9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €
Beim Spiel mit dem Tod kann es keinen Gewinner geben ...
Es ist der bisher mysteriöseste Fall für Lieutenant Eve Dallas. Bart Minnock, Gründer von U-Play, einem gigantischen Computerspieleimperium, wird tot in seinem Haus aufgefunden. Die Freundin des Opfers ist gelähmt vor Trauer, und seine Partner bei U-Play sind aufrichtig geschockt. Der sympathische Millionär schien keine Feinde zu haben. Doch Erfolg zieht immer Neider nach sich, sobald es um viel Geld, Macht und Rivalitäten geht. Das weiß auch Roarke, Eves Ehemann und Konkurrent von Minnock. Aber der junge Unternehmer war alles andere als naiv und wusste, wie man sich wehrt, sowohl in der realen Welt als auch in der virtuellen …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 647
Buch
Bart Minnock, Gründer des Spieleimperiums U-Play, betritt seinen privaten Spieleraum und kann es kaum erwarten, das nächste Level von »Fantastical« zu spielen, dem neuesten Top-Secret-Projekt seiner Firma. Die Illusion ist perfekt, er fühlt sich stark, verwegen und mutig, schwingt sich auf sein Pferd und stürzt sich brüllend in den Kampf …
Am nächsten Morgen stürmt seine Freundin CeeCee wütend in sein Apartment, denn Bart war nicht zu ihrem Date aufgetaucht. Sie findet ihn tot in einer Lache Blut liegend – er wurde geköpft.
Eve und ihr Team müssen das nächste Level erreichen. Denn in einer Welt, in der der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind und Imagination zur Wirklichkeit wird, kann es da überhaupt noch Gewinner geben? Was, wenn die Spieler mit ihrem Leben bezahlen müssen?
Autorin
J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts, einer der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren erfolgreich Kriminalromane.
Liste lieferbarer Titel
Rendezvous mit einem Mörder (1) · Tödliche Küsse (2) · Eine mörderische Hochzeit (3) · Bis in den Tod (4) · Der Kuss des Killers (5) · Mord ist ihre Leidenschaft (6) · Liebesnacht mit einem Mörder (7) · Der Tod ist mein (8) · Ein feuriger Verehrer (9) · Spiel mit dem Mörder (10) · Sündige Rache (11) · Symphonie des Todes (12) · Das Lächeln des Killers (13) · Einladung zum Mord (14) · Tödliche Unschuld (15) · Der Hauch des Bösen (16) · Das Herz des Mörders (17) · Im Tod vereint (18) · Tanz mit dem Tod (19) · In den Armen der Nacht (20) · Stich ins Herz (21) · Stirb, Schätzchen, stirb (22) · In Liebe und Tod (23) · Sanft kommt der Tod (24) · Mörderische Sehnsucht (25) · Ein sündiges Alibi (26) · Im Namen des Todes (27) · Tödliche Verehrung (28) · Süßer Ruf des Todes (29)
Mörderspiele. Drei Fälle für Eve Dallas
Nora Roberts ist J. D. Robb
Ein gefährliches Geschenk
J.D. Robb
Sündiges Spiel
Roman
Deutsch von Uta Hege
Was wärst du lieber–
ein Sieger bei den Olympischen Spielen
oder der Rufer, der verkündet, wer die Sieger sind?
– Plutarch
Wohl wahr, ich red’ von Träumen,
Kindern eines müß’gen Hirns,
gezeugt von nichts als eitler Phantasie.
– William Shakespeare
1
Während mörderisch zuckende Blitzschwerter auf das vernarbte Schild des Himmels hieben, schlenderte Bart Minnock fröhlich pfeifend heim. Trotz des Unwetters war Bart genauso fröhlich wie die Melodie, die über seine Lippen kam, als er mit einem zackigen Salut für den Portier durch seine Haustür trat.
»Na, Mr Minnock, alles klar?«
»Klarer geht’s nicht, Jackie.«
»Hoffentlich klart auch der Himmel bald wieder auf.«
»Ein bisschen Regen ist doch schön.« Seine aufgeweichten Schuhe quatschten, als er lachend in den Fahrstuhl stieg.
Explosionsartiger Donner erschütterte Manhattan, Passanten kauften den geschäftstüchtigen Straßenhändlern schmollend Regenschirme zu horrenden Preisen ab und Maxibusse spuckten schmutzige Fontänen auf die Bürgersteige. In Bart Minnocks Welt hingegen herrschte eitel Sonnenschein.
Denn er hatte ein heißes Date mit der verführerischen CeeCee, was für einen selbsternannten Nerd, der zu seiner Schande gestehen musste, dass er mit 24 Jahren zum ersten Mal bei einer Frau gelandet war, durchaus beachtlich war.
Jetzt, mit 29, wurde er vor allem wegen des Erfolgs von U-Play von den Frauen regelrecht umschwärmt, was wohl an seinem Geld und der Bekanntheit seines Unternehmens lag.
Aber das war ihm egal.
Er wusste, er war nicht besonders attraktiv, und hatte schon vor Jahren akzeptiert, dass er als Romantiker eher unbeholfen war. Außer, wenn es um die heiße CeeCee ging. Von Kunst oder Literatur hatte er keinen blassen Schimmer und die Unterscheidung zwischen einem wirklich guten Wein und einer Flasche Billigfusel fiel ihm schwer. Einzig mit Computern, Spielen und dem Reiz der Technik kannte er sich aus.
Doch mit CeeCee war es etwas anderes, dachte er, als er sein dreigeschossiges Apartment mit dem prächtigen Vier-Sterne-Blick über die Stadt betrat. Sie liebte Computerspiele, während Kunstgalerien oder teure Weine ihr total egal waren.
Aber die Aussicht auf den Abend mit der süßen, anziehenden CeeCee war nicht der Grund für sein vergnügtes Pfeifen und das breite Grinsen in seinem Gesicht, als er die Tür hinter sich schloss.
In seiner Aktentasche hatte er die neueste Version des Megaspiels Fantastical, und bis er sie getestet, durchgespielt und offiziell genehmigt hätte, gehörte sie ihm ganz allein.
Aus der Gegensprechanlage des Apartments grüßte ihn ein fröhliches Willkommen zu Hause, Bart und seine Hausdroidin, eine ganz speziell für ihn gefertigte Replik von Prinzessin Leia aus dem Klassiker Krieg der Sterne –denn vielleicht war er ein Nerd, aber trotzdem auch ein Mann –, trat mit weich schwingenden Hüften auf ihn zu und reichte ihm seine geliebte Orangenlimonade mit zerstoßenem Eis.
»Sie sind heute aber früh zu Hause.«
»Ich habe mir ein bisschen Arbeit mitgebracht.«
»Arbeiten Sie nicht mehr zu viel. Sie müssen in zwei Stunden und zwölf Minuten los, wenn Sie pünktlich bei CeeCee sein wollen. Und unterwegs müssen Sie noch die Blumen abholen. Werden Sie die Nacht bei ihr verbringen?«
»So ist es zumindest mal geplant.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Ihre Schuhe sind sehr nass. Soll ich Ihnen andere holen?«
»Nein, schon gut. Ich hole mir selbst welche auf dem Weg nach oben in den Holo-Raum.«
»Denken Sie an Ihr Date«, sagte sie mit dem schnellen Leia-Lächeln, das ihm mehr als alles andere an ihr gefiel. »Soll ich Sie später noch einmal daran erinnern?«
Er stellte seine Aktentasche auf dem Boden ab und schüttelte sich die hellbraunen Haare, die ihm immer in die Augen fielen, aus der Stirn. »Nein danke. Ich stelle einfach einen Wecker im Holo-Raum. Du kannst jetzt Feierabend machen.«
»Gut. Aber falls Sie mich noch einmal brauchen, bin ich da.«
Normalerweise hätte er Leia benutzt, um sich ein wenig in Konversation zu üben und von seinen neuesten Projekten zu erzählen, bis die Anspannung des Arbeitstags verflog. Aus seiner Sicht waren Gespräche mit Droiden einfach wunderbar. Denn, wenn man sie nicht extra darauf programmierte, be- und verurteilten sie einen nie.
Aber heute rief Fantastical nach ihm. Er klappte seine Aktentasche auf, griff nach der Diskette, küsste sie und wandte sich der Treppe zu.
Er hatte seine Wohnung ganz nach seinen eigenen Wünschen dekoriert, deshalb gab es Spielsachen im Überfluss. Requisiten, Waffen aller Art, Kostüme und Plakate von Filmen und diversen Spielen dienten als Dekor und zur Belustigung, zusätzlich war jeder Raum in jedem Stock mit verschiedenen Computern, Spielkonsolen, DVD-Playern und Bildschirmen bestückt.
Das war für Bart ein wahr gewordener Traum. Er lebte nicht nur bei der Arbeit, sondern auch privat in einem riesengroßen Elektronik-Paradies.
Sein Büro im zweiten Stock war eine maßstabsgetreue Reproduktion der Brücke des galaktischen Kriegsschiffes The Valiant aus dem gleichnamigen Film. Seine Arbeit an den entsprechenden Spieldisketten hatte seinem Unternehmen den ersten großen Erfolg beschert.
Ohne noch daran zu denken, seine nassen Schuhe oder sein tropfnasses T-Shirt auszuziehen, lief er direkt in den zweiten Stock hinauf.
