überstehen? 300 Euro für ein Stückchen mehr Selbstbewusstsein? Ich bezweifelte es, dennoch öffnete ich den seitlichen Reißverschluss und ließ das Kleid vom Bügel gleiten, ehe ich mit einem Seufzer hineinglitt.

Der Ausschnitt verlief in einem V tief hinunter, sodass ich fast meine Bauchnabel sehen konnte, und die Farbe schrie regelrecht: Hier bin ich, sieh mich an!

»Franzi, ich weiß nicht, dass bin einfach nicht ich.«

»Komm wenigstens mal raus!«, rief sie.

Zögernd steckte ich meinen Kopf aus der Kabine und trat schließlich ganz nach draußen.

»Das ist doch mega!« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Aber man sieht dir an, dass du dich nicht wohlfühlst.«

»Meine Brüste fallen fast raus!«

»Die sind doch nett anzusehen«, sagte Franzi. »Ich denke, niemand würde sich beschweren.«

»Ich finde das Rot tatsächlich auch nicht optimal für Sie. Wie wäre es mit Flaschengrün?«, kam mir die Verkäuferin unerwartet zu Hilfe.

Erleichtert nickte ich. »Das könnte gehen«, sagte ich schnell, um Franzi zuvorzukommen, die schon den Mund öffnete.

Die Verkäuferin eilte zu den grünen Kleidern, zog zielsicher eines heraus und schwenkte es triumphierend vor uns hin und her.

»Dieses hier ist von der Farbe zwar eher zurückhaltend, aber es hat einen langen Beinschlitz und ist ein One-Shoulder-Modell. Also sexy, ohne Dekolleté zu zeigen«, bewarb Monique die Vorzüge des teuren Stückes Stoff.

Ich betrachtete das Kleid. Es war bodenlang, und die Farbe gefiel mir. Langsam nickte ich. »Das könnte ich mir vorstellen.«

»Ich mir tatsächlich auch, die Farbe passt toll zu deinen grünen Augen«, bestätigte Franzi.

Die Verkäuferin hängte es in die Umkleide, und ich wechselte von dem roten in das grüne Kleid.

Am Oberkörper lag es eng an, doch von der Taille ab fiel der Stoff satt und schwer zu Boden. Ich betrachtete mich im Spiegel, drehte mich hin und her, schob das rechte Bein aus dem Schlitz und lächelte mein Spiegelbild an. Die Friseurin hatte dieses Mal ein wahres Wunder verbracht, die frischen blonden Strähnen ließen meine Haare aussehen, als hätte ich drei Wochen Urlaub am Mittelmeer hinter mir. An meinem Teint würde ich in der kommenden Woche noch arbeiten. Es war ausgesprochen sonniges Wetter vorhergesagt.

»Alles klar?«, rief Franzi von draußen.

Ich schob den Vorhang beiseite und trat hinaus, stellte mich auf den kleinen Hocker vor dem Spiegel.

»Wow!«, sagte Franzi, und ich lächelte. Machten Kleider wirklich Leute? Ich sah in dem grünen Kleid nicht nur besser aus, ich fühlte mich auch so.

»Wie finden Sie es?«, fragte Monique.

»Gut«, entgegnete ich und ließ den Rock schwingen.

»Es sitzt super bei Ihnen, ich glaube, da müssen wir gar nichts ändern. Wenn Sie sich für hohe Schuhe entscheiden, müsste sogar die Länge hinkommen. Ich habe hier ein paar goldene, die sehr gut passen würden.«

Ich trug nur selten hohe Schuhe, doch ich stakste auch nicht wie ein Storch durch die Gegend, wenn ich welche anhatte, also nickte ich. »In Schuhgröße 39, bitte.«

Die Verkäuferin verschwand, und ich drehte mich zu Franzi.

»Gut, oder?«

»Es ist wunderschön, und du siehst extrem heiß aus, ohne es darauf anzulegen.«

Genau das, was ich gewollt hatte.

»Danke«, sagte ich, als ich Franzis Blick im Spiegel auffing.

»Wofür?«

»Dafür, dass du seit der Trennung immer für mich da warst, dir all mein Gejammer angehört hast. Wegen Julius, aber auch wegen der Arbeit und Frank. Ich wüsste gar nicht, was ich im letzten Jahr ohne dich gemacht hätte.« Meine Sicht verschwamm unter den aufsteigenden Tränen. Jetzt wurde ich doch wieder sentimental.

»Ach, Süße, nicht weinen. Weißt du noch, als du mich mal nachts um drei abgeholt hast, weil dieser Vollpfosten, dessen Name ich nicht mehr nenne, mich hat sitzen lassen und ich kein Taxi bekam?«

Ich nickte und zog undamenhaft die Nase hoch.

»Du bist eine tolle Freundin! Ich bin froh, dass es dich in meinem Leben gibt. Da wende ich mich doch nicht ab, wenn du eine beschissene Zeit durchmachst.« Sie zog mich in ihre Arme. Durch meine erhöhte Position auf dem Hocker musste ich mich etwas zu ihr hinunterbeugen.

