Survival – Verloren am Amazonas - Andreas Schlüter - E-Book
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Survival – Verloren am Amazonas E-Book

Andreas Schlüter

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Beschreibung

Sie haben den Flugzeugabsturz überlebt. Doch jetzt sind sie verloren im Dschungel! Band 1 der neuen Abenteuerserie von Erfolgsautor Andreas Schlüter: actionreich und atemberaubend spannend! Mit vielen coolen Survival-Tipps und -Tricks! Der dreizehnjährige Mike kommt nach einer Bruchlandung im Dschungel langsam zu Bewusstsein. Wo ist seine kleine Schwester Elly? Und was ist mit seinen Freunden Matheus und Gabriel, die ebenfalls im Flugzeug saßen? Alle sind am Leben – noch. Denn der Dschungel birgt viele Gefahren. Schlangen, Raubkatzen, unerbittliche Naturgewalten – im wilden Amazonien können nur die Stärksten überleben. Hungrig und wild entschlossen, am Leben zu bleiben, machen sich die Kinder auf den gefährlichen Weg durch den Urwald. Alle Bände der Serie: Band 1: Survival – Verloren am Amazonas Band 2: Survival – Der Schatten des Jaguars Band 3: Survival – Im Auge des Alligators Band 4: Survival – Unter Piranhas Band 5: Survival – Im Netz der Spinne Band 6: Survival – Der Schrei des Affen Band 7: Survival – Von Haien umzingelt Band 8: Survival – In den Krallen des Leguans Serie bei Antolin gelistet

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Seitenzahl: 226

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Andreas Schlüter

Survival – Verloren am Amazonas

Mit Vignetten von Stefani Kampmann

FISCHER E-Books

Inhalt

Böses Erwachen24 Stunden zuvorAbgestürztWo ist Matheus?Die erste NachtDie erste warme MahlzeitAufbruchStimmenMenschen?Buschmeister!Menschen!GefangenFluchtVerloren!Rettung!LESEPROBEAus der Gruppe der [...]

Böses Erwachen

Mike hörte das Rauschen von Blättern und Vogelgezwitscher. Sonderbar. Sein Zimmer lag doch nach vorn, zum Parkplatz. Deshalb war er noch nie von Vogelstimmen geweckt worden, schon gar nicht von solchen, die ihm gänzlich neu erschienen. Ein ihm vollkommen unbekannter Singsang, immer wieder unterbrochen von einem ohrenbetäubenden Krächzen, als wäre jemandem der Papagei entflogen. Dazu seltsame Schreie, die bestimmt nicht von Vögeln stammten. Wer stieß solche Schreie aus?

Mike wachte durch diese Geräusche auf, doch seine Augen blieben zunächst in seinem dämmernden Halbschlaf geschlossen. Sein linker Arm schmerzte; auf dem rechten, der sich verdreht hatte, schien er zu liegen.

Von der Seite ertönte ein wimmerndes Stöhnen. Sofort dachte Mike an seine ein Jahr jüngere Schwester Elly. Bruchstückhaft erinnerte er sich, dass sie zusammen in einem Flugzeug gesessen hatten; an die schwüle Hitze und dass ihm sein Shirt am Rücken geklebt hatte wie ein nasses Handtuch.

Er lag gar nicht in seinem Zimmer in Deutschland, er war in Brasilien!

Aber wo dort?

Mike öffnete nun seine Augen. Sein Blick verlor sich in Baumkronen, unendlich hoch und so dicht, dass sie kaum einen Sonnenstrahl durchließen: ein geschlossenes, grünes Dach. Brandgeruch vermischte sich mit dem penetranten Gestank von Benzin oder etwas Ähnlichem.

Mike hob den Kopf. Um ihn herum nichts als dichtes, undurchdringliches Gestrüpp. Niemand sonst zu sehen.

»Elly?«, rief Mike zaghaft. Und ein zweites Mal, deutlich lauter. »ELLY?«

»Mike?«, kam es leise zurück.

Der stechende Schmerz im linken Arm hinderte Mike daran, aufzuspringen. Er hielt kurz inne, tastete behutsam seinen verletzten Arm ab und stellte fest, dass seine rechte Hand blutverschmiert war. Unwillkürlich zuckte er zurück und atmete einmal tief durch, bevor er sich traute, die Hand näher zu betrachten. Schnell erkannte er, dass sie heil war, das Blut stammte von woanders. Notdürftig wischte er es an dem Gestrüpp ab, auf dem er lag. Dann entdeckte er, woher es kam: Sein rechtes Bein wies erhebliche Schürfwunden auf. Aus einer tropfte Blut.