Die Security des Holo-Raums verlangte seinen Daumen-, seinen Stimm- und seinen Retina-Abdruck. Was natürlich völlig übertrieben war, aber so fand er es lustiger, und es ging ihm nichts über seinen Spaß. Obwohl er diesen Raum regelmäßig Freunden und Besuchern öffnete, fand er es einfach cool, dass er so gut gesichert war.
Nachdem er den Raum betreten hatte, reaktivierte er die Anlage und schaltete die Gegensprechanlange und sämtliche Telefone aus. Denn in der nächsten Stunde – oder okay, vielleicht auch etwas länger – wollte er nur spielen, ohne dass es dabei auch nur die geringste Störung gab.
Barts Meinung nach ging es beim Spielen darum, dass man vollkommen in der Fantasie, dem Wettstreit oder einfach nur dem Spaß am Spiel versank. Dieses Abtauchen ginge bei Fantastical noch wesentlich weiter als bei allen anderen Spielen, die Mitte des Jahres 2060 auf dem Markt erhältlich waren.
Wenn die letzten Veränderungen und Verbesserungen funktionieren, schränkte der Geschäftsmann, der neben dem Spieler in ihm steckte, ein.
»Sie werden funktionieren, und es wird fantastisch sein«, murmelte er nickend, legte die Diskette ein und nutzte seinen Stimmabdruck und danach sein Passwort zum Laden des Spiels. Weil die neue Version topsecret war. Er und seine Partner waren schließlich mehr als weltfremde Computerfreaks. Ihm war durchaus bewusst, wie knallhart die Konkurrenz in seiner Branche war, und er fand Wirtschaftsspionage ziemlich aufregend.
Denn er war ein Spieler, dachte er. Nicht nur, wenn er spielte, sondern auch, wenn es um das Geschäft mit Spielen ging. Der Erfolg von U-Play bot inzwischen alles, wovon er und seine Freunde – seine Partnerin und seine Partner – je gesprochen, was sie sich erträumt und wofür sie sich seit Jahren abgerackert hatten.
Fantastical würde die Krönung ihres bisherigen Werks, mit ein bisschen Glück stiegen sie dank dieses Spieles in die erste Liga ihrer Branche auf.
Er hatte sich schon ein Szenarium und einen Level ausgesucht. Er hatte diese Fantasie und ihre Elemente während der Entwicklungsphase unzählige Male durchprobiert, studiert, verfeinert, überarbeitet und machte sich jetzt für das Spiel, dem er den Codenamen K2BK verliehen hatte, bereit. Er würde die Rolle des geschlagenen, zynischen Helden übernehmen, der sich auf dem bedrohten Planeten Gort mit den bösen Kräften des belagerten Königreiches Juno schlug.
Die Spiegelwände seines Holo-Raums warfen sein Bild zurück, als das anfangs helle Licht dämmrig wurde, flackerte und er plötzlich statt in seiner feuchten, zerknitterten Hose, seinem heiß geliebten Captain-Zee-T-Shirt und seinen nassen Schuhen in der Rüstung und den schweren Stiefeln eines kriegführenden Fürsten auf einem grasbewachsenen Hügel stand.
Er spürte den Griff und das Gewicht von einem Breitschwert in der Hand. Und den Rausch, in den es ihn versetzte, in Gestalt des größten Helden seiner Träume in die Schlacht zu ziehen.
Ausgezeichnet, dachte er. Allererste Sahne. Er roch und sah den Rauch über dem Schlachtfeld, das bereits vergossene Blut, betastete grinsend seinen dicken Bizeps und spürte das Pochen einer alten Narbe, über die er mit dem Finger fuhr.
Das schmerzliche Ziehen an diversen Stellen seines Körpers sprach von kaum verheilten Wunden und von lebenslangem Kampf.
Doch das Allerbeste war – er fühlte sich stark, verwegen, mutig, wild. Die Verwandlung in den kühnen fürstlichen Krieger, der im Begriff stand, sein verwundetes, erschöpftes, dezimiertes Heer in eine letzte große Schlacht zu führen, war perfekt.
Er stieß einen lauten Schlachtruf aus und hörte, wie das Echo dieses Rufs die Luft erbeben ließ.
Wenn das nicht der totale Wahnsinn war.
Ein struppiger Bart bedeckte sein Gesicht, während langes, wild zerzaustes Haar auf seine Schultern fiel.
Er war Tor, der Krieger, rechtmäßiger König Junos und Beschützer seines Volks.
Er benötigte nur zwei Versuche, um sich auf den Rücken seines Schlachtrosses zu schwingen, und stürzte sich brüllend in den Kampf. Unter lärmendem Geschrei von Freund und Feind krachten Schwerter aufeinander, spien Feuerspeere todbringende Flammenzungen aus. Sein geliebtes Juno brannte, und so hackte er sich durch die Linien, während links und rechts das Blut von seinen Feinden spritzte und der Schweiß in dichten Strömen über seinen Körper rann.
Auf den Vorschlag seines Partners Benny hatten sie dem Spiel noch eine optionale Lovestory hinzugefügt. Um zu seiner Liebsten zu gelangen, die als mutige und wunderschöne Kriegerin auf ihrer Burg die Stellung hielt, musste er sich einen Weg nach vorn erzwingen, wo es während eines letzten großen Zweikampfs seinen größten Feind, den elenden Lord Manx, zu schlagen galt.
Er hatte diesen Level während der Entwicklungsphase oft erreicht, aber kaum je erfolgreich abgeschlossen, denn er hatte das Programm an dieser Stelle mit besonders anspruchsvollen Challenges versehen. Man brauchte Beweglichkeit, Geschick und gutes Timing, um den Flammen, die die Speere und die Pfeile spuckten, und den Schwerthieben der Gegner auszuweichen – aber genau darum ging es schließlich auch.
Jeder Treffer brachte einen Punktabzug, und wenn er sich nicht vorsah, musste er sich irgendwann schmählich vor seinem Feind zurückziehen oder starb den Heldentod. Dieses Mal jedoch strebte er nicht nur den Abschluss dieses Levels, sondern eine bisher unerreichte Punktzahl an.
Das Wiehern seines Schlachtrosses klang wie ein lauter Schrei, als er es durch den Rauch und den Gestank über das mit Leichen übersäte Schlachtfeld trieb. Er klammerte sich fest und wappnete sich für den Augenblick, in dem das Pferd auf seine Hinterbeine stieg.
Denn immer, wenn er aus dem Sattel flog, begegnete er Manx zu Fuß, und immer, wenn er Manx zu Fuß begegnete, verlor er Juno, die geliebte Frau, und dadurch auch das Spiel.
Diesmal aber nicht, versprach er sich und brach mit einem neuerlichen lauten Schlachtruf durch den dichten Rauch.
Da stand die Burg, auf der die tapfere Geliebte sich dem Ansturm ihrer Feinde mühsam widersetzte. Und da sah er das düstere und furchtbare Gesicht des elenden Lord Manx, von dessen Schwert das Blut der unschuldigen Opfer troff.
Schmerzlich dachte er daran, was er verloren hatte, als die glücklicheren Jahre seiner Kindheit durch Verrat und Mord besudelt worden waren.
»Ich bin dir nicht in die Falle gegangen«, brüllte Bart.
»Das hätte mich auch enttäuscht.« In Manx’ schwarzen Augen schimmerte der Tod, und grinsend fuhr er fort: »Es war schließlich immer schon mein Wunsch, dafür zu sorgen, dass dein Blut den Grund und Boden deiner Ahnen tränkt.«
»Es wird dein Blut sein, das diesen Boden tränkt.«
Beide Männer galoppierten aufeinander zu, und als besonderer Effekt zuckte ein zischender Blitz aus der Spitze seines Schwerts, als Bart sie auf die Klinge seines Gegners sausen ließ.
Ein brennender Schmerz raste durch seinen Arm bis hinauf in die Schulter und Bart machte sich in Gedanken eine Notiz, die Stromstärke etwas herabzusetzen, denn zwar sollte bei dem Spiel alles möglichst realistisch sein, aber die Spieler sollten auch nicht jammern, weil es zu heiß war.
Er drehte sich einmal um sich selbst, wehrte den nächsten Schlag des Gegners ab und spürte ein qualvolles Ziehen in Höhe seines Schulterblatts. Um ein Haar hätte er eine Spielpause verlangt, doch bereits im selben Augenblick griff ihn sein Gegner wieder an.
Was soll’s, sagte er sich, ließ den Arm mit seinem Schwert nach vorne schießen und hätte sein Gegenüber um ein Haar erwischt. Ein Sieg war schließlich nur ein echter Sieg, wenn man sich dafür anstrengte.
»Gleich wird deine Liebste mir gehören«, knurrte Manx.
»Sie wird auf deinem – he!« Seine Waffe glitt ihm aus der Hand und die Klinge seines Feindes schnitt ihm in den Arm. Statt des leichten Stromschlags, der ihm zeigen sollte, dass der andere ihn getroffen hatte, versengte ihm ein glühend heißer Schmerz den Arm. »Was zum Teufel soll das? Pause!«
Aber für Bart Minnock war das Spiel aus.
Lieutenant Eve Dallas stapfte mit gezückter Dienstmarke an dem schockierten Türsteher vorbei. Die Sonne und die schwüle Hitze, die die nächtlichen Gewitter hinterlassen hatten, machten ihr nicht das Geringste aus. Wohingegen ihre Partnerin, Detective Peabody, in der Wärme vor sich hinzuwelken schien.
