Systemische Sternstunden - Claude-Hélène Mayer - E-Book

Systemische Sternstunden E-Book

Claude-Hélène Mayer

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Beschreibung

Die »systemischen Sternstunden« vermitteln neuartige Denkansätze und inspirierende Tools für systemische Praktiker:innen, die neue Anregungen suchen, noch mehr in den Austausch mit anderen gehen wollen und tiefere Verbindungen erfahren möchten. In sieben kurzen und prägnanten Kapiteln präsentiert Claude-Hélène Mayer diese innovativen Themen und Tools: •Ikigai: Ein japanisches Konzept zur Sinnfindung im Therapieraum •Sinnlosigkeit und Fußball: Albert Camus ganz praktisch •TTT: Technologie – Tiefe Beziehung – Therapie •Die Liebe: Kulturelle Perspektiven auf ein Gefühl •Unter der Oberfläche: Systemdynamiken durchschauen •Die Theorie des Terrors oder was wir alles tun, um unsterblich zu werden •Treebathing: Die Natur neu erleben Jedes Kapitel gibt einen knappen theoretischen und praktischen Einblick in das jeweilige Thema, stellt den Bezug zur systemischen Praxis her und verdeutlicht diesen in Anwendungsbeispielen und Best Practices. Ergänzende Reflexionsfragen können Berater:innen für sich selbst nutzen oder in systemischen Therapie- und Beratungsprozessen einsetzen. Gerade wenn es im beraterischen und therapeutischen Alltag herausfordernd wird: Diese Zusammenstellung von überraschenden Interventionen und cleveren Tools bringt frischen Wind hinein.

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Claude-Hélène Mayer

Systemische Sternstunden

Inspirierende Impulse und Interventionen für die therapeutisch-beraterische Praxis

VANDENHOECK & RUPRECHT

»Hänge dein Leben an einen Stern,

und die Nacht wird dir nicht schaden.«

© Phil Bosmans

Mit Dank an meine drei Sterne

Blanchie, Lolo and Ecee

Mit 2 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen,

ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: ART_Viktoriia/Shutterstock