Nein, sie hatte sich nicht abgewendet, aber er – Julius –hatte es getan.

Ich löste mich von ihr, trat vom Hocker auf den Boden und griff entschlossen zu den goldenen Stilettos mit dünnen Riemchen, die die Verkäuferin mir jetzt reichte. Ja, verdammt, es war sein Verlust, nicht meiner!

Zwanzig Minuten später verließ ich fast vierhundert Euro ärmer das Geschäft, dafür aber mit geraderem Rücken, als ich es betreten hatte.

Kapitel 2

Am Abend packte ich meinen Koffer. Ich mochte meine Zweizimmerwohnung im Stadtteil Weende, die ich nach der Trennung von Julius bezogen hatte. Sie war nicht besonders groß, aber gemütlich, und ich hatte mich schnell eingelebt, sie zu meinem Castle gemacht, in dem ich Netflix-Serien schaute und mir von Franzi erzählen ließ, dass ich ohne Julius viel besser dran war. Und ja, eigentlich sah ich das genauso, dennoch hatte ich Angst vor dem Aufeinandertreffen bei der Hochzeit – zu viele schmerzhafte Erinnerungen verbanden mich mit ihm. Außerdem musste ich nicht nur einen Tag mit ihm verbringen, sondern gleich mehrere.

Aber auf die Zeit an der Ostsee und mit Hanna freute ich mich dennoch. Wir kannten uns schon seit der fünften Klasse, und unsere Freundschaft war eng geblieben, selbst als Hanna nach dem Abi zum BWL-Studium nach Flensburg ging und ich hierblieb und eine Ausbildung zur Grafikerin machte. Hanna lernte dann während ihres Praxissemesters Chris kennen und blieb gemeinsam mit ihm im Norden. Chris kam ursprünglich aus der Nähe von Bielefeld, hatte in Bremen studiert und arbeitete in Flensburg für eine Reederei. Die Freunde und Familien der beiden wohnten über die ganze Republik verteilt, und nur selten kamen alle zusammen.

Die Hochzeit war mit knapp vierzig Gästen eher im kleinen Rahmen geplant, was ich auf der einen Seite schön fand, was es mir auf der anderen aber schwer machen würde, Julius aus dem Weg zu gehen. Julius, der nicht nur mein Ex, sondern eben auch einer von Chris’ ältesten Freunden war. Wie Chris stammte er aus der Nähe von Bielefeld, und die beiden hatten sich nach dem Abi nie aus den Augen verloren. Ich hatte Julius vor fast sechs Jahren kennengelernt – bei der Einzugsparty von Hannas und Chris’ erster gemeinsamer Wohnung.

Ich wischte die Erinnerungen daran beiseite und bestückte weiter meinen Koffer. Neben normaler Alltagskleidung und dem neuen Kleid für die Hochzeit legte ich einige Sommerkleider, einen Rock und das Etuikleid hinein. Mein neuer Bikini durfte natürlich auch nicht fehlen, wenn es an die Ostsee ging, obwohl das Wasser wahrscheinlich noch recht frisch sein würde. Gerade als ich alles verstaut hatte und im Bad meinen Hello-Kitty-Kosmetikbeutel einräumte, klingelte das Handy. Hanna.

»Hey du, ich packe gerade und kann es kaum erwarten, dich morgen zu sehen – wie lange ist es her, dass wir uns getroffen haben?«

»Zu lange auf jeden Fall!« Hanna lachte.

Ich zählte die Monate an meinen Fingern ab – zu Weihnachten hatte Hanna ihre Familie in Göttingen besucht, und wir hatten Silvester miteinander gefeiert. »Fünf Monate schon – das Jahr ist bisher nahezu verflogen!«

»Wem sagst du das … Es ist bald Juni, und dann heiße ich nicht mehr Jahn, sondern Fischer.«

Ich grinste. An Silvester hatte Hanna mir erzählt, dass sie sich ein wenig schwertat mit der Änderung ihres Nachnamens, sie aber gern einen gemeinsamen Familiennamen haben wollten und Christian Jahn nicht so flüssig auszusprechen war wie Johanna oder Hanna Fischer.

»Sieh es pragmatisch, Fischer passt viel besser zu eurem Wohnort an der See.«

Hanna lachte auf. »Oh, ich freue mich so auf dich! Ich brauche deinen Humor, um den Wahnsinn durchzustehen. Ich soll übrigens schöne Grüße von Lara ausrichten.«

»Danke, grüß sie gern zurück«, erwiderte ich. Dabei stand ich seit Wochen in Kontakt mit Lara, die gemeinsam mit mir Hannas Trauzeugin war. Wir hatten uns wegen des Jungesellinnenabschieds abgesprochen und geklärt, wer welche Aktion bei der Feier für das Brautpaar plante. Als Hanna sich damals in Chris verliebte und sie nach ihrem Abschluss einen Job in Flensburg fand, war ich zwar traurig gewesen, aber ich konnte ihr den Umzug nicht verübeln. Ich hatte sie über die Jahre einige Male dort besucht, und es war wirklich verdammt toll, direkt an der Förde zu wohnen. Durch diese Besuche kannte ich nicht nur Julius, sondern auch ihre Freundin Lara, die in Flensburg ein hyggeliges Geschäft für alte Möbel besaß.