»Mike?« Der erneute Ruf seiner Schwester. »Wo bist du?«

»Hier!«, rief er. »Ganz in deiner Nähe!«

Auch seine Schwester schien Schmerzen zu haben. »Bist du verletzt?«

»Weiß nicht«, kam von ihr zurück. »Mein Fuß tut weh!«

Hoffentlich nicht gebrochen!, dachte Mike.

»Weißt du, wo wir sind?«, fragte er ins Dickicht hinüber.

»Nein!«, kam zurück. »Wir sind irgendwo mitten im tropischen Regenwald abgestürzt.«

Abgestürzt? Richtig. Allmählich kehrten auch Mikes Erinnerungen zurück.

24 Stunden zuvor

Erst fünf Tage war es her, dass er gemeinsam mit seiner Schwester Elly am Aeroporto Internacional de Manaus – Eduardo Gomes gelandet und von seinem Vater abgeholt worden war.

Zum großen Glück für Mike und Elly hatten sie gleich am ersten Tag Bekanntschaft mit zwei netten Nachbarjungs gemacht: Matheus, der schon vierzehn war und damit ein Jahr älter als Mike, und dessen jüngeren Bruder Gabriel, der mit seinen elf Jahren sogar noch ein Jahr jünger war als Elly. Als Mike und Elly mit ihrem Vater ankamen, standen die beiden Jungs schon zur Begrüßung im Garten bereit: Matheus mit einem Ara-Papagei auf der Schulter, wie ein alter Piratenkapitän, und der kleine Gabriel mit einem seltsamen Affen auf dem Arm.

»Das ist kein Affe, sondern ein Faultier«, erklärte Gabriel.

Elly war sofort hin und weg.

»Darf ich mal?«, fragte sie und lief auf Gabriel zu.

»Klar!« Gabriel setzte ihr das Faultier auf den Arm, und Elly begann sofort, es zu streicheln. »Er ist es gewohnt. Matheus und ich stellen uns manchmal auf den Markt für die Touristen. Die bezahlen dann dafür, dass sie ihn mal streicheln dürfen.«

»Süüüß«, säuselte Elly.

Mike fand das Faultier ziemlich hässlich, aber das behielt er für sich. Lieber fragte er, wieso Matheus und Gabriel so gut Deutsch sprachen.

»Unsere Eltern sind Deutsche«, erläuterte Matheus, wobei der Ara sofort dazwischenquatschte: »Sind Deutsche! Grüß Gott!«

Mike und Elly lachten lauthals los, bevor Matheus fortsetzen konnte: »Sie arbeiten schon seit zwanzig Jahren hier in Brasilien. Deshalb sind wir hier geboren.«

»Und wir bleiben auch hier«, stellte Gabriel klar. »Auch, wenn wir fließend Deutsch sprechen können.«

»Deutsche bleiben!«, kommentierte der Ara. »Zico bleibt hier!«

»Zico heißt du also«, schlussfolgerte Mike. Aber er traute sich nicht, den Ara anzufassen.

»Arbeiten eure Eltern auch auf dem Bau, wie unser Papa?«, fragte Elly.

Sie konnte sich nun kaum noch gegen das Faultier wehren, das ihr ständig an den rötlichen Haaren zog. Gabriel nahm ihn ihr wieder ab.

»Unsere Mutter ist Ingenieurin, aber unser Papa ist Arzt«, antwortete Matheus. »Das will ich auch mal werden.«

»Okay«, sagte Mike, aber vielmehr interessierte ihn: »Zeigt ihr uns den Regenwald? Der beginnt doch gleich hier über die Straße, oder?«

»Ja!« Matheus’ Augen bekamen sofort einen strahlenden Glanz. »Aber wir dürfen nicht tief hinein. Nur an den Rand. Wenige falsche Schritte genügen, und man findet womöglich nie wieder hinaus.«

Gabriel nickte heftig. »Es gibt ziemlich gruselige Geschichten von Leuten, die sich im Regenwald verirrt haben.«

»Wow!« Das war so richtig nach Mikes Geschmack. Darin stimmte er mit seiner Schwester überein. Elly war zwar jünger, kleiner und auch zierlicher als ihr Bruder, aber in Grusel- und Horrorgeschichten machte ihr niemand etwas vor.

»Schade«, kommentierte sie deshalb. »Wirklich nicht tiefer rein? Auch nicht mit Erwachsenen zusammen?«

Die drei Erwachsenen, die mit den Kindern noch immer vor dem Haus im Vorgarten standen, lächelten und grinsten sich an.

»Na gut«, sagte Mikes und Ellys Vater. »Es sollte zwar eine Überraschung sein, aber dann verraten wir es.«

Die vier Kinder rissen vor Neugier Augen und Ohren auf.