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99319-5

Inhalt

Vorwort

Eine kurze Einführung in die Sternstunden

1IKIGAI – EIN JAPANISCHES KONZEPT IM THERAPIERAUM

1.1Einführung in das Ikigai-Konzept

1.2Ikigai in Therapie und Beratung

1.3Systemische Diskurse und Ikigai

1.4Ein Fallbeispiel

1.5Best Practices von Ikigai in systemischer Therapie und Beratung

1.6Reflexionsfragen

2SINNLOSIGKEIT UND FUSSBALL – ALBERT CAMUS GANZ PRAKTISCH

2.1Einleitung: Albert Camus und seine Philosophie

2.2Camus’ Beitrag zu Therapie und Beratung: Leben, Tod, Absurdität und Sinn

2.3Albert Camus’ Philosophie in systemischer Therapie und Beratung

2.4Ein Anwendungsbeispiel

2.4.1Erstkontakt

2.4.2Die Sitzungen

2.5Best Practices mit Albert Camus

2.6Reflexionsfragen

3TTT: TECHNOLOGIE – TIEFE BEZIEHUNG – THERAPIE

3.1Einführung in Technologie, Tiefe Beziehung und Therapie

3.2Technologie in Beratung, Therapie und Beziehung

3.3Systemisches um die drei Ts

3.4Ein Anwendungsbeispiel

3.4.1Zu Beginn der Therapie

3.4.2Nach einem halben Jahr

3.4.3Kurz vor Ende der Therapie

3.4.4Nach Abschluss der Sitzungen

3.5Best Practices

3.6Reflexionsfragen

4DIE LIEBE – KULTURELLE PERSPEKTIVEN AUF EIN GEFÜHL

4.1Einleitung: Liebe aus unterschiedlichen kulturellen Perspektiven

4.2Liebe in Therapie und Beratung

4.3Liebe aus systemischen Perspektiven

4.4Ein Anwendungsbeispiel

4.4.1Problem, Überweisungs- und Erklärungskontext

4.4.2Auftrags- und Zielkontext

4.4.3Weitere Sitzungen

4.5Best Practices im Umgang mit Liebe

4.6Reflexionsfragen

5UNTER DER OBERFLÄCHE: SYSTEMPSYCHODYNAMIKEN DURCHSCHAUEN

5.1Einleitung: Systempsychodynamische Ansätze und Theorien

5.2Abwehrmechanismen in Systemen

5.3Umsetzung dieser Theorien in Therapie und Beratung

5.4Systempsychologische Dynamiken und systemisches Denken

5.5Ein Anwendungsbeispiel

5.6Best Practices im Umgang mit systempsycho- dynamischen Prozessen

5.7Reflexionsfragen

6DIE THEORIE DES TERRORS ODER WAS WIR ALLES TUN, UM UNSTERBLICH ZU WERDEN

6.1Einleitung: Die Terror-Management-Theorie

6.2Umgang mit Terror und Angst in Therapie und Beratung

6.3Terror-Management aus systemischen Perspektiven

6.4Ein Anwendungsbeispiel

6.4.1Erstgespräch, Überweisungs- und Problemkontext

6.4.2Auftrag bzw. Zieldefinition

6.4.3Hypothesen

6.4.4Therapieverlauf

6.4.5Interventionen

6.5Best Practices bezüglich Terror und Angst

6.6Reflexionsfragen

7TREEBATHING: DIE NATUR NEU ERLEBEN

7.1Einleitung: Die Bedeutsamkeit der Natur und Waldbaden

7.2Natur in Therapie und Beratung

7.3Natur und Waldbaden aus systemischen Perspektiven

7.4Ein Anwendungsbeispiel

7.4.1Hintergrund der Therapie

7.4.2Interventionen

7.5Best Practices in und mit der Natur

7.6Reflexionsfragen

8EPILOG

8.1Neue Einblicke

8.2Ausblick

Danksagung

Literatur

Vorwort

Was ist eine Sternstunde?

In unserem Kontext dient der Begriff »Sternstunde« als eine Metapher für etwas Leuchtendes, Erhellendes und Freudvolles, das durch einen gut strukturierten und prägnanten systemischen Wissensinput in die Welt gebracht wird. Neben den theoretischen Grundlagen ist eine Verbindung zu aktuellen Themen gegeben und der Praxisbezug blitzt auf.

Das alles geschieht im Rahmen einer einzigen Stunde, online, für alle Interessierten leicht und nachhaltig ohne Ressourcenverschleuderung zu erreichen. Schon allein das war eine gleichermaßen geniale wie nützliche Idee von Claude-Hélène Mayer, eine unserem Institut seit Langem verbundene und sehr engagierte systemisch Lehrende, die ich über alle Maßen schätze.

Doch damit nicht genug. Wie Sterne eben manchmal funkeln bei Turbulenzen in der Luft, so funkelte ein Stern besonders stark, der uns unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe als systemisches Weiterbildungsinstitut deutlich machte. Wir sind überzeugt, unserer Verantwortung für den Klimaschutz gerecht werden zu müssen. Auch unsere Teilnehmer*innen sind in der Mehrzahl sehr dafür, Sinnvolles zu tun, gerade den jungen unter ihnen ist klar, dass ihre perspektivischen Möglichkeiten auch an gelingenden Klimaschutz gebunden sind.

So wird seit dem Start der »Sternstunden« für jedes Teilnehmer*innen-Ticket ein Baum gekauft und an die Klimaschutzorganisation »PLANT-MY-TREE« gespendet. Die Lehrenden und Gastdozent*innen sind pro bono tätig. Das Institut verzichtet auf Einnahmen und die Teilnehmer*innen spenden jeweils einen Baum.

Hier passiert das, was ein sinnvolles Wachstum einer Organisation und seiner Beteiligten genannt werden kann. Erst das Adjektiv »sinnvoll« macht ein Wachstum so richtig attraktiv und wertvoll.

Claude-Hélène Mayers Buch bildet auf eine sehr klare und versierte Weise das Charakteristische der »Sternstunden« ab. Als ihre Pionierin begeistert sie durch umfassendes Wissen und durch ihre frische, lebensbejahende Art.

Mein herzlicher Dank geht an Claude-Hélène Mayer. Mögen allen beim Lesen die Augen funkeln!

Ingrid Voßler

Lehrende in systemischer Therapie und Beratung, Supervision sowie in Systemaufstellungen

EINE KURZE EINFÜHRUNG IN DIE STERNSTUNDEN

»Das Reisen führt uns zu uns zurück.«

Albert Camus (1947)

Die Idee zu diesem Buch entstand während der Vorbereitung der ersten Sternstunde und basiert darauf, dass die Themenschwerpunkte der Sternstunden, das generierte Wissen und die Anwendungsbeispiele wichtige Impulse für vielfältige Theorie- und Praxisfelder geben können. Sie können so zudem über die Online-Sternstunden hinaus einem größeren Publikum zugänglich gemacht und systemisch nachhaltig genutzt werden.

Das Buch lädt die Leser*innen ein, den Sternstunden des Jahres 2021 lesend zu folgen und interaktiv mitzudenken. Die Sternstunden waren am Kasseler Institut für Systemische Therapie und Beratung (KI) wie folgt ausgeschrieben:

Willkommen zu den Sternstunden!

Sie möchten einmal wieder tiefe Verbindung erfahren, Neues lernen, aber noch viel mehr in den Austausch mit anderen gehen? Sie brauchen ganz praktische Tools und Best Practices für bestimmte, herausfordernde Situationen, um im beraterischen und therapeutischen Alltag mal wieder neue Interventionen auszuprobieren, kreativ und innovativ zu sein? Dann sind unsere systemischen Sternstunden für Sie genau das Richtige.

