So böse sein Ende - J.D. Robb - E-Book

So böse sein Ende E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

Der vermutlich persönlichste Fall für Eve Dallas und ihren Mann Roarke!

Eve Dallas ist begeistert, als ihr Mann Roarke von seinem neuesten Wohltätigkeitsprojekt berichtet: ein Jugendhaus, das Teens eine Alternative zu Gangs und Drogen bieten soll. Schließlich sieht Eve bei ihrem Job als Detective oft genug, wie wichtig diese Arbeit für New York ist. Die perfekte Leitung für das Haus ist schnell gefunden: die Psychologin Rochelle Pickering, deren eigener Bruder Lyle erst vor Kurzem aus dem Milieu ausgestiegen ist. Umso schockierender ist die Nachricht von Lyles Tod: gestorben an einer Überdosis. Eve ist schnell klar, dass es sich um einen eiskalten Auftragsmord handelt. Ist Lyles Tod eine Warnung an seine Schwester – und damit auch an Eve und Roarke?

Sie können von Eve Dallas nicht genug bekommen? Dann lesen Sie auch »Mörderlied«, »Mörderspiele« und »Mörderstunde«.

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Seitenzahl: 588

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Buch

Eve Dallas und ihr Mann Roarke setzen sich für ein Jugendhaus ein, das gefährdeten Teens einen Ausweg aus der Welt der Gangs und Drogen bieten soll. Als Leiterin engagieren sie die Psychologin Rochelle Pickering, deren eigener Bruder Lyle noch vor Kurzem abhängig war. Er ist mittlerweile clean und aus dem Milieu raus und freut sich sehr für seine Schwester. Umso härter trifft es Rochelle, als Lyle nach einer Überdosis aufgefunden wird, mit der Nadel noch in greifbarer Nähe. Doch Eve versteht schnell, dass es nicht Lyle war, der sich den goldenen Schuss gesetzt hat, sondern es sich um einen eiskalten Auftragsmord handelt. Wurde Lyle von seiner Vergangenheit eingeholt? Oder ist sein Tod eine Warnung an seine Schwester – und damit auch an Eve und Roarke?

Autorin

J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts. Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren und veröffentlichte 1981 ihren ersten Roman. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von 500 Millionen Exemplaren überschritten. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.

Von J. D. Robb bereits erschienen

Teure Rache · Blutige Verehrung · Sein teuflisches Herz · Eiskalte Nähe · Im Licht des Todes · Der liebevolle Mörder · Geliebt von einem Feind · So tödlich wie die Liebe · Das Böse im Herzen · Zum Tod verführt · Aus süßer Berechnung · Verführerische Täuschung · Tödlicher Ruhm

J. D. Robb

So böse sein Ende

Roman

Deutsch von Uta Hege

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Connections in Death« bei St. Martin’s Press, New York.

Dieser Roman ist im Juni 2024 bei Weltbild erschienen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2019 by Nora Roberts

Published by arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Renate Kirtschig

Umschlaggestaltung: © buerosued.de

Umschlagmotiv: © Magdalena Wasiczek/Arcangel Images

BSt · Herstellung: DiMo

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-31488-0V001

www.blanvalet.de

Alle Menschen sind in einem unentrinnbaren Netzwerk der Gegenseitigkeit gefangen und in ein einziges

Schicksalsgewand gehüllt.

Martin Luther King Jr.

Welche Wiedergutmachung gibt es auf Erden

für vergossenes Blut?

Aischylos

Die Qualen des gesellschaftlichen Umgangs und der Zwang, sich dafür auch noch extra schick zu machen, waren fast so etwas wie ein Mordversuch.

So hätte Eve Dallas es ausgedrückt, und schließlich wusste sie als Mordermittlerin in eleganten, hochhackigen Schuhen auf dem Weg zu einer Schickimicki-Party ganz genau, wovon sie sprach.

Man hätte den Erfinder dieser meterhohen, nadeldünnen Absätze, in denen kein normaler Mensch vernünftig gehen konnte, längst verhaften und derselben Folter, die er unschuldigen Frauen aufzwang, unterziehen sollen.

Vor allem hätten diese blöden Knöchelbrecher in den USA schon lange vor dem Frühjahr 2061 zertrümmert, verbrannt und offiziell verboten werden sollen.

Nur leider war das nicht passiert, weshalb sie jetzt in diesen lächerlichen Dingern und dazu noch in einem eng geschnittenen jadegrünen Kleid, das ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt und die Kette mit dem fetten, tränengleich geschliffenen Diamanten vorteilhaft zur Geltung brachte, aus der Limousine ihres Mannes stieg. Auch ihre Ohren unter den kurzen braunen Haaren waren diamantgeschmückt, doch Eves zusammengekniffene bernsteinbraune Augen machten deutlich, dass sie von dem Outfit und dem Anlass, für den sie sich so in Schale werfen musste, alles andere als begeistert war.

Auch der Erfinder langweiliger Cocktailpartys gehörte eingesperrt, wobei sie keine Ahnung hatte, wer zur Hölle irgendwann einmal auf die Idee gekommen war, es wäre toll, nach einem anstrengenden Arbeitstag mit einem Drink in einer Hand und einem Teller voll kleiner, oft bis zur Unkenntlichkeit verzierter Häppchen in der anderen irgendwo herumzustehen und mit Leuten, die genauso unbeholfen mit dem Zeug in den Händen balancierten, Nichtigkeiten auszutauschen, statt zu Hause gemütlich auf der Couch zu liegen und in Ruhe einen Actionfilm zu sehen.

Genau, auch der Erfinder dieser stumpfsinnigen Plauderei gehörte in den Knast.

Und wenn sie schon dabei war, alle einzusperren, sollte sie sich noch den kranken Bastard krallen, der auf die dämliche Idee gekommen war, Geschenke mitzubringen, sobald man irgendwo auf andere Leute traf.

Normale Menschen hatten keine Lust, darüber nachzudenken, was zum Teufel sie am besten mitnahmen, wenn sie irgendwohin zu einer blöden Party eingeladen waren. Normale Menschen wollten am Ende eines Arbeitstags gar nicht erst zu einer blöden Party eingeladen sein, auf der sie dann gezwungen wären, in dämlichen High Heels mit Tellern voll bizarrem Fingerfood zu balancieren und nichtige Gespräche mit den anderen Jongleuren zu führen.

Normale Menschen wollten sich nach der Arbeit in bequemen Sachen mit einem Bier und einer Pizza auf die Couch legen.

»Fertig?«

Eve wandte sich an ihren fast schon übertrieben attraktiven Mann, der an dem Kleid, den gottverdammten Schuhen, die sie an den Füßen trug, und den vielen Diamanten schuld war, und nahm das amüsierte Blitzen seiner blauen Killeraugen und das Lächeln des perfekt geschwungenen Mundes wahr.

Roarke hatte nicht nur Spaß an den bevorstehenden Qualen, sondern hätte all die schwachsinnigen Regeln, die dort galten, selbst erlassen können, wenn nicht vor ihm jemand anderes darauf gekommen wäre. Bei diesem Gedanken hätte sie ihm liebend gerne eine reingehauen.

»Brauchst du noch einen Augenblick für deinen inneren Monolog?«, erkundigte er sich und wieder einmal nahm Eve den Hauch von Irland in der melodiösen Stimme ihres Gatten wahr.

»Wahrscheinlich werde ich den ganzen Abend lang kein anderes auch nur annähernd so vernünftiges Gespräch mehr führen«, klärte sie ihn knurrend auf.

»Wie kannst du so was sagen?«, fragte er gespielt empört. »Denn schließlich werden auf der ersten Party, die Nadine in ihrer neuen Wohnung schmeißt, zahlreiche kluge, interessante Leute sein, mit denen du zu allem Überfluss auch noch befreundet bist.«

»Wirklich kluge Leute säßen jetzt mit einem Bier zu Hause auf der Couch, um sich im Fernsehen anzusehen, wie die Knicks den Kings zeigen, was eine Harke ist.«

»Es wird noch jede Menge anderer Spiele geben.« Tröstend tätschelte Roarke ihr das Hinterteil, bevor er vor die Tür von Nadines Penthouse trat. »Vor allem hat Nadine die Party ja wohl eindeutig verdient.«

Da hatte er wahrscheinlich recht, denn Nadine Furst, Reporterinnenass und Bestsellerautorin, hatte schließlich gerade einen Oscar eingeheimst. Genauso hätte aber Eve als Lieutenant der New Yorker Polizei es verdient, der Party dadurch zu entgehen, dass sie im letzten Augenblick noch einen heißen Fall hereinbekam.

Das müsste Nadine als Gerichts- und Polizeireporterin auf jeden Fall verstehen.

In ihren hochhackigen Schuhen wandte Eve sich abermals an Roarke. Mit dem von zartfühlenden Engeln fein gemeißelten Gesicht und dem Haar wie schwarze Seide hätte er auch ohne seinen teuren Maßanzug die Eleganz verströmt, die sie nur dank des teuren Kleids, der mörderischen Knöchelbrecher und der Diamanten in den Ohren besaß.

»Warum kann eine Party nicht aus Pizza, Bier und einem Footballspiel im Fernsehen bestehen?«

»Das kann sie ja«, gab er zurück und glitt mit den Lippen über ihren Mund. »Nur dass das heute Abend eben eine andere Art von Party ist.«

Dann ging die Tür der Wohnung auf und Nadines junge Praktikantin Quilla nahm sie in Empfang. Sie trug ein schwarzes Kleid mit einer Silberschnalle vor dem Bauch, knallrote Boots mit kurzen Absätzen und hatte sich das Haar mit violetten Glitzersträhnen aufgepeppt.