»Luiz wird euch den Regenwald zeigen. Er ist der Pilot von unserer Baustelle. Schon seit fünfundzwanzig Jahren macht er Rundflüge. Und übermorgen exklusiv für euch!«

Die Kinder brachen in lauten Jubel aus. Und auch Zico mischte sich mit einem lauten »Hurra!« ein.

Für Mike war klar: Wenn er den Regenwald betrat – egal, ob zu Fuß, per Flugzeug oder sogar per Boot – dann brauchte er eine entsprechende Ausrüstung. Seine Schwester schaute ihn befremdet an. »Was für eine Ausrüstung? Wofür? Bei einem Rundflug!« Doch Mike ließ sich auf keine Debatte ein.

Kaum waren sie wieder zu Hause, zeigte er seiner Schwester nur lässig sein Survival-Buch und erläuterte: »Da steht alles drin, was man zum Überleben braucht. Alles, versteht du?«

Aber Elly verstand – nichts.

»Zum Überleben?«, fragte sie, wobei sie sich an die Stirn tippte. »Das Einzige, was man bei einem zweistündigen Rundflug zum Überleben braucht, ist ’ne Tafel Schokolade.«

Das war typisch Elly. Sie war eine riesige Naschkatze. Auch nur zwei Stunden unterwegs zu sein, ohne zwischendurch etwas Süßes zu sich zu nehmen, konnte sie sich nicht vorstellen. Insofern hatte sie mit ihrem Spruch gar nicht mal so unrecht. Niemand, der sie mit ihrer zierlichen Figur sah, konnte ahnen, wie viel Schokolade, Kuchen, Puddings, Lakritz und Bonbons Elly verdrücken konnte – wenn man sie ließ, was ihre Eltern meistens nicht taten.

Aber das war ja sowieso nicht das, was Mike mit Überleben gemeint hatte. Er zeigte seiner Schwester eine Seite in dem Buch, in dem der Inhalt eines Überlebensgürtels beschrieben stand.

Überlebensgürtel

Plastiktüte

Bauplane

Survival-Buch

Kompass

Eine Rolle Angelschnur

2 Angelhaken

Eine Rolle Nylonband

Reisepäckchen Nähzeug

Sicherheitsnadeln

1 Bleistift, 1 kleiner Notizblock

Kleine Kerze

Feuerzeug

Taschenmesser (Schweizer Messer)

Fahrtenmesser

1 Tube Sekundenkleber (für Reparaturen, z.B. der Schuhe)

1 Packung Streichhölzer

1 Trillerpfeife (Notsignal, Verständigung, Orientierung)

1 Pinzette

1 Taschenlampe

Morsetabelle

Pflaster

Mullbinde

Kompresse

Wasserfeste Outdoor-Kamera

Elly hatte wieder nur verständnislos den Kopf geschüttelt. Nicht nur, weil von Süßigkeiten in dem Überlebensgürtel überhaupt keine Rede war.

»So etwas willst du dir holen?«, fragte sie verständnislos.

Mike grinste sie an. »Nein. So etwas hab ich schon. Von zu Hause mitgebracht. Ein paar Sachen fehlen noch. Mal sehen, ob ich sie bis zu unserem Flug besorgen kann. Denn es ist ja ein Privatflug, das heißt, wir haben keine Sicherheitskontrolle. Deswegen könnte ich alles mit an Bord nehmen!«

Am folgenden Tag musste Elly kichern, als Mike in voller Montur fertig zur Abfahrt vor der Haustür stand. Er trug ein Wanderhemd in militärischen Tarnfarben mit zwei mehrfach unterteilten Brusttaschen. Dazu eine olivgrüne lange Hose, die neben den normalen Hosentaschen noch zwei an jedem Hosenbein aufwies. Um die Taille hatte er seinen prall gefüllten »Überlebensgürtel« geschnürt, von dem Elly gar nicht erst wissen wollte, was er alles enthielt, und der vorn mit einem Koppelschloss sicher verschlossen war. An den Füßen trug er feste knöchelhohe, schwere Wanderstiefel. Und zudem hatte er noch einen Rucksack dabei, in dem nach Ellys Vermutung wohl ebenfalls nichts zu finden war, was für einen entspannten Tagesausflug wirklich von Nutzen gewesen wäre.

»Wo willst du denn hin?«, fragte sie. »Dir ist schon klar, dass wir am selben Nachmittag zurückkommen und nicht erst in drei Wochen?«

»Wir fliegen in den Dschungel«, antwortete Mike.

»Wir fliegen über den Dschungel«, stellte Elly klar.

