9,99 €
Sobald sie aufeinandertreffen, fliegen die Funken
Endlich ist Blaire Calloways großer Tag gekommen. Monatelang hat sie darauf hingearbeitet, ihren Traum zu verwirklichen: die Cupcake- und Cocktailbar Buttercreme and Booze. Doch dann muss sie feststellen, dass direkt nebenan eine rustikale Sportsbar eröffnet - und dass der ebenso attraktive wie unverschämte Besitzer Ronan Knight zum Problem werden könnte. Schafft er es doch, mit seinem Charme und seinem umwerfenden Lächeln ihre Kundschaft abzuwerben. Aber das lässt sich Blaire nicht gefallen! Sie mag zwar süß und harmlos aussehen, doch für ihren Traum ist sie bereit zu kämpfen. Allerdings muss Blaire bald feststellen, dass der Kleinkrieg mit Ronan ihr mehr Spaß macht, als er sollte ...
"Sweet On Me ist voller charmanter, lustiger und magischer Momente. Ihr werdet euch in Ronans und Blaires Geschichte verlieben." L.J. SHEN, SPIEGEL-Bestseller-Autorin
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 422
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Helena Hunting bei LYX
Impressum
Helena Hunting
Sweet On Me
Roman
Ins Deutsche übertragen von Beate Bauer
Endlich ist Blaire Calloways großer Tag gekommen: Nach monatelanger harter Arbeit steht die Eröffnung ihrer Cupcake- und Cocktailbar Buttercreme and Booze kurz bevor. Doch als sie ihrem gemütlichen Laden gerade den letzten Feinschliff verpasst, wird in dem angrenzenden Lokal so heftig gegen die Wand gehämmert, dass eines ihrer geliebten Einhorn-Martini-Gläser vom Regal fällt. Wütend will sie den Schuldigen zur Rede stellen und trifft nebenan auf Ronan Knight. Der ebenso attraktive wie unverschämte junge Mann renoviert die rustikale Sportsbar seines Großvaters – samt Bühne für Live- Musik und einem Axtwurfraum – und zeigt so gar kein Verständnis für Blaires Beschwerden. In den folgenden Tagen wird ihr klar: Ronan ist nicht nur ein Ärgernis, sondern ein ernst zu nehmendes Problem, schafft er es doch, mit seinem umwerfenden Lächeln ihre Kundschaft abzuwerben. Aber das lässt Blaire sich nicht gefallen – auch nicht von charmanten Männern mit Tattoos und Karohemden! Allerdings muss sie bald feststellen, dass ihr der Kleinkrieg mit Ronan viel mehr Spaß macht, als er sollte …
Für die Außenseiterinnen, die bereit sind,
unkonventionelle Wege zu beschreiten.
Blaire
»Ich habe eine großartige Idee für deinen kleinen Cupcake-Laden, Glücks-Blaire!«
Ich winde mich bei dem Spitznamen, wie grässlich laut mein Vater ist, und dann bezeichnet er meinen allerersten Unternehmensversuch auch noch als »kleinen Cupcake-Laden«. Es ist nicht herablassend gemeint, klingt aber so.
Mein erster Impuls ist, mit einer sarkastischen Bemerkung zu kontern, doch mir ist bewusst, dass er auf seine unpassende Art hilfreich sein will und das Gespräch viel schneller zu Ende sein wird, wenn ich mitspiele. »Was ist das für eine großartige Idee, die dich so begeistert?«
»Das Café neben dem Decadence schließt zum Ende des Jahres. Ich würde gern den Pachtvertrag für das Gebäude übernehmen, dann könntest du einen Laden direkt nebenan eröffnen! Wäre das nicht wunderbar? Und so viel praktischer als das, was du im Augenblick tust.«
Ich halte das Telefon vom Ohr weg und atme viermal tief ein und aus, um ihn nicht anzublaffen. »Mein Mietvertrag läuft ein Jahr, Dad.«
»Kannst du den nicht auflösen?«
»Nein, nicht ohne Vertragsstrafe.«
»Hmm. Nun, die könnte ich übernehmen. Es schadet bestimmt nicht, wenn du der Sache für ein paar Monate eine Chance gibst, aber dann kannst du wieder nach Hause kommen und in das Familiengeschäft einsteigen. Und selbstverständlich versorge ich dich mit dem notwendigen Kapital, wenn du das vorhast.«
Und da ist auch schon die Karotte, auf die ich gewartet habe. »Darf ich darüber nachdenken?« Es besteht nicht die geringste Chance, dass ich auf sein Angebot zurückkomme. Nicht dass ich die finanzielle Unterstützung nicht wollte. Es sind die ganzen Bedingungen, die damit einhergehen, auf die ich mich nicht einlassen will.
»Aber natürlich. Das ist eine großartige Chance, und ich möchte nicht, dass du sie verpasst. Wollen wir gegen Ende der Woche noch mal sprechen?«
»Klar. Das klingt gut.«
»Hab dich lieb, Glücks-Blaire!«
»Ich dich auch, Dad.« Ich beende das Gespräch mit einem genervten Seufzer und falle beinahe auf die Nase, als ich einem Hundehaufen auszuweichen versuche. Ich bin außerdem gefährlich nah dran, meinen Plastikbehälter mit Köstlichkeiten, gekrönt mit Buttercreme, fallenzulassen. Der Hundehaufen befindet sich zufällig direkt vor meinem »kleinen Cupcake-Shop«. Ich drohe dem gedankenlosen Hundebesitzer, der die hübsche Überraschung zurückgelassen hat, in Gedanken mit der Faust.
Hoffentlich ist das kein Zeichen.
Ich sehe mich um auf der Suche nach etwas, um den visuellen und geruchsmäßigen Affront zu entfernen, doch auf dem Gehsteig liegt nirgendwo Abfall. Normalerweise bin ich froh, wenn es keine alten Zeitungen oder Take-away-Verpackungen gibt, die die Straße entlangtreiben, aber ausgerechnet heute ist das ziemlich unpraktisch. Das Letzte, was ich möchte, ist ein stinkender Haufen direkt vor meinem Laden. Als Warnung für Passanten pflücke ich eine gelbe Blume aus einem der Pflanzenständer, die den Eingang zu meinem brandneuen Cocktail-Café-inklusive-Bäckerei schmücken, das passenderweise Buttercream and Booze heißt – und in einer Woche eröffnen soll – und stecke den Stiel in den frischen Haufen. Ich werde zurückkommen und ihn wegmachen, damit niemand das gleiche Beinahe-Schicksal erleidet.
Nicht einmal der eben noch vermiedene Ekelunfall und das Gespräch mit meinem Vater konnten meine gute Laune trüben. Auf der Suche nach meinen Schlüsseln wühle ich in meiner Handtasche – sie wandern immer ganz nach unten. Schließlich erwische ich sie, lasse den Schlüssel ins Schloss gleiten und stoße die Tür auf. Es klingelt fröhlich, eine akustische Begleitung zu der strahlenden, blitzsauberen Inneneinrichtung.
Ich wollte es schlicht, hell und schick, ohne zu viel jugendlichen Schnickschnack. Also habe ich Pink aus der Einrichtung gestrichen, das schließt Cupcake-Glasur allerdings nicht mit ein. Stattdessen habe ich mich für einen hellen Holzfußboden, einfache weiße Tische und bequeme Stühle mit leicht zu reinigendem hellgrauem Kunstleder entschieden. Farbakzente in Knallgelb und Hellblau und der Tischfuß in Silber. Die Fenster sind blitzblank und streifenfrei, und das Ladenschild ist sauber, schnörkellos und ganz klassisch in einem auffälligen Metallicgrau.
Ich atme einmal tief ein, als ich eintrete, und der schwache Geruch nach frischer Farbe und Bleichmittel wird beinahe gänzlich verdrängt von dem Zitronenöl, das in den Ecken versprüht wurde, und dem Duft echter Vanillekerzen von gestern.
Ich vergesse völlig, den Hundehaufen zu entfernen, und stoße einen kleinen Schrei aus, als ich die Schachtel auf dem Tresen bemerke. Ich stelle Handtasche und Plastikbehälter auf dem nächsten Tisch und meinen Kaffee auf dem Tresen ab. Trotz meiner Aufregung nehme ich mir die Zeit, die Hände zu waschen, bevor ich mir eine Schere schnappe. Vorsichtig fahre ich mit der Spitze am Rand entlang, um das Klebeband aufzuschlitzen.