»Es ist kaum acht Wochen her, da haben Sie gejammert, weil es zu kalt war. Und jetzt jammern Sie, weil’s zu warm ist. Können Sie nicht einfach mal zufrieden sein?«
Peabody, die sich das dunkle Haar zu einem stummeligen Pferdeschwanz gebunden hatte, fuhr mit Jammern fort. »Warum können sie die Temperatur nicht regulieren?«
»Wer, bitte, ist sie?«
»Die Meteorologen. Die entsprechende Technologie gibt’s doch bestimmt. Warum also können sie nicht dafür sorgen, dass wir wenigstens mal ein paar Wochen lang weder vor Kälte schlottern noch vor Hitze eingehen? Das ist doch sicher nicht zu viel verlangt. Warum fragen Sie nicht Roarke, ob er was machen kann?«
»Na klar. Wenn ich nachher nach Hause komme, werde ich ihm sagen, dass er es für Sie ein bisschen kühler machen soll, wenn er mit dem Kauf der letzten zehn Prozent des Universums fertig ist.« Eve stieg in den Fahrstuhl, wippte auf den Fersen und sah die Kollegin grimmig an. Dem Mann, mit dem sie vor inzwischen fast zwei Jahren den Bund fürs Leben eingegangen war, fiele wahrscheinlich wirklich etwas ein. Trotzdem erklärte sie: »Wenn Sie immer gleichbleibende Temperaturen haben wollen, suchen Sie sich einfach einen Job in einem Büro, in dem es eine Klimaanlage gibt.«
»Im Juni soll es Wiesen voller Gänseblümchen und vor allem milde Brisen geben.« Peabody fächerte sich mit der Hand ein wenig heiße Luft in ihr Gesicht. »Stattdessen kriegen wir Gewitter und eine mörderische Feuchtigkeit.«
»Das Gewitter letzte Nacht fand ich echt schön.«
Peabody kniff ihre dunklen Augen argwöhnisch zusammen und stellte mit Grabesstimme fest: »Wahrscheinlich hatten Sie dabei phänomenalen Sex. Denn Sie sind heute richtiggehend aufgekratzt.«
»Ich und aufgekratzt, haha.«
»Oder zumindest stehen Sie kurz davor.«
»Und Sie stehen kurz vor einem Tritt in Ihren Allerwertesten.«
»So ist es schon besser. Dieser Ton ist mir vertraut.«
Eve musste ein Grinsen unterdrücken, als sie ihren langen, schlanken Körper von der Wand abstieß und aus dem Fahrstuhl stieg.
Sofort nahmen die Beamten, die im Flur auf sie gewartet hatten, Haltung an. »Lieutenant.«
»Officer. Was gibt’s?«
»Das Opfer ist Bart Minnock, einer der Chefs von U-Play.«
»Wenn ich jetzt noch wüsste, was das ist …«
»U-Play, Madam, ist ein Unternehmen, das mit Holo- und Computerspielen ziemlich groß geworden ist. Seine Freundin hat ihn heute früh entdeckt. Sie sagt, er hätte sie gestern Abend versetzt, und sie wäre heute Morgen hergekommen, um dem Kerl die Ohren lang zu ziehen. Die Hausdroidin hat sie reingelassen, und als sie gemerkt hat, dass der Holo-Raum von innen abgeschlossen war, hat ihn die Droidin für sie aufgemacht.« Der Beamte legte eine Pause ein. »Am besten machen Sie sich erst mal selbst ein Bild.«
»Wie heißt die Freundin?«
»CeeCee Rove. Wir haben sie ins Wohnzimmer gesetzt, eine Beamtin passt dort auf sie auf. Die Droidin haben wir in den Stand-by-Modus versetzt.«
»Dann sehen wir uns erst einmal den Fundort an.«
Sie trat durch die Tür und sah sich in der Wohnung um. Die gesamte unterste Etage sah wie die Behausung eines extrem reichen und verwöhnten Jungen aus.
Leuchtende Primärfarben, die der Umgebung weniger Struktur als Behaglichkeit verliehen, und eine Reihe Wandbildschirme, Unmengen von Spielen sowie Spielsachen – vor allem Kriegsspielzeug – ließen diesen Raum nicht wie ein Wohn-, sondern wie ein großes Kinderzimmer aussehen. Was zu dem Beruf, den er gehabt hatte, wahrscheinlich durchaus passte.
»Zweiter Stock, Lieutenant. Da vorne ist ein Lift.«
»Trotzdem nehmen wir die Treppe.«
»Ich komme mir hier vor wie in einem privaten Vergnügungspark«, bemerkte Peabody und fügte in Gedanken an den Mann, mit dem sie zusammenlebte, etwas wehmütig hinzu: »McNab würde bestimmt vor Neid erblassen. Ich muss sagen, diese Wohnung ist echt obermegacool.«
»Vielleicht hat er wie ein Kind gelebt, aber die Security an seiner Wohnungstür kommt mir ausnehmend erwachsen vor.« Eve hielt kurz im ersten Stock und stellte fest, dass auch das Schlaf- und alle Gästezimmer hauptsächlich zur Unterhaltung der Benutzer eingerichtet waren. Das Arbeitszimmer sah wie eine kleine, fantasievoll eingerichtete Kopie von Roarkes Computerraum zu Hause aus.
»Er hat seine Arbeit ernst genommen«, murmelte sie auf dem Weg zurück zur Treppe. »Hat selbst hier nach Feierabend noch dafür gelebt.«
Vor der Tür des Holo-Raums wandte sie sich dem dort stehenden Beamten zu.
»Die Tür war abgesperrt?«
»Nach Aussage der Freundin war sie das, auch die Gegensprechanlange war anscheinend ausgestellt. Was die Droidin uns bestätigt hat. Die so programmiert ist, dass sie sich in einem Notfall Zutritt zu sämtlichen Zimmern der Wohnung verschaffen kann. Dem Protokoll zufolge hat das Opfer diesen Raum gestern um 16.33 Uhr betreten und von innen abgesperrt. Der nächste Zutritt wurde heute früh um 9.18 Uhr registriert.«
»Okay. Rekorder an.« Eve und Peabody griffen nach ihren Untersuchungsbeuteln, sprühten ihre Hände und die Schuhe ein und traten durch die Tür.
Sie war nur selten überrascht. Sie war seit fast zwölf Jahren bei der Polizei, zwar wusste sie, dass sie niemals alles sehen würde, doch sie hatte schon sehr viel gesehen.
Trotzdem riss sie ob des Anblicks, der sich in dem Raum bot, kurz die braunen Augen auf. »Aber hallo. So etwas sieht man nicht alle Tage.«
»Mannomann.« Peabody holte zischend Luft.
»Denken Sie am besten nicht mal daran, sich hier zu übergeben.«
Die Kollegin musste hörbar schlucken. »Gegen den Gedanken bin ich machtlos. Aber keine Angst.«
Der Körper lag mit ausgestreckten Gliedmaßen in einer Lache leuchtend roten Bluts, aber der Kopf, in dem man kaum etwas anderes als den aufgerissenen Mund und die weit geöffneten, durch den Tod getrübten Augen sehen konnte, lag ein gutes Stück davon entfernt.
»Todesursache ist offenbar, dass er den Kopf verloren hat. Allein und unbewaffnet in einem abgesperrten Holo-Raum. Interessant. Am besten sehen wir uns erst einmal um.«
Ihre Partnerin schluckte erneut.
»Gucken Sie als Erstes, welches Spiel zuletzt programmiert war«, befahl Eve. »Außerdem will ich sämtliche Überwachungsprotokolle und Disketten aus dem Haus und ganz speziell aus diesem Raum.«
»Wird erledigt.« Peabody floh dankbar in den Flur, und Eve nahm sich den Leichnam vor.
Damit alles seine Ordnung hatte, überprüfte sie anhand der Abdrücke, ob wirklich der Bewohner dieser Wohnung vor ihr lag. »Das Opfer heißt Bart Minnock, wohnte hier und war 29 Jahre alt.« Sie setzte eine Mikro-Brille auf. »Es sieht aus, als hätte man den Kopf mit einem Schlag vom Rumpf getrennt. Die Wunden weisen keine Hack- oder Sägespuren auf.« Sie ignorierte das diskrete Würgen, das aus Richtung Flur an ihre Ohren drang, und fuhr mit ruhiger Stimme fort. »Zusätzlich hat das Opfer eine 15 Zentimeter lange Schnittwunde am linken Unterarm und ein paar Schürfwunden und Hämatome, die aber bestimmt nicht tödlich waren. Die Bestätigung der Todesursache durch einen Pathologen steht jedoch noch aus. Diesen Fall wird Morris lieben«, fügte sie hinzu, stand wieder auf und ging in Richtung Kopf.
