In Liebe und Tod - J.D. Robb - E-Book

In Liebe und Tod E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

J.D. Robb ist die Meisterin in Liebe und Tod

Eve Dallas untersucht die brutale Ermordung eines jungen Liebespaares, als ihre Freundin Mavis sie um Hilfe bittet. Tandy Willowby, eine werdende Mutter aus Mavis’ Geburtsvorbereitungskurs, ist spurlos verschwunden. Tandy war gerade von London in die USA ausgewandert und hat bislang nur wenige Freunde in New York. Ist sie womöglich entführt worden? Zu ihrem Schrecken findet Eve eine Verbindung zwischen beiden Fällen. Doch wird es ihr gelingen, den Mörder zu finden, bevor er erneut zuschlägt?

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Seitenzahl: 717

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Buch

Eve Dallas ist heilfroh, als sie mitten im Geburtsvorbereitungskurs, in den sie ihre älteste, beste und nun schwangere Freundin Mavis mit höchst gemischten Gefühlen begleitet hat, einen Notruf aus der Zentrale erhält. In einem schicken Appartement liegt die Leiche der 26-jährigen Natalie Copperfield. Arme und Beine sind mit Klebeband gefesselt. Der Täter hat sie grausam zu Tode gefoltert und ist mitsamt ihrem Computer verschwunden. Seit vier Jahren war Natalie Buchprüferin bei einem renommierten Wirtschaftsprüfungsunternehmen. Hat sich einer ihrer Kunden an der ehrgeizigen jungen Frau gerächt, nachdem sie ihm wegen doppelter Buchführung, Geldwäsche oder Steuerhinterziehung auf die Schliche gekommen ist? Oder hat Natalies Ermordung einen persönlichen Hintergrund? Als Eve Dallas und Detective Delia Peabody deren Lebensgefährten und Kollegen Bick Byson zwecks Befragung aufsuchen, finden sie auch ihn ermordet in seiner Wohnung. Eve bleibt nichts anderes mehr übrig, als den lang geplanten Urlaub mit ihrem attraktiven, schwerreichen Ehemann Roarke wieder einmal zu verschieben …

Autorin

J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts, einer der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren erfolgreich Kriminalromane.

Liste lieferbarer Titel

Rendezvous mit einem Mörder (1; 35450) · Tödliche Küsse (2; 35451) · Eine mörderische Hochzeit (3; 35452) · Bis in den Tod (4; 35632) · Der Kuss des Killers (5;35633) · Mord ist ihre Leidenschaft (6; 35634) · Liebesnacht mit einem Mörder (7; 36026) · Der Tod ist mein (8; 36027) · Ein feuriger Verehrer (9; 36028) · Spiel mit dem Mörder (10; 36321) · Sündige Rache (11; 36332) · Symphonie des Todes (12; 36333) · Das Lächeln des Killers (13; 36334) · Einladung zum Mord (14; 36595) · Tödliche Unschuld (15; 36599) · Der Hauch des Bösen (16; 36693) · Das Herz des Mörders (17; 36715) · Im Tod vereint (18; 36722) · Tanz mit dem Tod (19; 36723) · In den Armen der Nacht (20; 36966) · Stich ins Herz (21; 37045) · Stirb, Schätzchen, stirb (22; 37046)

Mörderspiele. Drei Fälle für Eve Dallas (36753)

Nora Roberts ist J. D. Robb

Ein gefährliches Geschenk (36384)

J. D. Robb

In Liebe und Tod

Roman

Deutsch von Uta Hege

Die Originalausgabe erschien 2006

unter dem Titel »Born in Death« bei G. P. Putnam’s Sons, a member of Penguin Group (USA) Inc., New York

1. Auflage

Taschenbuchausgabe Dezember 2012 bei Blanvalet Verlag,

einem Unternehmen der

Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe 2006 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarischen Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Copyright © 2009 für die deutsche Ausgabe

by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München

Umschlaggestaltung: © bürosüd°, München

Umschlagmotiv: Getty Images/Flickr/Alexandre Fundone

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Redaktion: Regine Kirtschig

LH ∙ Herstellung: sam

ISBN: 978-3-641-08329-8

www.blanvalet.de

Ich bin das A und das O,

der Erste und der Letzte,

der Anfang und das Ende.

Offenbarung

Liebe erzeugt Liebe.

Robert Herrick

1

Die Anforderungen, die die Freundschaft an die Menschen stellte, waren manchmal mörderisch. Wenn man erst in dem verschlungenen Labyrinth gefangen war, konnte man jederzeit von einem Freund gebeten werden, ihm zuliebe ärgerliche, lästige oder sogar richtiggehend grauenhafte Taten zu begehen.

Für Eve Dallas war die allerschlimmste Forderung, die ein sogenannter Freund an sie stellen konnte, einen stundenlangen Geburtsvorbereitungskurs halbwegs würdevoll zu überstehen.

Das Blut gefror in ihren Adern angesichts des Angriffes auf alle ihre Sinne, dem sie hilflos ausgeliefert war.

Sie war Polizistin, jagte seit elf Jahren Mörder, schützte und verteidigte die harten, gnadenlosen Straßen von New York. Es gab kaum etwas, was sie noch nicht gesehen, berührt, gerochen oder durchwatet hatte. Da die Menschen immer wieder neue, einfallsreiche, widerliche Möglichkeiten fanden, ihre Mitmenschen zu töten, wusste sie genau, was für unendlichen Qualen der menschliche Körper manchmal ausgeliefert war.

Doch selbst der blutigste, brutalste Mord erschien ihr völlig harmlos im Vergleich zu dem, was bei einer Geburt geschah.

Wie diese Frauen, deren Leiber von den Wesen, die in ihnen reiften, grässlich deformiert und aufgequollen waren, derart gut gelaunt und geradezu gelassen der Sache entgegenblicken konnten, die in absehbarer Zeit passieren würde, konnte sie beim besten Willen nicht verstehen.