»Ich dachte schon, du machst Sex-Geräusche hier draußen.« Meine beste Freundin Daphne taucht am Ende des Flurs auf und erschreckt mich zu Tode.
Die Schere rutscht ab und erwischt meinen Finger. »Autsch! Mist!« Ein Tropfen Blut quillt aus der Schnittwunde, und ich sauge an der Daumenkuppe, wobei mir vom metallischen Geschmack ein wenig schwummerig wird. Ich bin etwas empfindlich, was den Anblick von Blut betrifft.
»Tut mir leid.«
Daphne eilt durch das Café, wobei ihre Absätze auf dem Holzfußboden klappern. Sie schnappt den kleinen Erste-Hilfe-Kasten hinterm Tresen, klappt ihn auf und nimmt ein Pflaster heraus.
»Schon gut. Ich bin heute Morgen nur ungeschickt und nervös.«
»Alles okay?« Sie setzt eine besorgte Miene auf, während sie die Wunde rasch mit einem Pflaster bedeckt.
»Klar, du weißt, wie das ist. Ich bin um drei aufgewacht, weil ich aufs Klo musste, und konnte einfach den Kopf nicht abschalten. Dann hatte ich noch eine Idee für Eröffnungs-Cupcakes, weshalb ich eine Prüfcharge gebacken und dabei eine ganze Kanne Kaffee getrunken habe.«
Sie blickt zu der hübschen Cupcake-Uhr an der Wand. »Du bist also seit drei Uhr auf?«
»Mhmm. Und natürlich hat heute Morgen mein Dad mit einer seiner tollen Ideen angerufen.«
Sie verzieht das Gesicht. »Oh nein.«
»Oh doch.«
»Was für einen wunderbaren Vorschlag hatte er diesmal?« Daphne kennt das fortwährende Drängen meiner Eltern, ins Familiengeschäft einzusteigen. Ich liebe sie, und sie haben hart für alles gearbeitet, aber ihre Träume und meine passen einfach nicht zusammen. Sie bevorzugen es, die Reichen und Berühmten zu bekochen und mit ihnen zu verkehren. Ich bevorzuge Butter und Zucker und Vanille und kein Verkehren.
Ich erzähle ihr die verkürzte Version.
»Und wie hat das Gespräch geendet?«
»Ich habe lediglich gesagt, dass ich darüber nachdenken würde.«
»Hast du nicht!«
Ich hebe eine Hand. »Nicht ernsthaft, Daph, aber mir war auch nicht nach einem stundenlangen Vortrag darüber, warum es besser für mich sei, Teil des Familienbetriebs zu sein. Ich weiß genau, was passiert, wenn ich wieder mit meiner Familie zusammenarbeite. Ich werde keinerlei Mitspracherecht haben. Sie werden alles an sich reißen und mein Cocktail- und Cupcakes-Thema in etwas Albernes und Überkandideltes verwandeln. Sie werden mir jegliche Entscheidungsgewalt entreißen, alle meine Ideen lächerlich machen, und ich kann dabei zusehen, wie sich mein Traum in Luft auflöst.« Es klingt dramatisch, doch das ist es eigentlich nicht. Meine Familie ist wohlmeinend, aber aufdringlich. »Ich habe nicht so hart gearbeitet, um wieder zu Kobe-Rindfleisch und Pommes in Entenschmalz und Trüffelöl zurückzukehren.« Nicht dass damit etwas nicht in Ordnung wäre. Ich esse beides gern, allerdings bereite ich es nicht so gern zu, wie es meine Familie tut.
»Okay. Das ist gut. Ich habe mir einen Moment lang Sorgen gemacht.« Daphne streift ihre dünne Strickjacke ab und hüpft geschmeidig auf den Tresen. Ich bemerke schließlich ihr Outfit: Sie trägt ein Paar blassgelbe Jeans und ein hellgraues Shirt mit Buttercream and Booze in silbernen und blauen Lettern auf der Brust.
»Oh mein Gott! Die Shirts sind gekommen!« Ich bin viel zu laut für die frühe Stunde, aber ich kann mich vor Begeisterung nicht beherrschen. »Ich muss ein Foto machen.« Ich betaste meine Hüfte, doch das Handy ist in der Tasche, die noch immer auf dem Tisch steht. Ich strecke einen Finger hoch. »Moment! Ich brauche mein Telefon. Oder vielleicht hole ich sogar den Fotoapparat. Und wir benötigen einen Cupcake. Wir sollten ein paar Fotos arrangieren.«
»Blaire.« Daphne packt mich am Handgelenk. »Jetzt mach mal halblang.«
»Aber wir brauchen ein Foto. Eins für unseren Instagram-Account. Oh! Wir sollten ein T-Shirt als Werbegeschenk anbieten!«
»Beides schon erledigt. Ich habe es vor einer halben Stunde gepostet, und es ist auch schon in unseren Storys und auf Facebook und der Website. Social-Media-Unheil angerichtet.« Den letzten Satz spricht sie mit britischem Akzent, um das »Unheil angerichtet« aus Harry Potter nachzuahmen. Wir sind beide riesige Fans. Manchmal machen wir Wochenendmarathons, obwohl wir die Filme bereits buchstäblich hundert Mal gesehen haben. Nicht urteilen. Es gibt schlimmere Süchte.
Daphne ist Fotografin und hat ihren eigenen Laden ein paar Blocks weiter. Sie hat ihr Studio letztes Jahr eröffnet, und ich war dabei und habe ihr geholfen, so gut ich konnte. Anders als im B&B musste bei ihr nicht so viel gemacht werden, aber ich war da mit einem Pinsel und moralischer Unterstützung. Ich habe sogar den Cupcakes-to-Go!-Wagen am Eröffnungstag hingefahren, um mit Süßigkeiten neue Kunden anzulocken.
Daphne war es, die mir von dem Laden hier erzählt hat. Sie war auch so nett, sich um meine Social-Media-Kanäle zu kümmern. Im Augenblick bezahle ich sie mit Cupcakes, weil ich mir viel mehr als Gegenleistung nicht erlauben kann. Sie hat mir versichert, dass das eine tolle Ergänzung zu ihrem Portfolio sei und sie bestimmt profitieren würde, sobald Buttercream and Booze durchstartet. Ich drücke ihre Hand. »Du bist wirklich toll.«
»Ich weiß. Das ist einer der vielen Gründe, weshalb ich deine beste Freundin bin.« Sie zwinkert. »Jetzt mach schon die verdammte Box auf, damit wir uns für etwas anderes begeistern können und du ein paar heiße Insta-Posts hochladen kannst.«
»Okay! Jawohl!« Ich nehme einen dieser tiefen Atemzüge, die Daphne mir empfohlen hat, weil ich klinge, als hätte ich mir Koks reingezogen, nachdem ich siebzehn Energy-Drinks getrunken habe, und als wäre alles, was ich sage, mit einem Ausrufezeichen versehen. »Erst mal muss ich mich beruhigen, bevor ich mich noch mehr begeistere«, murmle ich, als ich den Deckel aufklappe. Die Ruhe hält ungefähr eine Viertelsekunde an, und dann bin ich schon wieder am Ausflippen.
»Sie sind so witzig!« Vorsichtig nehme ich eins der Einhorn-Martinigläser aus der Kiste. »Sind sie nicht das Entzückendste, was du je gesehen hast?«
»Und ob sie das sind.« Daphne beißt sich auf die Lippen, offensichtlich um ein Lachen zu unterdrücken.
»Nun, ich denke, sie sind perfekt.« Ich kann mir bereits den selbstkreierten Martini und die Cupcakes vorstellen, die ich dazu serviere. Die Gläser waren ein klein wenig teuer und leicht über meinem Budget, aber sie sind so wunderhübsch auf Fotos für Social-Media-Posts.
»Ich stimme dir voll und ganz zu. Du solltest ein paar davon dort oben hinstellen.« Sie zeigt auf das Regal neben dem Tresen, auf dem mehrere von Süßigkeiten inspirierte Martinigläser aufgereiht sind.
»Ohhh! Eine tolle Idee!« Ich nehme vorsichtig zwei weitere Einhorngläser aus der Kiste und umrunde den Tresen.