Von Mai bis Dezember 2021 laden wir Sie zu sieben Sternstunden mit Claude-Hélène Mayer ein. Jede Sternstunde besteht aus:

–15 Minuten Impulsvortrag und Diskussion im Plenum

–15 Minuten kollegialem Austausch (in Kleingruppen)

–10 Minuten Bedeutung des Themas für die systemische Therapie und Beratung

–15 Minuten Best Practices

–5 Minuten Abschluss und Ausblick

Abbildung 1: Sternstunden-Baum des KI

Dieses Buch gibt in kurzer und prägnanter Form die Inhalte dieser sieben Sternstunden wieder, skizziert ihre Relevanz für die systemische Therapie und Beratung und stellt Best Practices vor. So vermittelt diese Publikation einen Einblick, wie die jeweiligen Themen in systemischer Therapie und Beratung praktisch genutzt werden können. Die folgende Übersicht fasst die Themen der Sternstunden kurz und überblicksweise zusammen.

Erste Sternstunde:

Ikigai

Ikigai – Ein japanisches Konzept im Therapieraum

Die japanische Philosophie des Ikigai trägt dazu bei, den persönlichen Sinn des Lebens zu finden. Was diese Philosophie auszeichnet und wie sie in therapeutischen oder beraterischen Kontexten genutzt werden kann, erfahren Sie in dieser Sternstunde.

Zweite Sternstunde:

Albert Camus und Existenzialismus

Sinnlosigkeit und Fußball – Albert Camus ganz praktisch

In dieser Sternstunde beschäftigen wir uns praxisnah mit der Philosophie Albert Camus’ und damit, wie sie uns und unsere Arbeit mit Klient*innen inspirieren kann.

Dritte Sternstunde:

Technologie

TTT: Technologie – Tiefe Beziehung – Therapie

Diese drei Ts sind aus dem heutigen Therapie- und Beratungsalltag nicht mehr wegzudenken. Diese Sternstunde geht der Frage nach, wie sich tiefe Beziehungen zwischen Klient*in und Therapeut*in auch in technologiebasierter Therapie und Beratung herstellen lassen.

Vierte Sternstunde:

Liebe

Die Liebe – kulturelle Perspektiven auf ein Gefühl

Diese Sternstunde richtet ihren Blick auf Liebesbeziehungen und ihre interkulturellen Implikationen. Über die eigenen Bezüge hinaus, kann eine Auseinandersetzung mit diesem Thema wichtige Beiträge für die Heilung interkultureller Beziehungen in der Therapie und Beratung liefern.

Fünfte Sternstunde:

Systempsychodynamiken

Unter der Oberfläche: Systemdynamiken durchschauen

Aufgrund ihrer Komplexität können Systempsychodynamiken eine Herausforderung für Therapie und Beratung darstellen. Die Sternstunde führt in ein gut verständliches Modell ein, das in der Beratung und Therapie Klarheit über Systemdynamiken sicherstellt.

Sechste Sternstunde:

Terror-Management

Die Theorie des Terrors oder was wir alles tun, um unsterblich zu werden

Die Terror-Management-Theorie fragt danach, warum die Angst vor dem Tod eine starke Triebfeder für Gedanken, Handlungen, Gefühle und Motivationen ist. Die damit verbundenen Einsichten und Erkenntnisse können helfen, neue Wege in Therapie und Beratung einzuschlagen.

Siebte Sternstunde:

Treebathing

Treebathing: Die Natur neu erleben

Es gibt unterschiedliche kulturelle Praktiken, die Natur in die Arbeit mit Klient*innen einzubeziehen. Diese Sternstunde richtet den Fokus auf das Waldbaden, ein japanisches Konzept, in der Natur Heilung zu erfahren, das sich in vielfältigen Therapie- und Beratungsbezügen überall auf der Welt einsetzen lässt.

Das Buch orientiert sich in seiner Kapitelstruktur an dieser Themenfolge. Die Kapitel sind darauf ausgelegt, relevante theoretische Grundlagen zum jeweiligen Fokus zu vermitteln, systemisches Denken zu erweitern, neue Verbindungen zwischen systemischem Denken und den spezifischen Inhalten zu schaffen und Praxishinweise zu geben. Die Kapitel richten sich an einer einheitlichen Struktur aus:

–Das Thema wird kurz hinsichtlich seiner theoretischen und praktischen Implikationen vorgestellt.

–Mögliche Anwendungsfelder für die beraterische und therapeutische Praxis werden erörtert.

–Ein systemischer Bezug zum Thema wird skizziert.

–Ein Anwendungsbeispiel konkretisiert Umsetzungsideen für die Praxis.