Doch Mike wollte das nicht gelten lassen. »Vielleicht landen wir ja auch und machen Rast im Dschungel oder einen kleinen Ausflug?«

Elly tippte sich an die Stirn. »Klar! Wir machen ’ne Tour mitten durch den Dschungel, und Papa bleibt hier. Und die Eltern von Matheus und Gabriel kommen auch nicht mit. Nur wir Kinder, allein mit Luiz! Da wird sich Mama aber freuen, wenn sie davon hört!«

Mike zog trotzig die Schultern hoch und blieb dabei: »Im Dschungel kann nun mal alles passieren.«

Auch ihr Vater amüsierte sich über Mikes Aufzug. Er machte schnell ein paar Aufnahmen, um sie per WhatsApp an seine Frau zu schicken.

»Schreib aber dazu, dass wir nur einen halben Tag unterwegs sind«, schlug Elly lachend vor. »Mama denkt sonst, wir gehen auf Safari.«

»Safari in Brasilien!« Mike tippte sich an die Stirn. »Elly hat mal wieder keine Ahnung. Safaris gibt es nur in Afrika!«

»Schauen wir morgen noch mal nach Prepaid-Karten?«, fragte Elly, als sie ihren Vater mit dem Smartphone hantieren sah. Sie hatte genau wie ihr Bruder bereits ein eigenes, das aber hier in Südamerika nicht funktionierte. Ihr deutscher Prepaid-Tarif ließ es nicht zu. Am Tag zuvor wollten sie sich eine örtliche Karte kaufen. Aber ausgerechnet als sie vor dem Handyladen gestanden hatten, war Mittagspause gewesen.

»Morgen Nachmittag!«, versprach Vater.

Da das Smartphone also bisher nur über WLAN im Haus funktionierte, nahm Mike seines gar nicht erst mit. Um Fotos zu machen, hatte er seine wasserfeste Outdoor-Kamera dabei, die er sich extra zu Weihnachten hatte schenken lassen. Auch Elly ließ ihres zu Hause.

Überhaupt hatte Elly eigentlich gar nichts dabei. Außer ein paar Schokoriegeln natürlich, für den »kleinen Hunger zwischendurch«, wie sie einen Werbespruch zitierte. Ansonsten trug sie zwar auch – auf Anraten ihres Vaters – eher robuste Wander- als leichte Sommerkleidung, aber das war es auch schon. Und nur weil ihr Vater darauf bestanden hatte, dass jeder eine große Flasche Trinkwasser mitnahm, hatte Elly überhaupt einen kleinen Rucksack dabei.

Derart unterschiedlich auf den Ausflug vorbereitet, waren beide natürlich gespannt, wie Gabriel und »Matti«, wie sie Matheus nennen sollten, ausgestattet sein würden.

Die beiden standen auf dem kleinen Flugplatz, als hätten sie von der Auseinandersetzung zwischen Elly und Mike gehört und sich für einen Kompromiss entschieden. Beide trugen robuste Wanderkleidung, hatten aber kaum Gepäck dabei. Ebenso wie Elly trug jeder nur einen kleinen Rucksack, in dem sicher nicht viel mehr Platz hatte als eine große Wasserflasche. Zufrieden bemerkte Mike, dass beide wenigstens große Fahrtenmesser an ihren Gürteln bei sich trugen.

Sie mussten nicht lange auf den Abflug warten. Kaum waren sie an der kleinen Start- und Landebahn auf der Baustelle angekommen, wurden sie auch schon vom Piloten begrüßt. Luiz war ein netter älterer Herr mit lichtem Haar und grauen Schläfen, einer wettergegerbten, faltigen Haut, die vermuten ließ, dass er schon so manches erlebt hatte. Seine Stimme klang tief, warm und freundlich. Lächelnd gab er jedem Kind die Hand und versprach einen fröhlichen, ereignisreichen Tag, an dem die Kinder Faszinierendes erleben würden. Dann stiegen sie in die kleine, aber immerhin mit sechs Sitzen für Passagiere ausgestattete ehemalige Postmaschine ein, setzen sich jeweils zu zweit hintereinander und schnallten sich auf den zerschlissenen, teils sogar zerrissenen Sitzen an.

Mike hatte kein besonders gutes Gefühl, mit dieser alten Klappermaschine über das Amazonas-Gebiet fliegen zu müssen. Doch ein- bis zweimal pro Woche flog Luiz Touristen über das Gebiet, und beide Väter – sowohl Mikes und Ellys als auch der von Matheus und Gabriel – hatten volles Vertrauen in die Maschine und in den Piloten. Insofern konnte eigentlich gar nichts schiefgehen.

Dachte Mike.

Bis der Motor ansprang.

Das Getöse dröhnte derart laut durch den Kabinenraum, dass man sein eigenes Wort kaum noch verstehen konnte.