»Hallo. Ich soll die Leute in Empfang nehmen. Und fragen, ob ich ihre Mäntel aufhängen soll, nein, darf«, verbesserte sie sich mit einem genervten Augenrollen.

»Und woher weißt du, dass wir keine Partykiller sind?«

»Abgesehen davon, dass ich Sie kenne?«

»Ja, genau.«

»Der Wachdienst unten im Foyer hat eine Gästeliste, und wenn Sie nicht eingeladen wären, stünden Sie nicht vor der Tür. Falls es Ihnen gelungen wäre, sich trotzdem heimlich hier heraufzuschleichen, oder falls Sie hier ein Apartment hätten und deshalb ins Haus gekommen wären, haben wir genügend Bullen in der Wohnung, um Sie rauszuschmeißen oder festzunehmen oder so.«

»In Ordnung«, meinte Eve, während ihr Gatte Quilla die Mäntel überließ.

»Du siehst bezaubernd aus, Quilla.«

Quilla wurde rot. »Tja nun, jetzt soll ich Ihnen sagen, dass Sie einfach reingehen und einen wundervollen Abend haben sollen. Im Esszimmer gibt’s eine Bar und ein Büfett, außerdem laufen auch noch Ober mit Tabletts voll Essen und Getränken rum.«

Roarke lächelte sie an. »Das hast du sehr gut gemacht.«

»Ist schließlich heute Abend nicht das erste Mal. Nadine kennt wirklich einen Haufen, das heißt jede Menge Leute.«

»Es ist echt ein Haufen«, stimmte Eve ihr zu und riss entsetzt die Augen auf, als sie den Wohnbereich betrat und merkte, dass sie selbst mit den meisten dieser Leute gut bekannt oder befreundet war.

Das konnte doch nicht sein.

»Ein tolles Kleid haben Sie da an, Dallas. Die Farbe ist der Hit.«

»Es ist ein ganz normales Grün.«

»Das nennt man Jade«, korrigierte Quilla sie.

»Genau«, stimmte Roarke ihr mit einem vergnügten Augenzwinkern zu.

»Wie dem auch sei, ich kann Ihr Geschenk nehmen, wenn Sie es Nadine nicht selbst übergeben wollen. Wir haben nämlich einen Geschenketisch im Frühstückszimmer.«

»Frühstückszimmer?«

»Keine Ahnung, warum das so heißt«, erklärte Quilla Eve. »Auf alle Fälle legen wir dort die Geschenke, die die Leute mitbringen, auf den Tisch.«

»Sehr gut.« Eve drückte Quilla eine Tüte in die Hand.

»In Ordnung. Und jetzt lassen Sie es krachen.«

»Krachen?«

»Sie meint damit, dass wir uns amüsieren sollen«, erklärte Roarke und zog mit seinen Fingern die Konturen von Eves Wirbelsäule nach. »Und dafür holen wir uns jetzt erst mal einen Drink.«

»Am besten gehen wir direkt an die Bar und kippen uns dort ein Glas nach dem anderen rein.«

Nur dank der Ober, die sich durchs Gedränge schoben und den anderen so den Weg versperrten, und der schnellen Reaktionen ihres Mannes blieben ihr Gespräche vor dem ersten Glas Champagner mit den vielen Leuten erspart, die ihr auf dem Weg zur Bar begegneten. Als beispielsweise eine Rechercheurin von Nadine sie anhielt, um sie vollzuquatschen, meinte Roarke: »Da vorne ist Nadine. Entschuldigen Sie uns. Wir haben uns schließlich noch gar nicht für die nette Einladung bedankt.«

Mit der Hand in ihrem Rücken schob er Eve durch das Gedränge zu Nadine, die von der Terrasse kam. Anscheinend hatte Trina ihr das Haar gemacht, denn die wilden, blond gesträhnten Locken waren völlig anders als die eleganten, glatt geföhnten Strähnen, mit denen sie im Fernsehen zu sehen war. Diese Locken passten ausgezeichnet zu dem engen, trägerlosen Kleid und den roten Knöchelbrechern, die sie trug.

Nadine blickte sich mit ihren grünen Katzenaugen um, und als sie Eve und Roarke entdeckte, kam sie auf sie zu und küsste Roarke begeistert auf den Mund.

»Ich würde sagen, dies ist der Beweis dafür, dass unsere Wohnung auch für den Empfang von Gästen wunderbar geeignet ist.«

»Unsere Wohnung?«, fragte Eve.

»Tja nun, die Wohnung liegt in einem Haus von Roarke und schließlich sind auch Ihre Leute alle hier. Sie sind auf der Terrasse, denn dort gibt es noch ein Büfett und eine zweite kleine Bar.«

Obwohl Freundschaften ihr ein Rätsel waren, wusste Eve, was sich gehörte, deshalb meinte sie: »Jetzt zeigen Sie das Ding schon her.«

Die Journalistin klapperte mit den Augenlidern, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und fragte gespielt verständnislos: »Was für ein Ding?«

»In Ordnung, wenn Sie keine Lust haben, damit anzugeben …«

»Oh doch, natürlich will ich das.« Sie nahm Eves Hand und kämpfte sich entschlossen wie ein Runningback beim Football durch die Menschenmenge bis zur elegant geschwungenen Treppe in das obere Geschoss, in dem ihr mindestens genauso elegantes Arbeitszimmer lag.

Die beiden klassisch blauen Sofas, die Sessel aus dem gleichen blauen Stoff mit den weißen Kissen, die schiefer­grauen Beistelltische und der T-förmige Schreibtisch in derselben Farbe standen so, dass sich von jedem Platz aus ein phänomenaler Blick auf New York City bot.

Auf dem viereckigen Kamin an einer Wand stand eine kleine goldene Männerstatue. Eve schaute sie sich aus der Nähe an und fand, sie sähe ziemlich seltsam aus, doch das, was zählte, war das kleine Schild, auf dem der Name ihrer Freundin stand.

Obwohl sie nicht verstand, weshalb sie diesem armen kleinen goldenen Kerl nicht eine Hose angezogen hatten, um auf diese Weise zu vertuschen, dass er keinen Schwanz besaß.

»Sehr schön.« Sie nahm den Oscar in die Hand. »Ziemlich schwer. Das passende Gerät, um jemandem den Schädel einzuschlagen.«

»Auf so was kommen auch nur Sie.« Kopfschüttelnd legte Nadine Furst den Arm um Eve. »Ich habe meine Dankesrede übrigens vollkommen ernst gemeint.«

»Was haben Sie denn gesagt?«

Jetzt stieß Nadine sie mit der Hüfte an und lachend stellte Eve den Oscar wieder fort.

»Den Oscar haben Sie sich rechtschaffen verdient.«

»Das hätte ich alleine nie geschafft, doch jetzt steht er hier und ich kann ihn mir täglich ansehen. Also.« Sie ergriff Roarkes Hand. »Lassen Sie uns wieder runtergehen und jede Menge Schampus trinken, ja?«

Bevor sie gehen konnten, erschien Jake Kincade und sagte lässig: »Hi.«

Der Rockstar, der mit Nadine Furst zusammen war, trug keinen Anzug, sondern schwarze Jeans mit einem Nietengürtel unter einem schwarzen Hemd und über schwarzen Boots, die sehr robust und wunderbar bequem aussahen, sowie einen lässigen Dreitagebart.

Noch während Eve sich fragte, warum Jake sich wie ein echter Mensch anziehen durfte, gab er Roarke die Hand. »Wie geht’s? Sie sehen super aus, Dallas. Haben Sie schon einen Blick auf unseren Goldjungen geworfen und sich dabei auch gefragt, warum der Arme weder Genitalien noch eine Hose hat? Was meiner Meinung nach ein bisschen traurig ist.«

»Mein Gott«, murmelte Roarke.

»Das hätte ich vielleicht nicht sagen sollen.«

»Schon gut. Aber ich kenne eben meine Frau und bin mir sicher, dass auch ihr der Gedanke bereits durch den Kopf gegangen ist.«

»Natürlich. Mehr oder weniger. Es ist ja wohl normal, dass man sich diese Frage stellt.«

»Zumindest hat Jake sich das Ding nicht angesehen und überlegt, ob es als Mordwaffe geeignet ist.«

Ein Grinsen huschte über Jakes Gesicht. »Vielleicht ja doch. Mehr oder weniger. Doch deswegen bin ich nicht hier. Du solltest langsam wieder runtergehen, denn gerade trifft die nächste Gästewelle ein. Ich frage mich, wie jemand so viele Leute kennen kann.«

Jetzt lachte Roarke. »Allmählich bin ich wirklich froh, dass ich der guten Eve zuerst begegnet bin.«

»Nadine hat jede Menge Bullen eingeladen«, meinte Jake. »So viele Bullen auf einem Haufen habe ich zum letzten Mal gesehen, als ich …« Jake wandte sich an Eve. »Ich sollte Ihnen wahrscheinlich nicht erzählen, dass ich mit sechzehn einmal mit einem falschen Ausweis unterwegs war und es eine Razzia in dem Club gab, in dem ich abgehangen hatte.«

»Haben Sie dort irgendwen ermordet?«

»Nein.«

»Das geht mich dann nichts an.«

»Da wir gerade beim Thema Bullen sind. Haben Sie gewusst, wie gut Santiago auf dem Keyboard ist?«

»Santiago … spielt Klavier?«

»Und zwar echt gut«, bestätigte Jake ihr. »Renn hat sein Keyboard mitgebracht – die ganze Band ist hier –, und diese junge Schnecke hat gesagt, sie würde besser röhren, als er spielt.«

»Er meint Carmichael«, übersetzte Roarke für Eve. »Die echt gut singen kann. Morris hat auf meine Bitte hin sein Saxofon dabei.«

»Auf dem er wirklich göttlich spielt«, erklärte Jake. »Und da kommt noch jemand, der mit uns jammen wird.«

Eve folgte seinem Blick und sah, dass Mavis, dieses Mal mit einer Woge weißlich blauer Haare, einem pinkfarbenen Rüschenkleid mit Minirock und hochhackigen Schuhen mit Absätzen aus jeweils drei glänzenden Silberkugeln, durch die Tür des Wohnzimmers getänzelt kam und sich sofort mit einer kleinen Gruppe Leute unterhielt.