Doch ihre älteste und beste Freundin Mavis Freestone, deren kleiner, elfengleicher Körper hinter ihrem dicken Bauch kaum noch zu sehen war, strahlte wie ein Honigkuchenpferd, als sie auf die Livebilder einer Geburt auf dem großen Bildschirm sah. Und sie war nicht die Einzige, die derart dümmlich grinste. Auch sämtliche anderen Frauen hatten diesen ehrfürchtig verzückten Blick.

Vielleicht schalteten während der Schwangerschaft ja bestimmte Teile des Gehirns ganz einfach ab.

Eve selbst fühlte sich nicht ganz wohl. Als sie einen Blick auf ihren Gatten warf, zeigte ihr der Ausdruck seines von Engeln geküssten Gesichts, dass es ihm nicht besser ging. Was eindeutig ein großes Plus der Ehe war. Sie konnte ihren Mann nicht nur in ihre ganz privaten Albträume mit einbeziehen, sondern ihn auch zwingen, dass er neben ihr auf dem verschlungenen Pfad der Freundschaft ging.

Eve ließ die Bilder auf dem Bildschirm vor ihrem Blick verschwimmen. Zehnmal lieber hätte sie sich irgendeine Aufnahme von einem Tatort angesehen– den Schauplatz eines Massenmords oder irgendein verstümmeltes Geschöpf mit abgetrennten Gliedern– als die Genitalien einer Frau, die gerade in den Wehen lag und die darauf wartete, dass sich ein Kopf aus ihrem Körper schob. Roarke hatte Horrorfilme in seiner Sammlung, die nicht so schlimm waren wie das, was sie hier sah. Sie hörte, dass Mavis mit dem zukünftigen Vater Leonardo flüsterte, verdrängte aber auch das.

Wann, lieber Gott, wann ist es endlich vorbei?

In Ordnung, dachte sie in dem Bemühen, sich ein wenig abzulenken, das Geburtszentrum war wirklich beeindruckend. Es wirkte wie eine Kathedrale der Empfängnis, der Schwangerschaft und der Geburt. Mavis’ Versuch, ihr jeden Raum im ganzen Haus zu zeigen, hatte sie mit dem Vorwand abgewehrt, sie hätte noch zu viel zu tun.

Manchmal diente eine gut platzierte kleine Lüge dem Erhalt der Freundschaft und der geistigen Gesundheit, dachte sie.

Der Schulungsbereich genügte ihr vollkommen. Sie hatte eine Vorlesung sowie mehrere Demonstrationen, die sie noch jahrzehntelang in ihren Träumen verfolgen würden, ausgehalten und als Teil von Mavis’ Coaching-Team bei einer simulierten Geburt mit dem Gebärdroiden und einem kreischenden Droidensäugling assistiert.

Und jetzt sah sie sich auch noch dieses grauenhafte Video an.

Denk nicht darüber nach, warnte sie sich eindringlich und wandte sich erneut dem Studium des Raumes zu.

Pastellfarbene Wände waren mit Aufnahmen von Babys oder schwangeren Frauen in verschiedenen Phasen der Glückseligkeit behängt. Sie waren ausnahmslos bildhübsch und wirkten vollkommen verzückt. Jede Menge frischer Blumen und prachtvoller grüner Pflanzen waren künstlerisch im Raum verteilt. Die drei flotten Trainerinnen hielten nicht nur Vorträge, demonstrierten irgendwelche Techniken und beantworteten Fragen, sondern reichten auch noch pausenlos gesunde Erfrischungen herum. Es gab bequeme Stühle, die anscheinend extra zu dem Zweck entworfen worden waren, den Frauen zu ermöglichen, trotz der prallen Bäuche ohne Mühe aufzustehen.

Denn wenn schwangere Frauen nicht gerade aßen oder tranken, rannten sie aufs Klo.

Am Ende des Raums gab es eine Flügeltür und vorne links neben dem Wandbildschirm einen Notausgang. Am liebsten wäre Eve kopfüber durch die Tür gestürzt, da das jedoch völlig ausgeschlossen war, versank sie in einer Art von Trance.

Sie war eine große, schlanke Frau mit kurz geschnittenem, braunem Haar. Ihr kantiges Gesicht war bleicher als gewöhnlich und die whiskeybraunen Augen sahen etwas glasig aus. Die Jacke, die sie über ihrem Schulterhalfter mit der Waffe trug, war aus dunkelgrünem Kaschmir, schließlich hatte Roarke sie irgendwann für sie gekauft.

Während sie noch davon träumte, endlich heimzufahren und einen ganzen Liter Wein zu trinken, weil sich dadurch die Erinnerung an die vergangenen drei Stunden eventuell ertränken ließ, packte Mavis ihre Hand.

»Da, Dallas! Das Baby kommt!«

»Huh? Was?« Sie riss entsetzt die Augen auf. »Was? Jetzt? Oh, Gott. Hör ja nicht auf zu atmen.«

»Nicht dieses Baby.« Kichernd rieb sich Mavis ihren kugelrunden Bauch. »Das Baby.«

Instinktiv sah Eve in die ihr gewiesene Richtung und starrte auf das zappelnde, mit irgendeiner Schmiere zugekleisterte Geschöpf, das laut brüllend zwischen den Beinen einer armen Frau in die Hände eines anderen Menschen glitt.

»Oh, Mann. Oh, Gott.« Da ihre Beine sie nicht länger trugen, nahm sie eilig wieder Platz, und auch wenn sie deshalb vielleicht wie eine Memme wirkte, packte sie Roarkes Hand.

Als er ihre Finger drückte, spürte sie, dass seine Hand genauso feucht wie ihre eigene war.

Die anderen klatschten in die Hände und brachen in laute Jubelrufe aus, als die Mutter dieses glibberige Wesen zwischen ihre prallen Brüste auf den wieder flachen Bauch gelegt bekam.

