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So hatte sich die schlagfertige junge Autorin Dita Leeward ihren ersten Trip zur Buchmesse nicht vorgestellt. Unfreiwillig landet der attraktive südafrikanische Verlagsanwalt Marc van de Meer in ihrem Hotelzimmer. Nur nicht in ihrem Bett. Denn, was wie das Rezept für eine heiße Messeaffäre beginnt, endet im heillosen Missverständnis und Dita flüchtet Hals über Kopf quer über den ganzen Atlantik. Weg aus dem deutschen Winter, zurück auf ihre warme Karibikinsel St. Vincent und bloß weit weg von dem attraktiven, dunklen Mann mit den Glutaugen.
Der illegitime Sohn einer Diamantendynastie bekommt die spritzige, rothaarige Schriftstellerin aber nicht aus seinem Kopf. Er folgt ihr in die Karibik, findet ihr Versteck und kann sie am Strand von Wallilabou endlich in seine Arme schließen. Doch nur kurz, denn nur wenig später verschwindet ihre Yacht spurlos - mit Dita an Bord. Der ehemalige Kampftaucher jagt ihre gewissenlosen Entführer mit gnadenloser Härte. Von den blauen Lagunen der Karibik, durch die Slums von Kapstadt, bis zum nächtlichen Showdown, im Sturm über den hoch aufragenden Klippen des Tafelberges.
Packend, erotisch und mitreißend romantisch.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Annamaria Franceschi
Sturmschwalbe
Die Geschichte von Dita und Marc
Copyright: © Annmaria Franceschi 2020
So hatte sich die schlagfertige junge Autorin Dita Leeward ihren ersten Trip zur Buchmesse nicht vorgestellt.
Unfreiwillig landet der attraktive südafrikanische Verlagsanwalt Marc van de Meer in ihrem Hotelzimmer. Nur nicht in ihrem Bett. Denn, was wie das Rezept für eine heiße Messeaffäre beginnt, endet im heillosen Missverständnis und Dita flüchtet Hals über Kopf quer über den ganzen Atlantik. Weg aus dem deutschen Winter, zurück auf ihre warme Karibikinsel St. Vincent und bloß weg von dem attraktiven, dunklen Mann mit den Glutaugen.
Der illegitime Sohn einer Diamantendynastie bekommt die spritzige, rothaarige Schriftstellerin aber nicht aus seinem Kopf. Er folgt ihr in die Karibik, findet ihr Versteck und kann sie am Strand von Wallilabou endlich in seine Arme schließen.
Doch nur kurz, denn nur wenig später verschwindet ihre Yacht spurlos - mit Dita an Bord. Der ehemalige Kampftaucher jagt ihre gewissenlosen Entführer mit gnadenloser Härte, von den Inseln der Karibik, durch die Slums von Cape Town, bis zum Showdown über den Klippen des Tafelberges in Südafrika.Packend, erotisch und mitreißend romantisch.
„Ok, habe ich es jetzt?“ Ich lehne mich zurück und überfliege den Text auf meinem Monitor.
Wenn der Tag der Nacht gewichen ist, und helle Hitze zu dunkler Wärme wurde, wenn laute Touristen wieder in den Bäuchen der Kreuzfahrtschiffe verschwunden sind, füllen Einheimische jeder Hautfarbe die staubigen Straßen.
Fauchende Stichflammen entzünden die Holzscheite in den Grillstationen aus halbierten Ölfässern. Wie H. G. Wells‘ Zeitmaschine, versetzt Ihr flackeriges Licht die sandigen Gassen zwischen Cemetery Street und Bay Street zurück in eine lange entschwundene Zeit. Eine Epoche, zu der in Gros Islet noch Piratenkapitäne ihre Beute anlandeten und ganze Mannschaften in nur einer Nacht ihre Anteile am geraubten Gold verzechten.
Steeldrums werden im Straßenstaub aufgebaut und in kürzester Zeit, füllt sich das heruntergekommene Viertel am Hafen mit handgemachter Musik. Solotänzer, Paare und bunt gekleidete Gruppen, versetzen die Luft in glühende Vibration, der Duft exotischer Gewürze mischt sich mit dem Schweiß tanzender Menschen. St. Lucias Nächte sind farbenprächtig und ausgelassen, siedend heiß und sehr karibisch. Es ist Chicken-Jump-Up!
Ziellos wie ein schwarmloser Fisch treibt eine Frau durch die dichter werdende Menge zwischen St. John Street und Marina Street. Sie ist jung. Sie ist hier fremd. Ihre Haare sind dunkel und lang, reflektieren den Feuerschein. Ihr Kleid, rot wie der Sonnenuntergang, erhebt sie aus der Menge. Die Musik der Steeldrums lockert ihre Muskeln, sie gestattet ihrem Körper, mit dem Rhythmus zu schwingen. Die Klänge erfassen ihre Gestalt, sickern in ihre Haut wie eine Fliege in goldenen Honig. Das Gesicht zum Himmel gewandt, folgt ihr Blick ihren erhobenen Armen, zu den hunderten bunten Laternen, welche die Gassen überspannen, bis hinauf zu den Sternen am Nachthimmel über der Rodneybay.
Seit dem Anfang der Coral Avenue folgt ihr ein Mann durch das Gewühl. Er überragt die Menschen um ihn herum um einen Kopf. Den Lichtschein der Laternen und die rot-gold-weißen Farben der Hauswände reflektieren in seinen fast schwarzen Augen. Er ist hier geboren. Jeder Fleck hier ist ihm vertraut wie die eigene Hand. Noch wahrt er Abstand zu ihr, hält an, sobald sie steht, geht, wenn sie geht, tanzt in ihrem Rhythmus. Die Menschen dieser Inseln erkennen einen Mann mit einer Mission. Niemand stellt sich in seinen Weg. Sein Geruchssinn saugt gierig die Düfte ein, trennt das Triviale von der Beute.
Von einem inneren Impuls getrieben, dreht sich die Frau jäh um. Ihr Blick begegnet dem Gesicht über der Menge. Ein nur angedeutetes Aufreißen ihrer Augen. Ein Blinzeln. Kein Anzeichen, ob sie ihn erkannt hat. Über der tanzenden Masse versinken beide Augenpaare flüchtig, aber intensiv ineinander, ein heftiges Einatmen, ihre Muskeln spannen sich an und mit der nächsten Sekunde handelt sie. Ihre Energie entlädt sich in Adrenalin. Sie wirbelt herum und flieht.
Nur einen Wimpernschlag lang beobachtet der Jäger die Flucht seiner Beute. Ja, das hat er vermisst. Nichts ist vergleichbar mit dem Fieber einer Menschenjagd. Dann nimmt er die Verfolgung auf. Geschmeidig wie eine Raubkatze taucht er in das Zwielicht einer schmalen Seitengasse.
Gleichmäßig treffen die Sohlen ihrer Sandalen auf den buckligen Lehm der Straße. Atme, schau dich nicht um, Regina, renn! Menschenströme verstellen ihren Weg, ein heißer Grill mit Geflügel. Der Qualm ist beißend, sie muss husten. Ihre Augen tränen. Eine Hausecke, sie rutscht aus, fällt, springt auf, überquert eine hölzerne Veranda, hetzt weiter, unverputzte Wände huschen vorbei. Rechts, nein links, voran. War da sein Hinterkopf? Ja? Nein? Die meisten Männer hier sind schwarzhaarig. Ihre Lunge arbeitet schnell. Die Anstrengung brennt in ihrer Kehle. Was er will? Egal, nur weg!
Der Mann rennt ebenfalls. Seine Atemfrequenz ist leicht erhöht, der Herzschlag nur wenig über normal. Weibliche Blicke folgen dem Jäger. Ohne stop, durchquert er einen anderen Hinterhof, ein Trupp Männer prostet ihm zu, feuert ihn an, kraftvoll flankt er über einen Zaun, stürmt über das nächste Grundstück auf eine schmale Lücke zwischen zwei Häusern zu. Hastig prüft er alle Richtungen. Wo ist sie? Da! Ein Tumult. Einen winzigen Moment blitzt ihr wunderschönes Gesicht in der Menge auf. Ihr nackter Rücken kommt immer näher. Der frische Schweiß auf ihrer Haut glitzert und zieht ihn wie magisch an.
Haarsträhnen verkleben ihre Augen und sie streicht sie in Eile fort. Da ist er, flieh! Mehr schwere Körper stellen sich in ihren Weg. Bunt gekleidete Frauen. Vor einer Kneipe verstellt eine dichte Traube die komplette Breite der Straße. Kein Durchkommen, umkehren, Gegenrichtung. Atme! Hat sie es geschafft? Ist er weg? Ihre Sandale löst sich. Bücken, Schuhe aus, weiter, die nächste Gasse entlang. Zum Strand, lauf zum Strand!
Eine dunkle Männerhand packt erbarmungslos ihren Oberarm. Der Kraft hat sie nichts entgegenzusetzen. Die Bestürzung öffnet ihre Fäuste, die Sandalen fallen dumpf zu Boden. Die Klänge einer der vielen Straßenbands übertönen ihren Aufschrei, niemand reagiert. Keiner kümmert sich. Der Mann ist stark. Mit Bärenkräften zieht er sie mit sich, in den schmalen Durchgang zwischen zwei niedrigen Häusern. Das Gewicht des Mannes und harte Griffe, pressen sie gegen den brüchigen Putz einer Wand. Sie hebt den Kopf und sieht ihn an. In seinen Augen steht Gier. Kein Ausweg für sie, kein Ausweg.
Die harsche Oberfläche reibt schmerzhaft an ihrem nackten Rücken. Der muskulöse Oberkörper des Mannes ist wie eine steinerne Mauer an ihren Brüsten. Sein Becken fixiert ihr Becken. Er ist hart. Er presst seine Erektion verlangend in ihren nachgiebigen Bauch.
