Sugar & Spice - Gefährliche Versuchung - Seressia Glass - E-Book

Sugar & Spice - Gefährliche Versuchung E-Book

Seressia Glass

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im vierten Band der romantischen "Sugar & Spice"-Reihe von US-Autorin Seressia Glass wird die stets brave und perfekte Vanessa von einem atemberaubenden Mann in Versuchung geführt – und ihr Leben verändert sich für immer. Vanessa Longfellow hat seit ihrer Kindheit versucht, die Erwartungen ihrer extrem ehrgeizigen Familie zu erfüllen. Heute ist sie anerkannte Mitarbeiterin an der Herscher-Universität in Crimson Bay, kultiviert, höflich und zuvorkommend. Es gibt nur einen einzigen Ort auf der Welt, an dem sie nicht anständig und vorbildlich sein muss: im Exklusiv-Club Onyx, in dem sie in die Rolle der Mistress Vivienne schlüpft. Ihre Leidenschaft auf diese Weise auszuleben, genießt sie in vollen Zügen. Vanessas geordnete Welt gerät jedoch ins Wanken, als sie im Onyx auf einen Mann trifft, mit dem das sinnliche Spiel eine Intimität und Vertrautheit entstehen lässt, die sie bisher nie gekannt hat. Erst recht, als sie ihm plötzlich außerhalb des Clubs begegnet und er mehr und mehr Interesse zeigt – und zwar nicht nur an Mistress Vivienne, sondern an ihr, Vanessa, mit all ihren Facetten. Vanessa ist hin- und hergerissen zwischen Freude und Angst … Geheime Leidenschaft, drohende Enthüllungen und große Liebe – davon erzählt die US-Autorin Seressia Glass in ihrer sexy Liebesroman-Reihe. In den ersten drei Bänden der Reihe stehen Vanessas Freundinnen Nadia, Siobhan und Audie im Mittelpunkt: drei Frauen, die keine leichte Vergangenheit hatten und die für die wahre Liebe über ihren Schatten springen müssen … Die Liebesroman-Reihe im Überblick: - Band 1: Sugar & Spice – Glühende Leidenschaft - Band 2: Sugar & Spice – Wildes Verlangen - Band 3: Sugar & Spice – Entfesselte Begierde - Band 4: Sugar & Spice – Gefährliche Versuchung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 415

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Seressia Glass

Sugar & Spice – Gefährliche Versuchung

Roman

Aus dem Amerikanischen von Nicole Hölsken und Christiane Sipeer

Knaur e-books

Über dieses Buch

Vanessa führt ein scheinbar perfektes Leben. Ihr Look ist stets tadellos, ihre Karriere als aufstrebende Dozentin an der Herscher University mustergültig. Nur ihre engsten Freundinnen wissen, welch hohen Preis Vanessa dafür zahlt: Sie hat ihr wahres Ich und ihre wahren Gefühle tief in sich verschlossen und lässt niemanden mehr an sich heran. Einen Ausgleich zu ihrem durchgeplanten Alltag findet sie als Mitglied des Exklusiv-Clubs Onyx, in dem sie nachts ihre sinnliche Seite auslebt. Ausgerechnet dort trifft sie auf einen Mann, der ihr geradewegs ins Herz zu schauen scheint …

Inhaltsübersicht

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24DanksagungLeseprobe »Sugar & Spice – Glühende Leidenschaft«Leseprobe »Sugar & Spice – Wildes Verlangen«Die »Sugar & Spice«-Reihe von Seressia Glass
[home]

Kapitel 1

Sie freute sich für ihre Freundinnen.

Wirklich.

Sie freute sich, weil Nadia jetzt glücklich verheiratet war und es tatsächlich noch eingefädelt hatte, dass das Brautstraußwerfen mit einem Heiratsantrag für Siobhan gekürt worden war. Und sie war überglücklich, dass Audie endlich mit ihren zwei Männern wiedervereint war.

Und doch …

Sie war übrig geblieben. Sie, die alle beneideten, weil sie immer alles im Griff zu haben schien. Sie, die Klasse, Erfolg und Gelassenheit ausstrahlte, was schon immer ihr Schutzschild gewesen war. Nur mit dessen Hilfe hatte sie die Enttäuschung ihres Vaters und die Vernachlässigung durch ihre Mutter wegstecken können. Sie, die der Fels in der Brandung für die anderen war und auf die man sich stets verlassen konnte. Sie war all das und noch viel mehr. Und zugleich weniger.

Und doch …

Die vier waren Freundinnen geworden. Jede von ihnen hatte sich von einem Laster befreien müssen – bei Nadia waren es Tabletten gewesen, bei Siobhan Schmerzmittel, bei Audie bedeutungsloser Sex und bei ihr selbst der Alkohol. Seit einigen Jahren waren sie nun schon miteinander befreundet und trafen sich allwöchentlich, um sich gegenseitig zu unterstützen, was sie liebevoll Bitch-Talk nannten. Die anderen drei dachten, ihr gehe es gut.

Und doch …

Nein, sie sollte sich auf das Glück ihrer Freundinnen konzentrieren. Das Gute in allem sehen. Immerhin war sie Vanessa Longfellow und unterrichtete an der Herscher University. Manchmal war sie auch Mistress Vivienne im Onyx, einem exklusiven BDSM-Club. Sie hatte tolle Freunde, im Onyx einen fantastischen Sub und alles in allem ein gutes Leben. Ihr ging es bestens.

Und doch …

Sie wollte einen Drink.

Sie brauchte einen Drink.

Nicht hier bei der Party, wo jeder einzelne Hochzeitsgast nur zu gut wusste, dass sie trockene Alkoholikerin war. Aus demselben Grund hätte sie auch nie an die Hotelbar flüchten können. Womöglich sollte sie nachfragen, ob es hier im Hotel noch ein freies Zimmer gab, das sie spontan buchen konnte – ein Zimmer mit Minibar. Dann würde sie ein Wochenende lang alles vergessen können. Sie würde wieder auf dem Damm sein, sobald sie zurück zur Arbeit müsste, genau wie früher. Niemand würde es je erfahren, niemand wüsste es – außer ihr selbst.

Ja, sie würde es wissen. Und das bedeutete auch, dass sie wüsste: Sie hätte versagt. Ein unerträglicher Gedanke, erst recht, da so viele in ihrer Umgebung nur darauf lauerten, dass sie versagte. Ihr war klar, dass sie schleunigst würde gehen müssen, um einen ihrer Rückzugsorte aufzusuchen: ihr Zuhause … oder das Onyx. Und weil sie zu Hause mit ihren Gedanken allein wäre, entschied sie sich kurzerhand für den Club.

»Du hast doch wohl hoffentlich nicht gedacht, ich hätte dich vergessen, oder?«

Eilig setzte Vanessa ihre Maske wieder auf und strahlte Nadia an. »Du solltest ausgerechnet heute nun wirklich keinen Gedanken an mich verschwenden, Mrs Kaname Sullivan.«

Nadia lachte. »An diesen Namen muss ich mich erst noch gewöhnen! Im beruflichen Umfeld will ich weiter bei Nadia Spiceland bleiben. Freunde und Familie dürfen natürlich gerne beide Namen benutzen, das ist uns egal. Aber apropos Freunde und Familie …« Sie legte Vanessa den Arm um die Schultern. »Du hast hier einen Verehrer.«

Vanessa drehte sich der Magen um. »Ach ja?«

»Ja«, bekräftigte Nadia. »Irgendeine Vermutung, wer es sein könnte?«

Das hatte sie. Beim Probeessen am Vorabend hatte sie ihn offiziell kennengelernt, weil er mit ihr als Teil von Nadias Entourage zum Altar schreiten sollte: Nadias ältesten Bruder Sergey. Obwohl er mittlerweile Nadias Wohnung über dem von Nadia und Siobhan geführten Café Sugar & Spice bezogen hatte, kannten sie einander nur flüchtig vom Sehen. Doch als sie am Vorabend neben ihm gestanden und sich bei ihm untergehakt hatte, hatte ein merkwürdiges Déjà-vu-Gefühl von ihr Besitz ergriffen.

