Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Wo kannte man Botox bereits im 19. Jahrhundert? Woher kommt die Raupe Nimmersatt? An welchem Ort ist ein Aufzug bereits zum Mond und zurück gefahren? Hier kann es sich nur um Stuttgart handeln. Erkunden Sie mit Andrea Jenewein und Frank Rothfuß ihre Lieblingsplätze im Stadtgebiet. Lassen Sie sich entführen zu verwunschenen Orten wie den Heslacher Wasserfällen und kruschteln Sie bei Such & Find nach Modelleisenbahnloks und Sammelfiguren. Wenn Sie dann noch die Stuttgarter Stäffele erkundet haben, sind Sie der schwäbischen Seele ein gutes Stück näher gekommen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 152
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
66 Lieblingsplätze
und 11 Stäffelestouren
Andrea Jenewein / Fank Rothfuß
Stuttgart –
Kesseltreiben und Höhenrausch
Das scharfe S am Neckar
Für Joachim
Danke,
Leif
Danke, Blue*.
A&F
Besuchen Sie uns im Internet:
www.gmeiner-verlag.de
© 2013 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon075 75/20 95-0
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat/Korrektorat:Claudia Reinert
Satz / E-Book:Julia Franze
Umschlaggestaltung:U.O.R.G., Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Stihl024 –Fotolia.com
Bildbearbeitung: Alexander Somogyi
Kartendesign:Mirjam Hecht
ISBN 978-3-8392-4252-0
Sie macht’s einem schwer, diese Stadt. Sie wirft sich einem nicht an den Hals, offenbart nicht gleich all ihre Reize. Sie ist eine spröde Schöne, die erobert werden will. Man muss ihr beweisen, dass man es wert ist, sie lieben zu dürfen. Dazu braucht es einen langen Atem und stramme Waden. Stuttgart ist das schwäbische San Francisco. Immerzu geht es auf und ab. Wer die Hügel erklimmt, macht dies auf Treppen, den Stäffele. Sie führen zu den schönsten Aussichtspunkten. Wer Stuttgart erleben und lieben lernen will, muss klettern.
Das gottgegebene Amphitheater bietet einen grandiosen Anblick. Von dort oben ist Stuttgart wahrlich schöner als Berlin. Natürlich ist die Stadt nicht so aufgeregt. Eher gelassen denn hysterisch. Wie sagt Reid Anderson, der kanadische Intendant des Stuttgarter Balletts, so treffend: »Stuttgart ist wie ein bequemer alter Pulli.« Jahre kann es dauern, bis man sich darin einkuscheln kann. Aber Vorsicht, dieser Pulli ist nicht perwollgewaschen, er ist nicht weichgespült. Sondern er kann bisweilen kratzig sein.
Wie die Bewohner. Das Schwäbische kennt eine Vielzahl an Schimpfwörtern. Die durchaus eigentümlich sind. So ist ein Halbdackel ein größerer Trottel als der Dackel, und wird man Grasdackel genannt, sollte man Satisfaktion fordern. Auch wenn er zärtlich wird, neigt der Schwabe zur verbalen Grobheit, eine schöne Frau ist eine Krott. Also Obacht beim Flirten. Allerdings heißen die Schwaben heutzutage nicht mehr Häberle und Pfleiderer, sondern auch Kim, Kowalski oder Yildiz. Der Großteil der Stuttgarter ist zugezogen, nahezu die Hälfte haben ihre Wurzeln im Ausland. Während man anderswo über die Unvereinbarkeit der Kulturen barmt, lebt man in Stuttgart ohne großes Aufsehen zusammen. Woran das liegt? An der schwäbischen Toleranz. Wegschauen, das gibt es nicht. In einem schwäbischen Mietshaus unbeobachtet zu bleiben, ist unmöglich. Isolation? Keine Chance. Spätestens bei der Kehrwoche muss man raus aus der Parallelgesellschaft.
Man merkt, diese Stadt ist eigen. Und grün. Nicht nur politisch. Es stimmt schon, vor lauter Menschen und Autos ist wenig Platz im Kessel. Oder wie Schriftsteller Max Goldt ihn nennt: ›das Loch im Mickergebirge‹. Aber, lieber Herr Goldt, jedes Loch hat einen Rand, und der ist in Stuttgart hübsch verziert. Mit Wäldern, Gärten und Reben. Gut lebt es sich am Rand, das haben die Reichen als Erste gemerkt. Ein Häusle am Hang, damit gehört man zur Hautevolee. Am Klingelschild sucht man die Namen der Bewohner oft vergebens, sie genießen die Aussicht, aber sie protzen damit nicht.