»Bei allem, was mir heilig ist…«, murmelte Eve. »Wir haben das Jahr 2060 und nicht 1760. Können sie nicht endlich ein anderes Verfahren dafür entwickeln?«

»Amen«, pflichtete Roarke ihr mit schwacher Stimme bei.

»Ist das nicht wunderbar? Das ist einfach fantastisch, einfach phänomenal.« In Mavis’ augenblicklich saphirblau getönten Wimpern blitzten Tränen der Bewunderung. »Es ist ein kleiner Junge. Ah, guckt doch nur, wie süß er ist…«

Eve hörte verschwommen, wie eine der Trainerinnen das Ende des abendlichen Unterrichts verkündete und die Teilnehmer dazu einlud, noch ein wenig zu bleiben, etwas zu essen oder zu trinken und sich vertrauensvoll an sie und ihre Kolleginnen zu wenden, falls es noch Fragen gab.

»Luft«, flüsterte Roarke ihr ins Ohr. »Ich brauche dringend frische Luft.«

»Das liegt an all den Schwangeren. Ich glaube, sie verbrauchen den gesamten Sauerstoff. Lass dir etwas einfallen und schaff uns hier raus. Ich kann nicht mehr nachdenken. Mein Hirn hat die Arbeit eingestellt.«

»Halt dich dicht an meiner Seite.« Er schob eine Hand unter einen ihrer Arme und zog sie von ihrem Stuhl.

»Mavis, Eve und ich würden dich und Leonardo gern zum Essen einladen. Ich bin sicher, dass wir etwas finden, was besser als das ist, was hier angeboten wird.«

Obwohl Eve die Anspannung in seiner Stimme hörte, ging sie sicher davon aus, dass jemand, der ihn nicht so gut kannte wie sie, nur den melodiösen, irischen Akzent vernahm.

Um sie herum plapperten unzählige Frauen durcheinander und strömten in Richtung des Buffets oder auf die Toiletten zu. Statt jedoch darüber nachzudenken, was die anderen sagten oder taten, konzentrierte Eve sich ganz auf Roarkes Gesicht.

Wenn dieser Anblick es nicht schaffte, sie von allem anderen abzulenken, gäbe es eindeutig keine Rettung mehr für sie.

Vielleicht war er ein wenig blass, doch durch seine weiße Haut wurde das wilde Blau von seinen Augen tatsächlich noch betont. Sein seidig weiches, rabenschwarzes Haar rahmte ein Gesicht, das dazu geschaffen war, den Herzschlag einer Frau zu beschleunigen. Und sein Mund… Selbst in ihrem momentanen Zustand hätte sie sich allzu gern ein wenig vorgebeugt und ihn geküsst.

Auch sein großer, schlanker, muskulöser Körper, der in einem seiner teuren Maßanzüge steckte, sah aus wie die Erfüllung eines Traums.

Roarke war nicht nur einer der reichsten Männer des bekannten Universums, er sah auch danach aus.

Und in diesem Augenblick, da er sie aus diesem Albtraum führte, war er obendrein ihr größter Held.

Im Vorbeigehen riss sie ihren Mantel von dem Ständer an der Tür und sah ihn fragend an.

»Dürfen wir jetzt wirklich gehen?«

»Sie wollen noch eine Freundin fragen, ob sie uns begleiten will.« Er hielt noch immer ihre Hand und marschierte eilig auf den Ausgang zu. »Ich habe ihnen gesagt, dass wir schon mal den Wagen holen, damit sie nicht so weit laufen müssen.«

»Du bist einfach brillant. Du bist mein Ritter auf dem weißen Pferd. Falls ich mich je von diesem Trauma erhole, vögele ich dir dafür das Hirn heraus.«

»Ich hoffe, dass sich meine Hirnzellen weit genug regenerieren, dass das möglich ist. Mein Gott, Eve. Mein Gott.«

»Ich bin ganz deiner Meinung. Hast du gesehen, wie das Ding aus dieser armen Frau herausgeflutscht ist wie ein –«

»Nicht.« Er zog sie in den Fahrstuhl und drückte auf den Knopf für die Tiefgarage, wo sein Wagen stand. »Wenn du mich liebst, erinnerst du mich nicht daran.« Er lehnte sich rücklings gegen die Wand. »Ich habe Frauen immer respektiert. Du weißt, dass es so ist.«

Sie rieb sich die juckende Nase und stellte sarkastisch fest: »Auf alle Fälle hast du jede Menge Frauen flachgelegt«, fügte aber, als sie seinen Blick bemerkte, großmütig hinzu: »Aber ja, du respektierst sie auch.«

»Dieser Respekt hat inzwischen geradezu biblische Ausmaße angenommen. Wie machen sie das nur?«

»Das haben wir eben detailliert vorgeführt bekommen. Hast du Mavis gesehen?« Eve schüttelte den Kopf, als sie aus dem Fahrstuhl stieg. »Ihre Augen haben regelrecht geblitzt. Und das ganz sicher nicht aus Angst. Sie kann offensichtlich kaum erwarten, dass es endlich so weit ist.«

»Aber Leonardo sah ein bisschen grün um die Nase aus.«

»Tja, nun, er kann eben kein Blut sehen. Und in diesem Video gab es jede Menge Blut und anderes widerliches Zeug.«

»Hör auf. Ich will nichts mehr davon hören.«

Da das Wetter Ende Januar einfach scheußlich war, hatte er einen seiner Geländewagen ausgewählt, ein großes, schwarzes, protziges Teil. Als er die Türen entriegelte, lehnte sich Eve gegen den Wagen und sah ihn reglos an.