Alles an ihm war ihr vertraut vorgekommen. Die Breite seiner Schultern, die Art, wie er das Kinn leicht vorschob, dann dieses zufriedene Lächeln … und wie er sich während der Generalprobe für Nadias Hochzeit auf sie – Vanessa – konzentriert hatte.

Unwillkürlich hatte sie an Sam denken müssen, ihren Sub aus dem Onyx, dem sie bislang immer nur im Club begegnet war. Sie hatte an die Breite seiner Schultern und an die Art denken müssen, wie er das Kinn immer leicht vorschob … an das Lächeln auf seinen Lippen, wenn sie ihn lobte … und daran, wie er die Hände zu Fäusten ballte, sobald sie seinen nackten Rücken mit dem Flogger bearbeitete …

In den vergangenen Wochen hatte sich ihre Beziehung vertieft, was angesichts des Umstands, dass er im Club eine Maske und sie Perücken und farbige Kontaktlinsen trug, durchaus eine seltsame Aussage war. Doch sie hatten beide ihre Gründe, sich zu verkleiden, da war sie sich sicher, auch wenn sie ihn nach seinen Motiven nie gefragt hatte. Vielleicht hatte er verhindern wollen, dass sie ihn als den Bruder ihrer Freundin wiedererkannte?

»Keine Ahnung«, murmelte sie, als ihr auffiel, dass Nadia immer noch gespannt auf eine Antwort wartete. Sie hatte zwar eine starke Vermutung, aber keine handfesten Beweise.

»Dann gebe ich dir einen Hinweis«, sagte Nadia und grinste schelmisch. »Er ist groß, dunkler Teint, ziemlich gut aussehend und stand heute mit dir und den anderen Brautjungfern am Altar. Ach ja, und er ist mein großer Bruder.«

»Sergey!« Sie schloss kurz die Augen, als ihr dämmerte, was das bedeutete, und wunderte sich im selben Moment, warum sich ihr Magen zusammenkrampfte, sowie sie seinen Namen laut aussprach.

Vanessa musste sich eingestehen, dass sie die Schmetterlinge bereits gespürt hatte, als sie am Vorabend bei der Generalprobe einfach nur neben ihm gestanden hatte – und dann heute wieder, als er im Frack erschienen und neben ihr hergegangen war. War das Panik oder Aufregung gewesen? Sie war sich nicht sicher. Sie war sich bei gar nichts mehr sicher – und genau das war es auch, was ihr das durstige Kribbeln in ihrer Kehle beschert hatte.

»Wie kann dein Bruder mein Verehrer sein, wenn er mich doch gar nicht kennt?«

In Nadias Augen blitzte es. Es war ihr Hochzeitstag, aber ganz offensichtlich genoss sie die Rolle als gute Fee, die ihren Brautjungfern den einen oder anderen Wunsch erfüllte. »Anscheinend hast du gestern Abend einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen.«

Gestern Abend. Das Probeessen. Als sie Nadias Brüdern Sergey und Anton offiziell vorgestellt worden war. Bei der Gelegenheit hatte sie auch erfahren, dass Sergey mittlerweile Sergeant bei der Herscher-Campuspolizei war. Außerdem hatte sie festgestellt, dass er einen Sinn für Humor hatte und wesentlich besser aussah als bloß »ziemlich gut«.

»Einen bleibenden Eindruck?«, echote sie. »In fünfzehn Minuten?«

»Wieso überrascht dich das? Du bist eine kluge, schöne Frau, und mein Bruder ist bestimmt eine Menge, aber weder blöd noch blind.«

Sergey war auf jeden Fall eine Menge – zum Beispiel faszinierend. Das hatte sie am Vorabend beim Small Talk mit ihm festgestellt. Sie hatte sein leises Seufzen gehört, als sie ihm die Hand auf den Arm gelegt hatte. Er hatte sich ganz dezent an sie geschmiegt und sie während des Essens nicht aus den Augen gelassen. Und so wie er ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte, war er aller Wahrscheinlichkeit nach … ihr Sam.

Aber ahnte er seinerseits, dass sie Mistress Vivienne war? Nicht nur trug sie im Club eine Perücke und ihre farbigen Kontaktlinsen; sie imitierte dort außerdem einen Pariser Akzent. Ihre Tarnung war so perfekt, wie sie es mittels ihres analytischen Verstandes zustande brachte. Wodurch hätte sie da ihre wahre Identität verraten können?

Audie! Nessa unterdrückte ein Stöhnen. Ihre temperamentvolle, rothaarige Freundin war einfach nicht zu übersehen und hatte ihre wahre Identität im Onyx nie verheimlicht. Und weil Audie während Vanessas Ausbildung deren Bottom gewesen war, konnte wohl jeder, der sie außerhalb des Clubs zusammen sah, ganz leicht eins und eins zusammenzählen.

»Direkt nach der Zeremonie meinte er: ›Ich werd mich übrigens an deine Freundin Vanessa ranmachen. Versuch gar nicht erst, mich aufzuhalten.‹ Klang ziemlich draufgängerisch.« Nadia neigte den Kopf leicht zur Seite. »Also frage ich mich jetzt natürlich, ob ich aus dem Weg gehen oder ihm gegen’s Schienbein treten soll – wie damals, als ich neun war.«

Sobald Nessa sich Nadia als wütende Neunjährige vorstellte, musste sie unwillkürlich lächeln. »Nein, brauchst du nicht, auch wenn dein Vorschlag mich amüsiert.«

»Wieso? Er ist mein Bruder, und du bist meine Freundin. Ich hab euch beide lieb.«

»Sicher, dass du ihn nicht lieber vor deiner Alkoholikerfreundin warnen willst?«, fragte Nessa und meinte es wirklich ernst.

»Wenn das der Fall wäre, würden wir diese Unterhaltung hier gar nicht erst führen.« Nadia nahm ihre Hand. Ihr brandneuer Ehering funkelte mit dem Verlobungsring um die Wette. »Ob du ihm von deiner Sucht erzählen willst oder nicht, ist ganz allein deine Sache. Aber du wirst überrascht sein, wie verständnisvoll und hilfsbereit er sein kann. Er hat genau wie du schon einiges durchgemacht – wie wir alle. Er ist ein toller Typ und ein noch tollerer Bruder, und das habe ich ihm tatsächlich auch schon mehrmals gesagt. Du musst ihm nur signalisieren, ob du Interesse an ihm hast oder nicht.«

Sie hatte Interesse, aber …

»Was, wenn es nicht funktioniert? Ich will unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen.«

Nadia schmunzelte. »Ach, und was, wenn es funktioniert? Wenn du interessiert bist, sag es ihm einfach. Du hast ein bisschen Spaß verdient – und er im Übrigen auch. Erzähl einfach beim Bitch-Talk keine Details aus eurem Sexleben, und erzähl mir um Himmels willen bloß nicht, dass du ihn irgendeines fernen Tages mit in deinen Sexclub nimmst! Okay?«

Zu spät …

»Was hättest du mir denn geschenkt, wenn dein Bruder sich nicht freiwillig angeboten hätte?«, fragte Nessa stattdessen.

»Ich habe für euch alle übers Wochenende die Suite reserviert und einen Besuch im Spa gebucht«, antwortete die frischgebackene Braut. »Ich weiß schon, du entspannst dich im Club, aber ich dachte, eine andere Methode würde sicher auch nicht schaden. Dann hat Sergey mich beiseitegenommen, und da ist mir klar geworden, dass er ein noch viel besseres Geschenk sein könnte.« Sie nahm Vanessa in die Arme. »Und jetzt entschuldige mich bitte, ich muss mit meinem Ehemann tanzen, bevor der mich entführt und schlimme Dinge mit mir macht.«

Am Rand der Tanzfläche versuchte Nessa, sich den Anschein von Ausgeglichenheit zu geben. Sergey wollte sie also kennenlernen … und Nadia hatte ihrem Bruder bereitwillig den Weg frei gemacht. Jetzt würde Nessa sich entscheiden müssen, ob ihr Interesse Taten nach sich ziehen sollte oder lieber nicht.