Ihr Liebster, Leonardo, wirkte in der weiten Weste, die zwei Töne dunkler als die Kupferhaut von seinen nackten Armen war, und mit den Hunderten von dünnen Zöpfen, die ihm auf die Schultern fielen, wie der Priester eines alten Kults. Feeney, Chef der elektronischen Ermittler, war dagegen in dem abgewetzten braunen Anzug erschienen, den er auch zur Arbeit trug. An seiner Seite balancierte Bebe Hewitt, Nadines Chefin, einen Teller Kanapees und ein Glas perlenden Champagner, der hervorragend zu ihrer Hose mit dem eleganten Silberschimmer und der langen roten Jacke passte, und sprach angeregt mit dem zwei Meter großen Crack, der eine offene Lederweste trug, die einen freien Blick auf seine Tätowierungen und Muskeln bot, die für die Arbeit als Betreiber eines Sexclubs unerlässlich waren.

Die unbekannte Frau an seiner Seite folgte lächelnd dem Gespräch. Sie trug das klassische New Yorker Schwarz und sah mit ihren schwerlidrigen Augen und den messerscharfen Wangenknochen irgendwie exotisch aus.

»Die Kleine ist ein bisschen jung für eine Cocktailparty, findet ihr nicht auch?«, bemerkte Eve, als sie Quilla bei der Gruppe stehen sah.

»Man ist niemals zu jung, um sich von anderen abzugucken, wie man eine Party schmeißt oder sich dort benimmt«, erklärte Nadine ihr, als sie die letzten Stufen nahm, und wandte sich dann Mavis zu.

»Die Kleine ist okay«, bemerkte Jake. »Und sie weiß wirklich, was sie will.«

»Ach ja?«

»Allerdings. Sie wollte heute Abend unbedingt dabei sein, und sie hat Nadine damit geködert, dass sie einen dreiminütigen Bericht über die Sause machen wird. Sie hat’s echt drauf und hat mir schon so oft von Ihrem An-Didean-Projekt erzählt, dass ich mich dort auf alle Fälle engagieren möchte, Roarke. Vielleicht haben Sie ja Zeit für ein Gespräch.«

»Auf jeden Fall.«

»Hi, Dallas.« Mavis kam auf ihren Silberkugeln angetänzelt und schlang Eve die Arme um den Hals. »Die Party ist der Hit.« Sie drückte Roarke und Jake und stellte grinsend fest: »Ich habe alle meine Lieblingsleute hier, es gibt etwas zu essen und zu trinken und auf der Terrasse wird angeblich schon gejammt. Darf ich da mitmachen?«

»Auf jeden Fall«, erklärte Jake. »Warum gehen wir nicht raus und hören uns schon mal die anderen an?«

»Oh ja.«

»Dann kümmere ich mich um die Drinks«, bot Leonardo an und strahlend blickte Mavis zu ihm auf.

»Das wäre super, Honigbär. Bis dann.«

»Dann folge ich jetzt auch der Musik«, erklärte Feeney und stieß Eve mit seinem Zeigefinger an. »Hast du gewusst, dass Santiago Keyboard spielen kann?«

»Das hat Jake mir eben erzählt.«

»Santiago soll sein Licht nicht immer so unter den Scheffel stellen.« Kopfschüttelnd schlurfte Feeney los.

»Worunter soll er was nicht stellen?«, wunderte sich Eve.

»Das erkläre ich dir später«, meinte Roarke. »Schön, Sie zu sehen, Bebe.«

Lächelnd wandte Nadines Chefin sich an Eve. »Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Arbeit, die Ihr Team bei den Ermittlungen im Fall Larinda Mars geleistet hat, Lieutenant.«

»Wir haben nur unseren Job gemacht.«

Bebe sah in ihr Glas. »Wir machen eben jede unseren Job. Bitte entschuldigen Sie mich.«

Nadine sah ihrer Vorgesetzten hinterher und stellte leise fest: »Sie gibt sich selbst die Schuld an dieser Angelegenheit.«

»Sie konnte nichts dafür.«

»Das stimmt. Aber sie ist nun mal der Boss. Ich gehe ihr kurz nach und sage einem von den Kellnern, dass er Ihre Gläser noch mal auffüllen soll.«

Crack schaute ihr mit hochgezogenen Brauen hinterher. »Sobald ihr Bullen auftaucht, geht die Partystimmung flöten.«

»Wilson!« Eine Eve unbekannte Schönheit stieß ihn unsanft mit dem Ellenbogen an, er aber lachte unbekümmert auf und wandte sich erneut an Eve.

»Für eine dürre weiße Polizistin bist du überraschend nett.«

»Und du bist andersherum für einen schwarzen Muskelprotz, der eine Absteige betreibt, erstaunlich nett.«

»Ich bitte dich. Das Down ’n Dirty ist viel mehr als das. Hi, Roarke. Darf ich Ihnen die wunderschöne Frau an meiner Seite vorstellen? Das hier ist Rochelle Pickering.«

Rochelle gab Eve und danach Roarke die Hand. »Es freut mich sehr, dass ich Sie beide kennenlernen darf, denn ich verfolge mit Interesse Ihre Arbeit, Lieutenant, und auch die von Ihrem Mann. Vor allem in Bezug auf Dochas und An Didean.«

»Rochelle ist Seelenklempnerin«, mischte Quilla sich ein und Crack grinste sie an.

»Für Kinder«, warnte er. »Pass also auf, Kleine, wenn sie nicht auch an dir herumschrauben soll.«

»Als ob’s da was zu schrauben gäbe«, schnaubte Quilla, tauchte aber vorsichtshalber erst mal in der Menge ab.

»Wilson«, schalt Rochelle ihn augenrollend. »Ich bin Kinderpsychologin, doch ich schraube nicht an Kindern herum. Das habe ich auch nicht getan, als ich vorübergehend bei Dochas tätig war.«

»Ich weiß, dass Sie dort einmal als Therapeutin beschäftigt waren«, erklärte Roarke und Rochelle blinzelte verwirrt.

»Ich … hätte nicht gedacht, dass Ihnen mein Name etwas sagt.«

»Unsere leitende Psychologin dort hat Sie in den höchsten Tönen gelobt.«

»Sie ist ein wundervoller Mensch und leistet Unglaubliches.«

Bevor sie weitersprechen konnte, kam der von Nadine versprochene Kellner mit den nächsten Drinks.

»Ich muss mich erst einmal sammeln«, fuhr Rochelle nach der kurzen Unterbrechung fort. »Ich kann kaum glauben, dass ich tatsächlich in dieser tollen Wohnung stehe, und nachdem ich Nadine Furst und Jake Kincade und, meine Güte, Mavis Freestone, die genauso toll ist, wie ich dachte, und den einfach nur genialen Leonardo, dessen Arbeit ich bewundere, kennenlernen durfte, auch noch Ihnen beiden hier begegnet bin. Mit einem Glas Champagner in der Hand.«

»Wenn du dich weiter an mich hältst, steht dir der Himmel offen«, meinte Crack.

Eve hatte jede Menge Fragen, wie zum Beispiel, warum dieses Mädchen Crack mit dem Namen Wilson ansprach, obwohl außer seiner Mutter sicher kaum jemand wusste, wie er richtig hieß. Was machte eine Kinderpsychologin in Gesellschaft des gewieften, aber sicherlich nicht übertrieben kultivierten Eigners eines Striplokals? Und seit wann war der taffe Crack derart in eine Frau verknallt?

Okay, Rochelle war gut gebaut und wunderschön, wer aber war sie überhaupt?

Eve sah sich suchend um, denn wenn jemand ihr etwas über diese junge Seelenklempnerin erzählen könnte, dann am ehesten eine andere Seelenklempnerin.

Sie ging zu Dr. Charlotte Mira, die auf der Lehne eines Sofas saß, und als die Psychologin sich erhob und sie mit einem Wangenkuss begrüßte, fiel der Spitzensaum des dunkelroten Kleides, das sie trug, auf ihre Knie. Auch die dreiviertellangen Ärmel hatten einen solchen Saum, und passend zu dem Outfit hatte Starfrisörin Trina, der Eve selbst bisher erfolgreich aus dem Weg gegangen war, ihr Haar mit einigen dezenten kupferroten Strähnen aufgepeppt.