Das hinderte Matheus dennoch nicht daran, brüllend über die technischen Daten des Flugzeugs zu referieren. Gabriel verdrehte etwas die Augen, wohl weil Matheus ihm in Vorbereitung des Ausflugs sämtliche Daten schon mehrmals aufgesagt hatte.

Gabriel zeigte nur mit einer entsprechenden Miene auf seinen großen Bruder, der hinter ihm saß, und rief: »Matheus hat ganz neu einen Flugschein!«

Mike riss erstaunt die Augen auf. »Echt. Du kannst so ein Flugzeug selber fliegen?«

Matheus schüttelte den Kopf.

»Nein!«, brüllte er gegen den Motorenlärm an. »Dafür bin ich noch zu jung. Nur einen Segelflieger!«

Trotzdem. Mike fand das äußerst beeindruckend und hob den rechten Daumen als Zeichen seiner Anerkennung. Matheus nahm dies stolz zur Kenntnis.

»Hätte ich auch Lust zu«, bekannte Mike, erntete mit dieser Bemerkung aber wieder Gelächter seiner Schwester. »Du hast doch Höhenangst!«

Seine Schwester hatte recht, musste er zugeben. Aber in geschlossenen Räumen wie Flugzeug-Kabinen überkam ihn diese Angst nicht.

Doch Luiz startete das Flugzeug, ohne die Seitentür zu schließen.

Schon rollten sie los. Und Mike rief noch: »Wollen wir die Tür nicht zumachen?«

»Welche Tür?«, fragte Matheus und lachte.

Jetzt erst sah Mike, dass tatsächlich die Tür fehlte!

»Ist eben ein alter Postflieger«, erklärte Matheus. »Er fliegt ja auch nicht hoch und schnell. Meistens so eben über den Baumwipfeln. Und für die Touris gibt es mehr Flair, wenn einem der Wind hier drinnen um die Ohren pfeift.«

»Aha!«, sagte Mike kurz angebunden, obwohl er die Hälfte wegen des Lärms gar nicht verstanden hatte.

Luiz gab Vollgas, der alte Kasten hob träge von der Startbahn ab. Und für einen Moment hatte Mike das Gefühl, das Flugzeug könne gar nicht fliegen. Es schaukelte, ruckelte, und immer wenn Mike glaubte, jetzt stabilisiere sich der Flug, sackten sie ab, dass es ihm nur so durch den Magen zuckte. Mike spürte, wie ihm heiß und kalt zugleich wurde und sich erste Tropfen kaltnassen Schweißes auf seiner Stirn bildeten. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Hoffentlich bleibt es nicht so, dachte er nur. Nie und nimmer würde er so zwei Stunden Rundflug aushalten, geschweige denn die versprochene gigantische Aussicht genießen können.

»Alles klar, Mike?«, kam von seiner Schwester, die vor ihm saß, sich kurz umgedreht hatte und dabei das blasse Gesicht ihres Bruders sah. Sie kannte das schon. Ob Karussell, Riesenrad oder auch nur der Treppenaufgang in eine Kirchturmspitze, für Mike war das alles nichts.

»Geht schon!«, antwortete Mike tapfer, obwohl er wusste, schon bald würde gar nichts mehr gehen.

Seine Schwester glaubte ihm auch nicht.

»Kotz uns nicht ins Flugzeug!«, mahnte sie. »Nimm dir eine Tüte!«

Mike winkte ab, schaute sich aber dennoch heimlich nach einer Kotztüte um. Nur: Hier gab es keine. An Bord gab es eigentlich gar nichts. Nur die nackten Sitze, die nachträglich hineingeschraubt worden waren. Mike erinnerte sich, dass er in seinem Überlebensgürtel eine Tüte stecken hatte. Aber vorerst wollte er sie in der Tasche lassen. So schlimm war es auch noch nicht. Er würde sich nicht übergeben müssen. Hoffentlich nicht.

Dann hatten sie ihre Reiseflughöhe erreicht, und der Flug wurde tatsächlich ein wenig ruhiger. Mike trank einen Schluck Wasser aus seiner Flasche und steckte sie gleich wieder in den Rucksack zurück. Das Wasser tat ihm gut. So wie die Maschine beruhigten sich auch sein Magen und vor allem seine Nerven.

»Schau nur!«, rief Elly begeistert. Sie zeigte aus dem Fenster.

Mike sah hinaus und erblickte eine unendliche grüne Decke unter sich. So weit das Auge reichte, ein Meer aus dichten grünen Baumkronen. Mike kam sich vor wie eine Minifliege, die über einen Riesenbrokkoli flog. Genau so sah es aus.