Daphne hüpft herunter. »Ich bin gleich zurück.«
Ich mache Mm-hmm, zu beschäftigt damit, die Gläser auf dem Regal neu zu arrangieren, als dass ich mich darum gekümmert hätte, wohin Daphne geht.
Sie kommt zurück, als ich gerade mit den Gläsern fertig bin. Sie lächelt und hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Schließ die Augen.«
Ich kneife die Lider zusammen. »Sie sind zu.«
»Arme hoch.«
Ich strecke sie über meinen Kopf, und Daphne lacht. »Nun zur Seite, als wolltest du einen Hampelmann machen.«
Ich senke sie herab, bis sie ein T bilden. »Oh mein Gott. Was hast du? Was ist gekommen?«
»Hör auf rumzuhopsen, und finde es heraus.«
Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass ich vor Aufregung in die Luft springe. Ich halte still und warte, bis mir Daphne etwas über den Kopf zieht.
Als sie es auf meinem Rücken zusammenbindet, beginne ich wieder zu hüpfen. »Das ist meine Schürze, oder?«
»Hör auf zu zappeln und wag es ja nicht, heimlich zu schauen.« Sie gibt mir einen Klaps auf den Hintern.
»Au!«
»Das war nur ganz leicht, böses Mädchen.«
»Es war unerwartet.« Und das meiste an Action, was ich seit Langem hatte. Ein eigenes Geschäft zu eröffnen bedeutet, sehr wenig Zeit für andere Dinge als Arbeit und noch mehr Arbeit zu haben, und nicht genug Schlaf.
»Augen zulassen, bis ich es dir sage.« Sie packt mich an den Schultern und schiebt mich vorwärts. »Okay. Du kannst sie aufmachen.«
Ich öffne erst das eine Lid und dann das andere. Daphne hat mich in die Mitte des Cafés geschoben, wo ein riesiger Spiegel mit dem aufgeklebten Schriftzug von Buttercream and Booze an der Wand hängt. Ich stehe auf der rechten Seite, um die brandneue Schürze betrachten zu können.
Meine Hände beginnen wie von selbst zu flattern, weshalb ich sie zu Fäusten balle und einen Augenblick lang hinter dem Rücken verstecke, während ich mich zu beruhigen versuche. »Sie ist einfach perfekt, oder nicht?« Ich bin den Tränen nahe, so verzückt bin ich.
Das ist es, worauf mich der Laden reduziert: Tränen und Begeisterung. Ich habe mich krummgebuckelt, um es bis hierher zu schaffen.
»Das ist sie.« Daphne, als die großartige Freundin, die sie ist, reicht mir ein Taschentuch, bevor ich fragen kann. »Du hast einen weiten Weg über Wochenendmärkte und einen Cupcake-Truck zurückgelegt.«
Ich begutachte das Ergebnis meiner harten Arbeit. »Es war ein ordentlicher Marsch, nicht wahr?«
»Ein beschwerlicher Kampf bis ganz nach oben auf den Cupcake-Berg«, stimmt Daphne zu.
»Ich gehe lieber den schwierigen Weg, als meinen Traum zu verraten.« Ich lasse die Fingerspitzen über die Buchstaben gleiten, die Buttercream and Booze bilden. Das Handy in meiner Handtasche summt und signalisiert einen Anruf. Der Klingelton des Titelsongs von »The Addams Family« bedeutet, es ist meine Mutter.
Daphne und ich schauen erst zur Handtasche und dann einander an. »Ich gehe nicht ran. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass meine Mutter anruft, um in die gleiche Kerbe zu hauen wie mein Vater.«
Daphne seufzt. »Sie kapieren es wirklich nicht, oder?«
»Nein.«
»Hast du ihnen gesagt, wann dein Eröffnungstermin ist?«
»Um Himmels willen.« Ich kann es nicht gebrauchen, dass sie am Eröffnungstag auftauchen und mich mit Ratschlägen überschütten. Außerdem wäre es wirklich nicht schwer für sie, die Information selbst zu finden, wenn sie mit sozialen Medien umgehen könnten, aber ich war sehr vage, was die ganze Sache angeht.
»Unheimlich schade, dass sie dich nicht einfach unterstützen können, ohne sich in alles einzumischen.«
»Sie haben die besten Absichten, kriegen aber echt nichts mit.« Zwei Eigenschaften, die mir nicht fremd sind.
»Das kannst du laut sagen.« Daphne stößt einen Seufzer aus. »Es wäre schön, wenn sie dir Zugriff auf deine Geldanlage gewähren würden, ohne dir ihre Meinung aufzudrängen.«
»Ihnen gefällt anscheinend das Konzept eingeschränkter Unabhängigkeit.«
Meiner Familie gehören ein paar der angesehensten Nobelrestaurants am Nordwestpazifik. Von Anfang an gab es die Erwartung, dass ich Köchin würde und das Familienerbe antrete.
Daphne klopft auf den Tresen. »Es ist einfach frustrierend zu wissen, dass du Geld hast, jedoch alle möglichen blöden Bedingungen daran geknüpft sind. Das macht den Zweck einer Geldanlage von vornherein zunichte, oder nicht?«
Daphnes Familie ist ebenfalls wohlhabend. Wir waren auf derselben Prep-School und sind seit unserer Kindheit Freundinnen. Der größte Unterschied ist, dass ihre Familie jeden ihrer Träume, der auch nur den Hauch einer Chance auf Erfolg hatte, unterstützt hat, während meine noch immer versucht, das Unmögliche zu tun und mich nach ihrer Vorstellung zu formen. »Aus diesem Grund bleibt das Geld eben da, wo es ist, bis der Laden läuft und ich bewiesen habe, dass ich das schaffen kann.«
Daumen drücken, damit genau das passiert. Seit ein paar Jahren spare ich jeden Pfennig und wohne in einer Bruchbude, weil ich entschlossen bin, das hier zu einem Erfolg zu machen, selbstverdient. Also habe ich die Suchanzeige geschaltet, einen Laden in einer passenden Gegend gefunden, den ich mir leisten kann, einen Businessplan erstellt, für die Finanzierung gesorgt und jetzt bin ich hier, eröffne ohne Unterstützung meiner Familie und sehr zu ihrem Verdruss meinen eigenen Laden.
Daphne zeigt auf den Laden. »Wie viel Beweis brauchen sie denn noch?«
»Einen Cupcake-Truck zu unterhalten ist nicht ganz dasselbe wie einen Laden zu führen.« Ich lasse einen Finger über den Rand des Martiniglases gleiten.
Daphne klopft auf den Tresen. »Ich finde, der Truck war wahrscheinlich sogar schwieriger. Der ganze Kram, mit dem du dich regelmäßig rumschlagen musstest, war Wahnsinn. Wenigstens brauchst du dir keine Gedanken mehr über zerstochene Reifen zu machen.«
»Gott sei Dank.« Das Food-Truck-Business ist kein Spaß. Es herrscht ein heftiger Konkurrenzkampf, sowohl was den Standort als auch die Preise angeht. Die vielen Male, die ich meine Reifen ersetzen musste, weil irgendein eifersüchtiger Konkurrent Cupcakes to Go! vertreiben wollte, war einfach unglaublich.
Meine Familie hat sich die ganze Zeit Sorgen um meine Sicherheit gemacht. Trotzdem war es mein erster Versuch als unabhängige Geschäftsfrau. Und jetzt bin ich hier mit meinem eigenen Laden und beabsichtige nicht, je wieder für meine Familie zu arbeiten.
Als ich noch jünger war und meinen Eltern gegenüber Zugeständnisse zu machen versuchte, war ich auf der Kochschule und bin bei Chefkoch Raphael Du Beouf in die Lehre gegangen. Er war talentiert, attraktiv und charmant. Ich war naiv, leicht zu beeindrucken und hingerissen. Ich war richtig verknallt in seinen sexy Akzent, seine unglaublich geschickten Hände und seine Fältchen. Natürlich habe ich die Aufmerksamkeit und das Lob, mit dem er mich überschüttet hat, in mich aufgesogen und bin schließlich mit ihm im Bett gelandet. Ich dachte, es wäre Liebe, während er dachte, ich würde nicht herausfinden, dass er mit drei weiteren angehenden Köchinnen schlief.