»Nadine hat dieses Penthouse zu etwas völlig Eigenem gemacht. Sie hat verschiedene Stilrichtungen so gemischt, dass es zwar elegant, doch gleichzeitig auch urgemütlich ist, und sie sieht rundum glücklich aus.«

»Ich schätze, dass der goldene Eunuch in ihrem Arbeitszimmer und der Rockstar draußen dabei durchaus eine Rolle spielen.«

»Auf jeden Fall. Ich mag ihn – auch den Oscar, doch vor allem Jake. Er scheint ein wirklich netter Mensch zu sein.«

Eve sah durch die Terrassentür zu Jake, der mit Mavis sang und seine Finger über die Gitarrensaiten fliegen ließ.

»Er passt zu ihr. Und da wir gerade davon reden, kennen Sie die junge Frau, die nicht mehr von Cracks Seite weicht?«

»Sie meinen Rochelle Pickering? Ich kenne sie nicht wirklich gut. Gibt’s ein Problem mit ihr?«

»Ich hatte eigentlich gehofft, das könnten Sie mir sagen.«

»Von Problemen ist mir nichts bekannt. Ich helfe ab und zu bei Dochas aus und kenne sie, weil wir vor ein paar Monaten mal gleichzeitig dort waren. Sie hat stabil und engagiert auf mich gewirkt, und mir kam es so vor, als nähme sie die Arbeit dort sehr ernst.«

»Was macht so jemand mit einem Typ wie Crack?«

Mira sah auf die Terrasse, denn dort wiegten sich die beiden zu den Klängen der Musik begeistert hin und her. »Anscheinend amüsiert sie sich mit ihm. Das hier ist eine Party, Eve. Auf Partys haben die Leute ihren Spaß. Da kommt Dennis, um genau das zu beweisen.«

Dennis Mira kam mit einem Teller voller Häppchen auf sie zu.

Er trug ein blütenweißes Hemd zu einem schwarzen Anzug, aber der gestreifte Schlips saß etwas schief und seine grauen Haare waren so zerzaust wie eh und je. Er lächelte Eve an, und als sie seine sanften grünen Augen sah, schmolz ihr das Herz.

»Die müssen Sie einmal probieren«, meinte er und hielt ihr eine Winzigkeit von seinem Teller vor den Mund. Es wirkte wie ein Häuflein klein geschnippeltes Gemüse, das auf einer dickeren Zucchinischeibe lag, und das war etwas, was sie für gewöhnlich nicht mal in die Nähe ihres Mundes ließ, doch angesichts von Dennis Miras sanften, süßen grünen Augen blieb ihr gar nichts anderes übrig, als das zu tun, worum er bat.

»Köstlich, nicht wahr?«

Sie murmelte ein halbwegs zustimmendes »Hm« und sagte sich, wenn alle Menschen einen Dennis Mira hätten, würden sie nie irgendwelche Straftaten begehen und sie wäre arbeitslos.

»Lassen Sie mich Ihnen einen Teller holen.«

Kopfschüttelnd schluckte sie das ihr zärtlich aufgezwungene Kanapee und sagte sich, auf diese Weise wäre ihr Bedarf an Grünzeug für die nächste Zeit gedeckt. »Ich möchte nichts.« Sie war ein bisschen traurig, als ihr väterlicher Freund sich von der mütterlichen Freundin die Krawatte geraderücken ließ.

»Was für ein fröhliches und schönes Fest«, fuhr Dennis Mira fort. »Es sind derart viele interessante und verschiedene Leute hier. Genau wie auf den Festen, die Sie selbst und Roarke veranstalten. Doch schließlich muss man auch ein interessanter Mensch sein, wenn man interessante Menschen um sich scharen will.« Noch einmal sah er Eve mit seinem ganz besonderen sanften Lächeln an. »Sie sehen bezaubernd aus, nicht wahr, Charlie?«

Wenn Eve die Fähigkeit besessen hätte zu erröten, hätte sie die jetzt genutzt.

Dann tauchte Roarke bei ihnen auf, sie plauderten noch kurz und wandten sich dann der Terrasse zu. Eve hatte diesen Ort bisher gemieden, weil sie Trina aus dem Weg gehen wollte, aber um sich nicht den ganzen Abend zu verstecken und dann vor sich selbst wie ein Feigling dazustehen, trat sie hocherhobenen Hauptes mit den anderen durch die Tür.

Die Band beschallte ganz New York. Falls irgendjemand wegen Lärmbelästigung die Polizei riefe, träfen die Kollegen hier auf der Terrasse Eves gesamtes Dezernat, den einen oder anderen elektronischen Ermittler und selbst den Commander an.

Tatsächlich tanzte Whitney gerade hüftwackelnd mit Staatsanwältin Reo, und Eves Partnerin, Detective Delia Peabody, vollführte einen wilden Lindy Hop mit ihrem Schatz und Elektronikass McNab.

Baxter flirtete mit der robusten Trina, aber schließlich baggerte Detective Lüstling alle Frauen an, und Jenkinson und Reineke grölten zwar nicht schön, doch voller Inbrunst den Refrain des Mädchenlieds mit, das Mavis und Carmichael sangen.

Carmichaels wirklich tolle Stimme lenkte wie Santiagos überraschend gutes Keyboardspiel zumindest kurzfristig von Jenkinsons Krawatte mit den neongelben Monden ab. Wer hätte ihnen das zugetraut?

Trueheart, Baxters ernster junger Partner, saß mit seiner Freundin Feeney gegenüber, der begeistert zusah, wie der Drummer von Jakes Band Avenue A die Stöcke auf das Schlagzeug krachen ließ.

Chefpathologe Morris spielte dazu Saxofon, während seine gute Freundin, die forensische Anthropologin Garnet DeWinter, sich mit Anna Whitney unterhielt.

Mit einem lauten »Los!« schnappte sich McNabs Kollegin Callendar Charles und zog ihn auf die Tanzfläche. Er hatte jahrelang sein Geld als gut bezahlter Gigolo verdient, weswegen er ein wirklich guter Tänzer war, und lachend wandte seine Frau, Dr. Louise Dimatto, sich an Eve.

»Ich würde sagen, dieses Haus ist richtig heiß.«

»Das überrascht mich nicht, denn schließlich haben sie jede Menge Heizstrahler hier draußen aufgestellt.«

»Das wollte ich damit nicht sagen.« Lachend prostete Louise ihr zu. »Ich spreche von dem Housewarming. Sie wissen doch, die Einweihung von einer neuen Wohnung oder einem neuen Haus mit einem Fest. Dieses Haus ist jetzt eindeutig heiß eingeweiht. Also, wer ist die attraktive junge Frau bei Crack?«

»Das habe ich mich auch schon gefragt. Sie ist Kinderpsychologin, aber das ist schon alles, was ich weiß.«

»Tatsächlich? Ich bin hin und weg von ihrem Lippen­stift. Ich selbst würde mit der Farbe wie ein Zombie aussehen. Ist das … Carmichael, die mit Mavis singt?«

Eve nickte knapp und stellte anerkennend fest: »Sie hat es wirklich drauf.«

»Auf jeden Fall. Tja nun, nachdem mir Callendar den Mann gestohlen hat, stehle ich mir jetzt einfach einen anderen.« Sie sah sich suchend um, und als ihr Blick auf Feeney fiel, marschierte sie entschlossen los.

Roarke brachte Eve den nächsten Drink, mit dem sich der Geschmack des Grünzeugs, das ihr Dennis Mira in den Mund geschoben hatte, herunterspülen ließ. Dann wurde ein langsameres Lied gespielt und er zog sie an seine Brust und wiegte sich mit ihr im Mondlicht hin und her.

Oh ja, ging es ihr durch den Kopf, das Haus war ordentlich heiß.

Was machte es da schon, dass sie im Fond der Limousine auf dem Weg nach Hause ihren Handcomputer aus der Tasche zog?

Da sie sich heute fahren ließen, streckte Roarke genüsslich seine Beine aus und sah sie fragend an. »Was machst du da, Lieutenant?«

»Ich überprüfe nur schnell etwas.«

»Ich hoffe, es geht dabei nicht um Rochelle Pickering.«

»Tja nun.«

»Ich bitte dich. Crack ist ein großer Junge und kann selbst auf sich aufpassen.«

»Uh-huh.«

Roarke legte seine Hand auf ihren Arm. »Du kannst dir diese Arbeit sparen, denn ich habe sie schon durchgecheckt.«

»Aber du bist kein Polizist und sie …«

»… ist nicht verdächtig, oder? Aber vielleicht hätte ich sie gern bei An Didean.«

»Ich dachte, dass du dort schon eine andere Psychologin vorgesehen hast.«

»Das stimmt. Doch letzte Woche hat mir Dr. Po erklärt, sie zöge aus privaten Gründen nach East Washington zu ihrem Sohn. Das heißt, ich brauche jemand anderen für die Position, und als ich mich für Dr. Po entschieden habe, hatte ich auch Dr. Pickering schon im Visier.«

»Weiß sie das bereits?«

»Ich glaube nicht, aber ich kann dir sagen, sie ist hoch qualifiziert, erfahren, engagiert, hat die besten Empfehlungen und keine Vorstrafen.«

»Von denen du etwas weißt. Okay, okay«, murmelte Eve, als sie die ausdruckslose Miene ihres Mannes sah.