»Hör zu, Kumpel. Wir müssen diese Sache durchstehen, du und ich.«

»Obwohl ich das ganz bestimmt nicht will.«

Eve fing an zu lachen. Sie wusste, dass er selbst dem Tod zuversichtlicher entgegensah. »Was wir da drin erlebt haben, war nur ein kleines Vorspiel. Wir werden im selben Zimmer sein wie sie, wenn sie das Ding aus sich herauspresst. Wir werden bei ihr sein, bis zehn zählen, ihr sagen, dass sie atmen oder sich vorstellen soll, sie wäre an irgendeinem wunderbaren Ort. Was auch immer.«

»Wir könnten die Stadt oder das Land oder vielleicht sogar den Planeten verlassen. Das wäre wahrscheinlich das Beste. Wir könnten uns auf einen anderen Planeten rufen lassen, um die Welt vor irgendeinem kriminellen Superhirn zu retten oder so.«

»Das wäre natürlich wunderbar. Aber du und ich, wir beide wissen, dass wir zur Stelle sein werden. Und das wahrscheinlich schon sehr bald, denn die Bombe in ihrem Inneren tickt bereits.«

Er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus, beugte sich über das Dach des Wagens und lehnte seinen Kopf an ihre Stirn. »Gott steh uns bei, Eve. Gott steh uns bei.«

»Falls Gott auch nur das geringste Mitleid mit uns hätte, würde er die Welt ohne den Mittelsmann oder die Mittelsfrau bevölkern. Los, gehen wir was trinken. Bestell am besten gleich eine ganze Flasche pro Person.«

Das Restaurant war lässig, ziemlich laut und genau das, was die Hebamme empfahl. Mavis nippte an einem exotischen Früchtepunsch, der beinahe so funkelte wie sie. Ihre vollen Silberlocken wiesen an den Spitzen genau dasselbe Blau wie ihre Wimpern auf, und das schrille Grün der Augen hatte sie wahrscheinlich passend zu dem Pulli ausgewählt, der wie ein leuchtend grüner Gummischlauch um ihren Bauch und ihre Brüste lag. Ihre saphirblaue Hose saß wie eine zweite Haut, und die vielen schnörkeligen Ringe, die an ihren Ohren hingen, sandten helle Funken aus, wenn sie ihren Kopf bewegte.

Die Liebe ihres Lebens saß direkt neben ihr. Leonardo war wie ein Mammutbaum gebaut, da er Modedesigner war, sahen er und Mavis kleidungstechnisch nie wie andere Menschen aus. Unerklärlicherweise wurden der kupferrote Ton von seiner Haut und seine massige Gestalt von dem goldenen Sweatshirt mit den komplizierten, bunten, geometrischen Figuren vorteilhaft betont.

Auch wenn es beinahe unmöglich war, sah die Freundin, die sie mitgenommen hatten, tatsächlich noch schwangerer als Mavis aus. Anders als die schrille Mavis aber wirkte die blonde, blauäugige Tandy Willowby mit dem weißen T-Shirt unter ihrem schlichten schwarzen Pullover mit V-Ausschnitt sehr dezent.

Während der Fahrt zum Restaurant hatte Mavis ihnen Tandy vorgestellt, erzählt, dass sie aus London stammte und erst seit Kurzem in den Staaten war.

»Ich bin so froh, dass wir dich noch gesehen haben«, sagte sie zu ihrer Freundin, während sie eine Schneise in den von Roarke bestellten Vorspeisenteller schlug, und fügte an Eve gewandt hinzu: »Sie war heute Abend nämlich nicht beim Kurs, sondern ist erst gegen Ende aufgetaucht, um der Hebamme die Gutscheine für den Weißen Storch zu bringen. Das ist diese phänomenale Boutique für Babysachen, in der Tandy arbeitet.«

»Ein wirklich toller Laden«, stimmte Tandy zu. »Ich bin aber nicht vorbeigekommen, damit ich noch durchgefüttert werde.« Sie sah Roarke mit einem scheuen Lächeln an. »Es ist furchtbar nett von Ihnen beiden, mich zum Essen einzuladen«, fügte sie an Eve gewandt hinzu. »Mavis und Leonardo haben mir schon furchtbar viel von Ihnen erzählt. Sie sind sicher sehr aufgeregt.«

»Weshalb?«, fragte Eve verständnislos.

»Weil Sie zu Mavis’ Coaching-Team gehören.«

»Oh. Oh, ja. Wir sind…«

»…vollkommen sprachlos«, beendete Roarke den Satz. »Aus welcher Ecke von London kommen Sie?«

»Eigentlich komme ich aus Devon. Ich bin erst als Teenager mit meinem Vater nach London gezogen. Jetzt lebe ich in New York. Anscheinend halte ich es nirgends lange aus. Obwohl ich wahrscheinlich fürs Erste hier festsitze.« Sie strich verträumt mit einer Hand über ihren dicken Bauch. »Und Sie sind bei der Polizei. Das ist doch sicher toll. Mavis, ich kann mich nicht erinnern, dass du mir je erzählt hast, woher du Dallas kennst.«

»Sie hat mich mal verhaftet«, stieß Mavis zwischen zwei Bissen hervor.

»Das ist ja wohl ein Witz, oder?«

»Ich war mal Trickbetrügerin. Ich war wirklich gut.«

»Nur eben nicht gut genug«, bemerkte Eve.

»Los, erzähl mir alles ganz genau. Aber vorher muss ich noch auf die Toilette. Schließlich ist mein letzter Besuch dort mindestens fünf Minuten her.«

»Warte, ich komme mit.« Auch Mavis hievte sich von ihrem Stuhl. »Du auch, Dallas?«

»Ich setze eine Runde aus.«

»Ich kann mich noch undeutlich daran erinnern, wie es ist, wenn einem nicht ständig etwas auf die Blase drückt.« Tandy sah die anderen lächelnd an und watschelte mit Mavis in Richtung des WCs davon.

»Dann habt ihr Tandy also bei dem Kurs kennengelernt«, wandte sich Eve an Leonardo.