Untröstlich und völlig ernüchtert habe ich zugelassen, dass mir meine Eltern – die sich teilweise dafür verantwortlich fühlten, weil sie diejenigen waren, die uns zusammengebracht hatten, nachdem er in einem ihrer Restaurants angefangen hatte – ein Jahr in Paris finanzierten. Ich bin über Raphael hinweggekommen und habe mich in sämtliche Sorten von Gebäck und süßen Sünden verliebt. Ich kehrte mit einem neuen Plan zurück, der – sehr zum Schrecken meiner Familie – nicht vorsah, in ihrem Geschäft mitzuarbeiten.
Also knüpfte ich meine eigenen Kontakte und fing von vorn an. Ich mietete einen Stand auf dem lokalen Straßenmarkt und verkaufte jedes Wochenende Cupcakes, während ich ansonsten in einer Nobelbäckerei schuftete. Wo ich meinen guten Freund und Geschäftspartner Paul kennenlernte. Er arbeitete ebenfalls auf dem Straßenmarkt, und schließlich legten wir unsere Ersparnisse zusammen, kauften einen Food-Truck und starteten den mobilen Cupcake-Laden Cupcakes to Go!. An den Wochenenden waren wir weiterhin auf den lokalen Märkten, aber während der Woche drehten wir unsere Runden und lieferten unsere köstliche, dekadente Ware aus.
So sehr ich meine Beziehung zu Raphael auch bereue, hat mich seine Art, Frauen aufzureißen, doch auf den richtigen Pfad geführt. Also: Ich bereue nichts!
Ich schüttle die Erinnerungen ab und zeige auf meine mit einer Schürze bekleidete Gestalt. »Sollen wir ein paar Instagram-taugliche Bilder machen?«
»Ja!« Daphne springt auf und schnappt sich ihre Kamera – sie ist wie ein Teil ihres Körpers.
Sie lässt mich an verschiedenen Stellen im Laden posieren, wobei sie alle möglichen Requisiten bereithält, einschließlich der Cupcakes, die ich vor meiner Ankunft gebacken habe. »Du siehst aus wie das uneheliche Kind von Betty Crocker und Ward Cleaver«, murmelt sie, während sie mich herumschiebt und Foto um Foto macht.
Ich bin ein großer Fan von Fünfziger-Jahre-Kleidern mit ausgestelltem Rock und den Hochfrisuren von damals. Das ist nicht nur ein Werbegag; es ist einfach mein Ding. Ich schnappe mir eins der dekorativen Martinigläser vom Regal hinter dem Tresen und will gerade so tun, als würde ich einen Schluck nehmen, als ein heftiger Schlag den gesamten Laden erschüttert und das Schaufenster und die Flaschen auf dem Tresen zum Klirren bringt. Ich lasse beinahe das Martiniglas fallen. Es ist aus Plastik, also wäre es kein Unglück, aber trotzdem.
»Was zum Henker war das?« Ich stelle das Glas auf den nächsten Tisch, eile zum Schaufenster und blicke hinaus auf die Straße. Ich habe keine Ahnung, was ich dort erwarte. Einen Panzer? Eine Abrissbirne?
»Ich weiß nicht, aber es hat sich wie ein Erdbeben angefühlt.«
Ich wirble zu Daphne herum. »Wann gab es in Seattle das letzte Mal ein Erdbeben?«
Sie sagt ohne Zögern: »2001, glaube ich.«
»Woher weißt du so was?«
Daphne zuckt mit den Achseln und bedeckt dann den Kopf mit ihren Händen, als ein zweiter Schlag die Martinigläser – die echten – so sehr zum Klirren bringt, dass eins meiner neuen Einhorngläser vom Regal gleitet und auf dem Boden zerschellt.
»Oh nein!« Daphne schlägt sich eine Hand vor den Mund.
Wir betrachten die glitzernden Scherben ganz erschrocken; das goldene Horn ist noch zu erkennen, und die Augen blicken uns schief aus dem Massaker heraus an.
»Rettet die Einhörner!«, rufe ich.
Wir stürzen zum Regal und greifen nach den restlichen Gläsern, bevor ihnen das gleiche traurige Schicksal widerfährt. Ich drücke sie an meine Brust und nehme so viele, wie ich kann.
Der nächste Schlag ist nicht mehr so unerwartet, bringt aber trotzdem alles zum Erbeben, und beinahe gleitet mir ein Einhorn aus der Hand. Natürlich pikt mich ein Horn in die Brust. Wenigstens besteht für die Gläser nicht mehr die Gefahr, vom Regal zu fallen.
»Das kommt vielleicht von nebenan.« Daphne stellt ihre geretteten Einhörner vorsichtig auf dem Tresen ab.
»Was zum Teufel ist dort drüben? Ein Tor zu einer anderen Dimension?« Ich stemme die Faust in die Hüfte und starre die Wand an, als könnte mein wütendes Gesicht das Klopfen auf der anderen Seite beenden.
»Eine alte Kneipe, glaube ich.« Daphne und ich zucken beim nächsten lauten Schlag zusammen. »Um ehrlich zu sein, habe ich nie besonders darauf geachtet.«
»Es klingt, als würden sie durch die verdammte Wand brechen! Ich gehe rüber und sehe nach, was los ist.«
Ich nehme die leere Schachtel und lege vorsichtig die Scherben des zerbrochenen Einhorn-Martiniglases hinein. Wer auch immer dort drüben ist, soll sehen, was er angerichtet hat.
»Ich bin gleich zurück.« Ich gehe rasch hinaus und schaffe es, um den Hundehaufen herumzugehen, bevor ich zu der heruntergekommenen Kneipe nebenan stakse. Ich blicke hinauf zu dem verblassten, abblätternden Schild über dem Eingang. The Knight Cap. Widerstrebend gebe ich zu, dass das ein originelles Wortspiel ist: So wird aus dem Schlaftrunk ein Rittertrunk.
Die Fenster sind mit braunem Papier zugeklebt, die Tür ebenfalls, aber drinnen erklingt ein weiterer lauter Schlag. Ich klopfe ziemlich kräftig und rufe laut Hallo, aber ich bin sicher, dass mich niemand über den grässlichen Lärm hinweg hören kann. Ich höre außerdem ein schwaches Wummern von Bässen.
Ich komme zu dem Schluss, dass ich wohl am besten den Kopf durch die Tür stecke, um nachzusehen, was los ist. Ich ziehe an der Tür, die sich zwei Zentimeter öffnet und dann wieder zuknallt, als stünde auf der anderen Seite ein Poltergeist, der sie festhält. Ich versuche es erneut und kämpfe mit der Tür, die eigentlich nicht so schwer sein sollte. Es gibt eine Art Luftsog, der sie erneut zuzieht, doch schließlich gelingt es mir, sie aufzudrücken und durch den Spalt zu schlüpfen, wobei ich noch immer die Schachtel mit dem zerbrochenen Einhorn-Martiniglas an mich drücke. Mein Kleid bleibt beinah hängen, aber ich kann es losmachen, bevor ich im Eingang stehenbleibe.
Ich huste ein paarmal, als ich Sägemehl einatme. Der Laden ist völlig verdreckt und runtergekommen. Er ist irritierend groß und tief, und der gesamte hintere Bereich des Pubs ist mit Sperrholz vertäfelt. Jetzt, wo ich drin bin, kann ich mehr von dem Song hören, der aus der Musikanlage schallt und den Boden zum Vibrieren bringt. Es ist ein Rocksong mit schweren Gitarrenriffs und viel Schlagzeug.
»Hallo!«, rufe ich und mache ein paar vorsichtige Schritte über den staubigen Holzfußboden. Als niemand antwortet, rufe ich noch einmal.
Eine große, kräftige Gestalt taucht im Durchgang zwischen dem alten, staubbedeckten Tresen und dem frisch vertäfelten Bereich auf. Das grelle Licht hinter ihm verdunkelt sein Gesicht, bevor er einen weiteren Schritt nach vorn macht und deutlich zu sehen ist.
In etwa sieben Metern Entfernung steht ein gutgebauter Mann in farbbeklecksten Jeans, zerschrammten Arbeitsschuhen und einem rotschwarz karierten Hemd. Die Ärmel sind aufgerollt und stellen Tattoos in kräftigen Farben zur Schau, die beide Unterarme bedecken und in seinen Ärmeln verschwinden. Sein Haar ist kurz geschnitten und mit irgendeinem Gel gestylt, jede Strähne liegt da, wo sie hingehört. Eine kontrolliert erzeugte Unordnung. Und er hält eine Axt in der Hand.