»Bist du aufgeregt?«, erkundigte ich mich und warf eine Packung Sonnencreme in den rosa Kulturbeutel mit dem weißen Hello-Kitty-Kopf. Den hatte ich schon seit ungefähr siebzehn Jahren, und dementsprechend abgenutzt sah er aus. Meine Oma hatte ihn mir geschenkt, als ich Hello Kitty noch cool fand. Leider erlitt sie nur wenige Monate später einen Schlaganfall und verstarb kurz danach. Das war wohl der Grund, warum ich so an dem ollen Ding hing.

»Noch nicht«, holte Hanna mich ins Hier und Jetzt zurück. »Ich glaube, die ganze Orga hält mich davon ab.«

»Du hättest eine Wedding-Planerin engagieren sollen.«

»Dann wäre es ja noch teurer geworden!«

»Dass ich meine Unterkunft selbst zahle, hast du hoffentlich inzwischen akzeptiert?«

»Auf keinen Fall, du bist eingeladen!«

»Aber ich reise früher an und bleibe viel länger als die meisten anderen Gäste und …«

»Apropos früher anreisen«, unterbrach sie mich. »Du kommst doch mit dem Auto, oder?«

»Jup – soll ich was mitnehmen?« Hannas Eltern lebten nur dreißig Minuten von mir entfernt.

»Sozusagen … Jonas.«

»Was ist mit ihm?«, fragte ich, während vor meinem inneren Auge Hannas knapp zwei Jahre älterer Bruder erschien. Mann, den hatte ich ewig nicht mehr gesehen – und konnte auch getrost darauf verzichten.

»Könntest du ihn mitnehmen? Er hat spontan entschieden, auch früher zu kommen. Eigentlich wollte er mit dem Zug anreisen, aber es gibt wohl Baustellen auf der Route und dadurch erhebliche Verspätungen und Zugausfälle. Er ist gerade erst wieder nach Deutschland gezogen und hat noch kein Auto.«

»Er ist wieder hergezogen?«, echote ich wie ein Papagei. »Nach Göttingen?« Das Letzte, was ich von ihm wusste, war, dass er in London lebte. Oder in Barcelona. Auf jeden Fall so weit weg, dass ich ihn seit Studienbeginn kaum mehr gesehen hatte und seit vielen Jahren nur noch selten an ihn dachte. Höchstens wenn Hanna etwas erzählte. Aber so selten, wie wir uns sahen, hatten wir meistens genug damit zu tun, uns über unsere eigenen Leben auf dem Laufenden zu halten. Und darüber war ich ausgesprochen froh, denn jedes Mal, wenn ich an Jonas dachte, ploppte automatisch einer der peinlichsten Momente meines Lebens in meinem Kopf auf.

»Hab ich das gar nicht erzählt? Oh Mann, diese Hochzeit verstopft mein Hirn. Ins Ostviertel ist er gezogen.«

Kurz stellte ich mir vor, mit Jonas knapp fünf Stunden im Auto zu sitzen. »Kann er nicht mit deinen Eltern fahren? Ich habe ihn doch ewig nicht gesehen, da fände ich es etwas komisch – als würde ich einen Fremden mitnehmen.«

Hanna lachte. »Einen Fremden? Du gehörst doch fast zu unserer Familie! Er ist wie ein Bruder für dich, da spielt es keine Rolle, wie lange man sich nicht gesehen hat.«

Bei dem Wort Bruder verzog ich das Gesicht. So hatte ich Hannas älteren Bruder gewiss nie gesehen und dachte an die aufgeregten Schmetterlinge im Bauch meines Teenie-Ichs, die allerdings schnell verstorben waren, nachdem ich begriffen hatte, dass er nichts weiter in mir sah als die Freundin seiner Schwester.

In meiner Jugend hatte ich mehr Zeit bei Hanna verbracht als zu Hause. In ihrer Familie war es immer so fröhlich und laut zugegangen. Ich war ein Einzelkind, meine Eltern arbeiteten beide viel. Und auch, wenn ich gut mit ihnen auskam, hatte mich die Herzlichkeit bei den Jahns immer angezogen, mehr als unsere oftmals stille und leere Wohnung. Jonas’ und Hannas Mutter Renate arbeitete nur ehrenamtlich in einem Hospiz. Wenn man aus der Schule heimkam, duftete es meistens schon nach dem Mittagessen. Die Jahns waren damals die Familie gewesen, wie ich sie mir für meine Zukunft vorstellte. Und eine Zeit lang dachte ich, mir den Traum eines solchen Familienlebens bald mit Julius erfüllen zu können.