»Wenn sie welche hätte, hättest du das herausgefunden«, gab sie achselzuckend zu. »Das heißt, dass ich mir diese Arbeit sparen kann.«

»Sie hat drei Brüder, einer älter und die beiden anderen jünger als sie selbst. Ihr Vater wurde wegen Drogen und tätlichen Angriffs zu zwei Haftstrafen verurteilt, auch von dem jüngeren Bruder weiß ich, dass er zweimal wegen Diebstahls und Besitzes verbotener Substanzen saß und bei den Bangers war.«

»Das klingt nicht gut. Zwar hat sich ihr Revier verkleinert, aber mit den Typen ist noch immer nicht zu spaßen.«

»Wie mit den meisten Gangs hier in New York. Nach der Entlassung vor zwei Jahren hat der Bruder eine Reha abgeschlossen, er ist jetzt angeblich clean und hat mit dieser Gang nichts mehr zu tun.«

Eve würde ihn sich trotzdem später noch einmal genauer ansehen. Auch wenn die Bangers längst nicht mehr so groß und übel waren wie früher, ließen sie normalerweise niemanden, der einmal Mitglied bei ihnen war, so einfach gehen.

»Ihr Vater starb bei einer Schlägerei im Knast, als Rochelle fünfzehn war, und nach dem Selbstmord ihrer Mutter hat die Großmutter sie aufgenommen, die anscheinend auch schon vorher meistens für sie da war. Aufgewachsen sind sie in der Bowery«, erklärte Roarke. »Und zwar im schlimmsten Teil.«

»Auf dem Gebiet der Bangers.«

»Ja. Der ältere Bruder hat nach dem Besuch der Handelsschule eine eigene Firma in Tribeca aufgemacht, für Heizung und Sanitär. Er ist verheiratet, hat eine dreijährige Tochter und das zweite Kind ist unterwegs. Der jüngste Bruder ist mit einem Stipendium an der Uni von Columbia und studiert dort Jura, der mittlere hat einen Job als Koch im Casa del Sol, das in der Lower West Side liegt. Die Kochlehre hat er im Knast gemacht, und seit seiner Entlassung meldet er sich regelmäßig bei seinem Bewährungshelfer, geht zu Treffen bei der Drogenhilfe und hilft alle vierzehn Tage ehrenamtlich in einem Obdachlosenheim.«

»Aber die Bangers lassen niemanden so einfach gehen.«

»Die Bangers haben ihr Territorium in der Bowery. Rochelle und dieser Bruder haben eine kleine Wohnung in der Lower West Side, also außerhalb ihres Gebiets. Sie hatte eine schwere Kindheit – damit kennen du und ich uns aus. Sie hat etwas aus sich gemacht, und es ist ganz bestimmt kein Zufall, dass sie sich beruflich jetzt für Kinder engagiert, die Probleme haben.«

Sie kannte diesen Ton. Und kannte Roarke.

»Du wirst sie einstellen.«

»Es kommt mir wie ein Wink des Schicksals vor, dass wir ihr heute Abend auf dem Fest begegnet sind. Ich wollte sowieso am Montag einen Gesprächstermin mit ihr vereinbaren. Wenn das Gespräch zufriedenstellend verläuft und sie Interesse hat, werde ich ihr den Posten anbieten, das stimmt.«

Er glitt mit einem Finger über die Vertiefung in der Mitte ihres Kinns. »Solange du mir keinen guten Grund nennst, mich nach jemand anderem umzusehen.«

Sie atmete geräuschvoll aus. »Das kann ich nicht. Ich werde ihr das Leben ganz bestimmt nicht schwermachen, weil einer ihrer Brüder und ihr Vater blöde Ärsche waren.«

Auch wenn sie sich deshalb ein wenig Sorgen machte, hatte Roarke natürlich recht. Crack war ein großer Junge und er würde ganz bestimmt auch ohne ihre Hilfe klarkommen.

Um sich von der Party, all den Menschen, dem Small Talk und den hochhackigen Schuhen zu erholen und da sie gerade keinen frischen Mordfall hatte, schlief Eve am Sonntag erst einmal aus, aß nach dem morgendlichen Sex mit ihrem Gatten süße Crêpes, lief drei Meilen an einem virtuellen Strand, stemmte Gewichte, bis die Muskeln ihrer Arme schrien, zog nach einer Stunde mit dem Meister im hauseigenen Dojo ein paar Bahnen durch den Pool, genoss dort neuerlichen Sex mit ihrem Mann und machte anschließend ein Nickerchen mit ihrem Kater Galahad.

Im Anschluss amüsierte sie sich eine Stunde auf dem Schießstand, und wenn sie sich dort beim nächsten Mal mit ihrem Gatten messen würde, würde sie ihm ordentlich das straffe Hinterteil versohlen. Nach dem Abendessen am Kamin pflanzte sie ihren eigenen Hintern neben seinen auf die Couch und schaute sich mit ihm zusammen und mit einer Schüssel Popcorn, das in Butter schwamm, einen anständigen Actionfilm im Fernsehen an.

Zum feierlichen Abschluss eines Sonntags, an dem die Zentrale sie nicht angerufen hatte, hatte sie noch einmal energiegeladenen Sex mit ihrem Mann und schlief dann wie ein Baby ein.

Erfrischt und etwas schuldbewusst, weil sie, statt den Papierkram für die Arbeit durchzugehen, einen sonntäglichen Mittagsschlaf genossen hatte, fuhr sie am Montagmorgen zeitig aufs Revier.

Sie war nicht früh genug, um dem Berufsverkehr und all den unfähigen Fahrern, die aufgrund des Regens, den der frische Märzwind gegen ihre Windschutzscheiben peitschte, ihre auch schon vorher eher bescheidenen Fahrkünste endgültig eingebüßt hatten, zu entgehen. Doch dieses Elend war aus ihrer Sicht der passende Beginn für den Arbeitstag eines Mitglieds der New Yorker Polizei.

Wenigstens die Werbeflieger waren aufgrund des starken Windes noch nicht unterwegs, und sie genoss es, durch die Stadt zu fahren, ohne sich das dämliche Geblöke über die Rabatte für die letzten Kreuzfahrten des Winters oder irgendwelche unnötigen ersten Frühjahrsschnäppchen anzuhören.

Was hatten sie jetzt überhaupt für eine Jahreszeit? Weswegen schwankte der verdammte März zwischen dem späten Winter und dem zeitigen Frühjahr hin und her?

Sie könnte optimistisch sein und sagen, dass der Frühling angefangen hatte, weil es nicht mehr schneite und auch keine Eisschicht Gehwege und Straßen überzog. Der Wind war jedoch bitterkalt, und wie der Himmel aussah, würde es womöglich doch noch einmal zu schneien anfangen.

Vor allem wurden optimistische Menschen allzu oft enttäuscht.

Sie würde also besser davon ausgehen, dass der verfluchte Winter doch noch nicht vorbei war, überlegte sie, bevor sie in der Tiefgarage des Reviers aus ihrem Wagen stieg.

Der Schichtwechsel fand erst in einer Stunde statt, deswegen nahm sie statt des Gleitbands den fast leeren Fahrstuhl und kam schneller als erwartet oben an.

In ihrem Dezernat saß nur Santiago hinter seinem Schreibtisch und sie sah ihn fragend an.

»Haben Sie was reinbekommen?«

Er nickte knapp und blickte sie aus müden Polizistenaugen an. »Carmichael holt uns gerade etwas von dem widerlichen Kaffee aus dem Pausenraum. Eine Bordsteinschwalbe ist mit einem Freier, dem sie einen blasen wollte, in einen Hauseingang unweit der Canal Street gegangen, dort lag ein Toter. Der Freier hat sich sofort aus dem Staub gemacht, aber die Bordsteinschwalbe hat brav ihre Bürgerinnenpflicht erfüllt und sich nach einem Streifenpolizisten umgesehen, dem sie den Fund gemeldet hat.«

»Wer war der Tote?«

»Irgend so ein kleiner Drogendealer, der anscheinend selbst sein bester Kunde war. Die Bordsteinschwalbe kannte ihn vom Sehen und hatte mitbekommen, wie er sich vielleicht eine Stunde vorher, als sie selbst aus der Bude kam, in der sie anspruchsvollere Dienste leistet, mit einem der Junkies aus der Gegend dort gestritten hat. Auf alle Fälle haben wir den Junkie erst mal einkassiert.«

Er wandte sich Carmichael zu, die mit den beiden Bechern dampfend heißen Kaffees kam. »Du bist meine Lebensretterin«, erklärte er und riss ihr einen der Becher aus der Hand. »Bei unserer Ankunft hatten sich noch ein paar andere Bordsteinschwalben in die Sache eingemischt. Sie haben herumgeschrien, bis eine einen Namen fallen lassen hat. Sie meinte, dass sie sich fast sicher wäre, dass die erste Bordsteinschwalbe mit dem Junkie Dobber meint. Ein echter Loser, der zwei Monate zuvor in das Gebäude eingezogen war, vor dem die Leiche lag.«

Auf Santiagos Zeichen fuhr Carmichael fort.

»Also haben wir den Droiden von der Streife und den zweiten, den wir kommen lassen hatten, für den Toten und die Zeugin abgestellt und selbst bei diesem Dobber angeklopft. Er war in seiner Bude und war total high von all den Pillen, die er dem Dealer abgenommen hatte, nachdem er mit einem Messer auf ihn losgegangen war. Das Messer hatte er noch bei sich, als wir zu ihm in die Wohnung kamen«, fügte sie hinzu.