Net bruddelt isch g’nug gelobt. Nach diesem Motto lebt der Einheimische noch heute. Nicht gemeckert ist genug gelobt. Da wundert es nicht, dass der Ruf Stuttgarts ausbaufähig scheint. Stets genügte man sich selbst und war froh, dass nicht so viele Neugierige kamen. Schön ist es hier, aber das muss ja nicht jeder wissen. Mittlerweile hat sich das herumgesprochen.
Deshalb können wir bedenkenlos die Plätze vorstellen, die uns am Herzen liegen. Manche sind nicht zu übersehen wie der Fernsehturm, andere so versteckt, dass sie nicht einmal getauft sind, wie der Park ohne Namen. Wir reisen hoch hinaus auf den Birkenkopf und wühlen uns in den Untergrund ins Bunkerhotel. Einem Abstecher in den dröhnenden Rock-Tempel für Kopfschüttler folgt der Besuch in der Veitskapelle. Es geht in die Stadt und aufs Dorf. Stuttgart ist groß und klein zugleich. Bequeme Pullover dürfen ja auch nicht zu eng sein. Sie müssen Platz bieten und Bewegungsfreiheit, sie sollten andererseits aber auch nicht zu weit oder zu lang sein, am Ende verliert man sich darin oder stolpert über den Saum. Bequeme Pullis haben immer auch Schönheitsfehler. Aber das macht sie liebenswert. Und zu etwas ganz Besonderem.
Er fordert es geradezu heraus. »Kunden können uns nach einem Film fragen, von dem sie weder den Titel noch den Regisseur wissen und uns lediglich eine Szene beschreiben können«, sagt Marc Hug. »Und wir sagen ihnen, was sie suchen.« Der Inhaber einer der renommiertesten Videotheken Deutschlands, der Filmgalerie 451, lächelt. Herausfordernd.
Also gut, das kann er haben. Es gibt da diesen Film. Es geht um eine blinde Frau. Und um zwei Männer. Sie wollen irgendetwas von ihr. Sie schließt sich ein, aber die Männer sind schon in der Wohnung. Und? »Das kann nur ›Warte, bis es dunkel ist‹ mit Audrey Hepburn sein«, sagt Hug. Ja, so hieß der Film.
Hug lächelt: »Der Name der Filmgalerie 451 geht auf den Gedanken zurück, Filme vor dem Vergessen zu bewahren.« Die Zahl erinnert an das Buch ›Fahrenheit 451‹ von Ray Bradbury. Es spielt in einem Staat, in dem es als Verbrechen gilt, Bücher zu besitzen oder zu lesen – Papier brennt bei einer Temperatur von 451 Grad Fahrenheit. Es gibt aber Dissidenten, die Bücher im Gedächtnis bewahren, um sie vor dem Vergessen zu retten.
Bereits 1987 bei der Eröffnung der Filmgalerie 451 wollten die Gründer Irene von Alberti, Frieder Schlaich und Georg A. Wittner ein anspruchsvolleres Angebot an Filmen bieten als die herkömmlichen Videotheken – und ein Archiv aufbauen. Ein gewagter Plan. Zumal in Videotheken damals vor allem Actionfilme oder Komödien angeboten wurden – und es im hinteren Teil eine Herrenabteilung gab. »Alle haben gesagt: Ohne Pornos geht es nicht«, sagt Hug.
Rund 20.000 Filme stehen in den Regalen der Filmgalerie 451. Gibt’s auch ›Warte, bis es dunkel ist‹? »Klar – den hat keine andere Videothek in Stuttgart, jede Wette!«, sagt Hug. Ne, genug gewettet für heute. Film schauen ist besser. Am besten gleich oben im ›Set‹, dem kleinen hauseigenen Kino mit den roten Plüschsitzen …
Tipp: Wer wollte nicht schon einmal ein Kino sein Eigen nennen und sein eigenes Programm machen? Man kann das ›Set‹ mieten und seine Freunde einladen.