»Meine Eltern kommen erst am Dienstag, Muttis beste Freundin feiert doch noch ihren 60. am Montag«, redete Hanna weiter, und ich kehrte gedanklich zurück zu unserem Gespräch.

»Ich dachte, ich bin die Einzige, die jetzt schon zu dir kommt.« Die Worte waren schneller aus meinem Mund, als ich es verhindern konnte. Mir war bereits am Ende des Satzes klar, wie blöd das klang. Schließlich hatte ich kein Alleinanrecht auf Hanna.

Glücklicherweise kicherte sie nur. »Du bist wohl nicht die Einzige, die gern vor dem Trubel anreisen will.«

»Sorry, war heute ein anstrengender Tag bei der Arbeit«, versuchte ich mein seltsames Verhalten zu rechtfertigen. Eine meiner besten Freundinnen heiratete, und es ging mir schon schwer ab, dass wir so weit voneinander entfernt wohnten und ich ihr kaum bei der Vorbereitung zur Seite stehen konnte. Da würde ich es gewiss einige Stunden mit ihrem Bruder im Auto aushalten. Ein bisschen neugierig war ich natürlich auch auf ihn. Obwohl ich hin und wieder bei Hannas Eltern war, wenn sie sie besuchte, hatte ich Jonas das letzte Mal vor … Ich überlegte. Nach dem Abi war er für ein Jahr nach Australien gegangen, hatte dort Work and Travel gemacht, und anschließend nach Hamburg zum Studieren. In den Semesterferien waren wir uns ab und zu begegnet, doch es schien gefühlt in einem anderen Leben gewesen zu sein. Und der peinliche Fast-Kuss-Moment war mittlerweile bummelig 15 Jahre her – die Hälfte meines Lebens. Die Schnitte von Julius waren noch frisch und tief, doch Jonas war nicht mehr als eine verblasste Teenie-Schwärmerei.

»Schon gut«, sagte Hanna sanft, sie deutete mein Schweigen offenbar falsch. »Wenn du lieber allein fahren willst, sag ich Jonas, er muss den Zug nehmen. Ich dachte nur …«

»Nein, nein, schick mir seine Adresse und richte ihm aus, ich hole ihn morgen früh um zehn ab.«

Am nächsten Morgen stand ich um kurz vor zehn vor der Adresse im Ostviertel, die Hanna mir gesendet hatte. Viel Zeit, mich auf die Begegnung mit Jonas einzustellen, blieb mir allerdings nicht, denn kaum hatte ich geparkt, schwang die Haustür der wunderschönen Altbauvilla, in der sich augenscheinlich mehrere Wohnungen befanden, auf.

Ich erkannte ihn sofort, obwohl er sich verändert hatte. Er war nicht mehr so … jugendlich. Er war ein Mann geworden. Ein sehr attraktiver. Nachdem Jonas die Tür ins Schloss gezogen hatte, schaute er sich suchend um und entdeckte mich im Auto. Vermutlich hatte Hanna ihm gesagt, dass ich einen schwarzen Mini fuhr. Sein Gesicht zeigte für den Bruchteil einer Sekunde einen nicht zu deutenden Ausdruck – wahrscheinlich sah er in mir immer noch den anhänglichen Teenie. Und dann waren sie wieder da, die Bilder des peinlichen Moments. Ich war wieder sechzehn und bis über beide Ohren in Jonas verknallt, was wohl eines der wenigen Geheimnisse war, die ich Hanna bis heute nicht verraten hatte. Bei der Party, die Jonas nach seinem Abitur gab, knutschte Hanna mit einem Klassenkameraden von ihm … wie hieß er noch? Tom? Tim? Ich fühlte mich etwas verloren, kannte ich doch außer Hanna und Jonas niemanden. Doch dann setzte er sich mit einem Smirnoff Ice zu mir. Ich versuchte zu verbergen, wie schnell mein Herz in seiner Gegenwart schlug, und hatte den Abend meines Lebens. Wir tranken, quatschten, tanzten – und dann, mitten auf der Tanzfläche zu Shakiras »Whenever, Whereever«, dachte ich, er wollte mich küssen. Ich beugte mich vor, stellte mich auf Zehenspitzen, schloss die Augen, spitzte die Lippen. Wie oft hatte ich mir das zuvor ausgemalt! Ich konnte nicht fassen, dass es jetzt passierte. Doch als ich meine Hände auf seine Brust legen wollte, griffen sie ins Leere. Und als ich die Lider aufschlug, war er murmelnd zurückgetreten. Zumindest hatten sich seine Lippen bewegt, aber die Musik war zu laut, oder das Blut rauschte zu ohrenbetäubend in meinen Adern. Ich musste allerdings auch nicht verstehen, was er sagte. Seine Gestik war eindeutig. Er hatte nicht vorgehabt, mich zu küssen. Ich hatte seine Freundlichkeit falsch gedeutet. Der Smirnoff musste meine Sinne vernebelt haben. Wahrscheinlich hatte er Mitleid mit mir gehabt, weil Hanna anderweitig beschäftigt war und ich allein auf dem Sofa hockte. Augenblicklich hatte mein Herz sämtliches Blut in meinen Kopf gepumpt, und ich war von der Party geflohen. Danach war ich nicht mehr zu Hanna gefahren, bis Jonas zu seiner Work-and-Travel-Reise aufgebrochen war.

