Systematische Theologie - Christian Danz - E-Book

Systematische Theologie E-Book

Christian Danz

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Beschreibung

Der Band bietet eine elementare Einführung in die Systematische Theologie und einen Überblick über das Fach. Das Buch erschließt grundlegende theologisch-dogmatische Probleme in ihrem Zusammenhang, ohne dabei Spezialkenntnisse des Lesenden vorauszusetzen. Eine umfassende Einführung in Grundfragen und zentrale Themenstellungen der Systematischen Theologie, die zum Mit- und Andersdenken anregt.

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Seitenzahl: 1071

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Christian Danz

Systematische Theologie

UVK Verlag · München

Umschlagabbildung: Michelangelo: Die Erschaffung Adams (Ausschnitt). Sixtinische Kapelle, Rom, Vatikan. © akg-images/Erich Lessing.

Autorenfoto: Erich Foltinowsky, Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien

 

DOI: https://doi.org/10.36198/9783838557816

 

© UVK Verlag 2024— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung

 

utb-Nr. 4613

ISBN 978-3-8252-5781-1 (Print)

ISBN 978-3-8463-5781-1 (ePub)

Inhalt

Vorwort zur zweiten AuflageVorwort zur ersten Auflage1 Einleitung1.1 Was kann eine Einführung leisten?1.2 Wozu Systematische Theologie?1.3 Die Systematische Theologie im Kontext der Theologie1.4 Die Gliederung der Systematischen Theologie1.4.1 Religionsphilosophie1.4.2 Dogmatik1.4.3 Ethik2 Systematische Theologie – Ein geschichtlicher Grundriss2.1 Die Anfänge der christlichen Theologie in der Antike2.1.1 Die Theologie der antiken Philosophie2.1.2 Die Herausbildung der frühchristlichen Theologie in der Alten Kirche2.2 Das Zeitalter der großen Summen2.3 Die Theologie der Reformatoren2.3.1 Martin Luther2.3.2 Johannes Calvin2.3.3 Die Dogmatik des Altprotestantismus2.4 Systematische Theologie im Zeichen der Aufklärung2.4.1 Pietismus und Deismus2.4.2 Die Verwissenschaftlichung der Theologie in der Aufklärung2.5 Der Religionsbegriff als Grundlage der Systematischen Theologie im 19. Jahrhundert2.5.1 Erkenntniskritik und Religionsbegründung (Immanuel Kant)2.5.2 Religion als Bestandteil des Bewusstseins (Friedrich Schleiermacher)2.5.3 Theologie als Wissenschaft von der christlichen Religion und ihrer Geschichte (Ferdinand Christian Baur und David Friedrich Strauß)2.5.4 Theologie als Erfassung der Besonderheit der christlichen Religion (Albrecht Ritschl)2.6 Systematische Theologie als autonome Wissenschaft2.6.1 Religionsgeschichte und Verwissenschaftlichung der Theologie (Ernst Troeltsch)2.6.2 Theologie als Neubegründung der christlichen Religion (Karl Barth und Paul Tillich)2.6.3 Theologie als Universalwissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts2.6.4 Die gegenwärtige Lage der protestantischen Theologie3 Methoden der Systematischen Theologie3.1 Was sind Methoden?3.2 Die dogmatische Methode: Voraussetzungen und Konsequenzen3.3 Die historisch-kritische Methode: Voraussetzungen und Konsequenzen3.4 Kulturwissenschaftliche Methoden: Voraussetzungen und Konsequenzen3.5 Systematische Theologie als Konstruktion der Selbstsicht der christlichen Religion4 Die christliche Religion als Gegenstand der Systematischen Theologie4.1 Was ist Religion?4.1.1 Kultur- und sozialwissenschaftliche Zugänge4.1.2 Der allgemeine Religionsbegriff und seine Probleme4.1.3 Christliche Religion als Kommunikationsgeschehen4.2 Die Stellung des Christentums unter den Religionen4.2.1 Religionstheologische Diskurse: Gibt es eine absolute Religion?4.2.2 Besonderheit und Absolutheit der Religionen in einer pluralismusoffenen Theologie4.3 Glaube als symbolproduktive Wirklichkeit der christlichen Religion5 Gott und Glaube5.1 Gott und die christliche Religion: Theologie5.1.1 Grundbegriffe der dogmatischen Gotteslehre des Luthertums5.1.2 Problemfelder der Gotteslehre5.1.3 Die Wirklichkeit Gottes in der christlichen Religion5.2 Gott und Mensch: Jesus der Christus5.2.1 Grundbegriffe der dogmatischen Christologie des Luthertums5.2.2 Problemfelder der Christologie5.2.3 Die Wirklichkeit Jesu Christi in der christlichen Religion5.3 Gott, Mensch und Geschichte: Der Heilige Geist5.3.1 Grundbegriffe der dogmatischen Pneumatologie des Luthertums5.3.2 Problemfelder der Pneumatologie5.3.3 Die Wirklichkeit des Heiligen Geistes in der christlichen Religion5.4 Der dreieinige Gott als Ereignis des Glaubens6 Glaube und Geschichte6.1 Die Weitergabe der christlichen Religion: Die Kirche6.1.1 Grundbegriffe der dogmatischen Ekklesiologie des Luthertums6.1.2 Problemfelder der Ekklesiologie6.1.3 Die Wirklichkeit der Kirche in der christlichen Religion6.2 Die Gabe der christlichen Religion: Media salutis6.2.1 Grundbegriffe der dogmatischen Lehre von den Heilsmedien des Luthertums6.2.2 Problemfelder der Lehre von den Heilsmedien6.2.3 Die Wirklichkeit der media salutis in der christlichen Religion6.3 Glaube als Gebrauch der christlichen Religion: Ordo salutis6.3.1 Grundbegriffe der dogmatischen Lehre von der Heilsaneignung im Luthertum6.3.2 Problemfelder der Lehre von der Heilsaneignung6.3.3 Die Wirklichkeit des Heils in der christlichen Religion6.4 Die Vollendung der christlichen Religion: Eschatologie6.4.1 Grundbegriffe der dogmatischen Lehre von den letzten Dingen im Luthertum6.4.2 Problemfelder der Eschatologie6.4.3 Die Wirklichkeit des ewigen Lebens in der christlichen ReligionBibliographieGlossarNamensregisterSachregister

Vorwort zur zweiten Auflage

Dass diese Systematische Theologie nach nur wenigen Jahren in der zweiten Auflage erscheinen kann, freut mich sehr. Da ich jedoch meinen theologischen Ansatz inzwischen weitergeführt habe, erschien es mir nicht sinnvoll, die erste Auflage einfach nur mit Verbesserungen und Korrekturen versehen noch einmal abzudrucken. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, das Buch insbesondere in der materialen Dogmatik völlig neu zu schreiben. Wie bei anderen prominenten zweiten Auflagen ist gegenüber der Erstfassung kein Stein auf dem anderen geblieben. Erhalten haben sich die Grundstruktur des Aufbaus und die didaktische Form eines Lehrbuches. Doch beides ist nun auf der Grundlage einer Systematischen Theologie der christlich-religiösen Kommunikation ausgeführt. Dadurch hat dieser Entwurf nicht nur eine geschlossenere Form bekommen. Auch die Darstellung des dogmatischen Stoffs erfüllt mehr die Aufgabe eines Lehrbuches, da jeweils die Grundlagen der Lehrtradition sowie die mit ihr verbundenen Probleme aufbereitet werden und vor diesem Hintergrund ein Lösungsvorschlag im Rahmen einer Systematischen Theologie der christlich-religiösen Kommunikation angeboten wird. Benutzerinnen und Benutzern des Buches ist somit die Möglichkeit gegeben, sich mit der dogmatischen Lehrtradition des Luthertums sowie den aus ihr resultierenden Schwierigkeiten vertraut zu machen. Die Lösungen, die zu den systematischen Problemen der dogmatischen Themen entwickelt werden, muss man nicht übernehmen. Klar ist aber, dass jede Antwort sich dem diskutierten Problemhorizont stellen und ihm Rechnung tragen muss. Eine einfache Wiederholung von Aussagen der Reformatoren oder der altlutherischen Theologie reicht im 21. Jahrhundert ersichtlich nicht mehr aus. Auf diese Weise nimmt auch die Neubearbeitung dieser Systematischen Theologie die Intention der Erstfassung auf: Das Buch soll zum eigenen Durchdringen der dogmatischen Themen und zum Mitdenken anregen.

Auch die zweite Auflage dieses Buches wäre nicht ohne Unterstützung zustande gekommen. An erster Stelle danke ich meiner Frau Uta-Marina Danz für alle ihre Hilfe und kritischen Anmerkungen zu den ausgeführten Gedankengängen. Dass manch komplizierte Gedankenwendung klarer geworden ist, verdanke ich ihr. Zu danken habe ich auch den Studierenden der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, die in Vorlesungen Vorfassungen dieser Systematischen Theologie hörten, für die Diskussion des Entwurfs. Herr Immanuel Carrara (Wien) hat dankenswerterweise die Register erstellt. Dem Verlag Narr Francke Attempto in Tübingen und seinem Lektor Stefan Selbmann habe ich für die gute Zusammenarbeit sowie die Geduld zu danken, derer es bedurfte, die zweite Auflage auf den Weg zu bringen.

 

Wien, Oktober 2023    Christian Danz

Vorwort zur ersten Auflage

Die Systematische Theologie gehört zu den Themenfeldern eines Studiums der evangelischen Theologie, welches vielen Studierenden zunächst als ein ‚Buch mit sieben Siegeln‘ erscheint. Dem kann nur eine Auseinandersetzung mit dem Fach abhelfen. Die vorliegende Einführung in Grundfragen und zentrale Themenstellungen der Systematischen Theologie möchte dazu einen Beitrag leisten. Das Ziel des Buches besteht nicht in der Präsentation von abschließenden Antworten, die man repetieren könnte. Es soll vielmehr zu eigenem Mit- und Andersdenken anregen. Ob das gelungen ist, kann sich allein bei der Lektüre sowie dem Studium der Ausführungen zeigen.

Ohne die vielfältigste Hilfe und Unterstützung wäre die Abfassung des Buches nicht möglich gewesen. Mehr als es mit Worten möglich ist, danke ich meiner Frau Uta-Marina Danz. Herr stud. theol. Friedrich Schumann (Wien) hat dankenswerterweise die Register erstellt. Danken möchte ich dem A. Francke Verlag Tübingen und Basel für die Aufnahme des Buches in sein Verlagsprogramm sowie die gute Zusammenarbeit.