„Habe ich dich, meine Schönheit“, er drückt seinen Mund an ihre Schläfe. „Ich will dich, nur dich! Deine Brüste, deine Hüften, deinen nachgiebigen Bauch.“ Er drückt die Nase tief in ihre Haarpracht und sein Brustkorb vibriert durch seinen tiefen Atemzug. „Ich konnte dich riechen. Über all die Menschen hinweg. Allein dein Duft macht, dass ich in dir sein will. Du wirst immer alles für mich sein. Und du weißt das.“
Erfolglos suchen ihren Hände Halt an seiner Schulter. Die harten Muskeln geben keinen Millimeter nach. Er streicht ihre Arme entlang, fasst ihre Handgelenke und hebt diese über ihren Kopf. Seine Energie umgibt ihn wie ein Lichtbogen, der jeden Moment auf sie überspringen wird.
„Ich will dich“, haucht sie. Ihm genügt eine Hand, damit fixiert er ihre gestreckten Arme an der Hauswand.
„Meine wunderschöne Regina. So weiblich, so sinnlich – so meins!“ Die Gier in seinem Blick, und seine offen gezeigte Bewunderung, sind Balsam für ihr Ego. Er will sie, nur sie, und in seinen Augen steht Ehrlichkeit. Dann sind seine Lippen wieder an ihrem Ohr, sein Atem streichelt Gänsehaut auf ihren Hals.
„Mach es. Zeig mir, was ich mit dir anstellen darf, Reg.“ Mit seinem dominanten Vorgehen führt er seinen behutsamen Ton ad absurdum. Dann legt er bestimmend ihre Finger um sein Handgelenk, überlässt ihr seinen Arm, fordert: „Zeig mir, was du brauchst.“
Seine Atmung ist jetzt heiß und schnell. Der Luftstrom bewegt ihre langen Ohrringe über die erhitze Haut an ihrem Hals. Er weiß, was das mit ihr tut. Mit jedem Herzschlag wächst ihre Erregung. Dazu sein Duft nach erregtem Mann und Sommerregen, nach der Sonne vom Nachmittag und der Musik dieser Inseln. Ihr Zögern ist kurz, dann führt sie seine Hand auf ihr Schlüsselbein. Neckt ihn mit ...
Dita
„Madiiitaa! Bist du oben? Essen ist fertig!“ Mühelos durchdringt die Stimme meiner Mutter jede Wand in meinem Haus. Mir sinken die Hände von der Tastatur, ich lehne mich zurück.
„Verdammt.“ Irgendwann wird sie meine Trommelfelle perforieren. Sobald ich wieder hier bin, wird ihr Hausschlüssel eingezogen. Andernfalls kann ich jeden zukünftigen Abgabetermin in den Wind schreiben. Im Moment bin ich allerdings froh, dass sie meinen Hund in den nächsten drei Wochen versorgt. Morgen früh, um vier, hebt mein Flieger nach Europa ab. Samuel ist so lieb und segelt mich mit seinem Boot nach Martinique. Von Le Marin nehme ich ein Taxi zum Flughafen in Fort de France, dann geht es, schwuppdiwupp, ab über den Atlantik. Mein erster Interkontinentalflug. Aber noch stehe ich daheim auf dem Treppenabsatz.
Meine Mutter Solveigh Leeward ist, wenn es um ihre Familie geht, fantastisch. Hilfsbereit, warmherzig, bienenfleißig, fürsorglich bis zur Selbstlosigkeit. Und das alles gleichzeitig, was mich binnen Millisekunden auf die nächste Palme treibt.
Der Plan war, sie kommt her, wir umarmen uns, ich steige ins Taxi. Drei Wochen später bin ich wieder da, steige aus dem Taxi, Rück-Umarmung, sie steigt ein, fertig. Keine Fragen, keine Vorwürfe. Nur Friede, Freude, Eierkuchen. Rundum ein perfekter Plan.
Blöderweise stand sie, exakt zwei Stunden nach unserem Telefonat vor meiner Haustür. Vor zwei Wochen. Seitdem bekomme ich Frühstück gemacht und Kaffee gekocht, sie wäscht und putzt, kauft ein und zwischendurch liegt sie am Strand vor meinem Haus in der Sonne. Ich liebe meine Mutter von Herzen – aber das hier macht mich wahnsinnig! Mit achtundzwanzig bin alt genug, mein Frühstück selber zu machen. Wenn einem die Mutter in dem Alter noch die Unterwäsche wäscht, ist das echt krank.
Außerdem kann ich mich, solange sie hier ist, weder in Ruhe mit meinen Romanfiguren auseinandersetzen noch irgendetwas anderes arbeiten. Mein abgeschiedenes Arbeitszimmerchen mit Blick auf unsere kleine Bucht, ist in diesen Tagen das einzig verbliebene mutterfreie Areal meines Hauses. Meine Festung, meine letzte Zitadelle, meine Bastion, mein Helmsclam. Diesen Raum verteidige ich mit Herzblut. Ich muss viel ungestörte Zeit mit meinen Hauptfiguren verbringen, damit ich sie durch ihr Leben begleiten und ihr Tun beobachten kann. Einzig Leo mein Golden Retriever liegt dann unter meinem Schreibtisch.
„Madiitaa! Essen ist fertig!“ Hatte ich erwähnt, dass meine Mutter nicht so schnell aufgibt? Mit einem resoluten klapp schließe ich den Laptop, ohne ihn runter zu fahren, und stehe schwungvoll vom Schreibtisch auf. Die Fledermausärmel meiner weiten Bluse verwurschteln sich in der Armlehne meines Schreibtischstuhles, der nimmt hinter mir Fahrt auf, es macht einmal dumpf Rrrrums, die Wände drehen sich, dann liege ich der Länge nach auf dem Fußboden und kann aus nächster Nähe beurteilen, wann ich hier zuletzt durchgewischt habe.
„Ich komme ja runter, Ma“, rufe ich von den Dielen aus und füge unnötigerweise, hinzu: „Ich habe gearbeitet.“ Nicht dass solche Kleinigkeiten meine Mutter interessieren könnten. Aus ihrer Sicht ist ‚Schreiben‘ keine adäquate Tätigkeit für ein halbwegs gutaussehendes Mädchen, sondern taugt im Höchstfall zum Zeitvertreib. Bis der passende Schwiegersohn gefunden wurde. Ihre wesentlichen Kriterien für Schwiegersöhne? Penunze und Beruf. Je nach Umfang des Bankkontos ist der Beruf verhandelbar. Illegal ist, na ja, relativ und eine Prise Piratentum gehört hier auf unseren Inseln zum Lebensgefühl.
Nicht wegverhandeln lässt sich mein Geburtsdatum. Mit unverheirateten achtundzwanzig Jahren und ohne festen Freund in Sicht, erfülle ich in ihrem Universum sämtliche Kriterien einer alten Jungfer und das treibt meiner Mutter zusätzlichen Angstschweiß auf die Stirn.
Solveigh Leeward ist Karibin durch und durch. Schlank, schwarzhaarig, mit goldener Haut und kohlegleichen Augen und wenn sie nur geht, liegt Salsa in der Luft. Ich, mit meiner hellen Haut, millionen Sommersprossen, roten Haaren, und der Tendenz zu runden Formen, bin der totale Gegensatz zu ihr. Mein Äußeres, ist das Erbe meines, inzwischen verstorbenen, deutschen Vaters und seiner irischen Vorfahren. Meine Augen sind so groß wie die meiner Mutter, aber grün, wie bei meinem Dad.
Meine Mutter lebt, verwitwet, wiederverheiratet, dann geschieden, noch immer in dem Haus im Cane Garden Drive, in Kingstown, in dem ich aufgewachsen bin und das ihrem Vater gehörte. Meinem Großvater, der angeblich Pirat war – wie er jedem immer wieder versicherte - und der mit seinen Geschichten voller heimtückischer Schmuggler, herzloser Sklavenhändler, Soldaten, schöner Frauen, böser Hexen und viiiiiel blutigem Geister-Voodoo, ein zweites und drittes Hollywood mit Material hätte versorgen können. Mein erster Berufswunsch war ohne Zweifel von ihm inspiriert: Voodoo-Priesterin. Mit toten Hühnern an Gürtel, Zauberstäben aus Knochen und mit Augen, deren Feuer ganze Gemeinden mit Flüchen belegen kann. Leider starb er kurz vor meinem zwölften Geburtstag und mit ihm schied meine so hoffnungsvolle Voodoo-Karriere ebenfalls dahin.
Unsterblich ist meine tiefe Liebe zu diesen Inseln. Was mein Vater mir hinterließ, steckt in diesem kleinen Anwesen auf einem Hügel über der Bucht von Wallilabou, an der Ostküste von St. Vincent. Hier bin ich glücklich, lebe und schreibe oder gehe in der karibischen See schwimmen, wenn mir danach ist. Es liegt nah genug bei meiner Verwandtschaft in Kingstown, um mich nicht verlassen zu fühlen und weit genug entfernt von ihnen und meine Ruhe zu haben. Manchmal holt mich Samuel ab zum Fischen, oder wir segeln. Außerhalb der Hurrikansaison ist unser Meer blau, die Luft warm und fast alle Nächte sind erfüllt von Musik und netten Menschen.
Im Aufspringen vom Fußboden, zupfe ich zwei fluffige Staubmäuse von meinem Bauch und schließe die Tür des Arbeitszimmers hinter mir. Gerade noch rechtzeitig, meine Mutter steht auf dem Flur.
„Wann arbeitest du mal nicht. Mach mal eine Pause. Du musst mehr vor die Tür, Madita. Niemand vergräbt sich hier derartig in die Arbeit wie du. Das macht aus Menschen seltsame Eremiten und Frauen macht es hässlich. Diese Einstellung hast du von deinem Vater, die Haie sollen ihn ...“
„Muss das sein, Mama, bitte! Außerdem impliziert deine Wortwahl, dass nur Männer Menschen wären.“ Ich seufze, entweder sie hört mir nicht zu, oder es ist ihr egal. Vermutlich beides. Sie redet einfach weiter.