»Die Klinge muss richtig groß und scharf gewesen sein, um den Kopf so sauber abzuschneiden. Außerdem hat wahrscheinlich jede Menge Kraft in diesem Hieb gesteckt. Die Schnittwunde am Arm könnte von derselben Waffe stammen. Vielleicht ist sie einmal abgerutscht. Oder Bart hat sich gewehrt. Die Abschürfungen sehen aber ziemlich harmlos aus.«
Während sie dies sagte, hockte sie sich direkt vor den Kopf. »Mit den Sachen, die in diesem Zimmer zur Verfügung stehen, hätte er sich weder absichtlich noch zufällig den Kopf abschneiden lassen können. Hier in diesem Zimmer befindet sich keine Waffe, die zu diesen Wunden passt.«
»Ich kriege das Ding nicht zum Laufen«, meinte Peabody. »Das Programm. Man kriegt die Diskette nicht mal aus dem Laufwerk, wenn man nicht den vorgeschriebenen Code für die Entnahme kennt. Alles, was ich habe, ist die letzte Laufzeit des Programms. Es lief etwas über eine halbe Stunde und endete um 17.11 Uhr.«
»Dann ist er also heimgekommen und beinahe sofort hier in den Holo-Raum gegangen, hat dieses Programm gestartet und bis kurz nach fünf gespielt. Wir brauchen ein paar elektronische Ermittler und die Spurensicherung. Außerdem will ich so schnell wie möglich den toxikologischen Bericht. Vielleicht hat ihm ja heimlich jemand was in sein Getränk gemixt, damit er seine eigene Security umgeht, ohne dass es im Protokoll erscheint. Bestellen Sie die Leute ein und dann übernehmen Sie die Droidin. Ich knöpfe mir erst mal seine Freundin vor.«
Eve fand CeeCee im Medienzimmer in der unteren Etage. Sie war eine hübsche Frau mit wilden, blonden Locken, die mit angezogenen Beinen in einem der breiten Sessel saß. Ihre Hände hatte sie nervös in ihrem Schoß verschränkt und ihren großen, leuchtend blauen Augen, die im Augenblick verquollen, rot und glasig waren, war der Schock noch deutlich anzusehen.
Eve entließ die Polizistin, die bei CeeCee war, mit einem kurzen Nicken und wandte sich an die junge Frau: »Ms Rove?«
»Ja. Es hieß, dass ich hier warten soll. Jemand hat mir mein Handy abgenommen. Dabei sollte ich wahrscheinlich irgendwen darüber informieren, was passiert ist. Auch wenn ich nicht wüsste, wen.«
»Sie werden Ihr Handy zurückbekommen. Ich bin Lieutenant Dallas. Warum erzählen Sie nicht erst einmal mir, was passiert ist?«
»Das habe ich doch schon erzählt.« CeeCee sah sich vage um. »Der Polizistin, die bis eben bei mir war. Ich habe überlegt, ob das vielleicht ein schlechter Scherz ist. So was macht er ab und zu. Spielt den Leuten irgendwelche dummen Streiche. Denkt sich irgendwelche irren Sachen aus. Hat er sich all das vielleicht nur ausgedacht?«
»Nein, das hat er nicht.« Eve nahm CeeCee gegenüber Platz, damit sie auf Augenhöhe mit ihr war. »Sie hätten ihn gestern Abend treffen sollen?«
»Ja. Bei mir. Um acht. Ich hatte extra für uns gekocht. Wir wollten bei mir essen, weil ich gerne koche. Zumindest ab und zu. Aber er tauchte nicht auf.«
»Und was haben Sie dann gemacht?«
»Er kommt öfter später als geplant, wenn er sich in irgendwas verbeißt. Das ist für mich okay, denn ich kann auch nicht immer pünktlich sein. Aber er kam überhaupt nicht, und er ging auch nicht ans Telefon. Also habe ich es im Büro versucht, aber Benny meinte, er wäre schon um kurz nach vier nach Hause gefahren, um dort noch ein bisschen zu arbeiten.«
»Benny?«
»Benny Leman. Er arbeitet mit Bart zusammen und war noch im Büro. Sie arbeiten oft so lange. Das macht ihnen Spaß.«
»Sind Sie gestern noch hierhergekommen, um herauszufinden, was er macht?«
»Nein. Fast wäre ich vorbeigekommen. Wissen Sie, ich war sauer, denn ich hatte mir echt Mühe mit dem Essen gemacht. Ich meine, ich hatte alles selbst gekocht und Wein und Kerzen und das ganze Zeug besorgt.« Sie atmete zitternd ein und wieder aus. »Dann kam er einfach nicht und rief noch nicht mal an, um mir zu sagen, dass es später wird. Ab und zu vergisst er, bei mir anzurufen, aber das ist kein Problem, denn zumindest geht er dann immer ans Telefon oder denkt an unseren Termin, bevor es zu spät wird. Er trägt unsere Verabredungen immer in sein Handy ein, das erinnert ihn rechtzeitig daran. Aber gestern Abend war ich wirklich sauer und vor allem war das Wetter wirklich scheußlich, deshalb entschied ich, dass ich ganz bestimmt nicht extra seinetwegen noch mal vor die Tür gehe. Stattdessen habe ich ein bisschen von dem Wein getrunken, was gegessen und mich irgendwann ins Bett gelegt. Ich dachte noch: Zum Teufel mit dem Kerl.«
Sie warf sich die Hände vors Gesicht und wiegte sich leise schluchzend hin und her, während Eve ihr schweigend gegenübersaß. »Ich dachte, zum Teufel mit dem Kerl, denn ich hatte extra toll für ihn gekocht. Heute Morgen war ich dann wirklich, wirklich sauer, denn er hatte nicht einmal versucht, mich anzurufen, um mir abzusagen, und weil meine Arbeit erst um zehn anfängt, wollte ich noch kurz vorbeikommen, um unseren ersten großen Streit vom Zaun zu brechen, denn so geht man schließlich nicht mit seiner Freundin um, oder?«
»Auf keinen Fall. Wie lange waren Sie mit ihm zusammen?«
»Fast ein halbes Jahr.«
»Und das wäre Ihr erster großer Streit gewesen? Echt?«
Obwohl die Tränen weiter flossen, verzog CeeCee ihren Mund zu einem leichten Lächeln und räumte verlegen ein: »Ich bin manchmal ein bisschen aufbrausend, aber man kann Bart einfach nie lange böse sein. Er ist ein echter Schatz. Aber dieses Mal wollte ich Streit. Leia hat mir aufgemacht.«
»Wer ist Leia?«
»Oh, seine Hausdroidin. Er hatte sie als Kopie der Heldin aus dem Film bestellt. Krieg der Sterne– die Rückkehr der Jediritter. Na, Sie wissen schon.«
»Hm.«
»Wie dem auch sei, sie hat gesagt, er wäre im Holo-Raum, hätte von innen abgesperrt und die Gegensprechanlage abgestellt. Dem Protokoll zufolge wäre er schon gestern Nachmittag gegen halb fünf dort reingegangen und seither nicht wieder aufgetaucht. Das hat mir Angst gemacht. Ich dachte, ihm wäre vielleicht schlecht oder er wäre ohnmächtig geworden, deshalb habe ich sie dazu überredet, dass sie mir die Tür aufmacht.«
»Sie haben eine Droidin dazu überredet, etwas für Sie zu tun?«
»Nachdem wir ein paar Monate zusammen waren, hat Bart sie darauf programmiert, auf mich zu hören. Außerdem war er schon länger als zwölf Stunden in dem Raum. Dieses Zeitlimit hat er sich selbst einmal gesetzt. Deshalb hat sie für mich aufgesperrt und …«
Ihre Lippen fingen an zu zittern, und in ihren Augen stiegen neue Tränen auf. »Wie kann so etwas passieren? Im ersten Augenblick dachte ich, es wäre real, und habe laut geschrien. Dann dachte ich, es wäre ein Droide. Dachte, Bart hätte sich wieder einmal einen blöden Scherz mit mir erlaubt, und hätte ihn beinah angebrüllt. Aber dann wurde mir klar, dass er es wirklich war. Es war tatsächlich Bart. Es war einfach grauenhaft.«
»Was haben Sie dann gemacht?«
»Ich glaube, mir wurde schwarz vor Augen. Aber umgefallen bin ich nicht. Ich weiß nicht, einen Augenblick lang hat sich alles um mich gedreht, dann bin ich einfach losgerannt.« Während sie errötete, rann ihr ein neuer dichter Strom von Tränen über das Gesicht. »Ich bin nach unten gerannt. Ich wäre beinahe gestürzt, aber schließlich kam ich unten an und rief die Polizei. Leia hat mir gesagt, ich soll mich setzen, sie hat mir erst mal einen Tee gekocht. Sie hat gesagt, es hätte einen Unfall gegeben, und wir müssten warten, bis die Polizei erscheint. Ich nehme an, auf so was ist sie programmiert. Nur, dass es bestimmt kein Unfall war. Wie sollte einem so was aus Versehen passieren? Was ist bloß passiert?«
»Fällt Ihnen irgendjemand ein, der Bart etwas hätte antun wollen?«
»Wie sollte jemand Bart was antun wollen? Er war doch nichts anderes als ein großes Kind. Ein wirklich schlaues, großes Kind.«
»Hat er noch Verwandte?«
»Seine Eltern leben in North Carolina. Nach seinem Erfolg mit U-Play hat er den beiden ein Haus direkt am Strand gekauft. Davon hatten sie immer schon geträumt. Oh Gott, oh Gott, die Eltern! Jemand muss es ihnen sagen.«
»Das übernehme ich.«
»Okay, okay.« Sie kniff die Augen zu. »Gut. Denn ich glaube nicht, dass ich das könnte. Ich wüsste nicht, wie ich das machen sollte. Ich weiß überhaupt nicht, was ich machen soll.«
»Wie steht es mit Ihnen? Gibt es einen Ex-Freund oder so?«
CeeCee riss die Augen wieder auf. »Meine Güte, nein. Ich meine, ja, ich hatte vor Bart schon eine Reihe anderer Freunde, aber keinen, der … ich habe mich nie im Streit von jemandem getrennt … und ich war eine ganze Zeit lang solo, bevor ich mit Bart zusammenkam.«
»Wie sieht’s mit seiner Firma aus? Hat er in der letzten Zeit irgendwem gekündigt oder jemanden abgemahnt?«
»Nein, ich glaube nicht.« Sie wischte sich die Tränen fort und runzelte nachdenklich die Stirn. »Er hat nichts dergleichen erwähnt, und das hätte er bestimmt getan. Er ist Konfrontationen aus dem Weg gegangen, außer wenn sie Teil von einem seiner Spiele waren. Wenn es mit jemandem in der Firma Streit gegeben hätte, hätte er mir das auf jeden Fall erzählt. Wissen Sie, er ist ein durch und durch fröhlicher Mensch, der auch andere Menschen fröhlich macht. Wie konnte so etwas passieren? Ich verstehe einfach nicht, wie so was möglich ist. Verstehen Sie’s?«
»Noch nicht.«
Sie ließ CeeCee nach Hause bringen und fing mit der Durchsuchung der diversen Räume an. Von denen jeder so gestaltet war, dass sich komfortabel darin spielen ließ. Geräumige Sessel und riesige Sofas in leuchtenden Farben luden zum bequemen Sitzen oder Liegen ein. Gedeckte, langweilige Töne hatte Bart aus seiner näheren Umgebung offenkundig vollkommen verbannt. Die Kühlschränke und AutoChefs waren ganz nach dem Geschmack Heranwachsender gefüllt. Sie enthielten Pizza, Burger, Hot Dogs, Pommes, Süßigkeiten, Limos sowie Softdrinks aller Art.