 

Wien, Januar 2016    Christian Danz

1Einleitung

1.1Was kann eine Einführung leisten?

Was man von der Philosophie behauptet hat, eine Einführung in sie sei selbst schon Philosophie, trifft auch auf die Systematische Theologie zu. Das scheint jeden Versuch, in eine solche Disziplin einzuführen, mit kaum lösbaren Problemen zu konfrontieren. Womit fängt man an, wenn stets schon das Ganze vorausgesetzt ist? Am besten beginnt man mit elementaren Grundbegriffen, Definitionen und Abgrenzungen des Fachs von anderen. Das erwartet man von einer Einführung in eine wissenschaftliche Disziplin, einen ersten umfassenden Überblick über ihren Gegenstand, ihre innere Gliederung sowie grundlegende Literatur. Es wird auch in der vorliegenden Einführung in die Systematische Theologie geboten. In elementarer Weise stellt das Buch zentrale Fragestellungen dieses theologischen Fachs vor dem Hintergrund ihrer Problemgeschichte vor. Die Präsentation von Basics sowie Grundinformationen zur Systematischen Theologie erschöpft sich freilich nicht darin. Die Darstellung zielt vielmehr auf das eigene Mitdenken und Durchdenken der präsentierten Themenstellungen. Ohne eine eigene Auseinandersetzung mit den Fragestellungen des Fachs sowie der Literatur ist das nicht möglich. Damit ist schon gesagt, was eine Einleitung nicht vermag. Sie kann ihren Leserinnen und Lesern weder das eigene Denken noch die eigene Urteilsbildung abnehmen.

Die vorliegende Einführung in die Systematische Theologie bietet einen Leitfaden für den Studienbetrieb evangelische Theologie sowie im Unterrichtsfach evangelische Religion. Der Grundriss der Disziplin ist sowohl für Lehrveranstaltungen als auch für das Selbststudium konzipiert. Das Buch setzt ein mit einer knappen Skizze des akademischen Fachs Systematische Theologie, ihres Unterschieds zu anderen theologischen Disziplinen und ihrer Gliederung. Vor dem Hintergrund der theologiegeschichtlichen Entwicklung erörtert der Band sodann die methodischen Grundlagen der Systematischen Theologie sowie ihren Gegenstand, die christliche Religion. Am Leitfaden des Glaubensbegriffs werden schließlich grundlegende Themen dieser Disziplin dargestellt. Sie sind durchgehend auf den Glauben bezogen und als dessen strukturierende Elemente verstanden. Der Glaube als symbolproduktive Wirklichkeit der christlichen Religion ist der Gegenstand der Systematischen Theologie.

Der Band bietet nicht nur elementare Informationen zur Systematischen Theologie, er ist als ein Arbeitsbuch angelegt. Ausgewählte Literatur zu den vorgestellten Themen bietet den Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zur Vertiefung und eigenen Weiterarbeit. Zugleich sollen die Literaturhinweise den gegenwärtigen Forschungsstand in seiner Komplexität erschließen. en informieren über grundlegende Themen- und Problemstellungen der Systematischen Theologie. Kolumnentitel erleichtern und strukturieren die Lektüre des Buches. Fremdwörter und einschlägige Fachbegriffe werden am Ende des Buches in einem Glossar erläutert. Im Text sind solche Begriffe mit einem Asterisk gekennzeichnet.

1.2 Wozu Systematische Theologie?

Wer ein Studium der evangelischen Theologie beginnt und sich mit seinem Studienplan vertraut macht, sieht sich mit einem Fach konfrontiert, welches sich Systematische Theologie nennt. Was verbirgt sich hinter dieser eigentümlichen Fachbezeichnung, und wozu studiert man ein solches Fach? Informieren sich Studienanfängerinnen und Studienanfänger in einschlägigen Lexika, so werden sie bald feststellen, dass es sehr verschiedene Auskünfte darüber gibt, womit sie es in dieser akademischen Disziplin zu tun bekommen. Jede systematische Theologin und jeder systematische Theologe scheint ein eigenes Verständnis des Fachs zu haben. Aber nicht nur das. Systematische Theologie begegnet einmal als Sammelbezeichnung für eine theologische Disziplin und zum anderen als Titel von Büchern. Im letzteren Fall meint der Begriff so viel wie Darstellung der christlichen Lehre und entspricht Bezeichnungen wie Dogmatik oder Glaubenslehre.

Systematische Theologie gehört zum Fächerkanon des akademischen Studiums der protestantischen Theologie, wie er sich in der Moderne herausgebildet hat. Entstanden ist die Disziplin im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung der Wissenschaften um 1800 in der sogenannten *Sattelzeit der Moderne. Seitdem fasste man an den evangelisch-theologischen Fakultäten eine Reihe von Einzeldisziplinen wie Religionsphilosophie, Dogmatik, Ethik u. a. unter der Bezeichnung zusammen. An katholisch-theologischen Fakultäten hingegen hat sich keine solche fächerzusammenfassende Disziplin etabliert. In der Regel werden hier Fundamentaltheologie, Dogmatik, Moraltheologie, Sozialethik u. a. als eigenständige Fächer gelehrt.

Womit beschäftigt sich Systematische TheologieSystematische Theologie, und wozu ist sie für die theologische Ausbildung von Lehramts- und Pfarramtsstudierenden nötig? Sie thematisiert die christliche Religion. Doch mit ihr beschäftigen sich sowohl andere theologische als auch nichttheologische Disziplinen. Worin besteht also die Besonderheit der Systematischen Theologie Besonderheit der Systematischen Theologie, und was unterscheidet ihren Zugriff auf die christliche Religion von dem anderer Wissenschaften, die sich mit ihr beschäftigen? Sie fragt nach dem Wesen des Christentums als Religion. Dabei interessiert sie nicht primär die historische oder soziologische Entwicklung der christlichen Religion. Zwar muss eine Systematische Theologie berücksichtigen, dass das Christentum eine geschichtliche Religion ist, die einem Wandel unterliegt. Aber das ist nicht in erster Linie ihr Gegenstand. Indem sich Systematische Theologie mit dem Wesen der christlichen Religion beschäftigt, thematisiert sie das, was sie zu der besonderen Religion macht, die das Christentum ist. Hierzu reicht es nicht aus, christliche Aussagen zusammenzustellen und diese in einen kohärenten Zusammenhang zu bringen. Eine solche Auffassung, die die Aufgabe der Systematischen Theologie darin sieht, ein verbindliches System von Aussagen zusammenzustellen, die das Wesentliche der christlichen Religion enthalten, ist ungenügend. Als geschichtliche Religion wandelt sich das Christentum in der Geschichte. Im Verlauf seiner Geschichte hat es neue Aussagen, Vorstellungen und Bilder aufgenommen, die weit über seine biblische Gestalt hinausgehen. Gegenwärtige Formen der christlichen Religion unterscheiden sich signifikant von früheren Ausprägungen wie den reformatorischen oder neutestamentlichen Christentümern. An welche seiner Gestalten sollte man sich dann halten, um aus ihnen grundlegende Aussagen über das Christentum zu gewinnen? Eine Zusammenfassung von christlichen Aussagen greift jedoch noch aus einem weiteren Grund zu kurz. Auf der Ebene der inhaltlichen Aussagen, die so zusammengestellt werden, um den Kern der christlichen Religion zu erfassen, lässt es sich nämlich noch nicht hinreichend erkennen, ob es sich bei ihnen um Religion handelt. Inhaltliche Aussagen können auch historisch, ästhetisch, politisch etc. gemeint sein. Wenn es einer Systematischen Theologie um die Bestimmung des Wesens der christlichen Religion geht, dann muss sie den religiösen Gebrauch der inhaltlichen Aussagen des Christentums thematisieren. Daraus ergibt sich als ihre Aufgabe, das innere Funktionieren des Christentums als Religion zu beschreiben. Das ist nicht nur ihr Gegenstand, das macht die Systematische Theologie auch zu einer eigenständigen Wissenschaft.

Systematische Theologie Systematische Theologie ist eine wissenschaftliche Disziplin und als solche unterschieden von der Religion, die von Menschen praktiziert wird. Seit der europäischen Aufklärung unterscheiden protestantische Theologinnen und Theologen zwischen Theologie und ReligionTheologieund Religion.

Unterscheidung von Theologie und ReligionTheologieund Religion

Die Unterscheidung von Theologie und ReligionTheologieund Religion geht auf den Hallenser Theologen Johann Salomo SemlerSemler, Johann Salomo (1725–1791) zurück, und sie hängt zusammen mit der Etablierung von Fachwissenschaften am Ende des 18. Jahrhunderts. Theologie wird nun als eine professionelle FachwissenschaftTheologieals Fachwissenschaft verstanden, die bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt und das alte, von Martin LutherLuther, Martin (1483–1546) geprägte Verständnis als oratio, meditatio, tentatio (beten, meditieren und anfechten) ersetzt. Dabei versteht Semler Theologie und das von ihr ausgearbeitete Lehrsystem als geschichtlich wandelbar und partikular. Universal und zeitlos gültig ist hingegen die Religion. Es ist jedoch die Theologie, die sich von der Religion unterscheidet, auf die sie sich bezieht. Es handelt sich um eine Unterscheidung, die von der wissenschaftlichen Theologie gemacht wird, um die lebensweltlich gelebte Religion von theologischer Bevormundung zu befreien und ihre Autonomie in der Theologie zu berücksichtigen.