–Best Practices bieten weitere praxisorientierte Einsichten.

–Vertiefende Reflexionsfragen runden die thematische Auseinandersetzung ab.

Ihnen als Leser*innen dieses Buches wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre, beim systemischen Eindenken in die neuen thematischen und methodischen Verknüpfungen und hoffe, Ihnen in der Zukunft bei weiteren Sternstunden am KI begegnen zu können. Die aktuellen Sternstunden finden Sie auf https://www.kasselerinstitut.de.

1IKIGAI – EIN JAPANISCHES KONZEPT IM THERAPIERAUM

»Du bist zu schnell gelaufen für dein Glück.

Nun, da du müde bist, holt es dich ein.«

Friedrich Nietzsche

1.1Einführung in das Ikigai-Konzept

Ikigai hat seinen Ursprung in der japanischen Kultur des 14. Jahrhunderts (Ishida, 2011) und gewinnt in den letzten Jahren zunehmend auch in anderen kulturellen Kontexten an Beachtung (Fabritius, 2017; Fido, Kotera u. Asan, 2019; Mayer, 2020). Es ist ein soziokulturelles und philosophisches Konzept, das die Entwicklung des Selbst im Hinblick auf den Lebenssinn reflektiert und somit als ein Ansatz zur Sinnfindung im Leben betrachtet werden kann.

Als Sinnfindungskonzept passt Ikigai gut in existenzielle Therapie- und Coaching-Konzepte (Ishida, 2012b), denn diese Ansätze fokussieren und erforschen in der Regel den grundlegenden Sinn des Lebens und minimieren oder verhindern dadurch psychische Erkrankungen, destruktive psychische Zustände, Drogensucht und andere Abhängigkeiten (Ishida, 2012a). Sie tragen zur Entwicklung eines unabhängigen Geistes (Ishida, 2012a) und liebevoller Freundlichkeit bei Führungskräften bei (Mayer, 2020). In den letzten zehn Jahren häuften sich die internationalen Berichte über einen Anstieg an Suiziden und Hinweise, dass existenzielles Leiden und der Verlust des Lebenswerts in bestimmten Gesellschaften wie Japan rasant zunehmen (Ozawa-de Silva, 2008). Dieser Verlust des Lebenswerts wurde als existenzielle Krise beschrieben, die »typisch für moderne Gesellschaften ist, in denen die Menschen eher das tun, was ihnen gesagt wird oder was andere tun, als das, was sie tun wollen« (García u. Miralles, 2017, S. 415).

Ikigai wurde ins Englische übersetzt als »das, was das eigene Leben am lebenswertesten erscheinen lässt«1 (Tanno u. Sakata, 2007, S. 114), sowie als das Bewusstsein, ein »lebenswertes Leben« zu führen (Sone et al., 2008, S. 709).

In mehreren Forschungsartikeln wurde Ikigai und somit das Konzept eines »nachhaltigen Lebens« kulturübergreifend verglichen, wobei Ikigai als Konzept der kulturellen Weisheit, das sich auf ein als lebenswert empfundenes Leben bezieht, spezifisch für den japanischen Kulturraum gilt (Bilash, 2019), während ein Konzept wie Ubuntu beispielsweise für den afrikanischen Kontext beschrieben wird (Hayward u. Roy, 2019).

Bilash argumentiert, dass Menschen in globalen und komplexen Systemen aus den unterschiedlichsten Quellen kultureller Weisheit schöpfen müssen, um Individuen zu befähigen, »Agent*innen [also Handlungsverantwortliche] ihrer eigenen Veränderung zu sein« (Bilash, 2019, S. 257). Das Konzept des Ikigai ist im deutschen oder südafrikanischen Kontext kaum erforscht. Eine deutsche Studie zu psychosozialen Einflussfaktoren auf die Krebsentstehung verweist allerdings auf eine japanische Studie, die hervorhebt, dass Frauen, die Sinn im Leben erfahren, weniger anfällig für Brustkrebs sind als Frauen, die keinen Sinn im Leben im Sinne von Ikigai empfinden (Nielen et al., 2007, in Schwarz, Messerschmidt u. Dören, 2007). Es konnte jedoch keine Forschung gefunden werden, die die Wirkung von Ikigai in deutschen und südafrikanischen Kontexten untersucht, es liegen aber einige praktische Leitfäden und Programme vor (z. B. Arauner, 2018; Mogi, 2017), die Ikigai in deutschen und südafrikanischen Kontexten als Selbsthilfeprogramme empfehlen.