Es dauerte gute fünfzehn Minuten, ehe sich das Bild änderte, weil unter ihnen plötzlich ein Fluss auftauchte. Sie flogen so niedrig, dass Mike tatsächlich einzelne Krokodile erkennen konnte. »Kaimane!«, rief er seiner Schwester zu.

Doch die hatte schon etwas anderes entdeckt: Ein mächtiger Schwarm bunter Vögel zog übers Wasser in den Urwald hinein.

»Aras!«, rief Matheus. »Das war ein Schwarm von Ara-Papageien!«

»Und was ist der da?«, fragte Elly.

Parallel zu ihnen, aber ein paar hundert Meter entfernt, zog ein gigantischer Raubvogel seine Kreise.

»Ein Adler?«, fragte Mike.

»Ja, eine Harpyie!«, erklärte Gabriel. »Einer der größten und wohl der stärkste Greifvogel der Welt! Er jagt unter anderem Affen.«

»Affen?« Das konnte sich Mike kaum vorstellen.

Doch Matheus bestätigte es ihm. »Kleine Kapuziner-Äffchen. Die sind so groß wie Babys.«

Elly schaute Matheus entsetzt an. Babys! Was für ein Vergleich!

»Da!« Mike zeigte aus dem Fenster.

Die Harpyie hatte offenbar eine Beute ausgemacht. Ihr Flug änderte vom Kreiseln in eine gerade Linie abwärts. Und sie nahm Tempo auf. Wie ein lautloses Segelflugzeug schoss sie zielgerichtet in die grünen Baumkronen hinein. Hier oben in der Flugzeugkabine konnten sie keine Schreie von unten wahrnehmen. Aber in die Baumkronen kam ordentlich Bewegung. Eine Affenhorde nahm offenbar panisch Reißaus. Und dann stieg der mächtige Vogel wieder auf in den Himmel. In seinen starken Krallen zappelte etwas hilflos.

»Sie hat einen!«, schrie Elly. »Das arme Äffchen!«

»Oder der glückliche Adler!«, entgegnete Gabriel. »Der muss ja auch was fressen.«

Elly war dennoch nicht einverstanden, dass der Vogel ausgerechnet süße kleine Äffchen fressen musste.

Doch schon hatte sie wieder etwas Neues entdeckt. »Auweia. Dort hinten brennt der Wald! Gibt’s hier eine Feuerwehr?«

»Feuerwehr?« Matheus lachte bitter. »Ja, klar. Aber die Menschen dort unten haben das Feuer ja selbst gelegt: Die werden es kaum löschen wollen.«

Elly kam nicht mit. Welche Menschen setzten absichtlich einen Wald in Brand?

»Brandrodung heißt das«, erklärte Matheus. »Die Arbeiter brennen die Bäume ab, um Straßen zu bauen, nach Erdöl zu suchen oder Ähnliches. Zusätzlich wird der Wald täglich abgeholzt, um Tropenholz zu verkaufen. Daraus werden auf der ganzen Welt dann Terrassen und Häuser gebaut. Auch in Deutschland.«

»Die holzen und brennen den Regenwald ab?« Elly konnte es nicht glauben. Obwohl, wenn sie so darüber nachdachte, dann hatte sie schon mal davon gehört. Wieder sah sie aus dem Fenster. »Aber das ist doch eine Riesenfläche, die dort brennt. Ist das Feuer außer Kontrolle geraten?«

Matheus schüttelte mit bitterer Miene den Kopf. »Jedes Jahr wird eine Fläche vernichtet, fünfmal so groß wie Berlin. 35000 Quadratkilometer.«

Mike konnte sich diese Fläche nicht so richtig vorstellen.

»Luiz hat das für uns mal ausgerechnet«, erzählte Gabriel. »Das sind jede Minute die Fläche von neuneinhalb Fußballfeldern, die hier an Wald vernichtet werden.«

»Jede Minute?«, fragte Elly ungläubig nach. Sie schaute auf die Uhr und stellte fest, dass sie bereits seit einer dreiviertel Stunde unterwegs waren. Das war also … eine Fläche von rund 420 Fußballfeldern, die vernichtet wurden, seit sie losgeflogen waren!! Das konnte doch nicht sein!

Gabriel nickte: »Jede Minute knapp zehn Fußballfelder.« Er rief nach vorn ins Cockpit. »Oder Luiz? Das stimmt doch?«

Luiz antwortete nicht.

Gabriel lächelte. »Luiz hört ein bisschen schwer. Und bei dem Lärm …«

Er tippte den Piloten an. »Sag mal, Luiz, das stimmt doch, dass in einer Minute …« Er brach ab. »Luiz? LUIZ?« Er rüttelte den Piloten an der Schulter.