Mit der Unterscheidung von Theologie und ReligionTheologieund Religion ist ein Folgeproblem verbunden. Sie etabliert eine neue Ebene, nämlich die der wissenschaftlichen Theologie gegenüber der christlichen Religion. Wenn aber Theologie und Religion unterschieden sind, wie bezieht sich jene dann auf ihren Gegenstand? Seit der Einführung dieser Unterscheidung in der Aufklärung besteht in der protestantischen Theologie die Tendenz, beide Ebenen auf eine unklare Weise zu vermischen. Entweder versteht man Systematische Theologie als eine Art Verlängerung der christlichen Religion in die Wissenschaft hinein, oder jene wird als Ort der Wahrheit von dieser konzipiert. Beides ist ungenügend und hebt den Wissenschaftscharakter einer Systematischen Theologie auf. Fasst man die Unterscheidung von Theologie und Religion so, dass es der christliche Glaube oder die Religion ist, die sich in der Theologie selbst auslegt und auf sich besinnt, dann ist das Subjekt der Systematischen Theologie der Glaube und nicht die Theologin oder der Theologe. Doch wie soll der Glaube in die von ihm unterschiedene Wissenschaft gleichsam hineinspringen und in ihr über sich selbst nachdenken? Ein solches Verständnis der Systematischen Theologie hätte nicht nur mit Wissenschaft nichts mehr zu tun, es blendet auch die konstruktive Tätigkeit von Theologinnen und Theologen aus, die die christliche Religion thematisieren. Diese sind es, die bestimmte Elemente von ihr auswählen und als für sie wesentlich erachten. Versteht man hingegen die Systematische Theologie als Ort der Wahrheit der christlichen Religion, dann reklamiert man für sie nicht nur die Deutungshoheit über diese, man unterstellt auch, dass die Glaubenden selbst der Systematischen Theologie bedürfen, um über die Religion aufgeklärt zu werden, die sie praktizieren. In beiden Fällen ist die Unterscheidung von Theologie und Religion aufgelöst. Einmal wird der Glaube als das eigentliche Subjekt einer Systematischen Theologie beschworen, und zum anderen tritt diese an die Stelle der christlichen Religion.

Systematische Theologie als Wissenschaft Systematische Theologie ist eine WissenschaftSystematische Theologieals Wissenschaft und nicht selbst Religion. Da sie von dieser unterschieden ist, kann sie sich auf die christliche Religion nur vor dem Hintergrund ihrer Unterscheidung beziehen. Das bedeutet, sie konstruiert auf der Ebene der Wissenschaft ein Bild der christlichen Religion, von dem sie weiß, dass es ihr eigenes Konstrukt ist. Nur auf diese Weise, indem sie also ihre eigene Beschreibung von der christlichen Religion unterscheidet, kann sie deren Autonomie in sich berücksichtigen. Wie jede andere Wissenschaft auch, vermag eine Systematische Theologie ihren Gegenstand lediglich auf eine methodisch kontrollierbare Weise zu konstruieren (vgl. unten 3.5). Alle mit Religion befassten akademischen Disziplinen wie Religionswissenschaft, Ethnologie, Religionssoziologie etc. können Religion nur konstruieren und nicht selbst an ihre Stelle treten. Damit ist auch klar, dass keine dieser Wissenschaften einen besseren oder angemesseneren Zugang zu Religion für sich reklamieren kann. Von anderen Wissenschaften, die sich mit der christlichen Religion beschäftigen, unterscheidet sich eine Systematische Theologie allein dadurch, dass sie die SelbstsichtSelbstsicht der christlichen Religion der christlichen Religion in ihre Beschreibung einbezieht. Da sie jedoch von der christlichen Religion unterschieden ist, ist ihr deren Selbstsicht nur als Konstruktion zugänglich. Indem die Systematische Theologie das innere Funktionieren der christlichen Religion aus der Perspektive der sie Praktizierenden zum Gegenstand hat, arbeitet sie in sich als Wissenschaft ein vollständiges Bild von ihr aus.

Fasst man die vorgestellten Überlegungen zusammen, dann lässt sich sagen, die Aufgabe einer Systematischen Theologie Aufgabe einer Systematischen Theologie besteht in der wissenschaftlichen Darstellung der christlichen Religion. Das Fachgebiet, mit dem Studierende der evangelischen Theologie im Laufe ihres Studiums zu tun haben werden, widmet sich der wissenschaftlichen Erfassung der christlichen Religion. Es erörtert ihr inneres Funktionieren als Religion im Gebrauch von Inhalten, Bildern und Zeichen und damit das Wissen der christlichen Religion, Religion zu sein. Das ist ihr Gegenstand, wenn sie das Wesen des Christentums aus der Sicht der Glaubenden thematisiert.

 

LITERATUR:

Ingolf U. Dalferth: Kombinatorische Theologie. Probleme theologischer Rationalität, Freiburg i.Br./Basel/Wien 1991.

Christian Danz: Theologie und Religion. Überlegungen zu einer umstrittenen Unterscheidung, in: Theologie als Streitkultur. Wiener Jahrbuch für Theologie, Bd. 13, hrsg. v. Uta Heil/Annette Schellenberg, Göttingen 2021, 139–154.

Martin Laube: Die Unterscheidung von Theologie und Religion. Überlegungen zu einer umstrittenen Grundfigur in der protestantischen Theologie des 20. Jahrhunderts, in: ZThK 112 (2015), 449–467.

Christoph Schwöbel: Art.: Systematische Theologie, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 7, Tübingen 2004, 2011–2018.

Johann Salomo Semler: Versuch einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelersamkeit für angehende Studiosos Theologiae, Halle 1757. ND Waltrop 2001.

Konrad Stock: Einleitung in die Systematische Theologie, Berlin/New York 2011, 47–50.

Folkart Wittekind: Dogmatik als Selbstbewusstsein gelebter Religion. Zur Möglichkeit theologiegeschichtlicher Beschreibung der reflexiven Transformation der Religion, in: Christian Danz/Jörg Dierken/Michael Murrmann-Kahl (Hrsg.): Religion zwischen Rechtfertigung und Kritik. Perspektiven philosophischer Theologie, Frankfurt a. M. 2005, 123–152.

1.3 Die Systematische Theologie im Kontext der Theologie

Dem Wortsinn nach bedeutet Theologie Rede von Gott (von griechisch: theo-logia). In diesem Sinne wurde der Begriff von der antiken Philosophie geprägt und vom frühen Christentum übernommen. Dabei hat man bis ins 12. Jahrhundert unter Theologie lediglich die Lehre von Gott in seinen drei Personen (Trinitätslehre) verstanden. Erst im Zusammenhang mit der Entstehung der Universitäten wurde der Begriff in einem weiteren Sinne aufgefasst, indem man nun die christliche Lehre – die doctrina sacra – Theologie nannte. Deren Aufgabe bestand in der Auslegung der Bibel als verbindliche Texte der christlichen Religion. Daneben bildete sich zwar bereits im Mittelalter die Praxis heraus, Zitate der Kirchenväter zu sammeln und zu kommentieren, aber erst in der Neuzeit kam es zu einer Ausdifferenzierung der Theologie in verschiedene Teildisziplinen. Das erfolgte im Zusammenhang der voranschreitenden gesellschaftlichen Differenzierung. In diesem Prozess wurden im akademischen Lehrbetrieb die einzelnen theologischen Fächer institutionalisiert, die auch noch heute an den Theologischen Fakultäten gelehrt werden.

Im gegenwärtigen Lehrbetrieb der evangelischen Theologie haben sich insgesamt fünf Fächer mit unterschiedlichen methodischen Instrumentarien etabliert, die selbst wiederum diverse Unterdisziplinen umfassen. Man kann diese Fächer in historische und gegenwartsbezogene DisziplinenTheologiegegenwartsbezogene Disziplinen der der Theologie historische und gegenwartsbezogene Disziplinen untergliedern. Die historischen Fächer sind Altes und Neues Testament sowie Kirchengeschichte, und die gegenwartsorientierten sind Systematische Theologie sowie Praktische Theologie.

Theologische Disziplinen

A. historische Disziplinen

B. gegenwartsbezogene Disziplinen

1. Altes Testament

1. Systematische Theologie

Einleitung ins Alte Testament

Religionsphilosophie

Religionsgeschichte Israels

Dogmatik

Theologie des Alten Testaments

Ethik

 

 

2. Neues Testament

2. Praktische Theologie

Einleitung ins Neue Testament

*Homiletik

Religionsgeschichte des Frühjudentums

*Poimenik

Theologie des Neuen Testaments

Religionspädagogik

3. Kirchengeschichte

Sozialgeschichte der Kirchen

Dogmengeschichte

Theologiegeschichte

Die historische DisziplinenTheologiehistorische Disziplinen der der Theologie historischen Disziplinen der Theologie erkunden die geschichtlichen Grundlagen der christlichen Religion, deren Entstehung und Entwicklung in diversen religionskulturellen Kontexten, die sich ändernden Sozialstrukturen der christlichen Religionsfamilie, die unterschiedlichen Konzeptionen von Religion und Politik und anderes. Auf vielfältige Weise rekonstruieren diese Disziplinen die Wandlungen des Christentums in der Geschichte. Die Geschichtsforschung möchte wissen, ‚wie es eigentlich gewesen‘ ist (Leopold von RankeRanke, Leopold von [1795–1886]). Im Unterschied hierzu sind die gegenwartsbezogenen theologischen Fächer an normativen Fragen interessiert. Sie fragen nach dem wesentlich Christlichen vor dem Hintergrund der Geschichte des Christentums und der jeweiligen Gegenwart.

Seit der europäischen Aufklärung sind die historischen und gegenwarts­orientierten Disziplinen der Theologie in einen Gegensatz getreten. Die Etablierung der historisch-kritischen MethodeMethode in der protestantischen Theologie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts befreite die Auslegung der biblischen Schriften von den Vorgaben der Dogmatik. Dadurch kam die Bibel als ein rein religionsgeschichtliches Dokument in den Blick. Zu ihrem Verständnis bedarf es der Kenntnis der Sprachen, in denen sie verfasst wurde, sowie eines religionskulturellen Wissens über die Religionen des alten Orients, ihrer Transformation im Zeitalter des *Hellenismus etc. Mit der Einordnung der Bibel in die Geschichte wird ihre überzeitliche Geltung aufgelöst. Die biblischen Schriften sind ebensolche religionsgeschichtlichen Dokumente wie der Koran oder die heiligen Texte der indischen Religionen. Wenn aber die Bibel ein geschichtliches und zeitgebundenes Dokument der christlichen Religion ist, welche Geltung kann sie dann für ganz andere Zeiten wie die Gegenwart des 21. Jahrhunderts noch haben? Historisch lässt sich diese Frage nicht beantworten. Geschichte und Normativität, Genesis und Geltung unterscheiden sich nämlich.