»Bei der Einführungsveranstaltung«, bestätigte er ihr. »Tandy hat eine Woche vor Mavis Termin. Es ist wirklich nett von euch, dass ihr sie auch eingeladen habt. Sie steht nämlich ganz alleine da.«

»Was ist mit dem Vater?« Roarke sah Leonardo fragend an, doch der zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

»Sie spricht nicht gern darüber. Hat uns nur erzählt, dass er kein Interesse an dem Baby hat. Wenn das der Fall ist, hat er weder sie noch das Kind verdient.« Leonardos für gewöhnlich weiche Miene wurde hart. »Mavis und ich möchten ihr helfen, soweit uns das möglich ist.«

Sofort nahm Eves zynische Antenne deutliche Signale auf, sie wollte von ihm wissen: »Unterstützt ihr sie auch finanziell?«

»Nein. Ich glaube nicht, dass sie Geld von uns nehmen würde, selbst wenn sie welches bräuchte. Aber das ist offenkundig nicht der Fall. Ich meinte einfach, dass wir sie als Freundin sehen.« Er schien ein wenig zu erbleichen. »Zum Beispiel gehöre ich zu ihrem Coaching-Team. Das wird, äh, es wird wie eine Generalprobe für Mavis’ Entbindung für mich sein.«

»Aber trotzdem hast du eine Heidenangst davor, nicht wahr?«

Er blickte in Richtung der Toiletten und dann wieder auf Eve. »Ich habe eine Todesangst davor, dass ich in Ohnmacht falle, wenn es so weit ist. Was soll ich dann nur tun?«

»Du musst vor allem dafür sorgen, dass du nicht auf mich fällst«, erklärte Roarke.

»Mavis ist kein bisschen nervös. Aber je näher wir der Sache kommen, umso…« Er hob seine Pranken in die Luft. »Ich weiß wirklich nicht, was ich machen würde, wenn ihr beide nicht dabei wärt, um mich zu unterstützen.«

Eve dachte, oh verdammt, und tauschte einen Blick mit Roarke. »Wo sollten wir wohl sonst sein?«, fragte sie, winkte den Kellner an den Tisch und bestellte sich den nächsten Wein.

Zwei Stunden später setzten sie erst Mavis und Leonardo zu Hause ab und fuhren dann in Richtung Südosten auf das Gebäude zu, in dem Tandys Apartment lag.

»Wirklich, ich kann auch einfach die U-Bahn nehmen. Ich möchte Ihnen keine Mühe machen, und schließlich ist es gar nicht weit.«

»Wenn es gar nicht weit ist, macht es uns auch keine Mühe«, antwortete Roarke.

»Was soll ich da noch sagen?« Tandy lachte fröhlich auf. »Vor allem ist es einfach angenehm, in einem warmen Wagen zu sitzen, während es draußen derart eisig ist.« Mit einem wohligen Seufzer lehnte sie sich gegen ihren Sitz. »Ich komme mir vor wie ein verhätschelter Wal. Mavis und Leonardo sind einfach wunderbare Menschen. Man hat sofort gute Laune, wenn man mit einem von den beiden zusammen ist. Und wie ich sehe, haben sie auch mit ihren Freunden echtes Glück. Ups.«

Eve drehte ihren Kopf so schnell, dass er ihr beinahe von den Schultern flog. »Kein Ups. Bloß nicht upsen, solange Sie in unserem Wagen sitzen, ja?«

»Er hat sich nur etwas bewegt. Keine Angst. Ist Ihnen übrigens klar, wie aufgeregt Mavis schon wegen der Babyparty nächste Woche ist? Sie gerät vollkommen aus dem Häuschen, sobald sie auch nur darüber spricht.«

»Babyparty. Richtig. Nächste Woche.«

»So, da wären wir. Nochmals vielen Dank für das wunderbare Essen, die nette Gesellschaft und die luxuriöse Fahrt.« Tandy rückte ihren Schal zurecht und hievte eine Tasche in der Größe eines Koffers auf den Bürgersteig. »Wir sehen uns dann am Samstag auf der Babyparty, ja?«

»Falls Sie Hilfe brauchen, äh…«

»Nein, nein«, winkte Tandy fröhlich ab. »Selbst ein Wal muss für sich alleine sorgen. Und auch wenn ich meine Füße nicht mehr sehen kann, kann ich mich noch daran erinnern, wo sie sind. Gute Nacht und nochmals vielen Dank.«

Roarke wartete mit laufendem Motor, bis Tandy durch die Tür des Wohnhauses verschwunden war. »Scheint eine nette Frau zu sein. Vernünftig und stabil.«

»Das genaue Gegenteil von Mavis. Abgesehen von dem Wal-Faktor. Muss ziemlich schwierig sein, wenn man ein Kind erwartet, auf sich allein gestellt und dann noch nicht einmal zu Hause ist. Aber sie kommt anscheinend gut damit zurecht. Wie kommt es eigentlich, dass man Geburtsvorbereitungskurse besuchen, bei Geburten zusehen und dann auch noch Babypartys ausrichten muss, nur weil man mit jemandem befreundet ist?«

»Ich habe keine Ahnung.«

Da auch sie selber keine Antwort auf die Frage hatte, stieß sie einen abgrundtiefen Seufzer aus.

Eve träumte von Babys mit Reißzähnen und unzähligen Armen, die aus Mavis herausquollen, durch das Zimmer sprangen und die kreischende Hebamme die Flucht antreten ließen, während Mavis säuselte: Sind sie nicht süß? Sind sie nicht einfach wunderbar?

Als sie durch das Schrillen des Links auf ihrem Nachttisch aus dem Schlaf gerissen wurde, erschauderte sie kurz.

»Video aus. Licht auf zehn Prozent. Hier Dallas.«

Hier Zentrale, Lieutenant Eve Dallas. Bitte begeben Sie sich umgehend in die Jane Street 51, Apartment 3B. Wahrscheinlich handelt es sich um Mord. Es sind bereits Beamte dort.

»Verstanden. Kontaktieren Sie auch Detective Delia Peabody. Ich mache mich sofort auf den Weg.«

Verstanden. Zentrale aus.

Eve drehte den Kopf und sah, dass Roarkes blaue Augen geöffnet waren und er zu ihr herübersah.