Komar (2023) zeigt in ihrem Artikel auf, dass die japanische Kultur, insbesondere in Bezug auf das Arbeitsleben, kontroverser kaum sein könnte: Einerseits wird Ikigai als wegweisende Philosophie zur Definition des Lebenswerts propagiert, andererseits sterben in Japan Tausende Menschen an Erschöpfung, die auf Überarbeitung zurückzuführen ist. Ikigai kann das Individuum dabei unterstützen, den persönlichen Sinn im Leben und in der Arbeit zu finden, die Motivation zu steigern und die Reise ins innere Selbst zu fördern (Komar, 2023). Ikigai kann auch dazu beitragen, eine Organisationskultur mit gemeinsamen Visionen aufzubauen und eine Angleichung der individuellen und organisatorischen Werte und Ansätze zu unterstützen. Es ist daher anzunehmen, dass deutsche Mitarbeiter*innen und Organisationen von der japanischen Ikigai-Philosophie lernen können; allerdings muss diese Philosophie auch in den stressigen Alltagsroutinen des postmodernen Lebens umgesetzt werden (Komar, 2023).

1.2Ikigai in Therapie und Beratung

Abbildung 2: Das Ikigai-Konzept

Der Lebenssinn spielt auch in europäischen Therapie- und Beratungsansätzen eine wichtige Rolle. Ausgehend von Kierkegaard (1844) haben sich in Europa insbesondere der Existenzialismus und die existenzialistischen Philosophien mit dem Sinn des Lebens auseinandergesetzt. Die existenzialistische Theorie in ihren vielfältigen Ausprägungen (Yalom, 1980; Cooper, 2016; Spinelli, 2007) weist jedoch darauf hin, dass sich der Existenzialismus auf bestimmte Schlüsselkonzepte fokussiert, wie beispielsweise

–Bezogenheit (alle Menschen drücken sich aus, indem sie ihre Aussagen aufeinander beziehen und wechselseitig begründen),

–Ungewissheit (die Realität wird als ungewiss, unvorhersehbar und unentrinnbar erlebt),

–existenzielle Angst (bezieht sich auf die letztendliche Unvollständigkeit, das unvermeidliche Unbehagen und die Angst, die alle reflektierenden Erfahrungen durchdringen).

Ikigai-Erleben trägt dazu bei, Bezogenheit herzustellen, Ungewissheit zu überbrücken und existenzielle Angst über Sinnhaftigkeitskonstruktionen zu transformieren.

Dabei besteht das – im Westen verbreitete und komplexitätsreduzierte – Konzept von Ikigai aus vier Kernelementen und vier Überschneidungsbereichen (siehe Abbildung 2).

Im Zentrum dieser vier Kernelemente und Überschneidungsbereiche steht Ikigai, der Wert des Lebens. Im Folgenden werden die vier Kernelemente mit ihren wichtigsten Fragestellungen vorgestellt:

Was Sie lieben

–Was macht Spaß und was tun Sie besonders gern?

–Was würden Sie tun, wenn Sie sich keine Sorgen um Geld oder Verdienst machen müssten?

–Wie und womit würden Sie Ihre Zeit in einem langen Urlaub oder an einem freien Wochenende verbringen, wenn Sie tun und lassen könnten, was Sie wollen?

–Was empfinden Sie als an- und aufregend?

–Was bringt Sie in Schwung, motiviert Sie und fördert Ihr intrinsisches Engagement?

–Worüber könnten Sie andauernd mit Begeisterung reden?

Was die Welt braucht

–Was könnten Sie der Welt, Ihrer Kultur oder Ihrer Familie geben?

–Welche Probleme in Ihrer Gesellschaft würden Sie gern sofort lösen (helfen)?

–Welche Probleme in der Welt, in Ihren (Sub-)Gruppen und in Ihrer Gemeinschaft berühren Sie emotional?

–Sind Menschen bereit, sich von ihren Ressourcen zu trennen, um das zu kaufen, was Sie verkaufen?

–Wird Ihre Arbeit auch in einem Jahrzehnt (oder sogar in einem Jahrhundert) noch relevant sein?

Worin Sie gut sind

–Welche sind Ihre natürlichen, angeborenen Gaben, Ihre Talente und Fähigkeiten?

–In welchen Bereichen Ihres derzeitigen Jobs/Engagements sind Sie gut, ohne sich anstrengen zu müssen?

–Worin gehören Sie zu den Besten bei Ihrer Arbeit, in Ihrer soziokulturellen Gruppe, in Ihrem Land oder sogar auf der ganzen Welt?

–Was meinen Sie: In welchem Bereich könnten Sie mit etwas mehr Ausbildung und Erfahrung zu den Besten gehören in dem, was Sie tun?

Wofür Sie bezahlt werden können

–Womit verdienen Sie Ihr Geld, Ihren Lebensunterhalt?

–Sind Sie in letzter Zeit für das, was Sie tun, bezahlt worden?

–Sind Sie jemals für das, was Sie tun, bezahlt worden? Wenn nicht, werden andere Menschen für diese Arbeit bezahlt?

–Verdienen Sie mit dem, was Sie tun, ein gutes Einkommen?