Wieso hält der Typ eine Axt in der Hand?
Ich mache einen unsicheren Schritt zurück in Richtung Tür, denn, wie ich bereits erwähnte, hälter eine verdammte Axt in der Hand.
Ich stemme die Faust in die Hüfte und recke das Kinn, während mich der Axtmensch taxiert. Seine linke Braue schnellt nach oben. Er hat Augen in der Farbe von Bourbon, hohe Wangenknochen, volle Lippen und ein kantiges Kinn mit einem Bartschatten, obwohl es kaum acht Uhr morgens ist.
»Was ist hier denn los?« Ich zeige auf den chaotischen Barraum.
Die hochgezogene Braue wandert noch höher. »Wie bitte?«
»Was ist das hier?«, fauche ich.
Die Lippen des Axtmenschen verziehen sich zu einem Grinsen. »Man nennt das Bar, und so wie es aussieht, haben Sie wohl den falschen Kaninchenbau erwischt, Alice. Das ist hier ist nicht Wunderland.«
@buttercreamandbooze:
Ohne das Horn ist ein Einhorn nur ein Pferd, und ohne Glasur ist ein Cupcake nur ein Muffin!
Blaire
»Mein Name ist Blaire, nicht Alice, vielen Dank auch.« Ich könnte mich für diese schrecklich einfallslose Erwiderung ohrfeigen. Meine Unfähigkeit, mit etwas Besserem aufzuwarten – egal was –, schreibe ich meiner Überzeugung zu, dass wir uns inmitten eines Erdbebens befinden, dem Verlust eines meiner wertvollen Einhorn-Martinigläser, die ich wirklich nicht ersetzen kann, und diesem axtschwingenden Hipster. Oh, habe ich vergessen zu erwähnen, dass er – ungeachtet der Tatsache, dass er verdreckt und wie irgend so ein GQ-Holzfäller angezogen ist – unglaublich gut aussieht?
»Nun, Blaire, Sie stehen mitten auf einer Baustelle, und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Schuhe nicht den Sicherheitsvorschriften entsprechen, also sollten Sie am besten wieder gehen.« Er zeigt mit dem Axtgriff auf meine High Heels – die wunderschön und überraschend bequem sind.
Ich mache einen Schritt rückwärts. »Auf jemanden zu zeigen, ist unhöflich.« Wo ist nur meine Schlagfertigkeit geblieben?
»Dann ist es unerlaubtes Betreten.«
»Ich habe geklopft, mehr als einmal, aber bei dem Krach hier drin überrascht es nicht wirklich, dass mich niemand gehört hat.«
Ich bin wütend und gerate in Fahrt, dank meiner Verlegenheit, Restangst und dem Ärger über die Probleme, die mir der Kerl bereitet. Ich kann mir keine Rückschläge leisten – für mich steht zu viel auf dem Spiel. Außerdem hat dieser Typ eine dumme Bemerkung über mein Outfit gemacht. Ich könnte ebenfalls über seine Garderobe urteilen, aber laut äußern würde ich das nicht. Noch nicht. »Mir gehört das Café nebenan, und Ihre Axtschläge hier drin machen mir das Arbeiten unmöglich.«
»Sie meinen den Cupcake-Laden?« Wieder benutzt er den Axtgriff, um in die Richtung meines Ladens zu zeigen. Dabei spannt sich sein tätowierter Unterarm verführerisch an. Wobei ich Tattoos nicht einmal mag. Na ja, ganz stimmt das nicht. Ich mag Tattoos. Ich begreife nur nicht, wie jemand stundenlang dasitzen und sich mit Nadeln stechen lassen kann, um Kunst auf seiner Haut zu tragen, die er sich auch ganz einfach an die Wand hängen könnte – völlig schmerzfrei.
»Das ist kein Cupcake-Laden. Es ist ein Cocktail- und Cupcake-Café.«
Verdammte Schlagfertigkeit, ich brauche dich!
»Na schön. Mein Fehler. Ein Cupcake-und-Cocktail-Café ist nicht das Gleiche wie ein Cupcake-Laden.« Sein Sarkasmus ist nicht zu überhören.
Ich ignoriere die Stichelei, denn das einem Flanell tragenden Hipster zu erklären wäre sinnlos. Er gehört bestimmt nicht zu meiner Zielgruppe. »Was passiert da hinten?« Ich zeige zu dem Sperrholzbereich hinter ihm. »Ist das überhaupt legal?«
»Es nennt sich Axtwurfanlage, und ja, es ist legal.« Er holt ein Blatt Papier aus seiner Gesäßtasche und schüttelt es, damit es sich entfaltet, und hält es mir dann vors Gesicht. Als ich danach greifen will, zieht er es weg. »Nicht anfassen, nur gucken.«
Ich starre ihn wütend an, unsicher, ob das seine Wange zum Zucken bringt, und hebe die Hände in gespielter Kapitulation. »Ich wollte Ihr wertvolles Blatt Papier nicht mit meinen Glasurfingern beschmutzen.«
Er senkt das Blatt herab, und ich sehe, dass es eine Zulassung für eine Axtwurfanlage ist. »Sehen Sie, Alice, alles ganz legal.«
Ich starre ihn wütend an. »Ich heiße Blaire, und Sie müssen mit der Axtwurfanlage woanders hingehen, weil nämlich die Axtschläge dafür sorgen, dass meine Gläser vom Regal fallen.«
Die Brauen des Axtmenschen schnellen hoch. »Ach ja, das wird allerdings nicht passieren.«
Ich gestikuliere mit einer Hand in Richtung des Sperrholzes. »Eins meiner brandneuen Einhorn-Martinigläser ist wegen Ihnen zerbrochen, und sie sind teuer.«
»Einhorn was?«
»Martinigläser. Es ist ein Martiniglas mit einem Einhornkopf mitsamt Horn darauf. Sie sind entzückend, und sie waren nicht billig, und Ihre Wurfschläge haben dafür gesorgt, dass eins vom Regal gefallen und zerbrochen ist.« Ich strecke ihm die Schachtel entgegen, damit er den Schaden begutachten kann, den er angerichtet hat.
Er späht hinein, macht aber keine Anstalten, die Schachtel zu nehmen. »Können Sie Ihre Gläser nicht anderswo hinstellen?« Sein völlig ungerührtes, gleichgültiges Verhalten macht mich wahnsinnig.
Ich knalle die Schachtel auf den Tisch, und das Glas darin klirrt. »Ich muss ein ganzes Regal woanders anbringen. Vielleicht mehr als eins.« Ich gestikuliere wild mit den Armen. Bestimmt sehe ich aus wie ein Tintenfisch auf LSD. Das viele Koffein, das ich heute konsumiert habe, war offensichtlich keine gute Idee, weil es mich nervös und gereizt macht.
»Okay.« Er schiebt den Daumen in die Hosentasche, wobei er offenbar nicht versteht, welches Problem sein Axtwurfraum für mich und mein Geschäft darstellt. Er ist völlig selbstbezogen und dazu noch herablassend. Ich hasse ihn bereits jetzt. Für immer. Wie ein Kindergartenkind.