Allerdings fällt der Unterschied zwischen den historische und gegenwartsorientierte Disziplinen historischen und den gegenwartsorientierten Disziplinen der Theologie nicht einfach mit dem zwischen Geschichte und Geltung zusammen. Jedes Bild der Geschichte ist eine gegenwartsbezogene Konstruktion. Historikerinnen und Historiker konstruieren ihre Sicht der Vergangenheit stets im Ausgang von ihrer eigenen Gegenwart und ihren Plausibilitätshorizonten. In jedes Geschichtsbild fließen Interessen, Überzeugungen und Normen ein, die nicht der Vergangenheit entnommen sind und die ihr Gemälde erst zu einem sinnvollen Zusammenhang formen. Zwar muss sich jede Konstruktion der Geschichte an den Quellen bewähren, aber die Darstellung dessen, wie es wirklich gewesen ist, verdankt sich jeweils gegenwärtigen Plausibilitätsbedingungen. Alle Normen, Überzeugungen, Denkweisen und Selbstverständlichkeiten entstehen in der Geschichte. Wer heute über die Identität des Christlichen nachdenkt, der nimmt Denkweisen, Begriffe und Modelle in Anspruch, die selbst geschichtlich geworden sind. Schon die Sprache, in der das wesentlich Christliche formuliert wird, verdankt sich einer Kultur, die selbst einem Wandel unterliegt. Die Spannung zwischen Historie und Geltung lässt sich folglich nicht einfach auf die historischen und gegenwartsbezogenen Disziplinen der Theologie verteilen. Sie tritt in jeder von ihnen selbst noch einmal auf.

methodischer Zirkel des Verstehens der angedeutete methodische Zirkel des Verstehens – jedes Bild der Vergangenheit ist eine gegenwartsbezogene Konstruktion, und zugleich ist diese selbst das Resultat der Geschichte – tritt auch in der Systematischen Theologie auf. Ihre Konstruktion des Wesens des Christentums setzt ebenso ihre eigene Entwicklungsgeschichte wie die der christlichen Religion voraus. Beides wandelt sich in der Geschichte. Wie es kein überzeitliches Wesen der christlichen Religion gibt, so auch keinen zeitlich invarianten Kern der Theologie oder des Theologischen. Als eine eigenständige Disziplin ist die Systematische Theologie im Zusammenhang mit dem Ausdifferenzierungsprozess des Wissenschaftssystems in der Moderne entstanden. Die Fragen, die sie thematisiert, ergeben sich ebenso wie ihre Methoden aus der Geschichte des Fachs sowie den Wechselwirkungen und Überlagerungen, denen alle wissenschaftlichen Disziplinen unterliegen. Wenn im Fokus der Systematischen Theologie eine Bestimmung des gegenwärtigen Wesens des Christentums steht, dann kann sie diese Aufgabe nur auf der Grundlage der komplexen Geschichte ihrer selbst sowie des Christentums in Angriff nehmen. Als autonome theologische Disziplin, die andere Fragen stellt als Bibelwissenschaften, Kirchengeschichte und Praktische Theologie, ist sie auf diese theologischen Fächer und nichttheologischen Disziplinen bezogen.

Mit der Ausdifferenzierung der theologischen Fächer, wie sie für die gegenwärtige akademische evangelische Theologie konstitutiv ist, ist die Frage aufgeworfen, worin die Einheit der Theologie in der Vielheit ihrer Disziplinen besteht. Wenn jede theologische Disziplin mit eigenen Methoden arbeitet, denen jeweils verschiedene Gegenstände entsprechen, dann scheint das Gemeinsame der theologischen Arbeit sich aufzulösen, so dass nicht mehr zu erkennen ist, wie sie zusammenhängen. Thematisiert werden die Fragen nach dem Zusammenhang der theologischen Disziplinen in sogenannten theologische Enzyklopädien Enzyklopädien, die selbst eine Reaktion auf die moderne Ausdifferenzierung der Fächer ist. In der Geschichte der protestantischen Theologie hat in der Regel die Systematische Theologie den Anspruch erhoben, eine systematische Ableitung der einzelnen theologischen Fächer aus einem übergeordneten Theologiebegriff leisten zu können. Doch warum soll ausgerechnet die Systematische Theologie die Einheit der Theologie in der Vielfalt ihrer Disziplinen begründen und definieren können? Auch sie ist nur eine Disziplin neben anderen und hat ihnen gegenüber keine übergeordnete Perspektive zur Verfügung. Da alle theologischen Disziplinen, wie sie gegenwärtig existieren, sich dem kontingenten Ausdifferenzierungsprozess der Theologie verdanken, der sich parallel zur Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems entwickelte, ist es nicht möglich, sie aus einem übergeordneten Theologiebegriff abzuleiten. Solche Versuche, wie sie bis in die Gegenwart immer wieder in Angriff genommen wurden, sind aufzugeben. Definieren können sich die einzelnen theologischen Disziplinen lediglich selbst. Nur sie können über ihre Arbeit und Methoden Auskunft geben und bestimmen, was ihr Gegenstand ist und wie sie ihn behandeln. Zusammengehalten werden die im Prozess der Ausdifferenzierung der theologischen Wissenschaft entstandenen Disziplinen, die parallel zum Wissenschaftssystem einem ständigen weitergehenden Spezialisierungs- und Umformungsprozess unterliegen, nicht durch eine inhaltliche Bestimmung dessen, was Theologie ist oder sein soll, sondern durch ein Verständnis der Theologie als Wissenschaft.

 

LITERATUR:

Ingolf U. Dalferth: Evangelische Theologie als Interpretationspraxis. Eine systematische Orientierung, Leipzig 2004.

Hermann Deuser: Kleine Einführung in die Systematische Theologie, Stuttgart 1999, 177–184.

Wilfried Härle: Dogmatik, Berlin/New York 62022, 3–43.

Wolfhart Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt a. M. 1987.

Friedrich Schleiermacher: Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811/1831), hrsg. v. Dirk Schmid, Berlin/New York 2012.

Udo Schnelle: Einführung in die Evangelische Theologie, Leipzig 2021.

Konrad Stock: Die Theorie der christlichen Gewißheit. Eine enzyklopädische Orientierung, Tübingen 2005.

Folkart Wittekind: Rationale Theologie – nichtrationaler Glaube. Eine Grundlegung der Theologie als Wissenschaft in enzyklopädischer Absicht, in: Gerhard Schreiber (Hrsg.), Interesse am Anderen. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Religion und Rationalität. Für Heiko Schulz zum 60. Geburtstag, Berlin/Boston 2019, 537–556.

1.4Die Gliederung der Systematischen Theologie

Die Systematische Theologie umfasst als akademisches Fach verschiedene Unterdisziplinen der Systematischen Theologie Unterdisziplinen, die sich im Prozess der Ausdifferenzierung der Theologie herausgebildet haben. An den protestantischen Fakultäten werden vor allem drei Einzeldisziplinen unter diesem Obertitel zusammengefasst: Religionsphilosophie, Dogmatik und Ethik. Alle drei haben sich erst in der Neuzeit als selbständige Disziplinen im akademischen Lehrbetrieb etabliert. In der Geschichte des Fachs zählte man allerdings noch weitere Disziplinen zu ihr. So bildete sich in der Reformationszeit im Zusammenhang mit der Entstehung des protestantischen Dogmatikunterrichts die sogenannte Polemik heraus. Sie widmete sich der Auseinandersetzung mit den von der eigenen Konfession abweichenden Lehrauffassungen. Mit dem Nachlassen der Prägekraft von konfessionellen Differenzen in der Aufklärungszeit wurde die Polemik in die Konfessionskunde beziehungsweise Ökumenik überführt. Letztere bildet auch in der Gegenwart einen Bestandteil des Studiums der Systematischen Theologie an protestantischen Fakultäten. Aus der im 19. Jahrhundert entstandenen Missionswissenschaft wurde im 20. Jahrhundert die Religionswissenschaft, die sich als eigenständige Disziplin sowohl an als auch außerhalb von theologischen Fakultäten etabliert hat. Ebenfalls in der Zeit der Aufklärung entwickelte sich in Auseinandersetzung mit dem modernen Zeitgeist die sogenannte Apologetik. Ihr oblag die Verteidigung des christlichen Glaubens gegenüber der Kritik seitens der modernen Naturwissenschaften oder des neuzeitlichen Atheismus. Vor allem in der römisch-katholischen Theologie formierte sich hieraus die sogenannte Fundamentaltheologie. Deren Aufgabe besteht in der Demonstration der Vernunftgemäßheit der Glaubenslehre der KircheKircheEkklesiologie, Luthertum. Auch in der protestantischen Theologie haben sich in den letzten Jahrzehnten die Stimmen gemehrt, so etwas wie eine evangelische Fundamentaltheologie im akademischen Lehrbetrieb zu institutionalisieren. Bislang ist in dieser Frage jedoch noch kein Konsens erreicht.

1.4.1 ReligionsphilosophieReligionsphilosophie

Zu den klassischen Unterdisziplinen der Systematischen Theologie im Protestantismus gehört die ReligionsphilosophieReligionsphilosophie. Als ein eigenständiges akademisches Fach ist diese erst in den 1790er Jahren an deutschsprachigen Universitäten entstanden. Sie setzt die Kritik an der überlieferten *Metaphysik und *theologia naturalis (natürliche Theologie) durch Immanuel Kant Immanuel KantKant, Immanuel (1724–1804) voraus (vgl. unten 2.5.1). In seiner 1781 erschienenen Kritik der reinen Vernunft hatte der Königsberger Philosoph den Nachweis erbracht, dass Gott von der menschlichen Vernunft nicht erkannt werden könne. Intersubjektiv geltende Erkenntnis ist aufgrund ihrer beiden Quellen Anschauung und Begriff nur im Bereich der Erfahrung möglich. Aus dem Umfeld möglicher Erkenntnisgegenstände schieden damit die über die Erfahrung hinausgehenden göttlichen Dinge aus. Hier knüpft die Religionsphilosophie an. Sie fragt nach dem Gottesverhältnis des Menschen und nicht mehr wie die natürliche Theologie nach einem metaphysischen Sein GottesGottSein. In der Religionsphilosophie kommt es zu einer Perspektivenverschiebung. Deshalb ist sie keine bloße Fortsetzung der überlieferten *Metaphysik und ihres Gottesgedankens. Mit der Religion hat sie ein eigenes Thema.