»Dann ist er mit diesem Messer auf Carmichael losgegangen«, ergriff Santiago abermals das Wort. »Das kommt noch zu den anderen Anklagepunkten dazu, obwohl er während des versuchten Angriffs auf Carmichael einfach umgefallen ist.«

»Er hat sich selbst ein Bein gestellt. Das Blut an diesem Messer passt zu dem des Opfers, und als wir ihn erst mal im Verhörraum hatten, hat der blöde Wichser innerhalb von zehn Minuten zugegeben, dass er seinen Dealer abgestochen hat. Er hat erklärt, es wäre ums Prinzip gegangen und er hätte wegen dessen überhöhter Preise keine andere Wahl gehabt.«

»Das heißt, dass der Fall abgeschlossen ist.«

»Und er ist wirklich wasserdicht«, stimmte Carmichael ihrer Chefin zu. »Vor allem, weil der Kerl ein ellenlanges Vorstrafenregister hat. Im Grunde kam er direkt aus dem Knast, wo er wegen tätlichen Angriffs saß. Das heißt, dass er jetzt lebenslänglich kriegen wird.«

»Das haben Sie gut gemacht.«

»Wobei die Bordsteinschwalbe uns den größten Teil der Arbeit abgenommen hat. Weswegen sind Sie selbst jetzt schon hier? Steht was Besonderes an?«

»Papierkram«, meinte Eve und wandte sich zum Gehen, doch dann blieb sie noch einmal stehen und blickte Santiago stirnrunzelnd an. »Ich dachte, dass Sie Baseball spielen statt …«, sie tat, als spielte sie auf einem unsichtbaren Klavier.

»Sowohl als auch. Als Junge hätte ich mein Leben dafür hingegeben, Baseball spielen zu dürfen. Also haben meine Eltern mir gesagt, ich könnte Baseball spielen, so viel ich wollte, wenn ich keinen Ärger mache, gute Noten in der Schule habe und ein Jahr Klavierstunden bei meiner Tante nehme, die echt ätzend ist. Dass ich mich darauf eingelassen habe, zeigt, wie wichtig mir das Baseballspielen war. Dann stellte sich heraus, dass mir auch die Musik gefällt, deswegen habe ich den Unterricht nach einem Jahr freiwillig fortgesetzt.«

»Und jetzt sind Sie ein Cop.«

»Ein Baseball und Klavier spielender Cop, der mit Avenue A gejammt hat«, fügte er hinzu.

»Und Sie können singen«, wandte Eve sich der Kollegin zu.

»Ich liebe Karaoke, aber dass ich jemals ein Duett mit Jake oder mit Mavis singen würde, hätte ich mir nicht einmal in meinen kühnsten Träumen vorgestellt. Das war ein wirklich großer Abend, stimmt’s, Partner?«

Santiago prostete ihr zustimmend mit seinem Becher zu. »Wir sollten eine Cop-Band gründen und sie dann Die Bullen oder so nennen.«

Eve trat den Rückzug an und in der Ruhe ihres eigenen Büros nahm sie mit einem echten Kaffee aus dem AutoChef an ihrem Schreibtisch Platz.

Da Polizeiarbeit nicht nur darin bestand, elende Junkies festzunehmen, die bereit waren, wegen irgendwelcher bunten Pillen ihre Dealer abzustechen, nahm sie sich die Dienstpläne, Bedarfsmeldungen, Berichte und Etats ihrer Abteilung vor. Für den Etat hätte sie einen zweiten Becher Kaffee gebraucht, doch sie hatte auch schon so den größten Teil der Arbeit hinter sich gebracht, als lautes Trampeln vor der Tür verriet, dass ihre Partnerin im Anmarsch war.

»Santiago hat gesagt, Sie wären schon da«, bemerkte Peabody, als sie sie hinter ihrem Schreibtisch sitzen sah.

»Papierkram«, meinte Eve.

»Ich schreibe selbst noch den Bericht über den Doppelmord, der Freitag von uns abgeschlossen worden ist. Oh Mann, ich bin echt froh, dass das vor Nadines Fest erledigt war. Ein Wahnsinnsabend, finden Sie nicht auch?« Statt ihres kurzen Glitzerkleids mit eingenähtem Push-up-Büstenhalter wie an jenem Wahnsinnsabend trug sie jetzt eine feste Hose unter einer fast dezenten Jacke, und das am Freitagabend offene, weich gelockte dunkle Haar war jetzt in einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden. »Ich hatte kaum Gelegenheit, mit Ihnen zu reden«, fügte sie hinzu.

»Wie hätten Sie das auch machen sollen, während Sie die ganze Zeit mit Arschwackeln beschäftigt waren?«

»Je mehr man mit dem Hintern wackelt, umso lockerer sitzt danach die Hose, und vor allem hat das Tanzen wirklich Spaß gemacht!«

In diesem Augenblick rief die Zentrale auf Eves Smartphone an und nüchtern meinte sie: »Jetzt hat sich’s erst mal ausgespaßt.«

Nur eine gute Viertelstunde später beugten sich die beiden Frauen über einen Toten, der im zweiten Stock einer alten Lagerhalle lag, die in eine Reihe von Apartments unterteilt war. Das Haus war recht gepflegt, doch schlecht gesichert, aber schließlich war dies eine arme Gegend, wo es kaum etwas zu stehlen gab.

Die Nachbarn identifizierten ihren toten Mann als Stuart Adler aus Apartment 305, und während die Kollegen von der Trachtengruppe die Bewohner auf Distanz zur Leiche hielten, identifizierte Eve ihn noch einmal zusätzlich mit ihrem dafür vorgesehenen Pad.

»Stuart Adler, achtunddreißig, wohnhaft hier im Haus. Alleinstehend, geschieden, kinderlos. Ein paarmal wegen Trunkenheit und Ruhestörung vorbestraft, aber die zwei Rehas, die er machen musste, haben anscheinend nichts gebracht, denn schließlich ist es nicht mal neun und trotzdem riecht er schon nach Alkohol.«

Als sie den Toten untersuchte, blickte er aus wässrig blauen Augen mit geplatzten Adern zu ihr auf. »Der Kopfwunde, den Blutspritzern und dem gebrochenen Genick zufolge wirkt es wie ein Treppensturz. Und obendrein hat irgendjemand ihm ein Messer in den Bauch gerammt.«

»Wahrscheinlich hat der Täter zugestochen und ihm danach einen Stoß versetzt«, schlug Peabody Eve vor. »Außer …«

»Ja, genau. Das Messer, das in seinem Bauch steckt, ist ein Taschenmesser, und anscheinend hat er es erst in den Bauch gerammt bekommen, als er schon hier unten lag. Die Bauchwunde hat kaum geblutet und sieht eigentlich eher harmlos aus.«

»Das war Gary!«, brüllte jemand über ihnen.

»Was? Bist du jetzt völlig durchgedreht?«

Eve richtete sich auf. »Sie bleiben hier und gucken, ob noch jemand anderes als der Tote dieses Messer in der Hand gehalten hat«, bat sie die Partnerin. »Und tüten Sie den Apfel ein, der in der Ecke liegt.«

Sie nahm die Treppe in den nächsten Stock, in dem ein halbes Dutzend Leute stand und sich anschrie.

»Aufhören!« Sie sah die Gruppe drohend an und wandte sich an eine Frau mit wildem Blick und einem Helm aus Haaren, der wahrscheinlich nicht einmal bei dem starken Märzwind in Bewegung käme. »Wer ist Gary?«

»Das bin ich«, erklärte ihr ein Mann mit wirrem braunem Haar mit goldenen Spitzen und einem kleinen Ziegenbart. Er trug ein ordentliches Tweedjackett, doch die Krawatte hatte er gelockert und dazu die ersten beiden Knöpfe seines Hemdes aufgemacht. »Ich heiße Gary Phizer und ich wohne in Apartment 304. Ich wohne … Stuart direkt gegenüber, und ich war es, der die Polizei verständigt hat. Ich habe Sie gerufen, als ich ihn dort liegen sah. Ich arbeite als Lehrer und ich wollte gerade in die Schule fahren. Da sah ich ihn dort liegen und bin sofort hingelaufen, doch es war nicht zu übersehen, dass er …«

»Ihr habt euch gestern Abend noch gestritten!«, hielt die Haarhelmträgerin ihm vor. »Du hast gesagt, du würdest ihm den Hals umdrehen.«

»Ich habe ihm damit gedroht, dass ich die gottverdammte Glotze aus dem Fenster werfe, wenn er nicht die Lautstärke ein bisschen herunterdreht. Er war mal wieder sturzbetrunken«, wandte Gary sich an Eve. »Er hat einen Film angeguckt, in dem die ganze Zeit geschrien wurde oder irgendwelche Sachen in die Luft gegangen sind. Ich wohne direkt gegenüber, und nachdem ich auch schon vorher zweimal bei ihm drüben war, hat’s mir um zwei Uhr endgültig gereicht. Ich habe bei dem Lärm kein Auge zugekriegt.«

»Das heißt, Sie beide hatten Streit.«

Er trat nervös von einem auf den anderen Fuß. »Tja nun … ich schätze, dass man das so sagen kann. Der Kerl ist auf mich losgegangen, aber er hat dabei derart geschwankt, dass er fast umgefallen ist. Und ja, okay, ich hätte ihm fast eine reingehauen, dabei hatte ich bisher in meinem ganzen Leben keine Schlägerei. Aber er war betrunken und ganz einfach ein Idiot. Ich gebe zu, dass ich echt sauer war. Ich habe ihm gesagt, wenn er den Fernseher nicht leiser machen würde, würde ich mit einem Hammer wiederkommen und das Ding zertrümmern, damit endlich Ruhe ist.«