–Können Sie von der Bezahlung Ihrer Arbeit gut leben?

–Wie könnten Sie mit dem, was Sie tun, mehr Geld verdienen?

Wenn Sie nun die Zwischenräume der Abbildung 2 betrachten, so findet sich zwischen dem, was eine Person liebt, und dem, was die Welt braucht, die Mission. Zwischen dem, was die Welt braucht, und dem, wofür sie bezahlt wird, steht die Berufung. Zwischen dem, wofür sie bezahlt wird, und dem, worin sie gut ist, scheint die Profession auf und schließlich ist zwischen dem, worin eine Person gut ist, und dem, was sie liebt, die Passion, die Leidenschaft, platziert.

In den weiteren Zwischenräumen zwischen Mission, Berufung, Beruf und Passion scheinen Elemente auf, die in einer Art Dichotomie (als positive und negative Pole) skizzieren, was die Felder in ihren Überschneidungsbereichen bereithalten:

1.Zwischen Mission, Berufung und dem, was die Welt braucht: Begeisterung und Selbstgefälligkeit, aber Gefühl der Unsicherheit

2.Zwischen Berufung, Beruf und dem, wofür eine Person bezahlt wird: Bequemlichkeit, aber auch ein Gefühl der Leere

3.Zwischen Beruf, Passion und dem, worin eine Person gut ist: Befriedigung, aber auch das Gefühl der Nutzlosigkeit

4.Zwischen Passion, Mission und dem, was eine Person liebt: Freude und Erfüllung, aber kein Reichtum

1.3Systemische Diskurse und Ikigai

In Theorie und Praxis gleichermaßen gibt es einen andauernden Diskurs hinsichtlich der Frage nach theoretischen Ansätzen und praktischen Interventionen, die zu einer positiven und gesunden individuellen Entwicklung, zu persönlichem Wachstum, zur Reduktion von Stress, zur Erkenntnis systemischer Schlüsselfaktoren, aber auch zur Organisationsentwicklung und Steigerung der Effektivität beitragen können (Biron, Burke u. Cooper, 2014). Systemische Therapie und Beratung, als Strategien zur Entwicklung von Individuen und Organisationen aus einer positiven, systemisch-psychologischen Perspektive, sind erst in jüngster Zeit auf verstärktes Interesse gestoßen (Biron et al., 2014; Mayer, 2011). So sind in letzter Zeit vermehrt systemische Ansätze in den Blick gerückt, die dazu beitragen sollen, systemische Dynamiken zu erkennen, den Beitrag bestimmter Systemelemente zum Gesamtsystem zu identifizieren und systemische Balance herzustellen und so bewusstes systemisches und ganzheitliches Handeln zu erleichtern. So kann es gelingen, aus systemischer Perspektive Dynamiken zu erkennen, Sinn, Balance und Ausgleich zu schaffen und einzelne Elemente zu verändern, damit Probleme ganzheitlich transformiert und passende Lösungen entwickelt werden können. Diese Transformationen entstehen aus der Grundlage der Einschätzung des Settings, den soziokulturellen Gegebenheiten und der Einbeziehung systemisch ausgerichteter Interventionen, deren Beitrag in der Erhöhung der individuellen und organisatorischen Entwicklung resultiert (Nazarkiewicz u. Krämer, 2012).

Anliegen dieser Sternstunde ist es, Ikigai als bedeutsamen Ansatz in der systemischen Therapie und Beratung vorzustellen und dazu beizutragen, Ikigai als systemisches, positives und existenzielles Tool für Therapie und Beratung zu erschließen. Neben einer Einführung in die Ikigai-Philosophie werden systemische Übereinstimmungen und Abgrenzungen dieses aus Japan stammenden Konzepts beschrieben. Best Practices werden verdeutlichen, wie Ikigai in systemischer Therapie und Beratung nutzbringend eingesetzt werden kann.

Systemische Therapie und Beratung basieren auf Ansätzen des systemischen Denkens (Bateson, 1985, 1987; Luhmann, 2000; Maturana, 1998; Maturana u. Varela, 1990). Als grundlegendes Merkmal eines Systems gelten die systemischen Vernetzungen und die Beziehungen der Elemente, Subsysteme und Prozesse untereinander. Diese Beziehungen sind vor allem durch die Annahme bestimmt, dass das Ganze größer ist als die Summe seiner Teile und dass ganzheitliche Ansätze zu adäquaten Lösungen führen können. Der Begriff »System« definiert die Gesamtheit der Elemente und deren Beziehungen untereinander (von Bertalanffy, 1968, S. 55). Durch ihre Interaktion und Kommunikation miteinander bilden die Elemente eine sinnvolle und zweckmäßige Einheit, das System (Meer, 2008). Ein System grenzt sich von anderen durch spezifische Regeln und Vorschriften, ebenso durch seine Organisation und Struktur ab.