Mike schnallte sich ab und beugte sich nach vorn. Da saß er, ihr Pilot, den Kopf in den Nacken gelegt, die toten Augen zur Decke gerichtet, das Gesicht schmerzverzerrt erstarrt wie schockgefroren, der Mund halb geöffnet, die rechte Hand lag noch auf der linken Brust, dort, wo das Herz sitzt. »Was ist mit ihm? LUIZ!!!!«

Gabriel schaute Mike nur mit entsetztem Gesichtsausdruck an. Er brachte kein Wort heraus.

»Ist er … tot?«, fragte Elly mit belegter Stimme.

»TOT?«, entfuhr es Mike. »Das … das … nein! Das kann nicht sein. Das darf nicht sein! LUIZ!« Mike rüttelte nochmals an dem leblosen Mann.

Doch es nützte nichts. Der Pilot regte sich nicht.

Gabriel nahm Mikes Hand und zog sie von Luiz weg. Doch Mike konnte noch immer nicht glauben, was er vor sich sah. Das war ein Albtraum. Etwas, was auf gar keinen Fall Wirklichkeit sein durfte. Mike schloss für einen kurzen Moment die Augen, öffnete sie wieder. Nichts hatte sich geändert.

»Luiz!«, wimmerte er. »Wie kann das denn sein?«

»Herzinfarkt!«, antwortete Matheus. Er hatte durch seinen Vater, den Arzt, schon einmal einen solchen Toten gesehen. Unten, auf der sicheren Erde. In einem Bett. Aber jetzt … Auch Matheus starrte einen Moment lang nur ungläubig auf den toten Piloten, vor Entsetzen gelähmt.

»Wer fliegt denn jetzt das Flugzeug?«, rief Elly.

Ihre Frage wirkte wie ein Weckruf. Ihr Pilot war tot, und sie flogen führerlos knapp über den Baumwipfeln des brasilianischen Regenwalds!

Panik stieg in ihnen auf. Sie würden abstürzen! Hatten keine Chance mehr, irgendwie heil aus dem Flugzeug herauszukommen!

Gabriel rief: »Matti! Du musst fliegen!«

Er drehte sich zu seinem großen Bruder. »Oder, Matti? Das kannst du doch?«

Matheus besaß einen Flugschein! Zwar nur für einen Segelflieger; ein so großes Flugzeug mit einem Motor hatte er noch nie geflogen. Dennoch kannte er sich wenigstens mit den Grundlagen des Fliegens aus.

Matheus war mulmig zumute.

»Ich weiß nicht«, stotterte er. »Scheiße. Hoffentlich bekomme ich das hin. O Mann, Scheiße!«

Unsicher schaute er auf die vielen Instrumente.

»Nun mach doch. Setz dich ans Steuer!«, flehte Mike.

»Ja«, brachte Matti nur dünn heraus. Er setzte sich auf den Sitz, der für einen Copiloten vorgesehen war. Aber den hatten sie nicht an Bord, und deshalb war die Technik an diesem Platz deaktiviert. Matti wusste auf die Schnelle nicht, wie man sie zum Leben erweckte.

»Luiz muss da weg«, entschied er deshalb schnell. »Los, da rüber!«

»Okay! Okay!«, sagte Mike. »Packt mit an, Leute. Schnell. Macht Platz für Matti.«

Gerade wollte Elly mithelfen, den schweren Mann auf die andere Seite rüberzuziehen. Doch stattdessen schrie sie: »Seht nur!«

Sie alle sahen jetzt durch die Frontscheibe, wie ein riesiger Mammutbaum auf sie zukam.

»Scheiße!«, stieß Matheus aus, warf sich halb über Luiz’ Leiche, um an den Steuerknüppel heranzukommen, und zog in letzter Sekunde die Maschine hoch.

Gabriel konnte sich gerade noch am Pilotensitz festhalten. Für Elly und Mike kam diese Aktion zu unvorbereitet. Sie purzelten nach hinten. Mike rutschte durch den schmalen Gang zurück, fiel zur Seite, halb über den Sitz und sah nur noch, wie die große Öffnung, in der die Tür fehlte, auf ihn zukam.

Bloß nicht rausfallen!, war das Letzte, was er dachte, während er instinktiv irgendwo Halt suchte. Dann knallte er mit dem Schädel gegen etwas. Ein heftiger Schmerz durchzuckte seinen Kopf. Danach wurde ihm schwarz vor Augen.

Abgestürzt

Jetzt lag Mike hier. Irgendwo im Dickicht. Wo waren die anderen? Bisher hatte er nur die Stimme seiner Schwester gehört. Er kroch in ihre Richtung, musste hier und da ein paar wilde Sträucher beiseitedrücken, und dann sah er – nicht nur Elly.