Wein, Bier, Schnaps oder gar illegale Drogen suchte sie vergeblich, und die einzigen Tabletten waren leichte Schmerzmittel, die es ohne Rezept in jedem Drugstore zu kaufen gab.
Als sie im Schlafzimmer des Toten stand, kam Peabody herein.
»Drogen habe ich bisher noch nirgendwo entdeckt«, erklärte sie der Partnerin. »Auch kein Sexspielzeug, obwohl er ein paar Pornovideos und -spiele besessen hat. Die meisten der Computer in der Wohnung sind mit Passwörtern gesichert, und diejenigen, auf die man freien Zugriff hat, sind ausschließlich für Spiele programmiert.«
»Die Droidin hat alles, was die Freundin den Kollegen, die als Erste hier waren, berichtet hat, bestätigt«, meinte Peabody. »Das Opfer hatte sie nach seiner Rückkehr gestern angewiesen, Feierabend zu machen, und dem Protokoll zufolge hat sie ihre Arbeit eingestellt. Sie hat einen integrierten Wecker, der auf neun Uhr programmiert ist und sie automatisch heute Morgen um die Uhrzeit in Betrieb genommen hat. Sie ist mir ein bisschen unheimlich.«
»Warum?«
»Sie ist geradezu erschreckend effizient. Außerdem sieht sie nicht wie eine Droidin aus und weist keine der verräterischen Macken wie gelegentliches Stottern oder einen starren Blick während der Verarbeitung von Daten auf. Ein echt heißes Gerät. Mir ist klar, dass sie die Trauer und den Schock nicht wirklich empfunden hat, aber trotzdem hat es so gewirkt. Es hat tatsächlich so gewirkt. Sie hat mich gefragt, ob jemand seine Eltern kontaktiert. Das heißt, sie hat aktiv gedacht. So was tun Droiden nicht.«
»Außer, sie sind sorgfältig und gründlich programmiert. Lassen Sie uns mehr über U-Play rausfinden. Ein dreigeschossiges Apartment in dieser Gegend kriegt man schließlich nicht für Kleingeld. Also lassen Sie uns gucken, wer jetzt all das Geld bekommt, und wer den Laden nach dem Ableben des Bosses übernehmen soll. Außerdem müssen wir wissen, womit Minnock sich zuletzt beschäftigt hat. Und ob in seinem Unternehmen noch jemand so gut war wie er selbst.«
Sie sah sich noch einmal in dem Zimmer um. »Jemand ist an der Droidin vorbei erst in das Apartment und dann weiter in den Holo-Raum gekommen, ohne dass er dabei irgendwelche Spuren hinterlassen hat.«
Sie kannte nur einen Menschen, der so etwas schaffen konnte – ihren eigenen Ehemann. Vielleicht kannte ja Roarke noch jemand anderen.
»Als Erstes müssen wir diese Diskette aus dem Holo-Raum aus dem Gerät bekommen, um zu sehen, was sie enthält.«
»Die elektronischen Ermittler und die Kollegen von der Spurensicherung sind unterwegs. Außerdem hat einer der Uniformierten die Disketten aus den Überwachungskameras organisiert, auf denen die letzten 24 Stunden aufgezeichnet sind.«
»Machen Sie mit der Durchsuchung weiter. Ich rufe währenddessen die Verwandten an. Am besten warten wir noch ab, ob uns die elektronischen Ermittler weiterhelfen können, danach sehen wir uns einmal bei diesem U-Play um.«
Nach dem Anruf bei den Eltern brauchte sie einen Moment, bis sie wieder die Alte war. Bis vor einer Stunde hatte sie noch nicht einmal gewusst, dass es diese Menschen gab, und jetzt hatte sie den beiden während eines dreiminütigen Gesprächs einen grauenhaften Schlag versetzt, ging es ihr durch den Kopf, während sie sich auf das Bett des Toten sinken ließ. Nichts im Leben dieser Eltern würde je wieder wie vorher sein.
Durch einen Mord wurde nicht nur ein Mensch getötet, sondern auch die Leben anderer wurden nachhaltig verändert oder sogar dauerhaft zerstört.
Weshalb also hatte jemand dem Leben von Bart ein Ende machen müssen oder wollen? Und weshalb hatte dieser Jemand eine derart grässliche Methode dafür ausgewählt?
Geld. Eifersucht. Neid. Rache. Leidenschaft. Geheimnisse.
Allem Anschein nach hatte er Geld gehabt. Sie ging auf die Schnelle seine Kontenstände durch. Okay, er hatte Geld gehabt, und U-Play war ein starkes, junges Unternehmen. Sie glaubte CeeCee instinktiv, dass es keinen eifersüchtigen Ex-Freund gab. Aber Reichtum führte oft zu Neid. Vielleicht hatte sich auch ein Konkurrent oder ein Angestellter rächen wollen, der den Eindruck hatte, dass er übergangen oder nicht genug gewürdigt worden war. Was die Leidenschaft betraf, hatte das Opfer ganz eindeutig eine Leidenschaft für Spiele jeder Art gehabt. Und ein paar Geheimnisse hatte wahrscheinlich jeder Mensch.
Allerdings hatte der Mörder eine ungewöhnliche Methode angewandt … Tötung während eines Spiels. Was auf eine kranke Weise irgendwie poetisch war. Bei einer Enthauptung trennte man den Kopf – das Gehirn – vom Körper und brachte diesen dadurch zu Fall.
Nach ihrer ersten, schnellen Überprüfung sah es aus, als wäre Bart das Gehirn von U-Play gewesen. Würde also jetzt auch U-Play fallen? Oder stand bereits der nächste Kopf, das nächste Gehirn bereit?
Wie auch immer, Minnocks Mörder hatte eine komplizierte und zugleich verwegene Methode angewandt. Es gab weiß Gott auch einfachere Wege, jemanden zu töten. Aber höchstwahrscheinlich war der Mörder ein genauso leidenschaftlicher, geübter Spieler, wie das Opfer es gewesen war.
2
Eve hörte McNab, noch ehe sie ihn sah. Er war ein erwachsener Mann, kreischte aber wie ein hysterisches Mädchen, als er Minnocks Wohnung betrat.
»Wahnsinn! Diese Wohnung ist der totale Hammer!«
»Reg dich ab, Junge. Hier wurde schließlich gerade jemand umgebracht.«
Sie hörte Feeneys Tadel, doch auch ihm war deutlich anzuhören, wie aufgeregt er war. Dabei war ihr alter Partner, der inzwischen Chef der elektronischen Ermittler war, nicht nur ein erwachsener Mann, sondern mehrfacher Großvater.
Manche von den Elektronikfuzzis blieben offenkundig immer jung.
»Danke, lieber Gott, dass du mich so was sehen lässt«, stieß Callendar mit ehrfürchtiger Flüsterstimme aus.
Eve schüttelte den Kopf. Wenigstens von ihr hatte sie eine andere Reaktion erwartet, denn sie war schließlich kein Mann.
Sie trat ans Geländer der Treppe, sah hinunter und kniff schmerzlich ihre Augen zu. Feeney hatte den gewohnten wirren, silbrig-roten Schopf, McNab trug eine grell orangefarbene Cargohose und auf Callendars Top prangte ein Muster wie bei einer Sonnenexplosion.