Biologische (Maturana, 1998; Maturana u. Varela, 1990) und soziologische (Luhmann, 2001) Annahmen haben zu einem Anstieg des systemischen Denkens in Therapie und Beratung geführt und Systemtheorien beeinflusst (Ludewig, 2005). Maturana (1998) war einer der ersten Wissenschaftler*innen, die sich intensiv mit Systemen beschäftigt haben, und er betonte, dass die funktionalen und operativen, geschlossenen Nervensysteme des Menschen nicht zwischen internen und externen Auslösern, Wahrnehmungen und Illusionen unterscheiden. Diese Nervensysteme werden als reproduktiv, autopoietisch und autonom angesehen. Daher ist der Begriff der Beobachtung im systemischen Denken wesentlich. Für Maturana (1998) bedeutet »Beobachten« insbesondere Differenzierung. Wenn es keine Möglichkeit der Unterscheidung gibt, gibt es auch keine kognitive (Wieder-)Erkenntnis. Das bedeutet, dass es keine Konstruktion von Wirklichkeit gibt. Luhmann (2001), der auf Maturanas wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbaut, wendet sie auf soziale Systeme an. Er hebt hervor, dass soziale Systeme auf Kommunikation beruhen und dass diese dazu beiträgt, bestimmte systemische Komplexitäten zu reduzieren und gleichzeitig neue Formen von Komplexitäten zu schaffen, die für den Menschen leichter versteh- und bewältigbar sind. Zugleich sind kommunizierte Komplexitäten für Menschen bedeutungsvoller als andere Komplexitäten, wie zum Beispiel die Undurchdringlichkeit, Unberechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit von Systemen. Nach Luhmann (2001) stellt der anthropologische Ansatz eine Möglichkeit dar, die doppelte Kontingenz von Undurchdringlichkeit und Unberechenbarkeit zu reduzieren. Systemische Denkansätze könnten nach Luhmann (2001) dazu beitragen, die Komplexität der Wirklichkeit zu reduzieren und für die beobachtende und die beobachtete Person gleichermaßen nachvollziehbar zu machen.

Ludewig (2005) betont, dass systemisches Denken als eine Art »Denkkultur« betrachtet werden kann. Diese beantwortet die Frage, wie Individuen ihre Wirklichkeiten innerhalb sozialer Systeme konstruieren, welche Prämissen sie bevorzugen und welche Möglichkeiten sie sehen, diese Prämissen zu hinterfragen (von Schlippe u. Schweitzer, 2003). Systemisches Denken zielt darauf ab, den Fokus eines Problems neu zu akzentuieren, eine spezifische Methodik für die Bearbeitung hoher Komplexität vorzustellen und aus einem problemzentrierten Ansatz zu einem lösungszentrierten Ansatz zu gelangen (de Shazer, 2004).

Dabei geht systemisches Denken immer von der Erfahrungswelt der*des Einzelnen – der beobachtenden bzw. der beobachteten Person – aus und ist daher immer als subjektiv definiert (Bateson, 1987). Im Gegensatz zu Luhmanns (2000) soziologischer Systemtheorie betrachten Bateson und Ruesch (1995, S. 305) das handelnde Individuum als Element des Systems: Das soziale System besteht aus »teilnehmenden Individuen«, die die Realität des Systems miteinander aushandeln. Ihrer Auffassung nach findet Kommunikation jedoch auf vier verschiedenen Ebenen statt: auf der intrapersonellen Ebene (was innerhalb einer Person vor sich geht), der interpersonellen Ebene (was zwischen zwei oder mehreren Personen geschieht), der Ebene der Gruppenprozesse (Interaktionen zwischen vielen Menschen) und der Ebene der kulturellen Prozesse (Interaktionen zwischen großen Gruppen, kulturellen Gruppen und/oder in der Gesellschaft als Ganzes). Nach Bateson (1987) ist es der »Unterschied, der einen Unterschied macht«, wobei der Unterschied Teil der Wirklichkeitskonstruktion der beobachtenden Person ist und keine objektive Tatsache. Somit handelt es sich bei den beobachteten Prozessen innerhalb eines Systems immer um eine Konstruktion sowohl der Person, die interagiert, als auch der Person, die beobachtet.

Diese Form des systemischen Denkens ist verwandt mit dem Grundprinzip des ethischen Imperativs von von Foerster (1995), der dazu rät, dass Handlungen immer darauf abzielen sollten, das Quantum der Möglichkeiten zu erhöhen. Handlungen werden als sinnvoll definiert, wenn sie Wahlmöglichkeiten erweitern. Demzufolge können Handlungen wie Richtig-Falsch-Urteile oder Handlungen, die aufgrund individueller oder gesellschaftlicher Tabus verboten sind, die Möglichkeiten einschränken und werden daher im systemischen Denken abgelehnt. Dieser Ansatz systemischen Denkens passt zum Ikigai-Konzept, das ebenfalls Optionen vermehren und Handlungsspielräume erweitern will. Dies illustriert das folgende Anwendungsbeispiel.