ReligionsphilosophieReligionsphilosophie erkundet die Religion und ihre konstitutiven Merkmale, welche sie von anderen menschlichen Kulturgebilden unterscheidet. Ihr oblag es, den Nachweis zu erbringen, dass Religion zur conditio humana (Bedingung des Menschen) gehört. Um 1800 erfolgte das durch Versuche, Religion in das als allgemeine Grundlegungsinstanz der Kultur fungierende Bewusstsein einzuordnen, um ihre Allgemeinheit und Notwendigkeit zu begründen. An solche Grundlegungen der Religion in der allgemeinen Struktur des Bewusstseins konnte die Theologie anknüpfen. In der protestantischen Theologie wurde der Grundlagenwechsel von Gott zur Religion noch aus einem weiteren Grund notwendig. Für die Reformation fungierte die Bibel als alleinige Entscheidungsinstanz in theologischen und religiösen Fragen. Eine solche normative Funktion kann den biblischen Schriften nur dann zukommen, wenn sie selbst eine gleichsam göttliche Autorität haben und klar, eindeutig sowie im Hinblick auf das, was zum Heil des Menschen zu wissen notwendig ist, vollständig sind. Durch die Einführung des kritischen Geschichtsdenkens in die protestantische Theologie im 18. Jahrhundert wurde diese Stellung der Bibel mit historischen Argumenten aufgelöst. Damit verlor jedoch die Theologie des Protestantismus ihr normatives Fundament. Es wurde im 19. Jahrhundert durch den Religionsbegriff ersetzt, der dadurch zur methodischen Grundlage der modernen Theologie avancierte.

Eine grundlegende Aufgabe der ReligionsphilosophieReligionsphilosophie besteht darin, eine umfassende Theorie der Religion Theorie der Religion auszuarbeiten. Freilich ist die philosophische Analyse der Religion von dem zugrundliegenden Philosophieverständnis abhängig. Je nachdem, was unter Philosophie verstanden wird, ergeben sich höchst unterschiedliche Verständnisse von Religionsphilosophie und ihrer Aufgabe.

Typen der ReligionsphilosophieReligionsphilosophie

1. transzendentale:

Religion ist Bestandteil des menschlichen Bewusstseins (Immanuel Kant); religiöses Apriori im Aufbau des menschlichen Bewusstseins (Ernst Troeltsch [1865–1923])

2. phänomenologische:

religiöse Erfahrung / Idee des Heiligen (Rudolf Otto [1869–1937])

3. sprachanalytische:

Eigenart der religiösen Sprache / Sprachspiele (Ludwig Wittgenstein [1889–1951])

4. pragmatische:

Lebensfunktion der Religion (William James [1842–1910])

5. spekulative:

Religion als Selbstbewusstsein Gottes (Georg W. F. Hegel [1770–1831])

Die Religionsphilosophie fragt, wie man im 19. Jahrhundert sagte, nach dem Wesen der Religion. Ein solches Wesen lässt sich freilich nur bestimmen, wenn es bereits geschichtlichen Religionen als einen ausdifferenzierten Bereich in der Kultur gibt. Um grundlegende MerkmaleAufgabe der ReligionsphilosophieReligionsphilosophie des Religiösen zu erschließen, ist die Philosophie der Religion sowohl auf die Religionswissenschaft als auch auf Kultur- und Sozialwissenschaften angewiesen. Ohne empirische Kenntnisse über lebensweltliche Religionen kann weder eine Untersuchung der Religion vorgenommen noch deren Begriff konstruiert werden. Religion gibt es allein in der Vielfalt der geschichtlich gewordenen Religionen und ihrer Traditionen. Die ReligionsgeschichteReligionund Geschichte ist folglich ein konstitutiver Bestandteil der philosophischen Reflexion der Religion. Eine weitere Aufgabe der Religionsphilosophie besteht in der Herausarbeitung der spezifischen Kategorien, welche religiöse Weltsichten konstituieren.

Religiöse Sprache unterscheidet sich von der Alltagssprache. Sie bildet eine eigene Form von Kommunikationen in der Kultur. Ihre Eigenart hat die philosophische Analyse der Religion zu klären. Und schließlich muss die ReligionsphilosophieReligionsphilosophie nach dem Zusammenhang und Unterschied von Religion und Kultur fragen. Geschichtliche Religionsfamilien wie das Christentum oder der Islam sind stets mit Kulturen verwoben und ein Teil von ihnen. Zugleich beanspruchen sie, mehr als bloße Kultur zu sein. Religionsphilosophie konzipiert einen kritischen Allgemeinbegriff der Religion, der auf diverse religiöse Phänomene angewendet werden kann.

Doch wie gelangt die ReligionsphilosophieReligionsphilosophie zu einem Begriff der Religion Begriff der Religion, der allgemeingültig ist und sich auf alle religiösen Phänomene anwenden lässt? Zwar gehört Religion in der globalen Welt des 21. Jahrhunderts zu denjenigen Begriffen, die weltweit in akademischen Diskursen sowie im Alltag verwendet werden, der Begriff ist dennoch nicht ohne methodische Probleme (vgl. unten 4.1.2). Als Allgemeinbegriff, der sowohl innere Religiosität als auch deren symbolische Darstellungen sowie religiöse Institutionalisierungen umfasst, die sich von nichtreligiösen Formen unterscheiden, ist Religion ein Produkt der europäischen Christentumsgeschichte. Entstanden ist Religion als Allgemeinbegriff in komplexen Aushandlungsprozessen seit der Renaissance und europäischen Aufklärung. In seinem modernen Sinn kennen weder frühere Epochen des Christentums noch nichteuropäische Kulturen Religion. Seine Herkunft aus einer bestimmten ReligionsgeschichteReligionund Geschichte wirft die Frage auf, ob und wie es möglich ist, ihn auf andere Religionskulturen zu übertragen. Ins Gewicht fällt hierbei nicht nur der Umstand, dass nichteuropäische Kulturen keine Bezeichnung für das haben, was man im Christentum Religion nennt. Vielmehr kennen diese Kulturen die Unterscheidungen auch nicht, die für den modernen Begriff konstitutiv sind. Religion im Sinne des Religionsbegriffs ist etwas Eigenständiges und von anderen kulturellen und sozialen Formen wie Politik, Recht, Moral, Wirtschaft etc. unterschieden. Indem der Religionsbegriff zur Beschreibung und Erfassung nichteuropäischer Kulturen benutzt wird, überträgt man Differenzierungen auf diese, die sich in Europa herausbildeten oder im Zuge des europäischen Kolonialismus ihnen aufgezwungen wurden.

Ein allgemeiner Religionsbegriff ist noch mit einem weiteren Problem konfrontiert. Er fragt nach dem, was in allen geschichtlichen Religionen das Gemeinsame ist und sie zur Religion macht. Alle Religionen haben folglich einen identischen und invarianten Kern, der von ihnen in unterschiedlichen, geschichtlich gewordenen Bildern, Vorstellungen und Inhalten dargestellt wird. Für den Religionsbegriff sind sie alle gleich. Sie sind geschichtliche Ausprägungen eines ihnen zugrunde liegenden Allgemeinen, die sich lediglich durch ihre inhaltlichen Aussagen unterscheiden. Damit reduziert jedoch ein allgemeiner Religionsbegriff diejenige Diversität der geschichtlichen Religionen, von der er ausgeht. Es gibt letztlich nur eine Religion in unterschiedlichen Formen und Bildern, wobei diese für ihr eigenes Religionsein unwesentlich sind.

Angesichts der mit einem allgemeinen Religionsbegriff verbundenen methodischen Probleme verwundert es nicht, wenn in den Debatten über Religion seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgeschlagen wurde, auf ihn zu verzichten. Das ist freilich keine Lösung der Anfragen, denen sich ein Begriff der Religion ausgesetzt sieht. Schon um bestimmte Kulturerscheinungen als Religion ansprechen zu können, ist ein Vorverständnis von ihr vorausgesetzt. In der Konzeption eines gehaltvollen Begriffs der Religion kommt man nicht umhin, auf eine konkrete Religion Bezug zu nehmen. Jeder Begriff lässt sich lediglich aus einer bestimmten, geschichtlich gewordenen Perspektive konstruieren. Das hat seinen Grund in dem zirkulären Charakter des Verstehens von kulturellen Phänomenen. Um Religion identifizieren zu können, ist deren Verständnis bereits in Anspruch genommen. Darin dokumentiert sich die Abhängigkeit jeder ReligionsphilosophieReligionsphilosophie und jedes Begriffs der Religion von einer besonderen religiösen Tradition und deren Darstellung etwa in Form einer Theologie. Die Aufgabe der Religionsphilosophie besteht darin, den methodischen Zirkel, der für einen Begriff der Religion konstitutiv ist, transparent zu machen. Ausschließen oder gar vermeiden lässt sich ein solcher Zirkel bei keinem geisteswissenschaftlichen Gegenstand. Der Begriff der Religion ist ein akademisches Konstrukt. Produktiv bearbeiten lassen sich die mit seiner Fassung verbundenen methodischen Probleme lediglich dann, wenn auf einen Allgemeinbegriff verzichtet und der Religionsbegriff der Systematischen Theologie auf die christliche Religion beschränkt wird (vgl. unten 4.1.3).

 

LITERATUR:

Hermann Deuser: Religionsphilosophie, Berlin/New York 2009.

Johann Figl: Philosophie der Religionen. Pluralismus und Religionskritik im Kontext europäischen Denkens, Paderborn/München/Wien/Zürich 2011.

Winfried Löffler: Einführung in die Religionsphilosophie, Darmstadt 2006.

Brent Nongbri: Before Religion. A History of a Modern Concept, New Haven/London 2013.

Hartmut Rosenau: Art.: Religionsphilosophie I. Christliche Religionsphilosophie, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 28, Berlin/New York 1997, 749–761.

Jonathan Z. Smith: Religion, Religions, Religious, in: ders.: Relation Religion. Essays in the Study of Religion, Chicago/London 2004, 179–196.

Falk Wagner: Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986. 21991.