„Diese Arbeitseinstellung, ist nicht gesund, Madita Schatz. Schau dich an, ganz blass.“
Das bin ich nicht, meine helle Haut bekommt eben nicht so leicht Farbe. Für die Kombi der roten Haare mit unserer hiesigen Klimazone, bin ich sogar ziemlich braun. Aber diese Diskussion ist eh‘ sinnlos.
„Mama, niemand außer dir, nennt mich Madita. Das ist ein Name für kleine Mädchen mit blonden Zöpfen und rosa Kleidchen mit Rüschen.“ Gut, ich bin nicht groß und meistens trage ich Zopf, weil die langen Haare auf dem Rücken zu warm sind. Aber NIE trage ich rosa, das beißt sich mit meiner Haarfarbe.
„Außerdem, verdienen nur Leute, die sich in ihrer Arbeit vergraben, ausreichend Geld zum Leben.“
„Ah, papperlapapp. Eine Frau, die einigermaßen gut aussieht, verdient ihr Geld durch Heirat. Iss!“ Resolut setzt sie mir einen vollen Teller vor die Nase.
„Tri-Tri?“, versuche ich einen Protest. „Ma, ich hasse Tri-Tri.“ Das sind kleine, nur Fingerlange, dünne Fischchen, die gegrillt und gut gewürzt absolut genießbar sind. So wie meine Mutter sie macht, sind sie zum ko ... na eben, bäääh. Außerdem werden die Tierchen nicht ausgenommen.
„Dein Koffer steht gepackt auf deinem Bett, mein Schatz. Hast du die Kreditkarten? Deinen Ausweis? Die Eintrittskarte?“
„Ja, Ma. Ist alles da und ich bin Gast meines Verlages.“
Tja, meine Lieben, ich fliege nach Deutschland! Zum ersten Mal werde ich die Heimat meines Vaters besuchen. Und ich gehe zur Buchmesse! Nachdem die letzten Verkaufszahlen meiner Bücher drohten ernsthaft Gewinn abzuwerfen, hatte Harding-Books, mein Verlag, beschlossen, LeserInnen auf der Buchmesse Gelegenheit zum persönlichen Kennenlernen zu geben. Bei dem Gedanken muss ich meinen Körper zwingen, nicht zappelnd und Armwedelnd auf der Stelle zu hüpfen oder am Strand kreischend auf und ab zu rennen. Das ist soooo krass! Die Schmetterlinge in meinem Bauch machen so viele Überstunden, dass ich eigentlich keinen Flieger nötig hätte.
Vierundzwanzig Stunden später schließt sich die Tür des Leipziger Flughafens hinter mir, das künstliche Licht verlischt, ich stehe im deutschen Winter und wünsche mich augenblicklich wieder nach Hause. Lieber Gott du hast das doch drauf. Bitte, bitte mach ‚schnipp‘ und bring mich zurück auf meine kuschelig warme Insel.
Diese starrsinnigste aller Jahreszeiten hat, extra für meine Wenigkeit, einen späteren Flieger heim an den Nordpol gebucht und wirft mir Schneeflocken, dick wie Fußbälle, waagerecht an der Nase vorbei und in die Augen. Eisige Kälte schlüpft mir spontan durch Hosenbeine und die Ärmel meiner Jacke bis auf die Haut. Mir ist sofort bitterkalt, weil ich viel zu dünn angezogen bin. Aber, verdorri noch eins, hier ist März, sollte es da nicht langsam wärmer werden? Kein Wunder, dass es weiland meinen Vater mit Macht unter die Sonne der Karibik zog. Fröstelnd ziehe ich meine Jacke enger und umklammere mit den Armen meinen Oberkörper, um mich wenigstens etwas vor der Witterung zu schützen. Dieser Wintersturm hätte fast die Landung unseres Fliegers verhindert. Wäre ich mal besser Gestern schon geflogen.
„Dita, da bist du ja. Aber Liebes, warum wartest du hier in der Kälte, ich habe dir doch geschrieben, dass wir uns am Schalter der Airline treffen.“
„Elin“, laufe ich ihr erleichtert entgegen. Elin Lovato, unentbehrliche Assistentin der Verlagsinhaber, Cheflektorin und spätestens seit ihrem Besuch auf meiner Insel, liebe Freundin, läuft auf mich zu und vor Erleichterung falle ich ihr um den Hals. Ihr Auftauchen macht mir bewusst, wie einsam und verloren ich in der Menge Menschen vor wenigen Sekunden noch war. Ich bin zum ersten Mal in Deutschland, überhaupt war ich nicht oft runter von meiner Insel. Warum sollte ich auch? Dort ist es warm.
„Hier, zieh das an“, bestimmt sie, wickelt mich in einen viel zu großen Daunenmantel und setzt mir eine bunte Wollmütze auf dem Kopf. Wohl zur Sicherheit drückt sie das gestrickte Ungetüm noch fest und verknotet die Bänder der Ohrenklappen unter meinem Kinn mit einer Schleife. Elin ist, mit ihren großen schwarzen Augen, langen Wimpern und ihrer leicht olivfarbenen Haut, der Prototyp einer orientalischen Haremsdame. Sie selber steckt, gertenschlank und perfekt geschminkt, in einem knielangen dunklen Kostüm unter einem dünnen Mantel und trägt silberne Mörder-High-Heels. Ihre kinnlangen blauen Haare hat sie mit einem Hermès-Tuch gebändigt. Ist der Frau denn gar nicht kalt? Sicher sehen wir jetzt aus wie eine wandelnde Antithese. Sie schlank, heiß und jeder Situation gewachsen, ich kurvig, hilfsbedürftig und irgendwie ‚fluffig‘.
„Ist heute ‚Mama-Modus‘ angesagt?“ Eine Frage, bei der sie sich ungehalten schüttelt.
„Ah, geh weg mit Kindern, meine Familie ist kein Thema für beschwingte Konversation. Du ziehst das hier an, eine Autorin, die bei der Autogrammstunde alle Fans mit Grippe ansteckt, ist Gift fürs Image. Wie war dein Flug?“
„Oh, die erste Hälfte war soweit ok. Ab der Mitte des Atlantiks hat dieser Sturm die Maschine durchgeschüttelt, und der Knabe neben mir hat seit den Azoren abwechselnd entweder geflucht oder in eine Papiertüte gekotzt. Ich bin hundemüde. Lässt du mich bitte eine Stunde schlafen? Oder zehn?“
„Du hättest hören, und einige Tage eher anreisen sollen, Dita“, tadelt sie mich. „Und Gemmas hundertsten Geburtstag verpassen? Der ist bei uns wichtiger als ein Geburtstag der Queen“, antworte ich fünsch.
„Die Gemma, die mit ihrem Krämerladen eure gesamte Gemeinde am Laufen hält? Die Gemma, die mir aus der Hand gelesen und mir fünf Kinder geweissagt hat?“ Ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen wandern bis zum blauen Haaransatz hoch. „Die Gemma, die so zerfurcht aussieht, wie vertrocknete Borke eines Küstenmammutbaumes, mit dunkelsten Flüchen um sich wirft und deren Zigarren qualmen wie der Schornstein einer Fischräucherei?“
„Grandiose Beschreibung, die würde ihr gefallen“, lache ich.
„Feiert die ihren Hundertsten nicht schon seit zwanzig Jahren?“
„Eigentlich seit ich auf der Welt bin“, zucke ich in der geräumigen Daunenjacke mit den Schultern. „Aber sie freut sich eben, zu hören, wie betörend sie in ihrem ‚Alter‘ noch aussieht. Da tun wir ihr den Gefallen. Außerdem bespricht sie Warzen und hat phantastische Liebeszauber auf Lager.“
Elin bleibt stehen und wägt die geschäftlichen Optionen ab. Ihre Augen blitzen wie frisch poliert. „Lohnt es, ihre Story aufzuschreiben?“
„Das wäre eine endlose Saga mit einer ungeheuren Anzahl Voodooflüchen und Verwünschungen. Könnte in der Tat interessant sein.“ Die Bodenkälte hat meine Sneaker längst hinter sich gelassen und krabbelt wie eine gierige Liane unausweichlich mein Knie hinauf zu meinem Bauch. „Fahren wir jetzt? Mir ist nämlich kalt.“
„Natürlich mein Schatz.“ Elin schiebt mich samt Gepäck in eine der wartenden Taxen und ruft dem Fahrer die Adresse zu. „Schlafen ist jetzt leider nicht, aber im Messestand haben wir therapeutischen Kaffee. Wir liefern jetzt erst dein Gepäck im Hotel ab und fahren dann direkt zum Messegelände, in sechs Stunden beginnt die Pressekonferenz und anschließend ist die Autogrammstunde. Hinterher kannst du, wenn du magst, im Hotel etwas Schlaf nachholen, oder wir schauen uns die Messe an. Für den Abend hat Harding Senior in einen Club eingeladen“, sie sieht meine verdrehten Augen. „Da musst du jetzt durch. Weißt du eigentlich, wie fantastisch es ist, dass du Deutsch sprichst?“
„Ein Hoch auf meinen Vater“, ich werfe, gespielt dramatisch, beide Arme in die Höhe und stoße mir die Knöchel schmerzhaft am Autodach.
„Zynisch?“ Elin schickt mir einem Seitenblick.
„Ja, das beschreibt es auch. Meine Mutter würde sagen: Fluch lauter, damit er es im Jenseits sicher mitbekommt. Lassen wir meinen Vater besser aus dem Spiel“, winke ich ab, wende mich ihr auf der Rückbank zu und gluckse sie erwartungsvoll an. „Du hast mir Spaß versprochen. Hier bin ich, wo ist der Spaß?“
„Hier drin“, Elin klopft auf ihre Aktentasche und reicht mir daraus einen dicken Stapel Papiere. „Das ist deine Kopie. Ich habe die Änderungsvorschläge in deinen Vertrag eingepflegt, wie du es wolltest. Mehr Zeit, mehr Kontrolle, mehr Geld. Der Alte wird vor Wut platzen und wenn er erfährt, dass ich die Hände mit im Spiel hatte, wird er mich vor die Tür setzen.“
„Von mir wird er es nicht erfahren, versprochen.“
„Ach“, winkt sie ab, „und wenn schon. Ist nicht so, als hinge ich mit meinem Herz an dieser Firma.“
Elin und ich empfanden uns von Beginn an, wie Freundinnen, die sich seit dem Sandkasten kennen. Wir sind im ähnlichen Alter, haben zwar eine völlig unterschiedliche Ausbildung, aber in Literatur und Kreativität ähnliche Interessen. Ab dem ersten Augenblick erkannten wir ohne Worte die Gefühle der Anderen und selbst über die große Entfernung – sie beruflich in Europa, ich in der Karibik - egal, wir sind wie Schwestern.