»Tut mir leid.«

»Ich bin nicht derjenige, der um vier Uhr morgens aus seinem warmen Bett gerissen wird.«

»Da hast du recht. Die Leute sollten wenigstens die Höflichkeit besitzen, einander zu normalen Zeiten aus dem Verkehr zu ziehen.«

Sie rollte sich vom Bett, trottete ins Bad, nahm eine kurze Dusche, und als sie nackt und warm aus der Trockenkabine kam, hob er gerade eine Tasse dampfenden Kaffee an seinen Mund.

»Warum bist du auf?«

»Weil ich wach bin. Und weil ich dich nicht hätte betrachten können, wenn ich mich einfach wieder umgedreht und weitergeschlafen hätte.« Er drückte ihr die zweite Tasse Kaffee, die er aus dem Auto-Chef gezogen hatte, in die Hand.

»Danke.« Sie nahm sie mit zum Schrank. Es war wahrscheinlich bitterkalt, überlegte sie, trat vor ihre Kommode und riss einen Pullover mit V-Ausschnitt heraus, der sich über ihrem Hemd und unter ihrer Jacke tragen ließ.

Zweimal schon hatten sie den Plan, ein paar Tage in den Tropen zu verbringen, verschoben. Mavis hätte den Gedanken einfach nicht ertragen, dass ein Teil von ihrem Coaching-Team so kurz vor dem Geburtstermin in Richtung Sand und Sonne floh.

Sie hatten also keine andere Wahl.

»Babys kommen doch ohne Zähne auf die Welt, oder?«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass…« Roarke stellte seine Tasse fort und bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick. »Warum rufst du solche Bilder in mir wach?«

»Ich habe sie im Kopf, Kumpel, deshalb ist es nur gerecht, wenn auch du sie hast.«

»Du erwartest ja wohl nicht, dass ich dir noch mal einen Kaffee koche, oder?«

Sie zog sich eilig an. »Vielleicht ist dieser Mord ja das Werk eines kriminellen Superhirns, das ich bis auf einen anderen Planeten verfolgen muss. Wenn du weiter nett bist, nehme ich dich vielleicht sogar mit.«

»Ich hoffe, dass das nicht nur ein leeres Versprechen ist.«

Lachend legte sie ihr Waffenhalfter an. »Also dann, bis irgendwann.« Sie trat noch einmal vor ihn, küsste ihn sanft auf beide Wangen und– weil er sogar um vier Uhr nachts einfach fantastisch aussah– innig auf den Mund.

»Pass auf dich auf, Lieutenant.«

»Das tue ich bestimmt.«

Sie joggte ins Foyer hinunter, wo ihr Mantel wie am Vorabend über dem Treppenpfosten hing. Dort warf sie ihn gewohnheitsmäßig hin, weil es praktisch war und weil sie wusste, dass es Summerset, dem Majordomus ihres Mannes und der größten Plage ihres Lebens, einfach gegen den Strich ging.

Sie warf sich in das Kleidungsstück und zog die Handschuhe heraus, die sie– Wunder über Wunder– tatsächlich in einer Manteltasche fand. Dann hüllte sie sich noch in den warmen Kaschmirschal, der zu ihrer Überraschung ebenfalls über dem Treppenpfosten hing. Trotzdem traf die Kälte sie wie ein Schock, als sie vor die Haustür trat.

Doch beschweren konnte sie sich nicht, denn schließlich hatte Roarke sogar daran gedacht, ihr Fahrzeug vor die Tür fahren und die Heizung anmachen zu lassen.

Sie marschierte durch die Kälte, kletterte ins Warme und fuhr in Richtung Tor.

Bevor sie auf die Straße bog, blickte sie noch einmal durch den Rückspiegel zurück auf das von Roarke gebaute Haus. Mit dem Stein und Glas, den Türmen und Balkonen und dem warmen, einladenden Licht hinter den Fenstern ihres Schlafzimmers füllte es den ganzen Spiegel aus.

Wahrscheinlich trank er bereits eine zweite Tasse Kaffee und sah sich im Fernsehen die Berichte von der Börse und die Frühnachrichten an. Vielleicht führte er auch noch ein paar Überseegespräche oder rief bei irgendwelchen außerirdischen Filialen seiner Unternehmen an. Denn es war für Roarke nicht weiter ungewöhnlich, dass sein Arbeitstag so früh begann.

Was hatte sie doch für ein Glück gehabt, dass sie auf einen Mann getroffen war, der keine Probleme damit hatte, sich an den verrückten Arbeitsrhythmus anzupassen, der für eine Polizistin typisch war.

Sie fuhr durch das Tor, und es glitt geräuschlos hinter ihr wieder zu.

Hier in dieser teuren Gegend war es herrlich still– die Reichen, Privilegierten oder einfach Glücklichen lagen kuschelig und warm in den weichen Betten in ihren klimatisierten Häusern, Eigentumswohnungen oder Apartments und dachten nicht einmal daran, dass die Stadt nur ein paar Blocks entfernt nie wirklich zur Ruhe kam.

Der heiße Dampf, der aus den Gittern in den Bürgersteigen quoll, zeigte, dass es auch noch unterhalb der Gehwege und Straßen Leben gab. Auch die Werbeflieger zogen bereits ihre Bahnen und priesen mit Lautsprechern und Spruchbändern die Schnäppchen des anbrechenden Tages an. Aber wer in aller Welt interessierte sich um diese Zeit für irgendwelche Valentinstagsangebote in der Sky Mall, überlegte Eve. Welcher normale Mensch würde sich jemals in das Getümmel eines Einkaufszentrums stürzen, nur weil es dort Rabatt auf rote Zuckerherzen gab?

Sie kam an einer beweglichen Werbetafel vorbei, auf der man makellose Menschen über einen weißen Puderzuckerstrand in Richtung meterhoher, leuchtend blauer Wellen laufen sah. Das war schon besser, dachte sie.