»Es ist überhaupt nicht okay. Das Regal woanders zu befestigen, bringt die gesamte Ordnung durcheinander. Man kann nicht einfach ein Regal abmontieren, ohne dass die Gestaltung leidet«, sage ich zu ihm. »Es stört die Harmonie. Die gesamte Atmosphäre ist dahin!«
Jetzt sieht er mich an, als wäre ich verrückt. »Nun, es tut mir leid, dass das Abnehmen eines Regals die Cupcake-Atmosphäre oder was auch immer verdirbt, Blaire, aber hier passiert nur etwas, wenn Sie die Rechnung übernehmen.« Er zeigt mit dem Daumen über die Schulter. »Ein Regal umzusetzen ist wahrscheinlich Ihre beste Chance, wenn sie keine weiteren zerplatzten Einhornträume wollen.«
Ich schnaube wütend, denn obwohl er recht hat, ist die einzige Person, die belästigt wurde, ich. Und dieser ganz Lärm macht es heute bestimmt unmöglich, sich zu konzentrieren. Ich antworte nicht, weil ich nicht zustimmen und ihm Recht geben will. »Wie lange soll das weitergehen?«
»Wir können sofort damit aufhören, über Ihr Regal zu streiten.«
Ich habe diesen Kerl bereits abgespeichert unter »Mistkerl, dem ich in die Eier treten möchte«. Ich hoffe, jemand mischt Haarentfernungsmittel in sein Shampoo, damit ihm sein üppiges, dichtes Haar ausfällt. Schon beim Gedanken daran fühle ich mich besser. »Ich meine den Lärm, Klugscheißer.«
Seine Mundwinkel verziehen sich langsam nach oben, bis er breit lächelt. Verdammt. Natürlich hat er tolle Zähne und ein wunderschönes Lächeln in seinem wahnsinnig attraktiven Gesicht. Vermutlich muss er nur dieses Lächeln aufsetzen, und die Leute versetzen für ihn Regale, ohne darüber nachzudenken. Wahrscheinlich versetzen sie ganze Wände. Und lassen obendrein ihr Höschen fallen.
Er zuckt achtlos mit einer Schulter. »Kommt womöglich darauf an, wie lange Sie hier noch rumstehen und mit mir zanken wollen. Ich könnte das den ganzen Tag tun, aber das würde bedeuten, ich arbeite nicht, und dann wird der Wurfbereich nicht fertig. Also liegt es ganz an Ihnen, wie lange es dauert.« Sein Lächeln wird breiter, wahrscheinlich wegen meiner entrüsteten Miene. »Ich würde Ihnen ja ein paar Sicherheitsstiefel anbieten, damit Sie mich weiter beschimpfen können, aber ich bin nicht dafür, Ihnen eine Säge oder eine Nagelpistole in die Hand zu drücken. Ich habe das Gefühl, Sie könnten versuchen, mich damit an die Wand zu nageln.«
Ich schenke ihm ein unfreundliches Lächeln. »Ich meinte, wie lange die Renovierung noch dauert?« Ich will nicht, dass sie meine Eröffnung nächste Woche stört.
»Keine Ahnung. Bestimmt noch zwei Wochen, aber das hängt davon ab, wie oft Sie rüberkommen und mich zusammenfalten.«
»Jetzt sind Sie es also, der belästigt wird, ja?«
Er steht einfach nur mit verschränkten Armen da und hat ein vielsagendes Grinsen im Gesicht.
»Vielen Dank für die zusätzliche Arbeit. Ist ja nicht so, dass ich gerade nichts zu tun hätte. Und ich hoffe wirklich, Sie isolieren die Wand, weil ich bestimmt nicht will, dass eine Axt sie durchbricht wie in einem zweitklassigen Horrorfilm!«
Ich drehe mich auf dem Absatz um und versuche, die Tür mit einer dramatischen Geste aufzureißen, aber wegen des Luftsogs muss ich beide Hände benutzen, was die Wirkung völlig ruiniert.
Sobald ich kräftig genug ziehe, fliegt die Tür auf, und ich stolpere rückwärts und lande beinahe auf dem schmutzigen Fußboden. Ich sehe mich nicht um, während ich mich kerzengerade aufrichte und seinen miesen Pub verlasse.
»War wirklich nett, Sie kennenzulernen, Blaire«, ruft er mir hinterher, und seine Stimme trieft vor Sarkasmus. »Ich bin übrigens Ronan Knight, danke fürs Fragen und für das Verständnis wegen der Renovierung!«
Jetzt ergibt der Name der Bar einen Sinn. Natürlich hat sie einen echten Hipster-Namen, wenn auch ausgesprochen männlich und so sexy wie er selbst. Mistkerl.
Er rappelt mit der Kiste mit dem zerbrochenen Glas. »Hey! Sie haben Ihre Einhornträume vergessen!«
Ich überlege, ihm den Stinkefinger zu zeigen, aber das würde bedeuten, mich auf sein Niveau herabzulassen, und ich bin nicht bereit, sein Spiel mitzuspielen. »Leck meinen Cupcake!«, rufe ich über die Schulter hinweg und wünschte mir, mir wäre schon früher etwas Schlagfertiges eingefallen. Ich marschiere verärgert den Gehweg entlang und verliere zum gefühlt hundertsten Mal mein Gleichgewicht an diesem Morgen, als ich in etwas Glitschiges trete. Ich blicke hinunter und würge, dann recke ich das Kinn zum Himmel. »Im Ernst jetzt?«
Natürlich bin ich in den Hundehaufen getreten.
Als wäre der Tag heute nicht schon von meinem neuen, fiesen Nachbarn ruiniert worden.
Ich ziehe den schmutzigen Schuh aus – die gelbe Blume klebt an der Sohle – und versuche, den widerlichen Geruch nicht einzuatmen. Daphne blickt vom Tresen auf, wo sie gerade auf ihrem Telefon Fotos postet, als ich in den Laden humple und dabei den schmutzigen Schuh von meinem Finger baumeln lasse.
Daphnes Miene ist irgendetwas zwischen ungläubig und fragend, als sie mich kurz mustert. »Wer bist du und was hast du mit meiner Freundin Blaire gemacht?«
»Was?«
»Seit wann läufst du herum und legst dich mit völlig Fremden an?«
Sie hat nicht ganz unrecht. »Seit ich nicht genug Geld habe, um das blöde Glas zu ersetzen. Alles, was ich habe, steckt hier drin.« Ich wedle mit dem Hundekacke-Schuh. »Dieser Laden muss brummen, Daph. Ich will beweisen, dass ich es auch allein schaffe – natürlich mit deiner Hilfe und der von Paul – aber es muss funktionieren. Ich kann nicht meine Familie um Beistand bitten. Sie sind zu …«
»Verrückt? Aufdringlich? Unmöglich zu handhaben?«, schlägt Daphne vor.
»Genau.«
»Nun, ich muss schon sagen, dieses neue, mutigere Selbst ist etwas, voran ich mich gewöhnen könnte. Endlich bist du den Mädchenkleidern entwachsen.« Sie grinst und nickt in Richtung des Schuhs. »Was ist passiert?«
»Ich bin in Scheiße getreten.«
»Nebenan?«
»Nein. Vor der Tür.« Ich zeige auf den Gehsteig und humple zwischen den Tischen hindurch bis zur Hintertür. Ich reiße sie auf und überlege, ob ich den Schuh wegwerfen soll. Ich stelle ihn nach draußen, überzeugt, dass ihn niemand anfassen wird.
Ich wasche mir die Hände, bevor ich noch immer ziemlich genervt zurückgehe. Vor allem als die Schläge erneut einsetzen, scheinbar noch kräftiger als zuvor.
»Was geht denn da drüben vor sich?«
»Der beknackte Holzfäller nebenan baut einen Axtwurfbereich aus.«
Daphnes Augen leuchten auf. »Beknackter Holzfäller?«
»Er trägt ein kariertes Flanellhemd und läuft mit einer Axt herum. Und stell dir vor: Sein Name ist Ronan, typisch Hipster, oder? Wahrscheinlich hat er ihn anstelle von so was Langweiligem wie Robert oder Bill angenommen. Seine Haare sehen aus, als hätte er sie mit Pomade gestylt. Fehlen nur noch der Holzfällerbart und die Brille mit schwarzem Rahmen.«
Daphne hebt eine Hand. »Warte. Flanell im August?«, fragt sie. Ich bin froh, dass sie von der Modefarce angemessen entsetzt ist.
»Vielleicht war es auch nur Schottenstoff, und das mit dem Flanell bilde ich mir ein. Jedenfalls trägt er ein langärmeliges kariertes Hemd mit einem anderen Hemd darunter. Im August. Völlig lächerlich. Und er ist echt ein herablassender Mistkerl! Stell dir vor, er war wirklich so unverschämt, mir zu sagen, ich soll mein Regal woanders anbringen, weil er einen Axtwurfbereich einbaut. Wer außer Barbaren will schon mit Äxten werfen?«
»Äh, Axtwerfen ist zurzeit ziemlich populär.«
Ich schenke ihr einen Blick, der ihr verrät, wie wenig ich ihren Kommentar zu schätzen weiß. Oder die Tatsache, dass sie wahrscheinlich recht hat.