Sie hängt gerade so viel an Harding-Books, dass sie mir zu einem besseren Vertrag verhelfen möchte. Auch zum Nachteil ihres Arbeitgebers. Aber wie groß kann das Defizit durch ander Vertragsbedingungen schon sein, wenn ich, bei einer Millionenauflage pro Buch, fünfzehn statt fünf Prozent Tantiemen erhalte?
„Bin ich zu gierig?“, frage ich und Elins Augen sprühen pechschwarz. „Auf. Keinen. Fall! Du bist viel zu brav! Andere Autoren in deiner Situation, würden ihm mit dem letzten Hemd auch noch die Haut abziehen.“ Kurze Pause, dann ergänzt sie mit einem sündigen Augenzwinkern: „Und das würde vor allem seinem Sohn gefallen.“
Harding Senior, ist ein Familienoberhaupt alter Schule. Hart in seinen Geschäften, kompromisslos auf Erfolg getrimmt, aber ein Gentleman, der einer Frau die Tür aufhält. Sein einziger Sohn Karl ist das genaue Gegenteil und zudem optisch keine Augenweide. Trotz überdurchschnittlicher Körpergröße gibt er das typische Bild eines Menschen ab, dem man dringend zu mehr direktem Sonnenlicht raten möchte. Ungelenk, schmalbrüstig, schwarze, ungewaschene Haare, Pickel im Gesicht und vermutlich auch am Allerwertesten. Irgendwie vampirig. Sternzeichen: Syphilis.
„Um dich zu halten, würde Karl seine letzte Hose auch noch dazulegen. Harding-Books wird sich mit Dir dumm und dämlich verdienen. Egal wie dein Anteil aussieht. Und er weiß das.“
„Dann meinst du, ich soll ruhig hoch Pokern?“
„Machst du Witze? Zock ihm den Arsch weg, Süße! Nimm ihn dir auf der Messe zur Seite und stopf ihm den neuen Vertrag in seinen gierigen Schlund. Ich würde es tun.“
Das ist Elin. Kreativ aber korrekt, mit untrüglichem Sinn für gute Geschichten und machbare Widerborstigkeit. Dann kommt der so unvermeidliche wie überfällige Themenwechsel. „Dein Liebesleben?“
Nichts in der Welt bewahrt mich vor Elins Neugier, da bin ich besser gleich ehrlich. „Nix, niente, kein Liebesleben. Trocken wie die Sahara zu High Noon. Alles wie immer, ich denke mir die Männer und den Sex und mache Bücher draus.“
„Dita“, seufzt sie. „Du bist mir ein Rätsel. Lebst in der Karibik, umgeben von jungen, vor überschüssiger Kraft strotzenden Kerlen, die nicht von der Insel wegkönnen, und schiebst Sex-Frust? Und erzähl mir jetzt nicht, die Mannsbilder wären nicht heiß, ich habe sie alle gesehen.“
„Ich auch, hab ja Augen im Kopf. Leider sind die hinter Touristinnen und reichen Seglerfrauen her. Ich bin nur die schrullige Schickse, die sich in einem Strandhaus versteckt und mit viereckigen Augen den ganzen Tag vor ihrem Rechner hängt. Aber das ist mir so ganz recht. Was die sich erhoffen, werden sie bei mir nicht finden: Geld und ein Ticket runter von der Insel. Die jagen Touristinnen.“ Dass einige der Jungs sich von den Damen für ihren ‚Service‘ entschädigen lassen, behalte ich für mich. „Ich hatte vier Beziehungen mit Männern, die längste hat knapp anderthalb Jahre gehalten, die kürzeste drei Tage. Mein Fazit: Sex ist kompliziert und Frau hat wenig davon.“
„Ach komm, so schlimm sind Männer nicht.“
„Nicht? Die einen sind schüchtern, die anderen langweilig, oder beides. Und vielleicht noch rasiert, überall. Ich will einen kantigen Mann im Bett, keinen polierten Jungen. Den mache ich hinterher noch kaputt.“
„Och“, klingt Elin verträumt, „nicht alles ist schlecht. Da kann Frau schon noch was rausholen.“ Dann lacht sie und ich sage: „Vielleicht hast du recht und ich bin einfach nur neidisch?“
„Auf Männer? Worauf genau? Willst du auch von einem Schwanz gesteuert werden?“
„Ne, mir reichen die eigenen Eierstöcke. Ich bin lediglich neidisch, weil Männer es mit ihren Orgasmen so verflucht einfach haben. Solange sie ihn hochbekommen, brauchen sie nur eine willige Frau, die sie zwischen ihre Beine lässt. Selten wissen sie, was mit ‚Vorspiel‘ gemeint ist. Falls doch, ist es ihnen eher Last als Lust, und nur erträglich, wenn es darin besteht, dass die anwesende Frau ihnen einen bläst. Dann tippen sie ihr auf die Schulter, das weltweite nonverbale Signal für ‚Hinlegen, Beine breit‘.
Und wir? Für Frauen sind Orgasmen fast immer mit Aufwand verbunden. Stimmt der Mann? Fühle ich mich geborgen? Habe ich alle Vorbereitungen getroffen wie Intimrasur, Nagellack, Garderobe, Geruch et cetera, et cetera, et cetera. Findet er meine Brust schön genug? Stört ihn mein Bauchansatz? Wenn er nie sagt, dass er mich schön findet, findet er mich dann hässlich? All diesen Scheiß, mit dem wir Frauen uns selbst so effektiv fertig machen. Und am Schluss steckt der Kerl endlich in dir. Dann könnte Frau, theoretisch, zum Orgasmus kommen, wenn sie sich fallen lassen könnte. Kann sie aber nicht, weil der Kerl im Kopf nur mit sich selber beschäftigt ist, so liegt, dass sie an ihre Klit nicht rankommt und sich einfach nur benutzt fühlt. Also wird‘s nix mit Orgasmus.“
„... und dann fragt ‚er‘ dich, warum du so abwesend wirkst ...“, Elins Augen blitzen angriffslustig.
„... weil ich gerade mit einer heißen Stripper-Phantasie von Brat Pitt und seinen Kollegen beschäftigt bin. Ich sehe wir verstehen uns, Elin.“ Wir klatschen uns mit einer High-Five ab.
„Dita? Wer ist jetzt orgasmusfixiert? Du oder die Männer?“, fragt sie mich.
„Beide“, seufze ich.
„Trotzdem“, drängt mich Elin, „Orgasmen sind kein Äquivalent für Erotik und Intimität.“
„Sagt die Domina“, feixe ich sie an. „Wäre ein Orgasmus nötig, damit eine Frau schwanger wird, die Menschheit wäre längst ausgestorben. Es ist ungerecht. Frauen haben das ganze Theater mit Schwangerschaft und Geburt, hinterher die Kinder und den Ehemann am Hals und die wenigsten Orgasmen. Männer haben nichts davon und einen Orgasmus nach dem anderen.“
„Hast du deinen Partnern jemals gesagt, was du brauchst?“
„Nein“, gebe ich zu. Ich bin im Schreiben geschickter. Reden ist nicht so meins. Das hier wird gerade angenehm, wie Zähne ziehen. Ich will nach Hause.
Elin ist gnadenlos. „Du erwartest also, dass sie deine Gedanken lesen?“
„Ja ... nein ... ja.“
„Kannst du ihre Gedanken lesen?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Erwartest du nicht ein kleines“, sie legt ihren Kopf schief und macht diese Geste mit den Fingerspitzen, „Bisschen viel von menschlichen Männern?“
Sie zeigt mit beiden Daumen auf sich. „Diese Domina sagt dir: Stell klar, was du willst und vor allem, hab mehr Spaß Dita, dir geht sonst der Stoff aus.“
„Oh, da macht dir mal keine Sorgen, im Gegenteil. Ich glaube, meine Phantasie ist bunt und erfüllend genug, da muss die Realität erst einmal mithalten. Im Zustand wunschlosen Glücks hätte ich sicher keinen einzigen brauchbaren Einfall mehr. Das ist so sicher wie Spendensammlungen im Advent.“
Vor Überraschung wandern Ihre Augenbrauen zum Haaransatz. „Also kein Sex für dich? Das ist nicht dein Ernst. Bis wann?“
Ich zucke wieder meine Schultern. „Was mich betrifft, auf ewig.“
„Schlechte Erfahrungen?“
„Mein erstes Mal, mit meinem ersten Freund war ... die Erwähnung nicht wert und die ‚Beziehung‘ nach drei Tagen vorbei. Er ist mit einer Blondine abgehauen.“
Elins lacht, aber es klingt komisch. „Das ‚erste Mal‘ ist nur selten eine Erfüllung.“
„Der Zweite, auf der High-School, hatte neben mir drei andere Geschichten am Laufen. Nach drei Wochen habe ich ihn gelangweilt und Puff.“
„Du hast ihn erschossen?“
„Nein“, beruhige ich sie und mache so eine Hex-hex-Bewegung mit den Händen. „Hat sich in Luft aufgelöst und nie wieder angerufen. Der Dritte, ein Kommilitone von College, hat mich immerhin drei Monate ertragen. Alle hatten die bemerkenswerte Fähigkeit gemeinsam, für jede Situation genau den Spruch parat zu haben, der mein Ego am effektivsten zu Boden trat.“
„Krass!“
„Kennst du die Variante ‚Schaltknöpfe‘?“, lache ich. „Da wird jeder Körperkontakt durch ausschließliches Drehen an den ‚Knöpfen‘ ersetzt. Rechte Brustwarze, linke Brustwarze, Klitoris rubbeln. Im Anschluss die unvermeidliche Frage ob‘s für sie auch so gut war.“
Elin lacht inzwischen schallend und angelt nach einem Taschentuch, um ihr Make-up zu retten.