Filmgalerie 451 /// Gymnasiumstraße 52 /// 70174 Stuttgart ///
07 11 / 29 08 56 /// www.filmgalerie451.de ///
Ein kleiner Körper hebt sich im Zwielicht schemenhaft von dem steinernen Kreuz ab, auf dem er weilt. Der buschige Schwanz verrät das possierliche Tierchen: Es ist ein Eichhörnchen.
Diese tummeln sich gern zwischen den mit Flechten überzogenen Grabsteinen und in den Wipfeln der Bäume auf dem ältesten noch erhaltenen Friedhof der Stadt, der mitten im Herzen von Stuttgart liegt. 1622 schenkte Johann Kercher der Stadt das Grundstück, das ein Gottesacker werden sollte. Am 18. September 1628 fand die erste Beerdigung statt. Zu Grabe getragen wurde ausgerechnet der Stifter, Johann Kercher. Ja, der Teufel ist ein Eichhörnchen.
Doch Kercher sollte nicht lange allein bleiben. Zwischen 1628 und 1880 wurden auf dem Hoppenlaufriedhof über 60.000 Stuttgarter beerdigt. Vor allem glorreiches Gebein liegt hier begraben: Der Schriftsteller Wilhelm Hauff (1802 – 1827), die Sängerin, Dirigentin und Komponistin Emilie Zumsteeg (1796 – 1857) sowie der Verleger Johann Friedrich Cotta (1764 – 1832) fanden auf dem Hoppenlaufriedhof ihre letzte Ruhestätte. Wobei es mit der Ruhe nicht weit her war. 1944 wurde der Friedhof im Bombenhagel zerstört. Im Winter 1945 verheizte man die Bäume vom Friedhof. Später baute man das Studentenwohnheim Max-Kade-Haus, dabei ging einer der ältesten Teile verloren. Zur Bundesgartenschau 1961 entfernte die Stadt viele Grabsteine und platzierte sie anderswo auf dem Gelände.
Der Moloch Stadt tat alles, um den Hoppenlaufriedhof zu verschlingen. Der Mensch wollte ihm den Garaus machen. Wer wird da noch den Teufel fürchten? Plötzlich kommt Bewegung in das Eichhörnchen: Ein, zwei Sprünge über den vermoosten Rasen, und schon verschwindet es auf einen Baum. Der alte Friedhof hat dem Moloch und dem Menschen getrotzt – und der Stadt einen Raum abgerungen, in dem Tote, Lebende und Eichhörchen gut nebeneinander sein können.
Tipp: Wem nach der inneren Einkehr der Sinn nach Leben und Wärme steht, der kann sich in der Hotel-Bar des benachbarten Maritim einen Cocktail mixen lassen.
Hoppenlaufriedhof /// Rosenbergstraße 7 ///
70174 Stuttgart ///
Maritim Hotel /// Seidenstraße 34 /// 70174 Stuttgart ///
07 11 / 94 20 ///
Es wirkt wie aus der Zeit gefallen. Ein Mann, ein Buch – oder eine Frau, ein Buch. Sonst nichts. Keine Musik, kein Anheizer, keine dummen Sprüche, keine Multimediaschau, kein Brimborium, kein Schnickschnack. Da sitzt jemand und liest vor. Und Hunderte hängen ihm an den Lippen. Willkommen im Literaturhaus.
Stuttgart ist eine Stadt des Buches. Auch wenn sie mit ihren Dichtern nicht immer pfleglich umging. Friedrich Schiller flüchtete bekanntlich. Und der irische Nobelpreisträger Samuel Beckett dichtete während seiner Arbeit für den SDR kritisch über Stuttgart: ›Vergesst nicht beim Stuttgart-Besehen / die Neckarstraße zu gehen. / Vom Nichts ist an diesem Ort / der alte Glanz lange fort. / Und der Verdacht ist groß / hier war schon früher nichts los.‹ Was macht man, wenn nichts los ist? Genau, man liest. Von Beckett geht die Rede, dass er 1977 immer durch die Bundesgartenschau im Schlossgarten spazierte. Den Eintritt entrichtete er brav. Bis ihn eine Kassiererin ansprach, er sei doch ein alter Mann, er müsse nicht den vollen Preis bezahlen. Also bekam er eine Dauerkarte, darauf stand ›Rentner Samuel Beckett‹.