»Darum geht es nicht. Der Punkt ist, dass er mir schadet, indem er die angrenzende Wand für sein dämliches Axtwerfen benutzt! Wieso sollte ich wegen ihm meine Gläser woanders hinstellen müssen? Dieses Regal abzumontieren, bedeutet, die gesamte Ausstattung neu zu arrangieren. Was für ein egoistischer Bastard.«
»Oder meinst du regalistischer Bastard?« Daphne grinst, während ich dagegen ankämpfe.
»Das war echt lahm.«
»Und doch witzig.«
Ich verdrehe die Augen. »Ich muss das mit dem Regal in Angriff nehmen.«
»Lass das Regal, wo es ist.«
»Wieso? Wir können nicht einmal was draufstellen. Oder etwas an die Wand hängen, wenn der beknackte Holzfäller vorhat, Äxte dagegen zu werfen. Außerdem gibt es eine Bar! Wie können sie Äxte werfen und Alkohol ausschenken? Das kommt mir ganz schön riskant vor.«
»Es gibt Vorschriften. Und Kontrollen.«
Ich klopfte mir auf die Lippe und prüfe meine Möglichkeiten. »Eine Inspektion vielleicht?«
Daphne schüttelt den Kopf und hebt eine Hand. »Fang keinen Krieg an, schon bevor du eröffnet hast, Blaire.«
»Du hast ihn nicht getroffen. Er ist ein Arschloch vom Feinsten.«
Obwohl, sie hat nicht ganz unrecht. »Ich behalte das im Hinterkopf, falls ich es gebrauchen kann.«
Als ich mich später auf den Weg nach Hause mache, finde ich einen Zettel unter meinem Scheibenwischer, was seltsam ist, weil ich in der Gasse hinter den Läden stehe, zu der nur die Ladenbesitzer und Angestellten Zugang haben. Ich hebe den Scheibenwischer an, nehme den Zettel und drehe ihn um, neugierig und in der Hoffnung, dass es kein Strafzettel ist, den ich mir nicht leisten kann. Es ist kein Strafzettel, aber es ist schummrig hier hinten, also steige ich in meinen SUV und lege ihn auf den Beifahrersitz.
Erst als zu Hause das Licht an ist, erkenne ich, worum es sich bei dem Zettel handelt. Es ist ein Flyer für Aggressionstherapie. Oben steht mit kaum leserlicher Männerklaue geschrieben:
Ich würde Sie ja zu einer Runde Axtwerfen einladen, damit Sie ein wenig von Ihrer versteckten Aggression loswerden, aber ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist. Vielleicht hilft das hier Ihrer Stimmungslage.
Der freundliche Barbesitzer von nebenan
»Was für ein Mistkerl!« Ich knülle den Flyer zusammen und werfe ihn in den Müll. Ich brauche mich nicht zu fragen, woher er wusste, dass das mein SUV war, denn er hat ein Buttercream-and-Booze-Magnetschild auf der Seitenverkleidung.
@buttercreamandbooze:
Haben Sie ein Problem mit mir? Lecken Sie meinen Cupcake.
Blaire
Zwei Tage später bin ich erst nach neun Uhr morgens im Laden. Ich bin mit Paul verabredet, meinem Cupcake-Truck-Partner und Freund. Mein Ziel war es immer, einen Laden zu eröffnen, während Paul es wirklich genoss, unterwegs zu sein und in neuen Gegenden Kontakte zu knüpfen. Er wollte stets herumkommen, und ich wollte einen festen Standort.
Wir haben vereinbart, dass er den Cupcake-Truck und die Rechte am Geschäft behält. Anstatt mich komplett abzufinden, war er einverstanden, unsere Cupcakes zu backen, während ich für die Glasur sorge und versuche, Buttercream and Booze in Gang zu bringen. Auf diese Weise muss er keine neue Partnerschaft eingehen, und niemand von uns muss Hilfe anheuern.
Ich habe Paul nach meiner Rückkehr von Paris kennengelernt, als ich Nachspeisen an einem Stand auf dem lokalen Markt verkaufte. Paul hatte wie ich einen eigenen Cupcake- und Gebäckstand, mir gegenüber. Als uns klar wurde, dass wir von einer Zusammenarbeit profitieren würden – und Standgebühr sparen könnten –, legten wir unsere Mittel und Ideen zusammen. Paul, der schon ein paar Jahre auf Straßenmärkten zugange war, nahm mich unter seine Fittiche und machte mich mit allem vertraut. Er backte die Kuchen, und ich dekorierte sie. Wir waren ein tolles Team in der Küche. Innerhalb eines Jahres hatten wir genug gespart, um einen Food-Truck zu kaufen, und Cupcakes to Go! war geboren. Am Anfang war es großartig, und es gefiel mir, einen Partner zu haben. Doch Paul und ich fingen an, uns in die Haare zu kriegen, weil wir beide die Kontrolle über das Geschäft haben wollten. Da wusste ich, dass es an der Zeit war, weiterzuziehen. Es war von vornherein ein vorübergehendes Unterfangen, aber es war eine wichtige Erfahrung.
Heute Morgen kommt er vorbei, um meine neueste Cupcake-Kreation zu probieren, und wir können überlegen, ob an Geschmack und Konsistenz des Teigs noch etwas verändert werden muss. Der Cupcake-to-Go!-Truck steht am Straßenrand, als ich komme. Die Hintertür meines Ladens wird bereits mit einem Keil offen gehalten, was umsichtig ist. Das heißt, ich muss nicht in meiner Handtasche nach den Schlüsseln suchen.
Ich balanciere die Cupcakes, meine Tasche und einen Kaffeebecher, weshalb ich beinahe in den nächsten Hundehaufen vor meiner Tür trete. »Was soll das?«, knurre ich und sehe mich um. Wer führt seinen Hund in der Hintergasse spazieren, wo aller mögliche Müll herumliegt? Und wer lässt seinen verdammten Hund dort einen Haufen machen? Vielleicht hat derjenige ja ein Hühnchen mit dem vorherigen Ladenbesitzer zu rupfen. Oder jemand hat etwas gegen Buttercremeglasur und Alkohol.
Die Möglichkeit, mir bereits Feinde gemacht zu haben, noch bevor das Geschäft eröffnet wurde, ärgert mich. Ich schüttle den Kopf. Ich bin paranoid. Das ist nicht das Food-Truck-Geschäft. Niemand wird mir hier die Reifen aufschlitzen.
Ich gehe um den Haufen herum und stelle die Cupcakes drinnen an einen sicheren Platz. Diesmal besorge ich umgehend eine alte Plastiktüte, damit ich es nicht wieder vergesse und hineintrete. Ich verziehe das Gesicht, als ich in die Hocke gehe, um ihn aufzuheben, und erwarte, dass mir der üble Geruch in die Nase steigt, aber seltsamerweise rieche ich nur einen leichten Müllgestank. Ich erwarte auch, dass er weich und eklig ist, aber er ist ungewöhnlich fest. Völlig fest sogar.
Sobald er in der Tüte ist, versuche ich ihn in die Müllcontainer zu werfen, aber ich ziele schlecht, und die Tüte schlägt mit einem leisen Klonk gegen die Seite.
Ich runzle die Stirn, denn Hundekacke sollte nicht ein solches Geräusch machen, wenn sie auf Metall trifft. Ich weiß nicht, was mich reitet, außer Neugier vielleicht, aber ich öffne die Tüte und spähe hinein. Mir wird klar, dass es keine echte Kacke ist. Sie ist aus Plastik.
Ich werfe einen Blick zu The Knight Cap und kneife die Augen zusammen. Er muss gesehen haben, wie ich vor ein paar Tagen in den Haufen getreten bin, und das hier ist seine Vorstellung davon, witzig zu sein. »Was für ein Mistkerl.«
Paul steckt den Kopf durch die Tür. »Ich dachte, ich hätte jemanden gehört. Was ist los?«
Ich ziehe die Fake-Kacke aus der Tüte. »Mein Nachbar ist ein Arsch, das ist los.«
Paul verzieht das Gesicht. »Ist das …«
»Das ist Fake.« Ich gehe zum Lieferanteneingang von The Knight Cap. Die Tür wird von einem Holzkeil offen gehalten. Das Geräusch einer Kreissäge und die lauten Klänge von Rockmusik dringen heraus. Ich tausche den Holzkeil mit dem falschen Hundehaufen und beschließe, den Keil mitzunehmen, denn der Typ kann mich mal.