„Ich finde besonders frustrierend“, keucht Elin und prustet los, „wenn er in dir steckt, du bist auf der Zielgeraden zum eigenen Orgasmus und ‚er‘ findet es total passend, in dem Moment eine weitere Position durchzuturnen, seine Hand von deiner Klitoris zu nehmen um sich an der Nase zu kratzen oder ...“
„... am Hintern.“
„Genau. Du liegst also da – oder stehst, oder - ah, was auch immer, siehst deine Lust schwinden und bist gleichzeitig so stoned, dass du nicht schaffst, diesen unsensiblen Schwanz dafür um den Block zu prügeln.“
„Ja, ja“, nicke ich supertheatralisch, „da sind viele dieser ‚realen‘ Aspekte rund um Sex, die in Geschichten nie vorkommen. Keiner muss zum Beispiel vorher dringend auf’s Klo. ‚Sie‘ rennt nicht, den Mund vollgespritzt mit seinem Sperma zum nächsten Waschbecken, um den Mund auszuwaschen. Keine Fürze beim Cunnilingus, auch bei sonst einer Aktion. Niemals Sperma auf dem Fußboden, das sie beim Gang zum Klo verloren hat, weil sie so dünn ist, dass zwischen ihren Oberschenkeln eine Lücke klafft, breit wie die Straße von Gibraltar. Niemals liegt das Paar nachher in einer Lache aus Sperma, wenig Scheidenflüssigkeit, und Erdbeergleitmittel und niemand wechselt sofort die Bettwäsche, um die Matratze zu schützen. Apropos Scheidenflüssigkeit, den Schleim produziert keine reale Frau literweise, für keinen Mann. Sex am Strand ist nicht geil, sondern in jeder Hautfalte abscheulich sandig. Elin, Sex in Geschichten darf fast alles sein aber auf keinen Fall real. In Wirklichkeit ist fantastischer Sex eher Ausnahme als Normalfall. Meine kleine Literaturflucht ist sicher und hat keine unerwünschten Nebenwirkungen.“
„Ist Schreiben das für dich? Eine Flucht vor dem Leben?“
Unsere Ankunft am Hotel enthebt mich der Antwort. Das Taxi stoppt vor dem Eingang, ein Mitarbeiter reißt die Fahrzeugtür auf, mein Magen knurrt. „Können wir nicht irgendwo frühstücken? Im Flieger habe ich keinen Bissen runter bekommen.“
„Auf der Messe besorgen wir alles, was du brauchst, und frühstücken ausführlich“, verspricht Elin. „Erst bringen wir dein Gepäck hoch, mach dich frisch, zieh dich um und dann fahren wir zur Messe.“ Sie schiebt mich so energisch aus der Taxe heraus, wie sie mich reingeschoben hat.
Stunden später hüpfe ich vor dem Damenklo zwischen Halle drei und vier, wie ein nervöses Huhn mit Legezwang von einem Fuß auf den Anderen.
Marc
„Marc! Wo hast du die Schlüssel für den Container mit den Messe-Displays? Die Handwerker müssen endlich mit dem Aufbau des Standes fertig werden. Wir hinken dem Zeitplan mindestens zwei Stunden hinterher, weil du nicht aufzufinden bist, die Welt dreht sich nicht nur um dich, uns zerrinnt die Zeit zwischen den Händen, in vier Stunden sind die ersten Vertragsgespräche terminiert und du unternimmst eine Besichtigungstour nach der andern, außerdem ...“
Ich kenne nur einen Weg, Aelena am Reden zu hindern, wenn sie mal damit angefangen hat. Ich ziehe sie in eine feste Umarmung, beuge ihren Rücken waghalsig über meinen Oberschenkel nach hinten, dass ihre dunklen Locken wehen, und küsse sie herzhaft auf ihren frechen roten Mund.
„Komm schon Schwesterherz, du kriegst das hin“, necke ich sie.
„Bäh, lass das, du weißt, ich hass‘ das!“ Übertrieben theatralisch, wischt sie mit dem Handrücken über ihre Lippen und zieht ihr Ekel-Gesicht, das seit ewigen Zeiten nur für mich reserviert ist. Dann windet sie sich aus meinem Griff und schlägt mir ihre Fäuste auf die Brust. Ich spiele beleidigt. „Sehr viele Frauen wollen genau da sein, wo du gerade wegwolltest.“
Aelenas Zeigefinger wedelt vor meinem Gesicht. „Marc, ich bin deine kleine Schwester. Auf gar keinen Fall, das kann ich nicht genug betonen, wünsche ich Bilder von dir und deinen Frauen in meinem Kopf. Klar?“
„Ach komm schon“, schmolle ich weiter und versuche, in ihren Nacken zu beißen. „Wolltest du nicht was von mir?“ Ich halte grinsend den Schlüsselbund über ihren Kopf. Zwar misst sie schon ohne Absätze über eins siebzig, ist damit trotzdem mehr als einen Kopf kleiner als ich und hat keine Chance. Blitzschnell ziehe ich die Hand weg, als sie nach dem Schlüssel greift, und lenke sie, die Gelegenheit ist zu günstig, wieder in meine Umarmung. Aber sie ist meine kleine Schwester und ich habe ihr einige echt üble Tricks beigebracht. Eine Drehung, ein High-Heel hinter meinem Bein, ein Stoß gegen meine Schulter, dann liege ich auf dem Boden und der Schlüssel wechselt den Besitzer. Seine neue Eigentümerin steht breitbeinig und lachend wie eine entfesselte Hexe über mir und ruft: „Ha! Bist du Elender, endlich da, wo du hingehörst!“
„Wenn du damit die Waagerechte meinst Frau van de Meer, bin ich voll bei dir. Mit dieser Stellung verbinde ich nur die angenehmsten Erinnerungen.“ Ich muss so breit lachen, dass meine Mundwinkel sich sicher am Hinterkopf treffen. Sie ergreift meine ausgestreckte Hand und hilf mir hoch.
„Ich sehe, ihr habt ein Stadium erreicht, wo man normalerweise ein Hotelzimmer nimmt“, Arian Cairns, der Dritte in unserem Bunde und mein bester Freund seit wir den Jeep unseres Kommandeurs mit langsam trocknendem Zaponlack auf Hochglanz gebracht haben, wirft seinen Aktenkoffer auf den Klapptisch, das die Kaffeemaschine wackelt. Aelenas gespielte Aggressivität verpufft zu Staub, sie wirkt von einer Sekunde zur anderen verlegen und ... wird rot? Hey, das ist neu. Entgeht mir hier was?
„Wir machen gar nichts, mein großer Bruder benimmt sich nur wie ein pubertierender Zwölfjähriger auf dem Abschlussball.“
„Zwölfjährige haben keine Abschlussbälle. Bist du rot?“, ich lege einen Finger auf ihre Wange und, nach ihrer Reaktion zu schließen, direkt in eine Wunde.
„Bin ich nicht! Ich kläre das jetzt mit den Handwerkern“, streitet sie ab und verschwindet mit ihrem eroberten Schlüssel hastig aus dem Backstagebereich unseres Messestandes. Ihre Mörderabsätze klappern über den Beton. Arian beobachtet ihren Abgang mit unverhohlenem Interesse. Vor allem an Aelenas Beinen.
„Frauen sind härter als wir“, sagt er nachdenklich und macht sich daran Kaffee zu kochen. „Wer fünf Messetage auf solchen Absätzen abreißt, ist Masochist oder Gott.“ Er macht eine winzige Pause, atmet zischend ein, im Ausatmen fragt er: „Trägt sie Strapse?“
Arian ist mir wie ein Bruder, ich weiß, er beschützt Aelena, wie seine eigene kleine Schwester. Aber Freund hin oder her, aus meinen Augen schlagen sicher Blitze. „Noch ein Wort über die Wäsche meiner Schwester und ich tätowiere dir Strapse auf den Arsch.“
„Hey, Kumpel“, er hebt abwehrend die Arme, „alles rechtlich einwandfrei, du weißt, ich pass‘ auf sie auf.“ Mit einem Blick um die Ecke vergewissert er sich, dass Aelena außer Hörweite ist, und wechselt das Thema. „Schon was für die Nacht klar gemacht?“
„Immer mit der Ruhe, das ergibt sich schon. Hast du den Termin mit Harding festgezogen? Kommt der Alte? Bringt er seinen Sohn mit?“
Wir, Arian Cairns mein bester Kumpel, Aelena van de Meer, meine gerade geflüchtete Schwester und ich, Marc van de Meer, sind nicht nur ein halbes Leben lang befreundet, in unserem Verlag Cairns&VandeMeer-Books, sind wir gleichberechtigte Geschäftspartner. Arian, blonder Ire aus Belfast, kümmert sich um das Administrative und Investoren, Aelena hält den Kontakt zu unseren Schreiberlingen und ich manage als Anwalt die rechtliche Seite. Diese fünf Tage auf der Buchmesse sind das Sprungbrett, um den Verlag bekannter zu machen, neue Autoren zu gewinnen und vor allem Geldgeber von unseren geplanten Projekten zu überzeugen. Nach Geschäftsschluss sorgen Arian und ich dafür, uns die Nächte nicht langweilig werden zu lassen.
„Ich denke schon“, meint mein Freund, „ohne Aufsicht lässt der doch seinen Sohn Karl nicht mal die Mülleimer leeren. Das macht mir den Alten Harding fast sympathisch. Er ist unangenehm, aber besser zu ertragen, als sein schmierig serviler Lendenspross.“ Da sind wir einer Meinung.