Das zeigt, mit Berühmtheiten geht man hierzulande unaufgeregt um. Vielleicht schrieb deshalb Joachim Ringelnatz 1928 lobend: ›Ja, Stuttgart ist schön, gegen dies scheiß München ein Paris.‹ Arthur Rimbaud kam gar her, um Deutsch zu lernen. Ausgerechnet. Ob er am Ende geschwäbelt hat? Doch man täusche sich nicht, man beherrscht durchaus auch Fremdsprachen. Ob Englisch, Französisch oder Hochdeutsch, das Publikum lauscht aufmerksam. Louis Begley, Richard Ford, Martin Walser, Juli Zeh, KenzaburōŌe, Rafik Schami, Michel Houellebecq und viele andere haben im Literaturhaus gelesen. Und am Tag, bevor sie den Nobelpreis verliehen bekam, stellte Herta Müller hier ihren Roman ›Atemschaukel‹ vor. Ein Erlebnis. Nur eine Frau und ein Buch.
Tipp: Man kann hier den Meistern zuhören, aber auch in Werkstätten sich ausdrücken lernen. Jugendliche schreiben Lyrik, Prosa, Comics oder Songtexte.
Literaturhaus /// Breitscheidstraße 4 /// 70174 Stuttgart ///
07 11 / 2 20 21 73 /// www.literaturhaus-stuttgart.de ///
Ich bin ein Sünder. So denkt der Pietist und glaubt, nur Mühsal bringe ihn Gott näher. Da ist es folgerichtig, dass sich diese gestrenge Spielart des Protestantismus in Stuttgart zu Hause fühlt. Hier kann man schließlich im Diesseits auf den Himmelsleitern dem Paradies entgegen krauchen. 30 Staffeln, Stäffele genannt, und unzählige Stiegen führen vom Kessel hinauf zum Rand. 18.388 Treppenstufen sollen es sein. 18.388 Möglichkeiten, zu bereuen. Mit jedem Tritt kann man Last abwerfen. Erste Stufe, Binokel gespielt, zweite Stufe, Trollinger getrunken, dritte Stufe, geschmunzelt – so schleppt man sich 260 Stufen lang dem Himmelreich entgegen, bis man alle Schuld hinausgeschnauft hat.
Völlig klar, dass da eine Treppe Sünderstaffel heißen muss. Oder ist die Erklärung eine äußerst schaurige? Der Streit zweier Adliger um das schöne Mädchen Hilde soll damit geendet haben, dass Hans Rugger im Jahre 1339 seinen Nebenbuhler erstach. Karl Gerok drechselte daraus fünf Jahrhunderte später seine Moritat ›Die Weinberghalde zum Sünder‹.
Darin schrieb er, Rugger wollte auf dem Land der Väter hingerichtet werden. Unterhalb der Gänsheide. Gerok: ›Dann setzt er sich nieder aufs Mäuerlein, wo sein Vater den Wingert gebauet.‹ Der Henker hieb zu. Gerok: ›Auf Kinder und Kindeskinder, benannt man die Halde zum Sünder.‹
In der Tat steht ganz oben ein Gedenkstein. Eingehauen sind zwei Zitate aus der Bibel. ›Was die Gottlosen gerne wollen, das ist verloren‹, und ›Sündige hinfort nicht mehr‹. Stimmt also die Sage? Helmut Dölker liefert in seinem Buch ›Flurnamen der Stadt Stuttgart‹ eine profanere Erklärung. Er vermutet, der Stein sei der Rest einer Kreuzigungsgruppe. Und der Name der Flur stamme von einem früheren Besitzer, der Sünder hieß. Kein Mord. Wie langweilig. Andererseits, sind in der Hauptstadt des Pietkong nicht alle Sünder?
Tipp: Wer die Pfunde auf der Sünderstaffel purzeln ließ, kann hernach im Café Hüftengold an der Olgastraße 44 einkehren und wieder zu Kräften kommen.
Die Sünderstaffel findet man, wenn man vom Olgaeck kommend
von der Alexanderstraße rechts in die Pfizerstraße abbiegt.
Diese mündet in die Sünderstaffel.
Rüdiger ist gern am Palast der Republik. Und er ist wohlgelitten und bekannt unter all den Studenten, Nachtschwärmern, Nachmittagsbierchentrinkern, Sonnenanbetern und Leuteguckern , die zu dem kleinen Pavillon in der Nähe des Schlossplatzes kommen, der von Weitem eher wie ein Kiosk wirkt. Im Winter passen vielleicht 30 Gäste in das winzige Lokal. Doch an warmen Sommerabenden drängen sie sich dort zu Hunderten, um sich zu treffen, zu quatschen und etwas zu trinken.