1.4Ein Fallbeispiel2

Philia, 29 Jahre, ist Single und leitende Angestellte in einem privaten Krankenhaus. Sie ist eine karriereorientierte Ärztin, die das Joggen und Meditieren liebt. Kurz vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie ist sie in eine fremde Stadt umgezogen, um eine neue Stelle anzutreten. Seither sind fünf Monate vergangen und sie leidet unter Schlaflosigkeit, extremer Müdigkeit und Abgeschlagenheit sowie Demotivation, Angst, Depression und unter einem Gefühl von Sinnverlust.

Philia ist als leitende Angestellte in einem der privaten Krankenhäuser in Gauteng, dem wirtschaftlichen Zentrum und Ballungsraum Südafrikas und des gesamten südlichen Afrikas, tätig. Ihr ganzes Leben lang hat sie hart gearbeitet und ihren ganzen Willen und ihre Energie auf ihre Karriere fokussiert, um eine erfolgreiche Ärztin zu werden. Darüber hinaus hat sie verschiedene Fortbildungen besucht, um ihre Führungsqualitäten auszubilden, und sich besonders angestrengt, um Fachärztin für Anästhesie zu werden. Sie ist alleinstehend und fühlt sich ihrer Mutter sehr verbunden, mit der sie jeden Tag telefoniert.

In ihrer neuen Position ist sie als Leiterin der Notaufnahme in einem relativ kleinen, privaten Krankenhaus tätig. Kurz nach ihrem Dienstantritt im Januar 2020 wurde der erste COVID-19-Fall am 14. Februar 2020 in Äthiopien und am 5. März 2020 in Südafrika gemeldet (Mbunge, 2020). Im März traten bei Philia die ersten oben eingangs genannten Symptome auf. Anfang März hatte sie beschlossen, einen Coach zu konsultieren, der sie dabei unterstützen sollte, die Schlaflosigkeit zu überwinden, die sich auf ihre Arbeitsfähigkeit auszuwirken begann. Sie hoffte, dass das Coaching dazu beitragen würde, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um »wieder in die Spur zu kommen«.

In Phase 1 hörte sich die Beraterin Philias Symptome, ihre Geschichten und Erklärungen, ihre Lebensgeschichte in den letzten Jahren und ihre Frustration über die globale und lokale Situation an, in der sie und die Welt sich aufgrund von COVID-19 befanden. Philia sprach über ihre Ängste als Krankenhausmitarbeiterin, ihre Angst, sich mit COVID-19 zu infizieren und die Krankheit auf ihre Familie zu übertragen, ihre Frustration darüber, Single zu sein und das Gefühl zu haben, ihr Leben aufgrund ihrer Fokussierung auf Studium und Karriere verschwendet und es verpasst zu haben, eine eigene Familie zu gründen. Sie sprach auch über ihre persönlichen Hintergründe, zum Beispiel darüber, wie ihre Eltern nach Südafrika auswanderten, um einem Krieg in ihrem Herkunftsland zu entkommen, kurz bevor sie geboren wurde.

In Phase 2, nachdem die Beraterin sich Philias »existenzielle Spannungen«, ihr Leiden und ihre Frustrationen angehört hatte, nutzte sie das Ikigai-Modell, um einzelne Facetten von Philias Leben zu erforschen und herauszufinden, welche Veränderungen dazu beitragen könnten, Philia darin zu unterstützen, die für sie richtigen Entscheidungen zu treffen.

Zunächst erkundete Philia, was sie liebt. Sie beschrieb zahlreiche soziale Aktivitäten, sich mit Freund*innen zu treffen, zu laufen und Sport zu treiben und sich mit ihrer Mutter zu unterhalten. Früher liebte sie es, in der Natur zu sein, das Leben zu genießen und Spaß zu haben, aber sie wies darauf hin, dass sie diesen Aktivitäten kaum noch nachging, da sie sich auf ihre Karriere und den Abschluss ihres Studiums mit Auszeichnung konzentrierte. Sie hatte ursprünglich geplant, nach dem Studium viele dieser Aktivitäten wieder aufzunehmen, aber dann begann sie den neuen Job und war mit den Lockdowns aufgrund der Pandemie konfrontiert.

Auf der Suche nach dem, was die Welt braucht, äußerte sie die Überzeugung, dass die Welt mehr Freude und Freundlichkeit brauche. Allerdings fiel es ihr schwer, dies zu formulieren, da ihre Gedanken sie immer wieder zu dem führten, »was die Welt nicht braucht«, wie zum Beispiel Kriminalität, Armut, Krankheit, Schlaflosigkeit und Angstzustände.