Kurz schloss ich die Augen, ehe ich die Bilder von damals verdrängte. Dann legte ich die Finger um den Türgriff und zog daran. Nach dem Aussteigen ging ich zum Heck meines Autos und öffnete den kleinen Kofferraum, wo mein Trolley verstaut war. Meinen Rucksack, einen Korb mit Geschirr für den Polterabend, das Geschenk und den Kleidersack mit meinem grünen Kleid hatte ich auf der Rückbank deponiert, damit Jonas’ Gepäck noch reinpasste.

Er kam auf mich zu, und ich hielt den Blickkontakt mit einem leichten Lächeln. War doch gar nicht so schwer! Wir waren schließlich keine Teenies mehr, sondern Erwachsene. Und ihm hatte sich das Ganze sicherlich nicht so ins Gedächtnis gebrannt wie mir.

»Mensch, Mia! Wir haben uns ja ewig nicht gesehen! Danke, dass du mich mitnimmst. Es scheint ein Fluch auf der Bahnverbindung zu liegen, ich wollte ja eigentlich schon gestern fahren.«

Noch ehe ich etwas erwidern konnte, hatte er einen Arm um mich gelegt und drückte mich kurz. Ich machte mich los und trat etwas überrumpelt einen Schritt zurück. »Ja, klar, kein Problem. Willst du dein Gepäck im Kofferraum verstauen?«

Er linste zu der kleinen Heckklappe.

»Es geht mehr rein, als man denkt«, verteidigte ich mein kleines Auto.

Mit etwas Schieben und Drücken quetschte er seinen Koffer neben meinen. »Die Tasche brauche ich eh vorn, da ist mein Laptop drin, ich muss unterwegs arbeiten«, sagte er.

»Okay, alles klar«, erwiderte ich und schloss den Kofferraum. Dabei gingen mir einige Fragen durch den Kopf. Wieso wollte er partout jetzt schon an die Ostsee, wenn er noch arbeiten musste? Und was arbeitete er eigentlich? Irgendwas mit Schreiben, hatte Hanna mal gesagt. Ergab Sinn nach dem Journalistikstudium. Ich schwankte zwischen Neugierde und dem alten Vorsatz, mich nie wieder für ihn zu interessieren, den ich nach dem peinlichen Missverständnis gefasst hatte.

Ich rutschte hinters Lenkrad, und Jonas machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem. Die Zeit, bis er sich angeschnallt hatte, nutzte ich, um ihn zu mustern. Die dunklen Haare wirkten frisch geschnitten. Der Farbton ließ seine blaugrünen Augen noch mehr strahlen. Er war ein ganzes Stück größer als seine Schwester, bestimmt einsfünfundachtzig, und seine Schultern so breit, dass ich das Gefühl hatte, er würde gegen meine stoßen, wenn ich mich auch nur ein wenig rüberbeugte. Und mit einem Mal schien mir der Platz in meinem Mini doch sehr gering. So klein war er mir bisher gar nicht vorgekommen. War das so überhaupt alles sicherheitskonform?

Mein Blick glitt weiter über das locker sitzende schwarze T-Shirt zu den Jeans. Erst als ich das Klicken des einrastenden Gurtes vernahm, riss ich mich zusammen, drehte den Schlüssel und scherte in den Verkehr ein. Nun lagen viereinhalb bis fünf Stunden Fahrt vor uns. Ich seufzte bei dem Gedanken daran.

Nach einigen Minuten, in denen er sich auf dem Beifahrersitz einrichtete, schaute Jonas mich von der Seite an.

»Es stört dich doch nicht, wenn ich während der Fahrt arbeite, oder?«

»Nein, nur zu«, erwiderte ich. Es kam so lässig aus mir heraus, dass ich mir am liebsten selbst auf die Schulter geklopft hätte. Die Verjährungsfrist für peinliche Momente war längst abgelaufen. Da bereitete mir der bevorstehende Umgang mit Julius weit mehr Kopfzerbrechen. Außerdem musste ich, wenn Jonas arbeitete, jedenfalls nicht fünf Stunden Small Talk mit ihm betreiben.

Wir erreichten die Autobahn. Im Radio sang Udo Lindenberg mit Apache, dazu erfüllte das leise Klackern der Tastatur den Wagen. Erst war mir das Schweigen zwischen uns ein wenig unangenehm, aber Jonas schien so vertieft in seine Arbeit, dass er meine Anwesenheit offenbar schlichtweg vergessen hatte. Im Grunde war also alles doch noch genauso wie früher, dachte ich und schob beharrlich die peinlichen Erinnerungen beiseite.