Ihr analytischer Verstand wägte Pro und Kontra ab. Lehre, Forschung, Publikationen – den Großteil ihrer Zeit war sie damit beschäftigt. Andere Clubbesucher im Onyx zu dominieren, war ihr willkommener Ausgleich und kostete sie einen beträchtlichen Teil ihrer Freizeit. Aber vielleicht wäre es ja tatsächlich an der Zeit für mehr; vielleicht wäre eine Beziehung jenseits der schützenden Clubmauern ja genau jene Art Ausgleich, die sie insgeheim brauchte. Womöglich würde sie sonst auch nicht allein am Rand dieser Tanzfläche stehen und diesen vermaledeiten, grässlichen Durst verspüren.

Ihr lief ein Schauder über den Rücken. Ganz ohne aufzublicken, wusste sie, dass Sergey sich zu ihr gesellt hatte. Seine Anwesenheit umhüllte sie mit Wärme und Sinnlichkeit wie eine Decke aus warmer Seide, die sich um ihren nackten Körper schmiegte. Vielleicht lag es am Frack. Oder an seiner Größe. Vielleicht lag es auch an der Art, wie er sie ansah, oder an seinen Augen, die die Farbe von exklusivem Whiskey hatten. Oder es war die Kombination aus allem, die ihr den Atem raubte. Dann lächelte er, und verdammt, dieses Lächeln machte sie richtig an.

»Hallo noch mal, Vanessa.«

»Hi, Sergey.« Groß, dunkel und gut aussehend beschrieb ihn schon ganz treffend. Ohne Absätze war sie eins achtundsiebzig groß, aber selbst jetzt, da sie Stilettos trug, überragte er sie um mehrere Zentimeter. Sein kräftiges braunes Haar war von Gold- und Kupferfäden durchzogen und schrie regelrecht danach, die Hände darin zu vergraben, sich daran festzuhalten, seinen Kopf in den Nacken zu ziehen, um ihm dann langsam über den Hals zu lecken und noch langsamer daran zu knabbern …

»Vanessa?«

Sie blinzelte und stellte mit einiger Verzögerung fest, dass er sie etwas gefragt hatte. »Entschuldigung! Was hast du gesagt?«

Er streckte ihr die Hand entgegen. Dieses verdammte Lächeln zog sie magisch in seinen Bann.

»Möchtest du tanzen?«

Das war er. Das war der Augenblick. Bleiben oder gehen. Ja oder nein. Es riskieren oder verzichten. Sie hätte nicht die Karriere, die sie hatte, wenn sie sich damals nicht getraut hätte, MINT-Fächer zu studieren. Andererseits hätte sie auch nicht die Probleme, die sie hatte, wenn sie vor vielen Jahren den ersten Schluck Wein abgelehnt hätte.

Sergey stand vor ihr und streckte ihr noch immer geduldig die Hand entgegen. Der Durst flaute ab und machte allmählich einem anderen Verlangen Platz.

Sie legte ihre Hand in seine. »Sehr gerne.«

***

Sergey wusste, dass im Ballsaal noch andere anwesend waren. Auch andere Frauen. Verdammt attraktive Frauen.

Trotzdem hatte er nur noch Augen für Vanessa, die Freundin seiner Schwester. Er war sich ihrer Anwesenheit nur zu deutlich bewusst, seit er am Vorabend beim Probeessen aufgetaucht war. Nachdem eine Auseinandersetzung auf dem Campus das Ende seiner Schicht leicht verzögert hatte, war er in aller Eile und immer noch gestresst zur Generalprobe erschienen. Doch dann war er direkt am Eingang wie vom Donner gerührt stehen geblieben. Ihr Anblick und der Klang ihres Lachens hatten ihn elektrisiert. Es hatte ihn überwältigt und ihm sofort ein besseres Gefühl beschert, ihn neugierig gemacht und in ihm das Verlangen entzündet, mehr von diesem Lachen aus ihr herauszukitzeln.

Er kannte die Freundinnen seiner Schwester von deren Social-Media-Profilen, aber bislang war er nur einer Einzigen von ihnen persönlich begegnet. Seit er nach Crimson Bay gezogen war, hatte er seine Zeit statt mit geselligen Treffen überwiegend damit verbracht, in der Wohnung über dem Sugar & Spice seine Wunden zu lecken, nachdem sein Leben in San Diego wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen war. Außerdem hatte er versucht, sich über seine nächsten Schritte klar zu werden. Audie war er nur deshalb begegnet, weil Nadia ihn vor einer Weile bekniet hatte, ihre Freundin nach allen Regeln der Cop-Kunst auf ein Gerichtsverfahren gegen einen tätlichen Angreifer vorzubereiten. Den anderen war er nie vorgestellt worden. Es war eine Überraschung für ihn gewesen, Audie im Onyx-Club wiederzusehen, doch die viel größere Überraschung war die Frau mit dem dunklen Bronzeteint, die dort bis vor Kurzem noch Audies Domse gewesen war.

Er hatte bereits gemutmaßt, dass es sich bei Vanessa um Mistress Vivienne handelte – und zwar seit er sie im Club erstmals angesprochen hatte. Sie hatte ihre Identität stets mithilfe einer akkurat geschnittenen, kinnlangen Bob-Perücke kaschiert, mit violetten Kontaktlinsen, einem französischen Akzent und jeder Menge Leder. Mistress Vivienne schien das genaue Gegenteil der kühlen, beherrschten Uni-Dozentin zu sein, aber von ihrer Größe, der schlanken Figur, der makellosen Haltung und ihren geschwungenen Wangenknochen konnte sie ebenso wenig ablenken wie von der kleinen Narbe an der linken Schulter und dem Muttermal unter dem rechten Ohr.

Trotzdem war er sich nicht ganz sicher gewesen – bis Vanessa ihm tags zuvor bei der Generalprobe die Hand in die Armbeuge gelegt hatte. Die Berührung hatte ihn erwischt wie ein Blitzschlag. Er war augenblicklich hart geworden und hätte sich am liebsten auf die Knie gekauert. Eine einzige Berührung hatte gereicht, und er hatte Bescheid gewusst. Die Frau, unter deren Flogger er sich wand, und die kühle Dozentin waren ein und dieselbe Person.

Er hatte sie direkt nach dem Probeessen gegoogelt. Vanessa Longfellow gab an der Herscher diverse naturwissenschaftliche Kurse und Seminare, hatte Aufsätze über die Wahrscheinlichkeit von organischem Leben auf fremden Planeten verfasst, sprach bei Konferenzen, trat in Wissenschaftssendungen auf und war die älteste Tochter einer wohlhabenden Familie aus Michigan. Eigentlich spielte sie in einer anderen Liga. Ach was. Nicht nur eigentlich. Wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, dass sie seine Domse war, und seine Schwester ihn nicht so bereitwillig dazu ermutigt hätte, hätte er nicht einmal ansatzweise darüber nachgedacht, sich an sie ranzumachen. Aber jetzt konnte er nicht mehr anders.

Sergey führte Vanessa auf die Tanzfläche. Der DJ legte eine Ballade auf, was für ihn Grund genug war, um sie näher an sich heranzuziehen. Sein Verdacht erhärtete sich, sowie sie ihren Körper an seinen schmiegte: Vanessa Longfellow war seine Mistress Vivienne.

Die Gewissheit verlieh ihm neuen Mut. »Ich habe gesehen, wie du mit Nadia geredet hast. Hat sie dir gesagt, dass ich gern mal mit dir ausgehen würde?«

Sie legte den Kopf leicht in den Nacken und sah zu ihm hoch. »Ich glaube, das Zitat lautete eher: ›Ich will mich an deine Freundin ranmachen.‹ Oder so ähnlich.«

Oh, ja. Sie zog die Augenbraue auf dieselbe Art hoch wie Mistress Vivienne.