Die gelben Taxis waren ebenfalls schon unterwegs. Wahrscheinlich fuhren sie vor allem zu den Flughäfen. Denn sicher gingen um diese Zeit bereits jede Menge Flüge los.

Hustend rumpelten ein paar Maxibusse an ihrem Gefährt vorbei, die wahrscheinlich irgendwelche armen Schweine zur Frühschicht transportierten, bevor es für die etwas Glücklicheren nach der Friedhofsschicht nach Hause in die Falle ging.

Ein paar Beizen in der Neunten waren immer noch geöffnet, und Eve entdeckte eine Horde junger Kerle, die in dick wattierten, aufgerissenen Jacken und in Springerstiefeln an der Straßenecke lungerten. Um es bei der Kälte draußen auszuhalten, hatten sie womöglich irgendwelche Pillen eingeworfen, dachte sie. Falls sie jedoch Ärger machen wollten, würde es schwierig für sie, irgendwelche Opfer aufzutreiben, denn ordentliche Leute trieben sich bei Minusgraden sicher nicht um diese Uhrzeit auf der Straße rum.

Sie fuhr durch einen Arbeiterbezirk in Chelsea und bog schließlich in das Künstlerviertel Village ein.

Als sie vor einem renovierten Stadthaus in der Jane Street einen Streifenwagen sah, stellte sie ihr Fahrzeug einfach in der Ladezone ein paar Häuser weiter ab, schaltete das Blaulicht ein und begab sich wieder in die kalte Winternacht hinaus. Bis sie ihren Untersuchungsbeutel aus dem Kofferraum genommen und den Wagen abgeschlossen hatte, entdeckte sie auch Peabody, die eilig um die Ecke bog.

In dem dick wattierten Mantel in der Farbe rostigen Metalls, mit dem kilometerlangen leuchtend roten Schal und der dazu passenden Mütze, die fest auf ihren dunklen Haaren saß, sah ihre Partnerin wie eine Polarforscherin aus. Dicke weiße Dampfwolken quollen aus ihrem Mund, als sie keuchend wissen wollte: »Warum können die Leute sich nicht umbringen, nachdem die Sonne aufgegangen ist?«

»In dem Mantel sehen Sie wie eine Tonne aus.«

»Ja, ich weiß, aber er ist unglaublich warm und gibt mir, wenn ich ihn ausziehe, das herrliche Gefühl, gertenschlank zu sein.«

Sie liefen gemeinsam auf das Stadthaus zu, und Eve schaltete ihren Rekorder an. »Keine Überwachungskameras«, bemerkte sie. »Kein Handscanner. Am Türschloss hat sich jemand zu schaffen gemacht.«

Vor den Fenstern in der untersten Etage waren Gitter angebracht. Die gräuliche Farbe an der Tür und an den Fenstern blätterte bereits an vielen Stellen ab. Der Besitzer dieses Hauses war anscheinend weder an der Sicherheit seiner Bewohner noch an der Erhaltung des Gebäudes interessiert.

Die Beamtin an der Tür nickte ihnen beiden zu. »Lieutenant, Detective. Was für eine Affenkälte«, grüßte sie. »Der Notruf kam um drei Uhr zweiundvierzig. Die Schwester des Opfers hat ihn abgeschickt. Meine Partnerin hat sie wieder raufgebracht. Wir haben den Notruf entgegengenommen und waren gegen drei Uhr sechsundvierzig hier. Die Haustür scheint aufgebrochen worden zu sein. Das Opfer liegt im Schlafzimmer seines Apartments oben im dritten Stock. Auch die Wohnungstür wurde anscheinend aufgebrochen. Wie es aussieht, hat das Opfer sich gewehrt. Arme und Beine sind mit dem guten, alten Klebeband gefesselt. Der Täter hat ihr ziemlich übel mitgespielt, bevor er sie erledigt hat. Sieht aus, als hätte er sie mit dem Gürtel ihres Morgenrocks erwürgt, denn sie hat ihn noch immer um den Hals.«

»Wo war die Schwester, während es geschehen ist?«

»Meinte, sie wäre gerade erst gekommen. Sie ist Flugbegleiterin und steigt angeblich, wenn sie in New York ist, immer bei ihrer Schwester ab. Ihr Name ist Palma Copperfield. Sie arbeitet bei World Wide Air. Sie hat den Tatort ein bisschen durcheinandergebracht– hat sich im Wohnzimmer übergeben und die Leiche angefasst, bevor sie wieder rausgelaufen ist und die Polizei verständigt hat.«

Die Beamtin blickte Richtung Lift. »Sie saß heulend da draußen auf der Treppe, als wir angekommen sind. Wahrscheinlich heult sie immer noch.«

Da sicher auch der Fahrstuhl schon seit Längerem nicht mehr gewartet worden war, marschierte Eve in Richtung Treppe, schälte sich aus ihren Handschuhen und ihrem Schal und stieg bis in den dritten Stock.

Es gab nur eine Wohnung pro Etage, merkte sie. Man hatte also jede Menge Platz und war vor allem ziemlich ungestört.

Im dritten Stock entdeckte sie, dass die Wohnungstür mit einer neuen Kamera und einem neuen, teuren Schloss gesichert war. Beides war auf eine zwar amateurhafte, aber äußerst effektive Weise überwunden worden.

Sie trat durch die Tür des Wohnbereichs, wo neben einer weiteren Beamtin eine Frau mit einer Decke auf dem Sofa saß.

Sie zitterte wie Espenlaub, war vielleicht Anfang zwanzig, mit langem, glattem, aus der Stirn gestrichenem Haar und einem Gesicht, in dem das Make-up aufgrund der Tränen leicht verlaufen war. Sie hielt ein Glas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit– wahrscheinlich Wasser– fest in beiden Händen und stieß ein unterdrücktes Schluchzen aus.

»Ms Copperfield, ich bin Lieutenant Dallas, und das hier ist meine Partnerin, Detective Peabody.«

»Die Mordkommission. Die Mordkommission«, brabbelte sie mit dem kurzvokaligen Akzent, der Eve verriet, dass sie aus dem Mittleren Westen kam.