Erst zwischen Soltau und Hamburg, als wir schon zweieinhalb Stunden unterwegs waren, hob er den Kopf und streckte sich, was aufgrund des begrenzten Platzes im Mini ziemlich lustig aussah.

Er lächelte mich an, und in dem Moment musste ich durch ein Schlagloch gefahren sein, denn mein Herz hüpfte kurz.

»Hast du was dagegen, wenn wir bald einen Stopp einlegen? Ich könnte einen Kaffee vertragen«, sagte ich.

»Klar, ich würde auch gern eine Kleinigkeit essen.«

»Da bin ich dabei.« Kurz darauf passierten wir ein Hinweisschild auf eine Raststätte in fünf Kilometern.

»Arbeitest du eigentlich immer noch bei Tellerrock?«

Überrascht, weil er wusste, wo ich beschäftigt war, schaute ich kurz zu ihm.

»Hanna hat mir davon erzählt, als du nach deiner Ausbildung dort angefangen hast.« Er zuckte mit den Schultern.

»Ja, tue ich, als Grafikdesignerin in der Marketingabteilung.«

»Und gefällt es dir?«

»Bisher war es ganz ok, aber seit wir einen neuen Abteilungsleiter haben, befindet sich meine Zufriedenheit im Sinkflug. Der lässt mich nämlich die ganze Arbeit machen und holt sich dann vom Vorstand das Lob dafür ab.«

»Klingt sehr sympathisch«, sagte Jonas ironisch. »Was genau ist denn dein Job?«

»Na ja, wenn zum Beispiel ein neuer Trockner in den Markt eingeführt werden soll, dann brainstormen wir im Team über die Kampagne und beauftragen Agenturen, die unsere theoretischen Vorstellungen grafisch umsetzen. Danach stellen wir das Ganze dem Vorstand vor, der hat dann meistens gruselige Anmerkungen dazu, die wir mit den Agenturen besprechen und so tun, als würden wir die Ideen der alten Männer ganz toll finden. Wir versuchen dann, sie umzusetzen, ohne dass sie das Endergebnis ruinieren.«

Jonas lachte. »Klingt … frustrierend.«

»Eigentlich mochte ich den Job ganz gern, nur der kreative Part kommt manchmal zu kurz. Aber genug von mir, ich weiß gar nicht, was du machst. Schreibst du für eine Zeitung oder eine Zeitschrift?«

»Das habe ich eine ganze Zeit lang getan, jetzt aber weniger.«

»Und was machst du stattdessen?«

»Du musst hier raus!«, sagte er, statt meine Frage zu beantworten, und deutete auf die Ausfahrt.

»Oh, Mist!« Ich setzte den Blinker, scherte in die nächste Lücke auf der rechten Fahrspur und schaffte es gerade noch in die Ausfahrt zur Raststätte.

Jonas grinste. »Du fährst ja immer noch so abenteuerlich.«

Sicherlich spielte er damit auf meine ersten Fahrversuche in Hannas Auto an. Am Tag nach meiner bestandenen Führerscheinprüfung hatte Hanna mich gefragt, ob ich mit ihrem Auto von der Schule nach Hause fahren wollte. Als wir bei ihr ankamen, stand plötzlich Jonas in der Auffahrt. Er war in den Semesterferien zu Besuch, und es war das erste Mal seit zwei Jahren, dass ich ihn traf. Vor Schreck übersah ich einen Radfahrer und musste eine Vollbremsung einlegen. Der Schock saß mir bis heute in den Gliedern.

»Eigentlich nicht«, murmelte ich daher. »Ich fahre definitiv nicht mehr so wie mit achtzehn!« Und dein Anblick löst auch nichts mehr in mir aus, fügte ich in Gedanken hinzu.

»Erweckte kurz den Eindruck«, erwiderte er und löste seine Finger von dem Haltegriff an der Tür.

Ich verdrehte die Augen und fuhr in eine freie Parklücke. Als ich von der Rückbank meine Handtasche holte, fiel mir auf, dass Jonas nur einen Koffer und den Laptop dabeihatte und gar keinen Kleidersack für einen Anzug. Hatte er den etwa in den Koffer gestopft? Hanna würde die Krise bekommen, wenn er auf den Fotos völlig zerknittert aussah. Sie war während der Vorbereitungen für ihre Hochzeit irgendwann zu einem Perfektionismus gelangt, der mir zeitweise Sorgen bereitet hatte. Hoffentlich gab es in der Unterkunft einen Bügelservice.

»Kommst du?«, fragte Jonas, und ich schlug die Autotür zu.

In der Raststätte gab es warme Speisen, Kuchen und eine Salatbar. Ich nahm mir eins der Tabletts und schob es über die vorgesehene Laufschiene. Bei der Kasse trafen Jonas und ich wieder aufeinander. Auf meinem Tablett befand sich ein Salat, auf seinem eine Currywurst mit Pommes, deren Duft mir verführerisch in die Nase stieg. Aber ich wollte lieber bei der Hochzeit richtig zuschlagen, als hier fettige Raststätten-Pommes zu essen. Schließlich wollte ich Julius’ jüngerer Freundin in jeder Beziehung das Wasser reichen können – na ja, in fast jeder.

Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster, von dem wir auf die parkenden Autos sahen. Eine Weile aßen wir schweigend, und ich las nebenbei eine Nachricht von Franzi.

Bist du schon unterwegs? Und ich hoffe, du hast dein Etuikleid zu Hause gelassen!

Frank ist völlig aufgeschmissen ohne dich und nervt nun mich. Du solltest definitiv seinen Posten bekommen. Ich würde dir ja eine Sprachnachricht schicken, aber ich häng noch in einem Meeting und muss mich ablenken, um nicht einzuschlafen.

Es hatte mich auch extrem genervt, dass nach dem Weggang meines alten Chefs nicht ich befördert worden war, sondern mir Frank vor die Nase gesetzt wurde. Zwar wusste ich gar nicht, ob ich den Job gewollt hätte, aber offensichtlich war ich nicht einmal dafür in Betracht gezogen worden. Weil er BWLer war und ich »nur« Grafikdesignerin. Scheinbar zählten lediglich die Abschlüsse und nicht die Arbeitsleistung.

Hilf ihm bloß nicht, der soll mal schön ins Schwitzen kommen! Ich bin schon unterwegs, esse gerade einen Raststätten-Salat, um in dem Kleid eine gute Figur zu machen.

Ich knipste das Grünzeug und schickte es an Franzi.

Und Sprachnachrichten gehen eh schlecht, bis ich in Glücksburg angekommen bin, ich bin nämlich nicht allein …

Sofort tanzten die Punkte, und wenige Sekunden später ploppte die nächste Nachricht im Chat auf.

Du meinst nicht allein in der Raststätte?

Nein, nicht allein unterwegs …

Ich genoss es, sie auf die Folter zu spannen. Außerdem, aus welchem Grund auch immer, hasste sie es, wenn ich Sätze mit drei Punkten beendete, dabei fand ich, dass sie manchmal mehr aussagten als der ganze Satz davor.

Wer ist denn bei dir? Hannas Mutter?

Hey! Mehr traust du mir nicht zu? Aber ganz falsch lagst du nicht: Ich habe Jonas, den Bruder von Hanna, mitgenommen.

Ich wusste nicht mal, dass sie einen hat. Warum hast du den bisher nie erwähnt?

Weil …

Kurz stockte ich, ehe ich weitertippte.

… ich ihn ewig nicht gesehen habe, er hat im Ausland gelebt.

Foto? Ich will wissen, ob er gut aussieht.

Ich schmunzelte. Typisch Franzi! Dann steckte ich das Handy weg. Als ich aufschaute, begegnete ich Jonas’ Blick.

»Was?«, fragte ich und stach die Gabel in eine Tomate.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du zu den Leuten gehörst, die ihren Salat posten.«

»Die Zeiten ändern sich«, gab ich ungerührt zurück und steckte mir betont genussvoll die Tomate in den Mund. Um Fragen zu mir zu vermeiden, kam ich auf das Thema mit dem Schreiben zurück.

»Wir sind vorhin davon abgekommen, was du aktuell arbeitest.«

»Du meinst den Moment, als du dich mit deiner Minitatur-Blechschüssel zwischen zwei LKW geklemmt hast?«

»Genau, als ich mit reichlich Sicherheitsabstand die Fahrspur gewechselt habe.«

»Vielleicht wollte ich es dir gar nicht erzählen, und der Moment der Ablenkung kam mir gerade recht.«

Ich lehnte mich zurück und betrachtete ihn. Irgendwie war es leichter als gedacht, ihn wiederzusehen. Wenn ich in mich hineinhorchte, wollte ich auch nur noch eine winzige Sekunde die Augen schließen und vor Peinlichkeit zergehen. Die Zeit heilte offensichtlich doch alle Wunden. Erleichtert, nicht noch einem weiteren Kerl bei der Hochzeit aus dem Weg gehen zu müssen, zuckte ich mit den Schultern.

»Ich wollte nur höflich sein und ein bisschen Small Talk betreiben.«

Jonas lachte heiser auf. »Na, dann reden wir jetzt über das Wetter.«

»Von mir aus … Die nächsten Tage sollen ungewöhnlich warm werden für Ende Mai.«

Wir grinsten uns an.

Jonas setzte sich aufrechter hin und betrachtete mich für einige Sekunden. »Kannst du immer noch so gut Geheimnisse für dich behalten?«

Überrumpelt von dieser Frage hielt ich mit der Gabel auf halbem Weg zum Mund inne, und ein Maiskorn fiel hinab. »Wann habe ich jemals ein Geheimnis für dich bewahrt?«

Seine Augen bohrten sich tiefer in meine. Ich schob ein Salatblatt etwas umständlich in meinen Mund und verteilte ungeschickt etwas vom Salatdressing an den Mundwinkeln. Während ich zur Serviette griff, sprach er weiter.