»Und – hat sie dir zur Flucht geraten?«

»Nein. Nadia hält große Stücke auf dich. Und selbst wenn sie mich gewarnt hätte – ich bin eine Frau, die ihre eigenen Entscheidungen trifft.«

»Solche Frauen mag ich.«

»Ach ja?« Sie sah ihn erneut an, und jeder Blick fühlte sich an wie ein Punch in die Magengrube. Ihr dunkles Haar hatte sie rund um einen rot-weißen Blumenschmuck hochgesteckt, was ihr ausdrucksstarkes Gesicht zusätzlich betonte. Ihre vollen Lippen und die Fingernägel waren so leuchtend rot wie ihr Kleid, auch wenn sie im Club lieber Violett trug. An den Ohren schimmerten Perlenstecker, und eine vereinzelte Perle an einer Goldkette lag in der Kuhle an ihrem Hals.

Sie war eine atemberaubende Frau. Aber das wirklich Fesselnde und Hypnotisierende an ihr waren die Augen: Sie waren dunkel und beseelt, konnten in einem Moment warm und offen dreinblicken und im nächsten Moment unterkühlt und reserviert wirken. Ihr Blick erzählte eine Geschichte, die sie unter Garantie nicht jedem auf die Nase band.

Einen solchen Blick hatte er bei der Arbeit schon öfter erhascht … und auch beim Blick in den Spiegel hatte er ihn mitunter gesehen.

»Zumindest würde ich es gerne herausfinden«, sagte er, als der Song zu Ende war. Sie blieben auf der Tanzfläche stehen. Weder ließ er sie los, noch machte sie einen Schritt von ihm weg. »Hast du dir, was mich angeht, schon eine Meinung gebildet?«

Ihre üppigen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Wenn Sie diesen Fall gewinnen wollen, Sergeant Spiceland, dann müssen Sie mir mehr Beweise vorlegen.«

Er konnte sich nicht erinnern, dass sein Dienstrang erwähnt worden wäre, als Nadia sie einander vorgestellt hatte. Hieß das, dass auch sie Nachforschungen über ihn angestellt hatte? Er war sich nicht sicher, ob das gut oder schlecht war, aber nachdem sie immer noch vor ihm stand und lächelte, konnte das Ergebnis ihrer Recherche nicht ganz schlecht gewesen sein.

»Ja, Ma’am. Ach ja, und ich sollte wohl fragen, ob du lieber Doktor Longfellow oder ganz anders genannt werden willst.«

Einen elektrisierenden Augenblick lang glaubte er, sie würde von ihm verlangen, sie Herrin zu nennen. Stattdessen lächelte sie noch breiter.

»Meinen Doktortitel zücke ich eigentlich nur, wenn ich damit jemanden k.o. schlagen will. Nenn mich Vanessa. Vorerst.«

Vorerst. Das bedeutete doch, dass er sich die Gelegenheit würde verdienen dürfen, sie anders zu nennen. Er würde alles tun, was sie verlangte, um sich diese Belohnung zu erarbeiten.

»Danke. Und … bist du mit jemandem zusammen, Vanessa?«

Sie dachte kurz nach. »Nein, im Moment bin ich in keiner Beziehung.«

Das war bestimmt nicht gelogen. Trotzdem war seinem inneren Cop ihr kurzes Zögern aufgefallen, und am liebsten hätte er sofort genauer nachgefragt. Offensichtlich konnte man das, was sie mit ihm als Sub machte, nicht als Beziehung bezeichnen; trotzdem schien sie sich ihm – Sam – verbunden zu fühlen.

Fast hätte er sich ihr an Ort und Stelle zu erkennen gegeben, doch als sie ihm die Hand auf den Arm legte, verflüchtigte sich der Gedanke.

»Ja, Ma’am?«

»Willst du mich denn nun zu einem Date einladen, Sergey?«

Er wollte mehr als das. Viel mehr. Genau wie Sam mehr von Mistress Vivienne wollte. Doch der Hochzeitsempfang seiner Schwester war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, um ihr das zu gestehen. Er würde ganz geduldig darauf hinarbeiten. »Hast du denn Zeit, noch heute Abend mit mir essen zu gehen?«

Bedauern lag in ihrem Blick. »Leider hab ich heute schon etwas vor.«

»Verstehe.« Und das tat er wirklich. Immerhin war Samstag, und Samstag hieß Onyx-Club. Wenn Mistress Vivienne dort auftauchte, würde Sam ebenfalls da sein. Dann wäre es eben eine andere Art Date.

»Ach, wirklich? Ich bin nämlich auch am Abend noch als Brautjungfer im Einsatz. Eine von uns muss schließlich so lange bei der Feier bleiben wie das glückliche Paar, und Siobhan und Audie sind mit ihren eigenen Happy Ends beschäftigt.«

»Ach so … Na ja, dann gebietet es mir meine Ehre als Bruder der Braut, ebenfalls zu bleiben und dir zu helfen. Wir könnten danach noch einen Kaffee trinken und was Süßes essen. Aber wenn du lieber ein andermal ausgehen willst – wann würde es dir denn passen? Normalerweise arbeite ich unter der Woche tagsüber, aber am nächsten Freitag hab ich zum Beispiel Spätschicht …«

»Da fällt uns sicherlich noch was ein. Aber die Party ist ja noch längst nicht vorüber, und der DJ hat gerade den Song dieses Sommers aufgelegt! Was meinst du – kannst du mit mir mithalten?«

Bei den ersten Klängen des Sommerhits stürmten alle, selbst die zwei Brautväter Nicholas und Victor, begeistert die Tanzfläche. Sergey nahm Vanessas Hand und wirbelte sie zu einer Drehung herum.

»Liebend gern«, gestand er, als er sie auffing. »Ich hoffe nur, du kannst mit mir mithalten.«

Ihr fröhliches Lachen war schier berauschend – eine der vielen Belohnungen, die er sich an diesem Tag noch verdienen wollte.

[home]

Kapitel 2

Vanessa versuchte, sich daran zu erinnern, wann sie zuletzt so viel gelacht, so lange getanzt hatte und so entspannt gewesen war. Nicht einmal wenn sie mit ihren Freundinnen zusammen war, hatte sie das Gefühl, ganz sie selbst sein zu können. Bei Sergey konnte sie die Deckung fallen lassen und einfach Spaß haben. Vielleicht hatte das mit seinem Background als Gesetzeshüter zu tun, vielleicht mit seiner Persönlichkeit – aber woran auch immer es lag, sie ließ es geschehen.

Sie freute sich, als er ihr half, die persönlichen Dinge einzusammeln, die Nadia und Kaname während der Trauung gebraucht hatten – darunter auch Nadias Kleid. Die beiden Spiceland-Väter packten ebenfalls mit an; sie allein hätte es unmöglich schaffen können. Es war bereits dunkel, und die meisten Gäste waren längst nach Hause gegangen, als der Hotelpage die letzte Tasche für sie in den Kofferraum stellte. Bei dem Gedanken, dies alles jetzt auch noch in ihr Haus schleppen zu müssen, ehe sie sich endlich etwas Bequemeres anziehen durfte, fühlte sie sich gleich umso erschöpfter.

Nicholas Spiceland zückte seine Brieftasche, um dem Pagen ein Trinkgeld zu geben.

»Sergey«, sagte er dann, »könntest du Vanessa hinterherfahren und ihr mit den Sachen helfen? Es war ein langer Tag.«

»Natürlich, Sir.« Sergey wandte sich zu ihr um. »Oder hast du etwas dagegen?«

Es gefiel ihr, dass Sergey lieber nachfragte, als einfach vorzupreschen. »Nein, im Gegenteil. Danke.«

Nicholas Spiceland warf seinem Ehemann Victor einen vielsagenden Blick zu. Victor war das genaue Gegenteil von Nicholas: warmherzig und liebevoll, während Nicholas selbst auf den ersten Blick eher reserviert wirkte. Ihre Liebe und Zuneigung zueinander und zu ihren Kindern hätten in Vanessa glatt Eifersucht aufkeimen lassen, hätten die beiden sie, Siobhan und Audie nicht ebenfalls als Teil der Familie angesehen – und sie behandelten sie auch entsprechend. Angesichts des sehr kühlen Verhältnisses zu ihren eigenen Eltern war das liebenswerte Willkommen der Spicelands Balsam für Vanessas liebeshungrige Seele und ein Bollwerk gegen das quälende Verlangen nach elterlicher Anerkennung, mit dem sie sich immer noch herumschlug und mitunter quälte.