1.4.2 DogmatikDogmatik

Neben der ReligionsphilosophieReligionsphilosophie bildet die Dogmatik einen konstitutiven Bestandteil im Fächerkanon der Systematischen Theologie. Dogmatik nennt man die Darstellung der Lehre einer der christlichen Konfessionen. In diesem Sinne hat sich der Begriff erst im 17. Jahrhundert zur Bezeichnung der Disziplin herausgebildet. Die klassische Schuldogmatik des Protestantismus versteht sich als eine zusammenfassende Darstellung des theologischen Gehalts der Bibel. Hieraus resultiert ihr sogenannter heilsgeschichtlicher Aufriss. In ihrer inhaltlichen Erörterung der Lehre setzt sie mit dem Gottesgedanken ein, erläutert die Schöpfung von Welt und Mensch, den Abfall des Menschen von Gott, um sodann mit den Lehren von Christus und der Versöhnung den Weg der Rückkehr des Menschen zu Gott zu beschreiben. Hieran schließen sich die Lehre von der Kirche und schließlich die von den letzten Dingen, der Eschatologie, an. Auf diese Weise bietet die Dogmatik eine lehrhafte Zusammenfassung der Aussagen der Bibel, an deren Aufbau sie sich anlehnt. Den inhaltlichen Ausführungen der Dogmatik werden sogenannte ProlegomenaProlegomena (von griechisch: prolégein, vorhersagen) vorangestellt, welche die Erkenntnisquellen der theologischen Wissenschaft erörtert. Im Bereich des Protestantismus ist das vor allem die Lehre von der Bibel als der Heiligen Schrift. Sie stellt für die protestantische Theologie die einzige Entscheidungsinstanz in theologischen und religiösen Fragen dar. Infolge der Auflösung des altprotestantischen Schriftprinzips seit der europäischen Aufklärung trat im 19. Jahrhundert an dessen Stelle der Religionsbegriff. In den Prolegomena der Dogmatik wurde nun eine Religionsphilosophie traktiert. Ausgehend vom Begriff der Religion ordnet man das Christentum in die Religionsgeschichte einTheologieund Religionsgeschichte und verstand es als Realisierung des Wesens der Religion und damit als deren höchstmögliche Form. Auf diese Weise war die Grundlage für die Entfaltung der materialen Dogmatik gegeben. In neuerer Zeit wird diskutiert, eine evangelische Fundamentaltheologie auszuarbeiten. Da diese nicht wie im römisch-katholischen Verständnis als Begründung der Vernünftigkeit der Kirchenlehre aufgefasst werden kann, wird sie zumeist als Einleitung in die Dogmatik konzipiert. Allerdings ist aufgrund der Zirkelstruktur der geisteswissenschaftlichen Arbeit eine solche Einleitung selbst schon Dogmatik.

Die DogmatikDogmatik erörtert die theologische Lehre einer christlichen KonfessionProlegomena in ihrem systematischen Zusammenhang. Man hat deshalb vorgeschlagen, ihren Gegenstand als DogmaDogma zu bezeichnen. Sie wäre dann eine Wissenschaft vom Dogma im Sinne von verbindlichen Lehrmeinungen. Dadurch wird der normative Charakter der Dogmatik hervorgehoben und unterstrichen.

Dogma

Der Begriff DogmaDogma (griechisch: dokein, was jemand meint) stammt aus der antiken Philosophie und bezeichnet eine verbindliche Lehrmeinung beziehungsweise eine feststehende Aussage. In der Alten Kirche wurde der Begriff zur Bezeichnung der wahren kirchlichen Lehre übernommen. Das wahre Dogma ist nun die christliche Lehre. Von ihr gilt, wie es Vinzenz von LerinumVinzenz von Lerinum (gest. zwischen 434 und 450) formulierte, „was überall, immer und von allen geglaubt worden ist“. Erst in der Neuzeit kommt es in der römisch-katholischen Kirche zu einem Verständnis des Dogmas als verbindlichem, von Gott geoffenbarten Lehrinhalt (Erstes Vatikanisches Konzil 1869–1870). In einem solchen Sinn – als von der Kirche formulierte autoritative Lehre – kann es im Protestantismus grundsätzlich kein Dogma geben.

Allerdings ist ein Verständnis der Dogmatik als Wissenschaft von den Dogmen nicht unproblematisch. Im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche gibt es in den protestantischen Kirchen keine Instanz, welche ein DogmaDogma festlegen könnte. Zudem würde der Begriff des Dogmas als verbindlicher Glaubensinhalt, der von dem Einzelnen zu glauben ist, dem protestantischen Verständnis des Glaubens widersprechen. Obwohl dieser an Aussagen gebunden ist, besteht er gerade nicht in ihrem Fürwahrhalten. Neben dem Dogma wurden deshalb Gott, die Offenbarung Gottes, das christlich-religiöse Bewusstsein und der christliche Glaube als Gegenstand der Dogmatik genannt. Je nach dem, was man als Thema der Dogmatik Thema der Dogmatik ansetzt, ergeben sich unterschiedliche Konzeptionen.

Konzeptionen der DogmatikDogmatik

altprotestantische Theologie:

Dogmatik als zusammenfassende Darstellung der geoffenbarten Wahrheit der Bibel

Glaubenslehre:

Dogmatik als systematische Entfaltung des christlich-religiösen Bewusstseins (Friedrich Schleiermacher [1768–1834])

spekulative Theologie:

Dogmatik als logische Explikation des trinitarischen Gottesgedankens (Falk Wagner [1939–1998])

Offenbarungstheologie:

Dogmatik als Darstellung des Ereignisses der Offenbarung Gottes (Karl Barth [1886–1968])

Erfahrungstheologie:

Dogmatik als Entfaltung des christlichen Wirklichkeitsverständnisses (Eilert Herms [geb. 1940], Wilfried Härle [geb. 1941], Christoph Schwöbel [1955–2021])

analytische Formen:

Dogmatik als Analyse der Sprachspiele der christlichen Rede

Aufgrund seiner Transzendenz kann Gott nicht zum Gegenstand einer Wissenschaft werden. Für die DogmatikDogmatik bleibt folglich nur das Gottesverhältnis des Menschen als Themenfeld übrig. Es lässt sich auf unterschiedliche Weise thematisieren. Im 19. Jahrhundert avancierte das religiöse Bewusstsein und damit die Religion zur methodischen Grundlage der Dogmatik. Mit dem Ausgang vom Gottesbewusstsein scheint Gott in eine Abhängigkeit vom Menschen zu geraten. Die theologische Entwicklung im 20. Jahrhundert hat deshalb im Interesse an der Unabhängigkeit Gottes einer Konzeption, die vom religiösen Bewusstsein ausgeht, widersprochen und die Offenbarung Gottes als Gegenstand der Theologie angesetzt. Gott und Religion bilden einen sich ausschließenden Gegensatz. Diese Alternative hat die Entwicklung der protestantischen Dogmatik im 20. Jahrhundert beherrscht. Sie ist jedoch ebenso abstrakt wie falsch (vgl. unten 2.6). Aufgabe einer Dogmatik muss es sein, diesen Gegensatz zu überwinden. Ihr Glaube als Gegenstand der Dogmatik Gegenstand ist der Glaube als symbolproduktive Wirklichkeit der christlichen Religion. Mit dem Glauben und seiner reflexiven Struktur expliziert die Dogmatik das Wesen des Christentums aus der Sicht der Glaubenden.

Glaube und Religion bilden keinen sich ausschließenden Gegensatz wie in der protestantischen Theologie des 20. Jahrhunderts (vgl. unten 4.3). Vielmehr bezeichnet der Glaube das Gelingen der christlich-religiösen Kommunikation und damit ihr Wirklichwerden in der Kultur. Er entsteht in der christlich-religiösen Kommunikation und hat keine Voraussetzungen, die außerhalb von ihr gegeben sind. Dieses Kommunikationsgeschehen, aus und in dem der Glaube als symbolproduktive Wirklichkeit der christlichen Religion entspringt, zu entfalten, ist die Aufgabe einer Dogmatik. Mit den theologischen Gehalten der christlichen Religion beschreibt die Dogmatik den Glauben und sein durchsichtiges Funktionieren als Religion. Seine Inhalte, auf die sich der Glaube bezieht, haben keine gegenständliche Funktion. Sie verweisen nicht auf Objekte und Gegenstände, die außerhalb der Kommunikation gegeben sind, so dass der Glaube in der Bezugnahme auf sie entsteht. Glaubensinhalte haben eine Funktion für den Glauben selbst. Er stellt mit ihnen sich selbst als symbolproduktive Wirklichkeit der christlichen Religion dar, die in der religiösen Aneignung und symbolischen Artikulation der religiösen Erinnerung an JesusJesus von Nazareth Christus besteht, von der sie abhängig ist. Indem die Dogmatik den Glauben als ein selbstbezügliches, selbstdurchsichtiges und in sich strukturiertes Kommunikationsgeschehen erfasst, erörtert sie das Wesen des Christentums aus der SelbstsichtSelbstsicht der christlichen Religion derer, die die christliche Religion praktizieren. Doch die Sicht der Glaubenden auf ihren Glauben kann in ihr, da sie selbst nicht Religion ist, nur als theologische Konstruktion vorkommen.

 

LITERATUR:

Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 91982 (= BSLK).

Christian Danz: Einführung in die evangelische Dogmatik, Darmstadt 2010.

Eilert Herms: Systematische Theologie. Das Wesen des Christentums: In Wahrheit und aus Gnade leben, 3 Bde., Tübingen 2017.

Eilert Herms: Art.: Dogmatik, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2, Tübingen 41999, 899–915.

Hermann Fischer: Systematische Theologie. Konzeptionen und Probleme im 20. Jahrhundert, Stuttgart/Berlin/Köln 1992.

Konrad Stock: Einleitung in die Systematische Theologie, Berlin/New York 2011, 55–61.

Henning Theißen: Einführung in die DogmatikDogmatik. Eine kleine Fundamentaltheologie, Leipzig 2015.

1.4.3 EthikEthik

Die dritte Hauptdisziplin der Systematischen Theologie ist die EthikEthik. Auch sie hat sich erst im 17. Jahrhundert in Unterscheidung von der dogmatischen Theologie als ein eigenes theologisches Fachgebiet herausgebildet. Den Anlass hierzu bildete zunächst das Interesse, die Ethik in einer theologischen Perspektive zu behandeln. Im *konfessionellen Zeitalter waren die theologischen Konzeptionen mit umfassenden normativen Leitbildern des gesellschaftlichen Gemeinwesens verbunden. Dieses Anliegen schlägt sich in den Entwürfen von theologischen Ethiken nieder. In der protestantischen Lehrtradition wurde die Ethik zunächst unter dem Titel der gute Werke guten Werke behandelt. Dabei ließ man sich LutherLuther, Martin folgend von der Überzeugung leiten, dass die guten Werke unmittelbar aus dem Glauben fließen. Der Reformator kleidete den Zusammenhang von Glaube und Handeln im Anschluss an Mt 12,33 in das Bild von einem guten Baum, der gute Früchte trägt. Allerdings vermochte der Wittenberger Theologe nicht deutlich zu machen, wie der Zusammenhang von Glaube und sittlichem Handeln genauer zu fassen ist.