Im Hintergrund, aber bestimmt mindestens hundert Meter entfernt, entdeckte er das Flugzeug, verbeult und zerschellt. Es steckte mit der Nase schräg in der Erde, das Heck qualmte und kokelte noch vor sich hin.

Der Boden war feucht, die Pflanzen nass. Ebenso wie seine Kleidung, wie Mike erst jetzt bemerkte. Es schien geregnet zu haben. Möglicherweise stand nur deshalb der Urwald um sie herum nicht lichterloh in Flammen.

Mike krabbelte auf seine Schwester zu.

»Zeig mal!« Vorsichtig hob er ihren Fuß an.

Elly zuckte vor Schmerz zusammen. Das ganze Bein war mit blutigen Kratzern übersät, die Hose zerrissen. Aber … Mike hob ihren Fuß nur mit seiner rechten Hand noch ein Stückchen an. Um ihn zu drehen, benötigte er auch seine zweite Hand, doch der linke Arm schmerzte entsetzlich. Dennoch biss er die Zähne zusammen und drehte langsam und vorsichtig ihren Fuß. Fragend sah er sie an.

»Die Wunden brennen«, antwortete Elly. »Aber ich glaube nicht, dass etwas gebrochen ist.«

»Hoffentlich«, sagte Mike und legte den Fuß seiner Schwester wieder so behutsam ab, wie er ihn hochgehoben hatte.

Elly richtete sich langsam auf und schaute besorgt ins Gesicht ihres Bruders.

»Und du?«

»Alles so weit in Ordnung«, versuchte Mike sie zu beruhigen. »Bis auf die blutende Wunde hier! Und mein linker Arm tut weh.«

Er drehte ihn langsam mit schmerzverzerrter Miene.

»Verdreht oder verstaucht«, vermutete er. »Gebrochen glaube ich nicht.« Anschließend zeigte er ihr sein Bein. Auch dabei verzog er sein Gesicht. Wieder durchzuckte ein stechender Schmerz seinen linken Arm, der aber so schnell wieder verschwand, wie er gekommen war.

»Geht schon«, versuchte er, Elly zu beruhigen. »Hast du die anderen gesehen?«

Elly schüttelte den Kopf. Mike formte seine rechte Faust wie einen Trichter vor dem Mund und rief nach den beiden vermissten Jungs. Doch niemand antwortete.

Ernst schauten Mike und Elly sich an.

Mike reichte ihr seinen heilen rechten Arm. »Kannst du aufstehen?«

Elly nickte ihm zu und erhob sich, wobei sie sich an Mikes rechter Schulter abstützte. Dann half sie umgekehrt ihm, aufzustehen. Sich gegenseitig stützend, standen sie nun nebeneinander und konnten ein etwas größeres Stück in dem sie umgebenden grünen Dickicht überblicken.

»Es wird bald dunkel!«, stellte Mike fest. »Wir müssen den ganzen Tag hier bewusstlos gelegen haben.«

»Da!« Elly zeigte zum Flugzeug. Mike erkannte aber erst auf den zweiten Blick, was sie meinte. Ein paar Meter weiter rechts von der abgestürzten Maschine, ungefähr zwei, drei Meter über dem Boden, hing über dem Ast eines gewaltigen Baumes die Leiche ihres Piloten!

Mike hielt vor Schreck den Atem an, Elly sich die Hand vor dem Mund.

»O nein!«, hauchte sie. »Der arme Luiz!«

Mike hatte es die Sprache verschlagen. Er spürte, wie sein Puls zu rasen begann, ihm flau in der Magengegend wurde und sich ein leichtes Schwindelgefühl in seinem Kopf ausbreitete. Denn mit dem Blick auf Luiz drängte sich wieder die Frage auf, was mit Matti und Gabriel geschehen war. Elly ergriff seine Hand und drückte sie fest, dann aber legte Mike seinen Arm um seine kleine Schwester, und sie schmiegten sich schützend aneinander.

Mike konnte den Blick auf die Leiche kaum ertragen, aber er schaffte es auch nicht, wegzuschauen. So standen sie beide für einen Moment still einfach nur da. Nie zuvor in seinem Leben war Mike sich so klein und hilflos vorgekommen wie in diesem Augenblick.

»Wo sind Matti und Gabriel?«, fragte Elly mit leiser, heiserer Stimme.

Genau das hatte Mike sich auch gerade gefragt und hoffte, dass sie die beiden nicht ebenso auffinden würden wie Luiz. Bitte, bitte nicht!, flehte er stumm.

Die beiden lösten ihre Umarmung und wollten versuchen, sich tapfer ihren Aufgaben zu stellen. Sie durften hier nicht tatenlos stehen bleiben. Im Gegenteil: Wenn sie überleben wollten, brauchten sie einen Plan.