Allerdings war ihr eines klar: Es wäre für die zwei Männer eine Sache, dass ihre Tochter mit einer Alkoholikerin befreundet war; die ganz andere Sache wäre sicherlich, wenn sie mit ansehen müssten, dass ihr Sohn mit ebendieser Alkoholikerin zusammenkäme. Ob die zwei Spiceland-Daddys dann immer noch so verständnisvoll wären, wenn die Sache zwischen Sergey und ihr so weit ginge, wusste Nessa beim besten Willen nicht.

Als der Parkservice ihren Wagen vorfuhr, drehte sich Victor mit einem strahlenden Lächeln zu ihr um, breitete die Arme aus – »Drück uns mal!« –, und sie ließ sich von ihm fest umarmen.

»Danke für alles, was du getan hast«, flüsterte er, »und damit meine ich nicht nur, dass du Nadias Brautjungfer warst. Ich habe unseren Serjoscha seit Monaten nicht mehr so lächeln sehen.«

»Nichts zu danken«, erwiderte sie gerührt und wusste gar nicht, was sie sagen sollte. Bei der Party hatte sie sich dank Sergey besser amüsiert, als es sonst der Fall gewesen wäre.

»Wir sind morgen noch in der Stadt«, meinte Nicholas. »Wenn du Zeit hättest, würden wir gern noch mal mit euch allen zu Mittag essen, bevor wir wieder heim nach San Francisco müssen.«

Sie hätte eigentlich einen Artikel schreiben sollen; aber die Möglichkeit, mit den Spicelands Zeit zu verbringen, durfte sie nicht verstreichen lassen. »Seid ihr euch sicher, dass ihr nicht nur ein Männeressen mit euren Söhnen ausrichten wollt? Ich will wirklich nicht das fünfte Rad am Wagen sein …«

»Bist du nicht«, beteuerten alle drei Männer wie aus einem Mund, und im selben Moment dämmerte Nessa, woher Sergey seine guten Manieren hatte.

»Außerdem«, fügte Nicholas hinzu, »ist Anton ohnehin schon abgereist. Er musste zurück nach Los Angeles, um zu arbeiten.«

Nadias und Sergeys Bruder Anton war in Hollywood ein gefragter Stuntman. Wenn er gerade keine Filme drehte, ging er seinen aufregenden Hobbys nach: dem Fallschirmspringen oder Drachenfliegen.

Victors ausdrucksstarkes Gesicht verfinsterte sich kurz, und Nessa fragte sich, ob es mit dem jüngeren Sohn der Spicelands Schwierigkeiten gab. Nach ihrer flüchtigen Begegnung mit ihm zu urteilen, hatte er die ruhige, zurückhaltende Art von Nicholas geerbt und schier zum Äußersten getrieben. Schwer zu glauben, dass jemand so tief in sich Ruhendes bei der Arbeit und in der Freizeit ein derartiger Adrenalin-Junkie war.

»Wie auch immer – hoffentlich sehen wir uns morgen. Wir haben so selten die Gelegenheit!«

Nessa sah die beiden öfter als ihre eigenen Eltern. Die Gründe dafür hatten nichts mit der geografischen Entfernung zu tun. »Ich bin gerne dabei!«

Die beiden Männer stiegen in ihren Wagen und fuhren winkend davon. Sobald sie außer Sicht waren, drehte Sergey sich zu Vanessa um. Er hob die Hand, als wollte er sie berühren, ließ es dann aber bleiben. Trotzdem fühlte es sich an, als hätte er sie gestreichelt.

»Wenn du morgen schon etwas vorhast, musst du nicht zum Lunch kommen. So bräuchtest du dich auch nicht dem Verhör meiner Dads auszusetzen.«

»Das macht mir nichts aus«, erwiderte sie lächelnd. »Es ist doch schön, dass sie sich Gedanken machen.«

Er nickte, als wollte er sich ihre Antwort für später merken. »Wenn du noch eine Minute wartest, hol ich mein Auto und fahr dir nach.«

»Hört sich gut an.«

Er half ihr hinters Steuer, wartete, bis sie sich angeschnallt hatte, schob die Tür für sie zu und joggte hinüber zum Parkplatz. Nessa rieb mit beiden Händen über das lederbezogene Lenkrad und fragte sich, was wohl passieren würde, wenn sie bei ihr zu Hause angekommen wären. Das Interesse, das früher am Abend zwischen ihnen aufgekeimt war, hatte sich beim Tanzen in Begierde verwandelt. Wenn er bloß Nadias Bruder Sergey gewesen wäre, hätte sie den Abend mit einem Abschiedskuss und einer Verabredung fürs Wochenende ausklingen lassen. Aber nachdem er ihr Sam war …

Sie hörte eine Hupe. Im Rückspiegel sah sie, wie Sergey ihr zuwinkte. Sie ließ den Wagen an und fuhr von der Hotelzufahrt auf den Bay Highway, der an der Küste entlangführte.

Während der kurzen Heimfahrt grübelte sie fieberhaft, durchdachte sämtliche Optionen, ging alle Eventualitäten durch und wägte die potenziellen Konsequenzen einer Beziehung mit Sergey vor dem Hintergrund ihrer Vergangenheit ab.

Die Fakten sprachen nicht gerade für sie. Unter ihren Freundinnen galt sie als die Nette, Zuverlässige. Doch keine von ihnen hatte sie früher erlebt, als sie noch Wodka in sich hineingekippt hatte wie Mineralwasser. Sie war am College eine hoch funktionale Alkoholikerin gewesen – bis sie kurz davorgestanden hatte zu promovieren und ihre Karriere aufs Spiel setzte, noch ehe die überhaupt begonnen hatte. Ihre Großmutter half ihr, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, und seitdem war sie nur ein einziges Mal rückfällig geworden. Und auch da war die Großmutter ihre Rettung gewesen.

Seit sie ihr Leben in Michigan hinter sich gelassen und in Crimson Bay ein neues angefangen hatte, war sie trocken.

Inzwischen feilte sie seit einigen Jahren an ihrem Image der brillanten Wissenschaftlerin, die vor jungen Leuten inspirierende Vorträge hielt und ihnen erklärte, wie sie in den sogenannten MINT-Fächern am besten Karriere machen konnten. Es fiel ihr zusehends leicht, dieses neue Ich zu akzeptieren, selbst wenn es ihr hin und wieder noch wie ein schlecht sitzendes Kostüm vorkam, in dem ihre Haut juckte.

Trotzdem führte sie dank ihrer Freunde und ihrer Aktivitäten an der Uni ein erfülltes Leben. Hin und wieder nahm sie an Fakultätsfeiern teil und hatte sogar Dates. Einer festen Beziehung stand sie nach ihrer gescheiterten Verlobung allerdings eher skeptisch gegenüber. Trotzdem konnte es sicher nicht schaden, öfter als einmal wöchentlich in der kontrollierten Unartigkeit des Clubs einen Ausgleich zu suchen …

Vor dem Tor ihrer bewachten Reihenhaussiedlung betätigte sie den Öffner. Sergey war direkt hinter ihr.

Sie mochte die Enclave at Bayview. Hier wohnten hauptsächlich junge Berufstätige und Universitätsmitarbeiter, die Atmosphäre war freundlich, die Nachbarn nicht allzu neugierig – und die namensgebende Aussicht über die Bucht war auch nicht zu verachten. Hier durfte sie gerade so anonym oder gesellig sein, wie sie wollte.

In der Garage ließ sie genügend Platz, damit auch Sergey seinen Wagen abstellen konnte. Sie wartete, bis er den Motor abgestellt hatte, dann öffnete sie den Kofferraum und stieg aus.