»Und Sie sind nicht auf die Idee gekommen, wegen des Lärms die Polizei zu rufen?«

»Das habe ich schon häufiger getan und andere auch. Aber was macht die Polizei? Sie sagen ihm, dass er die Glotze leiser stellen soll, manchmal hält die Ruhe dann tatsächlich ein paar Tage an. Bis er wieder zu viel trinkt und dann dreht er die Kiste wieder auf.«

»Das stimmt«, mischte sich eine Frau im Schlafanzug mit einem Baby in den Armen ein. »Mein Mann und ich wohnen in Apartment 303 und haben uns am Ende einen Schallschutz für die Wand zu seiner Wohnung zugelegt. Wenn Stu betrunken war – und das kam regelmäßig vor –, konnte er ziemlich ätzend sein. Aber Gary hat ihn ganz bestimmt nicht umgebracht, das weißt du auch, Mildred. Genauso wenig wie mein Rolo, und der hat sich, ehe wir den Schallschutz hatten, permanent mit Stu wegen des lauten Fernsehens angelegt.«

Sie fuchtelte mit ihrer freien Hand vor Mildred mit dem Helm aus Haar herum. »Genau wie du, Mildred, und alle anderen im Haus. Genau wie die Familie unter ihm, weil er, wenn er besoffen war, die halbe Nacht in seiner Wohnung herumgetrampelt ist, wenn er nicht gerade irgendwelche Sachen umgeworfen hat. Musstest du nicht selbst erst letzten Monat einen Krankenwagen rufen, als du ihn im Flur gefunden hast? Er war gefallen«, wandte sich die Frau an Eve. »Sie mussten seine Nase richten, die er sich dabei gebrochen hat. Wobei wir keine Ahnung haben, ob er das Bewusstsein durch den Sturz verloren hatte oder weil er wieder einmal total betrunken war.«

Mildred verschränkte trotzig ihre Arme vor der ausladenden Brust. »Ich würde nie behaupten, dass er kein besoffener Idiot war, aber er hat sich ganz bestimmt nicht selbst ein Messer in den Bauch gerammt.«

»Vielleicht ja doch«, gab Eve zurück. »Zeigen Sie uns den Apfel, Peabody.«

Die Partnerin hielt eine Plastiktüte hoch, und alle sahen den halb geschälten Apfel, an dem noch die abgelöste Schale hing.

»Mochte Stuart Äpfel?«

Mildreds Augen füllten sich mit Tränen. »Ein Apfel pro Tag, hat er immer gesagt. Er hat seine Äpfel gern geschält und jedes Mal versucht, es zu schaffen, dass die Schale an einem Stück geblieben ist. Er hat gesagt, das brächte Glück.«

»Und womit hat er sie geschält?«

»Mit seinem Taschenmesser, glaube ich. Aber Gary …«

»Haben Sie an dem Griff des Taschenmessers Fingerabdrücke gefunden, Peabody?«

»Ja, Ma’am. Die von dem Toten, aber sonst keine.«

»Wir haben die Ermittlungen zwar noch nicht abgeschlossen, aber den Indizien und den Aussagen zufolge handelt es sich hier wohl kaum um einen Mord. Bisher sieht es nach einem Unfall aus. Mr. Adler war betrunken und wollte auf dem Weg nach unten einen Apfel schälen. Der Fahrstuhl ist kaputt, nicht wahr?«

»Schon seit vier Tagen«, klärte Mildred sie verbittert auf. »Unser Vermieter …«

»Bitte, Ma’am, ersparen Sie uns das«, bat Eve. »Er stolpert, gerät aus dem Gleichgewicht und stürzt. Als er unten aufkommt, bricht er sich beim Aufprall das Genick und vielleicht auch den Schädel und hat obendrein das Pech, dass er noch in sein eigenes aufgeklapptes Taschenmesser fällt.«

»Das wäre typisch Stuart«, murmelte die Frau mit Kind.

»Am besten gehen Sie jetzt zurück in Ihre Wohnungen und wir fahren hier mit unserer Arbeit fort.«

»Ich bin nur froh, dass ich ihm keine reingehauen habe«, stellte Gary leise fest. »Es tut mir leid, dass ich ihn letzte Nacht als blöden Arsch bezeichnet habe, aber ich bin froh, dass ich nicht auf ihn losgegangen bin.«

Ob es ein Unfall war oder nicht, musste in einem Todesfall ermittelt werden, also sammelten sie weitere Beweise, nahmen die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen auf und kehrten erst am späten Vormittag auf das Revier zurück. Bis Eve dort abermals an ihrem Schreibtisch saß, um den Bericht zu schreiben, wurde Rochelle Pickering in Roarkes Büro geführt.

Sie gab sich alle Mühe, nicht die Augen aufzureißen, aber ein so großes, elegantes Arbeitszimmer hatte sie noch nie gesehen. Als sich der Besitzer des Büros hinter dem großen Schreibtisch vor der breiten Fensterfront, durch die man eine unglaubliche Aussicht auf die Wolkenkratzer von New York genoss, erhob und über einen dicken Teppich auf sie zukam, stellte sie mit einem atemlosen Lachen fest: »Ich hätte nie gedacht, dass ich Sie jemals kennenlernen würde, und jetzt treffe ich Sie innerhalb von ein paar Tagen schon zum zweiten Mal.«

»Ich weiß es zu schätzen, dass Sie so schnell kommen konnten.«

»Neugier ist ein großer Motivator«, gab sie unumwunden zu.

»Wie wäre es mit einem Kaffee? Oder Tee?«

»Ich nehme das, was Sie nehmen. Vielen Dank.«

»Das übernehme ich«, bot seine Sekretärin Caro, die sie in den Raum geleitet hatte, an. Mit ihrem Haar wie frisch gefallener Schnee und ihrem maßgeschneiderten Kostüm sah sie genauso elegant wie die Umgebung aus, und plötzlich kam Rochelle sich in dem Anzug, den sie selbst schon seit drei Jahren besaß, richtiggehend schäbig vor.

»Nehmen Sie Platz.« Roarke führte sie zu einem Sofa, das genauso luxuriös wie alles andere war.

Wilson hatte ihr versichert, dass man sich mit Roarke wie mit jedem anderen ganz normalen Menschen unterhalten könnte, aber dies war Roarke! Ein Multimilliardär, ein Philanthrop und Visionär. Außerdem sah er noch fantastisch aus.

Seine Augen waren tatsächlich so blau, wie sie ihr im Fernsehen vorgekommen waren.

»Ich nehme an, die Party bei Nadine hat Ihnen Spaß gemacht.«

»Und wie! Ich war einmal auf einem Avenue-A-Konzert, als ich noch auf dem College war. Ich hatte einen billigen Platz, doch es war wirklich toll. Genauso toll wie das Konzert am Freitagabend, in das ganz spontan auch noch die anderen einbezogen worden sind. Im Grunde weiß ich gar nicht, was ich sagen soll. Ich war auch schon einmal bei einem Konzert von Mavis und jetzt habe ich sie in einem völlig anderen Zusammenhang erlebt.«

»Sie scheinen Musik zu mögen.«

»Unbedingt.« Sie hob den Kopf, als Caro mit einem Tablett mit Kanne und zwei Tassen, Zucker sowie einem Kännchen Sahne hereinkam. »Ich danke Ihnen vielmals.«

»Es ist mir ein Vergnügen. Wie nehmen Sie Ihren Kaffee?«

»Mit einem Schuss Milch und einem Stückchen Zucker.« Auch wenn es in ihrer Welt nur die Ersatzprodukte gab.

»Danke, Caro«, meinte Roarke, als auch er seine Tasse hingestellt bekam.

Als die Bürotür wieder hinter Caro zugefallen war, hob Rochelle ihre Tasse an den Mund. »Ich nehme an, Sie wollen …« Sie trank den ersten Schluck und riss die Augen auf. »Mein Gott. Ich habe das Gefühl, als wäre mein gesamtes Innenleben aufgesprungen, um zu applaudieren. Im Buch und Film über den Icove-Fall wird dieser Kaffee ab und zu erwähnt, und jetzt ist mir klar, dass er tatsächlich etwas ganz Besonderes ist.«

»Ich denke oft, dass ich es diesem Kaffee zu verdanken habe, dass Eve meine Frau geworden ist.«

»Ich kann mir vorstellen, dass er dabei eine Rolle spielte, aber sicher haben Sie mich nicht eingeladen, um mir eine Tasse Ihres wunderbaren Kaffees anzubieten, sondern wegen meiner Tätigkeit bei Dochas, da Sie sich dort aktiv engagieren.«

»Die Arbeit, die Sie dort geleistet haben, könnte durchaus eine Rolle spielen«, griff er lächelnd ihre Worte auf. »Sie haben doch sicher von dem Haus gehört, das wir gerade in Hell’s Kitchen fertigstellen.«

»Natürlich, glauben Sie tatsächlich, dass dort schon im Mai die ersten Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden können?«

Es sprach für sie, dass sie von Schülerinnen und Schülern statt von Jugendlichen mit Problemen sprach, fand Roarke. »Wir hoffen es. Sie engagieren sich seit fünf Jahren auch im Familienberatungszentrum in der Innenstadt.«