»Wenn ihr die Münder wieder zu kriegt, könntet ihr vielleicht mal raufkommen. Auch wenn der Tote, der hier liegt, die Freak-Idylle sicher etwas stört.«
Als Feeney seinen Kopf in den Nacken legte, merkte Eve, sie hatte recht gehabt, sein Gesicht, das sie normalerweise an einen betrübten Basset denken ließ, wies hektische rote Flecken auf. McNab grinste bis über beide Ohren, wippte fröhlich auf den Fersen, und sein blonder, weich schimmernder Pferdeschwanz wippte im selben Rhythmus hin und her. Einzig Callendar besaß noch so viel Anstand, ihre Schultern hochzuziehen und ein bisschen verlegen auszusehen.
»Das hier ist wie eine Kathedrale der Spiele- und der Elektronikindustrie«, juchzte McNab.
»Der Tote freut sich sicher riesig darüber, dass Sie derart begeistert sind. Er liegt im Holo-Raum im ersten Stock.«
Sie wandte sich zum Gehen, blieb dann aber noch einmal stehen, als sie bemerkte, dass der Chefpathologe Morris, statt ein Mitglied seines Teams zu schicken, selbst erschienen war.
Er sah gut aus, aber das war bei dem Mann schließlich normal. Sein eleganter, schwarzer Anzug wurde durch die Silberfäden in der Kordel, die den langen Pferdeschwanz durchwob, und durch das subtile Muster der Krawatte aufgehellt. Er trug als Symbol der Trauer um seine verlorene Geliebte immer noch hauptsächlich Schwarz.
Drei Monate zuvor hatte Eve sein Leben wie gerade eben die Leben von Barts Eltern dadurch aus dem Gleichgewicht gebracht, dass sie ihm offenbart hatte, dass die Frau, die er geliebt hatte, ermordet worden war.
Er hatte ihre Nähe offenbar gespürt, denn obwohl er weiter den kopflosen Körper untersuchte, stellte er mit ruhiger Stimme fest: »So etwas sieht man nicht alle Tage, nicht einmal in unserem Job.«
»Genau dasselbe habe ich vorhin zu Peabody gesagt.«
Jetzt hob er den Kopf, und der Hauch eines Lächelns huschte über sein exotisches Gesicht. »Wobei die Menschen, wenn’s um Mord geht, oft den Kopf verlieren. Als die Meldung reinkam, wollte ich mir unser Opfer hier vor Ort selbst ansehen.« Er nickte in Richtung des abgetrennten Kopfs. »Der Blutlache und den Blutspritzern zufolge hat ihn dieser Körperteil abrupt verlassen, ist dann auf dem Boden aufgeklatscht …«
»Ist das ein medizinischer Fachbegriff?«
»Natürlich. Er ist auf dem Boden aufgeklatscht und noch ein Stück gerollt. Wobei es einer der kleinen Scherze des Schicksals ist, dass er mit dem Gesicht nach oben und mit Blick in Richtung Tür liegen geblieben ist. Sieht aus, als ob der arme Kerl gestorben wäre, ohne auch nur mitzukriegen, dass sein Schädel plötzlich fliegen konnte, aber um das sicher rauszufinden, nehmen wir ihn mit und sehen ihn uns genauer an.«
»Man braucht jede Menge Kraft und eine verdammt scharfe Klinge, wenn man jemanden mit einem derart sauberen Schlag enthaupten will.«
»Das glaube ich auch.«
»Die Freundin ist knapp einen Meter sechzig groß und wiegt vollständig bekleidet höchstens fünfzig Kilo. Sie hat nicht die Kraft für einen solchen Schlag. Bei der Droidin sieht es wahrscheinlich anders aus.«
»Wenn man die Programmierung ändern würde.«
»Bisher deutet nichts auf einen Selbstmord hin, aber unter den gegebenen Umständen ist auch nicht auszuschließen, dass er einen spektakulären Abgang machen wollte und seine Droidin darauf programmiert hat, ihm dabei zu helfen und danach die Waffe zu entsorgen, damit es so aussieht, als wäre er ganz alleine in dem Raum gewesen und hätte die Tür von innen abgesperrt. Klingt total idiotisch, aber auszuschließen ist es nicht.«
»Das menschliche Verhalten ist oft unverständlich. Aber genau das ist es, was den Homo sapiens für mich so faszinierend macht. Hat er zum Zeitpunkt seines Todes irgendwas gespielt?«
»So sieht es aus. Die Diskette ist sehr gut gesichert und befindet sich noch im Gerät.« Sie wies auf das Kontrollpaneel. »Die elektronischen Ermittler sind schon unterwegs. Vielleicht hat auch die Droidin mitgespielt und irgendetwas lief furchtbar falsch.« Sie steckte die Hände in die Taschen ihrer Jeans und schüttelte zweifelnd den Kopf. »Aber dann hätte die Droidin sich danach nicht neu programmiert. Nach Aussage von Peabody ist sie ein wirklich scharfes Teil. Aber so scharfe Droiden gibt es ganz eindeutig nicht. Ohne menschliche Hilfe können selbst die ausgefeiltesten Droiden ihr Programm nicht ändern.«
»Ich kenne mich mit diesem Zeug nicht wirklich aus. Eigentlich sind mir menschliche Droiden immer etwas unheimlich und tun mir gleichzeitig irgendwie leid.«
»Ja.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »So geht es mir auch.«
»Da ihr Verhalten niemals unverständlich ist, außer, sie wären extra darauf programmiert, interessieren sie mich einfach nicht.« Morris zuckte mit den Schultern und stand auf. »Aber Sie sollten Ihren zivilen Berater fragen. Er kennt sich doch ganz bestimmt mit diesen Dingen aus.«
»Bevor ich damit zu Roarke gehe, warte ich erst einmal ab, ob mir nicht einer unserer Freaks etwas dazu sagen kann.«
»Wow.«
Sie drehte sich um, als das zuvor erwähnte Freak-Trio den Raum betrat.
»Oder eher Doppel-Wow«, korrigierte sich McNab. »Das ist eine verdammte Riesenschande. Bart Minnock, das junge Genie.«
»Er hatte schon immer einen ganz eigenen Kopf.« Callendar zuckte zusammen. »Tut mir leid.«
»War klar, dass so was kommen musste. Aber der da gehört Morris.« Eve wies mit dem Daumen auf die beiden Teile des verstorbenen Genies und dann auf das Kontrollpaneel. »Und das da ist für euch. Sieht aus, als wäre das Opfer hier hereingekommen, um etwas zu spielen oder vielleicht ein neues Programm zu testen. Die Diskette steckt noch drin. Sie ist mit einem Passwort versehen und zusätzlich gesichert, ihr müsst sie mir rausholen, ohne dass sie oder das Gerät dabei zu Schaden kommen. Außerdem guckt bitte jemand nach den Schlössern dieser Tür und der Wohnungstür. Dem Protokoll zufolge wurde keine dieser Türen mehr geöffnet, nachdem er sich hier drinnen eingeschlossen hatte. Da er sich wohl kaum den Kopf mit seinen bloßen Händen abgerissen hat, stimmen diese Protokolle ganz eindeutig nicht. Peabody und ich fahren gleich in seine Firma. Weil auf euren Schultern lauter kluge Köpfe sitzen – Seht ihr? Man kann selbst in dieser Situation irgendwelche blöden Witze nicht vermeiden –, erwarte ich, dass ihr etwas gefunden habt, bis wir wieder auf der Wache sind.«
Damit trat sie in den Flur hinaus und winkte Peabody zu sich heran.
»Die Kollegen haben mit der Befragung der Nachbarn angefangen«, meinte diese auf dem Weg nach draußen. »Aber da es in den obersten Etagen des Gebäudes außer seiner keine andere Wohnung gibt, hat die Befragung bisher nichts erbracht. Der Portier, der gestern Abend Dienst hatte, kam auf unseren Anruf her. Er hat Minnocks Ankunftszeit bestätigt und geschworen, dass niemand mehr zu ihm wollte, bis die Freundin heute Morgen kam.«
»Ein Computerfreak wie er kennt doch sicher auch noch andere Computerfreaks, arbeitet mit ihnen zusammen oder hat sie bei sich angestellt. Also lassen Sie uns rausfinden, ob unser guter, alter Bart einem von diesen anderen Computerfreaks vielleicht eher unsympathisch war.«
U-Play hatte auf der gesamten Fläche einer umgebauten Lagerhalle Platz. Überall um sie herum herrschte geschäftiges Treiben, die Luft schwirrte vor einer aus Eves Sicht von einem gewissen Wahnsinn herrührenden Energie. Die zahllosen Computer, Monitore, offenen Labore und Büros spuckten eine Vielzahl lärmender Geräusche aus: Das Knirschen von Metall, wenn irgendwelche Fahrzeuge zusammenkrachten, das Zischen der Waffen, die bei irgendwelchen Weltraumkriegen abgefeuert wurden, irres Lachen, dumpfe Drohungen und laute Jubelschreie, wenn ein Spiel gewonnen worden war.
Lauter kleine Welten, hochkomplexe Fantasien, nicht endende Wettkämpfe. Wie schaffte man es da, nicht völlig abzudrehen, fragte sich Eve.
Unzählige Leute, einige von ihnen sicherlich noch nicht einmal alt genug, um irgendwo ein Bier trinken zu gehen, aber alle in den grellen Farben und im schlabberigen Freizeitlook, der für die Branche typisch war, liefen auf den ersten Blick ziellos durch das offene, viergeschossige Gebäude. Sie faselten in einem wirren Elektronikkauderwelsch in ihre Headsets oder Handcomputer, während sie Kaffee oder irgendwelche Kaltgetränke schlürften, die den grellen Farben nach hochgiftig waren.