»Tolle Wohngegend«, stellte er fest, als er ebenfalls ausgestiegen war. »Und wenn ich richtig informiert bin, ist die Verbrechensrate hier sehr niedrig, es gibt nur wenige häusliche Zwischenfälle …«

Sie nahm Nadias Brautkleid aus dem Kofferraum und steuerte eine Sicherheitstür an. »Und ich dachte, du bist bei der Campuspolizei?«

»Manchmal helfen wir auch bei anderen Einsätzen aus.« Er griff sich ein paar Tüten aus Vanessas Kofferraum. »Aber in erster Linie hab ich mich gleich zu Anfang schlaugemacht, ob die Stadt, in der meine Schwester und ihre Freundinnen zu Hause sind, auch wirklich sicher genug für sie ist.«

»Diese Stadt ist inzwischen doch auch dein Zuhause«, bemerkte sie und schaltete die Alarmanlage aus.

Er lächelte sie warm an. »Das glaube ich langsam auch.«

Sie brachten alles in ein kleines Zimmer im Erdgeschoss, das Nessa als Büro benutzte.

»Danke für deine Hilfe«, sagte sie, hielt ihm den Kleidersack mit Nadias Hochzeitskleid hin, und er hängte ihn an die Tür.

»War mir ein Vergnügen.«

Sie schnaubte. »Na ja, Vergnügen würde ich das vielleicht nicht nennen, aber ich weiß die Mühe zu schätzen. Das Tanzen und Lachen auch. Ich hab mich heute sehr wohlgefühlt in deiner Gesellschaft.«

»Vielen Dank, Ma’am. Das Kompliment gebe ich gerne zurück: So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr.«

»Ich auch nicht …« Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Er war aus seinem Frack geschlüpft, hatte die Krawatte abgelegt und die Ärmel hochgekrempelt. Die lässige Eleganz fand sie überaus anziehend. »Danke auch dafür.«

Er sah hinab auf ihre Hand. Sie spürte, wie sich seine Armmuskulatur anspannte. Dann legte er seine Hand auf ihre. Hitze strömte ihr von den Fingern durch den Arm direkt ins Herz, das binnen eines Wimpernschlags zu rasen begann.

Langsam hob er den Blick und sah ihr in die Augen. »Ich sollte jetzt wohl gehen.«

Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet, aber die Zurückhaltung in seinen Worten überraschte sie nicht. Sie machte einen kleinen Schritt auf ihn zu.

»Wahrscheinlich … Aber das willst du nicht, oder?«

»Nein.«

»Was willst du, Sergey?«

Er schlug die Augen nieder, sodass sie seine dichten Wimpern bewundern konnte. Als er die Augen wieder öffnete, funkelten sie begierig.

»Ich will dich küssen.«

Einem anderen Wunsch, einem offensiveren, hätte sie vielleicht widerstehen können. Aber seine Bitte nach einem einfachen Kuss entfachte ein tiefes Verlangen in ihr, und sie wusste, dass ihr erster Kuss alles andere als harmlos sein würde.

Sie schlang ihm die Arme um den Nacken.

»Na, dann los«, befahl sie ihm. »Dann küss mich.«

***

Sergey musste sich zusammenreißen, um Vanessa nicht in seine Arme zu reißen und um den Verstand zu küssen. Doch er ahnte intuitiv, dass dies die falsche Herangehensweise wäre. Bestimmt erwartete sie ein so impulsives Verhalten, würde es vielleicht sogar begrüßen und gut finden. Mistress Vivienne hingegen würde von ihm erwarten, ihr den gebührenden Respekt zu erweisen, und dazu musste er sich zusammennehmen. Außerdem wollte er den Moment auskosten und jede Sekunde genießen, für den Fall, dass es nicht noch einmal so weit käme.

Er legte ihr beide Hände an die Wangen, und sie sah zu ihm hoch. Ihr Lächeln verblasste, und ihr Blick wurde weich, als er ihre Wangen streichelte. Es kam ihm vor, als hätte er eine Ewigkeit darauf gewartet, sie auf diese Weise berühren zu dürfen, sie so festzuhalten – und jetzt wollte er nichts überstürzen.

»Ich dachte, du wolltest mich küssen«, flüsterte sie und schmiegte sich an ihn.

»Das will ich auch. Aber du sollst mich auch küssen.«

Er berührte ihre Lippen kurz mit seinen, einmal, zweimal, dann noch einmal, und jedes Mal durchzuckten ihn kleine Stromschläge. Beim letzten Mal meinte er, ein fast schon ungeduldiges Schnauben zu hören, dann schob sie ihm die Hand ins Haar, zog ihn zu sich herunter und erwiderte seinen Kuss.

Oh, ja. Er ließ die Hände über ihre Taille gleiten und hielt sie fest, während der Kuss immer intensiver wurde. Sie hatte seit dem Abend den Lippenstift nicht mehr nachgezogen, und ihre Lippen waren weich, voll und süß. Dann öffnete sie halb den Mund und fuhr mit der Zunge über seinen Mundwinkel. Die halbe Erektion, die ihn den ganzen Tag über immer wieder geplagt hatte, meldete sich sofort überdeutlich zurück. Er schob sich ein winziges Stück von ihr weg, was ihr nicht zu gefallen schien. Sie verstärkte den Griff um seinen Hinterkopf, was einen süßen Schmerz zur Folge hatte. Einer von ihnen stöhnte auf, und er war sich ziemlich sicher, dass er es gewesen war.

Dann gab er ihr, was sie wollte, presste seine Lippen auf ihre, und ihre Zungen kämpften miteinander, während sich ihre Körper von der Brust bis zur Hüfte schier passgenau aneinanderschmiegten. Ihm wurde lodernd heiß, als er seine Hände auf ihren Steiß legte, sie spürte und schmeckte.

Sekunden später lösten sie sich voneinander, sahen einander an und atmeten leise keuchend. Seine Handflächen kribbelten vor Verlangen, sie wieder an sich zu ziehen, ihre süßen Kurven zu ertasten und ihren Geschmack erneut zu kosten.

Sie legte die Fingerspitzen an ihre Lippen und kicherte nervös. »Du küsst genauso gut, wie du tanzt, Sergey Spiceland.«

Auch er war nervös. »Überrascht dich das denn?«

»Nein. Es … gefällt mir.« Sie strich sich über die Taille. »Ja. Es gefällt mir sehr.«

»Heißt das, wir haben eine Dinnerverabredung? Oder … zumindest Kaffee und Kuchen?«

»Auf jeden Fall. Wenn es dir nichts ausmacht, noch ein bisschen zu bleiben, dann könnte ich jetzt tatsächlich eine Pizza und einen Salat vertragen. Ach was, vergiss den Salat. Das Hochzeitsessen hab ich mir schon vor Stunden wieder abgetanzt. Was meinst du?«

»Pizza essen mit einer schönen Frau? Wie könnte ich da widerstehen?«

»Mit deinem Charme wirst du es noch weit bringen, so viel ist sicher.« Mit einem Seufzer ließ sie sich aufs Sofa fallen. »Leider bringe ich es nicht mehr annähernd so weit. Zumindest nicht in diesen Schuhen. Eine Beyoncé bin ich nämlich nicht.«

»Oh, da kann ich behilflich sein. Mit den Schuhen, meine ich.«

Ohne darüber nachzudenken, ging Sergey vor ihr auf die Knie. Er hörte, wie sie überrascht nach Luft japste, als er ihren linken Fuß anhob und ihn auf seinen Oberschenkel setzte, um das Riemchen am Knöchel zu lösen. Wie sie auf diesem Pfennigabsatz überhaupt hatte stehen können, geschweige denn laufen und stundenlang tanzen, würde ihm wohl für immer ein Rätsel bleiben. Aber die Wirkung, die diese schwindelerregend hohen Absätze auf die Konturen ihrer Beine gehabt hatten, war ihm noch immer nur allzu bewusst.