»Was sollte das?«, fragt Paul, als ich die Schachtel mit den Cupcakes hochhebe, und er mir den Flur entlang folgt.
»Mein Nachbar hat anscheinend die Reife eines Zwölfjährigen und denkt, er sei unterhaltsam.«
»Du gewinnst schon neue Freunde, was?« Paul lacht.
»Wie nicht zu überhören ist, ist er nicht gerade der leiseste und rücksichtsvollste Nachbar.« Ich stelle den Behälter auf den Tresen und wasche mir die Hände, bevor ich ihn öffne, um meine nächtliche Unternehmung zu präsentieren.
»Oh, wow!« Paul fächelt mit den Fingern über dem Behälter und atmet tief ein. »Ist das Ahornsirup? Und Bourbon? Und Schinken?«
»Das ist es. Probier einen und sag mir, wie du ihn findest. Ich bin nicht sicher, ob der Sirupgeschmack in der Glasur nicht zu aufdringlich ist.« Ich trommle auf den Tresen, versuche aber geduldig zu sein, als er das Förmchen abzieht und einen kräftigen Bissen von dem Cupcake nimmt.
Er schließt die Augen und kaut mit einem leichten Nicken. »Die Bourbonfüllung ergänzt den Ahornsirup perfekt. Ich würde nichts daran ändern.«
»Wirklich?«
»Das ist dekadent, Blaire. Die Leute werden süchtig danach. Du kannst mir das Rezept schicken, und ich mache morgen eine Prüfcharge, um sicher zu sein, dass ich es richtig zubereitet habe.« Er blickt in die Kiste und klopft auf zwei kleine Behälter mit der Aufschrift »Glasur« und »Füllung«, die zwischen den Küchlein stecken. »Du hast immer alles im Griff. Machen wir auch weiter die Lemon-Drop-Cupcakes?«
»Ja, auf jeden Fall. Dazu noch die üblichen Geschmacksrichtungen und die Morning-Glory-Cupcakes. Ich habe alles, was ich für die Buttercreme brauche.«
»Okay, toll. Dann sind wir startklar, denke ich. Du machst das großartig, Blaire.« Paul schenkt mir ein freundliches Lächeln.
»Danke, ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen.«
»Schließlich haben wir beide etwas davon, oder nicht? Du erschaffst einfach die unglaublichsten Geschmackskombinationen.«
Ich winke ab, weil mich das Ganze rührt. Auch wenn ich die beengten Räumlichkeiten des Cupcake-Trucks nicht vermisse, arbeiten wir schon lange zusammen, und er ist ein wirklich guter Freund.
Er legt zum Abschied den Arm um mich, greift nach dem Tupperbehälter und geht. Ich werde ihn bei Morgengrauen am Eröffnungstag wiedersehen, dann kann ich bis dahin Cupcakes dekorieren und mich vergewissern, dass alles bilderbuchmäßig läuft.
Ein paar Stunden später geht der fiese Holzfäller mit einem fröhlichen Winken an meiner Fensterfront vorbei.
Was für ein Mistkerl.
*
Im Laufe der Woche komme ich zu dem Schluss, dass meine Geringschätzung für Ronan völlig gerechtfertigt ist. Er ist ein Arsch, ein riesiger, wahnsinnig attraktiver Arsch, der immer langärmelige Karohemden trägt – ja, das mit dem Flanell habe ich mir ausgedacht –, aufgerollt bis zu den Ellbogen mit einem zweiten Hemd darunter. Und Jeans. Und Arbeitsstiefel. Jeden verdammten Tag.
Woher ich das weiß?
Weil er jeden Tag irgendwann an meiner Fensterfront vorbeigeht und völlig übertrieben winkt und Hallo ruft.
Gestern trug er außerdem eine breitumrandete schwarze Brille.
Es ist einfach zu viel. Und nervig.
Vor allem weil es ihm anscheinend Spaß macht, mich zu piesacken.
Jeden Tag finde ich einen Flyer in einem meiner Blumenkübel für irgendeine Art von Kurs oder Treffen, um »meine rastlose Seele zu beruhigen«. Einmal ist es ein Coupon mit drei Gratis-Yogastunden. Am folgenden Tag hinterlässt er mir eine Broschüre, die mich vor den Auswirkungen von zu viel Zucker und Koffein warnt. Sie ist sogar begleitet von Lavendelöl.
Aber was wirklich der Gipfel ist, ist der Inhalt einer Pappschachtel, die heute Morgen vor meiner Tür liegt. In der Annahme, dass mir irgendetwas entgegenspringt, zögere ich, sie zu öffnen. Ich bin froh, dass nichts Lebendiges oder Totes in der Schachtel ist. Die Erleichterung ist jedoch von kurzer Dauer, weil sich darin eine Box mit meinem Einhornglas befindet – das wohl aus den Scherben verschiedener Gläser wieder zusammengesetzt worden ist. Es hat an ein paar Stellen ein Karomuster und ein kleines Logo mit einem Typen in einer Rüstung, der dort eine altmodische Nachtmütze trägt, wo eigentlich seine Augen sein müssten. Außerdem ragt das Horn aus seinem Hinterteil heraus.
Ich bin halb verärgert, halb beeindruckt, dass er das gemacht hat, um mir eins auszuwischen. Es ist wirklich ein hässliches und zugleich erstaunliches Kunstwerk. Was ich ihm gegenüber natürlich nie zugeben würde.
Das Gute ist, dass die Schläge fast völlig aufgehört haben. Die Fenster sind noch immer mit Papier verklebt, weshalb ich vermute, dass es noch eine Weile dauern wird, bis der Laden aufmacht. Obwohl gestern ein neues Schild angebracht wurde, auf dem in maskulinen goldenen Lettern The Knight Cap prangt. Beinahe überrascht es mich, dass kein Karo auf dem Schild zu sehen ist. Bestimmt wird die Innenausstattung dagegen extra geschmacklos.
Aber heute ist mir der fiese Holzfäller ziemlich egal, weil es mein Eröffnungstag ist, und es wird bestimmt großartig. Auf Instagram habe ich schon über tausend Follower, auf meiner Facebook-Seite sind es doppelt so viele. Über zweihundertfünfzig Coupons wurden schon heruntergeladen.
Ich bin seit vier Uhr morgens hier, um Cupcakes zu glasieren und zu dekorieren. Wir haben Hunderte vorbereitet, und Paul hat einen Krisenplan, falls ich mir zu große Hoffnungen für den ersten Tag machen sollte. Die Vitrine ist perfekt organisiert und einsatzbereit; die Ablage mit den Specials ist ein Kunstwerk.
Ich sorge dafür, dass die für heute beworbenen Cupcakes und Drinks vorn und in der Mitte der Vitrine stehen: Ein Lemon-Drop-Cupcake mit Zitronenquarkfüllung und intensiver Zitronenbuttercreme, ergänzt von einem köstlichen, säuerlichen Lemon-Drop-Martini. Sein Gegenstück ist ein Bourbon-Bacon-Cupcake mit Ahornsirup-Buttercreme-Glasur, kombiniert mit einem rauchigen Bourbon Old Fashioned, abgerundet mit einem Streifen in Ahornsirup kandiertem Bacon. Ja, ich habe sie bereits auf Instagram gepostet.
Die Sandwichkarte ist simpel, aber es ist für jeden Geschmack etwas dabei, und die Bandbreite an würzigen und süßen Scones plus der Kaffee- und Teeauswahl macht das hier zum einzigen Cupcake-Cocktail-Café seiner Art.
Ich trete vor den Laden und stelle mein Klappschild auf, auf dem die Specials von heute und mein Tagesmotto prangen:
»WENN DIR DAS LEBEN ZITRONEN GIBT, MACH DARAUS LEMON-DROP-MARTINIS!«
Ich überprüfe ein zweites und drittes Mal, ob die Tresenschränke aufgefüllt sind, der Kaffee zum Einschenken bereit ist, das heiße Wasser für Tee bereitsteht und Callie mit ihren Aufgaben am Tresen vertraut ist. Sie ist meine alleinige Mitarbeiterin – denn eine Person ist das Einzige, was ich mir leisten kann. Wir hoffen, dass wir den Andrang wuppen. Sie sieht in ihrem Buttercream-and-Booze