»Na ja, als du mal bei Hanna übernachtet hast und ich erst um vier Uhr in der Nacht nach Hause kam, obwohl ich schon um Mitternacht hätte da sein sollen …«

»Du hast mich halb zu Tode erschreckt, und ich hätte fast mein Wasserglas fallen gelassen, als du unten in der Küche plötzlich hinter mir standest und miaut hast!« Ich spürte die Schrecksekunde förmlich heute noch.

Er lächelte – immerhin schuldbewusst.

»Mia Miau, das habe ich fast vergessen«, sagte er und freute sich für meinen Geschmack etwas zu sehr über den Spitznamen, den er mir damals verpasst hatte. »Wie kam es noch dazu?«, fragte er.

»Äh, wegen meines Kulturbeutels …«

»Ach ja, das rosa Ding mit Hello Kitty! Also komm, der war doch auch echt schrecklich.«

»Sagt Mister Star-Wars-Brotdose.«

»Ey, die war cool!«

»In der sechsten vielleicht, aber nicht mehr in der Oberstufe. Mein Beutel ist hingegen zeitlos, den habe ich übrigens immer noch, und heute würde ich auch nicht zögern, dir damit eine überzubraten, wenn du dich darüber lustig machst.«

»Oh, aus dem Kätzchen ist eine Löwin geworden.« Jonas grinste, aber als er meinem warnenden Blick begegnete, hob er abwehrend die Hände. »Keine Witze über Hello Kitty, verstanden.«

Ehrlich gesagt, hatte es mir damals gefallen, dass er mir den Spitznamen verpasste. Wenn er Mia Miau zu mir sagte, hatte immer etwas Liebevolles in der Betonung mitgeschwungen. Oder sagen wir: Ich hatte es mir eingebildet, wie offenbar so einiges zu der Zeit. Ich räusperte mich und verdrängte das beschämende Gefühl.

»Auf jeden Fall hätte meine liebe Schwester es sofort meinen Eltern erzählt, weil sie neidisch war, dass ich länger wegbleiben durfte als sie. Und weil ich nie dafür Ärger bekommen habe, gehe ich davon aus, dass du es ihr nicht erzählt hast«, kehrte Jonas zur eigentlichen Geschichte zurück.

Ich hob die Schultern, als sei das keine große Sache. »Hätte nicht gedacht, dass du das noch weißt.«

»Doch, klar, du warst schon immer meine Lieblingsschwester.« Er zwinkerte, und ich war wohl die Einzige von uns beiden, die diese Bemerkung verstörend fand. »Deswegen denke ich, ist auch mein aktuelles Geheimnis bei dir gut aufbewahrt«, fuhr er fort, und ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Dieses Gespräch weckte unzählige Erinnerungen, die unablässig in meinem Kopf aufflackerten. Irgendwie wollte ich lieber übers Wetter reden und war nicht darauf vorbereitet, dass das hier in Deep Talk ausartete. Verwirrt kräuselte ich die Stirn. Wir hatten uns Jahre nicht gesehen, waren uns vor drei Stunden erst wiederbegegnet, hatten seitdem zehn Sätze miteinander geredet – und er wollte mir ein Geheimnis anvertrauen? Ich war mir sicher, es würde mir nicht gefallen.

»Bist du homosexuell?«, platzte es dennoch aus mir heraus. Das würde zumindest meinem Teenie-Ich erklären, warum er mich damals nicht hatte küssen wollen.

Er lachte auf. »Nein. Und du kennst doch meine Familie, niemand hätte damit ein Problem.«

»Stimmt. Bist du krank? Wenn das so ist, sag es mir bitte nicht. Denn wenn ich deine Mutter sehe, würde ich sofort weinen, und alle würden denken, es sei wegen Julius und der Hochzeit.«

Erneut lachte er leise auf, zog dann aber fragend die Augenbrauen zusammen. »Wer ist Julius?«

»Unwichtig.« Ich wischte das Thema mit einer Handbewegung fort.

»Ich bin nicht krank.« Er klopfte dreimal mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte.

»Gott sei Dank! Aber ich bezweifele, dass das echtes Holz ist«, gab ich zu bedenken.

»Ich bin unter die Romanautoren gegangen.«

Abwartend sah ich ihn an. »Und?«

»Meine Familie weiß nichts davon. Ich schreibe unter einem Pseudonym und wollte erst mal sehen, wie es so läuft. Mittlerweile läuft es recht gut, das zweite Buch ist kürzlich erschienen, und ich hatte eigentlich bereits letztes Jahr vor, es meiner Familie zu sagen, als ich einen Reihenvertrag bei meinem Verlag unterzeichnet habe. Aber an dem Tag hat Hanna ihre Verlobung bekannt gegeben, und ich wollte, dass es ihr Tag bleibt.«