Sie seufzte vernehmlich, als er anfing, ihr den Fuß zu massieren. Der Laut hallte in ihm wider und führte dazu, dass seine Erektion noch steifer und allmählich unangenehm wurde. Wie oft hatte er während der vergangenen Monate so vor ihr gekniet und auf ihr Kommando oder die Peitsche gewartet? Wie oft hatte sie ihm Lust gespendet, ihn in die Höhe schnellen lassen und auf dem Weg zurück nach unten wieder sanft beruhigt? Und doch verpasste die Fußmassage – dieser einfache und zugleich intime Akt – ihm eine Gänsehaut, die ihresgleichen suchte. Das hier war es, was er wollte. Den Schmerz wollte er auch – manchmal brauchte er ihn sogar, er brauchte die Klarheit, die der Schmerz ihm bescherte. Aber das hier – zu hören, dass sie es genoss, und zu wissen, dass er für diesen Genuss gesorgt hatte – weckte in ihm eine unerträgliche Sehnsucht.

Trotzdem wollte er weder darauf drängen noch sie zu etwas überreden. Er wusste, dass sie im Club auch noch andere Kunden hatte, aber er meinte, mitbekommen zu haben – und hoffte es inständig –, dass sie bislang noch niemanden sonst zu ihrem Sub erkoren hatte. Insofern wäre sie mit den anderen auch nicht weiter gegangen als mit ihm … Er wollte der Erste sein. Er wollte der Einzige sein.

»Mon cher …«

Ihre rauchig sündige, sexy Stimme überwältigte ihn und entlockte ihm eine spontane Reaktion. »Ja, Madame?«

Verdammt!

[home]

Kapitel 3

Am liebsten wäre Nessa gewesen, dass die glorreichste Fußmassage ihres Lebens nie aufhörte, aber es war an der Zeit, das Spielchen zu beenden.

Sie sah genau, wie Sergey bewusst wurde, was er da gerade gesagt hatte und was das bedeutete. Mit ihrem Fuß in beiden Händen, war er schlagartig erstarrt. Dann warf er ihr einen verschämten Blick zu.

»Jetzt bin ich aufgeflogen, was?«

»Allerdings.« Sie zog ihren Fuß zurück, weil sie nachdenken musste. Während seiner fantastischen Fußmassage war sie dazu einfach nicht in der Lage gewesen.

Er kniete immer noch auf dem Boden. In derselben Position wartete Sam immer auf den Beginn ihrer Sessions.

»Wodurch hab ich mich verraten?«

»Reicht das nicht schon?« Sie zeigte auf seine Kauerhaltung und stand auf. »Deine Haare, deine Hände, dein Seufzen … Und du hast mich gestern und heute genau so zum Altar begleitet, wie du mich sonst durch den Club begleitest.«

Er lächelte. »Mir war nicht klar, dass du mir so viel Aufmerksamkeit schenkst.«

»Natürlich bin ich aufmerksam. Was bleibt mir denn anderes übrig?« Sie atmete geräuschvoll aus. »Wann kam dir der Verdacht, dass ich Mistress Vivienne sein könnte?«

»Ich habe es bereits geahnt, als ich dich erstmals mit Audie im Onyx gesehen habe«, gestand er. »Nadia hat mir einiges von euch erzählt, daher wusste ich, dass ihr vier euch sehr nahesteht. Nachdem ich Audie kennengelernt hatte, war es einfach nur naheliegend, dass du die Frau an ihrer Seite warst. Und beim Probeessen gestern war ich mir schließlich sicher.«

»Hättest du dich mir irgendwann offenbart, oder wolltest du mir auch weiter etwas vormachen?«

»Ich habe dir nichts vorgemacht.« Er schüttelte den Kopf, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ich habe lediglich beobachtet und Indizien gesammelt, weil ich mir ganz sicher sein wollte, bevor ich irgendwelche Schlüsse ziehe.«

Natürlich. Immerhin war er ein Cop. Seine Arbeitsmethoden ähnelten der Herangehensweise, derer sie sich in der Forschung bediente. Noch etwas – mal abgesehen vom Club –, was sie gemeinsam hatten. Wenn sie ehrlich war, dann hatten sie außerhalb des Clubs sogar noch mehr Gemeinsamkeiten als innerhalb. Dort trug er Maske, sie Perücke und Kontaktlinsen. Im Club gaben sie beide vor, jemand anderes zu sein, waren miteinander intim, ohne sich persönlich nahezukommen.

»Falls das was ändert – ich würde auch dann mit dir ausgehen wollen, wenn du nicht Mistress Vivienne wärst. Und weil du Mistress Vivienne bist, will ich mit dir ausgehen und dein Sub sein.«

»Aber warum?«

Die Frage war ihr herausgerutscht, ohne dass sie es hätte verhindern können, und überraschte sie beide. Sie winkte eilig ab.

»Darauf musst du nicht antworten. Aber jetzt steh bitte wieder auf. Wir können uns nicht unterhalten, solange du dort am Boden kniest.«

Mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck erhob er sich. »Ich möchte deine Frage trotzdem beantworten.«

»Na gut«, meinte sie und war schon fast krankhaft gespannt auf seine Erklärung.

»Wir hatten Spaß. Gestern und heute. Beim Probeessen hat dich irgendetwas, was ich gesagt hab, zum Lachen gebracht – keine Ahnung, was es war. Aber ich weiß noch genau, dass ich gedacht habe: Davon will ich mehr. Deswegen habe ich Nadia auch erzählt, dass ich mich an dich ranmachen will. Nach allem, was heute passiert ist, will ich mehr – mehr Zeit, mehr Lachen, mehr Tanzen. Und mehr Küsse.« Er hielt inne und machte ein besorgtes Gesicht. »Ist dir das zu viel?«

Wahrscheinlich sollte es das sein, aber sie hatte sich ebenfalls amüsiert, und auch sie wollte mehr von alledem. Und ab und zu noch eine Fußmassage wäre auch nicht schlecht.

»Nein«, antwortete sie, und seine Anspannung legte sich in Teilen, war aber immer noch klar ersichtlich.

»Hast du Zweifel, weil ich ein Cop bin und kein Akademiker?«

»Natürlich nicht!« Der Gedanke war ihr gar nicht gekommen, auch wenn er das hätte tun sollen, und wenn nur, damit sie ihn prüfen und verwerfen konnte. »Ich beurteile Menschen doch nicht nach ihrem Beruf!«

»Also zögerst du, weil ich Nadias Bruder bin?«

»Zum einen. Und zum anderen, weil du mein Sam bist. Ihr seid in meinem Kopf zwei verschiedene Menschen. Ich brauche bestimmt eine Weile, um das miteinander in Einklang zu bringen, und das schaffe ich bestimmt nicht mit leerem Magen.«

»Okay.« Sein Lächeln war zurück, und er angelte sein Handy aus der Tasche. »Ich bestelle uns Pizza. Gibt es eine bestimmte, die du gern magst?«

»Die Pizzeria Roma liefert hierher, und auf ihrer Karte mag ich wirklich alles, bestell also einfach, was du essen willst.«

»Aber welche magst du am liebsten?«

»Die Pizza Supreme. Und die Knoblauchbrötchen sind auch toll.«

Er bedachte sie mit einem Seitenblick. »Heißt das etwa, du willst mich nicht noch mal küssen? Denn nur damit du Bescheid weißt: Knoblauchbrötchen werden mich nicht davon abhalten.«

Sie lachte. »Du kannst gut küssen. Da halten auch mich keine Knoblauchbrötchen ab.«

Er strahlte übers ganze Gesicht, und ihr Magen schlug Purzelbäume.

»Willst du dich eigentlich umziehen?«, fragte er dann. »Du hast vorhin doch erwähnt, dass du das Kleid loswerden willst.«

Hatte sie das? Eine beiläufige Bemerkung, und er erinnerte sich noch daran? Diese Art Aufmerksamkeit war sie nicht gewohnt, und sie war schmeichelhaft und nervenaufreibend zugleich. Aber sein Vorschlag verschaffte ihr die dringend benötigte Zeit zum Nachdenken.