„Kaffee?“, fragt er mich und bestückt die Kaffeemaschine mit frischen Bohnen. Ich nicke ihm zu, nehme auf einem der Besucherstühle platz und öffne meinen Aktenkoffer. Im Verlauf der Vertragsausarbeitung hatten wir mehrfach das zweifelhafte ‚Vergnügen‘ Rüdiger Harding, alleiniger Inhaber von Harding-Books, einem der größten Onlineverlage, und seinen Sprössling Karl, aus der Nähe kennen lernen zu dürfen. Der Alte ist machtgeil, der Junior geldgeil, lakaienhaft und darüber hinaus ständig wegen irgendwas angepisst, dass außer ihm keinen anderen Menschen stört.
„Beide Hardings sind unangenehme Zeitgenossen, aber der Junior alleine, ohne väterliche Aufsicht, ist die Pest schlechthin. Seine mündlichen Zusagen sind nicht unbedingt verlässlich. Entweder informiert ihn der Alte bewusst nicht, oder Karl ist einfach so durchtrieben. Es wäre klug, bei den abschließenden Verhandlungen alle Sinne beisammen zu haben, sonst grillen die uns wie Cevapcici. Nicht weil sie das für nötig halten, sondern weil sie es können und gerne tun. Dann hängen unsere Köpfe auf polierten hölzernen Platten an Hardings Bürowand über seinem Schreibtisch. Mit kleinen Messingschildern darunter“, er macht eine andeutende Geste. „Auf denen unsere Namen, und das Datum der Erlegung prangt. Wenn uns der Alte selber seinen Filius etwas vom Leib hält, mag uns das nur recht sein.“ Arian reicht mir eine Tasse Kaffee rüber.
„Wann sind die hier?“, erkundigt er sich.
„Den Termin habe ich euch beiden gestern auf die Handys geschickt. Zehn Uhr, pünktlich. Verspätungen sollten wir uns nicht leisten.“
„Das sagt der Richtige“, spottet Aelena, die gerade wieder hereinkommt. Sie greift einen Stapel Bücher, die sie vorne aufstellen will. „Ich könnte Hilfe gebrauchen, wenn es den Herren in den Kram passt. Ein aufgeräumter Ausstellungsbereich wird allgemein zwar arg überbewertet, sieht aber echt besser aus. Die Dreiviertelstunde bis zehn ist schnell vorbei. Hast du die Verträge ausgedruckt, Marc?“
„Ja, schon bevor der Termin klar war. Liegen da drüben“, ich deute auf Aktenstapel. „Die letzten Handgriffe kriegt ihr doch alleine hin? Ich muss mal ganz dringend für ‚kleine Jungs‘“, gesagt und abgehauen. Das Dekorative ist nicht so meine Stärke.
„Marc! Bleib hier!“, ruft Aelena mir nach, aber ich habe unsere Box schon verlassen und bin zwischen den Besuchern verschwunden. Vor den Verhandlungen brauche ich noch etwas Ruhe, um meine Gedanken zu ordnen und meine Strategie nochmals durchzugehen. Wir planen, dass beide Verlage bei den Filmrechten unserer Autoren enger zusammenarbeiten und Kräfte bündeln. Cairns&VandeMeer-Books ist im Vergleich zu Harding wie Robben Island zu den Vereinten Nationen, winzig und unbedeutend. Aber das muss ja nicht ewig so bleiben. Ich habe den Ruf erworben, ein zäher Anwalt zu sein.
Computerspielehersteller und Fernsehanstalten, die ihre Leistungen hier ebenfalls anbieten, locken Cosplayer und Mangadarsteller an, deren ausgefallene Kostüme das Publikum fast zu einem größeren Hingucker machen als die Stände der Aussteller. Für eine Stunde durchstreife ich die Hallen von einem Ende zum anderen.
Geschäftsleute, Messemitarbeiter und Privatbesucher bilden eine summende Menschenmenge aus Licht, farbigen Impressionen und sinnlichen Anregungen. Besucher frühstücken an Imbissbuden, führen Gespräche, halten Prospekte und Tüten in den Händen.
Aus purer Gewohnheit verfolge ich mit den Augen die eine oder andere Frau in der Menge und suche Blickkontakt. Abchecken, das hat für mich nichts mit Ego zu tun, ich genieße weibliche Gesellschaft, sie ist anregender Zeitvertreib, wir haben miteinander Spaß, finanziell lasse ich mich nicht lumpen, anschließend geht jeder seiner Wege. Keiner gaukele ich die große Liebe vor, nie spiele ich jemanden, der ich nicht bin, verspreche nichts, was ich nicht halte, und dazwischen kommen beide Seiten auf ihre Kosten. Wenn dann das Ende unkompliziert abläuft - perfekt.
Aber ich mische mich nicht in Beziehungen, gebundene Frauen sind tabu, auch solche, die eine langfristige Bindung suchen. Ich brauche Partnerinnen, die ebenso gerne spielen wie ich. Selbstbewusst flirten, gegenseitiges anmachen, Spaß haben, so sieht meine erotische Welt aus und Messen wie diese hier, sind phantastische Jagdgründe.
Eine stattliche Schlange vor der Damentoilette, blockiert den Durchgang zwischen zwei Hallen. Die Letzte in der Reihe fällt mir auf. Eine junge Frau mit grüner Seidenbluse und spektakulär rotgoldenen Haaren. Ich bleibe hinter einem Pfeiler stehen und beobachte, wie sie in ihrer unglaublich großen, auffällig bunten Handtasche wühlt, während sie gleichzeitig leise vor sich hin schimpft. Ihre Ohrringe, farbenprächtige Kreationen aus verschiedenen Muscheln, Glasperlen und Bändern, hängen bis auf ihre Schultern mit zartester Haut. So anmutig weich, selbst über die gut zwanzig Meter zwischen uns, ahne ich darunter das pulsierende Blut.
Ihre Kleidung ist seriös und gepflegt, betont ihre Sanduhrtaille und ihre weiblichen Hüften, ist aber definitiv keine sauteure Designerware, sondern ein schlichter, knielanger Jeansrock mit buntem Ledergürtel, moderate High-Heels. Nicht Oberklasse, eher oberer Messedurchschnitt. Die Kleine wirkt gleichzeitig schüchtern und pfiffig. Damit ist sie überhaupt nicht mein bevorzugtes Jagdwild, das ist herber, größer und offensiver, erst recht im Bett. Diese Eva hier ist weiblich, kurvig, sinnlich und sie strahlt aus: Beachte mich nicht, lass mir meine Ruhe, umso schneller bin ich wieder weg und verursache keine Probleme.
Warum also stehe ich noch hier herum? Wegen ihrer Millionen Sommersprossen? Die habe ich nie sonderlich gemocht. Sie scheint einer der Menschen zu sein, die hilfsbereit sind und freundlich, die den ganzen Tag gute Laune verbreiten und hinter der nächsten Ecke heulen, damit es niemand mitbekommt. Alles Wesenszüge einer perfekten, unauffälligen Sekretärin, die von Berufswegen mit dem Hintergrund verschmilzt. Ihr Alter? Mitte zwanzig? Würde schon hinkommen. Die Schlange rückt vor, ich passe meinen Standort an und beobachte weiter.
Für eine Frau, die mich nicht interessiert, steh ich schon viel zu lange auf demselben Fleck. Warum? Weil sie, unter den unglaublich wichtigen, beschäftigten Menschen, keine Ahnung ... niedlich wirkt? Nicht exakt. Deplatziert? Schon eher. Zerbrechlich trifft es ebenfalls nur fast. Sie ist fehl am Platz. Ein Webfehler der Realität. Da trifft ihr Blick direkt meine Augen und der Moment verwandelt sie in einen Regenbogen inmitten einer Kiste schwarzer Kohle.
In ihrem kleinen Gesicht wirken Ihre Augen riesig, so strahlend hellgrün und kristallklar wie Seewasser über einer Korallenbank. Solche Augen könnte ein Mann ewig ansehen. Wie blitzende Edelsteine in rotgoldener Fassung.
Hat sie meinen Blick bemerkt? Ja, sie hat, und sie lässt mich wissen, dass sie darüber nicht erfreut ist. Drohend wandern ihre Augenbrauen zur Mitte ihrer hübschen Stirn und kräuseln sie bis zum Haaransatz, dann macht sie übertrieben ulkige Schlitzaugen und fixiert mich über die Entfernung wie eine erboste kleine Hexe, die bei was Verbotenem ertappt wurde. Mannhaft halte ich ihrem Blick stand und achte darauf nicht zu grinsen, ich will jetzt wissen, ob sie ein richtig freches Mädchen ist und mir die Zunge herausstreckt. Dann lache ich sie aus. Einen Wimpernschlag nur, dann kann sie nicht widerstehen, streckt mir ihre kleine rosa Zunge raus und befeuchtet anschließend damit die Sommersprossen auf ihren Lippen. Das da sind irre sinnliche Lippen und enorm viele Sommersprossen. Ihre Haut besteht geradezu daraus. Als sei sie in ein Bassin hellbrauner Tupfen gefallen, die jetzt für immer an ihr haften. Auch ich überlege, wie es wäre an ihrer Haut zu haften, nachdem sie mit mir in einem feuchten Pool war, und zwar sehr, sehr lange und sehr tief.
Wow, wow, wow! Mein Schwanz ist der Meinung, die Frau interessiert ihn, meine Hose wird eng. Zu gerne würde er mit ihrem Mund sinnliche Bekanntschaft schließen. Genau jetzt wäre es klug, einen Entschluss zu fassen und meines Weges zu ziehen. Dafür bräuchte ich Blut im Gehirn, aber das befindet sich momentan in anderen Körperregionen und steht für sachliche Vorgänge nicht zur Verfügung. Also stehe ich weiter festgenagelt da und lache dieser Regenbogen-Sommersprossenfrau mit dem grünen Hexenblick, eine Herausforderung zu.
Ihre Retourkutsche, verdichtet die Moleküle zwischen uns zu etwas körperlich Greifbarem, das vibriert und die Temperatur ansteigen lässt.