Die Begriffe EthikEthik und MoralMoral wurden in der abendländischen Tradition weitgehend synonym verwendet. Erst in neuerer Zeit unterscheidet man terminologisch zwischen ihnen. Moral Moral bezeichnet die lebensweltlichen Orientierungen und Selbstverständlichkeiten, die das Leben des Einzelnen und von sozialen Gruppen prägen (im Sinne von griechisch: ethos, Gewohnheit, Brauch). Unter Ethik Ethik hingegen versteht man eine Theorie oder Reflexion der ihr vorgegebenen Moral. Die ethische Reflexion befragt das moralische Handeln, ob es dem sittlichen Kriterium des Guten entspricht oder nicht. Was das ethisch Gute ist und wie es sich von anderen kulturellen Sphären unterscheidet, das wird in den Theorien der Ethik unterschiedlich begründet. Für AristotelesAristoteles (385–322 v. Chr.), den Begründer der Ethik als einer eigenständigen philosophischen Disziplin (Nikomachische Ethik), ist das Gute das höchste Gut, und es besteht in der Glückseligkeit (griechisch: eudaimonia). Eudaimonia hat ihren Zweck in sich selbst. Sie ist das, was um seiner selbst erstrebt wird. In ihr erreicht ein Mensch Vollkommenheit, da er ganz er selbst wird, mit sich also übereinstimmt. Im modernen Utilitarismus (Jeremy Bentham [1748–1832], John Stuart MillMill, John Stewart [1806–1873]) wird das Gute in dem Nutzen erblickt, den das Handeln für die Gemeinschaft erbringt. Gut ist, was für eine größtmögliche Zahl von Menschen nützlich ist. Immanuel KantKant, Immanuel hingegen definiert das sittlich Gute ohne Rekurs auf inhaltliche Bestimmungen. Es besteht in einer formalen Verallgemeinerungsregel, der zufolge der Handelnde die Bestimmungsgründe seines Willens daraufhin zu befragen hat, ob sie sich verallgemeinern lassen (*kategorischer Imperativ).

In der Geschichte des ethischen Denkens wurden verschiedene Konzeptionen von Ethiken beziehungsweise praktischen Philosophien ausgearbeitet.

Typen der EthikEthik

Individualethik:

sie bemüht sich, Normen und Ziele zu begründen, die für das Handeln des Individuums gelten sollen (Pflichten- und Tugendethik)

Sozialethik:

sie sucht nach begründbaren Normen und Zielen für die Interaktionen zwischen Individuen und Großgruppen sowie der Großgruppen untereinander (Güterethik)

Metaethik:

wissenschaftliche Erörterung der Bedingungen von ethischen Diskursen

angewandte Ethik:

ethische Reflexion von Einzelproblemen, z. B. der modernen Medizin oder der Wirtschaft

Ethische Reflexionen werden nicht nur in der Philosophie (praktische Philosophie) angestellt, sie bilden auch einen zentralen Bestandteil der christlichen Theologien. Religionen wie die christliche enthalten immer auch Orientierungen für das Handeln (*Dekalog, Bergpredigt). Für eine theologische EthikEthik ergibt sich nun ein besonderes Problem aus der Frage, ob es spezifische Normen des Handelns geben kann, die nur für Christen gelten. Wenn jedoch sittliche Normen den Charakter der Allgemeingültigkeit haben, dann kann es eine christliche Sonderethik ebenso wenig geben wie eine religiöse Mathematik oder Logik. Welchen Charakter hat dann aber eine theologische Ethik? Ethisches Denken entwickelt sich zwar stets in bestimmten, geschichtlich gewordenen Religionskulturen, so dass religiöse Aspekte in die Herausbildung von verschiedenen Formen von MoralMoral und Ethik mit einfließen. Aber das besagt nichts über die Geltung von ethischen Normen.

Im Bereich der Systematischen Theologie wird die EthikEthik in einem religiösen Horizont zum Thema. Dabei geht es immer auch um die Frage, in welchem Verhältnis Dogmatik und Ethik zueinander stehen. Ist letztere eine bloße Konsequenz der Glaubenslehre? Oder kommt der ethischen Reflexion gegenüber der Dogmatik eine selbständige Bedeutung zu? Je nach dem, wie die genannten Fragen beantwortet werden, ergeben sich unterschiedliche Konzeptionen der Dogmatik und der Ethik.

Mit der Herausbildung der modernen Gesellschaft hat sich der Steigerung des Bedarfs an ethischer Reflexion Bedarf an ethischer Reflexion erhöht. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt konfrontiert mit Problemen, die durch die überlieferte MoralMoral nur unzureichend beantwortet werden können. Im Hinblick auf Gentechnik und deren Folgen zum Beispiel ist die traditionelle, an der Bibel orientierte christliche Moral überfordert. Eine ethische Reflexion derartiger Problemkreise setzt einschlägige Fachkenntnisse voraus. Andernfalls würde die EthikEthik den Problemen der modernen Gesellschaft äußerlich bleiben. Vorausgesetzt ist hierbei allerdings auch eine kulturhermeneutische Kompetenz, welche es erlaubt, die unterschiedlichen kulturellen Formen der Naturwissenschaft und der Ethik aufeinander zu beziehen. Die theologische Ethik gestaltet sich zu einer Art Kulturhermeneutik. Auf eine solche Weise sensibilisiert die kulturhermeneutische Ethik für Normenkonflikte und ethische Problemlagen. Eindeutige Antworten und Normen zur Entscheidungsfindung kann unter den Bedingungen der komplexen Problemlagen der Moderne keine Ethik mehr geben. Ethiken haben mehr und mehr eine beratende Funktion.

Im Aufbau der EthikEthik schlägt sich der veränderte Problemhorizont in der Konzeption von hochspezialisierten angewandten Ethiken nieder. Sie haben prinzipientheoretische Fragen nach der Begründung der Ethik weitgehend verdrängt.

 

LITERATUR:

Aristoteles: Nikomachische Ethik, Stuttgart 1986.

Reiner Anselm/Ulrich H.J. Körtner: Evangelische Ethik kompakt. Basiswissen in Grundbegriffen, Gütersloh 2015.

Gerfried W. Hunold/Thomas Laubach/Andreas Greis (Hrsg.): Theologische Ethik. Ein Werkbuch, Tübingen/Basel 2000.

Ulrich H.J. Körtner: Evangelische Sozialethik. Grundlagen und Themenfelder, Göttingen 42019.

Dietz Lange: Ethik in evangelischer Perspektive. Grundfragen christlicher Lebenspraxis, Göttingen 22002.

Wolfgang E. Müller: Evangelische Ethik, Darmstadt 22011.

Trutz Rendtorff: Ethik, 2 Bde., Stuttgart 21990.

Konrad Stock: Einleitung in die Systematische Theologie, Berlin/New York 2011, 287–473.

2Systematische Theologie – Ein geschichtlicher Grundriss

2.1Die Anfänge der christlichen Theologie in der Antike

Die ersten ‚Theologen‘ des Christentums sind, auch wenn sie den Begriff Theologie weder kannten noch verwendet haben, die neutestamentlichen Autoren. Ihre unterschiedlichen Darstellungen von Geschichte und Wirken JesuJesus von Nazareth im Neuen Testament haben einen religiösen Charakter. Die Verfasser der Evangelien sind nicht an einem historischen Bericht interessiert. Ihre Deutungen und Erzählungen des Mannes aus Nazareth sind eher, wie man es genannt hat, ‚Gemeindedogmatik‘ (William WredeWrede, William [1859–1906]). Es sind Bilder von Jesus, die aus der Perspektive des nachösterlichen Glaubens an den auferstandenen Christus in diversen christlichen Milieus entworfen wurden. Dabei betreiben die neutestamentlichen Autoren Schriftauslegung. Die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die *Septuaginta, bietet ihnen den Rahmen sowie die Vorstellungswelt, in dem die Geschichte des Nazareners verstanden und erzählt wird. Ebenso wie der Nazarener selbst waren die frühen Christen Juden. Sie stellten das Wirken und Geschick Jesu als Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen von einem erwarteten Messias und dem Anbruch des Reichs Gottes dar.

Die Überlieferungen von Jesus Christus Überlieferungen von Jesus ChristusJesus von Nazareth sind von Anfang an sehr vielfältig und heterogen. Neben den vier Evangelien, von denen jedes eine sehr eigene Sicht auf Leben und Wirken des Nazareners wirft, kursierten zahllose andere Überlieferungen wie das sogenannte Thomas-Evangelium, die nicht in den späteren neutestamentlichen KanonKanon aufgenommen wurden. Das kann auch gar nicht anders sein. Religion existiert stets in der Spannung von geschichtlicher Abhängigkeit von religiösen Traditionen und ihren Transformationen. Auf diese Weise entstanden in dem religionskulturellen Horizont des antiken Judentums des Zweiten Tempels diverse Narrative von dem Mann aus Nazareth. Mit ihnen schufen sich die frühen Christusgläubigen ihre eigene religiöse Identität, die sie in ihren Narrativen des Wirkens JesuJesus von Nazareth Christi darstellten. Mit der Festlegung des biblischen Kanons im vierten Jahrhundert wird diese Textproduktion gestoppt und ein bestimmter Umfang von Texten als normativ verbindlich definiert. Durch den Abbruch des Weiterschreibens der Jesusüberlieferungen wird deren Varianz gebändigt.