Rüdiger hingegen bleibt immer bei Wasser. Manchmal streift er durch die Menge an Menschen, die sich, wenn die Stühle ausgehen, einfach auf dem Boden niederlassen. Vielleicht ist Rüdiger auf der Suche nach einem weiblichen Wesen, das ihm gefällt. Vielleicht aber liebt er es auch nur, die Hitze des aufgeheizten Bodens unter sich zu spüren sowie das aufgeheizte Flirren in der Luft, das zustande kommt, wenn viele Menschen ihre Träume, Erwartungen und Gespräche in die noch junge Nacht schicken.
Früher war die Luft rund um den Palast der Republik weniger angenehm, denn vor dem Krieg war er ein Klohäuschen. Später wurde er zu einer Buchhandlung – heute ist er eine Institution im Stuttgarter Nachtleben.
Obschon dies eigentlich kein schöner Ort ist, um sich niederzulassen. Umgeben von riesigen Bankengebäuden sitzt man auf einer Betoninsel, die von zwei Straßen eingerahmt wird. Auf der einen Seite veranstalten junge Männer mit ihren Autos gern ein Schaufahren – das am Palast, wie die Kneipe liebevoll genannt wird, aber niemanden beeindruckt. Auf der anderen Seite rasen Autos auf dem Cityring vorbei. Ab und an ist auch ein Krankenwagen mit schriller Sirene darunter. Rüdiger hebt seinen Kopf. Dann fängt der Dobermann an, aus tiefster Seele mitzuheulen. Ein Wolf in der Großstadt. Der diesen Platz – wie all die Menschen hier – für seine urbane Wildheit liebt.
Tipp: Einfach dazusetzen. Wo Platz ist, kann man sich niederlassen. Zuvor allerdings muss man sich anstellen und die Getränke am Tresen holen.
Palast der Republik /// Friedrichstraße 27 /// 70174 Stuttgart ///
07 11 / 2 26 48 87 ///
Hurra, sie leben noch! Trotz all der Krisen, die man dem Varieté nachgesagt hat, trotz all der Konkurrenz durch Dinnerzelte, bei denen Jakobsmuscheln zur Jonglage und Zabaione zur Zauberei gereicht werden, können sich Chefin Gabriele Frenzel, Hausregisseur Ralph Sun und ihre Mannschaft in Positur werfen und jubeln: Seit 1994 gibt es das Friedrichsbau-Varieté. Eine Ewigkeit in der Showbranche. Und es erfreut sich bester Gesundheit. Während anderswo die Varietés darben, während im zur gleichen Zeit eröffneten Musical in Möhringen die Neuanfänge kaum zählbar sind.
Ein treues Publikum hat das Varieté. Kein Wunder. Hat das Gewerbe doch große Tradition. In der Rotunde bei der L-Bank ist man zwar erst seit 1994 zu Gast, doch bereits 1900 eröffnete der Friedrichsbau an der Ecke Schloss- und Friedrichstraße. Josephine Baker, Enrico Rastelli, Grock, Charlie Rivel, Joachim Ringelnatz und natürlich Willy Reichert und Oscar Heiler alias Häberle und Pfleiderer traten hier auf. Hier wurden schon Elefanten von der Bühne gezaubert, als von Magier David Copperfield noch keine Rede war.
Am 26. Juli 1944 wurde der Friedrichsbau zerbombt. 1955 schließlich wurde er planiert, um Platz zu schaffen für die Theodor-Heuss-Straße. Das Varieté vagabundierte fortan durch die Stadt. Mal kam es auf dem Killesberg unter, mal in einem Zelt am Schlossgarten. Ehe es 1994 heimkehrte in den Neubau an historischer Stätte: Es ist wieder zu Hause im Friedrichsbau. Und fühlt sich dort pudelwohl. Weil es dort gepflegt und weiterentwickelt wird. Immer noch sind die Großen der Kleinkunst zu Gast. Doch die Nummernrevue, leidlich verbunden durch einen Possenreißer, gehört der Vergangenheit an. ›Zeitgenössisches Varieté‹, so Ralph Sun, präsentiert man im Friedrichsbau und lädt in einen Zaubersalon, zur Burlesqueshow oder zur Rock’n’Roll-Revue. Simsalabim, sie leben noch!