Sie streckt mir wie ein Schulmädchen erneut die Zunge raus, scheint dann nachzudenken. In der nächsten Sekunde lachen wir uns einfach nur an. Sie strahlt über ihr ganzes Gesicht. Ich auch. Ihr Lächeln ist zauberhaft. Ansteckend und einladend und warm und ... Während ich nach passenden Begriffen suche, greift sie ihr Taschen-Monstrum, düst an der Reihe Damen vorbei und verschwindet in der vergleichsweise leeren Herrentoilette. Die junge Frau ist offenbar überdurchschnittlich pragmatisch veranlagt und sie hat Mumm. Davon möchte ich mehr sehen und folge ihr, neugierig wie das hier ausgehen wird.
Dita
Der souverän wirkende große Mann mit raspelkurzen pechschwarzen Haaren, im dunklen Anzug, da drüben neben dem Pfeiler, beobachtete mich schon einige Minuten. Sicher einer dieser unglaublich arroganten Geschäftsleute, von denen es hier nur so zu wimmeln scheint. Ich ignorierte ihn aktiv. Er wäre der Dritte, der versucht bei mir zu landen. Die Anmache der beiden Vorgänger war derart einfallslos, dass der dort nur einen Finger breit geschickter sein bräuchte, um aus der Konkurrenz hervorzustechen. Seine Haltung war diese maskuline ‚Du-willst-es-doch-auch‘ Attitüde, bei der es Frauen in den Eierstöcken juckt, den Knaben mal auszuziehen. Und sei es nur, um zu prüfen, ob er das Versprechen auch ohne Klamotten halten kann. Eine Hautfarbe wie leckerer Milchkaffee, Wimpern so lang und dicht, dass es bestraft gehört, und dunkle Augen wie Mitternacht. Ich erstellte eine unterbewusste Notiz zur späteren Verwendung in einer Geschichte.
Seine Lippen waren voll und von der Art, die Frauen gerne auf jede Stelle ihrer Haut einladen. Um seine Mundwinkel lag ein herber Zug, der ihm eine herausfordernde Distanziertheit verlieh. Ohne Zweifel ein attraktiver Mann, der im Gedächtnis bleibt. Also nix für mich. Meine Bestandsaufnahme setzte ich trotz dieser ernüchternden Erkenntnis fort.
Kein Schmuck, außer sündigen Lederbändern um beide Handgelenke. Fehlerlose Beine, muskulöse Oberschenkel und schmale Hüften. Alles verpackt in einer maßgeschneiderten schwarzen Anzughose, die viel zu perfekt an seinem mit Sicherheit spektakulären Hintern sitzt, um von der Stange zu sein. Darüber ein moderner, eleganter Einreiher, ein schwarzes Hemd, Kragen geöffnet. Das hervorragende Material bewies Stil, der offene Kragen in der geschäftlichen Umgebung, lässige Selbstsicherheit. Ein Mann, der seiner Partnerin keinen Sex schuldig bleiben würde. Oh, was dachte ich da, niemals im Leben war so ein Prachtstück hetero.
Es gab Dringenderes. Ich musste inzwischen sehr dringend Pinkeln und mein dürftiges Make-up brauchte Reparaturarbeiten, damit die Sommersprossen nicht so fürchterlich hervorstachen. Dazu glänzte vorne auf meiner Lieblingsseidenbluse ein dicker fettiger Cremebrullee-Fleck, den ein unzeitiger Naschanfall dort hinterlassen hat. Vor dem Meet-and-Greet an Hardings Messestand war definitiv ein Besuch im Sanitärbereich angesagt, damit ich diese Bluse sauber bekamm.
Das Problem: Vor dem Damenklo standen mindestens vierzig Frauen aufgereiht. Müssen denn alle Mädels so oft aufs Klo? Alle gleichzeitig? Warum? Bis die durch waren, wäre der gesamte Plastikmüll des Bermudadreiecks umweltneutral kompostiert. Der Mann schaute noch immer. Oh, Dita, guck weg, du hast andere Probleme. Wenn ich mich vordrängen würde? Das wäre ein Risiko. Wenn die Damen genau so dringend pinkeln wollten wie ich, bildeten sie eine kritische Masse, brandgefährlich wie eine Horde Freibeuter.
Stand mir mein Konflikt denn ins Gesicht geschrieben?
Der Kerl lachte mich aus. Für einen Träger teurer Anzüge hatte er ein verboten charmantes Lachen. Hatte er gezwinkert? Er hatte gezwinkert. Süß war er ja. Ganz automatisch erwiderte ich sein Lachen. Für eine kleine Weile kribbelte zwischen uns eine Gravitationswelle. Der heiße Blitz in meiner Brust, blockierte für zwei Sekunden meine Atmung. Trotzdem, ich wollte nicht das, was er vermutlich gerade im Kopf hatte.
Bäh, streckte ich ihm die Zunge raus. So, nimm das und erstick daran, das hast du davon. Half nix, ich musste unverändert fürchterlich dringend pinkeln! Vor dem Herrenklo stand keine Schlange an. Soll ich? Meine Blase schreit ja, du sollst! Na dann, Angriff.
Die Handtasche wie einen Wellenbrecher entschlossen vor die Brust gepresst atme ich zwei Mal tief durch, drücke die Tür zur Herrentoilette auf und stürme, an der Reihe Männerrücken vor der Pinkelrinne vorbei, schlankweg in eine der kleinen Kabinen. Tür zu, Rock hoch, Höschen runter, ahhhhh.
Dita
Nach der Erleichterung habe ich genügend innere Ruhe, um das Fleck-Problem zu lösen. Auf in den Kampf. Ich greife die Klinke, öffne die Kabinentür und stelle mich, ohne auf die Blicke der Männer zu achten, an ein Handwaschbecken. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die gucken, dafür brauche ich nicht hinschauen. In meiner Handtasche krame ich nach Taschentüchern und halte eins unter den Wasserhahn. Ich knöpfe meine Bluse bis zum Bauchnabel auf, um besser arbeiten zu können, und reibe den Fleck gründlich mit Seife ein. Schon bevor meine Putzaktion richtig in Gang kommt, kitzelt es in meinem Bauch: Ich werde beobachtet.
„Das hier ist eine Herrentoilette!“
Einer der Männer, die Schulter an Schulter, mit offener Hose vor den Urinalen stehen, schaut angepisst zu mir rüber. Unsere Schultern berühren sich fast, so dicht gedrängt sind wir. Er ist nicht größer als ich, also eher klein, mit Bauchansatz. Gut, dafür kann er nichts, dass er aber stinkt wie ein Puma und dunkle Ränder unter den Fingernägeln hat, wie ein Kind nach drei Stunden im Schlamm, dafür kann er was.
Ich blicke hoch und schaue ihn an. Er schaut verkniffen zurück. Muss der gerade Stacheldraht scheißen?
„Was!“, pampe ich ihn an. „Is’ es meine Schuld, dass die Waschbecken so dicht neben der Pinkelrinne hängen? Ich war nicht der Klempner.“
Im Grunde bin ich ein artiges Mädchen. Wir Inselbewohner der ganzen Welt sind entweder fröhlich-ausgelassen oder reserviert-verschlossen, je nach Klimazone unserer Insel. Aber untereinander sind wir umgänglich und tolerant. Trotzdem, zu einem Viertel, bin ich ein irischer Hitzkopf.
Verklemmte Hirnis auf die nächste Palme zu treiben finde ich spaßig. Es entspannt mich und Entspannung kann ich gerade sehr gut brauchen. Mein Bauch kribbelt stärker, dann reibt sich die kleine Teufelin auf meiner Schulter, die Hände und poliert ihre niedlichen, sehr spitzen Hörnchen. Ich fühle mich sicher, denn niemand schlägt schnuckelige kleine Frauen mit Sommersprossen, also auf ins Vergnügen.
Zum Auftakt lasse ich meinen Blick gemessen durch den gefliesten Raum gleiten, entlang der Pissoirs mit den Toilettensteinen, die an der Wand hängen und mustere die Reihe Männer davor an meiner rechten Seite.
Vorwitzig werfe ich einen expliziten Blick auf das, was die Herren zu bieten haben und versuche einen Klassiker: „Herrentoilette? Sicher?“ Dann ziehe ich jovial eine Augenbraue bis zur Stirn. Jemand lacht sogar.
Die Fingernägel des Ekelpaketes sind lang und rissig, seinen Penis hat er, rot und faltig, in seiner wabbeligen Hand vergessen und wackelt von einem Fuß auf den anderen. Er wirkt so unscheinbar und farblos, besonders im Vergleich zu seinem Nebenmann, dessen Ausstattung sehr viel ansprechender ist, dass er sich kaum von den hellgrauen Fliesen abhebt. Er würgt den Strahl ab und quengelt: „Die Damentoilette ist nebenan.“
„Weiß ich “, ich beobachte ihn einfach weiter.
„Sie stören hier“, murrt er erneut.
„Wobei? Mich stören sie nicht, ich habe schonmal Männer pinkeln sehen.“ Seine wässrigen grauen Augen tränen. Endlich drehe ich mich zu ihm um.
„Jetzt hör mal zu du Hein Blöd. Vor der Damentoilette steht eine ewig lange Reihe Frauen, deren Ende sich vermutlich in Timbuktu befindet. Ich habe einen Termin, einen Fleck in der Bluse und eine endliche Geduld. Ich gehe dir auf die Nerven? Gut. Dann steck deine Kleinigkeit weg und sieh zu, dass du Land gewinnst.“
Während er sich entscheidet, was zu tun ist, wechselt sein verschwitztes Gesicht von blass zu Dunkelrot, dann verstaut er die Kleinigkeit in seiner gemusterten Unterhose, zieht ruckartig seinen Reißverschluss hoch und verschwindet grußlos im Stechschritt nach draußen. „Händewaschen nicht vergessen!“ , rufe ich ihm hinterher und ernte mehrstimmiges Lachen des Klo-Publikums. Ich kann so böse sein. Erst jetzt nehme ich die anwesenden Männer wieder wahr. Der mir zunächst Stehende begibt sich ebenfalls in Gefahr, denn seine Augen fallen fast in meinen Ausschnitt.