Mit der Etablierung des biblischen Kanons Etablierung des biblischen Kanons von Altem und Neuem Testament kommt es zur Unterscheidung von kanonischen und *apokryphen Evangelien. Auch die Differenz von Orthodoxie und Häresie entsteht allein durch solche Selektionsleistungen. Ein KanonKanon hat eine identitätsbildende Funktion für das frühe Christentum. Nur indem er das Fortschreiben und Variieren der Jesusüberlieferung abbricht, bleibt das Christentum erkennbar. Erhalten hat sich die Pluralität der ‚Theologien‘ des frühen Christentums freilich auch in dem neutestamentlichen Kanon noch. Die vier Evangelien präsentieren sehr unterschiedliche religiöse Deutungen der Geschichte JesuJesus von Nazareth. Daneben steht die Briefliteratur. In ihr verdichten sich, wie in den Briefen des Apostels PaulusPaulus und seiner Schule, theologische Reflexionen auf den Gehalt des Wirkens des Nazareners. Im Fokus der religiösen Theologie des Völkerapostels stehen der Glaube und die Gerechtigkeit Gottes. Das Neue Testament enthält unterschiedliche theologische Konzeptionen, die sich nicht harmonisieren lassen. Es bietet identitätsbildende religiöse Narrative, aber keine expliziten theologischen Lehren von Gott, Christus oder dem Heiligen Geist.

 

LITERATUR:

Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 72013.

Jan Assmann: Religion und kulturelles Gedächtnis. Zehn Studien, München 22004.

Sandra Huebenthal: Das Markusevangelium als kollektives Gedächtnis, Göttingen 22018.

Jörg Lauster: Religion als Lebensdeutung: Theologische Hermeneutik heute, Darmstadt 2005.

Gerd Theißen: Die Religion der ersten Christen. Eine Geschichte des Urchristentums, Gütersloh 2000.

William Wrede: Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen 1901. 41969.

2.1.1 Die Theologie der antiken Philosophie

Auch wenn schon im Neuen Testament theologische DeutungenGottesbegriff, antike Philosophie vorliegen, so hat sich doch eine Theologie erst in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten herausgebildet. Einen wesentlichen Einfluss hierauf hatte die Rezeption der antiken Philosophie. Von ihr wurde der Begriff Theologie geschaffen. Aus der Verbindung von christlicher Botschaft und griechischer Philosophie gingen in komplexen und sich überlagernden Prozessen die frühen christlichen Theologien hervor. Die frühchristlichen Denker konnten dabei an die Theologie der Griechen anknüpfen. In Auseinandersetzung mit der polytheistischen Volksreligion arbeiteten griechische Philosophen einen monotheistischen Gottesbegriff GottesbegriffGottesbegriff, antike Philosophie heraus. Gott ist für sie das erste und letzte Prinzip, die Ursache von allem, was ist. Insbesondere der Kosmos und seine geordnete Struktur fungieren als Paradigma der Theologie. Im Unterschied zu dem biblischen Gott, der sich dem Menschen offenbart, ist der Gott der Philosophen durch die Vernunft zu erschließen. Das Göttliche als Ursache des Kosmos erkennt man durch einen Rückschluss von der Welt. Die wichtigsten philosophischen Theologien, welche einen prägenden Einfluss auf das junge Christentum ausübten, stammen von PlatonPlaton (428/427–348/347 v. Chr.), AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) und der StoaStoa.

In Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie hatte PlatonPlatonPlaton in der Politeia (Staat) einen philosophischen Gottesbegriff ausgearbeitet. Das wahre Wissen gründet für ihn nicht in dem, was mit den Augen sichtbar oder durch die Sinne wahrnehmbar ist. Derartiges Wissen ist, wie er in dem Dialog Phaidon schreibt, stets voll Betrug. Es ist wandelbar und unterliegt dem Schein. Dem wandelbaren Wissen setzt Platon die Ideen entgegen. Sie sind unsichtbar, ewig und wahr. Die Ideen, die allein dem Denken zugänglich sind, sind der Grund des intersubjektiv verbindlichen Wissens. Wahres Wissen besteht in der Erkenntnis der Idee. In ihr erinnert sich die unsterbliche SeeleSeeleunsterbliche gleichsam der Ideen, die sie vor ihrer Geburt, nämlich ihrer Vereinigung mit dem Leib, geschaut hat. Die Philosophie hat die Aufgabe, das Wissen durch einen Rückgang auf die Ideen als letzte Gründe zu fundieren.

Allerdings belässt es PlatonPlaton nicht bei einem Rückgang zu den Ideen als Inbegriff des Wahren, Wesenhaften und Seienden. Er fragt auch nach dem Grund des Ideenkosmos. Ihn nennt er die Idee des GutenIdee des Guten, PlatonIdee des Guten. Von ihr gilt, wie es in dem Sonnengleichnis der Politeia heißt, sie gehe noch über das Wesen hinaus. Der letzte Grund allen Wissens ist transzendent. Er ist jenseits von Wahrheit, Wesen und Seiendem. Mit der Idee des Guten hat Platon einen philosophischen Gottesbegriff ausgearbeitet, in dem das Denken bei seiner Suche nach letzten Gründen gleichsam selbst zum Abschluss kommt. Gott steht hier für eine Aufgabe des Denkens. Es versichert sich in ihm seines eigenen letzten Grunds. Zugleich benutzt Platon seinen philosophischen Gottesgedanken in der Politeia zur Kritik an den überlieferten Mythen. Sie seien, so sein Argument, schädlich für die Erziehung der Jugend und folglich aus einem idealen Staat zu verbannen.

AristotelesAristotelesAristoteles, der Schüler PlatonsPlaton aus Stageira, unterzog die Philosophie seines Lehrers einer radikalen Umformung. Für Platons philosophisches System ist ein Dualismus von Ideen- und Erscheinungswelt konstitutiv. Der Stagirit hingegen hat den platonischen Dualismus in ein empirisches Forschungsprogramm überführt. Statt von Ideen spricht er von der Form (griechisch: morphē). Jede Form setzt etwas voraus, was geformt werden kann, den Stoff (griechisch: hyle). Hieraus resultiert die Unterscheidung von Form und Stoff beziehungsweise Potenz und Akt (lateinisch: potentia und actus). Ausgangspunkt für diese Fassung der philosophischen Grundbegriffe ist die Beobachtung, dass in unserem Erkennen der Begriff stets an einen sinnlichen Stoff gebunden ist. Die Ideen sind also nicht, wie Platon annahm, in einem transzendenten Ideenhimmel zu lokalisieren, sie sind vielmehr den Dingen immanent, wie in unserer Auffassung der Dinge die Begriffe den sinnlichen Wahrnehmungen immanent sind.

Erst die beiden Momente Stoff und Form Stoff und FormGottesbegriff, antike Philosophie zusammen bilden das wirkliche Sein der Dinge. In dieser Verbindung ist der Stoff die Möglichkeit oder Potenz zu allem Wirklichen, die Form aber ist die Verwirklichung dieses Möglichen, der Aktus. Die Form ist also der Zweck. AristotelesAristoteles veranschaulicht das Verhältnis von Form und Stoff an dem Marmor, aus dem der Bildhauer die Statue meißelt. Der Marmor ist die Möglichkeit und die Statue die geformte Wirklichkeit.

In den Schriften, die später unter dem Titel Metaphysik zusammengefasst wurden, hat AristotelesAristoteles eine förmlicheGottesbeweiskosmologischer Theologie konzipiert. Sie resultiert aus dem methodischen Grundbegriff seiner Philosophie, der Bewegung. Diese avanciert zum Prinzip der Erklärung des natürlichen Kosmos und ersetzt PlatonsPlaton an dem Ideenkosmos orientierte *KosmologieKosmologie. Alle Möglichkeit (griechisch: dynamis) strebt nach Verwirklichung. Hierzu bedarf es eines Prinzips, welches die zielgerichtete Bewegung (griechisch: entelecheia) erklärt. Diese Funktion übernimmt der aristotelische Gottesgedanke, unbewegter BewegerBeweger, unbewegterder unbewegte Beweger. Das Göttliche ist für Aristoteles das ‚erste und vorzüglichste Prinzip‘ und wird als reine Wirksamkeit (lateinisch: actus purus) bestimmt. Der aristotelische Gott ist kein Schöpfergott, der wie der platonische Demiurg bei der Erschaffung der Welt den Ideenkosmos in die Materie einbildet, er hält vielmehr die selbst anfangslose Welt in ständiger Bewegung. Damit ist nicht nur der Gottesgedanke von Aristoteles auf der Grundlage seiner empirisch fundierten Naturwissenschaft neu bestimmt, es ist auch ein gegenüber der platonischen *Kosmologie neues kosmologisches Paradigma etabliert.

Das göttlicheGottesbeweiskosmologischer SeinGottesbegriff, antike Philosophie ist für AristotelesAristoteles als Ursache und Grund aller Bewegung selbst unbewegt. Im 12. Buch der Metaphysik argumentiert er mit dem Gedanken, jede Bewegung muss eine Ursache haben, auf die man von der Wirkung aus zurückschließen kann. Allerdings kann in dem Rückgang auf die Ursachen der Bewegung kein unendlicher Regress angenommen werden. Es sei unmöglich, so Aristoteles, ‚dass das Bewegende und selbst von einem andern Bewegte ins Unendliche gehe; denn vom Unendlichen gibt es kein Erstes‘. Folglich muss es eine erste Ursache aller Bewegung geben, die selbst unbewegt alles andere bewegt. Das ist Gott: der erste unbewegte Bewegende, das rein Wirkliche. Er ist der Ursprung, an dem der Himmel und die Natur hängen. Das Göttliche hält das All zusammen, aber nicht auf eine äußerliche Weise. Gott, als das letztlich Erstrebte, ist in allem Wirklichen anwesend. Der aristotelische Gott ist vollkommen. Er ist reine Form, actus purus, reines Denken. Da der Inhalt, den ein vollkommener Gott denkt, nur vollkommen und das Höchste sein kann, so denkt dieser Gott ewig sich selbst. Er hat sich selbst zum Gegenstand seines Denkens.

Die StoaStoaStoa bildet neben Platonismus und Aristotelismus die dritte wirkungsmächtig wichtige Strömung der antiken Philosophie. Auf die Formierung des frühchristlichen Denkens hatte sie einen prägenden Einfluss, auch wenn sich deren Grundprämissen nur schwer mit dem christlichen Gottesgedanken vereinigen lassen. Die Philosophie der Stoa, deren Begründer ZenonZenon von Kition von Kition (333–264 v. Chr.) ist, ist fast ausschließlich durch spätere Bruchstücke überliefert. Sie stellt eine Alternative sowohl zu Platon als auch zu AristotelesAristoteles