»Danke. Falls du Wechselsachen dabeihast – um die Ecke ist das Gästebad.«

»Nett von dir. Darf ich dir mit dem Reißverschluss helfen?«

Es war leicht verwirrend, wie er ständig zwischen Sergey und Sam hin- und herwechselte. Dann dämmerte ihr, dass die Hilfsbereitschaft einfach Teil seines Charakters war: Ob nun als Sergey oder als Sam – er tat intuitiv immer genau das, was sie wollte, und nichts weiter. Er würde ihr einfach nur das Kleid öffnen und das Ganze mitnichten als Gelegenheit zur Verführung ansehen. Zumindest glaubte sie das.

Also drehte sie sich wortlos um und bot ihm ihren Rücken dar. Sie spürte, wie er sich näherte und die Luft mit jedem seiner Schritte heftiger knisterte. Sein Körper strahlte so viel Wärme aus, dass ihre Brustwarzen hart wurden, während sie gleichzeitig eine Gänsehaut hatte.

»Du frierst ja«, bemerkte er und fuhr mit den Händen die Kontur ihrer Arme nach, ohne sie zu berühren. »Du solltest dir was Warmes, Gemütliches anziehen.«

Warm und gemütlich hieß: von Kopf bis Fuß eingepackt. Nicht verführerisch. Trotz des Kusses und seiner Erklärung, mehr von ihr zu wollen, schien Sergey nicht davon auszugehen, dass er an diesem Abend mehr bekommen würde, und er wollte sie allem Anschein nach auch nicht davon überzeugen, ihm mehr zu geben. Nur wollte sie ihn ihrerseits genau deshalb umso mehr.

»Mache ich gleich«, versprach sie und hörte selbst, wie belegt ihre Stimme klang. »Aber dafür müsstest du erst einmal den Reißverschluss aufziehen …«

Das sattrote Etuikleid war für sie maßgeschneidert worden und passte wie angegossen. Der Reißverschluss erstreckte sich über ihr komplettes Rückgrat. Sie versuchte, weder zu atmen noch sich zu bewegen, als seine Finger nach ihrem Nacken tasteten. Zitterte er leicht?

Sie schloss die Augen, als er das kleine Häkchen am oberen Ende öffnete. Dann das Ratschen, als er den Reißverschluss langsam aufzog – es hallte fast so laut durch die angespannte Stille wie das Pochen ihres Herzens.

»Madame«, flüsterte er, und sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken.

»Ja, mon cher?«

»Darf ich Ihnen noch bei etwas anderem behilflich sein?«

Lieber Gott …

Begierde flammte in ihr auf. Wenn das keine Verführung war – was würde erst passieren, wenn er es tatsächlich darauf anlegte? Da hätte sie keine Chance.

Ihr kamen tausend Sachen gleichzeitig in den Sinn: dass er ihr ins Schlafzimmer folgen und aus den Klamotten helfen könnte. Aber sie durfte nicht mit ihm ins Bett gehen, selbst wenn sie es wollte. Nicht, solange er mit ihr ausgehen wollte. Erst würden sie sich unterhalten müssen.

»Nein danke …«

Der erste Schritt weg von ihm war der schwerste.

»Bestell doch schon mal die Pizza. Ich komme gleich wieder.«

***

Sie lief nach oben ins Schlafzimmer und nutzte die Gelegenheit und den Abstand zu Sergey, um mit halbwegs klarem Kopf nachzudenken.

Na gut, sie dachte schon seit gestern Abend nach – seit sie Audie von ihrem Verdacht erzählt hatte. Sie hatte die ganze Party lang und auf der Fahrt nach Hause nachgedacht. Dann hatte er sie geküsst, und sie hatte mit dem Denken aufgehört und lieber gefühlt, und dieses Gefühl war wundervoll.

Davon wollte sie mehr, dachte sie, streifte sich das Kleid von den Schultern und ging ins Bad, um sich frisch zu machen.

Seit sie nach Crimson Bay gezogen war, hatte sie durchaus einige Dates gehabt. Doch keines hatte sie je in Versuchung geführt, mehr zuzulassen. Neben dem Ringen um die Abstinenz, den beruflichen Verpflichtungen und der Betreuung ihrer Studenten hatte sie ohnehin kaum Zeit für eine Beziehung.

Doch jetzt war da Sergey – oder vielmehr Sam. Im Club hatte er sich von den anderen unterschieden – und nicht nur, weil er dort eine Maske trug. Er war strebsam, aufmerksamer als andere, empfänglicher, und offensichtlich gefiel es ihm, ihr gefällig zu sein. Sie war mit ihm eine Verbindung eingegangen, die man nur schwer in Worte fassen konnte und die so stark geworden war, dass sie sich zu guter Letzt überlegt hatte, ihre Intimität bei ihrem nächsten Besuch im Onyx-Club einen Schritt weiter zu treiben. Wenn sich das als angenehm für sie beide herausgestellt hätte, hätte sie ihn zu ihrem festen Sub gemacht …

Aber das galt für den Club. Und nur für dort. Dass Sam nun Sergey war, änderte alles. Sergey wollte sie daten und ihr Sub sein. Wenn sie sich damit einverstanden erklärte, würden sie auch außerhalb des Onyx interagieren müssen. Aber würde sie das können? Sie war sich nicht sicher.

»Wo wäre denn das Problem?«, fragte sie sich selbst und nahm ihren Bademantel aus weinrotem Samt vom Bügel. »Er hat kein Problem damit, und Nadia ebenso wenig. Ihren Vätern scheint es auch nichts auszumachen. Wieso dann dir selbst?«

Gute Frage. Doch Vanessa hatte allen Grund, in emotionalen Zusammenhängen misstrauisch zu sein. Aus ihrer letzten Langzeitbeziehung wäre fast eine Ehe geworden, doch als ihr Verlobter sie auf grausamste Art sitzen gelassen hatte, war sie prompt rückfällig geworden, und der Alkohol hätte sie beinahe vernichtet. Seitdem hatte sie ihr Herz und ihre Abstinenz eisern verteidigt. Risikoscheu zu sein hieß für sie auch, ruhig, vernünftig und nüchtern zu bleiben. Heutzutage ging sie nur noch in der Forschung Wagnisse ein, und selbst das nur im Rahmen strenger Grenzen.

Aber vielleicht könnte sie bei Sergey mehr wagen. Sie könnten reden, ihre Grenzen mit der Zeit festzurren und dann ganz langsam weitersehen. Spaß haben, sich miteinander amüsieren, und wenn es Zeit wäre, wieder getrennte Wege zu gehen, könnten sie Freunde bleiben.

Sobald sie den Plan gefasst hatte, machte sie sich wieder auf den Weg nach unten. Sie lief ins Wohnzimmer und entdeckte Sergey an der Haustür, wo er gerade ihr spätes Abendessen bezahlte. Er hatte sich eine dunkle Jeans und ein hellgrünes Oxford-Hemd angezogen. Gab es eigentlich irgendetwas, worin er nicht gut aussah?

Mit einem Lächeln im Gesicht drehte er sich zu ihr um. »Eine große Supreme und einmal Knoblauchbrötchen«, verkündete er. »Wo soll ich’s hinstellen?«

»Auf den Couchtisch. Was willst du trinken? Ich hab Mineralwasser, Tee und Light-Limo.«

»Wasser klingt gut.« Er schob die Kartons auf den niedrigen Tisch, richtete sich wieder gerade auf und musterte sie eingehend. »Deine Version von warm und gemütlich gefällt mir.«

Sie spürte sein Lächeln tief in der Magengrube. »Erst wollte ich meinen flauschigen rosa Jumpsuit anziehen, aber dann dachte ich mir, das würde wahrscheinlich keinen guten Eindruck machen.«

»Ich wäre wahrscheinlich von allem beeindruckt, was du anziehst«, murmelte er.

Lachend lief sie in die Küche, um Servietten und zwei Flaschen Wasser zu holen. »Du brauchst dich bei mir nicht einzuschleimen, Sergey«, rief sie. »Ich hab auch so schon beschlossen, dass ich dich noch einmal küssen will.«

»Und hast du auch noch mehr beschlossen?«, fragte er, ging ihr entgegen und nahm ihr die Flaschen ab.