»Jawohl.«

»Jemand hat Nat getötet. Jemand hat meine Schwester umgebracht. Sie ist tot. Natalie ist tot.«

»Es tut mir leid. Können Sie uns sagen, was passiert ist?«

»Ich– ich bin hereingekommen. Sie wusste, dass ich komme. Ich hatte sie extra heute Morgen angerufen, um sie daran zu erinnern. Wir hatten leichte Verspätung, dann habe ich noch etwas mit meiner Kollegin Mae getrunken. Die Tür unten– die Tür war aufgebrochen oder so. Ich brauchte meinen Schlüssel nicht. Ich habe einen Schlüssel. Dann bin ich raufgekommen und das Schloss– sie hatte sich ein neues Schloss einbauen lassen und mir erst heute Morgen, als ich angerufen habe, den Code dafür gegeben. Aber es sah aus, als wäre es kaputt. Die Tür war nicht mal abgesperrt. Ich dachte, dass etwas nicht stimmt, dass irgendetwas passiert ist, denn Natalie hat immer abgesperrt, bevor sie ins Bett gegangen ist. Also habe ich gedacht, ich gucke kurz nach ihr, bevor ich selber schlafen gehe. Und da habe ich gesehen– oh Gott, oh Gott, sie lag auf dem Boden. Alles war durcheinander, sie lag auf dem Boden, und ihr Gesicht. Ihr Gesicht…«

Palma fing wieder an zu weinen, eine Reihe dicker Tränen liefen über ihr Gesicht. »Es war ganz rot und verquollen und ihre Augen– ich bin zu ihr gelaufen und habe ihren Namen gerufen. Ich glaube, ich habe ihren Namen gerufen und versucht, sie aufzuwecken. Habe versucht, sie hochzuziehen. Aber sie hat nicht geschlafen. Ich habe sofort gewusst, dass sie nicht schlief, aber ich musste trotzdem versuchen, sie zu wecken. Meine Schwester. Jemand hat meiner Schwester wehgetan.«

»Jetzt werden wir uns um sie kümmern.« Eve dachte daran, wie lange es dauern würde, bis erst sie und dann die Spurensicherung mit der Sichtung des Tatorts fertig wäre, und fügte deswegen hinzu: »Ich muss nachher noch mal mit Ihnen sprechen und lasse Sie deshalb auf die Wache fahren. Dort können Sie warten, bis ich hier fertig bin.«

»Ich glaube nicht, dass ich Nat alleine lassen sollte. Ich weiß nicht, was ich machen soll, aber ich sollte bei meiner Schwester bleiben, damit sie nicht alleine ist.«

»Sie müssen sie jetzt uns anvertrauen. Wir kümmern uns um sie. Peabody.«

»Ich werde dafür sorgen, dass Ms Copperfield auf das Revier gefahren wird.«

Auf Eves fragenden Blick nickte die Beamtin auf dem Sofa knapp in Richtung einer Tür, Eve besprühte ihre Hände mit Siegelspray, wandte der Trauernden den Rücken zu und stellte sich dem Tod.

2

Es war ein ziemlich großes Schlafzimmer mit einer gemütlichen kleinen Sitzecke, von der aus man durchs Fenster auf die Straße sah.

Eve stellte sich vor, wie Natalie von ihrem Sessel aus gesehen hatte, wie die Welt an ihr vorüberzog.

Das Bett wirkte feminin und war beinahe übertrieben sorgfältig gemacht. Die überall im Raum verteilten, infolge der Geschehnisse teilweise blutbefleckten Kissen hatte Natalie wahrscheinlich, wie es manche Frauen gerne machten, auf der spitzenbesetzten rosaweißen Tagesdecke aufgetürmt.

Es gab einen kleinen Fernseher, der so an der Wand befestigt war, dass man entweder vom Bett oder von der Sitzgruppe aus etwas sehen konnte, gerahmte Blumenbilder und eine langgezogene Kommode. Die Flaschen und die anderen Behälter, die darauf wahrscheinlich ein mädchenhaftes Arrangement gebildet hatten, lagen, teilweise zerbrochen, auf dem Fußboden herum.

Auf einem der beiden flauschigen Läufer, die den Holzboden bedeckten, sah Eve Natalie. Ihre in Höhe der Knöchel gefesselten Beine waren unnatürlich verdreht, die vor ihrem Bauch zusammengebundenen Hände hatten sich ineinander verkrallt wie zu einem verzweifelten Gebet.

Sie trug einen blau-weiß karierten, blutgetränkten Schlafanzug. Ein blauer Morgenmantel lag in einer Ecke, mit dem dazu passenden Gürtel hatte ihr jemand die Kehle zugeschnürt.

Die beiden Läufer waren blutverschmiert, neben der Tür hatte sich jemand übergeben, und außer nach diesen beiden Dingen roch es nach Urin.

Eve ging neben dem Leichnam in die Hocke, machte den standardmäßigen Identitätstest und stellte den genauen Todeszeitpunkt fest.

»Das Opfer ist eine sechsundzwanzigjährige weiße Frau, identifiziert als Natalie Copperfield, wohnhaft hier in dieser Wohnung. Die Schwellungen und blauen Flecken im Gesicht weisen auf unmittelbar vor dem Tod erlittene Traumata hin. Die Nase und zwei Finger der rechten Hand sehen gebrochen aus. Wo das Pyjamaoberteil zerrissen ist, weist die Schulter Verbrennungen auf. Auch die beiden Fußsohlen haben Brandflecken. Die Augen sind blutunterlaufen und quellen hervor. Die Zeugin hat den Leichnam bei seiner Entdeckung berührt und Spuren am Tatort hinterlassen. Todeszeitpunkt ein Uhr fünfundvierzig, ungefähr zwei Stunden, bevor die Tote aufgefunden worden ist.«

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