»Das stimmt.«

»Dann haben Sie also nicht den Ehrgeiz, eine eigene Praxis aufzumachen?«

»Dafür fehlen mir die finanziellen Mittel«, räumte sie mit einem offenen Lächeln ein. »Aber vor allem bin ich lieber Teil eines Teams. In einem Team bringen alle ihre jeweiligen Stärken ein, wodurch man den Patienten besser helfen kann. Und so, wie ich’s verstanden habe, haben Sie das auch im An Didean so geplant. Sie wollen dort therapieren, rehabilitieren, bieten Struktur und Sicherheit und nicht zuletzt eine Gemeinschaft für die jungen Menschen, gemeinsam mit Erwachsenen, die ihnen den Weg zu einem guten, produktiven und gesunden Leben ebnen wollen.«

»Genau. Wir haben uns in den letzten Monaten nicht nur auf das Gebäude selbst konzentriert, sondern auch Personal gesucht, das die erforderliche Ausbildung und das Engagement, den Zweck des Hauses zu erfüllen, besitzt und selbst an die Ziele dieses Hauses glaubt. Meiner Meinung nach trifft all das auch auf Sie zu.«

Sie runzelte verwirrt die Stirn. »Sie wollen, dass ich dort wie bei Dochas ehrenamtlich helfe?«

»Tatsächlich hatte ich gehofft, dass ich Sie für die Leitung unseres Psychologenteams gewinnen kann.«

»Ich … ich … es tut mir leid.« Da ihre Tasse auf der Untertasse klirrte, stellte sie sie auf den Tisch. »Ich hatte angenommen, Sie hätten Dr. Susann Po für diesen Posten vorgesehen. Mr. Roarke …«

»Nur Roarke.«

»Ich habe riesigen Respekt vor Dr. Po, und zwar beruflich und privat, und obwohl ich Ihr Angebot zu schätzen weiß und sehr geschmeichelt bin, wollte oder könnte ich jemanden mit ihren Fähigkeiten und mit ihrem Ruf niemals von seinem Platz verdrängen.«

»Weil ich Dr. Po ebenfalls umfänglich respektiere, hab ich ihr diese Stelle angeboten, aber unglücklicherweise zieht sie wegen eines familiären Notfalls nach East Washington und weiß nicht, ob sie überhaupt noch einmal wiederkommen wird. Deshalb hat sie mein Angebot vergangene Woche mit Bedauern abgelehnt.«

»Ich verstehe. Davon habe ich noch nichts gehört. Das tut mir wirklich leid. Ich …« Wieder hob sie ihre Tasse an den Mund und atmete tief durch.

»Ich arbeite seit knapp zehn Jahren in diesem Job, wogegen Dr. Po inzwischen seit fast dreißig Jahren als Jugendpsychologin tätig ist. Wahrscheinlich klingt das ziemlich undankbar, doch ich möchte wissen, ob das Angebot etwas damit zu tun hat, dass ich Wilsons Freundin bin.«

»Als ich Dr. Po für eine Schlüsselposition in dem Projekt gewinnen wollte, das mir selbst und meiner Frau persönlich sehr am Herzen liegt, wollte ich sie aufgrund ihrer Erfahrung, ihres Rufs und einer Reihe anderer Gründe haben. Doch auf der Liste standen neben ihrem noch die Namen von vier anderen hoch qualifizierten Leuten, die infrage gekommen wären. Das war im Herbst und Sie standen auf der Liste gleich hinter Dr. Po.«

»Oh.«

»Ich glaube nicht, dass Sie zu der Zeit schon mit ihm bekannt waren.«

»Nein, das war ich nicht. Ich kenne ihn erst seit Dezember und auch da hat es nicht gleich … gefunkt. Das heißt, dass sich die Sache zwischen uns erst im Lauf der Zeit entwickelt hat.«

»Ich wusste gar nicht, dass Sie beide sich kennen, und war am Samstag ziemlich überrascht, als ich Sie auf der Party von Nadine mit Wilson sah, denn schließlich hatte ich mir erst am Morgen vorgenommen, Sie einzuladen und zu fragen, ob ich Sie für diese Position gewinnen kann.«

»Das freut mich sehr zu hören, und mir tut es leid, dass ich mich nicht ein bisschen besser vorbereitet habe, aber mir war nicht bewusst, dass es um eine so wichtige Stelle geht.«

»Im Grunde war’s das schon mit dem Gespräch«, gab Roarke zurück und lächelte sie an. »Seit Samstagabend und dem Kaffee hier ist mir bewusst, dass ich Sie wirklich haben will. Die meisten Dinge, die ich wissen muss, weiß ich bereits seit letztem Herbst, als es um die Erstellung meiner Kandidatenliste ging. Ich weiß, was Sie studiert haben, kenne Ihre Arbeit und den guten Ruf, den Sie genießen, weiß, dass Sie bei Dochas und in dem Beratungszentrum ehrenamtlich tätig sind, und entweder ich selbst oder Caro haben bei Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, Ihren Vorgesetzten, den Dozenten, die Sie an der Uni hatten, und verschiedenen anderen Leute Infos eingeholt. Wie bei allen anderen Personen, die wir für An Didean gewinnen wollen, ist die letzte Phase des Verfahrens ein persönliches Gespräch, wie wir es gerade führen.«

Ihr Magen flatterte derart, dass es sie überraschte, dass es nicht zu sehen war. »Ein Mann mit Ihren … Beziehungen … hat doch sicher auch herausgefunden, dass mein Vater im Gefängnis umgekommen ist. Er war ein Junkie und ein bösartiger und brutaler Mann. Meine Mutter war zum einen abhängig von ihm und zum anderen von dem Zeug, das er sie hat nehmen lassen hat, und sie hat sich umgebracht, als er nicht mehr zurückgekommen ist.«

»Das ist mir bekannt. Doch jeder Mensch entscheidet selbst, ob er das Elend seiner Jugend überwinden oder weiterhin darin verharren und es fortführen will. Obwohl ich kein Psychologe bin, ist mir bewusst, dass Ihr Verlangen, den Wehrlosen, Verletzlichen zu helfen, Ihrer eigenen Vergangenheit entspringt. Was meiner Meinung nach ein weiterer Pluspunkt ist, der für Sie spricht.«

Er sah sie fragend an. »Noch einen Kaffee?«

»Tatsächlich könnte ich jetzt ein Glas Wasser brauchen«, stieß Rochelle mit rauer Stimme aus.

»Natürlich.« Er nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, der in einer Ecke stand, und schenkte etwas davon in ein Glas. »Falls Sie Interesse an der Stelle haben, können wir noch über Einzelheiten reden wie die Jobbeschreibung, die Struktur, das Gehalt, das Sie bekämen, und so weiter.«

»Das wäre …« Vorsichtig hob sie das Glas an ihren Mund. »Das ist eine wichtige, lebensverändernde Entscheidung, deshalb sollte ich in Ruhe alles überdenken, ehe wir …«

Entschlossen stellte sie das Wasser auf den Tisch und wandte sich ihm zu. »Bin ich verrückt? Oh nein, das bin ich nicht. Und ich bin auch nicht dumm.« Mit einem perlenden Lachen fügte sie hinzu: »Natürlich bin ich an der Stelle interessiert. Ich bin geschmeichelt, überrascht, und mir ist richtiggehend schwindelig, obwohl ich selbstverständlich möglichst würdevoll und ernsthaft rüberkommen will.«

Roarke lächelte sie an und lachend griff sie sich ans Herz.

»Und ja, ich wüsste gern die Einzelheiten dieses unglaublichen Angebots. Vor allem würde ich mir gerne mal das Haus ansehen. Ich würde gerne sehen, wo die Kinder leben sollen und wie die Räume für die Freizeit, den Unterricht und für die Einzel- und die Gruppentherapien gestaltet sind. Ich würde gerne alles sehen.«

»Natürlich«, sagte er auch dieses Mal und sah sie fragend an. »Haben Sie noch etwas Zeit?«

Sie riss die Augen auf und blinzelte verwirrt. »Jetzt … gleich?«

»Die Einzelheiten können wir besprechen, während Sie sich alles anschauen. Ich wüsste gern, was Sie von unseren Plänen halten.«

Abermals griff sie nach ihrem Glas und diesmal trank sie einen möglichst großen Schluck. »Okay.«

Nach der Führung und dem Handschlag zur Besiegelung des Vertrags fuhr Roarke allein in sein Büro zurück.

»Bitte lassen Sie ihr den Vertrag zukommen, Caro«, wies er seine Assistentin an.

»Das werde ich mit Freuden tun. Sie ist extrem qualifiziert und brennt für ihren Beruf. Obwohl es Ihnen leidtut, dass Sie jemanden wie Dr. Po verloren haben, könnte Rochelle Pickerings Jugend dort von Vorteil sein. Vor allem habe ich einfach ein sehr gutes Gefühl bei ihr.«

»Ach ja?«

»Sie war vollkommen überwältigt und hat sich bemüht, es nicht zu zeigen, doch sie hatte kein Problem damit, sich anmerken zu lassen, dass Sie Ihnen für die Chance, die Sie ihr bieten, wirklich dankbar ist. Die Mischung hat mir zugesagt.«

»Mir auch. Und jetzt kann ich die Meetings nachholen, die Sie heute früh verschoben haben.«

»Bis zu der Videokonferenz mit Hitch in San Francisco und mit Castors Team in Baltimore, die ich verschoben habe, als die Textnachricht von Ihnen kam, haben Sie …« Sie sah auf ihre Uhr. »… noch acht Minuten Zeit.«

»Wie käme ich nur ohne Sie zurecht?«