„Fertig?“, frage ich ihn.
„Fertig mit was?“
„Mit sabbern.“
„Alles gut, Lady, ich bin schon weg“, sagt er im Händewaschen und verdünnisiert sich.
Ich rupfe ärgerlich mehr Papiertücher aus dem Spender, halte sie unter das Wasser und bearbeite wieder den Fleck.
„Mist, Mist, Mist“, murmele ich. Typisch, immer im letzten Augenblick läuft was schief, dabei ist das hier der wichtigste Tag in meiner jungen Karriere. Vor fünf Minuten sollte ich auf dem Messestand hinter meinem Tisch sitzen, Autogramme geben, Fans knuddeln, Selfies schießen und lächeln, lächeln, lächeln. Einerseits freute ich mich auf diese Tage in Leipzig, schon seit Monaten, andererseits habe ich eine fürchterliche Angst, nicht zu genügen.
Noch im vergangenen Sommer gab es keinen Anlass zu hoffen, dass meine Bücher je mehr als eine Randbemerkung in der Lokalpresse wert sein könnten. Aber dann hat irgendein It-Girl eines meiner Werke in ihrem Blog erwähnt und schnipp, ab ging die rasende Fahrt. Einfach so. Ich habe keinerlei Erfahrung mit Öffentlichkeit. Nichts von dem, was ich jetzt tun soll, wie in Interviews geistreiche Antworten, zu geben, mit Pointen um mich werfen oder intelligente Bezüge herzustellen, habe ich gelernt. Wenn ein Reporter über Literatur sprechen möchte, dann gute Nacht, ich werde, sang und klanglos untergehen. Mir bricht der Schweiß aus.
Bei Ankunft auf dem Messegelände, bin ich noch schwerelos wie eine Wolke durch den Eingang geschwebt. Den Blick zum Himmel, Füße gefühlt einen halben Meter über dem Boden, durchschwebte ich die gläserne Halle und die Treppe hinauf.
Ich liebe meine Fans. Ohne sie, wäre ich keine Autorin mit Millionenauflage, sondern eine verbitterte Hexe, die mit sich selber nichts anzufangen weiß. Persönlichen Kontakt, hatte ich mit meinen Fans aber nie. Aus den sozialen Netzwerken weiß ich, es handelt sich überwiegend um Frauen und die meisten, schreiben mir supernette Nachrichten. Kein Zweifel, ich bin an einem der besseren Momente meines noch jungen Lebens angekommen.
Und dabei will ich auf keinen Fall aussehen wie die letzte Vogelscheuche. Dieser Fleck muss weg! Seife, ich brauche mehr Seife. Selbst schuld. Warum, schaffe ich nie die Finger vom Nachtisch lassen? Die Brötchen sahen sehr lecker aus und hätten es ebenso getan. Aber nein, Madame muss ja beim Buffet immer mit dem Nachtisch anfangen. Als stünde die Welt kurz vor der Vernichtung aller vorhanden Süßspeisenreserven.
Und nun? Ich bin hier! Aus der Karibik direkt nach Leipzig. Nennt mich Cinderella.
Eine tiefe kribbelnde Männerstimme unterbricht meine Gedankengänge. „Der hat genug.“
„Was?“ Meine Hand rubbelt tüchtiger.
„Der Kerl“, wiederholt er. „Sie haben es ihm gegeben.“
„Ach der“, ich winke ab, ohne den Mann anzusehen. Der soll bloß abhauen. „Das war weder Absicht noch mein übliches Vorgehen. Es ist nur so, ich habe es eilig und die Damentoilette ist randvoll.“
„Das habe ich gesehen. Brauchen sie Hilfe?“
„Ja, verschwinden sie oder zaubern sie den Fleck weg.“
„Zeigen sie mal.“ Er schaut über meine Schulter. Noch tiefer zwischen meine Brüste. Endlich löse ich meinen Blick vom Fleck des Anstoßes und schaue ihn im Spiegel an. Verdammt! Die Zuckerschnute!
So aus der Nähe wirken seine schwarzen Augen verheerend auf mein Sprachzentrum. Ich schnappe nach Luft, er ist amüsiert. Seine Gestalt überragt mich um mehr als einen Kopf. Die Schultern sind breit, sein Kragen noch immer offen. Der gelockerte Windsorknoten der silbernen Krawatte aus Rohseide lässt ihn, trotz der förmlichen Kleidung, lässig rüberkommen. Im offenen Kragen lockt ein Dreieck kaffeebrauner Haut. Dasselbe Neonlicht, das meine helle Haut fleckig und ungesund wirken lässt, gibt seiner einen einladenden Touch. Das ist ungerecht, meine Hand zuckt, ich will an dem Kulturstrick ziehen und prüfen, ob ihn das wütend macht.
... ab hier ist mir flau im Kopf. Das macht der Sauerstoffmangel, denn seit den Schultern, habe ich den Atem angehalten.
Moment, glotzt mir der Kerl noch immer in den Ausschnitt? Das löst meine Starre. Ruckartig füllen sich meine Lungen mit Luft.
„Ich habe es wirklich extrem eilig. Lesung und Autogrammstunde am Messestand fangen gleich an und ich bin schon zu spät“, rattere ich herunter und ziehe meine Bluse zu. Mein Gehirn, hat sich endlich für Weglaufen entschieden. Braves Mädel.
„Die werden doch einen Augenblick ohne sie zurechtkommen, oder nicht?“, haucht er. Sein Mund ist wirklich eine Zuckerschnute.
„Ich fürchte, ohne mich kommen die nicht weit“, wimmle ich ab und füge hinzu, „Ich richte den Tisch und koche den Kaffee.“ Ich koche den Kaffee? Welchen Mist rede ich da?
Zuckerschnute hat anscheinend nix Besseres vor, er lässt nicht locker. Mit seinem Gesicht nur eine Handbreit neben meinem, sind wir uns für meinen Geschmack schon jetzt viel zu nah. Die Muskeln in meinem Unterleib sehen das positiver, sie winden sich erwartungsvoll.
„Trinken sie mit mir einen Kaffee? Später? An der Bar bei Eingang drei?“ Ok, doch nicht Gay.
„Es tut mir sehr leid, ich fürchte, auch das ist unmöglich.“ Um ein für gewöhnliche Männer verständliches, optisches Zeichen zu setzen, höre ich auf, den Fleck zu bearbeiten, und ziehe demonstrativ den Ausschnitt meiner Bluse zusammen. Dieser Mann ist nicht normal, denn mein Signal interpretiert er ganz anders, als es gemeint war. Seine Ledersohlen erzeugen ein lautes Geräusch auf den Fliesen, als er einen Schritt näherkommt, bis seine Brust fast meinen Rücken berührt. Er senkt seine Samtmondstimme auf Schlafzimmer-Modus und flüstert dicht an meinem Ohr: „Ein Kaffee, schöne Frau. Sie sind mir was schuldig.“
Sein Atem ist warm und bewegt leicht meine langen Ohrringe, streichelt die feine Haut an meinem Hals, so nah steht er und hüllt mich in den Duft eines herben Rasierwassers, plus Bourbon und geheimnisvoller Gewürze. Die Mischung steigt mir in die Nase, aber kribbeln tut es in meinem Bauch. Und es löst ein einladendes Pulsieren meiner Klitoris aus. So war das nicht geplant Freundchen. Einige Sekunden, dann habe ich mich wieder besser im Griff. Mit herausforderndem Blick in den Spiegel antworte ich. „Bitte, ich wüsste nicht was.“
Er hält nur kurz meinen Blick, senkt dann sein dunkles Gesicht zu meiner Schulter. Sein Atem streift erneut meinen Hals. Mit einem Finger fährt er meine Wirbelsäule hinab. Ertastet jeden einzelnen Wirbel. Ich spüre die Wärme seiner Fingerspitze durch die dünne Schicht Seide wie ein Brenneisen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch brauchen unbedingt mehr Platz. Er flüstert mit einer sagenhaften Schlafzimmerstimme. „Tragen sie nie einen BH?“
Mit Körbchengröße B, brauche ich nicht unbedingt einen BH. Was darauf hinaus läuft, dass ich fast nie einen trage, weil sie alle kneifen, einengen oder auf tausenderlei weitere Arten unbequem sind. Das Beste an ihnen ist, sie lösen sich nach der dritten Wäsche auf. Puff, weg sind sie. Problem gelöst.
„Ich könnte sie verhaften lassen.“
„Unwahrscheinlich, wir sind im Herrenklo und sie haben auf meinen Penis geguckt. Die Umstände sprechen gegen sie, schöne Unbekannte.“
Jetzt ist mir heiß. Mein Rumkramen in meiner Handtasche, taugt zur Ablenkung nur bedingt. „Das habe ich nicht“, wehre ich ab. Sicher höre ich mich an wie ein Schulmädchen, das beim Rauchen ertappt wurde. Na ja, ein bisschen habe ich schon geschaut. Er war der Dritte in der Reihe. Muss reingekommen sein, während ich in der Kabine gesteckt habe. Seine Ausstattung war sogar ... ich werde feuerrot, was angesichts meines Berufes ein hübscher Anachronismus ist. Seine Lippen gleiten heiß aber ohne Direktkontakt weiter. Am Übergang vom Hals zur Schulter gönnt er uns beiden einen erneuten tiefen Atemzug.
„Haben sie doch und die Verlegenheit gibt ihrem hübschen Gesicht ein zauberhaftes Rosa.“ Leicht wie der Wind am Strand streichelt sein schlanker Finger jetzt meinen Kiefer entlang. Ich spüre Schwielen und rieche den Duft von Leder. Unter den Manschetten erkenne ich mehrere schmale Riemen aus dunklem Leder, mit denen seine Handgelenke umwickelt sind. Ob er Musiker ist? Im Blick seiner schwarzbraunen Augen blitzt erneut der Schalk. Schmunzelt der? Oh Gott, ein Mann mit Humor? Ich sollte hier nicht bleiben. Das ist schließlich die Herrentoilette.