Sie erschienen Eve wie lauter Feeneys und McNabs auf Zeus.
»Dies ist die Welt der Nerds«, erklärte Peabody. »Oder die Galaxie der Freaks. Ich kann mich nicht entscheiden, schließlich ist hier alles voll mit Nerds und Freaks.«
»Vielleicht ist es ja die Welt der Nerds in der Galaxie der Freaks. Wie kann auch nur einer dieser Typen noch halbwegs klar denken? Warum macht in diesem Schuppen niemand eine Tür hinter sich zu?«
»Als jemand, der mit einem Freak mit Zügen eines Nerds zusammenlebt, kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, dass diese Leute ernsthaft behaupten, ohne das Getöse, die Bewegung und das allgemeine Chaos kämen sie ganz einfach nicht in Schwung.«
»Eigentlich müssten hier reihenweise Schädel explodieren.« Eve sah Leute, die in alten Lastenaufzügen mit Glaswänden von einem Stockwerk in das andere fuhren, während andere in klobigen Airboots oder ausgelatschten Turnschuhen über die Eisentreppe joggten oder auf bequemen Liegestühlen oder Sofas flätzten und mit glasigen, hochkonzentrierten Blicken auf die Monitore ihrer Handcomputer sahen.
Eve schnappte sich eine junge Frau in einem Overall, der dem Aussehen nach von einem wildgewordenen Kindergartenkind mit Farbe übergossen worden war.
»Wer hat hier das Sagen?«
Die Frau zog eine neben ihrer Nase und den Ohren reichhaltig gepiercte Braue hoch. »Wo?«
»In diesem Laden.« Eve schwenkte den Arm über das Chaos, das sie in dem Raum umgab.
»Oh, Bart. Aber ich glaube, der ist noch nicht da.«
»Und wen gibt’s hier sonst noch, der etwas zu sagen hat?«
»Hm.«
»Versuchen wir’s mal so.« Eve zückte ihre Dienstmarke und hielt sie der Person vor das Gesicht.
»Oh, verdammt. Aber alles, was wir machen, ist legal. Falls Sie über Lizenzen oder so was reden wollen, gehen Sie am besten zu Cill oder zu Benny oder Var.«
»Und wo finde ich Cill oder Benny oder Var?«
»Hm.« Sie zeigte nach oben. »Wahrscheinlich im zweiten Stock.« Dann drehte sie sich einmal um sich selbst und blickte in den zweiten Stock hinauf. »Da oben ist Benny. Sehen Sie den langen Lulatsch mit den roten Dreadlocks? Also, ich muss jetzt mit meiner Arbeit weitermachen. Ciao.«
Benny Leman war Eves Schätzung nach mindestens zwei Meter groß und hätte nach einem ausgiebigen Bad wahrscheinlich um die neunzig Kilo auf die Waage gebracht. Er war ein langer, dünner Kerl mit einer weich schimmernden Haut wie Ebenholz und einem feuerroten, wirren Lockenkopf.
Bis sie in den zweiten Stock geklettert waren, dröhnten ihre Trommelfelle von dem allgemeinen Lärm, ihre Augen brannten von den grellen Farben und den unzähligen Bildern, die auf all den Monitoren flackerten, sie war zu dem Schluss gekommen, dass U-Play in Wirklichkeit der siebte Kreis der Hölle war.
Typisch Elektronikfreak, tänzelte Benny durch den Raum, brüllte irgendwelche Dinge, die nicht zu verstehen waren, in sein Headset, gab mit einer Hand etwas in seinen Handcomputer ein und tippte mit den Fingern seiner anderen Hand auf einem Monitor herum.
Trotzdem fand er noch die Zeit, sie mit einem strahlenden Lächeln anzusehen, hob zum Zeichen, dass es nicht mehr lange dauern würde, eine Hand, und sie schaltete auf Durchzug, als er weiter über Motherboards, Terabytes, CGIs und Nanocomputer sprach.
Das Link auf seinem übervollen Schreibtisch schrillte, und als plötzlich seine Hosentasche anfing zu vibrieren, nahm sie das als Zeichen dafür, dass er dort ein Handy trug. Jemand trat in die offene Tür, reckte einen Daumen in die Luft und bewegte seine andere Hand schnell hin und her. Benny zuckte mit den Schultern, doch sein kurzes Nicken schien dem anderen als Antwort zu genügen, denn er stürzte eilig wieder los.
»Tut mir leid.« Benny ignorierte das Geklingel und Gepiepse, blickte sie mit einem neuerlichen breiten Lächeln an und fuhr mit seiner angenehmen Stimme, die wie eine leichte Meeresbrise durch das Zimmer wehte, fort. »Bei uns ist es heute Morgen etwas hektisch. Falls Sie wegen dieses Interviews gekommen sind, gehen Sie am besten gleich weiter zu Cill. Ich kann sie gerne…«
»Mr Leman.« Erneut zog Eve ihre Dienstmarke hervor. »Ich bin Lieutenant Dallas von der New Yorker Polizei, und dies ist meine Partnerin, Detective Peabody.«
»Aber hallo.« Er behielt sein Lächeln bei, zog aber gleichzeitig verwirrt die Brauen hoch. »Ist jemand von uns in Schwierigkeiten?«
»Allerdings.« Sie bedeutete Peabody, die Tür zu schließen, denn obwohl sie wie die Wände ganz aus Glas bestand, sperrte sie zumindest einen Teil des Lärmes aus. »Würden Sie bitte Ihren Computer runterfahren?«
»Okay. Bin ich in Schwierigkeiten? Oh, verdammt, hat Mongo etwa wieder mal telefoniert? Ich war gestern Abend nicht zu Hause, aber mein Droide soll sich um ihn kümmern. Ich …«
»Wer ist Mongo?«
»Mein zahmer Papagei. Er ist ein braver Junge, aber ab und zu geht er ans Telefon, drückt irgendwelche Tasten und krächzt irgendwas hinein.«
»Es geht nicht um Ihren Papagei. Wir sind wegen Bart Minnock hier.«
»Wegen Bart? Steckt er in Schwierigkeiten? Das erklärt, warum er nicht erreichbar ist. Aber Bart würde niemals was Illegales tun. Braucht er einen Anwalt? Sollte ich vielleicht …« Wieder huschten ein Ausdruck der Verwirrung und ein Hauch von Angst über sein ansonsten freundliches Gesicht. »Ist er verletzt? Hatte er einen Unfall?«
»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Mr Minnock gestern Nachmittag ermordet worden ist.«
»Also bitte!« Jetzt wurde die Angst durch heißen Zorn ersetzt. »Er war gestern Nachmittag noch hier. Das ist wirklich nicht witzig. Ich verstehe durchaus Spaß, aber das geht eindeutig zu weit.«
»Das ist kein schlechter Scherz«, erklärte Peabody ihm sanft. »Mr Minnock wurde gestern Nachmittag in seiner Wohnung umgebracht.«
»Nuhu-hu.« Die kindliche Verneinung wurde durch die Tränen, die mit einem Mal in seinen warmen, braunen Augen blitzten, noch verstärkt. Benny stolperte einen Schritt zurück, bevor er sich einfach auf den Boden gleiten ließ. »Nein. Nicht Bart. Das kann nicht sein.«
Eve ging vor ihm in die Hocke, damit sie auch weiterhin auf Augenhöhe mit ihm war. »Es tut mir sehr leid. Ich weiß, das ist ein Schock für Sie, aber wir müssen Ihnen trotzdem ein paar Fragen stellen.«
»In seiner Wohnung, sagen Sie? Aber die ist doch gesichert. Da kommt niemand so einfach rein. Er ist zu vertrauensselig. Hat er jemanden hereingelassen? Ich verstehe das nicht.« Tränen strömten über seine Wangen, und er sah sie flehend an. »Sind Sie sicher? Sind Sie sicher, dass das nicht ein grauenhafter Irrtum ist?«
»Ja. Wissen Sie von jemandem, der ihm so etwas hätte antun wollen?«
»Nicht Bart.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht Bart. Wie? Wie wurde er umgebracht?«
Sie wollte mit den Details noch warten, deshalb fragte sie zurück: »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen oder wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt zu ihm?«
»Er ist gestern früher weggegangen. Ich bin mir nicht ganz sicher, vielleicht gegen vier. Er hatte ein Date mit CeeCee. Seiner Freundin. Vorher wollte er noch irgendwas zu Hause erledigen. Er war supergut gelaunt.« Plötzlich packte er Eves Hand. »CeeCee? Ist sie verletzt? Geht es ihr gut?«
»Ihr ist nichts passiert. Sie war nicht dort.«
Benny schloss die Augen und atmete leise auf. »Nein, das stimmt. Er wollte zu ihr. Zum Abendessen, hat er mir erzählt.« Er fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und ließ sie dort. »Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Hatte er Probleme hier? Mit dem Unternehmen oder irgendwelchen Angestellten?«
»Nein. Ganz sicher nicht. Hier läuft alles gut. Sehr gut. Wir verstehen uns alle prima, und die Arbeit macht uns Spaß. Dafür hat Bart immer gesorgt.«
»Wie sieht es mit Konkurrenten aus?«
»Da fällt mir niemand ein. Ab und zu versucht jemand, sich bei uns reinzuhaken oder einen Spitzel einzuschleusen. Aber das ist ganz normal. Es ist wie ein Spiel. Bart ist vorsichtig. Wir sind alle vorsichtig. Unsere Security ist gut, und wir führen regelmäßig Screenings, Virenscannings und Updates durch.«
Als die Tür geöffnet wurde, drehte Eve den Kopf und erblickte eine wunderhübsche Asiatin mit zu einem Pferdeschwanz gebundenem, schwarzem Haar, das ihr bis auf die Hüfte fiel. Sie hatte ein feingemeißeltes Gesicht und sah sie aus leuchtend grünen Katzenaugen fragend an.
»Wo zum Teufel steckst du, Bens? Ich stecke bis zum Hals in Arbeit, während du … was ist?« Eilig lief sie durch den Raum und setzte sich neben ihn. »Was ist passiert?«
»Es geht um Bart, Cilly, es geht um Bart. Er ist tot.«
»Ach, red doch keinen Unsinn.« Sie schlug Benny auf den Arm und wollte sich wieder erheben, aber er nahm hastig ihre Hand.
»Es ist wahr, Cilly. Die beiden sind von der Polizei.«
»Was redest du da für ein wirres Zeug?« Sie stand geschmeidig wieder auf. »Zeigen Sie mir Ihre Dienstmarken.«
Entschlossen riss sie Eve die Marke aus der Hand, bevor sie einen Miniscanner aus der Tasche zog. »Okay, vielleicht ist diese Marke echt, aber …« Sie brach ab und ihre Hand fing an zu zittern, als sie auf den Namen auf der Marke sah. »Dallas«, stieß sie flüsternd aus. »Sie sind Roarkes Cop.«
»Ich bin bei der New Yorker Polizei.« Nach dieser Richtigstellung nahm ihr Eve die Marke wieder ab.
»Roarkes Cop macht niemals irgendwelchen Quatsch.« Cill kniete sich auf den Boden, legte einen Arm um Bennys knochige Schultern und fragte in eindringlichem Ton: »Was ist mit Bart passiert? Oh Gott, verdammt, was ist mit Bart passiert?«
»Können wir vielleicht irgendwo anders als hier auf dem Boden sitzen und ungestört miteinander reden?«, fragte Eve.
»Ah.« Cill fuhr sich mit einer Hand durch das Gesicht. »Im Pausenraum. Der ist im dritten Stock. Den kann ich frei machen. Aber wir brauchen Var. Er muss dabei sein, bevor wir … bevor wir es den anderen sagen.« Sie drehte sich um und presste ihre Stirn an Bennys Brauen. »Ich mache den Raum frei und hole Var. Geben Sie mir eine Minute Zeit. Benny bringt Sie währenddessen rauf.« Sie richtete sich wieder auf, atmete tief durch und wandte sich erneut an Eve. »Sie sind Mordermittlerin. Ich weiß, dass Sie das sind. Das heißt, dass Bart … Haben sie ihm wehgetan? Sagen Sie mir nur, ob er gelitten hat.«
»Ich kann Ihnen versichern, dass es meiner Meinung nach sehr schnell gegangen ist.«
»Okay. Okay. Bring die beiden rauf, Bens, und sag niemandem ein Wort, solange wir nicht wissen, was geschehen ist.« Sie umfasste zärtlich sein Gesicht. »Klapp jetzt bitte nicht zusammen, ja?«
Damit stand sie wieder auf und eilte aus dem Raum.
»Was haben Sie hier für eine Funktion, Benny?«, erkundigte sich Eve. »Sie, Cill und Var. Wie sieht die Hackordnung in Ihrem Unternehmen aus?«
»Oh, äh, auf dem Papier sind wir alle Vizepräsidenten. Aber eigentlich ist Cilly unsere KGB – das heißt die ›Krieg’s gebacken‹ – ich bin der GZB, der ›Geh zu Benny‹, und Var unser GB, weil er immer die Geistesblitze hat. Alle unsere Leute wissen, dass sie jederzeit zu jedem von uns kommen können – oder natürlich zu Bart –, falls sie eine Idee haben oder es Probleme gibt.«
»Und wie lautete Barts inoffizieller Titel?«
»SH, das Superhirn.« Sein Lächeln geriet etwas ins Wanken. »Weil er der mit Abstand Schlauste von uns ist. Ich schätze, wir gehen jetzt besser erst mal rauf.«
Als sie oben ankamen, waren die Wandbildschirme schwarz, die Computer ruhig und die im Raum verteilten Stühle leer. Cill stand vor einem der diversen Automaten, an denen man ausgefallene Kaffeemixgetränke, alle je erdachten Softdrinks und diverse Snacks bekam. Eve ging davon aus, dass die AutoChefs bei U-Play ähnlich gut bestückt wie die Geräte in Barts Wohnung waren, und bildete sich beinahe ein, dass sie den Duft von Pizza roch.
»Ich dachte, ich wollte einen Energiedrink, weil ich den immer will«, murmelte Cill. »Aber jetzt habe ich keinen Durst.« Müde drehte sie sich zu den anderen um. »Var ist auf dem Weg. Ich habe ihm nicht gesagt, worum es geht. Ich dachte … ach egal, möchten Sie vielleicht was trinken? Ich hole Ihnen gern etwas.«
»Nein, danke«, antwortete Eve.
»Setz dich, Benny.« Cill schob ihren Pass durch den Schlitz des Automaten, wählte eine Flasche Wasser und drückte sie ihm in die Hand. »Trink erst mal etwas.«
Sie umsorgte ihn. Wie eine große Schwester, dachte Eve.
Cill trat nochmals vor den Automaten und zog einen Becher dampfenden Kaffees heraus. »Var trinkt immer Kaffee«, klärte sie die anderen auf.
Noch während sie dies sagte, kam ein etwas untersetzter Mann von vielleicht dreißig in den Raum gestürmt. Er hatte kurz geschnittenes, braunes Haar, ein etwas pausbäckiges, freundliches Gesicht und trug eine schlabberige Cargohose, wie McNab sie liebte, allerdings in einem augenfreundlicheren Khakibraun. Seine ausgetretenen Turnschuhe jedoch wiesen dasselbe grelle Rot wie sein ausgefranstes T-Shirt auf.
»Verflucht, Cill, habe ich nicht gesagt, dass ich vor lauter Arbeit kaum noch weiß, wohin? Eine Pause kann ich mir nicht leisten. Und da Bart noch immer nicht erreichbar ist, muss ich erst mal jede Menge Mist wegschaufeln, bis ich …«
»Var.« Cill drückte ihm den Kaffeebecher in die Hand. »Setz dich bitte hin.«
»Ich muss sofort wieder los. Wirklich. Also sag mir einfach schnell, worum es geht und …« Jetzt erst bemerkte er die beiden fremden Frauen im Pausenraum. »Oh, Verzeihung.« Durch das Lächeln wurde sein Gesicht noch etwas freundlicher. »Ich wusste nicht, dass wir Besuch haben. Sind Sie die Leute von Gameland? Ich hatte Sie erst heute Nachmittag erwartet. Bis dahin hätte ich den Kram auf meinem Schreibtisch sicher etwas besser organisiert gehabt.«
»Das sind Lieutenant Dallas und …«
»Detective Peabody.«
»Ja.« Cill atmete tief durch und schloss die Tür des Raums. »Es geht um Bart.«
»Um Bart?«, fragte er mit einem ungläubigen Lachen. »Was hat er gemacht? Hat er zu viel getrunken und bei Rot die Straße überquert? Müssen wir jetzt eine Kaution stellen?«
»Bitte setz dich, Var«, murmelte Cill.
»Warum? Was ist los?« Seine Belustigung verflog. »Oh verdammt, oh Mist, wurde er überfallen oder so? Ist er verletzt? Geht es ihm gut?«
»Wir sind von der Mordkommission«, erklärte Eve. »Bart Minnock wurde umgebracht.«
Der Kaffeebecher glitt ihm aus der Hand, und sein Inhalt spritzte auf die roten Schuhe. »Was soll das heißen, umgebracht? Was wollen Sie damit sagen?«
»Setz dich, Var.« Cill zog ihn zu der Couch, auf der schon Benny saß. »Setz dich bitte endlich hin. Den Kaffee wischen wir später auf.«
»Aber das ist doch total verrückt. Bart kann unmöglich … Wann? Wie?«
»Gestern Nachmittag zwischen halb fünf und fünf, in seiner Wohnung, nur ein paar Blocks von hier entfernt. Seine Leiche wurde heute früh von CeeCee Rove in seinem Holo-Raum entdeckt. Man hat ihn enthauptet.«
Benny stieß ein ersticktes Keuchen aus, dann aber war es völlig still. Cill wurde leichenblass, streckte hilfesuchend einen ihrer Arme aus, und Var nahm ihre Hand.
»Bart wurde geköpft?« Sie fing an zu zittern, Benny legte einen Arm um sie, und wie die drei gemeinsam auf dem Sofa saßen, stellten sie eine geschlossene Einheit dar. »Jemand hat Bart geköpft?«
»Ja. Anscheinend war er zum Zeitpunkt des Angriffs in seinem Holo-Raum und hatte kurz zuvor ein Spiel von einer Diskette aufgerufen. Die elektronischen Ermittler sind gerade dabei, die Diskette aus dem Hologerät zu holen, um sie sich genauer anzusehen. Ich müsste bitte wissen, wo Sie drei gestern bis 18 Uhr gewesen sind.«